Blutschuh - Cornelia Lotter - E-Book
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Cornelia Lotter

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Beschreibung

Warum faselt ihr Entführer immer etwas von der Grausamkeit der Märchen? Was soll der gläserne Schuh neben dem Frauenporträt auf dem schwarz verhängten Sockel? Als Hannah gefesselt und geknebelt in einem dunklen Zimmer aufwacht, nimmt sie sich vor, nie wieder in so einem beknackten Dating-Forum nach einem Partner zu suchen. Falls, ja falls sie jemals lebend hier herauskommt. Kirsten Steins Freundin Geraldine macht sich Sorgen um ihre verschwundene Kollegin. Ki verspricht, sie zu suchen. Doch als eine grausam verstümmelte Leiche auftaucht, sieht sich Ki in einen Strudel aus Wahnsinn und Täuschung hineingezogen. Und niemand ist der, der er zu sein scheint.

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Cornelia Lotter

 

 

 

Blutschuh

 

Ki und der gläserne Schuh

 

 

1. digitale Auflage 2018

© 2018 Cornelia Lotter

Wiebelstraße 6, 04315 Leipzig

[email protected]

www.autorin-cornelia-lotter.de

 

E-Book Erstellung: mybookMakeUp.com

Covergestaltung: Tanja Prokop

unter Verwendung eines Fotos vonpixabay.com

und depositphotos.com © kvkirillov

 

Alle Rechte vorbehalten!

Nachdruck, auch auszugsweise,

nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin.

Inhaltsverzeichnis

Das Buch

Über die Autorin

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

39. Kapitel

40. Kapitel

41. Kapitel

42. Kapitel

43. Kapitel

44. Kapitel

45. Kapitel

46. Kapitel

47. Kapitel

48. Kapitel

49. Kapitel

50. Kapitel

51. Kapitel

52. Kapitel

53. Kapitel

54. Kapitel

Nachwort

Das Buch

 

 

Warum scheint Hannahs Entführer besessen von der Grausamkeit der Märchen zu sein?

Was soll der gläserne Schuh neben dem Frauenporträt auf dem schwarz verhängten Sockel?

Als Hannah gefesselt und geknebelt in einem dunklen Zimmer aufwacht, nimmt sie sich vor, nie wieder in so einem beknackten Dating-Forum nach einem Partner zu suchen. Falls, ja falls sie jemals lebend hier herauskommt.

Kirsten Steins Freundin Geraldine macht sich Sorgen um ihre verschwundene Kollegin Hannah. Ki verspricht, sie zu suchen. Doch als eine grausam verstümmelte Leiche auftaucht, sieht sich Ki in einen Strudel aus Wahnsinn und Täuschung hineingezogen. Und niemand ist der, der er zu sein scheint.

Über die Autorin

 

 

Cornelia Lotter wurde in Weimar geboren, wuchs in der Nähe auf und studierte in Meiningen Lehramt. Nach zwei Jahren im Schuldienst entschloss sie sich, einen Ausreiseantrag zu stellen und wechselte deshalb als Pflegerin in ein christliches Alterspflegeheim. 1984 durfte sie nach Tübingen übersiedeln, wo sie eine Umschulung zur Industriekauffrau absolvierte. Bis 2014 arbeitete sie als Sekretärin. Seit 2015 ist sie als Freie Autorin tätig und lebt in Leipzig.

 

" Blutschuh" ist der 7. Fall für die Privatdetektivin Kirsten Stein.

 

Cornelia Lotter veröffentlicht unter insgesamt 5 Pseudonymen sowohl in Verlagen als auch als Self-Publisherin.

 

Sie ist Mitglied im Verband deutscher Schriftsteller und im Selfpublisher-Verband.

1. Kapitel

 

 

Kirsten Stein drehte sich auf die Seite und betrachtete den schlafenden Mann. Er war alt geworden. In seinem vollen Haar hatten sich Geheimratsecken gebildet und die Stoppeln in seinem Gesicht waren grau. Ein paar zusätzliche Falten zeichneten sich ab. Aber sie liebte ihn noch immer.

