Nattertal - Cornelia Lotter - E-Book
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Cornelia Lotter

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Beschreibung

Ein verzweifelter Vater bittet Privatdetektivin Kirsten Stein, genannt Ki, um Hilfe. Seine Ex-Frau hat die gemeinsame Tochter in ein unzugängliches Tal entführt, in dem rund um eine alte Wassermühle eine Sekte ihr Unwesen treibt. Sah für Ki anfangs alles nach einem einfachen Fall aus, entwickelt sich aus der Kindesentführung allmählich ein gefährlicher Mix aus Erpressung und Freiheitsberaubung. Ki erforscht heimlich die Höhle der Natter, obwohl sie weiß, dass diesmal Kommissar Martin Bender nicht bereitsteht, um sie in letzter Minute zu retten. Als sie glaubt, das Geheimnis der Frauen entdeckt zu haben, bringt sie die alte Mühle auf eine völlig andere Spur. Doch zu viel Neugier kann tödlich sein.

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Cornelia Lotter

 

 

 

Nattertal

 

Ki und der Kreis des Schweigens

 

 

1. digitale Auflage 2017

© 2017 Cornelia Lotter

Wiebelstraße 6, 04315 Leipzig

[email protected]

www.autorin-cornelia-lotter.de

 

E-Book Erstellung: mybookMakeUp.com

Covergestaltung: Tanja Prokop

unter Verwendung eines Fotos vonpixabay.com

 

Alle Rechte vorbehalten!

Nachdruck, auch auszugsweise,

nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin.

Inhaltsverzeichnis

Das Buch

Über die Autorin

Prolog

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

Nachwort

Das Buch

 

Esoterische Riten rund um Mütterlichkeit und die Kraft der Kreise. Eine verschwundene Frauenleiche und ein unterirdischer Gang. Und eine Detektivin, die sich undercover in die Höhle der Natter begibt. Doch dort ist nicht nur Mütterlichkeit zu Hause.

Kindesentzug, Erpressung und Freiheitsberaubung in einem abgelegenen Tal der Dübener Heide.

Eine neue Herausforderung für Kirsten Stein, die diesmal ganz allein ermitteln muss.

Über die Autorin

 

Cornelia Lotter wurde in Weimar geboren, wuchs in der Nähe auf und studierte in Meiningen Lehramt. Nach zwei Jahren im Schuldienst entschloss sie sich, einen Ausreiseantrag zu stellen und wechselte deshalb als Pflegerin in ein christliches Alterspflegeheim. 1984 durfte sie nach Tübingen übersiedeln, wo sie eine Umschulung zur Industriekauffrau absolvierte. Bis 2014 arbeitete sie als Sekretärin. Seit 2015 ist sie als Freie Autorin tätig und lebt in Leipzig.

 

"Nattertal" ist der 6. Fall für die Privatdetektivin Kirsten Stein.

 

Cornelia Lotter veröffentlicht unter insgesamt 5 Pseudonymen sowohl in Verlagen als auch als Self-Publisherin.

 

Sie ist Mitglied im Verband deutscher Schriftsteller und im Selfpublisher-Verband.

Prolog

 

Es war kalt. Kalt und dunkel. Und es roch nach Erde. Ki lag auf ihrer rechten Seite. Die Schulter, unter der sie einen Stein spürte, schmerzte. Sie versuchte sich zu bewegen. Doch schnell merkte sie, dass das nicht möglich war. Sowohl ihre Hände, als auch ihre Füße waren zusammengebunden. In ihrem Mund steckte ein Knebel, so dass sie kaum Luft bekam. Wenigstens waren ihre Augen nicht verbunden. Doch wenn sie den Kopf etwas drehte, konnte sie nur zwei schmale Streifen sehen, die nicht ganz so schwarz waren wie der Rest. Lag sie in einer Grube, die mit Brettern abgedeckt war?

Was war das Letzte, an das sie sich erinnerte?

Da war dieser Mann gewesen, ihr Klient. Gefesselt an einen Stuhl. Misshandelt von einem, ganz in schwarz gekleideten Mann. Weiter! Erinnere dich! Sie hatte im unterirdischen Gang gestanden und um die Ecke herum in den Raum gelugt. Sie hatte gefilmt. Dann war sie entdeckt worden.

