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Michael Grumley

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Beschreibung

Manche Rätsel sollten besser ungelöst bleiben ...

Im Karibischen Meer muss ein U-Boot von einer Sekunde auf die andere seine Mission abbrechen. Dann verschwindet es spurlos. Die näheren Umstände sind ungeklärt. In seiner Verzweiflung wendet sich Sonderermittler John Clay an die Meeresbiologin Alison Shaw, der das scheinbar Unmögliche gelungen ist: Sie hat einen Weg gefunden, mit Delfinen zu kommunizieren. Clay schickt Alisons Schützlinge los, in der Hoffnung, die hochintelligenten Tiere könnten eine Spur des verschollenen U-Boots finden. Doch was sie auf dem Grund des Ozeans entdecken, wird die Menschheit in ihren Grundfesten für immer erschüttern...

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MICHAEL GRUMLEY

BREAK-

THROUGH

SCIENCE-THRILLER

Aus dem Amerikanischen übersetzt

von Wally Anker

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
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Titel der amerikanischen OriginalausgabeBREAKTHROUGH
Deutsche Erstausgabe 10/2017Copyright © 2013 by Michael GrumleyCopyright © 2017 der deutschsprachigen Ausgabe byWilhelm Heyne Verlag, München,in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,Neumarkter Str. 28, 81673 München.Covergestaltung: Das Illustrat, München, unter Verwendungeines Motivs von ixpert/ShutterstockRedaktion: Rainer Michael RahnSatz: Christine Roithner Verlagsservice, BreitenaichISBN 978-3-641-21204-9V002
www.heyne.de

Das Buch

Mitten in der Karibik muss die Triton II, ein U-Boot der US-Marine, von einer Sekunde auf die andere ihre Mission abbrechen. Dann verschwindet sie spurlos. Die Besatzung bleibt verschollen, die näheren Umstände des Vorfalls sind ungeklärt. In ihrer Verzweiflung kontaktieren die beiden Navy-Sonderermittler John Clay und Steve Caesare die Meeresbiologin Alison Shaw, der das scheinbar Unmögliche gelungen ist: Sie hat einen Weg gefunden, mit Delfinen zu sprechen. Clay und Caesare setzen Alisons Schützlinge im Meer aus, in der Hoffnung, die hochintelligenten Tiere könnten etwas über den Verbleib der Triton II herausfinden. Doch was sie stattdessen auf dem Grund des Ozeans entdecken, wird die Menschheit in ihren Grundfesten erschüttern …

Der Autor

Michael Grumley arbeitet in der Informationstechnologie, doch seine große Leidenschaft gehörte schon immer der Literatur. Seit Jahren träumte er davon, einmal selbst einen Roman zu schreiben, der eine einzigartige Geschichte erzählt. Mit Breakthrough hat er sich diesen Traum erfüllt. Der Autor lebt mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern in Kalifornien.

Mehr über Michael Grumley und seinen Roman erfahren Sie auf:

Für Autumn und Andrea,

zwei der wunderbarsten Frauen,

die auf dieser Erde wandeln.

1

Etwas dort draußen klang komisch. Er drückte die Kopfhörer fester gegen seine Ohren.

Sonarmaate gehörten zu einem ganz eigenen Schlag. Die wenigsten Menschen konnten sich tagelang vor einen Monitor setzen, gegen die Monotonie ankämpfen und auf das leiseste Geräusch in den Tiefen und Weiten des einsamen Ozeans lauschen. Aber bei den wenigen, die sich der Aufgabe stellen konnten, war es erstaunlich, wie gut sich die menschlichen Sinne darauf einstellten. Eugene Walker war lieber »Horchpeiler« als sonst etwas in der Marine. Hier konnte er alles hören. Selbst in einer so langweiligen Nacht wie dieser wusste er genau, was sie umgab, während sie durch das finstere Gewässer glitten.

Was er aber in dieser Nacht hörte, war sonderbar. Er verfolgte es schon eine ganze Zeit, konnte es aber nicht ausmachen. Er rutschte auf seinem Stuhl hin und her und musterte den Monitor auf dem Tisch, während er dem eigentümlichen Geräusch lauschte, das sein Computer aufgefangen hatte. Er spielte es immer wieder ab, wusste aber immer noch nicht, womit er es zu tun hatte. Es hieß, einige Sonarmaate seien sogar so gut, dass sie die Strömung zwischen den Korallen hörten, aber diese Typen verbrachten ihr gesamtes Leben in den Booten. Er hörte keine Strömungen, hatte in seiner Zeit aber einige natürliche Vorkommnisse identifiziert, bei denen der Computer abdankte. Das hier war allerdings seltsam: ein stetes niederfrequentes Brummen, das an der unteren Grenze des menschlichen Hörvermögens lag.

Kaum drei Meter hinter Walker stand Wachoffizier Sykes, der sich mit einem weiteren faszinierenden Wartungsbericht beschäftigte. Sykes war ein Paragrafenreiter, wie die meisten, aber selbst die besten WOs erlagen letztendlich der unbeugsamen Langweile der perfekten Routine. Er nahm seine Kaffeetasse und nippte daran, ließ seine Gedanken schweifen, dachte an seine Frau und die Töchter zu Hause und fragte sich, ob sie bereits im Bett lagen. Er blickte halb abwesend auf die Uhr und blätterte um, suchte nur noch nach auffälligen Passagen.

Instinktiv bemerkte er aus dem Augenwinkel, dass sein Steuermann wiederholt von seinen Instrumenten aufblickte, um die digitale Karte auf dem Monitor anzustarren.

»Stimmt etwas nicht, Willie?«

Willie Mendez antwortete zuerst nicht. Man konfrontierte einen WO nicht mit Problemen, ehe man sie nicht doppelt und dreifach überprüft hatte. »Mmmmhhh …«

Sykes drehte sich langsam zu ihm um, wobei er sich noch dagegen sträubte, die Augen von dem Bericht zu nehmen, der aber langsam zu einem Buchstabensalat verschwamm.

Der Steuermann musterte die knapp einen Quadratmeter große beleuchtete Karte vor sich genauer. »Ich kann mir das nicht erklären, Sir.«

Sykes blickte von dem Tisch auf und beäugte einen anderen Monitor. Er erkannte das Problem sofort. Er schnappte sich das Kartenbesteck und rechnete selbst noch einmal nach. Dann runzelte er die Stirn und richtete sich an seinen jungen Steuermann.

»Wie oft haben Sie das überprüft?«

»Viermal.«

Sykes kratzte sich am Kinn, während Mendez weitersprach. »Wenn ich den letzten bestätigten Standpunkt vor zwei Minuten nehme und unseren Kurs verfolge …« Er vergrößerte den Kartenausschnitt auf dem Monitor. Neben seinem Zeigefinger erschien ein kleiner Kreis samt GPS-Daten. Dann folgte er mit dem Finger weiter dem Kurs in derselben Richtung. »Und jetzt sollen wir uns hier befinden!«

»In zwei Minuten?« Sykes’ Frage war eher rhetorisch. Er schüttelte den Kopf und seufzte. Dreihundertachtzig Knoten waren selbst für ein Atom-U-Boot etwas optimistisch. Handelte es sich um eine Funktionsstörung? Das wäre nicht der erste Computerfehler, bei Weitem nicht. Er wusste genau, dass Software, die von einem beliebigen Computerfreak auf Koffein geschrieben wurde, wesentlich störanfälliger war als traditionelle mechanische oder elektrische Systeme. Verdammt, diese Tatsache war selbst für einen Schiffskoch völlig einleuchtend. »Gibt es weitere Auffälligkeiten?«

»Nein, Sir.«

»Dann lassen Sie mal die Eigendiagnoseprogramme durchlaufen. Auf beiden Systemen.«

»Das habe ich bereits, Sir.« Sämtliche Augen richteten sich mittlerweile auf den Monitor mit den Resultaten. »Die Systeme zeigen keinerlei Fehler.«

Na wunderbar. Kaputte Software, die nicht einmal wusste, dass sie eine Macke hatte. Sykes betrachtete die orangefarbene GPS-Anzeige genauer. »Versuchen Sie die Satelliten zu synchronisieren.«

Willie tat, wie ihm geheißen, und wartete. Nach einer Weile schüttelte er langsam den Kopf. »Die Vögel machen einen guten Eindruck. Fünf … jetzt sechs Satelliten. Die lokalisieren uns auf einen Meter genau, spucken alle dieselben Koordinaten aus.«

Der Wachoffizier antwortete nicht, sondern starrte weiterhin auf die GPS-Anzeige und ließ sich das Problem durch den Kopf gehen.