Du bist auch nicht mehr die Jüngste, sagte sie sich selbstkritisch. Nein, das war sie wirklich nicht. Sie ging auf die fünfzig zu, und Martin Bender auf die sechzig. Aber was spielte das schon für eine Rolle? Sie waren wieder zusammen, auch wenn sie sich nur alle paar Wochen sahen.

Nach seinem Weggang nach Köln hatten sie immer seltener voneinander gehört. Bis Ki nach ihren Undercover-Ermittlungen in der Nattermühle den ersten Schritt getan und ihm eine Mail geschrieben hatte. Danach fand eine vorsichtige Wiederannäherung statt. Ihre Gefühle, das hatten sie schnell gemerkt, waren noch nicht erkaltet. Nachdem Martin Bender zunächst in Köln weiter in seinem alten Kommissariat gearbeitet hatte, von wo aus er Anfang der Neunziger zur Unterstützung der Kollegen nach Leipzig delegiert worden war, nahm er ein Jahr später einen Posten beim LKA in Düsseldorf an.

Natürlich war die Entfernung von fast fünf Stunden eine Herausforderung. Teils fuhr er die Strecke mit dem Auto, manchmal flog er aber auch. Da Ki immer noch keinen fahrbaren Untersatz besaß, kam für sie nur Zug oder Flugzeug in Frage. Ein erneutes Zusammenleben war für sie noch kein Thema gewesen.

Ki schwang ihre nackten Beine aus dem Bett. Sie hatte Durst. Die Nacht war wieder kurz gewesen, wie immer, wenn sie sich ein paar Wochen nicht gesehen hatten. Da gab es viel nachzuholen. Verbal und nonverbal. Aber heute war Sonntag, und sie würden den Tag gemütlich im Bett beginnen.

Ein Blick auf ihr Handy zeigte ihr, dass Geraldine, ihre alte Freundin, sie schon mehrmals versucht hatte anzurufen. Wenn sie nicht gestört werden wollte, stellte Ki den Ton ihres Handys immer ab. Zumindest den ihres privaten. Deshalb hatte sie nichts von den Anrufversuchen bemerkt. Wenn Geraldine es so oft versucht hatte, konnte es sich nur um etwas Wichtiges handeln. Geraldine arbeitete seit ihrem Ausstieg aus dem horizontalen Gewerbe in einem Altenpflegeheim und war ganz glücklich mit dieser neuen Berufstätigkeit. Was könnte die Freundin von ihr wollen?

Ki setzte sich auf den Küchenstuhl und drückte auf den grünen Knopf. Nach einiger Zeit meldete sich Geraldine mit müder Stimme.

„Hallo Süße, ich bin‘s. Du hast versucht mich zu erreichen. Was gibt’s?“

„Hannah ist weg.“

„Wer ist Hannah?“

„Eine Kollegin von mir. Sie ist heute früh nicht zum Dienst erschienen, und ich kann sie auch nicht übers Handy erreichen.“

Ki runzelte die Stirn. Warum machte sich die Freundin Sorgen? Wahrscheinlich war die Frau einfach irgendwo versumpft.

„Wie alt ist Hannah denn?“

„Genau weiß ich das nicht, aber so Mitte zwanzig.“

„Kann es nicht sein, dass sie gerade bei irgendeinem heißen Typen ihren Rausch ausschläft?“

„Hannah hat noch nie unentschuldigt gefehlt. Und da gibt es noch etwas anderes, weswegen ich mir ja Sorgen mache.“

Ki wartete darauf, dass Geraldine diese Andeutung näher ausführte.

„Sie ist da in so einem ominösen Forum unterwegs.“

„Ein Datingforum?“, unterbrach Ki sie ungeduldig. „Was ist daran ominös?“

„Ja. Nein. Ein besonderes Forum. Da sind Leute, die irgendeinen Fetisch haben. Die treffen sich dann, wenn ihre Interessen übereinstimmen. Zum Sex.“

„Na und? Was ist daran jetzt ominös?“

„Na ja, ich weiß nicht, aber ich glaube, sie hat da so einen komischen Typen kennengelernt. Der steht auf Füße.“

Ki musste jetzt lachen. „Soll’s geben. Und über irgendwelche Absonderlichkeiten muss ich dir doch keinen Vortrag halten, oder? Das dürfte dir alles doch nicht fremd sein.“

„Ich weiß nicht, Ki“, zweifelte Geraldine, „das, was sie mir über diesen Typen erzählt hat, klang nicht ganz koscher.“

„Und was, bitte, war das?“ Langsam verlor Ki die Geduld. In ihrem Bett lag ein Mann, auf den sie schon wieder Lust hatte, und sie stand hier in der Küche und diskutierte mit ihrer Freundin ein Problem, das wahrscheinlich gar keines war.