Ein Schlag - dann Dunkelheit. Ki spürte die Beule an ihrem Hinterkopf pochen. Verdammt! Sie musste sich irgendwie befreien. Sonst würde sie hier drin verrotten. Diesmal stand kein Martin Bender bereit, um sie im letzten Moment, wie so oft, zu retten.

Kriminalhauptkommissar Martin Bender saß irgendwo in Köln, da wo er Anfang der Neunziger hergekommen war, und trank vermutlich einen seiner geliebten Rotweine. Dazu hörte er ganz sicher eine Oper. Ein tiefes Sehnen erfasste Ki. Seit ihrer Trennung vor einem Jahr hatte sie die Anwesenheit des ehemaligen Geliebten nicht mehr so sehr herbeigesehnt.

Verdammt! Verdammt! Verdammt! Ki bewegte vorsichtig ihre Handgelenke beim Versuch, die Fesseln zu lockern. Es waren keine Kabelbinder, sondern ganz altmodische Stricke, mit denen man sie festgebunden hatte. Das Messer!, fiel ihr plötzlich ein. Hatten sie das Messer gefunden? An der Innenseite ihres linken Stiefels trug sie in Einsatzsituationen stets ein kleines, aber extrem scharfes Messer mit sich. Sie musste bloß rankommen. Die Grube, in die man sie geworfen hatte, bot kaum genug Platz, um ihren Körper zu bewegen. Wie sollte sie die Füße so in Richtung Rücken bringen, dass sie mit ihren Händen an das Messer gelangte?

Langsam schob sie ihre gefesselten Hände nach hinten unten Richtung Füße. Gleichzeitig bewegten sich ihre Füße auf die Hände zu. Dabei stieß sie sich mit den Fußspitzen an den Wänden des Erdlochs ab. Zum Glück war sie einigermaßen gelenkig. Das Training und ihre immer noch schlanke, muskulöse Figur machten sich nun bezahlt. Jetzt fehlten etwa noch zehn Zentimeter, um mit den Händen die Oberkante des Stiefels zu berühren. Erschöpft hielt Ki inne. Mit einer Atemübung beruhigte sie ihren Herzschlag.

Zentimeter um Zentimeter bog sie ihren Körper zu einem Oval. In ihren Oberschenkeln wütete der Schmerz. Doch sie zwang sich, ihn zu ignorieren. Endlich ertasteten ihre Fingerspitzen das Leder des Stiefels. Sie ruhte sich aus, beruhigte ihren Atem, sprach im Geiste Mantras. Ich schaffe es! Ich muss es schaffen!

Endlich spürte sie den Griff des Messerchens. Jetzt kam es darauf an, es herauszuziehen, ohne dass es ihren Fingern entglitt, es umzudrehen und dann mit der Schneide die Fesseln zu zertrennen, ohne sich dabei zu verletzen. Erneut sammelte sie ihre Kräfte, bevor sie den entscheidenden Griff wagte.

Plötzlich wurde es hell über ihr. Das Licht blendete sie. Und das Messer entglitt ihren Händen.

„Showtime“, hörte sie eine Männerstimme über sich. Jetzt ist alles aus!, konnte sie noch denken, bevor die erste Schaufel Erde auf sie niederging.

1. Kapitel

 

„Miez, miez, wo bist du denn?“ Kirsten Stein stand im Pyjama und barfuß auf der kleinen Terrasse und hielt Ausschau nach ihrer neuen Freundin. Wobei sie sich nicht sicher war, ob es sich bei der schwarzen Katze mit dem weißen Fleck zwischen den Ohren und der weißen Schwanzspitze wirklich um eine Lady handelte. Das Milchschälchen, das sie ihr seit jenem Abend, als sie kläglich miauend vor ihrer Terrassentür gehockt hatte, täglich anbot, war leer. Doch ob die Milch wirklich die Katze getrunken hatte, wusste sie nicht. Eigentlich mochte Ki keine Katzen. Keine Katzen und auch keine Hunde, von denen es hier in ihrer neuen Wohngegend in Reudnitz jede Menge in der Nachbarschaft gab. Doch das war auch schon so gewesen, als ihr vor acht Jahren Wotan auf so tragische Weise erst anvertraut und dann entrissen worden war.