Eugene lugte aus seinem winzigen Kabuff und nahm den Kopfhörer ab. »Sir, während der letzten zwei Minuten habe ich auf dem Sonar etwas empfangen. Die beiden Sachen könnten miteinander in Verbindung stehen.«

Sykes’ Blick richtete sich auf Eugene. »Was denn?«

»Kein Schiff, Sir. So etwas ist mir zuvor noch nie zu Ohren gekommen.«

Sykes setzte das zweite Paar Kopfhörer auf und lauschte gebannt der Aufnahme, die Eugene jetzt erneut abspielte. »Was zum Teufel soll das denn sein?«

Mit gerunzelter Stirn schaltete Eugene wieder auf die Sensoren um und schloss die Augen. »Jetzt ist es verschwunden.«

»Irgendwelche Vorschläge?«

Eugene seufzte. »Ich bin mir nicht sicher. Zuerst dachte ich, es könnten hydrothermale Schlote sein, entschied mich aber dagegen.« Er beobachtete Sykes, der Willie anschaute und wieder hinüber zum Tisch ging. Nach einer langen Pause und erzwungener Selbstkontrolle setzte er seinen Kaffeebecher ab. Dann verließ er die Kommandozentrale, trat über die Schwelle der Luke, ging den langen grauen Metall-Korridor entlang und murrte: »Das ist wieder mal verdammt gutes Timing.«

Captain Ashman antwortete auf das Klopfen an der Tür mit einem einfachen »Eintreten«. Sykes folgte der Einladung. Sein Kopf befand sich nur knapp zwei Zentimeter unter den mächtigen Rohren an der Decke.

»Was ist denn?« Er musste kaum den Kopf von seinem eigenen Lesestoff heben, um zu wissen, mit wem er es zu tun hatte.

»Sir, es scheint ganz so, als ob wir Probleme mit unseren Navigationssystemen haben. Sie zeigen eine Abweichung unserer Position um circa fünfzehn Seemeilen an.«

Ashman blickte auf. »Fünfzehn Seemeilen?«

»Genau, Sir.«

»Haben Sie eine Diagnose veranlasst?«

Sykes nickte. »Ja, Sir. Wie nach Vorschrift, aber wir können die Ursache des Problems nicht finden.«

Ashman klopfte sich sanft mit dem Finger gegen die geschürzten Lippen. »Wie sieht es mit den Geschwindigkeitssensoren aus?«

»Gut, Sir. Die Antriebssysteme funktionieren perfekt und stimmen mit allem anderen überein. Nur unsere Position stimmt nicht. Ich vermute, dass es sich hier um einen Fehler des GPS-Systems handelt, aber das können wir nicht verifizieren, es sei denn …«

»Es sei denn, wir tauchen auf und blasen die Mission ab.« Ashmans Stimme war angespannt. »Wurden die Systeme vor unserer Abfahrt auf den neuesten Stand gebracht?«

»Nicht dass ich wüsste, Sir.«

»Sollte ich herausfinden, dass jemand dumm genug war, die Systeme vor einer viermonatigen Ausfahrt upzudaten, bringe ich ihn persönlich ins Schiffsgefängnis!«

»Ja, Sir!«

Sykes holte tief Luft. Jetzt war es auch egal, ob jemand sich an dem System vergriffen hatte oder nicht. Es war kaputt, und sie verfügten an Bord aller Wahrscheinlichkeit nach nicht über die Möglichkeiten, es zu reparieren. Und selbst wenn, bot die Situation genügend Grund, die Mission abzubrechen. Niemand wollte riskieren, sie weiterzuführen, um später in größeren Tiefen erneut über ein Problem zu stolpern, denn dort unten konnte man nicht mal kurz auftauchen.

»Reden Sie mit den Technikern und vergewissern Sie sich, dass niemand an den Systemen herumgefummelt hat«, sagte Ashman.

Sykes nickte. Er hatte bereits mit diesem Befehl gerechnet, ehe er an der Tür des Kaleu geklopft hatte. Ashman zog die Beine unter dem Tisch ein und stand auf. »Auftauchen. Sagen Sie Bescheid, dass wir einlaufen.«

Auf dem Rückweg zur Brücke bekam Sykes ein immer schlechteres Gefühl in der Magengegend.

2

Christoph Kolumbus entdeckte die Kaimaninseln im Jahre 1503. Wegen der vielen dort lebenden Schildkröten waren sie anfangs unter dem Namen Las Tortugas geläufig und wurden über Jahrhunderte hinweg als einfache Kronkolonie verwaltet, ehe sie in den späten Sechzigerjahren des letzten Jahrhunderts den offiziellen Status einer britischen Kolonie erhielten. Wie bei den meisten karibischen Inseln der Fall, formte der Tourismus den Hauptwirtschaftszweig der Kaimaninseln, und jedes Jahr strömten Scharen von übergewichtigen, sonnenverbrannten Amerikanern mit zu viel Geld dorthin, um ihrer Vorliebe für ein kurzes Nickerchen zu frönen. Sie kamen in Georgetown an, um sich in ihre glänzenden Mietautos mit Klimaanlage zu zwängen, in denen sie so gut wie nie mit den verheerenden Folgen des Hurrikans konfrontiert wurden, der wenige Jahre zuvor die Inseln verwüstet hatte. Der Fortschritt, der angesichts der Chance auf mehr Geld erzielt werden konnte, verschlug einem beinahe die Sprache.

Obwohl man Georgetown von dem 38er-Katamaran aus in der Ferne ausmachen konnte, blieb dieser auf dem weiten Ozean von der Insel aus unsichtbar. Er lag kurz vor Little Cayman vor Anker und schwoite lustlos im Wasser. Der sanfte Wind genügte gerade, das nicht straff gezogene Fall immer wieder gegen den Aluminiummast knallen zu lassen. Die warme winterliche Brise wehte leicht über Deck und Segel, die fest eingerollt waren. Aus der Nähe hätte ein Betrachter glauben können, dass das Boot verlassen war, denn es befand sich anscheinend niemand an Bord. Möwen waren die einzigen Passagiere, von denen zwei gemütlich auf der Steuerboard-Reling hockten.

Ganz in der Nähe wurde das kristallblaue Wasser plötzlich unruhig, und ein Kreis aus Blasen stieg an die Oberfläche. Einen Augenblick später erschien ein dunkler Kopf und schaute sich um. Als der Mann das Heck des Bootes erspähte, streifte er rasch die Maske über das kurze Haar und schwamm auf das Boot zu. Als er die kleine Leiter erreichte, warf er die Maske samt Schnorchel an Bord und zog dann den Oberkörper mit überraschender Leichtigkeit aus dem Wasser, bis seine Beine die Stufen der Leiter berührten. Er streckte den Arm aus, löste die Schnallen seiner Flossen, warf sie ebenfalls an Bord und schnappte sich in einer flüssigen Bewegung ein Handtuch.

Er holte sich eine Flasche Orangensaft aus dem kleinen Kühlschrank und ging dann zum Bug, um es sich auf dem Trampolin bequem zu machen. Er starrte auf die größere Insel und konnte in der Ferne einen Jetski erkennen, der über das Wasser raste. Er fand es jedes Mal befremdlich, wie viele Leute den Lärm liebten. Sie leisteten sich einige Tage abseits der Plackerei des Alltags, reisten an einen einsamen Ort der Welt, um sich dort zu erholen, taten dies aber mit Tausenden anderen Touristen und düsten mit achtzig Dezibel durch die Bucht. Er lächelte vor sich hin und prostete ihnen mit seinem Orangensaft zu.

Jedem das Seine, dachte er. Eigentlich sollte er ja dankbar sein. Wenn sie sich nicht dort drüben befänden, wären sie vielleicht hier, direkt neben ihm. Bei dem Gedanken stand er auf und blinzelte zu dem schimmernden Horizont. Jeden Tag von Neuem zu entscheiden, was er anstellen sollte, war genau das Richtige für ihn.

Plötzlich erstarrte er. Das Geräusch war extrem leise, aber doch unverkennbar, und er verspürte einen Anflug widerwilliger Akzeptanz, ehe er zu dem Feldstecher griff. Er wischte sich die Wassertropfen vom Gesicht und lugte durch das Fernglas. Er stand einfach da und schaute beinahe stoisch zu, wie der winzig kleine schwarze Punkt in der Ferne sich langsam in einen Helikopter verwandelte.

3

Chris Ramirez war immer wieder davon überrascht, wie viel an so einem Freitag passieren konnte. Nicht Samstag oder Sonntag – es war stets der letzte Schultag der Woche, der sich am geschäftigsten präsentierte. Dies lag natürlich an all den umliegenden Schulen, die den Freitag zum Ausflugstag erkoren hatten, sodass er vier strapaziöse Stunden am Stück den Gastgeber spielen durfte. Erst drei Wochen zuvor war Chris von dieser Aufgabe befreit worden, als ein neuer Fremdenführer angeheuert wurde. Jetzt aber musste er sich eingestehen, dass es nicht das Schlimmste war, die Kinder durch die Einrichtung zu schleusen. Allerdings störte ihn die Tatsache, dass ihre Aufnahmefähigkeit in dem Augenblick, als sie durch das Tor traten, auf null sank. Von dort konnten sie nämlich die Stars des Aquariums sehen: Die Delfine Dirk und Sally. Nicht dass er in ihrem Alter auch nur einen Deut anders gewesen wäre.

Er schlenderte durch den menschenleeren Empfangsraum und nippte an seinem Kaffee. Als er näher kam, lächelte er Betty hinter dem Auskunftsschalter sowie seiner Ablösung Al zu, der ihm einen Blick über die Schulter zuwarf und sich die Krawatte zurechtzog. Welch herrliche Tage diese neuen Freitage doch waren, an denen er wieder seiner wahren Aufgabe nachgehen konnte.

