Böses ist relativ - Hannah DeGroth - E-Book

Böses ist relativ E-Book

Hannah DeGroth

4,6

Beschreibung

Tauche ein in einen bizarren Blickwinkel der Psyche. Hier vereint sich Fantasie mit Realität, Böses mit Gutem und Freundschaft mit Liebe. In diesem Buch findest du die Unterlagen von Anna van Grothburg und wirst Teil eines Kampfes jenseits des Vorstellbaren. Anna ist ein junges Mädchen, das fast schon behütet aufgewachsen ist, bis zu dem Tag, an dem ihr schmerzlich vor Augen geführt wird, wer oder was ihre Brüder sind. Vampire? Schon bald findet sie zusammen mit ihren Freunden heraus, was für einer seltsamen Familie sie entstammt und warum sich ihre Brüder in letzter Zeit so anders verhalten. Ihr Leben klingt nach einer widerlichen Züchtung. Hat etwa jemand das ganze Blut der Familie bewusst zusammengehalten und eine klare Erblinie geschaffen? Aber warum? Und wie ist das möglich? Mit aller Kraft versucht Anna, ihr Schicksal selbst zu gestalten und findet heraus, wer seit Jahrhunderten das Blut der Familie vorherbestimmt. Ein Sturm aus bitteren Zweifeln beginnt. Anna scheint unfähig, allein zu verhindern, was auf sie zukommt und verstrickt sich immer mehr in einem Netz aus düsteren Wahrheiten. Hilflos klammert sie sich an die Liebe zu ihren Brüdern, mit fatalen Folgen. Denn was ist, wenn man mehr für seinen Bruder empfindet, als man darf? Allerdings steht Anna nicht allein da. Sie hat Freunde, die mit aller Kraft versuchen, das Richtige zu tun. Das Richtige? Finde selbst heraus, welcher der richtige Weg ist. Sofern man dies denn so einfach beantworten kann. In diesem Buch wird der Leser durch kunstvolle Schreibweise involviert und kann somit eintauchen in eine Geschichte, die mehr ist, als sie augenscheinlich preisgibt.

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Seitenzahl: 464

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Dieses Buch widme ich:

Meinem Ehemann Gunnar und meinem Sohn Linus, für die mein Herz schlägt. Manuela, deren Freundschaft mir Kraft gab. Cathrin und Maya, die eine gute Geschichte liebten.

Und natürlich allen Lesern, die meine Zeilen verschlungen haben.

