Brennender Zaster - Ricardo Piglia - E-Book

Brennender Zaster E-Book

Ricardo Piglia

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Beschreibung

Das Geschehen ist rasant: Vier Verbrecher mit engen Verbindungen zu Polizei und Politik rauben einen Geldtransport aus, rasen durch Buenos Aires und schießen auf alles, was sich bewegt. Sie entkommen über den Río de la Plata nach Montevideo, verschanzen sich dort in einer Wohnung und werden von der Polizei sechzehn Stunden lang belagert. Diese von Radio und Fernsehen übertragene Belagerung steuert unweigerlich auf ihr ungeheuerliches Ende vor den Augen einer fassungslosen Zuschauermenge zu … Piglia erzählt in "Brennender Zaster" eine wahre Geschichte – und macht daraus einen packenden Roman, der als Verfilmung mit einem Goya ausgezeichnet wurde.

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Aus dem argentinischen Spanisch von Leopold Federmair

Die argentinische Originalausgabe erschien 1997 unter dem Titel Plata Quemada bei Planeta in Buenos Aires, die deutsche Erstausgabe 2001 im Verlag Klaus Wagenbach in Berlin.

Die Übersetzung aus dem Spanischen wurde mit Mitteln des Auswärtigen Amtes unterstützt durch die Gesellschaft zur Förderung der Literatur aus Afrika, Asien und Lateinamerika e.V. (litprom).

E-Book-Ausgabe 2021

© 1997 Ricardo Piglia

© 1997 Editorial Planeta Argentina S.A.I.C., Buenos Aires

© 2001, 2010 für die deutsche Ausgabe:

Verlag Klaus Wagenbach, Emser Straße 40/41, 10719 Berlin

Covergestaltung Julie August. Das Karnickel zeichnete Horst Rudolph.

Datenkonvertierung bei Zeilenwert, Rudolstadt.

Alle Rechte vorbehalten. Jede Vervielfältigung und Verwertung der Texte, auch auszugsweise, ist ohne schriftliche Zustimmung des Verlags urheberrechtswidrig und strafbar. Dies gilt insbesondere für das Herstellen und Verbreiten von Kopien auf Papier, Datenträgern oder im Internet sowie Übersetzungen.

ISBN: 978 3 8031 4330 3

Auch in gedruckter Form erhältlich: 978 3 8031 2635 1

www.wagenbach.de

Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?

BERTOLT BRECHT

Eins

Man nennt sie die Zwillinge, weil sie unzertrennlich sind. Aber sie sind keine Geschwister, sie sind sich nicht einmal ähnlich. Selten wirst du zwei so verschiedene Typen finden. Gemeinsam ist ihnen die Art zu schauen, diese hellen, ruhigen Augen, etwas Starres und Verlorenes im mißtrauischen Blick. Dorda ist schwer, behäbig, sein Gesicht rötlich, meistens lächelt er. Brignone ist schlank, wendig, ein Leichtgewicht mit schwarzem Haar und sehr heller Haut, als hätte er länger im Knast gehockt, als er wirklich drin war.

In der Station Bulnes verließen sie die U-Bahn und blieben vor der Auslage eines Fotogeschäfts stehen, um sich zu vergewissern, daß ihnen niemand folgte. Zwei auffällige, extravagante Erscheinungen, man hätte sie für zwei befreundete Boxer halten können oder für zwei Angestellte eines Bestattungsunternehmens. Sie waren elegant gekleidet, mit dunklem Zweireiher, kurzem Haar und gepflegten Händen. Es war ein ruhiger Nachmittag, einer von diesen sauberen Frühlingsnachmittagen mit weißem, durchsichtigem Licht. Die Leute verließen mit angestrengter Miene die Büros und gingen nach Hause.

Die Zwillinge warteten, bis die Ampel umschaltete, und überquerten die Avenida Santa Fe in Richtung Arenales. Sie hatten die U-Bahn in Constitución genommen und waren mehrmals umgestiegen, wobei sie darauf achteten, daß ihnen niemand folgte. Dorda war extrem abergläubisch, ständig sah er irgendwelche beunruhigenden Vorzeichen, mit seinem Argwohn machte er sich das Leben schwer. Er fuhr gern mit der U-Bahn, er mochte das gelbe Licht der Bahnsteige und Tunnels, er mochte die leeren Waggons, die ihn fortbewegten, ohne daß er sich rühren mußte. Wenn er in Gefahr war (und er war immer in Gefahr), fühlte er sich in den Eingeweiden der Stadt in Sicherheit, als würden sie ihn beschützen. Es war leicht, die Verfolger abzuschütteln. Es genügte, bis zum letzten Augenblick auf dem Bahnsteig stehenzubleiben und den Zug abfahren zu lassen, um sich Klarheit zu verschaffen.