Chris warf einen Blick auf seine Armbanduhr: dreißig Minuten, bis sie die Tore öffneten. Er ging die Treppe hinab in den Keller des Aquariums. Dort stand er vor einer riesigen Wand aus Glas, hinter der circa fünf Millionen Liter Wasser umherschwappten. Auf der anderen Seite schimmerten die sanften Sonnenstrahlen durch das Wasser und erhellten das weiche Blau innerhalb des Beckens. Er beobachtete, wie die beiden Schatten mühelos durch die Sonnenstrahlen schossen. Die Delfine glitten mit einer Eleganz durch das Wasser, die nur ihnen vorbehalten war. Er hob den Kopf, um eine dritte Gestalt auszumachen. Sie winkte ihm zu. Er lächelte und tat es ihr gleich, indem er die Kaffeetasse vorsichtig durch die Luft hin und her schwenkte. Die Gestalt drehte sich um und schwamm zurück zu Dirk und Sally. Chris verschwand im Flur des Aquariums, betrat den der Öffentlichkeit nicht zugänglichen Bereich, ging in das Labor und stellte seinen Rucksack auf den Schreibtisch.

Mit Delfinen zu schwimmen lag jenseits der Vorstellungskraft der meisten Menschen. Alison Shaw musste es wissen, schließlich tat sie es so oft wie nur möglich. Sie ließ so gut wie keinen Freitag aus, denn es war der eine Tag, an dem das Aquarium etwas später die Pforten öffnete, sodass eine Dreiviertelstunde zwischen dem Füttern und dem Öffnen der Anlage lag. Während der letzten fünf Jahre haben Dirk und Sally das gemeinsame Schwimmen erst so richtig zu schätzen gelernt, so viel war offensichtlich. Ständig wirbelten sie um sie herum, ließen ihre glatten Körper von ihren Händen berühren und stupsten sie abwechselnd spielerisch an, wenn sie unter ihr schwammen. Sie warf einen Blick auf die Uhr, tätschelte die beiden ein letztes Mal und glitt dann Richtung Leiter.

Alison tauchte auf und hielt sich an einer Sprosse fest, während sie ihre Tauchermaske reinigte. Aus dem Augenwinkel bemerkte sie eine verzerrte Gestalt, die sich rasch auf sie zubewegte, blickte auf, nahm ihre beschlagene Maske ab und sah Chris über sich, der sie anlächelte.

»Warst du nicht gerade im Keller?«, fragte sie ihn und strich sich die Haare aus den Augen.

Er antwortete nicht.

Alison schaute erneut mit einem Blinzeln zu ihm auf. »Stimmt irgendetwas nicht?« Er strahlte weiterhin. »Warum lächelst du?«

Er beugte sich zu ihr hinab. »Ich glaube, dass du das mit eigenen Augen sehen willst.«

Sie riss die Augen weit auf. »ISIS?«

Chris nahm ihre Hand, zog sie aus dem Wasser und reichte ihr ein Handtuch. Sie trocknete sich rasch ab und zog ein langärmliges Hemd und eine kurze Hose aus ihrer Tasche. Chris und sie waren seit Jahren befreundet, was ihn aber nicht davon abhielt, heimlich ihren schlanken, durchtrainierten Körper zu bewundern. Auch wenn sie mehrere Zentimeter kleiner als die meisten war, so übertraf ihre Attraktivität den Durchschnitt bei Weitem – zumindest was Meeresbiologinnen anging. Noch während sie in ihre Sandalen glitt, eilten sie bereits durch den Zuschauertrakt und verschwanden dann im Inneren des Gebäudes.

Sie stürzten ins Labor, in dem Lee Kenwood an einem großen Schreibtisch voller Monitore und Tastaturen auf seinem angestammten Platz saß. Überall lagen Kabel auf dem Boden herum, sodass Alison glaubte, es würde sich um die Eingeweide einer Telefonschaltzentrale handeln. Hinter Lee standen diverse metallene Regale an der Wand, in denen Dutzende von Servern verbaut waren. In einem der mittleren Regale standen ein Monitor, eine Tastatur und eine Maus, um die verschiedenen Server zu konfigurieren, auch wenn dies eine Aufgabe war, der Lee sich nur selten annehmen musste. Zumindest nicht mehr. Mit der Vielzahl von Systemen auf seinem Schreibtisch war er nun in der Lage, sich auch über Remote-Zugriff mit dem Servern zu verbinden.

Die gegenüberliegende Wand bestand großteils aus dem Becken für die Delfine und war aus Glas, sodass man sie bestens beobachten konnte. Vor dem dicken Sicherheitsglas standen sechs mechanische Apparate, alle in verschiedenen Größen und von unterschiedlicher Komplexität. Auf jedem befand sich eine Videokamera. Diverse Dutzend Bücher sowie Magazine über Meeresbiologe, Linguistik und Maschinensprache lagen im Raum verstreut.

Alison machte sich zu Lees Schreibtisch auf, ehe ihre nasse Tasche auf dem Boden gelandet war. »Was ist denn los?«

Er warf Chris einen Blick durch seine rechteckige Brille zu. »Hast du es ihr denn nicht gesagt?«

Sie drängte ihn beiseite, bis sie den Monitor direkt vor Augen hatte. »Jetzt endlich raus mit der Sprache! Was ist passiert?«

Er stieß sich leicht von seinem Schreibtisch ab und rollte zurück, um ihr noch mehr Platz zu machen. »Sieht ganz so aus, als hätten wir es geschafft.«

»Bist du dir sicher?«, wollte sie sich vergewissern und drehte sich zum Becken um. Sie sah Dirk und Sally auf der anderen Seite, die bereits auf die erste Besucherwelle von Kindern warteten.

Kenwood grinste. »So gut wie.« Er rollte wieder zu seinem Schreibtisch zurück und klickte auf die Maus, bis verschiedene Ziffern und Resultate auf dem Bildschirm erschienen. »Siehst du? Frequenzen … Oktaven … Inflektionen …?«

»Und was ist mit den Klick-Intervallen und Wiederholungsraten?« Aufgeregt saugte sie die Informationen auf dem Bildschirm in sich ein.

»Alles da. Und wir haben eine ganze Reihe von Videopositionen für jeden einzelnen Posten.«

Hinter ihnen stürzte Frank Dubois in den Raum. »Habe gerade deine Nachricht erhalten. Was ist los?« Schon als das letzte Wort von seiner Zunge rollte, war ihm klar, dass er keine Antwort mehr brauchte. Er musste einfach nur in ihre Gesichter schauen, um zu wissen, was geschehen war. »Wollt ihr etwa damit sagen, dass ihr es tatsächlich geschafft habt?«

»Alles erledigt, Käpt’n«, grinste Lee. Er deutete auf den Monitor, als Dubois sich hinter Chris und Alison aufstellte, um auch einen Blick vom Geschehen zu erhaschen. »Sämtliche Variablen sind identifiziert. Und wenn ich sie alle addiere, erhalte ich beinahe die gleiche Anzahl wie auf den Videopositionen durch drei geteilt.« Er klickte auf einen weiteren Button, und das Systemlog erschien. »Und hier steht, dass wir die letzte Variable vor beinahe zwei Monaten gefunden haben, was so viel heißt, dass weder neue Verhaltensfaktoren noch Geräusche eingeflossen sind.« Er lehnte sich mit einem selbstzufriedenen Nicken zurück. »Das Paket ist geschnürt und abgestempelt!«

Alison lächelte. Lee war noch nie verlegen mit Worten gewesen. »Ich gehe mal davon aus, dass du bereits IBM informiert hast?«

Lee nickte. »Das habe ich. Die sind schon auf dem Weg, um alles zu verifizieren.«

Chris drehte sich zu den Delfinen um. »Wer kommt?«

Lee lächelte. »Äh … alle.«

»Fantastisch.« Dubois wandte sich ab und ging Richtung Tür. »Ich muss mal kurz telefonieren. Hast du heute schon etwas vor, Ali?«

Sie lachte. »Willst du mich auf den Arm nehmen?«

»Nun denn, dann komm mal wieder aus dem siebten Himmel herunter, und wenn du ein paar Minuten Zeit findest, kannst du mir behilflich sein, ein paar Zeilen zu schreiben. Wir müssen irgendetwas in Form einer Pressemitteilung formulieren.« Damit warf er die Tür hinter sich ins Schloss.

4

Die silberfarbenen Türen öffneten sich, und John Clay trat aus dem übergroßen Aufzug. Er bog scharf nach rechts und stapfte dann den langen weißen Korridor des D-Rings im Pentagon entlang. Von der anderen Seite des Flurs erspähte Admiral Langford Clay und hielt mitten in seiner Unterhaltung mit einem anderen Offizier inne, ging auf ihn zu und drückte ihm eine dicke Akte in die Hand.

»Tut mir leid, Clay.« Der Admiral war einen halben Kopf kürzer, hielt sich aber derart aufrecht und bewegte sich so zackig, dass Clay sich des Gefühls nicht erwehren konnte, immer aufschauen zu müssen. Sie waren sich vor einigen Jahren das erste Mal über den Weg gelaufen, als Admiral Langford die Abteilung übernommen hatte. Seit dem Tag war er sein Vorgesetzter.