Ki füllte das Schälchen auf und schloss die Terrassentür, um sich zu duschen. Eigentlich war eine Erdgeschosswohnung für sie und ihre Paranoia, die sie noch aus alten Zeiten umfing wie eine zweite Haut, die sich nicht ablösen wollte, ein No Go. Doch die Wohnungssuche in Leipzig gestaltete sich schwieriger als gedacht. Nachdem Martin zurück in den Westen Deutschlands gegangen war, musste sie sich eine neue Bleibe suchen, da sie die Miete für die gemeinsame Wohnung nicht hätte tragen können. Die Einkünfte aus ihrem Detektivjob waren einfach nicht ausreichend. Und günstige Wohnungen gab es nur noch im Osten Leipzigs, wo sich allerdings zunehmend die Beliebtheit der Stadt in immer mehr luxussanierten Häusern mit entsprechend hoher Miete niederschlug. Schließlich hatte sie diese Wohnung in einem ebenfalls sanierten Altbau gefunden, mit Stuck an den Decken, einer Einbauküche und eben einer kleinen Terrasse mit einigen Quadratmetern Rasen. Zur Hofseite und zum Fahrradabstellplatz war ihr Reich durch einen Zaun und eine dichte Hecke abgetrennt, so dass sie sogar so etwas wie Privatsphäre hatte – wenn sie von den Balkonen über sich absah, von denen man natürlich nach unten blicken konnte. Die anderen Mieter im Haus waren meist junge Leute, Studenten, mit denen sie gut auskam. Ab und an fand mal eine Party statt, doch mit Ohropax war das für Ki tolerabel, zumal es nicht allzu oft geschah. Sie wollte keineswegs als älteste Bewohnerin des Hauses als Meckertante rüberkommen. Lieber nahm sie mal eine schlaflose Nacht in Kauf. Ohnehin war die Lärmbelästigung aus den Nachbarhäusern ungleich schlimmer. Da war ein Haus, in dem Entlassene aus der JVA einquartiert wurden, bis sie eine eigene Wohnung fanden, ebenso wie Obdachlose. Auf der anderen Seite befand sich eine Art Werkhalle, in der alle paar Wochen merkwürdige Typen noch merkwürdigere Musik hörten. Für Ki roch alles nach dem rechten Spektrum; auch einen Biker mit Hells Angels Weste hatte sie dort schon gesehen.

Und seit in das Eckhaus Flüchtlinge eingezogen waren, konnte sie auch keinen ruhigen Nachmittag mehr auf ihrer Terrasse verbringen. Der Lärm, den die zahlreichen Kinder machten, die lieber im Hinterhof statt auf dem benachbarten Spielplatz zu toben schienen, stand ihrem Ruhebedürfnis diametral entgegen.

Zum Glück hatten die Typen von Legida endlich ihre montäglichen Demonstrationen in der Stadt eingestellt; auch sie war schon oft bei den Gegendemonstrationen dabei gewesen. Ki fand es unerträglich, dass die Rechten sich schon wieder so viel Gehör verschafften. Und vor allem fand sie es schlimm, dass die AfD-Anhänger Parolen aus der Freiheitsbewegung benutzten, die 1989 endlich den Fall der Mauer herbeigeführt hatte. Zwar war sie zur Zeit der Montagsdemonstrationen schon im Westen gewesen, wohin sie über die Prager Botschaft gelangt war, doch hatte sie mit Spannung von dort aus die Entwicklung in ihrer ehemaligen Heimat verfolgt.

Seufzend zog Ki ihren Schlafanzug aus und stellte sich unter die Dusche. Das Bad war zwar klein, doch mit seiner ebenerdigen und relativ geräumigen Dusche erfüllte es alle Anforderungen, die Ki an ein Bad stellte. Da habe ich schon viel schlechter gewohnt, dachte sie mit Blick auf die Zeit in der alten Fabrikhalle, wo sie das Wasser in Kanistern herbeischaffen und sich in Hallenbädern duschen musste, wenn sie nicht gerade Training hatte.

Ki mischte sich ihr Morgenmüsli, als ihr Diensthandy klingelte. Falls das ein neuer Auftraggeber war, konnte sie den gut gebrauchen. Der letzte Auftrag und damit die letzte Zahlung lagen schon einige Wochen zurück. Langsam musste sie sich Sorgen machen, ob ihr Konto noch gedeckt war, wenn die nächste Mietabbuchung käme.