Brignone versuchte, ihn zu beruhigen.

»Wird schon klappen, alles unter Kontrolle.«

»Es gefällt mir nicht, daß so viele Leute mitmischen.«

»Wenn was passiert, passiert es so oder so, auch wenn niemand mitmischt. Wenn’s dich trifft, trifft’s dich, nichts zu machen. Du bleibst stehen und kaufst dir Zigaretten und paßt einen Moment lang nicht auf, schon hast du verloren.«

»Und warum wollen sie, daß wir jetzt alle zusammenkommen?«

Einen Überfall muß man zuerst einmal planen, aber dann muß alles schnell gehen, damit nichts durchsickert. Schnell, das heißt, in zwei oder drei Tagen, von dem Zeitpunkt an gerechnet, wo man den ersten Hinweis bekommt, bis zu dem, wo du ein sicheres Schlupfloch in einem anderen Land findest. Immer mußt du zahlen, eine ganze Menge, und dann besteht auch noch Gefahr, daß der Mittelsmann die Information an eine andere Bande verkauft.

Die Zwillinge waren auf dem Weg zu ihrer Absteige, einem Apartment in der Calle Arenales. Sauber, in einem sicheren Viertel gelegen, am Ende einer Verbindungsstraße, die zur Brauerei führte. Das Apartment hatten sie als eine Art Hauptquartier gemietet, von dort aus konnten sie alle Schachzüge organisieren.

»Es ist eine Bude in einem schicken Viertel, bloß ein Versteck, damit wir die Partie einfädeln und abwarten können«, hatte ihnen Malito erklärt, als er sie engagierte. Die Zwillinge waren schwere Jungs, zwei Typen fürs Praktische, und Malito hatte seine Hand für sie ins Feuer gelegt und ihnen alle Informationen gegeben. Aber immer mißtrauisch, Malito, das schon, extrem vorsichtig mit Sicherheitsmaßnahmen und Kontrollen, fast krankhaft, man bekam ihn so gut wie nie zu Gesicht. Er war der Mann im Hintergrund, das magische Gehirn, er agierte aus der Ferne, hatte seltsame Bekannte und Helfer und Verbindungen, Loca Mala, das verrückte Huhn, wie ihn Dorda nannte, der selber ziemlich verrückt war. Er heißt nämlich wirklich so, Malito, das war sein Nachname. In Devoto war ihm einmal ein Bulle über den Weg gelaufen, der Verdugo hieß, das ist noch schlimmer. Wenn du Verdugo heißt oder Esclavo, mit solchen Namen, einer hieß sogar Batilana, da ist es immer noch besser, du nennst dich Malito. Die anderen hatten erfundene Spitznamen (Brignone war El Nene, der Junge, und Dorda war der blonde Gaucho), aber Malito brauchte gar keinen mehr. Mausgesicht, kleine, eng beisammenliegende Augen, kein erkennbares Kinn, rotes Haar, völlig entspannt, Frauenhände, hochintelligent, verstand was von Motoren und Bomben, konnte so ein Ding in zwei Minuten basteln, die Fingerchen bewegte er so als ob er die Uhr einstellte, die Fläschchen mit dem Nitro, und alles ohne hinzuschauen, wie ein Blinder, die Hände bewegte er wie ein Klavierspieler, er hätte ohne weiteres eine Polizeiwache in die Luft jagen können.

Malito war der Chef, hatte das Ganze geplant und die Verbindungen zu den Politikern und den Bullen hergestellt, von ihnen hatte er Informationen und Lagepläne, die ganzen Details, und wem sie die Hälfte von dem Packen übergeben mußten. Viele Hände waren bei dem Geschäft im Spiel, aber Malito hatte überlegt, daß sie zehn oder zwölf Stunden Vorsprung hätten, daß sie zahlen und dann alles hinter sich lassen würden, mit der ganzen Kohle ab über den Fluß nach Uruguay.