Clay eilte Langford hinterher, holte auf, öffnete die Akte und überflog die erste Seite. »Ein Computerfehler, Sir?«

»Anscheinend ist etwas mehr an der Geschichte«, erwiderte Langford ruhig. »Der Vorfall wurde zuerst als Bug abgeheftet, aber wir können ihn nicht reproduzieren.« Er nickte einer Frau zu, die an ihnen vorbeiging. »Das Navigationssystem funktionierte einwandfrei von dem Tag an, an dem sie ausliefen, aber plötzlich, von einer Sekunde auf die andere, sind sie fünfzehn Seemeilen vom Kurs abgekommen.«

Clay versuchte mit ihm mitzuhalten, während er weiter durch die Akte blätterte, die aus nichts weiter als beliebigem Computercode zu bestehen schien. »Eine Abweichung in eine andere Richtung?«

»Nein, die Richtung hat sich nicht verändert. Der gleiche Kurs, nur fünfzehn Seemeilen weiter.« Langford konnte zusehen, wie das Problem sich in Clays Kopf einnistete. Clay war einer der besten Analytiker, die ihm je untergekommen waren. Er besaß ein Gedächtnis wie ein Elefant. Langford hatte nie auch nur ein Wort wiederholen müssen.

»Hört sich an, als ob wir ein Abdriften oder Querströmungen ausschließen könnten. Im Falle eines der älteren U-Boote könnte man es auf die Motoren schieben, aber die neue Baureihe benutzt unter anderem auch GPS-Daten, um die Geschwindigkeit zu bestimmen. Gab es Probleme mit den Satelliten?«

Sie bogen ab und gingen einen weiteren Korridor entlang, der mit den Bildern ehemaliger Offiziere geschmückt war. »Habe ich zuerst auch gedacht, aber das war bisher der einzige derartige Vorfall.«

Clay redete weiter, ohne sich dessen bewusst zu sein. »Sämtliche Daten sind semi-synchron. Ein GPS-Empfänger meldet sich niemals sechsmal beim gleichen Signal an, was heißt, dass sie mittlerweile …«

»… Teil der anderen Datensets sind.« Langford holte eine Sicherheitskarte hervor und zog sie durch den Schlitz eines Lesegeräts neben einer Metalltür, auf der in großen Buchstaben DNI geschrieben stand. »Wir haben sämtliche von der Alabama benutzten Datensets identifiziert und den Output der ganzen Woche einzeln überprüft. Nichts.« Langford öffnete die große Tür. »Wie war der Urlaub?«

»Kurz, Sir.«

»Ich werde sehen, was ich für Sie tun kann.«

Das DNI, das Department of Naval Investigations, war groß und nahm einen beträchtlichen Teil des ersten Stockwerks der Ringe A bis E im Westflügel des Gebäudes ein. Es bestand aus mehreren Hundert Mitarbeitern, von denen die meisten auf rechtliche oder Personalangelegenheiten spezialisiert waren. Die Abteilung wuchs ständig – ein Resultat der Politik der letzten Jahre, in denen das Militär seine Schwierigkeiten gehabt hatte, sich den neuen Herausforderungen und Erwartungen des einundzwanzigsten Jahrhunderts zu stellen. Neben den Juristen und den Personalern war die Technikabteilung relativ übersichtlich. Und Clays Team war noch einmal ein gehöriges Stück kleiner. Elektronik und Signaltechnik war ein Spezialgebiet, von dem nur sehr wenige Menschen genügend Ahnung hatten, geschweige denn Interesse daran zeigten. Selbst die hohen Tiere, die oft zu den größten Verfechtern neuer Technologien gehörten, bewiesen keinerlei Neugier, wenn es darum ging, wie sie funktionierten. Ihnen reichte es vollkommen, wenn die Leute ihren Job machten. Clays E&S-Team war öfter damit beschäftigt herauszufinden, warum etwas nicht funktionierte, wo der Fehler lag und wie und warum er zustande gekommen war. Seine Arbeit bedurfte eingehender Kenntnisse einer großen Anzahl diverser Technologien – darunter auch Computerchip-Design, Netzwerkanalyse und Signaltechnik, sowie eines umfassenden Verständnisses des elektromagnetischen Spektrums.

Clay bog um die Ecke und ging an einer Reihe Büros vorbei. Seine Assistentin Jennifer hatte ihn offensichtlich schon erwartet, als er die Tür öffnete und eintrat.

»Hi, John«, begrüßte sie ihn und legte das Telefon auf. »Wie waren die Kaimaninseln?«

»Sie hätten es gehasst.« Er lächelte sie an und ging an ihr vorbei in sein Büro. »Kein Reality-TV.«

Sie grinste und folgte ihm mit einer Akte unter dem Arm. »Dann muss ich sie wohl von meiner Liste möglicher Urlaubsziele streichen.« Ehe Jennifer die Akte auf seinen Schreibtisch legte, schob sie einen Haufen Zettel mit Nachrichten beiseite, die Clay bestürzt anstarrte.

»So viele? Ich war doch nur drei Tage weg.«

»Sie scheinen beliebt zu sein.« Sie blätterte für ihn durch die Akte und zog eine Reihe von Papieren heraus. »Und diese hier müssen Sie unterzeichnen.«

»Was würde ich bloß ohne Sie tun?«

»Ach, jetzt lass gut sein, sonst bildet sie sich noch etwas darauf ein.« Beide drehten sich zu dem Neuankömmling um. Steve Caesare stand lächelnd im Türrahmen. Er war einen Meter achtzig groß und wirkte mit seinen dunklen Haaren und dem ebenfalls dunklen Schnurrbart einhundert Prozent italienisch, verfügte allerdings laut eigenen Angaben über keine Verbindungen zur Mafia. Caesare und Clay waren von Anfang an Freunde gewesen, trafen sich damals während der ersten Tage ihres mittlerweile zweiundzwanzig Jahre währenden Dienstes und verbrachten die meiste Zeit davon in denselben Abteilungen.

Jennifer lächelte und verließ Clays Büro. Als sie an Caesare vorbeiging, gab sie ihm einen Klaps auf den Arm.

Steve trat ein und nahm auf dem Stuhl gegenüber von John Platz. »Unsere Urlaube werden immer kürzer. Es dauert nicht mehr lange, bis sie kürzer als die übliche Mittagspause sind.«

Clay warf Langfords Akte auf den Schreibtisch und ließ sich in seinen Stuhl fallen, ehe er sich Caesare zuwandte. »Du hast Glück gehabt, dass du nicht mitgekommen bist. Je kürzer der Urlaub, desto schlimmer ist es, wieder nach Hause zu fahren.« Er holte tief Luft. »Erinnere mich bitte daran, warum wir das alles auf uns nehmen. Liebe zu unserem Land oder so etwas?«

»Die vielen Frauen.«

»Hat Langford dich schon auf die Alabama angesprochen?«

»Ja. Ich habe ihm die Akte da heute Morgen gegeben.« Caesare streckte die Beine aus und lehnte sich zurück. »Das ist schon merkwürdig. So etwas ist mir noch nie untergekommen. Es ist wahrscheinlich nichts Weltbewegendes, aber sie wollen so rasch wie möglich wieder auslaufen, damit die Mannschaft es sich nicht zu bequem macht. Wir haben mit den Ingenieuren und Technikern zusammengearbeitet und alles gründlich durchkämmt.«

»Und? Seid ihr fündig geworden?«

»Noch nicht. Als Nächstes werden wir sämtliche Kommunikation durchgehen.«

Clay seufzte und lehnte sich vor, um die Alabama-Akte zu öffnen. »Gab es andere Schiffe in der Umgebung, die die gleichen Satelliten anzapften?«

Caesare schüttelte den Kopf. »Nein. Der nächste Kahn nutzte lediglich vier Vögel, nicht genügend, um einen Vergleich zu starten …« Er wurde von dem Klingeln seines Handys unterbrochen und blickte auf die Anzeige, ehe er antwortete: »Hey, was gibt’s Neues? Okay. Ich bin schon auf dem Weg.« Er beendete das Gespräch und richtete sich auf. »Borger ist vielleicht auf etwas gestoßen.«

Will Borger war ein echtes Urgestein der Hippie-Generation, auch wenn er eigentlich einige Jahre zu jung war, um wirklich dazugehört zu haben. Er trug sein langes Haar in einem Pferdeschwanz, was wohl der zunehmenden Glatze geschuldet war, die sich auf seinem Haupt ausbreitete. Er trug eine runde Nickelbrille und locker sitzende Hawaii-Hemden. Er war der Inbegriff eines Computergeeks der ersten Tage, und Clay und Caesare hatten ihn in ihre Herzen geschlossen.

Die beiden traten in das Büro, in dem es von Computern und Gerätschaften nur so wimmelte. Einige davon waren derart komplex, dass selbst sie ihren Sinn kaum auszumachen vermochten. Auf den Regalen wucherte ein Durcheinander aus Drähten und Kabeln, die Dutzende Monitore, Computer, Oszillografen und Verstärker miteinander verbanden. Clay schätzte, dass Borger genügend Kupferdraht hier drinnen hatte, um eine eigene Fernsehanstalt zu gründen.

Auf einem hölzernen Schreibtisch lag beinahe ein Dutzend teilweise aufeinandergestapelter Tastaturen unter dem Schein einer alten Lampe.

