Böse Seele: Thriller - Ariana Lambert - E-Book
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Böse Seele: Thriller E-Book

Ariana Lambert

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Beschreibung

»Die Hölle, das sind die anderen.«

Jean-Paul Sartre

Ein Mann verblutet auf einem Feld vor den Toren Berlins. Er stirbt, weil ihm sein Mörder das Geschlechtsteil abgeschnitten und in den Rachen geschoben hat. Er wird nicht die einzige Leiche bleiben. Die Spuren führen zu Kommissar Martyn Becker, einem erfahrenen Ermittler, der sich selbst seinem Vorgesetzten in den Weg stellt, um einen Fall zu lösen. Seine Kollegin Milla Rostow ist davon überzeugt, dass Martyn etwas vor ihr verbirgt. Hat er etwas mit den Toten zu tun? Ist es Zufall, dass sein Vater – ein verurteilter Serienmörder – die Methoden des Täters zu kennen scheint? Trotz ihrer Zweifel steht Milla ihm loyal zur Seite. Doch dann taucht eine mysteriöse Frau auf, die alles auf den Kopf stellt.

Wer ist diese mysteriöse Frau? Was hat Martyn mit all dem zu tun? Und können er und Milla das tödliche Spiel beenden?

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Epilog
Schlussworte der Autorin
Mehr Empire-Verlag-Thriller!

 

 

 

 

 

 

Böse Seele

 

Ariana Lambert

 

 

Das Buch:

»Die Hölle, das sind die anderen.«

Jean-Paul Sartre

 

Ein Mann verblutet auf einem Feld vor den Toren Berlins. Er stirbt, weil ihm sein Mörder das Geschlechtsteil abgeschnitten und in den Rachen geschoben hat.

Er wird nicht die einzige Leiche bleiben.

Die Spuren führen zu Kommissar Martyn Becker, einem erfahrenen Ermittler, der sich selbst seinem Vorgesetzten in den Weg stellt, um einen Fall zu lösen.

Seine Kollegin Milla Rostow ist davon überzeugt, dass Martyn etwas vor ihr verbirgt. Hat er etwas mit den Toten zu tun? Ist es Zufall, dass sein Vater – ein verurteilter Serienmörder – die Methoden des Täters zu kennen scheint?

Trotz ihrer Zweifel steht Milla ihm zur Seite. Doch dann taucht eine mysteriöse Frau auf, die alles auf den Kopf stellt.

Wer ist diese mysteriöse Frau? Was hat Martyn mit all dem zu tun? Und können er und Milla das tödliche Spiel beenden?

 

 

 

 

 

 

Die Autorin:

Ariana Lambert hängte ihre Robe nach zwölf Jahren als Strafverteidigerin an den Nagel. Dennoch bleibt sie dem Verbrechen treu und schreibt heute Krimis und Thriller. Sie lebt in ihrer Lieblingsstadt Dublin und im Sommer in ihrer Heimat im Spreewald.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Böse Seele

 

 

 

 

 

Ariana Lambert

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Thriller

 

 

 

 

 

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

 

Juni 2021

© Empire-Verlag 2021 Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

 

Empire-Verlag OG, Lofer 416, 5090 Lofer

 

Lektorat: Nicole Siemer

 

Covergestaltung: Chris Gilcher für Buchcoverdesign.de

https://buchcoverdesign.de

 

Coverabbildungen: Adobe Stock ID 25821026, Adobe Stock ID 107952422, Adobe Stock ID 133113092, Adobe Stock ID 121362074

Texturen Designed by Freepik.com

 

 

 

 

 

 

 

Für meine Mama

Prolog

 

Die beiden Liebenden hielten sich an den Händen und schauten mit Genugtuung auf den vor ihnen auf dem Boden sitzenden Mann, dessen Blut sich auf den Fliesen verteilte.

Er war tot.

Ganz sicher.

Bereits vor einigen Minuten war der zuvor munter sprudelnde Strom seines dunkelroten Lebenselixiers versiegt. Und doch standen sie immer noch bewegungslos in der großen Küche und hatten kein Wort gesprochen. Dort, wo einmal seine Genitalien gewesen waren, klaffte eine großflächige, fleischige Wunde. Ebenso an seinem Hals, seinen Handgelenken und im Gesicht. Nichts erinnerte daran, dass er ein Mann, dass er mal ein Mensch gewesen war. Sie löste sich von ihrem Liebhaber und schenkte ihm ein zaghaftes Lächeln.

»Zufrieden?«, fragte er.

Sie nickte.

»Er hat bekommen, was er verdient hat.«

»Ich weiß«, bestätigte sie. »Dennoch. Irgendwie … habe ich es mir anders vorgestellt.«

»Was? Was hast du dir anders vorgestellt?«, fragte er.