An diesem Nachmittag hatten sie sich in zwei Gruppen geteilt. Die Zwillinge gingen in die Absteige in der Arenales, um alle Schritte der Operation noch einmal genau durchzugehen. Währenddessen mietete Malito ein Zimmer in einem Hotel gegenüber dem Ort, wo der Überfall durchgeführt werden sollte. Vom Hotelfenster aus überblickte er den Hauptplatz von San Fernando und das Gebäude der Landesbank, er versuchte sich vorzustellen, wie die Bewegungen vor sich gehen würden: die Chronometrie der Aktion, die Flucht gegen die Einbahnstraße und der Rhythmus des Straßenverkehrs.

Der IKA-Kombiwagen des Schatzmeisters würde sich nach links wenden, im Uhrzeigersinn, und sie würden frontal auf ihn zufahren müssen, um ihn zu stoppen, bevor er im Einfahrtstor des Rathauses verschwinden konnte. Die Richtung des Verkehrs zwang sie, den ganzen Platz zu umkurven und ihnen den Weg auf halber Strecke abzuschneiden. Sie mußten den Fahrer und sämtliche Wächter ausschalten, bevor die sich verteidigen konnten, denn ihr einziger Vorteil war der Überraschungseffekt.

Mehrere Zeugen versichern, Malito im Hotel mit einer Frau gesehen zu haben. Andere sagen, sie hätten nur zwei Männer gesehen, und keine Frau. Einer von den beiden war ein nervöser Dünner, der alle paar Augenblicke verschwand, um sich einen Schuß zu setzen, der Chueco Bazán, der war tatsächlich an diesem Nachmittag im Hotel in San Fernando. Vom Fenster aus, das auf die Straße ging, beobachteten er und Malito die Bewegungen in der Bank. Nach dem Überfall hat die Polizei das Hotelzimmer durchsucht, im Bad fanden sie die Spritzen und einen Löffel und die Glasplättchen, das hatten sie alles zurückgelassen. Die Polizei vermutete, daß der Chueco identisch war mit dem jungen Mann, der zur Bar hinunterging und einen Alkoholerhitzer verlangte. Die Zeugenaussagen sind widersprüchlich, wie immer in solchen Fällen, aber alle stimmen darin überein, daß der Junge wie ein Schauspieler aussah und abwesend dreinblickte. Daraus schließen sie, daß er der war, der sich vor dem Überfall Heroin spritzte und den Kerosinkocher verlangte, um die Droge zu erhitzen. Sofort begannen die Zeugen, ihn »den Jungen« zu nennen, was später dazu führte, daß sie Bazán und Brignone verwechselten, manche behaupteten auch, daß beide ein und derselbe wären, nämlich der, den alle »den Jungen« nannten. Ein extrem nervöser Typ, der die Pistole in der Linken hielt, den Lauf nach oben gerichtet, wie ein Polyp in Zivil. In solchen Situationen spüren die Leute, wie ihnen das Adrenalin ins Blut schießt, sie erregen sich und sind benebelt, weil sie bei einer Geschichte dabei waren, die sonnenklar und gleichzeitig dunkel ist. Einige sahen ein Auto, das dem IKA-Wagen vor die Schnauze fuhr, und man hörte ein Getöse, ein Typ lag auf dem Boden und zuckte mit den Beinen, während er starb.

Vielleicht wollten sie sich nach dem Überfall im Hotel verstecken, falls die Flucht mißlänge. Am wahrscheinlichsten ist, daß zwei Typen die Bank vom Hotel aus im Blick hatten und drei andere in einem »frisierten« Chevrolet 400 kamen, die Auto marke ist in allen Aussagen dieselbe. Schnell wie eine Geschoß, die Kiste. Einer von den Ganoven war Mechaniker, er hatte die Karosse geschliffen, bis sie wie am Schnürchen lief, mit über 5000 Umdrehungen pro Sekunde.

San Fernando ist ein Wohnvorort von Buenos Aires, die Straßen sind still und von Bäumen gesäumt, die großen Anwesen vom Beginn des Jahrhunderts dienen heute als Schulen oder stehen verlassen auf den Anhöhen über dem Flußufer.