Borger stand gebeugt über einem Tisch, auf dem eine gigantische rot-weiße Karte ausgebreitet lag. Er hob die Augenbrauen und blickte auf. »Hey, Clay. Hab ja gar nicht gewusst, dass Sie schon wieder zurück sind.«

»Ja, fühlt sich beinahe so an, als ob ich mir den Urlaub nur vorgestellt habe.«

»Na, dann haben die Sie wahrscheinlich wegen der Alabama zurückgeholt. Wie ich gehört habe, will man alles unter Dach und Fach haben, sodass sie nächste Woche wieder auslaufen kann.«

Caesare warf einen Blick auf die Karte. »Und was soll das sein?«

»Die Erde. Oder zumindest ein Teil davon. Ich bin mit dem Belastungstest der Satelliten fertig, habe aber nichts gefunden. Deswegen nehme ich mir auch die Koordinaten mit den Daten des neuen Jason-2-Satelliten unter die Lupe.«

Der Jason-2 war für Clay kein unbeschriebenes Blatt. Er war der Nachfolger des Jason-1, der die TOPEX/Poseidon-Serie ersetzt hatte – der erste Satellit, der spezifisch dafür gebaut war, das Magnetfeld der Erde zu untersuchen. Die ersten Missionen führten zu grundlegenden Veränderungen in der Bauweise der Computerchips, sodass sie wesentlich höheren Dosen Sonnenstrahlung widerstehen konnten, was wiederum in einem wilden Aufschwung der Satellitenindustrie endete. Während die ersten beiden Baureihen eine Fülle an Informationen an die Bodenstationen sandten, war der Jason-2 als erster Satellit empfindlich genug, um Magnetfelder an der Erdoberfläche zu messen. Clay konnte sich gut daran erinnern, wie der Start eine gespannte Erwartung in der wissenschaftlichen Gemeinde ausgelöst hatte.

Borger fuhr fort: »Es wird noch einige Jahre dauern, bis das Kartenmaterial komplett ist, aber der Äquator wurde als Erstes abgebildet. Das liegt an der Umlaufbahn, ist reiner Zufall. Und jetzt aufgepasst: Die Karibik, nämlich genau dort, wo die Alabama das Problem meldete, ist bereits komplett kartografiert.«

Clay und Caesare drängten sich um den Tisch. »Und? Was jetzt?«

»Tja, hier ist der Rest des Äquators, und hier die Gegend um Bimini«, meinte er und zeigte auf einen großen dunklen Kreis. »Laut den Daten des J-2 haben wir hier eine Gegend mit einem außergewöhnlich ausgeprägten Magnetfeld.«

»Wie stehen die Chancen einer Fehlaufzeichnung? Vielleicht wurden die Instrumente nicht vernünftig kalibriert?«

Borger schüttelte den Kopf und glättete die Karte mit den Händen. »Das kann ich mir kaum vorstellen. Wie Sie sehen, sind die restlichen Daten einwandfrei. Das wäre schon ein merkwürdiger Zufall, wenn ausgerechnet hier eine Fehlaufzeichnung stattgefunden hätte. Wenn ich raten müsste, würde ich darauf tippen, dass der Erdboden dort unten ungewöhnlich viel Eisen aufweist.«

Clay musterte ihn. »Aber das würde doch das GPS nicht beeinflussen.«

»Nun, diese Tatsache alleine nicht, aber den ganzen Monat schon gibt es kleine Sonneneruptionen, und die sind ja bekannt dafür, dass sie alle möglichen elektrischen Systeme durchdrehen lassen, insbesondere Satelliten. Die Eruptionen an dem Tag, an dem die Alabama das Problem hatte, waren relativ unbedeutend, aber zusammen mit der außergewöhnlichen Konzentration von Eisen in der Erdkruste waren die Satelliten vielleicht nicht in der Lage, ihre Position genau zu bestimmen.«

»Und wie lange haben die Eruptionen an jenem Tag angedauert?«

»Sechs oder sieben Stunden, glaube ich. Da müsste ich noch mal nachschauen.«

Clay richtete sich auf und klopfte mit dem Zeigefinger gegen das Kinn. Eine Geste, die den anderen zu verstehen gab, dass er tief in Gedanken versunken war. »Wenn es tatsächlich an den Eruptionen gelegen haben sollte, dann müssten die Daten des U-Boots für die gesamte Zeit zuvor ebenfalls fehlerhaft sein, oder?«

»Davon ist auszugehen«, nickte Borger zustimmend. »Aber es könnte sich um extrem kleine Abweichungen handeln, je nachdem, wie nahe sie sich der Zone befanden und auf welchem Kurs sie unterwegs waren.«

Clay warf Borger einen Blick zu. »Können Sie herausfinden, wie lange genau die Eruptionen andauerten?« Dann wandte er sich Caesare zu. »Und wir beschaffen uns sämtliche Daten des U-Boots von diesem Tag.«

Vier Stunden später öffnete Caesare die Tür zu Clays Büro, ging zu seinem Schreibtisch und warf einen Stapel Papiere darauf.

»Das Seetagebuch der Alabama vom Einunddreißigsten. Kommunikation, Navigation, An- und Auftrieb … Alles, außer dem, was der Smutje gekocht hat.«

»Und?«

Caesare schüttelte den Kopf. »Nichts. Keine einzige Unstimmigkeit. Und wenn ich noch etwas hinzufügen darf: Das war verdammt langweilig.«

Clay blätterte durch die Akte. »Borger meinte, die Eruptionen dauerten beinahe acht Stunden an und wiesen schwankende Intensität auf. Gibt es denn sonst noch etwas von dem Tech-Team an Bord?«

»Nichts. Die sind noch immer am Suchen und testen die Verkabelung, aber ich gehe nicht davon aus, dass sie fündig werden.«

Beide wussten, dass die Überprüfung der Verkabelung eher eine Formsache war. Ein letzter Versuch, der Gründlichkeit halber, eine Fleißarbeit. Nur in den seltensten Fällen lag es an der Verkabelung, denn die wurde in diesen U-Booten mit der höchsten Akribie verlegt. Clay rutschte mit dem Stuhl nach hinten und schüttelte endlich den Kopf. »Tja, was auch immer es war, aber eine Sonneneruption war es nicht, und an den Systemen können wir es auch nicht festmachen.«

»Oder der Verkabelung«, fügte Caesare hinzu und lehnte sich gegen den Türrahmen. »Machen wir uns ans Objekt?«

Clay nickte.

5

Alison nippte an ihrem Tee und starrte konzentriert auf den Monitor vor ihr. Es fing gerade erst an, und sie konnte beinahe ihr Herz pochen hören. Warum nur die Nervosität?, dachte sie insgeheim. Es ist ja beinahe so, als ob du selbst im Fernsehen wärst. Sie war selten nervös, wenn man es überhaupt so nennen konnte. Aufregung war ein viel passenderes Wort. Die Presseerklärung war von Dutzenden Zeitschriften und Nachrichtensendern registriert worden, und jetzt wollten alle ein Interview. Sie hätte sich ein derartiges Interesse nie vorgestellt, aber mit dem Fortschritt, den sie in letzter Zeit verbuchen konnten, war es vielleicht nicht so überraschend.

Durchaus überraschend aber war die Tatsache, dass sie es in derartiger Geschwindigkeit ins nationale Fernsehen geschafft hatten. NBC hatte angerufen und Dubois gebeten, an ihrer Montagabendshow teilzunehmen, immerhin nur drei Tage nach ihrer Pressemitteilung. Frühere Bekanntmachungen, wenn auch weniger aufregend, waren lediglich von Lokalzeitungen bemerkt worden, aber etwas an ihrer letzten Errungenschaft kitzelte die Menschen. Alison fragte sich insgeheim, was wohl der wahre Grund des Ansturms sein könnte. Vielleicht war es ja irgendein hohes Tier einer multinationalen Firma, die mit einem neuen Produkt aufwarten wollte.

Chris Ramirez ging zu ihr, in der Hand einen Becher Kaffee. Er blickte auf seine Armbanduhr. »Die haben noch nicht angefangen, oder?«

Sie schüttelte den Kopf und tauchte den Teebeutel einige Male unter.

»Weißt du, ich finde, dass du mit ihm hättest gehen sollen«, entfuhr es ihm nach einem zaghaften Nippen.

»Nein. Bei so etwas ist er viel besser als ich.«

»Das mag ja stimmen«, meinte Chris mit einem Achselzucken. »Und natürlich hat es absolut nichts damit zu tun, dass er gerne im Rampenlicht steht.«

Sie hob den Becher, um ihr Grinsen besser dahinter verstecken zu können.

Plötzlich erschien Matt Lewis’ Gesicht auf dem Monitor. Seine Worte waren kaum vernehmbar, sodass Alison den Ton aufdrehen musste. »Und es geht los!«

»… im Miami City Aquarium, wo ein Team von Wissenschaftlern das Unvorstellbare anvisiert. Ziel ist es, mit einer anderen Spezies zu kommunizieren. Neben mir steht Frank Dubois, der Direktor des Aquariums und des Forschungsprojekts. Willkommen, Dr. Dubois.«

»Vielen Dank, Matt.« Franks Gesicht füllte den Monitor, und sowohl Chris als auch Lee jubelten. Er sah gut aus, wirkte vor der Kamera völlig entspannt.

