Boston Tea Crimes – Der Spiegel aus Bilbao - Charlotte MacLeod - E-Book
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Boston Tea Crimes – Der Spiegel aus Bilbao E-Book

Charlotte MacLeod

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Beschreibung

Sommerfrische und neue Mordfälle – so lässt es sich urlauben! Jüngst verlobt und längst verliebt wollen Sarah Kelling – Erbin von Beruf – und Detektiv Max Bittersohn eigentlich traute Zweisamkeit an der Küste genießen, doch ihnen stellen sich zwei große Probleme in den Weg: Das Diebesgut einer Einbruchsserie, das in dem sonst unbewohnten Kelling-Landsitz deponiert wurde – und Sarahs alte Tante und Anstandsdame Appie, die Gefahr läuft, das junge Paar zu Tode zu langweilen. Als dann jedoch gleich zwei von Appies alten Freundinnen kurz hintereinander ermordet werden, zeigen die anklagenden Finger der feinen Gesellschaft auf den einzigen Außenseiter: Max Bittersohn, in dessen Zimmer auch noch die Mordwaffe gefunden wird. Sarah muss ermitteln, um ihren Verlobten zu retten – und ihren Urlaub! Band 4 der »Bosten Tea Crimes«-Reihe, in der alle Titel unabhängig gelesen werden können – für Fans von Richard Osman.

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Seitenzahl: 366

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Über dieses Buch:

Jüngst verlobt und längst verliebt wollen Sarah Kelling – Erbin von Beruf – und Detektiv Max Bittersohn eigentlich traute Zweisamkeit an der Küste genießen, doch ihnen stellen sich zwei große Probleme in den Weg: Das Diebesgut einer Einbruchsserie, das in dem sonst unbewohnten Kelling-Landsitz deponiert wurde – und Sarahs alte Tante und Anstandsdame Appie, die Gefahr läuft, das junge Paar zu Tode zu langweilen. Als dann jedoch gleich zwei von Appies alten Freundinnen kurz hintereinander ermordet werden, zeigen die anklagenden Finger der feinen Gesellschaft auf den einzigen Außenseiter: Max Bittersohn, in dessen Zimmer auch noch die Mordwaffe gefunden wird. Sarah muss ermitteln, um ihren Verlobten zu retten – und ihren Urlaub!

Über die Autorin:

Charlotte MacLeod (1922-2005) wurde in Kanada geboren und wuchs in Massachusetts auf. Sie besuchte das Boston Art Institute und arbeitete als Bibliothekarin und Werbetexterin. Ende der 1970er veröffentlichte sie ihre ersten Kriminalromane und zementierte ihren Ruf als Grande Dame des Genres. Für ihr Lebenswerk wurde sie unter anderem mit fünf American Mystery Awards und dem Malice Domestic Lifetime Achievement Award ausgezeichnet.

Bei dotbooks veröffentlichte die Autorin ihre »Boston Tea Crimes«-Reihe, beginnend mit »Die Familiengruft«.

***

eBook-Neuausgabe Februar 2025

Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals 1984 unter dem Originaltitel »The Bilbao Looking Glass« bei Avon Books, New York. Die deutsche Erstausgabe erschien 1992 unter dem Titel »Der Spiegel aus Bilbao« bei DuMont

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 1983 by Charlotte MacLeod

Copyright © der deutschen Erstausgabe 1992 by DuMont Buchverlag, Köln

Copyright © der Neuausgabe 2025 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (lj)

ISBN 978-3-98952-592-4

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dotbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, einem Unternehmen der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt: www.egmont.com/support-children-and-young-people. Danke, dass Sie mit dem Kauf dieses eBooks dazu beitragen!

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Charlotte MacLeod

Boston Tea Crimes – Der Spiegel aus Bilbao

Kriminalroman

Aus dem Amerikanischen von Beate Felten

dotbooks.

Widmung

Für Peggy Barrett

Alle in diesem Buch beschriebenen Personen sind frei erfunden; jede Ähnlichkeit mit realen – lebenden oder toten – Persönlichkeiten ist daher rein zufällig.

Kapitel 1

»Wo um Himmels willen«, sagte Sarah Kelling aus der Familie der Bostoner Kellings, »kommt denn bloß dieser Spiegel her?«

»Aus Spanien.«

Max Bittersohn stellte vorsichtig einen Korb mit Sarahs Habseligkeiten auf den Boden. Er war das erste Mal hier in der Diele des schindelgedeckten Sommerhauses, das bei den Kellings seit Präsident Grover Clevelands Tagen unter dem Namen Ireson’s Landing bekannt war.

»Um ehrlich zu sein«, berichtigte er sich, »hat keiner je wirklich herausgefunden, wo genau diese Spiegel mit dem Marmorrahmen angefertigt wurden. Seeleute pflegten sie meist im 18. Jahrhundert im Hafen von Bilbao zu kaufen und als Geschenk für ihre Frau oder ihre Liebste mit nach Hause zu nehmen. Das muß noch vor der Zeit gewesen sein, als die feinen Korsettstäbchen aus Elfenbein in Mode kamen, nehme ich an. Was ist bloß in dich gefahren, so ein wertvolles Stück den ganzen Winter hier im Sommerhaus hängen zu lassen?«

»Das habe ich gar nicht. Das ist es ja gerade. Er gehört überhaupt nicht hierher. Ich habe den Spiegel noch nie im Leben gesehen!«

»Mich trifft der Schlag!« Bittersohn beugte sich vor und betrachtete die hübsche, kleine Antiquität mit geübtem Kennerblick. »Hast du etwas dagegen, wenn ich ihn kurz von der Wand nehme?«

»Warum sollte ich? Ich habe dir doch gerade gesagt, daß er mir nicht einmal gehört.«

»Und ich glaube dir sogar, mein Herzblatt, denn du müßtest verrückt sein abzustreiten, einen echten Spiegel aus Bilbao zu besitzen, wenn es tatsächlich deiner wäre. Außerdem schließe ich aus der hellen Stelle auf dieser scheußlichen Tapete, daß hier bis vor kurzem ein sehr viel größeres Objekt gehangen haben muß. Was war es denn?«

»Ein entzückendes altes Mezzotinto mit dem schönen Titel Liebeserwachen. Ich habe es mit nach Hause in die Tulip Street genommen, um damit Cousine Theonias Zimmer zu verschönern.«

»Da siehst du mal, wohin so etwas führen kann.«

Bittersohns Stimme klang unkonzentriert. Er hatte eine kleine Lupe aus der Tasche genommen und betrachtete wie ein echter Sherlock Holmes eingehend die grazilen, kleinen rötlichgelben Marmorpilaster des zierlichen Rahmens. »Ich wünschte, wir hätten etwas mehr Licht in diesem Vestibül oder wie zum Teufel man das Ding hier nennt.«

»Dein Wunsch sei mir Befehl.« Sarah drehte an einem der Lichtschalter. »Beinahe jedenfalls«, verbesserte sie sich, als nichts passierte, »wenn ich daran gedacht hätte, Mr. Lomax zu sagen, er solle den Strom wieder anstellen. Aber er wird bestimmt bald hier sein, nehme ich an. Ich habe ihm mitgeteilt, daß wir heute offiziell einziehen.«