Der Hauptplatz lag still im weißen Frühjahrslicht. Während Malito und der Chueco Bazán den Abend und die Nacht vor dem Überfall im Hotel in San Fernando verbrachten, schloß sich der Rest der Bande in der Wohnung in der Calle Arenales ein. Sie hatten ein Auto geklaut, draußen in Lanús und es in der Tiefgarage abgestellt, danach fuhren sie mitsamt den Pistolen und dem ganzen Werkzeug im Dienstaufzug hoch und blieben dort, mit heruntergelassenen Rolläden warteten sie auf Befehle und ließen die Stunden verstreichen.

Es gibt nichts Schlimmeres als den Tag davor, wenn alles bereit ist und man nur noch auf die Straße hinaus muß, um das Ding durchzuziehen, da wirst du zum Hellseher und kriegst Halluzinationen, jede Kleinigkeit ist ein böses Omen, irgendein Schleimer, dem was auffällt und der den Bullen einen Hinweis liefert, und wenn du zum gegebenen Zeitpunkt auftauchst, haben sie dir schon einen Hinterhalt gelegt, deswegen muß man alles abbrechen, wenn es »faul riecht« (sagt Dorda), besser wieder von vorne anfangen und bis zum nächsten Monat warten.

Die Übergabe war immer am achtundzwanzigsten des Monats, um drei Uhr nachmittags: Die Kohle wurde von der Bank zum Rathaus gebracht. Ein Haufen Kies, fast sechshunderttausend Dollar, die um den Häuserblock herumkutschiert wurden, den Platz entlang von links nach rechts, insgesamt sieben Minuten ab dem Zeitpunkt, wo sie mit dem Geld in der Tür der Bank auftauchen, es in den Kombiwagen verfrachten und durch das hintere Tor in die Bürgermeisterei schaffen.

»Ich sag dir eines, Bruder« – der Nene Brignone lächelte Dorda ins Gesicht – »bei einer so ›wissenschaftlichen‹ Sache wie der hier bist du noch nie dabeigewesen, wir haben alles unter Kontrolle.«

Dorda schaute ihn mißtrauisch an und trank Bier aus der Flasche, er lümmelte kurzärmelig und barfüßig auf dem Sofa im Wohnzimmer, das auf die Arenales ging, das Gesicht zum tonlos flimmernden Fernseher gewandt. Die Wohnung war still, sie war neu und sauber, die Papiere in Ordnung. Gemietet hatte sie der Fahrer der Bande, der Rabe Mereles, für seine »Verlobte«, wie er sagte, und im Viertel dachten sie, er sei ein Großgrundbesitzer aus der Provinz Buenos Aires, der das Mädchen und seine Familie aushält. Die Familie der Verlobten war nach Mar del Plata in die Ferien gefahren, und die Bude verwandelte sich in das, was Malito als seine Operationsbasis bezeichnete.

In dieser Nacht mußten sie vorsichtig sein, sie durften sich nicht sehen lassen, mit niemandem sprechen, Ruhe bewahren. Es gab einen Apparat im zweiten Untergeschoß des Gebäudes, von dort telephonierten sie alle zwei oder drei Stunden mit dem Hotel in San Fernando. Malito hatte ihnen eingeschärft:

»Nur das Telephon in der Garage benutzen, auf keinen Fall das in der Wohnung.«

Er hatte eine Reihe von fixen Ideen, Malito, eine davon das Telephon. Seiner Meinung nach waren alle Telephone der Stadt angezapft. Aber Malito, das verrückte Huhn, hatte noch andere Macken, meinte Dorda, der Oberverrückte. Er konnte kein Sonnenlicht ertragen und keine Menschenmenge und wusch sich die ganze Zeit die Hände mit purem Alkohol. Er mochte das frische und trockene Gefühl von Alkohol auf der Haut. Sein Vater war Arzt, wurde behauptet, Ärzte waschen sich die Hände mit Alkohol, bis zum Ellbogen hinauf waschen sie sich, wenn sie einen Kranken besucht haben, und der Junge hat diese Angewohnheit geerbt.

»Alle Keime«, erklärte Malito, »werden durch die Hände übertragen, mit den Fingernägeln. Gäben sich die Leute nicht die Hand, würden zehn Prozent weniger sterben, nämlich die, die durch Ungeziefer sterben.«

Tote durch Gewaltverbrechen gab es (ihm zufolge) nicht einmal halb so viele wie Tote durch ansteckende Krankheiten, aber niemand warf die Ärzte ins Gefängnis (Malito lachte). Manchmal stellte er sich vor, wie Frauen und Kinder mit Chirurgenhandschuhen und Keimschutzmasken durch die Straßen liefen, die ganze Stadt war maskiert, um Krankheiten und Berührungen zu vermeiden.