»Doktor, ich muss sagen, dass dies ausgesprochen bewegend ist. Ich war mir nie bewusst, dass ein derartiges Forschungsprojekt innerhalb dieser vier Wände stattfand. Wie hat denn alles angefangen?«

Frank schenkte ihm ein perfektes Lächeln, seine weißen Zähne blitzten auf, und er zuckte die Schultern. Er war in seinem Metier. »Nun, die Idee ist nicht bahnbrechend neu, aber die Technologie, um sie umzusetzen, gab es bis vor Kurzem noch nicht. Wir haben mit kleinen Förderungssummen angefangen, bis wir genügend Interesse geschürt hatten, um Gehälter zahlen zu können. Während der ersten zwei Jahre zum Beispiel musste unsere leitende Forscherin, Alison Shaw, auf ehrenamtlicher Basis arbeiten.«

Lee Kenwood lehnte sich vor und stupste sie freundschaftlich an. »Alles klar, Ali.«

»Es grenzt an ein Wunder«, murmelte Chris im Flüsterton.

»Jetzt hört endlich auf!« Sie errötete und konzentrierte sich erneut auf den Monitor. Komplimente entgegenzunehmen gehörte nicht zu ihren Stärken.

Lewis fuhr im Fernsehen fort: »Dann erzählen Sie uns mal etwas über dieses ISIS-System.«

»Es handelt sich um ein dezentralisiertes System, was so viel heißt, dass wir die Rechenlast auf viele kleinere Computer auslagern können. In diesem Fall auf über einhundert, was uns wiederum eine vielfach höhere Rechenleistung verschafft, als wenn wir einen Supercomputer zur Verfügung hätten. Und das zu einem Bruchteil der Kosten.«

»Und wofür steht ISIS?«

»ISIS ist ein Akronym und steht für Interspezies-Interpretationssystem.«

»Und es übersetzt deren Sprache?«, wollte Lewis wissen.

Frank lächelte. »Noch nicht ganz. Aber im Grunde genommen schon. ISIS nimmt alle wahrnehmbaren Geräusche unserer Delfine auf: alle Klicks, Pfiffe, selbst ihre Körperhaltung. Wenn sämtliche Geräusche und Bewegungen katalogisiert und in verschiedensten Lebenslagen aufgenommen sind, beginnt der Übersetzungsprozess, den ein hochmodernes Programm, basierend auf künstlicher Intelligenz, übernimmt.« Er lächelte erneut. »Oder zumindest bemühen wir uns um eine Übersetzung.«

Lewis runzelte die Stirn. »Aber Sie erhoffen sich einen Durchbruch? Ich meine, wie lange soll es denn dauern, ehe Sie Ihr Ziel erreichen?«

»Tja, das Aufnehmen, wir nennen es die erste Phase, haben wir abgeschlossen. Jetzt beginnt Phase zwei, sprich die Übersetzung, und für die ist einzig und allein der Computer zuständig. Da so etwas noch nie in Angriff genommen worden ist, können wir leider auch nicht einschätzen, wie lange es dauern wird. Aber das Programm ist darauf ausgerichtet, dass es bei jedem Schritt weiter hinzulernt. Es sollte also von Tag zu Tag intelligenter werden.«

Lewis schüttelte ungläubig den Kopf. »Wie um Himmels willen kann man ein Programm schreiben, das mit Delfinen spricht?«

»Man fragt IBM um Hilfe.« Beide lachten. »IBM ist nämlich einer unserer Sponsoren. Sie haben uns einen Großteil der Hardware zur Verfügung gestellt und trugen ihren Teil zur Programmierung des Projekts bei. Die Software ist recht beeindruckend.«

»Das glaube ich Ihnen aufs Wort«, fuhr Lewis fort und konsultierte seine Notizen. »Es heißt hier, dass auch die NASA an Ihrem Projekt beteiligt ist.«

»Das ist korrekt.«

Lewis schüttelte den Kopf. »Okay, IBM verstehe ich ja, aber die NASA? Was in aller Welt könnte die NASA an dieser Forschung interessieren?«

»Sie sind nicht der Erste, der diese Frage stellt. Die NASA ist vor allem an der Technologie interessiert, die wir einsetzen, und weniger daran, ob wir nun Kontakt aufnehmen oder nicht. Sie erhofft sich, unsere Arbeit weiterzuführen und sie eines Tages anzuwenden, um mit Außerirdischen kommunizieren zu können. Natürlich vorausgesetzt, sie finden welche.«

»Tatsächlich?« Lewis schien von den Socken zu sein.

Frank nahm einen Schluck Wasser und nickte. »Ja. Sie sind der Meinung, dass unsere Chancen, mit Außerirdischen Kontakt aufzunehmen, verschwindend gering sind, wenn wir es nicht einmal mit einer anderen Gattung auf unserem Heimatplaneten schaffen.« Er zuckte mit den Schultern. »Die eigentliche Herangehensweise sollte ja mehr oder weniger die gleiche sein.«

»Und hier stehen wir an dem Ort, an dem der Durchbruch kurz bevorsteht.«

Frank lächelte erneut und hob warnend die Hand. »Nun, so etwas möchte ich nicht behaupten, aber wir können mit Sicherheit sagen, dass wir dem Ziel wesentlich näher sind als vor sechs Jahren. Aber es gibt weiterhin eine Menge Arbeit zu tun. Und wenn ich ehrlich bin, kann es noch eine ganze Zeit dauern. Aber wie ich schon erwähnte: Jetzt sind die Computer dran.«

»Und was wollen Sie den Delfinen sagen, wenn Sie es geschafft haben? Wahrscheinlich wollen Sie kaum fragen, wie es sich anfühlt, im Wasser zu leben.« Er wurde mit einem Lachen der Zuschauer belohnt.

»Nun, wieso nicht?«, erwiderte Frank lächelnd. »Aber ernsthaft, es kommt ganz darauf an, was wir zu übersetzen in der Lage sind. Delfine sind die zweitklügsten Tiere auf dieser Welt und die einzige Spezies außer uns, die sich ihrer selbst gewahr ist. Wenn man zum Beispiel einen Spiegel in das Becken stellt, werden Delfine ihn nutzen, um sich anzuschauen. Sie verstehen die Zusammenhänge und die Welt um sich herum. Dem Umfang der Kommunikation sind somit keinerlei Grenzen gesetzt.«

Lewis tänzelte mit echtem Interesse etwas näher an ihn heran. »Dann darf ich Ihnen folgende Frage stellen: Ohne zu wissen, was Sie überhaupt übersetzen können … welche Anforderungen und Erwartungen knüpfen Sie an das Programm? In anderen Worten, was versprechen Sie sich von dem Programm, auch wenn das Projekt Jahre dauern könnte?«

Frank neigte den Kopf zur Seite und dachte einen Augenblick über die Frage nach. »Nun, zuallererst wollen wir wissen, wie sie sich als Spezies sehen. Und wenn ich wir sage, dann meine ich damit die gesamte Menschheit. Wir, als eine Gattung zu einer anderen, wie eine Zivilisation zu einer anderen.«

»Zivilisation?«

»Genau«, beteuerte Frank. »Wir definieren Zivilisation als eine fortgeschrittene Gesellschaft. Offensichtlich verfügen Delfine nicht über unsere Technologien, Industrien, Regierungen und Kulturen, von denen alle einen Teil dessen formen, was wir als Zivilisation bezeichnen würden. Aber genau wie Menschen sind auch Delfine soziale Wesen. Wir wissen, dass sie in Gruppen leben, die Zehntausende Tiere stark sein können. Was aber wirklich faszinierend ist, ist die Idee der eigenen Kultur. Um es noch einmal zu bekräftigen: Delfine sind extrem intelligent und verfügen sogar über einen Sinn für Humor.«

Alison konnte genau sehen, wie Frank zum Verkäufer mutierte. Genauso haben sie über die letzten Jahre hinweg ihre Gelder am Laufen gehalten. Er war ein Gott.

»Wir wissen bereits, dass Delfine über eine komplexe Sprache verfügen … Aber stellen Sie sich doch einmal vor … Falls sie die Werkzeuge haben, Informationen weiterzugeben, nicht untereinander, sondern auch von Generation zu Generation. Wir könnten hier von einer Lineage reden, von progressiver Kognititon. Und das bedeutet nichts weniger als eine Kultur!«

Der Gedanke war an Lewis nicht verschwendet. Eine Weile saß er bewegungslos da, ehe er die Sprache wiederfand. »Wow. Das ist wirklich aufregend.« Er streckt die Hand aus. »Wir wünschen Ihnen alles Gute und können es kaum abwarten, Sie das nächste Mal wieder bei uns begrüßen zu dürfen.«

»Vielen Dank.« Frank lächelte zurück und schüttelte die Hand des Reporters.

»Dr. Frank Dubois«, verkündete Lewis zum Abschluss. »Direktor des Miami City Aquariums.«

»Na wunderbar!« Ken beugte sich vor und drehte den Ton leiser. »Jetzt kriegen wir vielleicht Summen, bei denen man tatsächlich von Geld reden kann.«

Alison lächelte, den Fingernagel noch immer zwischen den Zähnen. Nicht schlecht, dachte sie. Gar nicht so schlecht.