„Na ja, er wollte ihre Schuhgröße wissen, und als sie sie ihm genannt hat, meinte er wohl, da habe sie Glück gehabt, das läge gerade noch in seiner Norm.“

„Und das findest du komisch? Vielleicht steht er eben auf kleine Füße. Welche Schuhgröße hat sie denn?“ Ki hatte längst einen Plan.

„Siebenunddreißig.“

„Zur Polizei brauchst du jedenfalls gar nicht erst gehen“, sagte Ki jetzt. „Solange keine vermutete Notlage besteht, nehmen die nicht mal eine Vermisstenanzeige auf. Aber ich werde mich in diesem Forum anmelden und ein Fakefoto einstellen, das deiner Kollegin gleicht. Kannst du mir mal eins von ihr auf mein Handy schicken? Und auch den Namen von dem Forum. Kennst du den Nick von diesem Typen?“

„An den Nick kann ich mich nicht erinnern, Hannah hat ihn mal erwähnt. Es war irgendwas Französisches. Aber ziemlich kompliziert. Ich hatte das Wort noch nie gehört.“

„Okay Süße, morgen Abend zum Training sehe ich Margret, die werde ich auch instruieren. Und du meldest dich sofort bei mir, wenn du was von Hannah hörst. Egal was. Okay?“

„Danke dir.“

„Nichts zu danken. Wir hören uns.“

Ki drückte auf den roten Knopf. Dann ging sie zu ihrer sündhaft teuren Kaffeemaschine - ein Geschenk von Martin, der bei Kaffee anspruchsvoll geworden war und auch bei ihr nicht auf seine gewohnte Qualität verzichten wollte - und setzte sie in Betrieb. Während die Maschine hochfuhr, überlegte Ki, ob sie noch mal ins Bett schlüpfen oder stattdessen ins Bad zum Duschen gehen sollte. Sie entschied sich fürs Duschen. Aber erst genehmigte sie sich einen starken Espresso, in den sie einen Schuss Sahne gab. Sie schlürfte das heiße duftende Getränk und machte in Gedanken den Plan für den Tag. Ein Blick nach draußen zeigte ihr, dass es wieder ein heißer Tag werden würde. Der Mai hatte von dieser Sorte schon einige im Gepäck gehabt. So manches Mal hatte Ki gedacht, sie habe sich in der Jahreszeit geirrt. Nun war der Juni genauso gestartet. Bei diesen Temperaturen verbrachte Ki ihre Zeit, so sie keine Aufträge hatte - was eher der Normalfall als die Ausnahme war – am liebsten an einem der Seen im Süden Leipzigs. Längst hatte sie noch nicht alle Badeplätze ausgekundschaftet, und so hoffte sie, Martin zu überreden, mit ihr an diesem Tag hinaus nach Wachau zu fahren, wo um fünf ein Barockkonzert in der Kirchenruine stattfinden würde. Zuvor wollte sie mit ihm aber den kleinen Strand aufsuchen und im Markkleeberger See schwimmen. Da sie seine Liebe zur klassischen Musik kannte, hatte sie die Hoffnung, ihn mit dem Konzert locken zu können.

Ki war ganz in Gedanken versunken und merkte nicht, dass Martin plötzlich neben ihr stand. Als sein Mund sie auf ihrer Wange berührte, zuckte sie erschrocken zusammen.

„He, he, wo warst du denn gerade?“

„An einem wunderschönen See“, entgegnete Ki lächelnd.