»Ich weiß es nicht. Das Gefühl. Die Befriedigung, wenn er endlich tot ist. Wenn er mir nichts mehr tun kann. Wenn er mich nicht mehr anfassen kann. Ich dachte … ich dachte, wenn ich ihm seinen dreckigen Schwanz abschneide, wenn ich das Messer durch seine Eier führe … ich dachte, es wäre befriedigender.«

»Er kann dir nichts mehr tun. Du selbst hast dafür gesorgt. Du bist frei. Das ist es doch, was zählt.«

Sie nickte erneut, ohne den Blick von dem Toten zu wenden. »Natürlich. Und trotzdem hätte ich etwas anderes erwartet.«

»Und was genau hast du erwartet?« Er sprach liebevoll, nahm wieder ihre Hand und führte sie an seine Lippen. Es störte ihn nicht, dass ihre Finger über und über mit Blut besudelt waren. »Es war kein schöner Tod. Zu verbluten, wenn einem das Leben aus dem Sack rinnt, während man keine Luft mehr bekommt, weil einem der eigene Schwanz in der Fresse steckt …« Er lachte. »Ich meine … ich meine, das ist schon echt übel.«

Sie ging nicht darauf ein, auch nicht auf sein Gekicher, das einem belustigten Glucksen gewichen war. »Du verstehst es nicht, oder?«

»Entschuldige. Nein. Offensichtlich tue ich das nicht. Wo liegt das Problem, Blanka? Er ist tot, er hat bezahlt. Für alles. Einen hohen Preis. Er hat gelitten, er ist gestorben. Er ist langsam gestorben und er hat erkannt, dass du es warst, die ihm das Leben genommen hat. Was willst du mehr?«

»Ich. Weiß. Es. Nicht.« Sie war laut geworden. »Keine Ahnung. Ich fühle … nichts. Keine Glücksgefühle. Oder Erleichterung. Irgendetwas in dieser Art hätte ich erwartet. Aber … da ist … nichts.«

Fassungslos schaute er sie an. Ihre Arme hingen schlaff herab. Einige schwarze Strähnen hatten sich aus ihrem obligatorischen Pferdeschwanz gelöst. Ihre großen, braunen Augen lagen tief in den Höhlen, dunkle Ränder schimmerten darunter. Sie sah erschöpft aus. Die letzten Stunden hatten ihr sämtliche Energien geraubt.

Ihrem Stiefvater das Rohypnol unterzujubeln, hatte kein Problem dargestellt. Sie hatten es gut geplant. Bereits nach der halben Flasche Bier war er in seinem Sessel fest eingeschlafen. Als er kurze Zeit später erwacht war und festgestellt hatte, dass er bewegungsunfähig und gefesselt war, hatten sie mit ihrem Werk begonnen.

Er legte seinen Arm um ihre Schultern und zog sie näher an sich heran. »Hör mal, ich weiß wirklich nicht, was du hast. Schau hin!« Mit der anderen Hand zeigte er in Richtung der Leiche. »Da liegt er. Der Mann, der dich vergewaltigt hat, der dich geschlagen, gedemütigt und missbraucht hat. Du hast ihm Einhalt geboten. Du hast ihn gequält und ihm sein Leben genommen. Du kannst stolz auf dich sein.«

Zaghaft wiegte sie den Kopf hin und her. »Du hast ja recht. Ich bin einfach enttäuscht. Du kannst dir nicht vorstellen, wie oft ich daran gedacht habe, ihm seinen widerlichen Pimmel abzuschneiden, wenn er keuchend und schwitzend auf mir lag. Und jetzt … jetzt habe ich ihm sein Ding in seinen Mund gesteckt und dieses Arschloch ist kläglich verreckt. Ich sollte etwas empfinden, oder? Aber da ist nichts.«

Tränen stiegen ihr in die Augen, bevor sie ihre Wangen hinunterliefen und sich als Tropfen an ihrem bebenden Kinn sammelten.

»Hey!« Er nahm sie in seine Arme. »Erwarte nicht zu viel!«

Eine gefühlte Ewigkeit standen die beiden neben den verstümmelten Überresten. Ihre Tränen versiegten irgendwann, nicht jedoch die Trauer. Die Enttäuschung über das Ausbleiben von Emotionen, die sie dringend brauchte, um abzuschließen, blieb. Für die Genugtuung, die sie so sehr ersehnte.

Er dagegen machte sich keine Gedanken über seine Gefühle. Er hatte Ekel empfunden und Abneigung gegenüber dem Winseln und Heulen des Kerls. Angewidert hatte es ihn, wie dieses Würstchen um Gnade und um sein Leben gebettelt hatte. Was für ihn allerdings zählte, war die Erkenntnis, dass er etwas Gutes getan hatte. Der Scheißkerl hatte den Tod verdient. Und er, ein neunzehnjähriger, über beide Ohren verknallter Junge, hatte Gerechtigkeit walten lassen.

»L’enfer, c’est les autres.« »Die Hölle, das sind die anderen.« Jean-Paul Sartre – Geschlossene Gesellschaft

 

1

»Danke«, sagte Martyn zu dem Wärter, der nickend den Raum verließ.

Die Kleidung des anderen Mannes war verschlissen und unbequem. Vermutlich kratzte der gestärkte Stoff auf der Haut. Eine weite Hose, deren ehemaliges Dunkelblau verwaschen und fleckig wirkte und ein zu großes, gestreiftes Shirt, das an ein Seemannshemd erinnerte. Doch trug Christoph wie alle Insassen die einheitliche Gefängniskleidung, individualisiert lediglich durch den Aufnäher auf der linken Brusttasche.