Malito kam aus Rosario, er hatte drei Jahre an der Technischen Fakultät studiert, und manchmal ließ er sich Ingenieur nennen, obwohl ihn insgeheim alle Doktor No nannten. Er war tatsächlich verrückt, aber auch wegen der Narben an seinem Körper, die wie grobe Nähte waren, weil sie ihn ausgepeitscht hatten auf einer Polizeiwache in Turdera, mit einer Bettfeder aus Stahl, eines der Tiere von der Provinzpolizei hat es getan. Malito schnappte ihn sich eines Nachts, als er in Varela aus einem Bus stieg, und ertränkte ihn im Straßengraben. Er ließ ihn niederknien und tauchte ihm das Gesicht in den Schlamm, und es heißt, daß er ihm die Hose heruntergezogen und ihn vergewaltigt hatte, während der Körper des Bullen zuckte und der Kopf Wasser soff. Das wird zumindest behauptet. Netter Kerl, Malito, ein Kumpel, den alle mochten, aber gerissen. In dem Milieu gibt es nicht viele von der Sorte. Und immer schafft er es, daß die anderen tun, was er will, ohne daß sie es merken.

Andererseits hat nie ein Typ soviel Glück gehabt wie Malito. Der hatte einen Schutzengel für sich allein. Die Perfektion in Person, deshalb wollen alle mit ihm arbeiten. Nur er konnte den Überfall auf den Zahlwagen der Bürgermeisterei von San Fernando innerhalb von zwei Tagen durchziehen. Ein großer Coup, bestimmt kein Kinderspiel (so der Chueco Bazán), mit mehr als einer halben Mille auf der Palette.

Damals gab es ein Telephon mit einem Holzkasten unten in der Garage, die zum Apartment in der Calle Arenales gehörte, und von dort aus setzten sie sich in der Nacht vorher mit Malito in Verbindung.

Malito plante den Überfall wie eine militärische Operation, und er hatte ihnen strenge Anweisungen gegeben. Die Teilnehmer an dem Komplott gingen den Plan jetzt ein letztes Mal durch.

Der Rabe Mereles, ein Dünner mit vorspringenden Augen, hatte ein Blatt mit der Zeichnung des Platzes vor sich und erklärte die wichtigsten Details.

»Wir haben vier Minuten. Der Zahlwagen kommt von der Bank und muß hier um den Platz herum. Ist es so oder nicht?«

Der Mittelsmann war ein Tangosänger, der sich Fontán Reyes nennen ließ; er war als letzter in die Bude in der Calle Arenales gekommen, nervös und blaß, und hatte sich ein wenig abseits hingesetzt. Auf die Frage des Raben schwiegen alle und schauten ihn an. Da stand Reyes auf und ging zum Tisch.

»Der Wagen kommt mit offenen Fenstern«, sagte er.

Sie mußten alles bei Tageslicht erledigen, nachmittags um zehn nach drei, mitten in San Fernando. Das Geld für die Gehälter kam aus der Bank und wurde zum Rathaus gebracht, das zweihundert Meter entfernt war. Wegen der Richtung des Verkehrs mußte der Zahlwagen um den ganzen Platz herumfahren.

»Er braucht im Durchschnitt zwischen sieben und zehn Minuten, je nach Verkehr.«

»Wie viele Wachen?«

»Ein Polyp hier und einer hier. Einer im Wagen, macht drei.«

Reyes war nervös. In Wirklichkeit gelähmt vor Angst (wie er später erklärte). Fontán Reyes war sein Künstlername, sein wirklicher Name ist Atir Omar Nocito, neununddreißig Jahre alt, er hatte mit dem Orchester von Juan Sánchez Gorio gesungen, war im Radio und im Fernsehen aufgetreten und hatte sogar eine Platte mit zwei Tangos aufgenommen, Esta noche de copas und Noche de locura, am Klavier begleitet von Osvaldo Manzi. Während des Karnevals 1960 erreichte er den Gipfel seiner Laufbahn, als er mit Héctor Varela als Nachfolger von Argentino Ledesma debütierte. Aber gleich darauf begannen die Drogenprobleme. Im Juni reiste er nach Chile, mit Raul Lavié trat er im Duo auf, aber nach einem Monat verlor er die Stimme und krächzte nur noch. Zuviel Koks, dachten alle. Sicher ist, daß er nach Hause fahren mußte; von da an klebte ihm das Pech an den Füßen, und am Ende sang er mit Gitarrenbegleitung in einer Kaschemme im Almagro-Viertel. Er hatte noch ein paar Auftritte bei Festivals und Tanzveranstaltungen in Klubs und tingelte durch die Vorstadtbordelle von Buenos Aires.