„Aha, ich sehe schon, du machst wieder Programm.“ Auch Martin lächelte, kannte er doch Kis Vorliebe für Planungen bereits seit fast zehn Jahren. Er ließ sich aus der Maschine ebenfalls einen Espresso heraus und lehnte sich neben Ki an die Küchenzeile. Schweigend genossen sie das bittere Getränk. Mit Martin konnte Ki ausgezeichnet schweigen. Er akzeptierte auch ihre Morgenmuffligkeit und so vieles andere, was sich im Laufe ihres Lebens in ihr gefestigt hatte.

Beide stellten ihre Tassen fast gleichzeitig auf der Arbeitsplatte ab. „Duschen?“ Martin nickte. Sie gingen in das kleine Bad, dessen ebenerdige Dusche der einzige Luxus in dieser Altbauwohnung war. Sie bot für zwei gerade genug Platz. Doch allzu weit durften sie nicht auseinanderstehen. Die Gefahr bestand jedoch bei Ki und Martin nicht.

Nach einer lustvollen Dusche saßen sie sich am kleinen Frühstückstisch gegenüber. Ki aß, wie immer, Brötchen mit Butter und Marmelade, während Martin sich Rührei gebraten hatte.

„Also, was liegt heute an?“

Ki unterbreitete ihm ihren Vorschlag, hoffend, dass er nicht gleich ablehnen würde.

„Hmmm, klingt nicht schlecht.“

Ki entspannte sich. „Ich hab aber meine Badehose nicht mit.“

„Du weißt doch, dass an allen Seen hier FKK gemacht wird“, entgegnete Ki schmunzelnd. Während sie gern hüllenlos schwamm und sich sonnte – allerdings erst seit wenigen Jahren, vorher hatte sie sich wegen ihrer vielen Narben geschämt – war Martin in dieser Beziehung nicht so locker.

„Ja, ja, die beste Errungenschaft der untergegangenen DDR“, frotzelte er.

„Notfalls kannst du dir ja einen zweiten Slip mitnehmen. Sieht eh keiner den Unterschied“, schlug Ki vor.

„Hast du vorhin telefoniert?“, wechselte Martin jetzt das Thema.

„Ja, Geraldine macht sich Sorgen um eine junge Kollegin, die nicht erreichbar ist.“

„Wie geht es ihr denn? Macht ihr der Job im Altersheim immer noch Spaß?“

Martin hatte Kis Freundin schon vor Jahren im Rahmen von Ermittlungen kennengelernt. Damals war sie von einem Typen überfallen worden, der sich auf diese Weise an Ki rächen wollte. Seitdem war Geraldine nicht mehr als Prostituierte tätig. Ki hatte ihr geholfen, ein neues Leben zu beginnen.

Ki berichtete Martin von dem Telefongespräch. Der schüttelte den Kopf. „Was es alles für kranke Typen gibt“, sagte er und schaufelte sich eine weitere Gabel voll Ei in den Mund. Ki wunderte sich wieder einmal, was ein Mann für Berge von Essen verschlingen konnte. Trotzdem war Martin gut in Form. Er zeigte noch nicht einmal den Ansatz eines Bauches, der in diesem Alter bei vielen seiner Geschlechtsgenossen zu sehen war. Wie sie wusste, tat er auch einiges dafür.

„Ich werde mal sehen, was ich über dieses Forum rausbekomme“, sagte Ki. „Das muss aber bis heute Abend warten.“ Sie wollte keine Minute der wertvollen Zeit, die sie mit ihrem Liebsten verbrachte, für andere Dinge opfern. Wahrscheinlich taucht sie sowieso bald wieder auf, dachte sie.

2. Kapitel

 

 

Drei Wochen später

 

Ich sitze hier in meiner Zelle, vor mir einen Block und in der Hand einen Kuli. Der Gefängnispsychologe hat mir geraten, alles aufzuschreiben. Alles, woran ich mich erinnern kann. Kindheit, Jugend, alles. Das könnte mir vielleicht im Prozess helfen, hat er gesagt.