Verächtlich kratzend rückte Christoph ihm gegenüber den Stuhl zurück und ließ sich schwerfällig nieder. Schweißperlen glitzerten auf seiner Stirn.

Schon seit Tagen ächzten alle in der Hauptstadt unter der nicht enden wollenden Hitzewelle.

Martyn schaute nach oben. Weit über ihren Köpfen erhellte ein großes Fenster den Raum, der kleiner war als seine Gästetoilette. Es war gekippt, doch erreichte ihn von dort keine Erfrischung.

Die beiden Männer saßen an dem schmalen Tisch, den zahlreiche Gravierungen mit obszönen Worten und Gesten zierten. Eine anstößige Zeichnung, scheinbar mit einem schwarzen Edding gemalt, zeigte einen übergroßen Phallus. Martyn legte die Akte darauf, um das grässliche Bild nicht vor Augen zu haben. Ähnliche Verzierungen prangten an den weißgetünchten Wänden. Selbst der kleine silberne Knopf neben ihm, über welchen er den Wärter rufen würde, war verschmutzt und angekohlt.

»Was ist passiert?«, fragte ihn sein Gegenüber.

»Wie geht es dir?«, begann Martyn und verschob die Beantwortung der Frage.

Christoph zuckte die Schultern. »Wie immer.« Doch dann legte sich ein Lächeln auf sein Gesicht. »Aber ich freue mich über deinen Besuch, auch wenn ich weiß, dass etwas passiert sein muss.«

»Ich habe dein Verwahrkonto ein wenig aufgestockt«, erklärte Martyn. Er würde früh genug auf den wahren Grund seines Besuchs zu sprechen kommen. Ihm war das bisschen Smalltalk wichtig.

Es funktionierte.

»Wirklich?«

Martyn nickte.

»Das ist … sehr nett. Danke dafür. Dann gibt es mal wieder was zu rauchen am Wochenende. Wie viel?«

»Fünfzig.«

Ein Strahlen erhellte das sonst eher graue, düstere Gesicht. »Vielen Dank, Martyn.«

»Nicht dafür. Ich werde versuchen, beim nächsten Mal etwas mehr mitzubringen.« Sein Gehalt gestattete es ihm nicht, den großen Samariter zu mimen, doch ein wenig Anreiz konnte nicht schaden.

»Mach dir um mich keine Sorgen. Ich komme schon klar. Das Einzige, was mich seit einigen Tagen umtreibt, ist Hooks Entlassung. Er fehlt mir.«

»Ach, Hook ist entlassen worden? Schon?«

»Ja, er hat mehr als neun Jahre gesessen. Vier davon im Maßregelvollzug.«

»Das wusste ich gar nicht… Und glaubst du, er kommt zurecht? Draußen meine ich?«

Christoph wiegte den Kopf hin und her. Scheinbar hatte er Zweifel.

Berechtigte Zweifel würde Martyn sagen, ohne dass er Hook je persönlich kennengelernt hatte. Aber seiner Erfahrung nach würde jeder noch so Hartgesottene nach neun Jahren Haft Schwierigkeiten haben, in der Gesellschaft zurechtzukommen. Den meisten gelang es nicht, und sie saßen kurze Zeit später wieder ein. Den Makel eines Straftäters und in Hooks Falle den eines brutalen Vergewaltigers wurden die wenigsten endgültig los. Da konnte der Staat noch so ausgeklügelte Projekte, Hilfen und Therapien zur Verfügung stellen, um den Menschen auf die gesellschaftsfähigen Beine zu helfen. Am Ende fielen die meisten wieder über den Rand der sozialen Anerkennung, oder – wie in den häufigsten Fällen – sprangen sie mit Anlauf über die Klippe.

Denn was auch immer Hook vor mehr als neun Jahren bewogen haben mochte, den zahlreichen Frauen seinen Schwanz in alle möglichen Körperöffnungen mit einer solchen Gewalt zu stecken, dass bei einigen von ihnen intensive Operationen nötig gewesen waren, um sie zumindest physisch wiederherzustellen – wer konnte heute mit Gewissheit sagen, dass dieser Trieb vollständig verschwunden war?

»Was hatte man bei ihm diagnostiziert, dass er zunächst im Maßregelvollzug war?«, fragte Martyn. Er hatte keine große Hoffnung, eine Antwort zu erhalten. Denn die Insassen sprachen selten über ihre Taten und die Gründe der Inhaftierung. Nach Meinung der meisten saßen sie ohnehin unschuldig. Aber Martyn erinnerte sich, dass die beiden sich im Laufe der vergangenen Jahre angefreundet hatten. Jedenfalls hatte er den Namen Hook oft gehört und auch, dass sie sich gegenseitig beschützten, stärkten, aufbauten.

»Persönlichkeitsstörung«, sagte Christoph.