Am anderen Ende der Leitung räusperte sich ein Mann.

„Hallo, spreche ich da mit der Detektei Stein aus Leipzig?“

„Ja, hier ist Kirsten Stein. Was kann ich für Sie tun?“

„Mein Name ist Klaus Klein. Meine Ex-Frau ist mit meiner fünfjährigen Tochter in so einem ominösen Bauernhof in der Dübener Heide abgetaucht, und ich darf meine Tochter nicht mehr sehen. Ich möchte, dass Sie sich diesen Hof mal anschauen und herausbekommen, was dort abläuft. Irgendwas ist da nicht ganz koscher.“

Ki hatte es aufgegeben, sich über die Aufträge ihrer Klienten zu wundern. Allzu Merkwürdiges hatte sie da in den letzten Jahren tun müssen.

„Verstehe ich das richtig, dass Ihnen Ihre Ex die gemeinsame Tochter entzieht, obwohl Ihnen bei der Scheidung ein Umgangsrecht zugesprochen wurde?“

„Genauso ist es. Ich darf meine Tochter jedes zweite Wochenende zu mir holen. Jetzt hat sie schon mehrmals unter einem Vorwand abgesagt. Ich habe auf Umwegen erfahren, wo sie sich mit dem Kind versteckt. Das, was ich über diesen Hof im Internet gelesen habe, klingt nicht gerade vertrauenswürdig. Ich habe Angst, dass sie sich da in so eine Sekte hineinverirrt hat.“

Ki horchte auf. Sekte. Das versprach interessant zu werden. Dieses Thema war schon lange nicht mehr in den Medien aufgetaucht. Sollte es tatsächlich so etwas noch geben? Und ausgerechnet hier in der Gegend um Leipzig?

„Ich gebe Ihnen jetzt eine E-Mail-Adresse, an die schicken Sie bitte den Link dieses Hofes und alle Informationen, die ich brauche. Auch Fotos von Ihrer Frau und Ihrer Tochter. Dann sende ich Ihnen im Gegenzug meine Konditionen in einem vorbereiteten Vertrag. Wir sollten uns auch persönlich treffen, damit Sie mir den unterschriebenen Vertrag aushändigen können.“

„Das ist möglich. Morgen könnte ich nach Leipzig kommen. Wo und wann sollen wir uns treffen?“

Ki nannte ihm Ort und Zeit und beendete das Gespräch, nachdem sie Klaus Klein ihre Mail-Adresse genannt hatte. Dann zog sie die Kanne aus der Kaffeemaschine und setzte sich an den Küchentisch, um zu frühstücken.

2. Kapitel

 

Das, was Ki auf der Website dieses ominösen Vereins Kreise der Mütter las, war in der Tat merkwürdig. Ein Konglomerat aus allen möglichen Religionen, historischen Matriarchaten und feministischen Versatzstücken. Es war von der Kraft der Kreise ebenso die Rede wie von der Vollkommenheit der Eiform. Zwischen den Zeilen war deutlich zu lesen: Nur die Frau ist in der Lage, ein friedliches Zusammenleben aller Menschen zu gewährleisten. Hier hatte sich jemand aus dem großen Topf der Esoterik bedient, war mit einem Rührlöffel durch die kruden Thesen von Reinkarnation, Urmutter Erde und Mondritualen gefahren und hatte schließlich mit einer Schöpfkelle all das herausgefischt, was eine Verbindung miteinander eingegangen war. Ki schüttelte sich angesichts solcher Sätze: Lasst uns miteinander ein Netz weben zur Heilung der Erde und der gesamten Menschheit! Wenn hier einer geheilt werden musste, so waren es die Gründerinnen dieses merkwürdigen Vereins. Wie war es ihnen überhaupt gelungen, einen Verein mit einem solchen Vereinsziel ins Register eintragen zu lassen? Ganz zu schweigen vom Erlangen des Status der Gemeinnützigkeit. Ki öffnete die Satzung des Vereins. Dort las sie über den Vereinszweck: Zweck des Vereins ist die Pflege der mütterlichen Traditionen aller Völker der Erde und die Schaffung einer gewaltfreien und naturverbundenen Lebenswirklichkeit. Dann folgte noch allerhand geistiger Dünnschiss.