Und nun überlege ich, was das Erste war, woran ich mich erinnern kann. Von meiner Kindheit. Ich weiß natürlich, dass das Erinnerungsvermögen frühestens ins dritte Lebensjahr zurückreicht, doch aus dieser Zeit weiß ich nichts mehr. Es ist auch schwer für mich – und wahrscheinlich für jeden – zwischen einer wirklichen Erinnerung und dem zu unterscheiden, was man durch Fotos und Erzählungen als vermeintliche Erinnerungen abgespeichert hat. Ich habe mich mal mit diesem Thema beschäftigt, es ist sehr interessant. Aber das würde hier zu weit führen. Ich wollte nur sagen, dass ich nach bestem Wissen und Gewissen meine Erinnerungen aufschreibe, aber nicht für ihre Wahrhaftigkeit garantieren kann.

Meine früheste Erinnerung hat mit meiner Schwester zu tun. Mit Tina. Eigentlich hieß sie ja Christina, aber alle haben sie nur Tina gerufen. Ich habe damals schon gedacht: Warum gibt man einem Kind einen Namen, wenn man es dann doch ganz anders ruft? Warum haben meine Eltern sie nicht gleich Tina genannt?

Also jedenfalls erinnere ich mich an Tina, die knapp zwei Jahre nach mir geboren wurde, weil ich sie damals als Puppe benutzt habe. Ich hatte mir immer Puppen zum Spielen gewünscht, doch meine Eltern haben mir nur Autos und solche Jungsspielzeuge gekauft, mit denen ich nichts anfangen konnte.

Tina aber war mehr als nur eine leblose Puppe. Ich konnte stundenlang mit ihr spielen, ihre Haare kämmen, sie herumtragen – sofern mich meine Eltern nicht dabei erwischten – und sie lieben. Sie war so schön! Engelsgleiches blondes Haar, blaue Augen und einen süßen Herzmund. Wie gern habe ich diesen Mund geküsst!

Wenn man den alten Fotos glauben kann, war auch ich ein süßes Kind. Ähnlich wie Tina hatte auch ich blonde Haare und blaue Augen. Und schon bald weigerte ich mich, mir die Haare schneiden zu lassen. Ich wollte lieber ein Mädchen sein. Noch bevor ich in die Schule kam, zog ich heimlich die Kleider meiner Schwester an. Da ich von der Statur her eher schmächtig und klein war, ging das. Wir spielten oft Verkleiden oder Mutter und Kind. Mama und Papa sahen es nicht gern, wenn ich mich wie ein Mädchen gab. Sie schickten mich immer raus zum Fußballspielen. Doch die Jungs, die auf dem Bolzplatz zugange waren, waren grob und laut, und es endete immer damit, dass ich blutende Knie oder andere Blessuren davontrug. Außerdem hänselten sie mich wegen meiner langen Haare.

Die Schule war dann auch so ein Kampf. Irgendwie hatten es die Raufbolde immer auf mich abgesehen. Doch ich ließ mir alles gefallen, ich wollte nicht kämpfen, nicht zurückschlagen, mich nicht wehren. Mein Vater schimpfte oft, was ich für ein Weichei, für ein Waschlappen sei. So würde ich niemals im Leben durchkommen. Wie recht er hatte, sehe ich hier und heute.

Als ich so in der zweiten, dritten Klasse war, zog ich dann auch heimlich Sachen von meiner Mutter an. Probierte ihre Pumps und brach mir fast die Beine beim Versuch, darin zu laufen. Außerdem schminkte ich mich mit ihrer Kosmetik, wenn sie nicht da war.

Kurz und gut: Ich wollte kein Junge sein!

Wenn ich in den Sachen meiner Schwester oder meiner Mutter vor dem Spiegel herumstolzierte, sprach ich mit verstellter Stimme und stellte mir vor, ich sei eine Frau und niemand zweifle daran. Ich entwarf ganze Monologe und Szenen, dachte mir imaginäre Gesprächspartner aus und war überhaupt sehr viel allein mit mir. Da gab es wenigstens keinen Stress und keine Probleme. Dadurch, dass meine Eltern viel arbeiteten, war ich so ab der vierten Klasse ohnehin am Nachmittag meist allein zu Hause. Ich war ein Schlüsselkind. Meine Schwester ging zu der Zeit in den Hort und meine Eltern holten sie dort nach ihrer Arbeit ab.