»Okay«, erwiderte Martyn. Diese Diagnose passte auf so ziemlich jeden, der im Maßregelvollzug Untergebrachten. »Aber scheinbar hat man ihm eine günstige Prognose erteilt, sonst wäre er nicht hierhergekommen.«

Christoph nickte. »Aber genug von Hook. Nun erzähl! Was gibt es?«

Martyn zog die Akte etwas zu sich. Die Spitze des gezeichneten Penis kam zum Vorschein. Doch er sah sie nicht mehr, hatte nur Augen für die Fotos, die sich gleich auf der ersten Seite auftaten.

»Soll ich mir das mal ansehen?«, fragte Christoph und streckte bereits die Hand nach der Akte aus.

»Das wäre toll. Ich hoffe, du kannst mir was sagen.«

»Erzähl mir was dazu!«, forderte er Martyn auf.

»Natürlich. Also bislang sind es vier Frauen. In den letzten zehn Wochen. Beängstigend, ich weiß. Die Presse steigt uns schon aufs Dach. Alle vier siehst du hier auf den Fotos. So wurden sie aufgefunden.« Martyn beugte sich etwas über den Tisch. Augenblicklich stieg ihm der unangenehme Schweißgeruch seines Gesprächspartners in die Nase, doch der störte ihn nicht. Zu wichtig war dieses Gespräch. »Alle in ihren Wohnungen, allesamt an ihr Bett gefesselt. Keine Spuren, keine Hinweise. Aber wir gehen davon aus, dass es derselbe Täter ist. Die letzten Stunden der Opfer in diversen Clubs und einige Details aus deren familiären Umständen, sprechen dafür. Zum Beispiel waren alle Frauen Singles. Ich denke, wir haben es hier mit einem Serienmörder zu tun. Mit einem, der weiß, was er tut. Aber wir finden nichts. Weder auf irgendwelchen Überwachungskameras, noch in den Wohnungen der Opfer. Allerdings …« Er zeigte auf eines der Fotos. »Allerdings haben wir in diesem Fall hier Spuren auf dem Teppichboden gefunden. Sechs Eindrücke im Teppich. Jeweils drei. Siehst du?«

Christoph schaute aufmerksam die Fotos durch.

»Unsere Theorie ist, dass der Täter Stative für Videokameras aufgestellt und seine Taten gefilmt hat. Jetzt frage ich mich, warum dann zwei? Gewöhnlich haben diese Dinger drei Füße. Hier sehen wir sechs Abdrücke, also zwei Ständer. Warum zwei? Wofür brauchte der Täter zwei Kameras?« Er lehnte sich wieder etwas zurück und atmete tief durch.

Eine gefühlte Ewigkeit schwiegen beide.

Der Gefangene blätterte in der Akte und fuhr mit den Fingerspitzen über die Fotos. Zwischendurch seufzte er. Schließlich blieb er an einem Foto hängen und betrachtete es lange. Es zeigte eine nackte Frau, blond und auf dem Bauch in ihrem Bett liegend. Ihre Arme und Beine waren an den Bettpfosten fixiert. Womit, war auf diesem Bild nicht zu erkennen.

»Hm …«, überlegte er.

Martyn wartete geduldig. Ihm war klar, wenn er etwas in Erfahrung bringen wollte, musste er sich Zeit nehmen. »Hast du eine Idee?«, warf er dennoch ein.

»Eine Idee, mehr nicht.« Sein Gegenüber hob den Kopf und sah Martyn in die Augen. »Die Frauen wurden vergewaltigt, aber ihr habt keine Spuren gefunden?«

»Richtig. Keine DNA, kein Sperma.«

»Und die Frauen wurden erdrosselt.«

»Auch richtig.«

»Junge Frauen? Hübsch?«

»Ja.«

»Wo wurden die Abstriche genommen?«

Martyn schüttelte leicht den Kopf. »Was meinst du?«

»An welchen Stellen der Leichen?«

»Keine Ahnung. Das weiß ich nicht. Dazu müsste ich in das rechtsmedizinische Gutachten schauen. Aber ich denke, an den Genitalien, am Mund, den Händen. An den üblichen Stellen.«

»Schaut euch den Körper der Frauen mal im Ganzen an. Es könnte sein, dass ihr auf ihren Körpern etwas findet«, schlug Christoph vor.

Martyn lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. Er hatte gewusst, auf alle Fälle gehofft, dass er nicht mit leeren Händen hier rausgehen würde. Am liebsten würde er zufrieden lächeln, doch es kam ihm unpassend vor. »Was glaubst du, werden wir finden?«

Jetzt lehnte sich der andere Mann ebenfalls zurück und nahm die gleiche Position wie Martyn ein. Sie waren sich ähnlicher, als manch Außenstehender auf den ersten Blick vermuten würde.