Vielen Dank,

Hannah DeGroth

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel 1: Brief von Anna an Lea

Kapitel 2: Brief von Lea an Anna

Kapitel 3: Brief von Anna an Lea

Kapitel 4: Brief von Lea an Anna

Kapitel 5: Brief von Anna an Lea

Kapitel 6: Brief von Lea an Anna

Kapitel 7: Brief von Anna an Lea

Kapitel 8: Brief von Lea an Anna

Kapitel 9: Brief von Anna an Lea

Kapitel 10: Brief von Lea an Anna

Kapitel 11: Brief von Magnus an Lea

Kapitel 12: Brief von Lea an Magnus

Kapitel 13: Brief von Anna an Lea

Kapitel 14: Brief von Lea an Anna

Kapitel 15: Brief von Magnus an Lea

Kapitel 16: Brief von Lea an Magnus

Kapitel 17: Brief von Anna an Lea

Kapitel 18: Brief von Magnus an Lea

Kapitel 19: Brief von Lea an Anna

Kapitel 20: Brief von Lea an Magnus

Kapitel 21: Brief von Justus an Magnus

Kapitel 22: Brief von Magnus an Justus

Kapitel 23: Brief von Anna an Lea

Kapitel 24: Brief von Lea an Anna

Kapitel 25: Brief von Magnus an Lea

Kapitel 26: Brief von Lea an Magnus

Kapitel 27: Brief von Magnus an Lea

Kapitel 28: Brief von Anna an Lea

Kapitel 29: Brief von Magnus an Lea

Kapitel 30: Brief von Lea an Anna

Kapitel 31: Brief von Lea an Magnus

Kapitel 32: Brief von Magnus an Lea

Kapitel 33: Brief von Lea an Magnus

Kapitel 34: Brief von Magnus an Lea

Kapitel 35: Brief von Justus an Cathrin

Kapitel 36: Brief von Lea an Anna

Kapitel 37: Brief von Lea an Magnus

Kapitel 38: Brief von Anna an Lea

Kapitel 39: Brief von Lea an Anna

Kapitel 40: Brief von Magnus an Lea

Kapitel 41: Brief von Lea an Magnus

Kapitel 42: Brief von Magnus an Lea

Kapitel 43: Brief von Lea an Magnus

Kapitel 44: Brief von Cathrin an Lea

Kapitel 45: Brief von Lea an Anna

Kapitel 46: Brief von Magnus an Anna

Kapitel 47: Brief von Anna an Magnus

Kapitel 48: Brief von Leonard an Magnus

Kapitel 49: Brief von Anna an Lea

Kapitel 50: Brief von Lea an Anna

Kapitel 51: Brief von Justus an Anna

Kapitel 52: Brief von Anna an Justus

Kapitel 53: Brief von Anna an Lea

Kapitel 54: Brief von Magnus an Lea

Kapitel 55: Brief von Lea an Anna

Kapitel 56: Brief von Lea an Magnus

Kapitel 57: Brief von Anna an Lea

Kapitel 58: Brief von Lea an Anna

Kapitel 59: Brief von Magnus an Lea

Kapitel 60: Brief von Lea an Magnus

Kapitel 61: Brief von Magnus an Lea

Kapitel 62: Brief von Lea an Magnus

Kapitel 63: Brief von Magnus an Lea

Kapitel 64: Brief von Lea an Magnus

Kapitel 65: Brief von Magnus an Anna

Kapitel 66: Brief von Lea an Magnus

Kapitel 67: Brief von Lea an Anna

Kapitel 68: Brief von Anna an Lea

Kapitel 69: Brief von Lea an Anna

Kapitel 70: Brief von Anna an Lea

Kapitel 71: Brief von Magnus an Vatukai

Kapitel 72: Brief von Anna an Lea

Kapitel 73: Brief von Lea an Anna

Kapitel 74: Brief von Anna an Lea

Kapitel 75: Brief von Justus an Anna

Kapitel 76: Brief von Anna an Lea

Kapitel 77: Brief von Lea an Anna

Kapitel 78: Brief von Anna an Lea

Kapitel 79: Brief von Lea an Anna

Kapitel 80: Brief von Anna an Lea

Kapitel 81: Brief von Lea an Anna

Kapitel 82: Brief von Anna an Lea

Kapitel 83: Brief von Lea an Anna

Kapitel 84: Brief von Anna an Lea

Kapitel 85: Brief von Lea an Anna

Kapitel 86: Brief von Anna an Lea

Kapitel 87: Brief von Lea an Anna

Kapitel 88: Brief von Anna an Lea

Kapitel 89: Brief von Lea an Anna

Kapitel 90: Brief von Anna an Lea

Kapitel 91: Brief von Lea an Anna

Kapitel 92: Brief von Anna an Lea

Kapitel 93: Brief von Anna an Lea

Kapitel 94: Brief von Lea an Anna

Kapitel 95: Brief von Lea an Magnus

Kapitel 96: Brief von Magnus an Lea

Kapitel 97: Brief von Anna an Lea

Kapitel 98: Brief von Lea an Magnus

Kapitel 99: Brief von Lea an Anna

Kapitel 100: Brief von Anna an Lea

Kapitel 101: Brief von Anna an Lea

Kapitel 102: Brief von Magnus an Anna

Kapitel 103: Brief von Anna an Lea

Kapitel 104: Brief von Lea an Anna

Kapitel 105: Brief von Anna an Lea

Kapitel 106: Brief von Anna an Lea

Kapitel 107: Brief von Lea an Anna

Kapitel 108: Brief von Anna an Lea

Kapitel 109: Brief von Lea an Anna

Kapitel 110: Brief von Leonard an Lea

Kapitel 111: Brief von Anna an Lea

Kapitel 112: Brief von Lea an Magnus

Kapitel 113: Brief von Magnus an Lea

Kapitel 114: Brief von Lea an Anna

Kapitel 115: Brief von Anna an Lea

Kapitel 116: Brief von Lea an Leonard

Kapitel 117: Brief von Justus an Magnus

Kapitel 118: Brief von Magnus an Justus

Kapitel 119: Brief von Lea an Anna

Kapitel 120: Brief von Anna an Lea

Kapitel 121: Brief von Lea an Anna

Kapitel 122: Brief von Anna an Lea

Kapitel 123: Brief von Anna an Lea

Kapitel 124: Brief von Lea an Anna

Kapitel 125: Brief von Anna an Lea

Kapitel 126: Brief von Lea an Anna

Kapitel 127: Brief von Anna an Lea

Kapitel 128: Brief von Lea an Anna

Kapitel 129: Brief von Anna an Lea

Kapitel 130: Brief von Lea an Anna

Kapitel 131: Brief von Anna an Lea

Kapitel 132: Brief von Lea an Anna

Kapitel 133: Brief von Anna an Lea

Kapitel 134: Brief von Lea an Anna

Kapitel 135: Brief von Lea an Magnus

Kapitel 136: Brief von Magnus an Anna

Kapitel 137: Brief von Leonard an Lea

Kapitel 138: Brief von Anna an Lea

Kapitel 139: Brief von Vatukai an Magnus

Kapitel 140: Brief von Lea an Anna

Kapitel 141: Brief von Hanna an Magnus

Kapitel 142: Brief von Magnus an Hanna

Kapitel 143: Brief von Hanna an Magnus

Kapitel 144: Brief von Anna an Lea

Kapitel 145: Brief von Lea an Anna

Kapitel 146: Brief von Anna an Lea

Kapitel 147: Brief von Lea an Magnus

Kapitel 148: Brief von Magnus an Lea

Kapitel 149: Brief von Justus an Cathrin

Kapitel 150: Brief von Cathrin an Justus

Kapitel 151: Brief von Justus an Cathrin

Kapitel 152: Brief von Lea an Anna

Kapitel 153: Brief von Anna an Lea

Kapitel 154: Brief von Lea an Anna

Kapitel 155: Brief von Anna an Lea

Kapitel 156: Brief von Lea an Anna

Kapitel 157: Brief von Anna an Lea

Kapitel 158: Brief von Lea an Cathrin

Kapitel 159: Brief von Lea an Anna

Kapitel 160: Brief von Anna an Lea

Kapitel 161: Brief von Lea an Anna

Kapitel 162: Brief von Anna an Lea

Kapitel 163: Brief von Lea an Magnus

Kapitel 164: Brief von Magnus an Lea

Kapitel 165: Brief von Lea an Cathrin

Epilog: Brief von Anna an Dich

Prolog

Lieber Finder dieser Unterlagen,

das ist ein Teil meiner Lebensgeschichte. Ich habe diese Briefe sorgsam zusammengetragen, um dem aufmerksamen Leser die Wahrheit über mein Leben bekanntzugeben. Gehe sorgsam mit diesen Zeugnissen um, es sind die einzigen, die meine Geschichte wahrhaft erzählen.

Ich habe keine Ahnung, ob ich weiterhin überleben werde und falls ja, in welcher geistigen Verfassung. Doch soll man sich nicht an ein Monster erinnern, sondern an das, was ich war, bevor ich auf den Mann namens Vatukai Mordantus stieß. Und vielleicht kannst du sogar helfen, wenn du die Wahrheit kennst.

Mein Name ist Anna van Grothburg, Tochter von Beatrice und Vinzent van Grothburg. Meine Eltern haben noch zwei Söhne, Magnus und Leonard, die beide älter sind als ich.

Geboren wurde ich im Jahre 1982 in Deutschland und bin nun vierundzwanzig Jahre alt. Ich trage das magische, das berührte Blut in mir und wenn du ein normaler Mensch bist, so ist es sinnvoll, dir die Sache zu erklären, bevor du dich weiter darin verstrickst.

Du hast sicherlich schon von Telepathie oder Telekinese gehört? Also Gedanken lesen und Dinge bewegen mit der Kraft des Geistes? Es stimmt alles! Nicht viele können dies und es gibt unter ihnen einige wenige, die noch weit größere Dinge zu tun vermögen als einen Löffel zu verbiegen oder eine verdeckte Karte zu erraten.

Wir nennen sie die Berührten, weil die Gabe der Magie sie gestreift hat.

Ich gehöre zu ihnen und meine Gabe ist es, Gefühle zu erspüren.

Leider bleibt mir nicht die Zeit, noch mehr zu erläutern, doch ich hoffe, dass weiteres aus den Briefen hervorgeht. Mein Leben, oder viel mehr der Funke, der noch vorhanden ist, zwingt mich, diese Erklärung so kurz wie möglich zu halten.

Anna

Kapitel 1Brief von Anna an Lea

Hallo Lea,

verzeihe mir, dass ich mich erst jetzt melde und deinen Geburtstag verpasst habe. Es war mir aber nicht möglich, dir vorher einen Brief zu schreiben. Du weißt ja, mein Vater hat mir strikt verboten, Kontakt nach Deutschland zu halten. Seit fast acht Jahren hocke ich hier in Bulgarien und vermisse euch. Dich, Justus und Simon, die ihr zurück in Deutschland bleiben musstet. Ich hoffe, dass Vater es nicht gleich erfährt, aber es kann seine Arbeiten doch nicht gefährden? Trotzdem habe ich unsere jetzige Brieffreundschaft vor meiner Verwandtschaft geheim gehalten. Ist wohl besser, bevor Vater wieder einen seiner cholerischen Anfälle bekommt.

Es tut mir so gut, eine Freundin wie dich zu haben. Ich weiß, eigentlich darf ich dir das nicht berichten, aber ich habe hier kaum Vertraute und bei dir sind meine Gedanken und Gefühle gut aufgehoben. Ich sterbe fast vor Angst, ich muss es dir erzählen: Es ist Schreckliches geschehen. Gestern beim Frühstück sind mindestens sieben Uniformierte des bulgarischen Ministeriums in unser Anwesen gestürmt und wollten meinen Vater Vinzent und meine beiden Brüder, Magnus und Leonard, verhaften.

Sie wussten von Vaters Forschungen und haben ihm Experimente an Menschen vorgeworfen. Sie sagten, er hätte die Erforschungen des Untodes auch an lebenden Wesen ausgeführt und Magnus, mein ältester Bruder, wäre nun einer von ihnen.

Dann eskalierte die Sache. Alle sind total ausgerastet, mein Vater war empört und stritt mit den Beamten. Meine Mutter brach zusammen und weinte. Leonard sagte gar nichts, aber Magnus zog blitzschnell eine Pistole aus dem Bund seiner Hose. Er schoss und traf den Brustkorb eines Uniformierten. Blut sprudelte aus seiner Wunde und er brach augenblicklich zusammen. Es war schrecklich, Leonard zerrte mich an sich und hielt mir krampfhaft die Augen zu.

Ich hab keine Ahnung, was dann genau geschah. Ich hörte nur die Schreie meiner Mutter und Schüsse einer zweiten Waffe. Dann spritze Blut auf mein Gesicht, ich wusste, dass es Blut war, denn ich konnte es schmecken.

Ein weiterer Schuss ging direkt neben meinem Ohr in die Wand. Kurz darauf sank mein Bruder Leonard zusammen, seine Finger lösten sich von meinem Gesicht und ich konnte sehen, was vor sich ging. Ich versuchte ihn zu halten und gleichzeitig die Situation einzuschätzen.

Überall war Blut und ein totales Durcheinander. Mein Vater wurde von zwei Beamten festgehalten, er wehrte sich. Meine Mutter lag zusammengesunken und weinend am Boden. Ungefähr drei Beamte rannten hinaus, ich glaube Magnus hinterher. Ich konnte ihn aber nicht sehen, darum weiß ich es nicht genau.

Das Gewicht von Leonards Körper zog mich zu Boden. Er hielt sich den Hals. Rot lief es seine Haut entlang. Ich legte ihn hin und sah ihm in die braunen Augen. Sein schwarzes, kurzes Haar war blutverschmiert und er lächelte noch einmal, dann nahm ihm der Blutverlust die Sinne. Oh, ich betete in diesem Augenblick, dass er nicht sterben würde. Ich presste meine Hände auf die Wunde an seinem Hals und spürte das warme Blut, welches seinen Körper verlassen wollte, wie es durch meine Finger floss.

Oh mein Gott, ich hatte solche Angst… und überall Blut… sein Blut!

„Hilfe! Bitte helft ihm“, schrie ich.