Fand meine Schwester unser gemeinsames Spiel anfangs noch in Ordnung, wurde sie mit der Zeit zu meiner Feindin. Sie verpetzte mich bei unseren Eltern, wenn ich mal wieder ihre Kleider angehabt oder mich an der Kosmetik meiner Mutter vergriffen hatte. Ich begann sie zu hassen.

Dabei hätte ich so gern mit ihr und ihren Freundinnen gespielt. Aber sie wollten mich nicht bei sich. Sie haben mich immer nur als Jungen gesehen. Wie habe ich meinen Körper gehasst!

Nach der Grundschule kam ich ins Gymnasium. Dort gab es eine Arbeitsgemeinschaft Theater. Da konnte ich mich verkleiden, ohne mit irgendjemanden Probleme zu bekommen. Ich konnte in alle möglichen Rollen schlüpfen und schien das auch gut zu machen, denn ich bekam dort viel Lob und Anerkennung.

Doch das wurde zum Problem, weil ich nun auch in meinem normalen Leben ein anderer sein wollte. Ich äußerte immer öfter meinen Eltern gegenüber, dass ich ein Mädchen sei und auch als solches angesehen werden wolle. Meine Eltern begegneten diesem Wunsch ohne Verständnis, teils mit Spott und Verboten. Aber ich fühlte doch wie ein Mädchen, wollte nur mit Mädchen sprechen und spielen.

Dazu kam noch das Problem, dass ich mich in einen Jungen aus unserer Klasse verliebte. Er war keiner von den Raufbolden, eher ein Ruhiger, Stiller. Ich wollte von ihm als Mädchen wahrgenommen werden, doch er sah, wie alle anderen, in mir bloß den Jungen. Dabei war es für mich eine Qual, mit den Jungs vor dem Sport- oder Schwimmunterricht in die Umkleide zu gehen, um mich umzuziehen. Vor dem gemeinsamen Duschen habe ich mich immer gedrückt. Ich habe mich so geschämt.

Es kam, wie es kommen musste. Jemand bemerkte meine schmachtenden Blicke und dass ich immer die Nähe dieses Jungen gesucht habe. Plötzlich hieß es: Du Schwuchtel! Das war mehr, als ich ertragen konnte.

Ich muss ziemlich verzweifelt gewesen sein, weil ich dann etwas tat, was alle in meinem Umfeld erschreckte.

3. Kapitel

 

 

Hannah versuchte, ihre Hände von dem Panzerband zu befreien, mit denen sie ans Kopfende des Bettes gefesselt waren. Wie hatte sie nur in diese Situation hineingeraten können? Hatte sie wirklich noch immer nichts hinzugelernt?

Erst dieser Griff ins Klo mit Hartmut, dem Schläger, der sie hinterher immer mit Geschenken überschüttet und mit seinen falschen Versprechungen und seinen Tränen bei der Stange gehalten hatte. Dann Tobias, der Aufschneider, der nur ihr Geld und eine warme Wohnung gewollt hatte. Warum schien das Glück für sie nicht vorgesehen zu sein? Warum hatten nur die anderen die guten Männer?

Dabei hatte sich doch alles so gut angelassen. Der Typ sah super aus und hatte Manieren. Sie hatten sich, während Hannah einen Aperol Sprizz nach dem anderen geschlürft hatte, gut unterhalten. Er war gebildet und überhaupt nicht aufdringlich gewesen. Wenn sie am Ende des Abends keine Lust gehabt hätte, mit ihm in seine Wohnung zu gehen, hätte er das sicher auch akzeptiert. Dachte sie damals. Doch vermutlich war genau das seine Masche gewesen. Wahrscheinlich hatte er viel Erfahrung mit einsamen Frauen wie ihr auf der Suche nach dem Mister Right.

Und nun lag sie hier auf dieser versifften Matratze, in einem Loft irgendwo im Leipziger Westen, und wusste nicht, ob sie die Rückkehr des Typen, der ihr garantiert einen falschen Namen genannt hatte, erhoffen oder befürchten sollte.

Was er von ihr wollte, warum er sie hierhergeschafft, geknebelt und gefesselt hatte, wusste sie nicht. War er irgend so ein Perverser, der sich an der Angst seiner Opfer weidete? Warum auf diese Weise, wo er doch von ihr auch so alles hätte bekommen können?