»Also, wie gesagt, es ist nur ein Verdacht. Ich kenne einen Typen, er nannte sich … nein, falsch, alle nannten ihn Dolly, weil er ein Faible für Puppen hatte. Seinen richtigen Namen kenne ich nicht. Eine Schwuchtel, wenn du mich fragst, aber so genau habe ich das nicht mitbekommen. Dieser Kerl fällt mir gerade ein. Er ist vor etwa einem halben Jahr entlassen worden. Vielleicht weniger. Er saß offiziell wegen Urkundenfälschung, was natürlich nicht stimmte. Ein Kinderficker war er. Entschuldige die Wortwahl, aber das war er. Die haben natürlich seine Vollstreckungsunterlagen gefälscht, weil … na ja, du weißt warum.«

Martyn hatte das Gefühl, es rechtfertigen zu müssen, dass die Vollstreckungsunterlagen mancher Insassen geändert wurden. »Ja, das macht man zum Schutz der Gefangenen. Wir wissen, wie mit Vergewaltigern oder – schlimmer noch – Jugendstraftätern in der JVA umgegangen wird. Es sind schon viele gelyncht worden. Das will man vermeiden.« Daher stand nicht selten in den Unterlagen eines Sexualstraftäters eine Verurteilung wegen eines weniger Emotionen hervorrufenden Delikts. Nicht einmal, oder vor allem, die Wärter wussten dann den wahren Grund der Verurteilung.

»Jugendstraftäter, dass ich nicht lache. Das hört sich so an, als ob ein Minderjähriger auf die schiefe Bahn geraten ist, aber passt nicht so richtig zu diesem Abschaum.«

»Mag sein. Aber das Jugenddezernat bei der Staatsanwaltschaft und die Jugend- und Jugendschutzkammer bei Gericht behandeln nun mal sowohl die Verfahren gegen jugendliche Straftäter, als auch Verfahren mit jugendlichen Opfern.« In der entsprechenden Kammer des Landgerichts landeten demnach sowohl die Fälle, in denen der Angeklagte Jugendlicher war, als auch diese, bei denen die Opfer welche waren. »Egal, das müssen wir beide heute nicht erörtern. Erzähl mir mehr von diesem Dolly!«

»Du hast ja recht. Trotzdem … Dann sollten sich die Sesselfurzer in ihren Beamtenstuben etwas besseres ausdenken als Urkundenfälschung. Vor allem bei einem Typen wie Dolly. Selbst Rocco von den Hells Angels hat erkannt, dass da was nicht stimmt. Und Rocco hat schon so oft eine auf die Nase bekommen, dass er sich nicht mal merken kann, wie lange er noch abzusitzen hat. Wenn du verstehst, was ich meine.« Er tippte sich mit dem Zeigefinger an die Stirn.

Martyn nickte und fuhr sich mit der Hand über seinen Bart, der die Phase eines gepflegten Dreitagebartes lange überschritten hatte. Doch am Morgen hatte ihm die Zeit gefehlt, ihn zu stutzen, ebenso gestern. Heute Abend würde er es vermutlich auch nicht schaffen. Es wurde Zeit, dass er diesen Fall löste, sonst würde er in Kürze bald aussehen wie ein Waldschrat.

»Gut. Jeder wusste also, weshalb er saß.«

»Na ja, es wurde anfangs vermutet, aber dann fing Dolly an zu plappern. Machen einfach einige. Die meisten halten die Klappe. Geht keinen was an, warum man sitzt, aber einige plappern eben. Manche rühmen sich ihrer Taten, andere reden sich ihre Verzweiflung vom Leibe und gestehen allen Mist, den sie angestellt haben. Und Dolly … tja, Dolly fantasierte. Er sprach von jungen Frauen. Hübschen Frauen. Solchen, die aussehen, wie die Puppen, die auf den Postern in seiner Zelle an den Wänden hingen. Blond, große Augen, Schmollmund. Genau wie die Mädchen hier auf deinen Fotos aussehen.«

»Warte«, unterbrach Martyn, »du sagtest, er sei homosexuell.«

Der Mann lachte. »Nein, ich sagte, er sei eine Schwuchtel.«

»Na schön, eine Schwuchtel. Wo ist der Unterschied?«

»Keine Ahnung. Damit kenn ich mich nicht aus. Aber er verhielt sich eben wie eine. Dieses Gelaber von den Puppen, wie schön sie wären und wie man sie noch schöner machen könnte.« Er hob den Zeigefinger wie ein Lehrer, als wollte er sich Martyns ungeteilter Aufmerksamkeit versichern. »Wir nähern uns deinem Rätsel. Er redete davon, wie schön man die Puppen nackt ausziehen, ans Bett fesseln und mit Farbe bemalen könnte. Mit unsichtbarer Farbe, fluoreszierender Farbe. Solcher, die man mit Schwarzlicht anstrahlt und die dann schön leuchtet. Haargenau hat er gefachsimpelt, welche Farbe sich am besten eignet, und dass man das Schwarzlicht auf so ein Stativ stellen müsste. Zwei Stative bräuchte er also. Eines für seine Videokamera. Eines für das Schwarzlicht.« Er tippte auf das Foto, auf dem die Abdrücke in dem Teppich aufgenommen waren.

Martyns Augen wurden größer. Das wäre eine Erklärung. Zumindest ein Anhaltspunkt.