Das Glück ist launisch, der Wink kommt genau dann, wenn man ihn nicht erwartet. Eines Nachts in einer Kneipe waren sie gekommen, um ihm was zu stecken, wie im Traum hörte er von der Transaktion, eine Riesenmenge Zaster, und ihm dämmerte, daß er das große Los ziehen konnte. Jetzt oder nie, sagte er sich und rief Malito an. Er wollte sich die Finger nicht verbrennen, Fontán Reyes, aber an diesem Abend in der Wohnung in der Arenales spürte er, daß er schon tief drinsteckte, er wußte nicht, wie er es anstellen sollte, um sich aus dem Staub zu machen, er hatte Angst, der Tangosänger, Angst vor allem und jedem (besonders, sagte er, vor dem Gaucho Dorda, diesem Irren, diesem Psychopathen), Angst, daß sie ihn kaltmachen, bevor er seinen Anteil kriegt, daß sie ihn ausliefern, daß die Polizei ihn als Köder benützt. Er ist verzweifelt, kriecht auf dem Zahnfleisch, will nur noch abhauen. Er glaubt, er kann den großen Treffer seines Lebens machen, einfach abkassieren und wegfliegen, woanders ein neues Leben anfangen (den Namen, das Land wechseln), mit der Kohle will er ein argentinisches Restaurant aufmachen in New York, mit den vielen Latinos als Kunden. Einmal ist er in Manhattan gewesen mit Juan Sánchez Gorio, ein Bombenerfolg im Charlie in der West 53rd Street, einem Restaurant, das ein Kubaner führte, der auf Tangomusik abfuhr. Reyes brauchte das Geld für den Anfang, der Kubaner hatte ihm nämlich versprochen, er würde ihm helfen, wenn er mit einem Grundkapital nach New York käme, aber jetzt wurde die Sache langsam gefährlich, weil er sich mit diesen Typen hatte einlassen müssen, die wie weggetreten waren, ständig auf Trip. Sie lachten wegen jeder Kleinigkeit und schliefen nie. Gefährliche Typen, Killer, die einen umbrachten nur so aus Spaß, denen war nicht zu trauen.

Sein Onkel, Nino Nocito, war Funktionär der geächteten peronistischen Partei in der Nordzone, Führungsmitglied der Unión Popular und zeitweilig Präsident des Stadtrats von San Fernando. Ein paar Tage zuvor war der Onkel zufällig bei einer Sitzung der Finanzkommission gewesen und hatte von der Sache Wind bekommen. Am Abend desselben Tages war er in eine finstere Spelunke Ecke Serrano und Honduras gegangen, wo sein Neffe auftrat, und nach der zweiten Flasche Wein begann er zu prahlen.

»Fontán … es sind mindestens fünf Millionen.«

Sie mußten eine Bande engagieren, der sie vertrauen konnten, eine Gruppe von Profis, die die Operation durchführte. Reyes mußte dem Onkel garantieren, daß sein Name ungenannt blieb.

»Niemand darf erfahren, daß ich etwas damit zu tun habe. Niemand«, sagte Nocito. Er wollte auch nicht wissen, wer die Arbeit erledigte. Er wollte nur die Hälfte der Hälfte, das hieß: fünfundsiebzigtausend Dollar netto (nach seiner Rechnung).

Fontán Reyes sollte in einem Haus in Martínez auf sie warten, wohin sie unmittelbar nach dem Überfall fliehen wollten. Sie rechneten damit, daß in einer halben Stunde alles über die Bühne war.

»Wenn wir nach einer halben Stunde nicht da sind«, sagte der Rabe Mereles, »heißt das, daß wir zum zweiten Feldposten fahren.«

Fontán Reyes wußte nicht, wo sich der zweite Feldposten befand, er wußte gar nicht, was das Wort bedeutete. Malito hatte dieses System von Nando Heguilein gelernt, einem früheren Mitglied der Alianza Libertadora Nacionalista, mit ihm hatte er sich im Knast von Sierra Chica angefreundet. Eine Zellenstruktur verhindert bei Verhaftungen eine Kettenreaktion und schafft Zeit für die Flucht (sagt Nando). Der Rückzug muß immer gedeckt sein.