»Hast du ihm übrigens erzählt, daß ich auch einziehe?«

»Ich glaube schon. Er weiß jedenfalls, daß ich die Wohnung für einen Mieter vorbereitet habe, denn das meiste dort hat er hergerichtet, und er kann sich wohl auch denken, daß mich jemand herfährt, da ich jetzt keinen eigenen Wagen mehr habe.«

»Ich habe dir bereits angeboten, daß du liebend gern einen als Hochzeitsgeschenk bekommen kannst.«

Bittersohn trennte sich von ihrem interessanten Fund und widmete sich Sarah lange genug, um sie davon zu überzeugen, daß sein Angebot immer noch galt. »Wenn du bloß aufhören würdest, jeden Tag deine Meinung zu ändern –«

»Max, das stimmt doch gar nicht. Ich brauche eben Zeit, mich wieder zu fangen, das ist alles. Du brauchst deshalb nicht zu versuchen, mich zu bestechen und zu korrumpieren.«

»Wie könnte man dich denn korrumpieren?« Seine freie Hand glitt sanft unter ihren Pullover.

»Hör sofort auf, du Lüstling. Ich dachte, du wolltest herausfinden, wie der Spiegel hier ins Haus gekommen ist?«

»Welcher Spiegel?«

»Max, das ist nicht nett.«

»Ich wäre netter, wenn du nicht so nett wärst. Wie findest du das als Liebeserklärung?«

Es gelang Bittersohn mit großer Willensanstrengung, seine Aufmerksamkeit wieder dem wunderschönen kleinen Kunstwerk zuzuwenden, das so unerwartet den Platz des Liebeserwachens eingenommen hatte.

»Hast du ein Handtuch oder so etwas?«

»Ich sehe mal in der Küche nach. Wärest du auch mit ein Paar Topflappen zufrieden?«

»Natürlich. Ich möchte bloß den Rahmen nicht direkt anfassen, falls Fingerabdrücke darauf sind.«

»Max, Liebling, ist das wirklich die Art, wie du arbeitest?«

»Ich denke schon. Allerdings nur, wenn du mir diese Topflappen gibst.«

»Oh, Entschuldigung.«

Sarah verschwand und kam mit einem Stück von einem halbvermoderten Vorhang zurück.

»Geht das? Etwas anderes konnte ich nicht finden.«

»Hervorragend. Hältst du mir mal die Eingangstür auf? Ich möchte den Spiegel nach draußen bringen und ihn mir bei Licht ansehen, und ich will dabei auf keinen Fall den Aufsatz zertrümmern.«

»Diese kleine Gipsurne und die vergoldeten Metallverzierungen sehen wirklich schrecklich zerbrechlich aus.«

»Sie sehen nicht nur so aus. Deshalb gibt es auch so wenige Spiegel aus Bilbao, die unbeschädigt geblieben sind. Es würde mich allerdings nicht wundern, wenn dieser hier in tadellosem Zustand wäre.«

Bittersohn wickelte den muffig riechenden Vorhang um den Rahmen und hob ihn vorsichtig an. »Verdammt, es geht nicht. Kannst du mal nachsehen, wo der Draht festhängt? Aber berühre dabei möglichst nicht den Rahmen, wenn es geht.«

»Den Draht kann ich also ruhig anfassen?«

»Natürlich. Auf Bilderdraht kann man keine Fingerabdrücke hinterlassen.«

»Warte einen Moment, er ist um den Haken in der Wand gewickelt. So, jetzt kannst du ihn abhängen. Der Draht sieht nagelneu aus, Max.«

»Wundert mich gar nicht. Wer immer auch der Besitzer von diesem Ding ist – er hatte es bestimmt an der Wand festgeschraubt. Siehst du die kleinen Blechschlaufen an den Seiten? Das ist typisch für alle Spiegel aus dieser Zeit. Sie waren einfach so selten und wertvoll, daß man sehr sorgsam mit ihnen umgehen mußte.«

»Ich weiß. Man hat sogar massive Holzplatten in die Wände eingelassen, um die Spiegel daran zu befestigen, wenn der Verputz nicht sicher genug war. Tante Appie hat so etwas in ihrem Haus in Cambridge.«

»Ist das die Tante, deren Mann gerade gestorben ist?«

»Genau. Onkel Sam war schon seit Jahren leidend, er hatte ständig irgendwelche Beschwerden. Cousine Mabel sagt immer, woran er wirklich litt, war Tante Appie, aber was kann man von Cousine Mabel auch anderes erwarten? Stammen die Löcher auf der Rückseite von Holzwürmern?«

»Si, Señora. Das ist ein Stück Eichenholz, typisch spanisch und verteufelt schwer. Die Löcher haben zweifellos echte spanische Eichenholzwürmer im 18. Jahrhundert geknabbert. Man konnte sie immer daran erkennen, daß sie ›Olé‹ riefen, bevor sie ihre kleinen Fänge in das Holz gruben. Aber es gibt bestimmt Leute, die versuchen würden, dir weiszumachen, daß dein Spiegel in Wirklichkeit in Italien angefertigt wurde, was blanker Unfug ist. Italienische Eichenholzwürmer hätten niemals einen derartigen Schaden anrichten können. Sie hätten nur ›Pocco, pocco, lente, lente‹ gesagt, was auf Italienisch soviel bedeutet wie: ›Ach, zum Teufel damit, laßt uns lieber eine Pizza bestellen‹«

»Verschone mich mit deiner Gelehrsamkeit«, sagte Sarah naserümpfend. »Max, es ist mir ehrlich gesagt vollkommen egal, woher dieser Spiegel stammt. Ich möchte bloß wissen, wer ihn in meine Diele geschafft hat.«

»Glaubst du, daß einer deiner reichen Verwandten klammheimlich hier hereingeschlichen ist, um dir eine kleine Willkommensüberraschung zu bescheren?«

»Von wegen! Nenn mir einen Kelling, der eine wertvolle Antiquität unbewacht in einem Haus wie diesem hängen läßt, und ich nenne dir sechs andere Kellings, die sofort versuchen, ihn für gefährlich geisteskrank erklären zu lassen.«

»Fällt dir denn jemand ein, der einen Spiegel aus Bilbao besitzen könnte?«

»Da gibt es bestimmt irgendjemanden, wenn man bedenkt, wie viele Verwandte ich habe und wieviel Trödel sie über Jahre hinweg angehäuft haben. Ich glaube, daß Tante Emma draußen in Longmeadow so einen Spiegel besitzt, wenn ich mich recht erinnere, aber der Marmor ist irgendwie gelber, und oben drauf befindet sich ein scheußlicher Ziergiebel aus Walnußholz statt dieser hübschen Filigranarbeit.«

»Wundert mich gar nicht. Das hat man nämlich recht häufig getan. Wenn die Spitzen abbrachen, nahmen die Besitzer als Ersatz oft irgendeine Scheußlichkeit, die gerade im Holzschuppen herumlag. Aber selbst wenn er so verschandelt ist, kann man für einen echten Spiegel aus Bilbao immer noch 5 000 Dollar und mehr bekommen. Weißt du was, Süßele? Ich glaube, wir sollten die Polizei rufen.«

»Oh, Max!«

Aber er hatte natürlich völlig recht. Dieses wertvolle, zerbrechliche Kunstwerk war schließlich nicht von selbst ins Haus gekommen, und außer Sarah und ihrem Hausverwalter Mr. Lomax besaß keiner einen Schlüssel. Es hatte in diesem Winter in den Sommerhäusern, die zum größten Teil unbewohnt waren, wie in den vergangenen Jahren wieder mehrere Einbrüche gegeben. Zwar würde kein Einbrecher seine Zeit mit dem Versuch verschwendet haben, etwas aus dem Kelling-Haus zu entwenden, doch vielleicht hatte er das einsam gelegene Gebäude als geeignetes Versteck für seine Diebesbeute betrachtet. Das bedeutete, daß er irgendwann zurückkommen und den Spiegel holen würde.