Sie waren in seine Wohnung gefahren, eines dieser Lofts, die vor allem in Lindenau und Plagwitz in alten Fabrikhallen zu finden waren. Dort hatten sie noch was getrunken und die Aussicht auf den Karl-Heine-Kanal genossen, bevor sie schließlich im Bett gelandet waren. Er hatte zuerst ausgiebig ihre Füße bewundert, liebkost und jeden Zeh einzeln abgelutscht, bevor er ihr eine Fußmassage mit duftender Creme verpasst hatte. Das hatte sie sogar echt genießen können, denn noch niemand vorher hatte ihr gezeigt, wie angenehm und auch erotisch das sein konnte. Dabei hatte er immerzu von Märchen gesprochen. Sie gefragt, ob ihr ihre Mutter auch immer Märchen vorgelesen hatte, als sie noch klein war. An was für Märchen sie sich noch erinnere, wollte er auch wissen. Das hatte sie schon komisch gefunden. Er schien regelrecht fixiert auf Märchen zu sein.

Dann hatte er sie mit seiner Zunge nach allen Regeln der Kunst verwöhnt und sie schließlich gebeten, ihn mit ihren Füßen zu befriedigen. Sie hatte erst nicht so recht gewusst, wie sie das anstellen sollte, doch er hatte ihr gezeigt, wie sie die Füße um seinen Schwanz legen und ihn massieren musste. Zwar hätte sie fast einen Krampf in der Wade gekriegt, doch schließlich war er gekommen und hatte sein Sperma über ihre Füße gespritzt. Jedem Tierchen sein Pläsierchen, hatte sie noch gedacht und wollte dann gehen.

Er hatte ihr ein Taxi gerufen – jedenfalls hatte er so getan – und dann hatten sie noch einen Wein zusammen getrunken. Danach Filmriss. Als sie wieder aufgewacht war, hatte sie sich gefesselt und geknebelt auf diesem Bett wiedergefunden, was nicht das breite Bett war, auf dem sie ihre Sexspielchen betrieben hatten. Auch der Raum unterschied sich extrem von dem großen Loft mit den hohen Fenstern und der minimalistischen Einrichtung. Hier gab es überhaupt keine Fenster. Die Tür sah aus, als wäre sie aus Stahl. So wie die Feuerschutztüren in Parkhäusern.

Sicher hatte er ihr K.O.-Tropfen in den Wein getan, man hörte ja so oft davon. Dass nun auch sie ein Opfer davon geworden war, ärgerte Hannah.

Hatte Geraldine doch recht gehabt, als sie sie davor gewarnt hatte, sich in solch einem Forum auf Männer einzulassen. „Die haben doch alle einen Schuss weg“, hatte die Kollegin gesagt. „Du siehst gut aus, wieso sollte es dir nicht gelingen, irgendwo auf freier Wildbahn einen Mann zu finden?“

Tja, hätte sie mal lieber auf Geraldine gehört! Doch jetzt war sie nun mal hier und sollte sich lieber Gedanken darüber machen, wie sie aus dieser Situation wieder rauskam.

Sicher suchen sie mich schon, hoffte sie und begann erneut, an ihren Fesseln zu reißen.

4. Kapitel

 

 

Ki hatte sich gerade bei Lovelike eingeloggt und klickte nun nacheinander auf die neuen Nachrichten. Sie hatte sich am Vorabend registrieren lassen und sich dafür aus einer Fotodatenbank eine junge Frau ausgesucht, die Ähnlichkeit mit Hannah hatte. Dieses Foto hatte sie noch ein wenig mit Photoshop bearbeitet. Über ihren Nick hatte sie lange nachgedacht. Der Typ stand auf Füße, das hier war ein Fetisch-Forum, warum also nannte sie sich nicht nach diesen sündhaft teuren High-Heels, die ihr noch aus Sex and the City im Gedächtnis waren? Also schrieb sie Manolo in das Feld für ihren Nicknamen.

Viel Zeit hatte sie nicht, da in wenigen Stunden ihr Modern-Arnis-Training beginnen würde.

---ENDE DER LESEPROBE---