Ki sah sich in Google Earth die Lage des Hofes an. Er lag idyllisch in der Dübener Heide, in einem kleinen Tal, umgeben von Bäumen. Mehrere Gebäude standen kreisförmig um einen freien Platz herum. Am Rande, an einem kleinen Bach, die Mühle, deren Mühlrad noch zu sehen war. Woher hatten die beiden Gründerinnen das Geld gehabt, diese Anlage zu kaufen? Ki wusste zwar, dass es im Osten noch Gutshäuser und andere verfallene Großobjekte gab, die man für einen Apfel und ein Ei nachgeschmissen bekam, weil niemand die Sanierungs- und Unterhaltskosten stemmen konnte, doch dieses Areal schrie geradezu nach touristischer Nutzung. Allzu billig konnte es gewiss nicht gewesen sein. Wer weiß, vielleicht hat eine der Frauen geerbt?

Wie sollte sie bei diesem Auftrag vorgehen? Fest stand, dass sie sich dieses Nattertal aus der Nähe ansehen musste. Hinein in die Höhle des Löwen, ähmm der Natter!

Auf der Website war ein Hinweis für Gäste zu finden. Man konnte als Außenstehende – Männer waren auf dem Gelände überhaupt nicht zugelassen – eine gewisse Zeit auf dem Hof zubringen, musste sich mit einem Tagessatz von mindestens 20 Euro an den Kosten beteiligen, am Morgen- und Abendkreis teilnehmen sowie an sonstigen Aktivitäten der Bewohner. Anmeldung war erwünscht.

Ki legte sich eine Vita zurecht, suchte ihren alten Ausweis, den sie nach Änderung ihrer Identität behalten hatte und schrieb von einem extra eingerichteten Mail-Konto eine Anfrage an den Verein bezüglich einer Woche Ausspannen.

Den Rest des Tages verbrachte sie damit, sich in die krude Gedankenwelt der Vereinsgründerinnen hineinzulesen, um genug Schlagwörter parat zu haben, wenn es galt, in Gesprächen keinen Argwohn zu erregen.

Nach einigen Stunden war ihr von den sich ständig im Kreis drehenden Phrasen übel, und sie klappte ihren Laptop zu, um sich frischen Kaffee zu kochen. Nachdem sie das starke Gebräu getrunken und ein paar vertrocknete Kekse dazu gegessen hatte, packte sie ihre Sporttasche und machte sich auf den Weg zu ihrem Training. Seit einigen Monaten schon wurde dies ganz in ihrer Nähe abgehalten, weil die Turnhalle in Stötteritz immer noch saniert wurde. Jetzt trainierten sie in der Turnhalle der Käthe-Kollwitz-Schule.

Ki freute sich auf das Training, das sie an diesem Abend wieder einmal selbst leiten würde. Mittlerweile besaß sie den 2. Dan, und es gab nur einen in ihrer Gruppe, der weiter war als sie selbst.

Ki hoffte, Franziska wiederzusehen, auch wenn sie in der Umgebung der Schule noch kein geeignetes Lokal ausfindig gemacht hatten, in das sie nach dem Training, so wie in Stötteritz, hätten gehen können. Mit Wehmut dachte Ki an das leckere Tsatsiki, das sie bei ihrem Griechen dort immer gegessen hatte. Vielleicht hat Franziska Lust, hinterher noch mit zu mir zu kommen, hoffte Ki.

Modern Arnis, das war für sie die Kraft, die sie zum Leben brauchte. Ohne ihr Training wäre sie mental nicht überlebensfähig gewesen. Von der körperlichen Fitness ganz zu schweigen. Wieder einmal dachte Ki: So erwächst doch aus dem größten Übel noch Positives.

3. Kapitel

 

Sie traf sich mit ihrem neuen Klienten in der Fleischerei in der Nähe des Waldplatzes, die zwar so hieß und auch früher eine Fleischerei beherbergt hatte, mittlerweile aber zu einem kleinen gemütlichen Café umfunktioniert worden war. Dort gab es eine Jugendstildecke aus farbigem Glas zu bestaunen, von der ein Ventilator hing und gekachelte Wände, die noch die Haken für die Würste zierten. In einem kleinen Separee standen ein gemütliches Sofa und ein Sessel, und man war etwas vom Hauptraum abgeschieden. Der Kuchen war selbstgebacken und die Kaffeemaschine zauberte einen sehr guten Espresso.