»Einverstanden«, seufzte sie. »Meinst du nicht auch, wir sollten am besten sofort nach diesem reizenden Sergeant Jofferty fragen?«

Er war es gewesen, der ihr damals die schreckliche Nachricht vom Autounfall ihres Mannes überbracht hatte, und genau hier vor dem Haus hatte er gestanden, in derselben Auffahrt, von der aus sie Alexander kurz zuvor zum Abschied zugewunken hatte. Alexander hatte so glücklich ausgesehen, als er mit seiner blinden Mutter aufbrach – und nicht wußte, daß dies die letzte Fahrt in seinem 1920er Milburn Electric sein würde, dem nach Sarah selbst seine ganze Liebe gehörte. Das war im letzten November gewesen. Jetzt war es Anfang Juni, fast sieben Monate später. Man hätte annehmen können, daß sie den Schmerz inzwischen überwunden hatte, doch manchmal tat die Erinnerung immer noch sehr weh. Deshalb war sie auch noch nicht in der Lage, das zu tun, was Max Bittersohn wollte und was sie selbst auch wollte, nur nicht in Augenblicken wie diesem, wenn sie wieder an ihren attraktiven, von Sorgen gequälten Ehemann denken mußte, der so viel älter als sie gewesen war und den sie über alles geliebt und auf so grausame Weise verloren hatte.

»Ich kenne Jofferty«, antwortete Max eine Spur zu schnell. Er wußte, woran sie dachte. Irgendwie schien er immer ihre Gedanken zu lesen. »Funktioniert das Telefon?«

»Ich denke schon. Ich habe es schriftlich ab ersten Juni wieder angemeldet. Die Nummer der Polizei steht auf dem Block da.«

In Alexanders kleiner, ordentlicher Handschrift. Irgendwann in naher Zukunft würde sie durch das Haus gehen und all die schmerzlichen kleinen Erinnerungen entfernen müssen. Es würde genauso sein, als ob sie ihn ein zweites Mal sterben ließ. Als Max die Nummer gewählt hatte und wieder hochschaute, sah er, daß Sarah weinte. Er schenkte ihr ein gequältes Lächeln, mitfühlend und verärgert zugleich, und zog sie nah zu sich heran, während er telefonierte.

»Ich hätte gern mit Sergeant Jofferty gesprochen. Ach so. Könnten Sie ihn denn vielleicht über Funk verständigen? Sagen Sie ihm, Mrs. Kelling draußen in Ireson’s Landing möchte ihm unbedingt etwas zeigen. Nein, Gott sei Dank, nichts Derartiges. Sie hat nur etwas gefunden, was darauf hinweisen könnte, daß jemand versucht hat, hier einzubrechen. Ich bin ihr Mieter, Max Bittersohn, Ira Rivkins Schwager. In Ordnung, ich werde es Ira ausrichten.«

Er legte auf und zückte sein Taschentuch. »Hier, putz dir die Nase. Ich hoffe, du verstehst, daß ich lediglich versuche, dich vor neuen Schwierigkeiten zu bewahren.«

»Das weiß ich doch, Max. Das ist es nicht.« Sie schniefte und putzte sich die Nase. »Es ist – ach, du weißt doch genau, warum. Warum holst du nicht meine restlichen Sachen aus dem Wagen, während ich den Korb nach oben bringe und auspacke? Was sollen wir denn jetzt mit dem Spiegel machen?«

»Ihn wieder dahin hängen, wo wir ihn gefunden haben, bis Jofferty kommt. Mach dir keine Sorgen, Sarah.«

Bittersohn, der den Rahmen immer noch mit dem Stück alten Vorhang festhielt, hängte den Spiegel wieder zurück an den Haken und ging dann nach draußen, um Sarahs Koffer zu holen, während sie den Korb in den ersten Stock trug.

Vor einigen Wochen hatte sie an ihrem 27. Geburtstag die Verfügungsgewalt über das Geld erhalten, das ihr Vater ihr hinterlassen hatte. Nach anfänglichem Zögern hatte sie etwas Geld dafür ausgegeben, um einige der Möbel zu ersetzen, die sie im letzten Winter aus Ireson’s Landing mitgenommen hatte, als sie ihr Backsteinhaus auf Beacon Hill in eine Pension verwandelt hatte. In ihrem Zimmer gab es jetzt eine neue Matratze, und im Kutscherhaus eine weitere für Max. Er sollte nämlich in dem Häuschen wohnen, in dem früher der Kutscher untergebracht war. Die Verwandtschaft würde es zu skandalös finden, wenn Sarah und er im großen Haus schliefen, bevor sie brav und ordentlich den Bund fürs Leben geschlossen hatten. Noch wichtiger war, daß jetzt das Kutscherhaus wieder bewohnbar war, denn so würden sie einen Zufluchtsort haben, wenn zu viele ungeladene Familienmitglieder über das Haus herfielen, was zweifellos in diesem Sommer mehrfach der Fall sein würde.

Falls es zu unerträglich werden sollte, konnte Max immer noch zu seinen eigenen Verwandten flüchten. Seine Eltern wohnten ganz in der Nähe, in Saugus, und eine verheiratete Schwester lebte das ganze Jahr über drüben auf der anderen Seite von Ireson Town. Sarah kannte Miriams Ehemann Ira, dem die hiesige Tankstelle gehörte, schon seit Jahren flüchtig, ebenso ihren Sohn Mike, der dort als Tankwart arbeitete, wenn er nicht gerade an der Boston University studierte. Vor kurzem hatte sie auch Miriam kennengelernt. Nach einem etwas förmlichen ersten Besuch, als sie alle im Wohnzimmer gesessen und höfliche Konversation gemacht hatten und von der Gastgeberin gedrängt worden waren, ein verblüffendes Sortiment an Hors d’œuvres zu verspeisen, hatten sie bei ihrem zweiten Besuch am Küchentisch gesessen und waren bei Tee und Muffins richtig ins Gespräch gekommen.