6

Die Pathfinder war ein ozeantüchtiges Forschungs- und Expeditionsschiff. Mit knapp unter dreitausend Bruttoregistertonnen brachte sie es voll beladen immerhin auf beeindruckende sechzehn Knoten. Sie war 1994 in Auftrag gegeben worden und somit eines der modernsten und am besten bestückten Forschungsschiffe der amerikanischen Navy, das hauptsächlich im Atlantischen Ozean eingesetzt wurde. Aus dem Fenster des Sikorsky-Seahawk-Helikopters konnte Clay den unverwechselbaren weißen Rumpf erkennen, selbst aus dieser Höhe. Obwohl sie eine Länge von sechzig Metern aufwies, war die Pathfinder zwar relativ groß, aber noch immer eines der kleineren Schiffe der Forschungsflotte. Er wusste, dass es gar nicht so einfach war, einen Hubschrauber dort zu landen.

Der Helikopter geriet etwas in Querlage, ehe er langsam an Höhe verlor. Clay entspannte sich und lehnte den Kopf gegen das Kopfpolster. Neben ihm schlief Steve Caesare den Schlaf der Gerechten. Er schien überhaupt nichts von der Außenwelt mitzukriegen. Ein Trick, den viele von ihnen ganz am Anfang ihrer Dienstzeit lernten, lautete: Schlafen, wann immer es möglich war. Caesare hatte ihn sich zu Herzen genommen. Clay machte sich des Öfteren über ihn lustig und behauptete, dass er selbst die Zerstörung von Pearl Harbor verschlafen hätte.

Clay schaute weiterhin durchs Fenster, während der Hubschrauber sich immer weiter der Meeresoberfläche näherte. Nach einigen Minuten hielt der Pilot die Höhe und schwebte die letzten eineinhalb Kilometer keine dreißig Meter über den Wogen, tief genug, um die farbenprächtigen Fische in dem klaren blauen Wasser erkennen zu können. Clay rüttelte Caesare wach und schnallte sich dann an.

Der Helikopter wurde langsamer und schien in der Luft zu stehen, während er sich genau über dem Hubschrauberlandeplatz der Pathfinder positionierte. Er schwebte kurz über dem Deck, bis der Pilot das Stampfen des Schiffes auszugleichen imstande war. Den letzten Meter schien der Helikopter aus der Luft zu fallen, um mitten auf den Landeplatz zu krachen. Ein Fähnrich trabte unter die langsamer werdenden Rotoren und riss die Türen auf. Mit einem raschen militärischen Gruß zog er die kleine ausklappbare Treppe hervor und gab Clay und Caesare zu verstehen, dass sie ihm folgen sollten.

Sie schnappten sich ihre Taschen, zwängten sich aus dem Helikopter und überquerten das Deck. Sie kletterten zwei Treppen hinab und stiegen durch eine weiße Stahltür, um sich mitten auf der Brücke wiederzufinden.

Captain Emerson blickte auf, als die beiden Männer eintraten.

Emerson grinste sie an und streckte die Hand zu Clay aus. »Clay, wie zum Teufel geht es Ihnen?«

»Sehr gut, Rudy. Und wie läuft es bei Ihnen hier im Paradies?«

»Gar nicht so schlecht. Ich glaube, ich habe die letzten zwei Jahre kein langärmliges Hemd mehr tragen müssen«, erwiderte er lächelnd. Dann wandte er sich Caesare zu. »Und wen haben wir hier?«

»Rudy, das ist Commander Steve Caesare. Er ist ebenfalls bei E&S.«

Emerson schüttelte ihm die Hand und beäugte den kleinen Dreispitz an seinem Kragen. »Freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen. Wie ich sehe, waren auch Sie einmal ein SEAL?«

»Die Freude ist ganz auf meiner Seite, Sir. Ja, ist schon etwas her. Ich war damals in Somalia, ’93. Ein Jahr danach erhielt ich meinen Transferbefehl.«

»Somalia«, seufzte Emerson. »Das war ein richtiger Griff ins Klo.«

»Ja, Sir. Da haben Sie wohl recht. Habe dort einige Freunde lassen müssen.«

Emerson runzelte die Stirn und nickte. »Also, weswegen mussten wir über den großen Teich dampfen, um Sie hier aufnehmen zu dürfen?«

Clay lächelte. Wie auch Caesare war Emerson ein alter Freund der Navy, und obwohl er es genoss, sich so grob zu verhalten, wie es sich für einen alten Seebären ziemte, war er einfach nie in der Lage, es ganz durchzuziehen. Und doch fand Emerson viel Gefallen an diesem Spiel. Er hatte sich stets als guter Freund erwiesen und war obendrein noch Kapitän eines der modernsten Forschungsschiffe des Military-Sealift-Kommandos. Ein Großteil der Hauptmissionen des MSK bestand aus einer breit gefächerten Mischung von Hilfestellungs- und Unterstützungsleistungen, unter anderem das Betanken von Einsatzschiffen oder die Beladung mit Munition oder Vorräten. Teil des Unterstützungsmechanismus der gesamten U.S. Marine zu sein gewährte Emerson einen tiefen Einblick in die vielen Dinge, in die der militärische Arm sich einmischte.

Clay zuckte die Achseln. »Nur eine Signalstörung. Aber die müssen wir so rasch wie möglich abhaken, sodass die Alabama wieder auslaufen kann. Natürlich haben wir ungeheuer Glück gehabt, dass Sie sich mit dem neuen ROV an Bord direkt um die Ecke befanden.«

»Tja, wir haben sicherlich eines der komfortableren Schiffe.« Er wies einen Untergebenen an, das Kommando zu übernehmen. »Ihnen wird der kleine Rover namens Triton II gefallen. Er hängt nicht an der Leine und benutzt eine sehr tiefe Frequenz, was ihm eine verdammt imponierende Reichweite beschert.«

»Wie tief sind Sie mit ihm schon getaucht?«, wollte Caesare wissen.

»Knapp eineinhalb Kilometer, vielleicht noch mehr. Da müssen wir Tay fragen, unseren leitenden Techniker.«

Clay und Caesare waren beeindruckt. Ohne Kabelspeisung so tief zu tauchen war schlichtweg atemberaubend.

Emerson führte die Männer nach draußen und den Weg zurück, den sie gekommen waren. Am Fuß der Leiter begegnete ihnen eine Offizierin, die zackig salutierte. Ohne innezuhalten, erwiderte Emerson rasch den Gruß und bemerkte aus dem Augenwinkel, wie die beiden Männer einen Blick tauschten. Ohne auf die Frage zu warten, erklärte er ihnen: »Wir haben Frauen an Bord. Ein wenig kompliziert, wenn es darum geht, getrennte Kojen und so weiter zu organisieren, aber das ist es wert. Im Gegensatz zu landläufigen Vorurteilen erhöht ihre Anwesenheit den Level der Professionalität.« Er duckte sich und trat durch die Kombüsentür. »Kaffee?«, fragte er, nahm eine Kanne und schnappte sich eine Tasse von einem Stapel.

Nickend akzeptierten sie die Einladung.

»Also, welche Art von Störung soll es denn dort unten geben?«

Clay zuckte die Schultern. »Da sind wir uns nicht ganz sicher. Nichts Schlimmes. Wahrscheinlich handelt es sich nur um zu viel Eisen im Meeresboden. Um sicherzugehen, müssen wir aber Proben von dort unten heraufholen und analysieren.« Er nahm einen Schluck von seinem Kaffee. »Vielleicht bleibt uns nichts anderes übrig, als ein altes U-Boot zu nehmen und damit zurückzukehren, wenn wir keine eindeutige Antwort erhalten.«

Caesare warf Emerson einen Blick zu. »Ach, wenn wir schon beim Thema sind. Kapitän, wir würden gerne einen Blick auf Ihre Logs werfen und sie mit denen des U-Boots vergleichen. Die Anomalie tritt wahrscheinlich nur ab einer gewissen Tiefe oder in der Nähe des Eisenvorkommens auf. Wir sollten also so viele Schiffe an der Oberfläche ausschließen wie möglich.«

»Selbstverständlich«, nickte Emerson. Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Gehen wir nach achtern. Tay und sein Team sollten so weit sein, die Triton zu Wasser zu lassen. In wenigen Minuten erreichen wir die Koordinaten, die Sie uns geschickt haben.«

Als sie hinten angekommen waren, sahen Clay und Caesare diverse Teammitglieder, wie sie langsam die Triton II hochhoben und vom Deck bugsierten. Das Gefährt stellte eine eindeutige Abweichung von allem dar, was bisher unter dem Titel ferngesteuertes U-Boot der Marine bekannt war. Im Gegensatz zu den früheren Röhrendesigns war die Triton II eher U-förmig, und der Rumpf war um eine durchsichtige Sphäre in der Mitte gebaut. Eine Reihe von Motoren und Rudern waren an dem Teil angebracht, den man als Rückseite hätte deuten können, auch wenn das Boot eher rund als alles andere war. Im Gegensatz zu den traditionelleren U-Boot-Designs verteilte sich der Druck auf einer Kugel gleichmäßig am ganzen Rumpf, sodass er auch ohne zusätzliche Versteifungen, die für die rohrförmigen Konstruktionen notwendig waren, tiefer vordringen konnte. Der Nachteil, den diese Bauweise mit sich brachte, bestand darin, dass die Triton circa fünfundzwanzig Prozent langsamer vom Fleck kam als ihre Vorgänger. Nichtsdestotrotz war der Vorteil größerer Tauchtiefen und der Tatsache, dass das Mutterschiff keine kilometerlangen dicken Kabel transportieren musste, die als Nabelschnur dienten, so groß, dass sie durchaus verstanden, warum die Triton II derart beliebt war.