Ein Beamter zielte mit seiner Pistole auf mich und sagte gereizt: „Geh da weg, du dummes Gör!“

„Nein, so helft ihm doch!“ Ich wandte mich an meine Mutter: „Mutter, er stirbt!“

Ein weiterer Beamter riss mich schmerzhaft von Leonards Seite. Ich schrie und wehrte mich. Der Uniformierte holte aus und der Kolben der Pistole traf mich am Hinterkopf. Mehr weiß ich nicht.

Als ich wieder erwachte, war ich allein in meinem Zimmer. Mutter hatte mir eine Notiz hinterlassen. Sie schrieb, dass sie Vater und Leonard verhaftet hätten und Magnus geflohen sei. Sie würde zurückkommen, sobald sie mehr wüsste.

Mutter ist jetzt im Ministerium bei ihnen. Ich sitze immer noch hier auf meinem Bett und habe keinen Schimmer, was ich machen soll. Panik, Angst, Hilflosigkeit, alle Gefühle spüre ich derzeit gleichzeitig. Und ich habe absolut keine Ahnung, was ich tun kann. Ich musste dir einfach schreiben. Wer weiß, wann wir uns wiedersehen.

Ich habe solche Angst. Ich hoffe, dass Alexander oder Cathrin gleich vorbeikommen. Ich habe sie gerade angerufen. Ich will nicht allein sein.

Ich hoffe, dieser Brief erreicht dich schnell.

Deine Freundin

Anna

Kapitel 2Brief von Lea an Anna

Liebe Anna,

oh, verdammt! Ich hoffe, Leonard hat überlebt. Ich habe vorhin mit Cathrin telefoniert, doch sie wusste auch nichts Genaueres. Warum gehst du nicht ans Telefon?

Wie hat das Ministerium von der Arbeit deines Vaters erfahren? Seid ihr nicht extra deshalb nach Bulgarien gezogen, weil die Gesetze dort anders ausgelegt werden? Er hat doch nicht wirklich an Menschen Experimente gemacht, oder? Das kann ich gar nicht glauben. Und Magnus untot? So ein Schwachsinn, so weit würde dein Vater doch niemals gehen! Ich meine, euer Name „van Grothburg“, muss schließlich einem gewissen Ruf gerecht werden. Er würde niemals euren Stand in Mitleidenschaft ziehen, oder?

Ich würde mir so wünschen, dass du so schnell wie möglich nach Deutschland kommen kannst. Wir könnten dich und deine Brüder hier auch aufnehmen, damit ihr aus der Gefahrenzone seid. Simon würde in seinem Appartement sicherlich auch noch etwas Platz haben.

Wir vermissen dich sehr. Bitte antworte mir schnell. Anna, ich sorge mich.

Liebe Grüße

Lea

Kapitel 3Brief von Anna an Lea

Hallo Lea,

schnell hat mich deine Antwort erreicht. Am Telefon kann ich nicht mit dir sprechen, denn ich vermute mal, wir werden abgehört. Und du darfst auf keinen Fall an meine Eltern schreiben!

Es war mir strikt untersagt, Kontakt zu irgendjemandem von damals zu halten. Verzeih, Genaueres kann ich dir nicht mitteilen. Wer kann schon sagen, ob dich dieser Brief ungelesen erreicht?

Meine Mutter wird mich aller Wahrscheinlichkeit nach auf unsere Ländereien nach Deutschland schicken, aber versprechen kann ich dir leider nichts dergleichen. Wann ich hier aufbrechen kann, ist ungewiss, zu aufrührerisch sind die Leute in meiner Nähe. Ich fürchte die aufgebrachten Massen. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie brutal sie hier gegen beschuldigte Verbrecher vorgehen. Ich komme mir vor wie im Mittelalter.

Mein Vater ist zurzeit im Gefängnis. Leonard liegt dort im Gefängniskrankenhaus. Und ja, er lebt. Gott sei Dank. Doch sie schleifen ihn immer wieder zum Verhör. Er weigert sich, ein einziges Wort mit ihnen zu sprechen. Es ist außerdem gar nicht abwegig, dass sie ihn foltern, um Antworten aus ihm herauszupressen. Ich habe solche Angst um meinen Bruder.

Noch durfte ich ihn nicht besuchen, nur Mutter war gestern bei ihm. Sie sagt, er liegt im Fieber und die Ärzte helfen erst, wenn er spricht.

Natürlich sagen sie das nicht offiziell, aber dieser Gedanke stand meiner Mutter förmlich auf die Stirn geschrieben.

Von meinem Vater wissen wir gar nichts, nur, dass er im Gefängnis auf seine Anhörung wartet. Sie ist in zwei Tagen. Wir kennen noch nicht einmal die genauen Anklagepunkte, wie sollen wir uns denn da verteidigen?

Magnus ist immer noch fort. Ich habe wirklich keine Ahnung, wo mein ältester Bruder ist. Die Polizei offensichtlich auch nicht, denn ich werde auf Schritt und Tritt beobachtet. Falls er noch in der Nähe ist, so kann er keinen Kontakt zu uns aufbauen. Wäre Leonard der Geflohene, so wäre er bestimmt auf die Idee gekommen und hätte dir oder wenigstens seinem alten Kumpel Simon geschrieben.

Ach, alles ist so schrecklich! Seit wir in Bulgarien wohnen, hat sich Magnus von uns abgekapselt. Mit Vater kam er noch gut aus, aber zwischen meinen beiden Brüdern liegen momentan Welten. Sie haben sich zum Ende hin nur noch gestritten. Wie konnte das denn geschehen?

Ich meine warum? Was hat sich denn verändert? Wir waren uns doch immer so nah. Ich liebe sie beide und nun sie sind mir so fremd geworden.

Mutter weint den ganzen Tag lang. Wie kann sie nur so da hocken? Sie müsste Briefe an unsere Freunde schicken – aber nichts – sie sitzt nur da und weint. Ich kann das nicht für sie tun. Sie muss unsere Leute anrufen, unsere Kontakte und Freunde. Auf mich hört doch keiner, wieso tut sie denn nichts?

Ich blättere unentwegt in Büchern, um nach Hilfe für die Anhörung zu suchen, aber ich finde nichts, was uns helfen könnte. Ich kann nicht mehr, ich halt das alles nicht mehr aus.

Verzeih, wenn ich den Brief hier abrupt beende, ich muss weiter nach Möglichkeiten zur Verteidigung suchen, dem Anwalt traue ich nicht.

Auf hoffentlich bald

Deine Anna

Kapitel 4Brief von Lea an Anna

Hallo Anna,

wie gerne würden wir dir helfen, nur wie? Simon und ich sind entsetzt über deine Zeilen, aber vielleicht wendet sich das Blatt ja von selbst. Du glaubst doch, dass sie unschuldig sind, oder? Was du über die Begebenheiten erzählst, erschreckt mich sehr. Schwebst du denn auch in Gefahr? Ich meine, du persönlich bist doch nicht verdächtigt worden? Du könntest doch gehen, wenn du wolltest? Oder?

Es ist kaum verständlich, wirklich unfassbar, dass die Ärzte Leonard nicht helfen. Die Ministeriumsleute sollten nicht auf Folter zurückgreifen.

Von Magnus habe ich leider nichts gehört, doch du darfst die Hoffnung nicht aufgeben, vielleicht geschehen doch noch Wunder.

Ich hoffe, die Anhörung deines Vaters bringt Neues und Gutes. Da sie noch keine Anklage erhoben haben, werden wohl nur Vermutungen geäußert. Also Kopf hoch, das wird bestimmt wieder.

Liebend gerne würde ich dir helfen, mich um dich und deine Mutter und die Anhörung kümmern, doch ich sitze hier fest und fühle mich hilflos und kann dir nur Mut zusprechen. Und was ist überhaupt mit Cathrin und Alex? Haben sie denn keinen Plan? Alexander ist doch selbst Beamter im Ministerium, müsste er nicht irgendwie helfen können?

In der Hoffnung schnell von dir zu hören

Deine Lea

Kapitel 5Brief von Anna an Lea

Hey Lea,

ich fürchte, das Ministerium hier in Bulgarien ist durchgreifender als in Deutschland. Heute schon war die Anhörung. Es war entsetzlich! Mutter und ich hatten uns natürlich nicht vorbereiten können; absolut nichts von Wert, mit dem wir hätten auftrumpfen können.

Wir wurden gleich morgens in die Gerichtsabteilung geführt. Zunächst hatten wir Glück, denn durch unsere Beziehungen gelang es uns, vor der Verhandlung noch mit Vater und Leonard zu sprechen. Allerdings getrennt. Meine Mutter zog es vor, nur Vater zu sehen, Leonard wollte sie allem Anschein nicht entgegentreten. Die Gründe hat sie mir, selbst nach vielen Fragen, nicht genannt. Immerhin hatte sie nichts dagegen, dass ich zu Leonard ging.