Die unkomplizierte Gastfreundschaft der Rivkins war eine angenehme Abwechslung zu dem starren Familiensystem, in das Sarah hineingeboren war und dem sie – so sehr sie es auch versuchte – offenbar nicht entfliehen konnte. Tante Appie hatte ihren Besuch bereits für den kommenden Montag verbindlich angekündigt. Ihr Sohn Lionel hatte selbstverständlich angenommen, daß die Einladung auch für ihn und seine vier Söhne galt. Sie beabsichtigten, draußen irgendwo auf dem Grundstück ihr Zelt aufzuschlagen. Sarah wären die Goten und Vandalen lieber gewesen, aber ihr blieb nichts anderes übrig, als sie an die Stelle zu schicken, wo der Giftsumach am dicksten wucherte, und zu beten, daß möglichst viele Mücken ihren Weg dorthin finden würden. In ihrem Garten konnten sie sich glücklicherweise nicht breitmachen. In diesem Jahr hatten sich Sarah und Mr. Lomax nämlich wirklich richtig in die Arbeit gestürzt. Pete, der Neffe des alten Hausverwalters, der ihm angeblich zur Hand ging, hatte von irgendeinem Kumpel eine Bodenfräse geborgt und 200 Quadratmeter Boden aufgerissen. Danach hatten er und sein Onkel eine Lastwagenladung stinkender Fischköpfe und Gedärme, die aus den Docks in Gloucester stammten, darin untergegraben.

Die Fischköpfe lockten immer noch Scharen von Möwen auf das Feld. Mr. Lomax versuchte, Sarah davon zu überzeugen, daß dies durchaus zu seinem Plan gehörte, da die Seemöwen durch ihre Exkremente den Boden zusätzlich bereicherten. Trotzdem mußte er die Kürbisse und Bohnen zweimal neu pflanzen, und den Mais hatten sie inzwischen sogar völlig aufgegeben.

Erbsen und Frühsalat nutzte Sarah allerdings bereits für die Verpflegung der Pensionsgäste zu Hause auf Beacon Hill, und es tröstete sie, daß der ideale Lagerplatz für Lionel und seine abscheuliche Brut genau in Windrichtung der Fischköpfe lag. Sie teilte diesen erfreulichen Gedanken gerade Max mit, als Sergeant Jofferty mit seinem Streifenwagen eintraf.

»Hallo, Mrs. Kelling. Nett, Sie wieder so froh und munter zu sehen.«

Auch wenn der Sergeant dabei nicht anzüglich in Max’ Richtung sah, errötete Sarah trotzdem. »Sie sehen auch gut aus, Sergeant Jofferty. Kennen Sie übrigens Mr. Bittersohn?«

»Ira Rivkins Schwager, richtig?« Er stieg aus dem Wagen und schüttelte Max die Hand. »Nett, Sie kennenzulernen. Ira spricht oft von Ihnen. Behauptet immer, Sie seien ein reicher Verwandter, aber wenn man sich die Benzinpreise heutzutage ansieht, hat er selbst sicher auch ganz nette Einnahmen, was?«

»Leider muß er alles an die Ölgesellschaften weiterleiten«, knurrte Max.

»Über Ölgesellschaften wollten wir eigentlich nicht sprechen«, unterbrach Sarah. »Wir scheinen wieder einmal ein kleines Geheimnis aufklären zu müssen, Sergeant Jofferty. Als wir vor etwa 15 Minuten eintrafen, fanden wir etwas, das nicht hierher gehört. Max hat übrigens das Kutscherhaus für den Sommer gemietet«, sah sie sich verpflichtet zu erklären.

»Meine Tante, die auch gerade Witwe geworden ist, wird hier bei mir im Haus wohnen, aber das gehört ja eigentlich nicht zur Sache. Tatsache ist, daß wir die Tür aufgeschlossen haben und diesen Spiegel an der Wand in der Diele gefunden haben. Max meint, er sei wertvoll, und ich habe keine Ahnung, wie er ins Haus gekommen ist. Außer Mr. Lomax und mir hat keiner einen Schlüssel, und Jed Lomax kennen Sie ja selbst.«

Selbstverständlich kannte Jofferty Jed Lomax. Wie Sarah hielt er es für völlig ausgeschlossen, daß der Hausverwalter in irgendetwas verwickelt war, was auch nur den leisesten Verdacht erwecken konnte, unredlich zu sein. Während er versuchte, von Max den ungefähren Marktwert eines erstklassig erhaltenen echten Spiegels aus Bilbao zu erfahren, fuhr der alte Lomax persönlich in seinem nach Fisch stinkenden Kleinlaster vor. Wie sie bereits vermutet hatten, wußte er von nichts.

»Kann mich nich’ erinnern, den Spiegel je gesehen zu haben, Miz Kelling. Sieht ja ganz hübsch aus, wenn man so Sachen mag. Aber wieso sind Sie denn überhaupt zur Vordertür rein? Ihre Familie nimmt doch sonst immer den Seiteneingang.«

»Ich weiß, aber meine Handtasche ist total vollgestopft mit allem möglichen Krimskrams, und ich habe diesen Schlüssel zuerst gefunden. Sonst hätte der Spiegel vielleicht den ganzen Sommer hier gehangen, ohne daß er überhaupt bemerkt worden wäre. Diese Diele hier ist so winzig und eng, daß keiner sie benutzt, es sei denn, es kommt jemand an die Vordertür, der sich nicht auskennt. Aber Sie überprüfen doch immer die Tür, nicht wahr, Mr. Lomax?«

»Tu ich, un’ gestern hab’ ich’s genauso gemacht wie immer. Hab’ keine Spur von ’nem Einbruch gesehen, sonst hätt’ ich’s doch sofort gemeldet. Sind Sie hier, um sich die Sache anzuschauen, Max?«

»Sie beide kennen sich?« erkundigte sich Sergeant Jofferty überrascht.

»Klar doch, Teufel auch. Das is’ doch Isaac Bittersohns Junge aus Saugus. Den kenn’ ich schon, seit er noch ’n kleiner Stöpsel war, kaum höher als ’ne Flunder. Jawoll, das is’ der Junge, der seiner Mutter’s Herz gebrochen hat.«

Der Hausverwalter schüttelte sein graues Haupt, wobei der lange Schirm der schmutzigen Schwertfischerkappe, die er sommers wie winters trug, traurig von einer Seite zur anderen wippte.

»Miz Bittersohn hat Stein und Bein geschworen, daß aus Max nichts werden würd’, als er anfing mit seiner komischen Arbeit, statt zu studieren un’ ’n richtiger Doktor zu werden, wie sie’s gern gehabt hätt’. Un’ dann is’ er hingegangen un’ hat ihr’s Gegenteil bewiesen. War ’ne schreckliche Enttäuschung für sie, kann ich euch sagen.«

Lomax ließ sich so gut wie nie zu einem Lächeln hinreißen, doch er schenkte Mrs. Bittersohns traurigem Fehlschlag einen Blick, den man beinahe freundlich nennen konnte. »Joff, wenn Max hier dir sagt, daß der Spiegel so wertvoll is’, daß ihn jemand klauen würd’, dann isser auch gestohlen, darauf setz’ ich meinen letzten Dollar. Darauf kannste dich verlassen.«

Kapitel 2

Lomax, dem es offenbar unangenehm war, daß er sich zu einer persönlichen Stellungnahme hatte hinreißen lassen, scharrte mit den Füßen, zog an seinen Hosenträgern und rückte seine Kappe zurecht.