Edward Tay war chinesischer Abstammung und Ende dreißig. Obwohl er bei Weitem der Kleinste der Truppe war, konnte kein Zweifel daran bestehen, wer hier das Sagen hatte. Er gab eine Reihe von Befehlen, während sein Team das Boot über die Reling Richtung Wasser manövrierte. Es hing an einem langen Kranarm mit Gelenk. Endlich drehte Tay sich um und gab jemandem von seinem Team zu verstehen, die Prozedur zu unterbrechen. Augenblicke später erstarb das Dröhnen der Motoren, und das Schiff wurde langsamer, ehe es ganz zum Stillstand kam. Emerson winkte ihn zu sich.

»Mr. Tay, das hier sind die Commanders John Clay und Steve Caesare, unsere Freunde vom E&S Team in D.C.«

Tay schüttelte ihre Hände. »Willkommen an Bord. Ich habe gehört, dass Sie sich ein wenig mit unserem neuen Boot vergnügen wollen.«

Clay lachte. »Wenn es nur so aufregend wäre. Aber nein, das Ganze wird eher ein wenig langweilig. Wir brauchen lediglich einige Proben vom Meeresboden für zu Hause. Wir haben Glück gehabt, dass Sie sich gerade in der Gegend befanden, insbesondere da Sie das neue Boot an Bord haben.«

Tay warf einen Blick auf das U-Boot, das jetzt in der Luft hing und ein wenig hin und her schwankte. »Ja, das ist schon ein Schmuckstück. Die Batterien reichen noch nicht so lange, aber ich gehe mal davon aus, dass man das bei den Nachfolgemodellen verbessern wird. Aber selbst mit dem kleinen Manko konnten wir es ohne Probleme bis zu tausendvierhundertsieben Meter tauchen lassen. Das Bild war so klar wie beim Kabelfernsehen«, fügte er mit einem Augenzwinkern hinzu.

»Ist ein hübsches U-Boot«, entgegnete Caesare.

Tay wischte sich rasch die Stirn. »Wir müssen noch ein paar Sachen überprüfen, aber in einer Viertelstunde oder so sollten wir mit dem Tauchgang beginnen können. In der Zwischenzeit haben wir eine recht passable Kombüse, falls Sie Hunger haben.«

Clay legte eine Hand auf seinen Bauch. »Das hört sich sehr einladend an.«

»Dann wollen wir mal schauen, was die uns auftischen können«, meinte Emerson und nickte in die Richtung, aus der sie gekommen waren. »Es ist sowieso beinahe Mittagszeit.«

Emerson nahm seine Kapitänsmütze ab und kratzte sich am Haaransatz. Er trug einen kurzen Bürstenschnitt – eine Frisur, die nur wenige beim Militär ablehnten. Er warf die Mütze auf den Sitz neben sich und nahm sich eine zweite Tasse Kaffee, ehe er fortfuhr: »Sie stehen etwas unter Druck, um die Sache zu bereinigen. Sehe ich das richtig? Washington kann nicht gerade glücklich sein, dass eine große Mannschaft und ein U-Boot untätig herumliegen. Was kostet das bloß, eine Million pro Tag?«

»Eins Komma vier, wenn man es genau nimmt.« Clay runzelte die Stirn.

Emerson schnitt eine Grimasse. »Ich hoffe, dass Langford Ihnen den Rücken stärkt.«

»Der steht bei so etwas immer hinter uns«, beteuerte Clay und beobachtete Caesare, der mit hochgezogenen Augenbrauen einen Bissen von einem Schweinekotelett nahm. Das Essen war wirklich erste Klasse. »Allerdings sitzt ihm Miller im Nacken, der ihm die Hölle heiß macht, indem er ihm jeden Tag die Kosten auflistet. Außerdem kann er die anderen nicht ewig mit der ›Dienst nach Vorschrift‹-Floskel abspeisen. Das hat er uns auch mehr als einmal wissen lassen, ehe wir aufgebrochen sind.« Clay nahm seine Tasse in die Hände. »Ich gehe davon aus, dass wir es hier mit einer Anomalie zu tun haben, aber wir müssen uns genau an die Spielregeln halten. Weder das U-Boot noch die Satelliten weisen irgendwelche Fehler auf, was heißt, dass wir vor Ort weitersuchen müssen. Sollte es sich herausstellen, dass der Boden vor Eisen oder sonstigen Mineralien nur so strotzt, müssen wir einen Bericht mit unserer Theorie abgeben, der weitere Tests und Peer-Review-Gutachten nach sich ziehen wird. Die endgültige Antwort könnte noch Jahre auf sich warten lassen.«

Emerson nickte. »Wenn sich eine Hypothese herauskristallisiert, wird die Alabama bereits am folgenden Tag auslaufen. Schließlich können sie nichts anderes tun, als weitere Daten zu sammeln und zu testen, bis sich die Sache erhärtet.«

Clay nahm eine Gabel Salat. »Gibt es denn etwas Interessantes von Ihrer Seite zu berichten?«

Emerson schüttelte den Kopf. »Nein. Aber jedes neue Projekt ist stärker auf Profit ausgerichtet. Die Konzerne mit ihren Freunden in Washington treiben das voran, indem sie auf die ›Im Interesse der nationalen Sicherheit‹-Trommeln schlagen. Und das bedeutet, dass alles, was auch nur im Entferntesten mit Energie zu tun hat – insbesondere die schwarze flüssige Variante –, der nationalen Sicherheit dient. Bei den meisten unserer Projekte in den vergangenen Jahren ging es um kaum mehr als darum, Bodenproben zu holen und Testbohrungen zu machen, die nur oberflächlich als Meeresforschung getarnt wurden, in Wahrheit aber der Suche nach neuen Ölvorkommen für die Konzerne dienten.« Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und konnte seine Frustration kaum noch kaschieren. »Ich verrate Ihnen das eine: Die Konzerne sind die Strippenzieher hinter der Regierung.« Emerson atmete laut aus. »Das hier ist nicht mehr die Navy, bei der wir angeheuert haben, Gentlemen.«

»Das ist wohl wahr«, stimmte Caesare zu, nachdem er auch das letzte Stück Fleisch gegessen hatte. »Das hat nichts mehr mit Abenteuer zu tun. Es ist kaum noch mehr als eine normale Arbeitsstelle.«

Emerson lachte. »Vielleicht ist es an der Zeit, dass wir unser Motto auf den Kopf stellen.« Er beugte sich wieder vor und nahm die Gabel in die Hand. »Verstehen Sie mich aber bitte nicht falsch. Es gibt noch immer interessante Vorstöße im Namen der Wissenschaft. Verdammt, allein unsere Fähigkeit, mit besseren Systemen tiefer zu tauchen als mit dieser Triton, generiert einen wahren Freudentanz. Bei dem Detaillierungsgrad, den wir erreichen, redet die Navy bereits über neue Unterwassersensoren und träumt von einer lebendigen Karte voller Daten, die in Echtzeit übertragen werden … ganz schön imposante Pläne.«

»Das klingt in der Tat interessant«, kommentierte Caesare und leerte sein Glas Wasser. »Ich frage mich nur, wie viel wir zahlen dürfen, um die Technologie zu einer Waffe zu machen.«

Emerson lachte erneut, diesmal aber herzhafter. »Ich mag Sie, Caesare. Ein weiterer Zyniker. Wie sind Sie eigentlich auf Clay gestoßen?«

Als er antwortete, lächelte er Clay an. »Äh … das war damals ’89 beim SEAL-Training, ehe man ihn rausschmiss. Weswegen noch mal?«, fragte er rhetorisch. »Hast du Frauenkleider getragen?«

Clay konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. »Die Knie haben nicht mehr mitgemacht.«

»Genau. Wie auch immer. Man hat ihn zusammen mit einigen ehemaligen Mitgliedern der SEAL-Teams One und Two hinter einen Schreibtisch beim Geheimdienst verfrachtet. Da haben wir dann einige Jahre zusammen verbracht, ehe er zur Ermittlung wechselte. Wir verloren uns aber nicht aus den Augen, und eines Tages meinte er, dass er jemanden für sein Team brauchte.«

»Und so sind Sie dann also in Washington gelandet«, schloss Emerson. Es war eindeutig, dass er die Unterhaltung genoss.

»Ich hatte keine andere Wahl.« Caesare zuckte mit den Schultern. »Er wusste einfach zu viel über mich.«

»Nun«, fügte Clay hinzu, »es ist nur schade, dass jeder zu viel über dich weiß.«

»Aber der Sprung von einem SEAL-Team zu einem Elektronikexperten kann nicht einfach gewesen sein«, meinte Emerson.

»Tja, wie auch Clay war ich der Wissenschaft ausgeliefert, ehe ich ein SEAL wurde.«