In der Eingangshalle wurde ich gleich von zwei Beamten abgeholt. Beide waren groß und stämmig und allein das bereitete mir schon Unbehagen.

Doch als sie mich dann auch noch nach unten durch viele tiefe und enge Gänge geleiteten, wurde aus Unbehagen schnell Beklemmung. Es gab keine Fenster und die Steine an den Wänden waren nass und feucht.

Eiskalt lief es mir den Rücken herunter. Jeder Schritt hallte von den Wänden und in der Ferne hörte ich leises Wehklagen. Mein Bruder?

Unten angelangt, kamen wir etwa an sieben Türen vorbei, der Gang verlief noch weiter, aber wir stoppten an der achten Tür. Die zwei Wachen steckten die Köpfe zusammen und flüsterten etwas, das ich nicht verstand. Danach lächelte der Größere von beiden fies zu mir herunter und ging dann den Gang weiter. Der andere Wärter öffnete die schwere Holztür und führte mich in den Raum dahinter. Hier standen nur ein alter Tisch, vier Stühle und an dem anderen Ende eine Art eiserner Ring am Boden. In dem Raum war noch eine Tür, weiter hinten.

Ein klickendes Geräusch hinter mir ließ mich erschreckt herumfahren.

Mit einem boshaften Lächeln schloss der Wärter die Tür hinter sich. Bei seinem Blick wurde mir ganz flau im Magen. Wie dumm war ich, alleine hier herzukommen? Dabei wusste ich doch, wie wütend alle auf uns waren, seitdem die Forschungen meines Vaters veröffentlicht worden sind.

Sollte ich versuchen zu schreien? Zu fliehen? Oder war meine Angst doch völlig unbegründet?

Der Mann packte mich an der Schulter und riss meine Hand hoch, zog meinen Arm an sich und raffte den Ärmel hoch. Er schien nach etwas zu suchen. Als er es nicht fand, packte er mir an den Hals und begutachtete dort die Haut. Bis jetzt ist mir nicht klar, was er dort suchte.

Der Beamte schien zufrieden mit den Ergebnissen seiner Begutachtung, jedenfalls huschte kurz ein Lächeln über seine Züge. Aus seiner Jackentasche holte er eine kleine Münze, drückte sie mir in die Hand und deutete auf die Tür. „Er ist dahinter.“ Seine Stimme klang schroff und ungehobelt „Gib ihm das von mir. Sag ihm, es muss sein!“ Dann erst entriegelte er das Schloss zu Leonards Gefängniszelle. „Ich lass euch allein, ihr habt etwa eine halbe Stunde, dann hole ich euch zur Anhörung ab.“

Im Fackellicht betrachtete ich die Münze näher. Sie war aus Kupfer und eine greifende Hand war darauf geprägt. Als ich das Metall in meiner Hand umdrehen wollte, sagte der Beamte: „Geh jetzt!“

Er öffnete die Tür und ich ging hindurch. Das Klicken der Riegel, als er die Tür direkt hinter mir wieder schloss, hallte von den nackten Wänden.

Hier war es noch düsterer als im Gang, nur eine einzige Fackel beleuchtete den großen kuppelförmigen Raum. Ich brauchte einige Sekunden, bis ich mich an dieses Dämmerlicht gewöhnt hatte, doch dann sah ich das Gewölbe deutlicher.

Es war nass und zu meinen Füßen waren große Pfützen. An den Wänden waren kleine Rinnsale, aus denen stetig Wasser tröpfelte. Dies musste ein Raum tief unter der Erde sein, sodass sich das Grundwasser einen Weg durch die Steine schaffen konnte. Auf dem Boden lag wild verstreut Stroh und ich glaube, ich konnte sogar Ratten in der Ecke rascheln hören. Es war grausig und ich sah Leonard nicht. War das doch eine Falle, um mich loszuwerden? Ich trat ein paar Schritte in die Mitte des Raumes und sah dann eine gekrümmte Gestalt im hinteren Teil liegen.

Ich lief hastig zu ihm. Leonard lag eingewickelt unter einem Mantel und zitterte. Ich wollte ihm die Kapuze vom Kopf ziehen und mich vergewissern, dass er es auch wirklich war. Aber als ich seinen Kopf berührte, zuckte er gequält zusammen und schrie: „Nein… nein, nein...!“,

und dann leise weinend: „Bitte nicht. Bitte.“

So habe ich ihn noch nie in meinem Leben gesehen. Er war immer ein fröhlicher, stolzer, junger Mann gewesen. Was hatten sie ihm angetan?

„Leonard, ich bin es, Anna“, ich kniete mich zu ihm auf den harten und eiskalten Boden. „Leonard, Bruder! Ich bin es. Niemand tut dir jetzt etwas. Bitte schau auf.“

Tränen traten in meine Augen, ich konnte sie nicht aufhalten. Aber es war dumm von mir zu weinen – ich musste doch stark sein.

Neuer Mut schien durch Leonard zu fließen als er meine vertraute Stimme vernahm. Er zog sich mit aller Kraft hoch, taumelte und stützte sich an der Wand ab. Er blickte mich nicht an, er redete mit dem Gesicht zu den Steinen.

„Anna, wieso bist du hier?“ Ein tiefer Seufzer kam von ihm. Im ersten Augenblick dachte ich, er bricht wieder zusammen, aber er hielt sich dann doch allein auf den Beinen.

„Du dummes Mädchen. WIESO bist du hier?“

„Leonard, ich… deine Anhörung ist heute… und…“, aber er unterbrach mich.

„Anhörung?“ Ein lachendes Schnaufen kam von ihm. „Nein, wohl kaum… wohl eher meine Verurteilung. Geh, Anna, du kannst nichts ausrichten, nimm Mutter und flieht nach Deutschland.“

„Nein! Nicht solange der Hauch einer Chance besteht, dich hier raus zu kriegen“, protestierte ich.

„Anna, ich diskutiere nicht mit dir. Ich will und werde nicht dulden, dass wir alle mit hineingezogen werden.“

Er rappelte sich etwas auf. Ein guter Schauspieler war er noch nie gewesen, ich sah ihm an, wie viel Kraft es ihm abverlangte. Er wandte sich um und sah mir in die Augen. Ich hätte am liebsten geschrien, denn sein Anblick nahm mir kurz die Kraft und blankes Grauen durchfloss meine Adern. Zum ersten Mal seit Tagen sah ich wieder in sein Gesicht, doch – bei Gott! – was hatten sie ihm angetan? Es war blass und ausgemergelt. Sein hübsches Gesicht hatte so gut wie nichts mehr von seiner ursprünglichen Schönheit. Das linke Auge war blau und blutunterlaufen, die Nase schien gebrochen und auf der geschwollenen Lippe klebte noch geronnenes Blut. Als ich ihn so sah musste ich mich erst einmal fassen. Bloßes Entsetzen bereitete sich in mir aus. Nein, Mutter hatte Recht, wie konnten sie nur? Sie hatten es gewagt, einen van Grothburg zu foltern. Ich schwöre dir, dieses Verbrechen bleibt nicht ungesühnt.

„Anna, wie du siehst, ist es sinnlos, ich bin schon tot. Vergiss mich und geh! Bitte… ich liebe dich zu sehr, als dass ich will, dass dir so etwas wie mir zustößt.“

Was soll man dazu sagen? Wärst du etwa gegangen? Nein. Und ich auch nicht. Ich fasste mich und bekam zitternd meine Stimme zurück.

„Leonard, der Wächter gab mir etwas für dich. Er meinte, es müsse sein.“

„Anna, du dickköpfiges Ding, hau…“, aber er stockte als er die Münze in meiner offenen Hand sah. „ANNA? Wieso...“ Er riss mir die Münze aus der Hand, plötzlich war Leonard wie ausgewechselt. Soviel Kraft, wie er jetzt versprühte, hätte ich Sekunden vorher niemals vermutet. „Verdammt noch mal! Magnus, dieser Idiot! Verdammt! Anna, raus hier! Geh! Zum Henker noch mal, renn um dein Leben, flieh sofort aus Bulgarien!“

„Leonard, ich versteh nicht was…?“

Aber die Tür ging auf und wir wurden unterbrochen.