»Kann ich noch irgendwas für Sie tun, Miz Kelling? Wenn nich’, geh’ ich jetzt besser die Tomaten aufbinden.«

»Noch eins, bevor Sie gehen, Jed«, sagte Max. »Vergessen Sie bitte sofort, daß Sie den Spiegel gesehen haben, ja?«

»Aber warum denn?« protestierte Sarah. »Wenn der Spiegel vielleicht aus einem der Häuser stammt, um die Mr. Lomax sich kümmert –«

»Werden sich die Besitzer bestimmt fragen, warum er hier in diesem Haus hängt und nicht mehr bei ihnen«, beendete Max ihren Satz.

»Oh. Aber sie würden doch nie im Leben – «

Sarah zögerte. Einen Moment lang hatte sie vergessen, daß Mr. Lomax in diesem Jahr nicht allein arbeitete. Dem wenigen nach zu urteilen, das sie bisher von seinem Neffen gesehen hatte, fragte sie sich, ob der gute Ruf der Familie Lomax in punkto Redlichkeit nicht vielleicht Gefahr lief, ein wenig angekratzt zu werden. Doch Pete würde wohl kaum gestohlene Beute hier verstecken, denn er wußte, daß Sarah das Haus früh beziehen würde – oder vielleicht doch nicht?

»Wie werd’ ich was sagen. Nix als Holz.«

Mit diesen sibyllinischen Worten machte sich Lomax O-beinig auf den Weg zu seinen Tomatenpflanzen. Jofferty quittierte den Empfang des Spiegels aus Bilbao auf einem Blatt seines Notizbuchs und bat Max, das teure Stück so gut für ihn einzupacken, daß es nicht kaputtgehen konnte. Einen derart kostbaren Spiegel zu zerbrechen würde todsicher verdammt mehr als nur sieben Jahre Pech bringen, und er hatte auch so bereits mehr als genug Kritik wegen der vielen Einbrüche einstecken müssen.

»Sobald ich auf dem Polizeirevier bin, gehe ich sofort die Listen mit den gestohlenen Gegenständen durch«, versprach er. »Und ich werde Sie auf der Stelle informieren, wenn ich irgendetwas finde. Ein Spiegel aus Bilbao, wie?«

»Manchmal wird es auch Bilboa geschrieben«, erklärte ihm Max. »Bedeutet aber genau dasselbe. Außer in Bilbao, selbstverständlich. Hast du vielleicht Pappe und Einpackpapier, Sarah?«

»Bring das Ding am besten in die Küche. Mal sehen, was ich finden kann.«

Etwas einzupacken ist oft schwieriger, als es auf den ersten Blick scheint, und der Spiegel bereitete besondere Probleme. Schließlich hatten sie jedoch genügend Material zum Polstern und Verstärken gefunden, um einen sicheren Transport im Streifenwagen zu gewährleisten.

»So, das hätten wir, Sergeant.« Max trug das Paket selbst nach draußen und verstaute es im Kofferraum des Streifenwagens. »Ich habe ›zerbrechlich‹ draufgeschrieben, aber am besten sorgen Sie trotzdem dafür, daß Ihre Leute auf dem Revier auch wirklich vorsichtig damit umgehen. Und lassen Sie um Himmels willen nicht zu, daß es jemand auspackt.«

»Dazu wird keiner Gelegenheit haben«, versicherte Jofferty ihm. »Wir haben nämlich in der Bank ein besonderes Tresorfach, in dem wir Wertgegenstände aufbewahren, und zufällig bin ich dafür zuständig. Ich werde das Ding auf direktem Wege hinbringen und vergessen, einen Bericht darüber zu den Akten zu heften. Zufrieden? Ach so, grüßen Sie bitte Ihre Familie von mir.«

Während er den Zündschlüssel in seinem schlammbespritzten Wagen umdrehte, blickte er hinüber zu Bittersohns luxuriösem Wagen und grinste. »Ich wette, Ihre Mutter hat damals so ungefähr dasselbe zu Ihnen gesagt wie meine, als ich in der Fabrik für Fischbuletten aufgehört habe, um zur Polizei zu gehen. Ich hab’ ihr gesagt, ab und zu Zielscheibe zu spielen sei immer noch besser, als ein Leben lang Schellfische auszunehmen. Bis dann, Max. Tschüs, Mrs. Kelling.«

»Das ist ja fabelhaft«, meinte Sarah schmollend, nachdem er losgefahren war. »Wenn Sergeant Jofferty dich bereits Max nennt, wenn er dich gerade 30 Sekunden lang kennt, warum nennt er mich dann nicht auch Sarah?«

Das hätte er sicherlich auch getan, wenn sie Mrs. Bittersohn und nicht Mrs. Kelling hieße. Gleichgültig, wie weit weg Max auch zog, hier an der Nordküste von Neuengland würde man ihn immer auf eine Art und Weise akzeptieren, die kein Mitglied ihrer Familie jemals kennenlernen würde, selbst wenn sie jeden Sommer hier einfielen, einige von ihnen sogar seit drei oder vier Generationen. Die Grenzen zwischen den Sommergästen und den Menschen, die das ganze Jahr über hier lebten, waren vielleicht inzwischen weniger genau abgesteckt als zu Zeiten ihrer Großeltern, doch es gab sie immer noch, und das war einfach nicht fair.

»Ihr seid eben echte Snobs, das ist alles. Nimm dich selbst, beispielsweise. Du kommst nicht einmal aus Ireson Town, und trotzdem behandeln dich alle wie ihren langvermißten Vetter. Selbst bei Alexander haben sie nie –«

Sie unterbrach sich jäh. Max hatte sicher allmählich mehr als genug von Alexander. »Komm mit nach oben, und hilf mir im Kampf mit den neuen Matratzen. Mr. Lomax hat sie in die falschen Zimmer gebracht.«

Sie waren noch damit beschäftigt, die Gästezimmer in Ordnung zu bringen, als das Telefon klingelte. Sarah hatte ein Kissen unter das Kinn geklemmt und war gerade dabei, es in einen Bezug zu stopfen, der offenbar bei der Wäsche eingelaufen war. »Gehst du bitte ans Telefon, Max?« murmelte sie undeutlich. »Es ist wahrscheinlich dein Freund Jofferty wegen des Spiegels. Vielleicht hat er herausgefunden, wem er gehört.«

Max lief zum Telefon, aber er war bereits wieder oben, bevor Sarah den zweiten Kissenbezug auseinandergefaltet hatte. »Es ist für dich. Irgendeine Frau namens Tergoyne. Sie dachte schon, sie hätte sich verwählt.«

»Warum hast du sie nicht davon überzeugt, daß sie recht hatte?«

Sarah verspürte nicht die geringste Lust, mit Miffy Tergoyne zu plaudern – oder eher ihr zuzuhören. Miffy gehörte zu der alten Clique vom Yachtclub, in dem auch Alexanders Eltern früher Mitglieder gewesen waren. Ihre offizielle Mitgliedschaft war zwar verfallen, als Alexanders Vater gestorben war und seine Yacht verkauft werden mußte, doch die Kellings zählten automatisch immer noch zum elitären Kreis, weil es eben immer so gewesen war.