Klaus Klein erschien, als Ki sich gerade gesetzt hatte und sah sich kurz um. Ki winkte ihm zu, und er kam mit großen Schritten auf sie zu. In seiner Pranke verschwand ihre Hand völlig. Auch seine Körpergröße war beeindruckend. Obwohl Ki mit ihren 180 Zentimetern keineswegs klein war, musste sie zu ihm aufschauen. Seine Haare standen vom Kopf ab, als sei er gerade aus dem Bett aufgestanden.

Nachdem beide bei dem jungen Studenten ihre Bestellungen aufgegeben hatten, setzten sie sich. Bis der Kaffee kam, unterhielten sie sich über das wechselhafte Wetter und die Überschwemmungen in anderen Landesteilen. Ki merkte ihrem Gegenüber seine Nervosität an. Er konnte es kaum erwarten, endlich mit seiner Geschichte loszulegen. Schließlich standen Kis Cappuccino mit doppeltem Espresso und Kleins Latte Macchiato auf dem niedrigen Tisch.

„Nun erzählen Sie noch einmal der Reihe nach!“, forderte Ki ihren Klienten auf.

„Wir sind, wie ich Ihnen ja schon sagte, seit einem Jahr geschieden. Meine Frau ist ausgezogen, weil sie der Meinung war, ich habe zu wenig Zeit für sie und meine Tochter. Mir wurde ein vierzehntägiges Besuchsrecht zugestanden, ebenso kann ich einen Teil der Ferien mit Mia verbringen. Das heißt, ich kann meine Tochter alle zwei Wochen Freitagabend bei meiner Frau abholen und bringe sie ihr bis Sonntag um sechs wieder zurück. Das hat auch lange Zeit ganz gut geklappt. Meine Tochter liebt mich wirklich sehr.“

Er zog einen kleinen Notizblock aus der Tasche und schaute auf das oberste Blatt. „Am Donnerstag, den sechzehnten Februar, rief sie mich abends an und sagte, dass es Mia nicht gut gehe und dass deshalb ihr Besuch bei mir ausfallen müsse.“

Ki notierte sich das Datum in ihrem Moleskine.

„Komisch war nur, dass ich am Samstag mehrmals versuchte, sie auf dem Festnetz zu erreichen, um mich nach dem Gesundheitszustand von Mia zu erkundigen, und sie nicht abnahm. Ich sprach auf den AB, aber es kam kein Rückruf. Auch auf dem Handy erreichte ich nur die Mailbox. Erst Sonntagabend rief sie zurück und behauptete, beide hätten das ganze Wochenende mit Fieber im Bett gelegen und wären deshalb nicht ans Telefon gegangen. Hilfsangebote lehnte sie ab. Zwei Wochen später, als das nächste Besuchswochenende anstand, rief sie erneut an und behauptete, Mia wolle unbedingt zu einem Geburtstag mit Übernachtung.“

Klaus Klein trank von seinem Latte und fuhr sich mit den gespreizten Fingern durch die Haare. Ki spürte deutlich seine Erregung.

„Weil mir das Ganze komisch vorkam, habe ich an einem Mittwoch Mia vorm Kindergarten abgepasst. Die Kleine war völlig verstört, als sie mich sah. So habe ich sie noch nie erlebt. Als ob sie eine Gehirnwäsche bekommen hätte. Ich konnte nicht lange mit ihr reden, weil eine Erzieherin kam. Aber seitdem habe ich meine Tochter nicht mehr gesehen.“

„Mit welcher Begründung hat Ihre Frau Ihnen denn an den folgenden Besuchswochenenden Ihre Tochter vorenthalten?“

Klaus Klein schluckte, und seine Stimme klang leise und zitterte. „Sie hat gesagt, ich täte dem Kind nicht gut, und sie wolle die Besuchsregelung ändern lassen.“

Der große Mann war auf seinem Sessel in sich zusammengesunken. Ki spürte Mitleid mit ihm. Er litt sichtlich unter der Situation.