„Raus hier, Mädchen“, sagte eine tiefe, kratzige Stimme. Sie gehörte einem der drei Wächter, die soeben eintraten und sich neben uns stellten.

Mein Blick traf Leonard, doch seine Miene war unergründlich. Was sollte ich jetzt tun? War unsere Zeit schon um? Und ich hatte doch keine Möglichkeit gehabt, alles mit Leonard zu klären. Im Gegenteil, nun hatte ich nur noch mehr Fragen.

Ich zögerte, die Worte des Wächters kamen so plötzlich. Ja, so unwirklich. Nein, ich würde ihn niemals alleine lassen!

„Leonard?“

Sein Blick wurde besorgter und er schüttelte kaum merklich den Kopf.

Leonard formte stumm mit den Lippen ein Wort: „Geh.“

„Niemals!“, schrie ich in meinem eigenen Entsetzen.

Nein, das wollte ich nicht. Die Wächter dachten bestimmt, ich wurde aufmüpfig und das wäre die Antwort auf ihren Befehl gewesen. Nein, das wollte ich wirklich nicht. Einer der Wächter packte mich und der andere gab mir eine saftige Ohrfeige. Leonard wollte einschreiten, doch er wurde nur lachend von dem Dritten festgehalten und bekam einen Ellenbogen in den Magen gerammt.

„Geh! Nein, Mädchen, besser: Renn!“, sagte der Wärter noch einmal, aber diesmal lachte er gehässig.

Leonard nickte und ich lief weinend und voller Angst aus dem Raum. Im Gang angelangt hörte ich von den Wänden widerhallend, wie die Wächter ihr fieses Machwerk an Leonard ausübten. Folter und Gewalt. Es hörte sich an, als sei er bald dem Tode nahe. Ich stand nur da, presste die Hände auf meine Ohren und lehnte mich gegen die kalte Wand. Wie habe ich gebetet, dass es schnell vorbei sein würde, und bei Gott ich war zu feige, mich ihnen in den Weg zu stellen.

Nach einigen Minuten hörten seine Schreie kurz auf und ich hörte Schritte näher kommen. Einer der Männer trat aus dem Raum, es war jener, der mir die Münze gegeben hatte. Nachdem er die Tür wieder verschlossen hatte, begann Leonard erneut markerschütternd zu schreien.

Der Beamte geleitete mich zwei Türen im Gang weiter. Hier hörte ich Leonard nicht mehr, doch ich wusste, dass er noch immer litt.

„Dort drin sind deine Mutter und dein Vater. Ihr habt nur noch…“, er nickte in den Gang hinüber zu der Tür vor Leonards Gefängnis, „wenige Minuten, bis wir fertig sind und euch zur Anhörung bringen.“

Er schloss die Tür vor uns auf und schob mich hindurch. Hinter mir schloss er wieder ab.

Dieser Raum war dem anderen sehr ähnlich, nur dass hier zwei Stühle im Vorraum standen und die Tür, die bei Leonard in den kuppelartigen Raum führte, verschlossen schien. Die Gestalt meines Vaters war wesentlich ungeschundener als die meines Bruders. Er hatte noch immer jene stolze Haltung, zu der Leonard soeben nur unter großer Anstrengung in der Lage gewesen war. Auch er schien gefoltert worden zu sein, doch entweder nicht so hart wie Leonard oder mein Vater hatte mehr Lebenswillen.

Meine Eltern waren mittig im Raum. Meine Mutter saß auf einem der Stühle und mein Vater stand aufrecht neben ihr, die Händen gerade im Rücken. Sie weinte. Mal wieder.

Mir durften die Tränen nicht in den Augen stehen, ich hatte sie im Gang weggewischt und ich duldete keine neuen.

„Anna“, sagte mein Vater streng. „Ich will dich und deine Mutter nicht hier haben. Geht jetzt nach Hause. Ihr könnt ohnehin nichts ausrichten und ich will nicht, dass ihr seht…“ , er unterbrach sich. „Geht!“

Die Tür wurde wieder geöffnet, zwei neue Wärter und der mit der Münze kamen hinein. Sie stellten sich links und rechts von der Tür auf.

„Wenn ich bitten darf“, sagte ein Wächter und gestikulierte zum Ausgang.

Mein Vater schritt erhobenen Hauptes hinaus, doch auf dem Flur stoppte er. Sein Blick fiel auf Leonard. Er war zusammengesunken, nur links und rechts unter den Armen von zwei weiteren Wärtern gehalten. So schleiften sie Leonard mittig durch den Gang.

Vater verzog missachtend das Gesicht, spuckte meinem Bruder vor die Füße und schritt voraus, begleitet von den Wärtern. Mutter und ich blieben mit dem mir bekannten Wachmann vor der Tür stehen.

Als diese bizarre Prozession an uns vorbeischritt, dachte ich, mein Herz hört auf zu schlagen. Vor allem schämte ich mich dafür, dass ich nicht handelte.

Als Leonard auf gleicher Höhe an uns vorbei kam, schaute er kurz hoch.

Blut tropfte ihm aus der Nase und fiel dann zu Boden. Mutter blickte weg und zeigte so demonstrativ ihre Abneigung. Leonard nickte leicht zu ihr hin, schaute mir dabei in die Augen und flüsterte kaum hörbar: „Tue es ihr gleich! Ist für alle besser.“

Das war es. Ich sitze hier jetzt zu Hause und warte seit Stunden auf das Ende der Anhörung. Ich weiß nicht wie lange sie noch gehen mag, Stunden, Tage oder gar Wochen?

Ich hoffe, ich kann dir bald wieder unentdeckt schreiben.

Deine Anna

Kapitel 6Brief von Lea an Anna

Meine liebe Anna,

Folter, Gewalt! In welchem Jahrhundert leben wir eigentlich? Justus geht bei deinen Worten gerade an die Decke. Er nimmt gerade meinen Arbeitsraum auseinander. Simon versucht ihn zu beruhigen. Justus wollte nach deinen Zeilen gleich zu dir eilen, doch sein Vater hat es ihm verboten. Wir bleiben erst einmal hier, doch bitte halte uns auf dem Laufenden.

Kannst nicht wenigstens du zu uns kommen? Bitte, sprich mit deiner Mutter, dass sie dich nach Deutschland schickt. Leonard und dein Vater haben Recht. Es wird zu gefährlich für euch in Bulgarien.

Es ist entsetzlich zu lesen, wie das Ministerium bei euch Verdächtige und Gefangene behandelt. Sind diese Taten dadurch besser, dass sie im Namen des ‚Gesetzes’ oder des ‚vermeintlichen Rechts’ geschehen? Ich glaube kaum, denn durch diese Art sind diese Menschen nicht besser als die mutmaßlichen Bösen.

Ich hoffe, die Verhandlung war nicht nur eine Demonstration des Durchgreifens und dein Vater und Leonard hatten die Möglichkeit, sich zu verteidigen.

Du erwähntest, dass dein Bruder von Magnus sprach. Ich hoffe so sehr, dass Magnus die Flucht geglückt ist und er sich bei Freunden befindet.

Doch es scheint mir, dass deine Brüder und dein Vater tiefer in diese Sache verstrickt sind als es auf den ersten Blick scheint. Sind sie wirklich unschuldig?

Was geschieht dort mit euch? Wie konnte diese Welt so aus dem Gleichgewicht geraten? Ich bin traurig und wütend zugleich, dass ich dir nicht helfen kann und du ohne Eigenverschulden in eine Tragödie hinein geraten bist. Doch was hat Leonard getan, dass sich deine Mutter von ihm abwendet und er das gleiche Verhalten von dir verlangt? Ich kenne Leonard nur als lieben und gutherzigen Menschen. Was ist mit ihm geschehen? Was macht diese Zeit aus uns?

Meine Sorge um dich und deine Familie wächst jeden Tag mehr. Doch die Hoffnung stirbt zuletzt und ich bete und flehe, dass alles ein gutes Ende nimmt und, dass Ministerium einen Fehler begangen hat. Ich wünsche mir so sehr, dass diese dunklen Zeiten schnell vorbei gehen.

Bleib stark, Anna. Ich halte zu dir und bin immer für dich da. Du bist nicht allein, du hast Freunde!

In Sorge, deine Lea

Kapitel 7Brief von Anna an Lea

Liebste Lea,

die Anhörung wurde nach der ersten Sitzung verschoben. Das heißt, es ist immer noch alles wie zuvor. Leider weiß ich nicht mehr, als ich dir schon berichtet habe. Ich habe keine Ahnung, in was wir da hinein geraten sind, ich kann nur Vermutungen anstellen.