Als Witwe, über die viel geredet wurde, und, was noch schlimmer war, die in den letzten Monaten beinahe mittellos dagestanden hatte, hatte Sarah als positive Nebenwirkung eher mit der gesellschaftlichen Ächtung von Seiten des Yachtclubs gerechnet. Entweder war Miffy zu alt, um angestammte Gewohnheiten abzulegen, oder der Umstand, daß Sarah jetzt über das relativ kleine Erbe ihres Vaters verfügte, hatte sie wieder für den Kreis der erlauchten Gesellschaft qualifiziert. Nun ja, damit mußte sie eben leben.

Irgendwer hatte einmal behauptet, daß die echten »Bostoner Brahmanen«, die alteingesessenen konservativen Familien, Sitten, aber keine Manieren hätten. Wie bei den meisten Verallgemeinerungen basierte wohl auch diese Feststellung auf einigen unseligen Einzelfällen. Einer dieser Fälle konnte sehr wohl Miffy Tergoyne gewesen sein.

»Sarah!« Ihr nasales Kreischen war scharf genug, um die Telefonkabel zu durchschneiden. »Wer war dieser Mann?«

»Max Bittersohn, mein Mieter«, erklärte Sarah.

»Mein Gott, tust du das jetzt auch schon in Ireson’s Landing? Alice hat es mir zwar erzählt, aber ich konnte es nicht glauben, nicht nach Alex. Hast du tatsächlich eine Affäre mit diesem Mann?«

»Wie nett, daß du dich so um mich sorgst«, erwiderte Sarah mit zuckersüßer Stimme.

»Soll ich das etwa als Antwort verstehen?«

»Warum denkst du, daß es dich überhaupt etwas angeht?«

Miffy war sprachlos, allerdings nur einen Augenblick lang. Dann räusperte sie sich und meinte mißbilligend: »Ich muß schon sagen, du hast dich wirklich sehr verändert.«

»Nein, das habe ich nicht. Das ist nur das erste Mal, daß du mir überhaupt richtig zuhörst, wenn ich etwas sage, das ist alles. Was verschafft mir übrigens die Ehre, Miffy?«

»Ich erwarte dich und Appie heute um halb sechs auf ein paar Drinks.«

»Tut mir leid, aber Tante Appie kommt erst am Montag.«

Miffy stieß ein gackerndes Lachen aus. »Das denkst du, Kindchen! Heute Morgen habe ich Appie angerufen und sie überredet, sofort loszufahren. Sie müßte jeden Moment in deiner schrecklichen Auffahrt vorfahren.«

»Miffy, wie konntest du das tun! Ich bin noch nicht mal mit dem Haus fertig. Hast du es jemals in deinem Leben geschafft, deine Nase nicht in anderer Leute Angelegenheiten zu stecken?«

»Sei doch nicht albern. Warum sollte ich? Halb sechs also, und seid pünktlich. Bring deinen Freund mit. Alice und ich wollen ihn uns ansehen.«

Max kam gerade rechtzeitig herunter, um zu sehen, wie Sarah den Hörer auf die Gabel knallte.

»Was ist denn los?«

»Ach, überhaupt nichts«, schäumte sie, »außer daß Tante Appie hier jede Sekunde auf der Matte stehen wird, ohne mich auch nur vorzuwarnen, und Miffy uns Punkt fünf Uhr dreißig zu Drinks erwartet. Dich übrigens auch.«

»Verdammt, Sarah – ich dachte, wir hätten hier endlich einmal ein paar Tage ganz für uns allein.«

»Das habe ich auch gedacht, aber das läßt Miffy völlig kalt.«

»Hättest du ihr nicht einfach sagen können, sie solle sich zum Teufel scheren?«

»Habe ich ja, aber sie hat nicht zugehört. Miffy ist es ja gar nicht, Max. Das wirkliche Problem ist Tante Appie. Ich könnte nicht ertragen, wenn sie das Gefühl hätte, daß sie hier nicht willkommen ist. Wenn du sie erst einmal kennengelernt hast, wirst du mich verstehen. Tante Appie ist die ewige Pfadfinderin, jeden Tag eine gute Tat, und meistens erntet sie dafür nur Undank.

Du bist Onkel Samuel niemals begegnet, und dafür kannst du wirklich dankbar sein. Er war der absolute Hypochonder. Tante Appie hat an ihm sämtliche Krankheiten gepflegt, die es in einem medizinischen Lehrbuch überhaupt gibt. Schließlich ist er an einem Druckfehler gestorben, und ich glaube wirklich, sie trauert um ihn.

Als Cousin Dolph ihr erzählt hat, daß ich hier den Sommer verbringen wollte, und die brillante Idee hatte, sie könne doch auch herkommen, weil sie einen Tapetenwechsel brauche, hätte ich sie am liebsten beide erschlagen, aber ich habe es nicht übers Herz gebracht, ihr zu sagen, sie solle lieber zu Hause bleiben. Tante Appie hat sich all die Jahre immer so viel Mühe gegeben, Alexander das Leben zu erleichtern, als er nicht wegkonnte, weil er seine Mutter pflegen mußte.«

Jetzt ging es schon wieder los. Max sah stinkwütend aus, und sie konnte es ihm nicht einmal verdenken. Sarah schlang ihre Arme um seinen Hals. »Irgendwie werde ich das alles wiedergutmachen, das verspreche ich dir.«

»Das sagst du bestimmt nur so«, brummte er.

Doch er ließ sich immer noch bereitwillig von Sarah besänftigen, als sie das Bahnhofstaxi draußen über die Schlaglöcher holpern hörten. Mit den Fingern wischte Sarah hastig die Lippenstiftspuren von Max’ Kinn.

»Wage es bloß nicht, dich davonzuschleichen. Du mußt sie sowieso früher oder später kennenlernen.«

»Wie lange will sie denn um Himmels willen bleiben?«

»Keine Ahnung. Höchstwahrscheinlich nicht sehr lange. Sie wird sich hier bestimmt nicht besonders wohl fühlen, wo das halbe Mobiliar in Boston ist und es außer dem Kaminfeuer keine Heizmöglichkeit gibt. Du weißt ja, wie scheußlich ungemütlich es so nahe am Wasser werden kann. Oje, ich hoffe wirklich, daß Mr. Lomax daran gedacht hat, den Kamin fegen zu lassen. Ich habe keine Ahnung, was die High-Street-Bank mit mir täte, wenn ich das Haus abbrennen ließe.«

Um Sarahs Besitz wurde wegen einer Hypothek, deren Gültigkeit noch nicht geklärt war, ein Rechtsstreit geführt. Das große Haus selbst war nicht viel wert, es sei denn, ein unternehmungslustiger Architekt hatte Lust, 100 000 Dollar aufzubringen und es in ein Haus mit luxuriösen Eigentumswohnungen zu verwandeln. Aber mit dem gut 140 000 Quadratmeter großen Grundstück, auf dem es stand, konnte jeder Bauunternehmer ein Vermögen machen. Bis die Angelegenheit geklärt war, blieb ihr nichts anderes übrig, als die Steuern zu bezahlen und das Beste zu hoffen.