„Aber wie sind Sie darauf gekommen, dass sich Ihre Frau und Ihre Tochter auf diesem Nattergehöft aufhalten?“

Klein rutschte unruhig auf seinem Polster umher. „Ich kenne auf der Arbeitsstelle meiner Frau jemanden, der mir verraten hat, dass meine Frau ihren ganzen Jahresurlaub genommen hat. An ihrem letzten Arbeitstag bin ich ihr mit dem Auto gefolgt und habe gesehen, dass sie zu diesem Hof fährt.“

„Aber warum meinen Sie, dass dieser Urlaub auf einem landschaftlich schön gelegenen Hof irgendetwas mit dem Verhalten Ihrer Frau in den Wochen zuvor zu tun hat?“

Klaus Klein trank seinen Kaffee aus. Seine Augen waren von einem ungewöhnlich leuchtenden Blau. Er musterte Ki, als sei er sich nicht sicher, ob er ihr vertrauen konnte.

„Ich habe mich in der nächsten Ortschaft – etwa drei Kilometer entfernt – in einem Gasthof eingemietet, weil ich mich etwas umhören wollte. Am Abend, als ich in der Gaststube bei einem Strammen Max und einem Bier saß, kam ich mit einem anderen Gast ins Gespräch. Und dieser erzählte mir, dass seine Frau ebenfalls seit einigen Monaten auf diesem Hof wohnte. Richtig wohnte, nicht bloß für zwei Wochen Urlaub. Er kam nicht mehr an sie ran, sie ging nicht ans Telefon, rief nicht zurück, und für Männer ist dort kein Zutritt. Einmal ist er trotzdem auf dem Hof gewesen und bis ins Haupthaus vorgedrungen. Seine Frau hat er zwar nicht gesehen, aber die Besitzerinnen haben ihn hochkant rausgeschmissen und mit einer Anzeige wegen Hausfriedensbruchs gedroht. Das müssen ziemlich militante Weiber sein.“

„Und haben Sie im Dorf sonst noch was über diese Bewohner herausbekommen?“

„Das war das Komische. Überall herrschte so ein Kartell des Schweigens – wenn Sie verstehen, was ich meine. Aber man spürte bei allen, die ich ansprach – vom Bürgermeister bis zum Kneipenwirt – dass da so etwas wie Angst war. Vor wem oder was weiß ich allerdings nicht. Übrigens kann ich Ihnen gern die Telefonnummer von dem anderen Betroffenen geben, er heißt Gerhard Pfeil, bei ihm ist zum Glück kein Kind involviert. Allerdings geht es bei ihm um sehr viel Geld. Seine Frau will, dass er das gemeinsame Haus verkauft und sie auszahlt. Das hat sie ihm per Brief mitgeteilt. Er vermutet, dass sie das Geld diesem Verein zukommen lassen will. Haben Sie sich mal die Website angeschaut? Das schreit doch alles nach Betrug!“

Ki machte sich weitere Notizen und bat um die Telefonnummer des Betroffenen. Vielleicht würde sie ihn noch kontaktieren. Dann erzählte sie Klaus Klein von ihrem Vorhaben, sich selbst auf dem Hof einzumieten und sich dort umzusehen. Er händigte ihr ein Foto von seiner Ex-Frau und Tochter aus und unterschrieb den Vertrag, den er ausgedruckt mitgebracht hatte.

„Ich weiß nicht, ob ich dort Gelegenheit haben werde, Sie regelmäßig anzurufen. Vielleicht werden die Handys konfisziert oder es gibt keinen Empfang. Also machen Sie sich keine Sorgen, wenn Sie nichts von mir hören. In diesem Fall werde ich versuchen, am Wochenende ins Dorf zu kommen und von einem öffentlichen Telefon dort anzurufen, falls ich mit meinem Handy auch dort nicht weiterkomme.“

„Haben Sie denn schon Nachricht auf Ihre Anfrage bekommen?“

Das musste Ki verneinen. Sicherheitshalber checkte sie noch einmal auf ihrem Smartphone, ob es neue Mail-Eingänge gab. Doch auch in den vergangenen Stunden hatte sich diesbezüglich nichts getan.

„Ich werde Sie auf jeden Fall informieren, wenn ich losfahre.“

Klaus Klein zog seine Geldbörse aus der Hosentasche und blätterte ihr die fünfhundert Euro Vorschuss auf den Tisch. Die konnte Ki sehr gut gebrauchen. Damit würde sie ihr Girokonto aus dem Kontokorrent herausbringen können. Die Fahrt dorthin würde ebenfalls etwas kosten, und für die Unterbringung und Verpflegung kam auch einiges zusammen.