Tage vor der Verhaftung hatten wir am späten Abend einen mächtigen Streit im Haus. Ich habe es von der Treppe aus mitbekommen, als ich gerade zu Bett gehen wollte. Ich blieb stehen, um zu lauschen.

Vater und Leonard waren im Salon hinter der Treppe. Die Tür war einen Spalt breit offen und so konnte ich sehen, was vor sich ging.

Vater schrie auf Leonard ein, hob die Hand hoch und ballte drohend die Faust.

„Du wagst es, mir entgegen zu treten?“, brüllte mein Vater Leonard an.

„Nein, Vater! Ich sage, dass ihr falsch handelt. Was du und Magnus tun sollt, ist nicht richtig. Lasst es sein. Es wird nur Leid über unsere Familie bringen“, erwiderte Leonard energisch.

Im Raum hinten schwang die andere Tür zum Salon auf. Magnus trat hinein. Er schien von draußen zu kommen. Sein schwarzer Mantel war klitschnass vom Regen. Ich zuckte zusammen, denn seine große Erscheinung wirkte im ersten Augenblick beunruhigend.

Vater drehte sich erschrocken herum: „Grundgütiger!“ , er ließ seine Hand sinken. „Wage es ja nie wieder, mich so zu erschrecken!“

„Ha, ihr hattet also Spaß ohne mich? Eure Gestiken deuten auf eine nette Unterhaltung hin.“ Magnus lachte verschmitzt und streifte sich die Kapuze ab. Sein langes schwarzes Haar wurde sichtbar. Auch er hat immer noch diese großen, dunklen Augen, die so typisch für die van Grothburgs sind. Seine Gesichtszüge sind markant. Mein Bruder machte mit seinen 29 Jahren einen verwegenen Eindruck, ich verstehe durchaus, warum er solch einen Erfolg bei den Frauen hatte.

„Hallo Magnus“, sagte Leonard.

„Mein Junge, wie ist es gelaufen?“, fragte Vater.

„Nein, du wirst doch nicht? Heute…? Nein, ich glaub es ja wohl nicht!“

Leonard schien schockiert, er drehte sich der Kommode zu und schlug mit der Faust auf die Platte. Eine der größeren Porzellanfiguren fiel herunter und barst in tausend Splitter. Ich zuckte zusammen, als ich das laute Geräusch des zerbrechenden Porzellan hörte.

„Ach, Leonard, du Weichei“, spottete Magnus immer noch in gar prächtiger Laune „so wirst du nie Anerkennung erlangen.“

Magnus zog den Mantel aus und warf ihn über den Stuhl, nahe dem Kamin. Er trug ein weißes Hemd. Es war schmutzig und blutbefleckt.

„Und wie ich sehe, Sohn, scheinst du auch eine Menge Spaß gehabt zu haben!“, Vater schmunzelte hochnäsig.

„Ja, Vater, den hatte ich. Du hättest diesen Blutverräter mal sehen sollen, als er um sein Leben winselte. Armselig!“, spottete Magnus.

Bei diesen Worten schien Leonard die Fassung zu verlieren. „NEIN! Du hast tatsächlich getan, was sie verlangt haben?“

„Nun reg dich nicht so auf, Leonard. Was ist schon dabei?“, Magnus hob eine Augenbraue. „Und wenn du dabei gewesen wärst, wäre es bestimmt noch ein Ticken lustiger geworden!“, er lachte und öffnete sein beflecktes Hemd. „Meine Güte, das Hausmädchen wird eine Menge Arbeit mit dem Teil haben“, sagte Magnus höhnisch und streifte sich das Hemd vom Körper. „Ich befürchte, das Blut geht nicht mehr so einfach raus.“

„Bist du denn des Wahnsinns? Seid ihr denn alle verrückt geworden?“, schrie Leonard die beiden an.

„Halt den Mund Leonard!“, erwiderte Vater schroff. „Wenn dir unsere Entscheidungen missfallen, da drüben ist die Tür!“

„Oh, natürlich! Ich werde dieses Angebot dankend annehmen und Anna nehme ich mit mir!“ Leonard wandte sich zur Tür, um zu gehen.

Was daraufhin geschah, ist mir unbegreiflich. Unmenschlich schnell und fast nicht wahrnehmbar, spurtete Magnus zur Kommode. Er hob eine große Scherbe der zerbrochen Figur vom Boden, packte Leonard von hinten und hielt sie ihm an die Kehle.

Einige Sekunden lang herrschte absolute Stille. Keiner regte sich. Ich hörte Leonard tief einatmen und Magnus leise lachen, dann erhöhte Magnus fast zärtlich den Druck auf der Scherbe. Leonards Haut öffnete sich und ein kleines Rinnsal Blut floss seine Kehle hinab.

„Sie gehört nicht dir, Leonard“, sprach Magnus ruhig und in fast liebevollem Ton. „Geh, wenn du willst, aber sie bleibt!“

Leonard packte die Hand von Magnus und entwand sich ein wenig seines Griffs, um zu sprechen.

„Das kann ich nicht zulassen. Solange ich eine Seele habe, werde ich dafür sorgen, dass sie nicht mit reingezogen wird!“

Magnus ließ ab von ihm und lachte wieder. „Seele? Ha, eindeutig überbewertet.“ Mit dem Finger fuhr er dabei über die Scherbe, als er nun auf seinen Finger sah, klebte Leonards Blut daran. Er schaute tief in Leonards schockierte Augen und leckte das Blut genüsslich ab.

„Ich sag’s ja!“, mit böse funkelnden Augen starrte Leonard zu Vater „Ihr seid wahnsinnig! Alle Beide!“

Dann musste ich schnell nach oben, denn Leonard ging aus dem Raum in meine Richtung. Ich weiß nicht, worum es genau ging und warum ich nicht mit Leonard mitgehen sollte, aber es hört sich sehr beängstigend an.

Lea, was hältst du davon? In meinem Kopf kann ich keinen klaren Gedanken mehr fassen. Zu beunruhigend spuken die wildesten Fantasien und Verschwörungen in meinem Kopf herum. Alexander habe ich nicht mehr erreicht. Er ist zurzeit oft im Ministerium, aber ich hätte ihn jetzt gerne an meiner Seite.

Cathrin kommt übermorgen erst zurück, sie ist zu ihrer Familie gefahren.

Ich habe Angst und es ist nun keiner da, an den ich mich wenden kann.

Deine Anna

Kapitel 8Brief von Lea an Anna

Liebste Anna,

wir hatten gehofft, dass mit dieser Anhörung das Drama ein Ende nehmen würde. Doch musste ich mit Schrecken lesen, dass das Ministerium euch weiter quält.

Als ich das von dem Streit deines Vaters mit Leonard gelesen hatte, konnte ich es kaum glauben.

Ich meine, Leonard hat recht, Magnus benimmt sich eindeutig wie ein Wahnsinniger. Um ehrlich zu sein, bin ich erschrocken, wie sehr sich dein Vater und Magnus geändert haben.

Ich kann mir denken, was ihn so veränderte. Die Arbeit deines Vaters scheint ihn zu einem Besessenen gemacht zu haben oder liege ich da falsch? Und auch Magnus? Was ist aus ihm geworden? Ist es vielleicht das untote Blut in ihm? Ist er in die Studien deines Vaters so involviert, dass er zu dem wurde, woran dein Vater all die Jahre geforscht hat?

Magnus scheint es zu genießen, anderen wehzutun und ihnen zu drohen.

Würde er gar so weit gehen, einen anderen Menschen zu töten?

Kann es sein, dass die Anschuldigungen wahr sind? Ich meine Vampire?

Ich wünsche mir so, dass ich mich irre. Du weißt, wie viel mir Magnus immer bedeutet hat. Und so frage ich mich, was treibt einen dazu, sich so zu verhalten?

Ich hoffe, dass die nächste Anhörung zu einem Ergebnis kommt und du Antworten auf alle Fragen findest.

Bleib stark, meine liebe Freundin, und antworte bitte schnell. Simon, Justus und ich denken an dich.

Deine Lea

Kapitel 9Brief von Anna an Lea

Hallo Lea,

ich bin in tiefer Not und erbitte dringend deine Hilfe. Verzeih, dass es jetzt kein anders Thema gibt und ich erst in einem späteren Brief auf den deinen zurückkommen kann. Doch ich berichte hastig von Anfang an:

Mutter ist nun fast ununterbrochen im Gefängnis. Ich hoffe inständig, dass sie nicht nur Vater beisteht. Ich durfte Leonard nicht mehr besuchen und Vater will mich nicht sprechen.