»Und«, fuhr Christoph fort, »wenn die Puppen dann da liegen und so schön angemalt sind, kann man ihnen alle möglichen Dinge in alle möglichen Öffnungen stecken, um das Bild perfekt zu machen … Schau mich nicht so an! Ich erzähle dir nur, was dieser Perversling erzählt hat. Um ehrlich zu sein: Irgendwann hat er nur noch mit sich selbst geredet, weil keiner mehr seinen Schwachsinn hören wollte. Warum bei dem nicht mal eine Sicherungsverwahrung geprüft worden ist, ist mir ein Rätsel. Aber er hatte seine Strafe abgesessen, also fünf von sieben oder so ähnlich. Und ist dann einfach entlassen worden. Egal, was wollte ich sagen? Genau. Ich habe mal gehört, als er Reinigungsdienst hatte und im Flur den Boden gekehrt hat, wie er zu sich sagte, dass dieser Besenstiel schön in das Arschloch einer Puppe passen würde. Einmal sagte er zu einem Wärter, dessen Schlagstock würde perfekt in die Muschi einer Puppe passen. So etwas, verstehst du?«

Martyn zog die Augenbrauen nach oben. »Scheiße. Ja, natürlich verstehe ich. Das würde erklären, warum es Verletzungen gibt, die auf eine Vergewaltigung schließen lassen, aber keine Spermaspuren. Weil er die Frauen mit Gegenständen penetrierte. Das wäre nicht der erste Fall dieser Art auf meinem Schreibtisch. Ich habe für meinen Geschmack schon mehr als genug Fotos gesehen, bei denen Gegenstände irgendwo drinsteckten.«

»Siehst du. Und wenn die Rechtsmedizin nur an den üblichen Stellen Abstriche genommen hat, um diese zu untersuchen … dafür nutzt ihr doch immer noch UV-Licht, oder?«

Martyn nickte.

»Tja, dann konntet ihr die Malerei oder zumindest deren Rückstände auf dem restlichen Körper natürlich nicht entdecken. Also … schaut euch den ganzen Körper mit Schwarzlicht an!«

»Das ist ein guter Hinweis. Dem werde ich gleich nachgehen. Es passt alles.«

Beide Männer lehnten sich in ihren Stühlen zurück und atmeten laut aus.

»Ich wünschte, ich könnte noch bleiben. Ich würde gern noch eine Weile plaudern. Aber ich muss los«, sagte Martyn und erhob sich.

»Das verstehe ich doch. Komm bald wieder mal vorbei und bring wieder einen Fuffi mit.«

»Das mache ich bestimmt. Lass es dir gut gehen und pass auf dich auf!« Martyn drückte den verkohlten Knopf an der Wand neben ihm, schnappte seine Akte und schlenderte zur Tür. In ein paar Sekunden würde der Wärter seine Tür öffnen und ihn hinausbegleiten.

Christoph blieb sitzen. Er wartete, bis Martyn durch die Schleuse nach vorn in den Besucherraum geleitet wurde und anschließend aus der gegenüberliegenden Tür heraus und zurück in seine Zelle.

Schritte ertönten und Martyn drehte sich noch einmal um. »Danke, Papa.«

2

 

Martyn hatte gedacht, außerhalb der Gefängnismauern wieder freier atmen zu können, wurde nun eines Besseren belehrt.

Kaum trat er einen Schritt aus der Schleuse heraus, schlugen ihm vierzig Grad Hitze entgegen. Innerhalb der Justizvollzugsanstalt hatten ihm die Enge und Beklemmungen die Luft genommen.

Moabit war ein Gefängnis, wie es sich jeder in seinen düstersten Träumen vorstellte. Das Gebäude war uralt. In seinem Inneren war die Zeit stehengeblieben. Seit hundert Jahren waren keine Renovierungen vorgenommen worden. Die Farbe an den Wänden blätterte großflächig ab, einige der Neonröhren flackerten, und das klirrende Geräusch einer jeden stählernen Tür, die geschlossen wurde, hallte in den meterlangen Gängen wider.

Doch wenigstens hatte es dort eine Klimaanlage gegeben. Die Luft war kalt gewesen. Das Verlies hatte Martyn aus einer Röhre heraus und in die Hitze gespuckt.

Hochsommer und Berlin Mitte.

Die Luft flimmerte, der Asphalt schien zu schlingern und die Abgase der vorbeifahrenden Autos verschluckten das letzte bisschen Sauerstoff, das noch vorhanden war.

Martyn lockerte seine Krawatte und öffnete die beiden oberen Knöpfe seines Hemdes. Dann schulterte er seine Ledertasche und krempelte auf dem Weg zu seinem Wagen die Ärmel hoch.

Er startete den Motor und bedauerte, dass sein alter Polo nicht über eine Klimaanlage verfügte. Also kurbelte er sein Fenster herunter und fuhr los. Er genoss den Fahrtwind, der sein Haar verwehte und ihm die Ahnung einer Erfrischung gewährte. Als er sich wenig später in den nachmittäglichen Verkehr schlängelte, der um die Siegessäule herum mehr schleichend als zügig voranging, zündete er sich eine Zigarette an. Der Rauch vermischte sich in seinen Lungen mit dem Dreck und Smog der Hauptstadt und manifestierte sich in einem Klopfen hinter seiner Stirn, das sicher jeden Moment in handfeste Kopfschmerzen übergehen würde. Martyn wusste, es wäre besser, die Kippe auszumachen, aber er rauchte dennoch weiter. Er konnte es nicht lassen. Dies war sein Laster. Unzählige gute Vorsätze, damit aufzuhören, hatte er schon unternommen. Unzählige Male hatte er sie über den Haufen geworfen.