Nachdem Klein die Rechnung für beide bezahlt hatte, verabschiedeten sie sich mit Handschlag. Ki hatte den Eindruck, als wäre ihr Klient jetzt etwas ruhiger als bei seinem Eintreten vor einer knappen Stunde. Hoffentlich kann ich seine Erwartungen erfüllen!, bangte sie und spürte eine leichte Verunsicherung, wenn sie an ihren Auftrag dachte. Ihr war es lieber, sie kannte ihren Gegner und konnte mit offenem Visier kämpfen. Bei dieser Angelegenheit war zu vieles ungewiss; sie konnte die Sache noch nicht richtig einordnen. Handelte es sich hier um eine ganz stinknormale Sekte, die hauptsächlich dazu diente, ihren Gefolgsleuten – in diesem Fall Frauen – das Geld aus der Tasche zu ziehen? Oder waren die zwei Leiterinnen verrückte Spinnerinnen, die mit esoterischem Schnickschnack versuchten, die Frauen so weit zu beeinflussen, dass sie Entscheidungen über ihr Leben trafen, die nicht gut für sie waren?

Sie würde es herausfinden müssen. Und das ging nur, wenn sie selbst hinfuhr. Denn allzu auskunftsbereit schienen die Menschen, die in der Nähe wohnten, nicht zu sein.

Auf in den Kampf!, redete sie sich Mut zu. Und was sollte auch schon schiefgehen? Hatte sie nicht schon ganz andere Situationen gemeistert?

4. Kapitel

 

Zu Hause wartete die Anmeldebestätigung in Kis Mail-Postfach. Angehängt war ein Dokument, das mit Regeln bezeichnet war. Neugierig öffnete Ki den Anhang.

1. Das Zusammenleben in unserer Gemeinschaft beruht auf der Anerkennung folgender Prinzipien:

– Achtung der persönlichen Bedürfnisse des Mitmenschen

– Wahrung jeglicher gewünschter Distanz

– Respekt im Umgang miteinander

2. Handys und andere elektronische Geräte sind auf dem Gelände nicht erlaubt und werden eingezogen.

3. Die Teilnahme an den Morgen- und Abendkreisen ist obligatorisch.

4. Es wird erwartet, dass sich der Gast im Rahmen seiner Möglichkeiten in den Tagesablauf einbringt und an Gemeinschaftsveranstaltungen teilnimmt.

5. Verlässt der Besucher das Gelände, muss er sich abmelden.

6. Alkohol und andere Rauschmittel sind verboten.

7. Besuch von männlichen Personen ist nicht gestattet, es sei denn, er ist ausdrücklich von einer der beiden Leiterinnen gewünscht.

8. Das gesamte Gelände ist Nichtraucherbereich.

9. Nach 22 Uhr ist es nicht erlaubt, sich außerhalb der Gebäude aufzuhalten.

10. Bei Zuwiderhandlung muss der Gast das Gelände verlassen, ohne dass eine Rückerstattung bereits bezahlter Gebühren vorgenommen wird.

Nachdem Ki das gelesen hatte, dachte sie: Die Weiber haben doch einen an der Waffel! Wer begab sich freiwillig in einen solch rigiden Raum? Das war ja die Wiedereinführung der Diktatur, gegen die vor knapp 30 Jahren die Ostdeutschen auf die Straße gegangen waren. Fehlte nur noch die Gedankenkontrolle!

Was jedoch viel wichtiger war, als die Frage, was für Frauen dort wohl untergebracht sein mochten, war die Notwendigkeit, sich selbst eine Vita zu geben, in der sie sich sicher genug fühlte, um Fragen beantworten zu können und sich in Gesprächen nicht zu widersprechen. Dabei wollte sie so weit wie möglich bei der Wahrheit bleiben, weil sie wusste, dass jede Lüge dem Gehirn eine zusätzliche Anstrengung abverlangte. Auf einem Zettel notierte sie:

Gundula Kraus, geboren 1970 in Jena, Abitur 1989, September 89 Flucht über Prager Botschaft in den Westen, verschiedene abgebrochene Ausbildungen und Studien, Umzug von Tübingen nach Berlin, dann Halle und Leipzig.

Ki stockte. Was sollte sie als Beruf angeben?

---ENDE DER LESEPROBE---