Im Moment war Sarah sowieso nicht in der Lage, verbindliche Zukunftspläne zu schmieden. Alles hing davon ab, wie sich ihre Beziehung zu Max weiterentwickelte. Wenn er erst einmal den Sommer mit ihren lieben Verwandten und alten Bekannten verbracht hatte, würde er die ganze Sache vielleicht lieber abbrechen. Sie machte einen halbherzigen Versuch, ihr langes, feines hellbraunes Haar in Ordnung zu bringen, und ging nach draußen, um ihre Tante zu begrüßen.

»Ist das nicht alles wundervoll!«

Tante Appie kletterte aus dem Bahnhofstaxi und breitete überall fröhlich ihre Taschen und Koffer aus. »Als Miffy mich angerufen hat, habe ich schnell alles zusammengepackt und bin auf der Stelle hergesaust. Den Zug habe ich im letzten Moment gerade noch bekommen. Und ich habe uns einen wunderbaren Thunfischauflauf gemacht, so daß wir uns um das Abendessen keine Sorgen zu machen brauchen.«

»Das war doch wirklich nicht nötig«, protestierte Sarah, und sie meinte es wirklich. Sie kannte Tante Appies Aufläufe besser, als ihr lieb war. »Cousine Theonia hat uns so viel Essen eingepackt, daß es ewig reicht. Aber es ist natürlich sehr lieb, daß du dir die Mühe gemacht hast«, fügte sie hinzu, denn es war sicher schrecklich umständlich gewesen, die Auflaufform den ganzen Weg von Porter Square bis zur North Station, nach Ireson’s End und dann schließlich bis hierher zu transportieren. Wenn es dunkel geworden war, konnte sie die undefinierbare, fade Masse immer noch heimlich für die Stinktiere und Waschbären nach draußen schütten. Denen war es egal, was sie fraßen.

»Aber Tante Appie, du kannst doch die ganzen Sachen unmöglich alle allein tragen. So, ich nehme die Auflaufform und deine Tasche. Max kümmert sich um die Koffer. Du erinnerst dich doch sicher noch an Max Bittersohn, du hast ihn bei Dolphs und Marys Hochzeitsempfang kennengelernt.«

»Aber natürlich«, rief Appie, die sich eindeutig nicht erinnerte, aber nicht im Traum daran dachte, es zuzugeben, weil sie es nicht übers Herz brachte, die Gefühle anderer zu verletzen. »Sind Sie ein Nachbar?«

»Max ist ein Pensionsgast von mir und außerdem ein sehr guter Freund«, antwortete Sarah an seiner Stelle. »Er wohnt im Kutscherhaus.«

Ihre Tante strahlte. »Ach, wie nett! Dann haben wir einen Mann, der den Abfall zur Halde bringen kann. Ich habe mir schon die ganze Zeit im Zug darüber Gedanken gemacht, wie wir das alles allein schaffen sollen.«

Mit äußerster Beherrschung gelang es Sarah, nicht mit den Zähnen zu knirschen. »Tante Appie, du brauchst hier überhaupt nichts ›zu schaffen‹. Du bist einzig und allein als Gast hier, vergiß das bitte nicht! Du sollst hier keinen Schlag tun, sondern nur deine Freunde besuchen und dich entspannen, und Max ist alles andere als ein Gelegenheitsarbeiter, also schmiede bitte erst gar keine Pläne, daß er uns das Haus streicht oder dir einen Kajak baut.«

»Sarah, du hast aber auch die merkwürdigsten Ideen. Was sollte ich denn bloß mit einem Kajak anfangen? Aber was machen wir nun wirklich mit dem ganzen Abfall?«

»Mr. Lomax kommt mit dem Kleinlaster und holt ihn ab, genau wie sonst auch. Er kümmert sich auch um Reparaturen, um das Grundstück und den Garten. Ich werde das Unkraut in den Gemüsebeeten ausrupfen, und Max erledigt seine eigenen Angelegenheiten. Wir werden alle drei schrecklich beschäftigt sein, du mußt dich also mit Miffy und der Clique vom Yachtclub zufriedengeben. Die halten dich schon in Trab, keine Sorge. Also komm nach oben, und mach es dir bequem.«

»Ich möchte nur schnell meine Lungen mit dieser wunderbaren Luft hier volltanken. Um-aah!«

Es gab zwei Sorten von Kellings, die großen und die kleinen. Die großen Kellings besaßen meist längliche Gesichter und Adlernasen. Einige wenige, beispielsweise Sarahs verstorbener Ehemann, hatten es geschafft, attraktiv auszusehen. Die meisten jedoch nicht.

Die kleinen Kellings hatten eckige Gesichter, gerade Nasen und Lippen, die man als Kußmund beschreiben konnte, auch wenn die Kellings selbst dies nie tun würden. Die Konturen waren sanft geschwungen und reichten von angenehm voll bis übermäßig fleischig. Sarah selbst war eine außergewöhnlich attraktive Vertreterin der kleinen Kellings.

Tante Appie, ebenfalls eine Kelling-Kelling wie Sarah, da die Kellings dazu neigten, entfernte Cousinen oder Cousins zu ehelichen, um so das Geld in der Familie zu halten, gehörte zum hochgewachsenen Familienzweig und war eine der Langen – der dürren Langen. Als sie so dastand und mit ausgebreiteten Armen und geblähten Nasenflügeln die salzige Seeluft einsog, hätte sie geradezu als Inspiration für Cyrius Dallins Anruf des Großen Geistes dienen können, es fehlten nur noch das Pferd, die passenden Mokassins und ein Lendenschurz statt der praktischen Schnürschuhe und der Hemdbluse aus grünem Krepp, die irgendwie an eine Pfadfinderinnenuniform erinnerte.

Nachdem sie sich die Lungen ordentlich vollgepumpt hatte, marschierte Appie allen voran ins Haus, unter dem Arm ein überquellendes Fotoalbum, mit dem sie Sarah an ihren gemeinsamen langen, gemütlichen Abenden zu erfreuen gedachte. Max, der andere Vorstellungen hegte, was den Zeitvertreib im Mondschein betraf, beäugte das Album mißtrauisch.