Mutter war gestern auch über Nacht fort. Als ich allein in meinem Bett lag und schlief, hatte ich die wildesten Träume. Bei Gott, ich erzähle sie an dieser Stelle nicht, denn ich glaube, dann hältst du mich für verrückt.

Aber nach dem, was hier im Moment geschieht, ist so etwas wohl zu erwarten. Zumal ich das berührte Blut in mir trage, da sind seltsame Träume und Vorahnungen wohl verständlich bei diesem Stress.

Als ich erwachte, kniete Magnus neben mir an meinem Bett. Seine Augen funkelten in der Dunkelheit, sein blasses Gesicht leuchtete im Mondschein. Ich verspürte einen Schauer, ich hatte Angst. Furcht vor dem Antlitz meines eigenen Bruders.

Er fuhr mir zärtlich durch die Haare, sonst genoss ich es, doch dieses plötzliche Erscheinen und sein bizarres Aussehen bereiteten mir Unbehagen. Langsam richtete ich mich auf und saß nun aufrecht im Bett.

„Magnus, wieso bist du hier? Wie bist du hier unerkannt reingekommen?“, noch schlaftrunken sprach ich leise.

„Meine teuerste Anna!“, Magnus lächelte. „Wir haben Geheimgänge in unserem Anwesen.“

Ich weiß nicht, was es war, aber dieser Mann an meinem Bett war mir fremd. Ich meine, es war Magnus, mein geliebter Bruder, doch seine Aura hatte sich eindeutig geändert. Ich weiß, ich müsste mich schämen für diese Aussage, aber Magnus war mir durch und durch unheimlich.

Erneut strich er über mein Haar und die Angst lähmte mich.

„So weich.“, er holte tief Luft und wirkte apathisch. „So rein.“

Es war etwas Böses und anrüchiges im Klang seiner Stimme. Tief blickte er mir in die Augen und dann musterte sein Blick meinen Körper. Nein, das war nicht der Blick, den ein Bruder seiner Schwester zuwandte!

Hilfe! Was sollte ich machen? Meine Hände krallten sich in die Decke.

Erneut kam er mir nah. Seine Finger berührten meinen Oberarm und glitten sanft hinab zu meiner Hand.

Nein! Ich war vor Angst der Ohnmacht nah. Mein Herz raste und kalter Angstschweiß breitete sich aus.

Seine Berührung stoppte an meinem Handgelenk. Er sah mich die ganze Zeit über an. Wie ein Raubtier beobachtete er die Bewegung meiner Atmung und das Entsetzen in meinem Gesicht.

Ein paar Atemzüge, dann packte er grob mein Handgelenk und zog mich nah an ihn heran.

„Ahhh! Nein!“, schrie ich verzweifelt. Panik breitete sich aus. Was zum Teufel ging hier vor sich? Ich versuchte mich ihm zu entreißen, doch gegen seine physische Kraft hatte ich keine Chance.

„Anna, meine Liebe! Schhh… du weckst noch die Hausdiener auf“, flüsterte er ganz ruhig und ein boshaftes Lächeln lag auf seinen Lippen.

– Oh, Hilfe… bitte irgendwer. – Er senkte sein Haupt und seine Wange berührte nun meinen Handrücken.

Er sog die Luft nahe meiner Haut tief ein. Fast schon liebevoll drehte er die Rückseite meines Handgelenks nach oben und küsste es an der Stelle, wo die Pulsadern sichtbar sind.

Er öffnete den Mund und ich sah seine Eckzähne, wie diese langsam empor glitten. Er küsste erneut die Hand und ich spürte seine Zähne auf der Haut, mein Herz stolperte in rasender Geschwindigkeit. Ich hatte so furchtbare Angst, dass er mir wehtun würde, doch er biss nicht zu.

Sekunden verharrten wir so. Bewegen konnte ich mich nicht, ich war wie versteinert. Und Magnus genoss sichtbar meine Hilflosigkeit.

Ein Rauschen war in meinen Ohren. Nein, ich musste mich wehren! Ich bin Anna van Grothburg und verdammt noch mal, ich kann mich wehren!

Meine freie Hand holte aus und traf seine Wange. Keine Ahnung, warum er diese nicht aufhielt, das hätte er eigentlich voraussehen müssen.

Einige Sekunden war Stille. Doch dann packte Magnus meinen Körper und drückte mich zurück in die Kissen. Sein Antlitz war über mir. Sein Gesicht wirkte geplagt. War es aus Zorn? Trauer? Ich war verwirrt.

„Anna, ich bin nicht mehr Herr meiner Taten“, sprach er leise und ruhig.

Dann holte er tief Luft, als müsste er sich zwingen, weiter zu sprechen.

„Ich lasse dich jetzt los und bitte lauf weg. Renne so weit du kannst fort von hier.“ Er ließ mich aber nicht los, sondern streichelte abermals durch mein Haar.

Abrupt sprang er auf und schlug mit der Faust gegen meinen Spiegel, der daraufhin klirrend zerbrach. Magnus verharrte in dieser Haltung, als müsse er sich zwingen, mich nicht anzugreifen.

Zögernd stand ich auf und nahm einen Mantel vom Haken. Magnus wandte sich mir zu, ein böses Funkeln in seinen Augen.

„Geh, Anna, sofort!“

Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Ich rannte los.

Magnus schrie mir nach: „Anna, geh weit fort von hier und zwar dorthin, wo keiner von uns dir folgen kann!“

Ein Schauder breitete sich aus. Mich trieb die Angst und ich lief, so schnell ich konnte, davon. Ich drehte mich immer wieder um, hatte ich doch Panik, er würde seine Meinung erneut ändern und mich zu dem machen, was so Böses in seinen Adern floss.

Hier sitze ich nun in meinem Versteck, traue mich nicht raus und du bist der einzige Kontakt zur Außenwelt. Ich kann hier nicht weg und ich weiß nicht, ob ich mich Mutter anvertrauen kann. Cathrin ist immer noch nicht da, Alexander erreiche ich nicht und – verdammt noch mal – was soll ich denn machen? Ich verzweifle und habe keine Macht, etwas zu ändern.

Deine Anna

Kapitel 10Brief von Lea an Anna

Meine teure Freundin,

mit Schrecken habe ich deinen letzten Brief gelesen.

Wie gerne würde ich dich zu mir holen, um dich in Sicherheit zu wissen.

Doch ich weiß, dass du nicht kommen kannst. Ich hoffe, dein Versteck ist sicher und Cathrin oder Alex kommen bald. Die Adresse ist bei mir in guten Händen, ich werde dich nicht verraten.

Doch was mir ebenso Sorgen bereitet, ist deine Beschreibung von Magnus. Was ist nur mit ihm geschehen? Ist er wirklich gewandelt worden? Alles, was du schreibst, deutet darauf hin.

Umso mehr sorge ich mich um dich. Lässt er dich in Ruhe? Weiß er, wo du bist? Denn er scheint mehr Geheimnisse über eure Ländereien zu kennen als du.

Wie konnte das nur alles geschehen? Eine ganze Familie wurde auseinandergerissen.

Du fragst, ob du deiner Mutter vertrauen kannst. Ich würde dir gerne raten, doch ich weiß nicht was. Weißt du etwas Neues von deinem Vater und Leonard? Sag ihnen Bescheid, dass es dir gut geht, doch verrate nicht deinen Aufenthaltsort. Zu Cathrin gehen wäre eigentlich nicht klug. Dort würde Magnus dich doch zuerst suchen, oder?

Das Verhalten deiner Familie hat sich so geändert, dass ich deine Eltern und deine Brüder nicht wiedererkenne.

Simon und Justus fragen täglich nach Neuigkeiten von dir. Sie haben ebensolche Angst um dich. Von ihnen soll ich dir sagen, dass du hier immer willkommen bist, egal was passiert. Ich weiß, das nützt dir im Moment wenig, doch ich hoffe, dass alles bald besser wird, soweit das möglich ist.

Bitte halte mich auf dem Laufenden.

Alexander hatte mir vor einigen Tagen geschrieben, er versucht im Ministerium etwas über deinen Vater und Magnus in Erfahrung zu bringen.

Bitte bleib in deinem Versteck, dort bist du erst einmal sicherer.

Gib nicht auf.