In der Hoffnung, ausreichend Flüssigkeit würde dem Schmerz hinter seinem Stirnlappen Einhalt gebieten, angelte er nach der Flasche auf dem Rücksitz und leerte sie in einem Zug. Erst als er sie absetzte, bemerkte er den abgestandenen Geschmack. Mineralwasser ohne Kohlensäure und von der Temperatur eines leicht abgekühlten Tees.

Gut, am besten ablenken. Das half oft zuverlässig. Martyn drückte den Knopf auf seinem Telefon, das in einer ausgeklügelten Konstruktion aus Gummibändern und einer ausrangierten Tabakdose an den Ritzen der Lüftung hing, und rief seine Kollegin an.

»Rostow«, meldete sie sich bereits nach dem ersten Klingeln.

»Milla, hallo. Ich bin auf dem Weg. Und ich habe vielleicht eine Spur.«

Er hörte sie laut atmen.

»Martyn, du warst wieder bei deinem Vater, stimmt’s?«

Er vollführte mit der rechten Hand eine wischende Geste. »Lass es gut sein! Darüber können wir später reden. Versuch doch bitte etwas über einen vor wenigen Monaten aus Moabit entlassenen Häftling herauszufinden. Er saß wegen Sexualdelikten, offiziell aber wegen Urkundenfälschung. In der JVA wurde er Dolly genannt.«

»Dolly?«

»Genau. Vielleicht weiß die Anstaltsleitung damit schon was anzufangen.«

»Mach ich. Und du meinst, er könnte es sein?«

»Es sieht vielversprechend aus. Bis gleich.« Er wartete keine Erwiderung seiner Kollegin ab, sondern drückte auf den roten Button.

Dann schaltete er in den ersten Gang und fuhr ein Stück. Sicher zehn Meter waren es dieses Mal. Zehn Meter näher an der Ampel, die nach einer Grünphase von nicht mehr als zwanzig Sekunden schon wieder Rot zeigte. Er kuppelte aus und scrollte auf dem Display, bis er die gesuchte Nummer gefunden hatte.

Er wählte und wartete ein mehrfaches Klingeln ab, bis sich eine tiefe Männerstimme meldete. »Kaltenberg.«

»Herr Kaltenberg, guten Tag. Martyn Becker hier. Ich grüße Sie. Ich rufe an wegen der jungen Frau unlängst. Sylvia Müller. Darf ich Sie etwas fragen?«

»Martyn, natürlich. Sie dürfen mich alles fragen.« Die beiden kannten sich eine Weile und verstanden sich blendend. Der Rechtsmediziner hatte Martyn schon bei mehr als einer Gelegenheit das Du angeboten, aber Martyn war es nicht möglich, über seinen Schatten zu springen und anzunehmen. Für ihn war Kaltenberg der Inbegriff eines Akademikers. Übermäßig intelligent, klug, ein wenig verwirrt, und er sah aus wie ein Teddybär. Mit wuscheligem, gelocktem Haar, einer großen Knollnase und kleinen, immer zufrieden dreinschauenden Knopfaugen. Kaltenberg war schon vor langer Zeit dazu übergegangen, beim Sie zu bleiben und Martyn beim Vornamen zu nennen. Mit diesem Arrangement kamen beide klar, und sie waren dabei geblieben.

»Ich habe in der Akte gelesen, die Frau sei vergewaltigt worden, aber Sie haben keine Spuren gefunden.«

»Richtig. Die vaginalen und analen Verletzungen haben auf unfreiwillige Penetrationen gedeutet. Doch wir fanden weder Sperma- noch andere Spuren.«

Martyn wiegte nachdenklich den Kopf und fuhr wieder ein Stück. Dieses Mal nicht mehr als fünf Meter. Kaltenberg hatte meist jedes Detail seiner Untersuchungen im Gedächtnis und konnte alles dem richtigen Opfer zuordnen. Dabei musste er täglich mindestens eine andere Leiche auf seinem Tisch liegen haben.

Dieser Mann faszinierte Martyn.

»Die Suche nach den Spermaspuren funktioniert doch mit einem Abstrich, richtig?«

»Ja, wir haben vaginale und anale Abstriche vorgenommen und untersucht, aber nichts gefunden.«

»Nur per Abstrich?«

Einen Augenblick war es still am anderen Ende. Dann fragte Kaltenberg: »Worauf wollen Sie hinaus?«

Martyn schaltete und schaffte es bei dieser Grünphase endlich über die Kreuzung. Dahinter ging es zügiger voran. Er beschloss, seinen Verdacht konkret mitzuteilen. »Wenn die Frau an ihrem Körper mit einer fluoreszierenden Farbe bemalt wurde, hätten Sie es entdeckt?«

Wieder herrschte Stille.

»Kaltenberg?«, fragte Martyn nach wenigen Sekunden.