»Dein Zimmer ist noch nicht ganz fertig, weil ich dich nicht vor Montag erwartet habe«, teilte Sarah ihrer Tante mit. »Max und ich sind gerade eben erst angekommen. Ich habe noch nicht einmal meine Sachen ausgepackt, und er auch nicht.«

»Dann werden wir jetzt alle fleißig hin und her schwirren und alles tadellos verstauen. Was für ein Spaß! Husch, husch, meine Küken! Die alte Glucke baut sich selbst ihr Nest und macht es sich darin urgemütlich. Oh, wie sie durch die Luft schwebt –«

Selbst Max konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, als sie Tante Appie Kissen aufschüttelnd und Schubladen schiebend zurückließen. »Jetzt verstehe ich, was du meinst«, murmelte er. »Ist sie immer so?«

»Meistens. Du mußt nur hart zu ihr sein, wenn sie dich bekochen will oder eine Exkursion zur Erforschung der Haubenmeise in ihrem natürlichen Habitat zu organisieren droht. Wenn alles gutgeht, wird sie bestimmt von einigen ihrer Freunde eingeladen, sobald sie erfahren haben, daß sie hier ist. Ich hoffe doch sehr, daß du uns zu Miffy fährst? Tante Appie wäre untröstlich, wenn sie das Gefühl hätte, daß du nicht an der allgemeinen Fröhlichkeit teilnehmen darfst.«

»Gibt es denn dort so etwas überhaupt?«

»Es wird bestimmt tödlich langweilig. Die interessanten Leute gehen nämlich nicht zu Miffy. Aber Tante Appie amüsiert sich immer köstlich. Wir brauchen sie nur auf der Party abzusetzen, und dann machen wir uns heimlich wieder aus dem Staub. Wenn die lieben Gäste sich erst einmal ein paar von Miffys Martinis zu Gemüte geführt haben, wissen sie sowieso nicht mehr, wer da ist und wer nicht.«

»Aber wie kommt sie wieder nach Hause?«

»Jemand wird sie früher oder später zurückfahren. Mach doch bitte nicht so ein finsteres Gesicht, Liebling. Wir finden schon irgendeine Lösung. Und jetzt komm, und schau dir endlich dein neues Heim an. Ich hoffe, die Farbe ist schon trocken.«

Trotz ihres Vorsatzes, kein Geld für Ireson’s Landing auszugeben, bis sie genau wußte, ob es ihr auch wirklich gehörte, hatte Sarah einige Verschönerungen an dem Kutscherhaus vorgenommen. Es hatte einfach sein müssen. In der kleinen Wohnung über den Ställen hatte seit 1915 kein Kutscher mehr gewohnt, und die Spinnweben hatte man praktisch mit der Machete durchhacken müssen.

Zusammen mit Mr. Lomax hatte sie die Wände und Decken abgebürstet und abgeschrubbt und den alten grauen Putz in einem pastellgelben Farbton gestrichen. Den freiliegenden Balken hatte sie mit irgendeinem Zaubergemisch eingeölt, das Mr. Lomax höchstpersönlich gebraut hatte, das abgenutzte Mobiliar leuchtend rot gestrichen und soweit wie möglich durch Kissen und Überwürfe mit indischen Mustern kaschiert. Den Holzfußboden aus breiten Kieferndielen, für den jede Hilfe zu spät kam, hatten sie dunkelgrün gestrichen und mit einem Flickenteppich verschönt, den Mrs. Lomax vor einiger Zeit angefertigt hatte. Mrs. Lomax litt zwar inzwischen an Arthritis, doch sie war jederzeit gern bereit, etwas für den Jungen von Isaac Bittersohn zu tun, auf den sie immer große Stücke gehalten hatte.

An dem altmodischen Badezimmer konnte man nicht viel retten, man konnte es lediglich gründlich säubern. Eine Küche gab es leider nicht. Max würde seine Mahlzeiten bei ihr im Haus einnehmen, oder, wenn zu viele Kellings das Grundstück bevölkern sollten, zu Miriam oder seiner Mutter gehen und um eine milde Gabe bitten müssen.

Sarah hatte die Eltern von Max noch nicht kennengelernt. Offenbar war dies erst geplant, wenn sie bereit war, ohne Zittern und Zagen mit Max den Bund fürs Leben zu schließen. Sie wünschte, daß sie dazu schon in der Lage wäre. Es wäre sicher viel angenehmer, diese beiden hellen Zimmer hier mit Max zu teilen, als oben auf dem Hügel mit Tante Appie in der zugigen Arche von Haus die Zeit totzuschlagen. Sie schenkte ihm ein ziemlich hilfloses Lächeln und ging zurück, um ihre eigenen Sachen auszupacken.

Kapitel 3

»Also Sarah, du schaust zwar ein klein wenig besser aus als bei unserem letzten Treffen, aber ich nehme an, daß du über den Verlust von Alex wahrscheinlich nie hinwegkommen wirst. Wirklich schade, daß ihr keine Kinder zusammen hattet. Das wäre wenigstens ein kleiner Trost gewesen, aber möglicherweise auch nicht, wenn man sich die heutige Jugend anschaut. Was hat Miffy um Gottes Willen bloß in die Martinis getan?«

»Ich habe keine Ahnung.«

Sarah unterdrückte den Wunsch, daß es ein tödlich wirkendes Gift sein möge, und eiste sich von Pussy Beaxitt los. Sie bemerkte, daß Max von irgendjemandem in die Enge getrieben worden war, der es auf ein kostenloses Gutachten für ein angeblich echtes Rembrandt-Peale-Gemälde abgesehen hatte, das höchstwahrscheinlich keines war. Sie vermutete, daß Max klug genug war, sich nicht darauf einzulassen. Eigentlich hätte sie es besser wissen müssen, als ihn herzuschleppen. Sie hatte vergessen, wie unendlich grauenvoll diese kleinen Gesellschaften bei Miffy sein konnten.

Vor einem Jahr hatte sie nur gleichgültig herumgesessen und sich gelangweilt, statt wie jetzt jede Minute zu hassen, die sie hier verbringen mußte. Sie hatte sich schon vor Jahren an ein Dasein in Langeweile gewöhnt, da es als ihr unausweichliches Schicksal erschienen war. Zuerst war sie nichts weiter als die Tochter von Walter Kelling gewesen, zu jung, um zu den Erwachsenen zu zählen, zu schüchtern, um sich zu den anwesenden Teenagern zu gesellen. Dann, ungefähr genau zu dem Zeitpunkt, als sie möglicherweise als junge Dame in die Gesellschaft hätte eingeführt werden können und vielleicht endlich bei den jungen Herren der Schöpfung ein wenig Interesse hervorgerufen hätte, war ihr Vater an Pilzvergiftung gestorben, und sie hatte den entfernten Verwandten geheiratet, den Walter Kelling zu Sarahs Vormund ernannt hatte. Wer hätte die stille, kleine Sarah auch bemerken sollen, wenn sie die ganze Zeit ihre Schwiegermutter bei sich hatte, die schöne, blinde, intelligente, willensstarke Caroline Kelling?

Aber heute war sie nicht mehr die kleine Sarah. Der plötzliche Tod ihres Mannes und die unerwarteten Probleme hatten ihr Leben verändert – sehr verändert, wenn auch nicht vollkommen, denn sonst stünde sie heute nicht hier mit einem Glas Wermut in der Hand, das nicht in die Martinis geschüttet worden war, und würde sich nicht fragen, warum sie eigentlich nicht den Mut aufbrachte, Pussy ordentlich die Meinung zu sagen.