Deine Lea

Kapitel 11Brief von Magnus an Lea

Hallo Lea

du bist bestimmt entsetzt, dass ich dir schreibe, aber umso entsetzter war ich, als ich die Briefe zwischen dir und meiner lieben Schwester fand. Ich muss gestehen, Anna hat mich zutiefst enttäuscht. Ich hätte nie erwartet, dass sie Vaters Anweisungen missachtet. Denke aber mal, dass eine kleine Drohung in deine Richtung genügen sollte, damit du mir verrätst, wo sich Anna derzeit aufhält.

Wie du sicherlich weißt, spielt sie eine wichtige Rolle in meinem Leben und ich kann es leider nicht gutheißen, dass sie nicht in meiner Nähe ist.

Dieser Briefverkehr ist mir zuwider, ich würde am liebsten zu dir reisen und dir die Briefe persönlich um die Ohren pfeffern. Ich bin stinksauer auf euch.

Von dir hätte ich das nicht erwartet, ich hoffe, du schlägst dich nicht auf die Seite meines Bruders. Er ist nicht stark genug, die Konsequenzen seiner Taten zu ertragen und zerbricht derweil an sich selbst. Wenn er noch nicht tot ist, so wird er es mit Sicherheit bald sein.

Ich will Anna davor bewahren, so zu werden wie er. Also muss ich jetzt wissen, wo sie ist. Zu meiner Schande war ich derjenige, der sie bat, von hier zu verschwinden. Somit habe ich auch die Pflicht, sie zurückzuzerren.

Wie gesagt, ich hoffe, du bist kooperativ und bedenkst, dass ich nur zu Annas Wohl handle.

Magnus van Grothburg

Kapitel 12Brief von Lea an Magnus

Lieber Magnus,

dein Brief hat mich traurig gemacht. Wieso drohst du mir? Du weißt genau, wie ich zu dir und deiner Familie vor allem zu Anna, stehe. Und doch genau aus diesem Grund würde ich dir nicht mitteilen, wo Anna sich befindet, selbst wenn ich es wüsste. Welche Rolle sollte Anna noch in deinem Leben spielen? Du und dein Vater haben ihr Leben und das der ganzen Familie auf den Kopf gestellt. Was willst du noch von ihr? Ihr Blut? An ihr Wohl denkst du wohl kaum.

Lass sie aus diesem Spiel raus. Sie wird niemals so tief sinken und sich den dunklen Mächten anschließen. Sie ist kein böses Monster wie du es bist!

Bedenke meine Worte.

Lea

Kapitel 13Brief von Anna an Lea

Lea,

ich fürchte, ich habe dich schon zu tief in die Sache verstrickt, bitte pass auf dich auf.

Mehr als Unbehagen habe ich bei dem Verdacht, dass meine Familie dich bald aufsuchen könnte. Ich habe die Briefe in meinem Zimmer liegen lassen. Und wie ich Magnus einschätze, wird er nach Hinweisen zu meinem Aufenthaltsort suchen.

Oh, verdammt was soll ich tun? Ich bin meinem Vater treu ergeben und wenn er es verlangt, dass ich zurückkehren soll, so werde ich mich dem beugen müssen.

Doch was haben sie vor? Ich befürchte, sie haben einen bösen Blutschwur geleistet und dieser fordert nun seinen Tribut.

Und natürlich habe ich Angst vor Magnus, in ihm scheint eine Art Kampf zu existieren. Was ist, wenn er diesen verliert? Ich will nicht werden wie er.

Nach Deutschland kann ich zurzeit nicht, selbst wenn ich es wollte. Ich kann Leonard einfach nicht allein lassen, lieber versuche ich hier auf eigene Faust an ihn heranzukommen. Ich muss ihn sprechen, so viele Fragen und meiner Meinung nach wird nur er mir diese beantworten.

Wie gesagt, als einzigen Weg sehe ich derzeit, dass ich zurückkehre auf unser bulgarisches Anwesen und dem Geschehen seinen Lauf lasse, wenn auch nur vorläufig und zu unserem Nutzen.

Aber hoffentlich ist Magnus nicht mehr dort, ich kann seine Gegenwart in diesem Zustand nicht ertragen.

Deine Anna

PS: Ich mache mir langsam wirkliche Sorgen um Alexander. Er antwortet nicht und geht auch nicht an sein Telefon.

Kapitel 14Brief von Lea an Anna

Liebe Anna,

wie du erahnt hast, hat Magnus mir geschrieben. Er wollte mich doch tatsächlich bedrohen, um deinen Aufenthaltsort herauszufinden.

Als ob ich dich jemals verraten würde. Er behauptet zwar, nur dein Bestes zu wollen, doch ehrlich gesagt, passt das überhaupt nicht zu seinem momentanen Verhalten.

Bitte tu nichts Unbedachtes, Anna, bring dich nicht in Gefahr. Es ist schlimm, was passiert, doch ich glaube, wir können im Moment nicht wirklich etwas erreichen.

Wenn es für dich besser ist, so gehe nach Hause zurück, denn ich glaube kaum, dass er dort noch ist. Magnus wird schon längst auf der Suche nach dir sein und da er dich selber weggeschickt hat, wird er dich wohl kaum zu Hause vermuten.

Was Leonard angeht, so kommt, glaube ich, jede Hilfe zu spät. Magnus geht davon aus, dass er schon tot ist oder in kürzester Zeit sterben wird.

So leid es mir tut, dir das mitteilen zu müssen, aber besser du erfährst es von mir als von jemand anderem.

Um mich brauchst du dich nicht zu sorgen, da kann ich dich beruhigen.

Simon und Justus sind ja fast immer in meiner Nähe, da wird es niemand wagen, mir irgendetwas anzutun.

Du weißt, ich bin immer für dich da, egal um was es geht. Und in der momentanen Situation sitzen wir alle im gleichen Boot und können Freunde immer gebrauchen.

Mach dir also keine Sorgen, es geht mir gut.

Deine Freundin

Lea

Kapitel 15Brief von Magnus an Lea

Moin Lea,

die Drohung war eine reine Vorsichtsmaßnahme, um die Fronten zu klären. Nimm’s nicht zu persönlich. Zurzeit bin ich ein wenig angriffslustig, keine Ahnung, woran das liegen könnte.

Böses Monster? Ha, von wem hast du das denn? Anna? Nein, sie würde es nicht wagen…

Nein, meine Liebe, nicht alles Unerklärbare ist immer gleich böse. Auch wenn ich in deinen Augen ein böser Junge bin. Im Gegenteil zu dir, nehme ich mal an. Sofern du immer noch das liebreizende Geschöpf bist, was alle betüddeln muss und immer auf der ‚guten’ Seite steht.

Aber ich glaube, meine Liebe, ich werde diesen Briefverkehr aufrecht erhalten. Dein naives Verhalten amüsiert mich zutiefst.

Und ich gebe dir gerne Unterricht aus dem wahren Leben, der alten Tage wegen. Böses ist relativ.

Also, meine Liebe, dann auf bald.

Magnus

Kapitel 16Brief von Lea an Magnus

Mein lieber Magnus!

So angriffslustig? In der Tat. Ich entnehme deinem Brief, dass du der Anspielung des untotes Blutes nicht widersprichst. So ist es also die Wahrheit! Traurig, das zu wissen.

Anna hat niemals behauptet, du seist ein böses Monster. Das ist auf meinem Mist gewachsen. Doch Angst hat sie vor dir. Schäme dich, dass sie vor dem eigenen Bruder Angst haben muss.

Das ‚liebreizende Geschöpf’ wie du mich betitelst, steht in der Tat auf der guten Seite, auch wenn ich nicht mit allem einverstanden bin, was die vermeintlich Guten tun.

Wir amüsieren dich also, gut zu wissen. Erstaunlich, wie die alten Zeiten sich ändern. Früher hast du uns zum Lachen gebracht und mich, in vielen Fällen, zu Träumereien. Und jetzt stellen wir die Grundlage für deinen Humor dar? Schön, wenn man eine so tolle Aufgabe im Leben hat.

Dass das Böse relativ ist, weiß ich selbst, aber danke für den Hinweis.

Denn wie sonst könnte ein so liebenswürdiger Mann, wie du es einst warst, zu so einem Teufel werden?

Du schreibst, du willst mir Unterricht aus dem wahren Leben geben, der alten Tage wegen? Wage es nicht mich zu bedrohen. Justus und Simon warten schon darauf, dir einen Pflock durch das Herz jagen zu können.

Ich freue mich jetzt schon auf deine Antwort.

Lea

Kapitel 17Brief von Anna an Lea

Liebe Lea,