»Ja. Ja, bin noch da. Ich überlege gerade. Wir haben Abstriche genommen, diese untersucht und den Körper der Frau einer äußeren Begutachtung unterzogen. Letzteres jedoch nicht unter Benutzung von technischen Geräten, weil es dafür keinerlei Anhaltspunkte gab. Mir fällt im Moment auch nicht ein, was darauf hindeuten könnte, dass der Körper bemalt worden sein soll.«

»Ist sie noch bei Ihnen? Können Sie das noch nachholen?«

»Ja, natürlich ist sie noch hier. Die zweite Leichenschau steht ja noch an.«

Am liebsten hätte Martyn die Erleichterung laut ausgepustet. Stattdessen begnügte er sich damit, den Rauch seiner Zigarette geräuschvoller als nötig aus dem offenen Fenster zu stoßen. »Sehr schön. Bitte tun Sie mir den Gefallen und untersuchen sie noch einmal unter diesem Gesichtspunkt. Ich habe wirklich den großen Verdacht, dass Sie etwas finden könnten. Ich gehe davon aus, dass der Täter sie mit UV-Farbe angemalt hat. Ich weiß nicht, ob er die Farbe abgewischt hat. Aber selbst wenn, sollten unter der Lampe noch Rückstände zu finden sein.«

Wieder trat eine kurze Pause ein. Martyn konnte erahnen, wie der Mediziner seine Termine für den Tag ordnete, verschob und überlegte, wie er dem Wunsch gerecht werden konnte.

»Ich mache mich sofort daran und melde mich dann.«

»Herr Kaltenberg, das wäre wundervoll. Vielen, vielen Dank.«

»Kein Problem. Dann wollen wir mal schauen, ob wir was finden, was Ihre Theorie untermauert. Bis später.«

 

Martyn fuhr soeben auf den Parkplatz der Polizeidirektion. Für eine Strecke von wenigen Kilometern hatte er über eine halbe Stunde gebraucht.

Der Verkehr in Berlin kostete ihn Unmengen an Lebenszeit und Nerven. Allein an den letzten beiden Kreuzungen hatte er sein gesamtes Arsenal an Schimpfwörtern von sich gegeben. Egoistische Fußgänger, die meinten, schnell die Straße überqueren zu müssen, obwohl Martyns Ampel Grün gezeigt hatte, Radfahrer, die es nicht für nötig hielten, den Radfahrweg zu benutzen. Mehr als einmal war er geneigt gewesen, seinen Ausweis zu zücken und für Recht und Ordnung zu sorgen. Doch hatte er sich um andere Dinge zu kümmern.

Eines davon meldete sich sogleich, als sein Telefon klingelte.

»Hey«, begrüßte ihn eine weibliche Stimme.

»Hey«, antwortete er und legte so viel Gelassenheit in seine Worte, wie es ihm möglich war. In Wirklichkeit schlug sein Herz sofort einen Takt schneller.

»Sehen wir uns heute?«

Er atmete tief ein, um etwas Zeit zu gewinnen und nach einer geeigneten Antwort zu suchen.

Doch Louisa kam ihm zuvor. »Du musst arbeiten, stimmt’s?«

»Ich versuche es. Ich werde es versuchen. Ich würde dich wirklich gern sehen. O Gott, ich würde dich wirklich gern sehen.«

Louisa schwieg einen Moment. »Ich wünschte, du würdest es schaffen. Versuch es, Martyn, okay? Ich bin bestimmt bis elf wach.«

»Okay. Ich gebe mein Bestes.«

Als er aufgelegt hatte, schloss er einen Moment die Augen und erinnerte sich an Louisas Haar, das in der gleichen Farbe wie der Roggen auf den weiten Feldern vor den Toren Berlins strahlte.

Martyn erinnerte sich daran, wie er ihr vor wenigen Monaten auf dem alljährlichen Neujahrsempfang der Polizei begegnet war. Die jüdische Gemeinde hatte in den imposanten Saal der NeuenSynagoge geladen, und Louisa war als Leiterin einer gemeindeinternen Stiftung einer der Ehrengäste gewesen. Sie war ihm sofort aufgefallen. Sie gehörte zu den Menschen, die durch ihre bloße Anwesenheit auffielen, allein mit der Art und Weise, wie sie den Raum durchschritt und sich eine der blonden Locken hinter das Ohr strich. Martyn hatte seinen Blick nicht von ihr wenden können, was wiederum ihr aufgefallen war.

Sie ließen es langsam angehen, trafen sich regelmäßig, aber selten. Louisa hatte viel Verständnis für sein Arbeitspensum, und er verbrachte, jede freie Zeit mit ihr. Sie war klug, selbstbewusst und unglaublich schön. Der Sex war eine Wucht, und in Situationen wie diesen beschlich ihn die kalte Angst, er könnte es vermasseln. Wieder einmal. Wie alle seine Beziehungen bislang. Er arbeitete zu viel. Das kam bei den meisten Frauen auf Dauer nicht gut an. Glücklicherweise gehörte Louisa ebenfalls zu den Workaholics, die um jeden Preis Karriere machen wollten. Vielleicht passten sie doch zusammen.

Das Klingeln seines Telefons unterbrach erneut Martyns Grübeleien.

»Wo bleibst du?«, fragte Milla ohne Begrüßung.

---ENDE DER LESEPROBE---