»Und was dann?« sagte Fontán Reyes. »Was ist, wenn sie nicht kommen?«

»Dann«, sagte der blonde Gaucho, »dann heißt es: Leine ziehen.«

»Das heißt, irgend etwas ist schiefgelaufen«, sagte Mereles.

Fontán Reyes sah die vielen Waffen auf dem Tisch, und zum ersten Mal wurde ihm bewußt, daß er alles aufs Spiel gesetzt hatte. Bis dahin hatte er bloß als Strohmann für die schmutzigen Geschäfte irgendwelcher Freunde gedient. Er hatte sie nach einem Überfall in seinem Haus in Olivos versteckt, hatte Koks nach Montevideo geschafft und ein paar »Ravioli« in den Kneipen der Hafengegend verkauft. Leichte Arbeit, aber diesmal war es anders. Da waren Kanonen im Spiel, es würde Tote geben, und er war direkt an der Aktion beteiligt. Natürlich bekam er dafür auch ein dickes Bündel.

»Mindestens«, hatte sein Onkel gesagt, »eine Million Mäuse pro Mann und Nase.«

Mit hunderttausend Dollar konnte er eine Kneipe in New York aufmachen. Dorthin wollte er sich zurückziehen, dort konnte er in Ruhe leben.

»Hast du was zum Übernachten für heute?« fragte ihn Mereles, und Fontán Reyes erschrak.

Er würde an einem Ort auf sie warten, den keiner kannte, und sich telephonisch mit ihnen in Verbindung setzen.

»Die Operation muß in sieben Minuten abgeschlossen sein«, wiederholte der Nene. »Dauert sie länger, wird es gefährlich. Es gibt dort zwei Polizeiwachen im Umkreis von zwanzig Häuserblocks.«

»Das Wichtigste ist, daß nichts durchsickert«, sagte Fontán Reyes.

»Du redest wie ein Klempner«, sagte Dorda.

In diesem Augenblick ging die Tür auf, herein trat ein blondes Mädchen, fast noch ein Kind, in Minirock und blumiger Bluse. Sie ging barfuß und warf sich Mereles an die Brust.

»Hast du was, Süßer?« sagte sie.

Mereles reichte ihr ein Glasplättchen mit Kokain, und das Mädchen tat ein paar Schritte zur Seite und begann, den Koks mit einer Rasierklinge auf dem Taschenspiegel zu zerkleinern. Dann erhitzte sie ihn mit einem Feuerzeug, während sie Yesterday von Paul McCartney vor sich hin summte. Sie hatte einen Fünfzig-Peso-Schein in Form einer Eistüte zusammengerollt, hielt ihn sich an die Nase und sniffte mit einem leisen Röcheln. Dorda schaute sie verstohlen an und bemerkte, daß sie keinen BH trug, er konnte die kleinen Brüste unter der dünnen Bluse sehen.

»Im Durchschnitt braucht er zehn Minuten, je nach Verkehrslage.«

»Zwei Wächter und ein Bulle fahren mit«, sagte Brignone mechanisch.

»Wir müssen sie alle kaltmachen«, sagte Dorda plötzlich. »Wenn du Zeugen zurückläßt, lochen sie dich ein. Die Arschlöcher halten alle zu den Bullen.«

Das Leben des Mädchens hatte sich mit einem Schlag geändert, und sie ließ sich auf die Geschichte ein, weil sie sicher war, nie wieder eine solche Gelegenheit zu bekommen. Sie hieß Blanca Galeano. Im Januar war sie allein nach Mar del Plata gefahren, um eine Freundin zu besuchen und mit ihr zu feiern, weil sie die Dezember-Prüfungen im dritten College-Jahr bestanden hatte. Eines Abends hatte sie auf der Strandpromenade Mereles kennengelernt, einen schlanken und eleganten Typ, der im Hotel Provincial wohnte. Mereles stellte sich ihr als Sohn eines Viehzüchters aus der Provinz Buenos Aires vor, und Blanquita glaubte ihm. Sie war gerade fünfzehn geworden; als sie erfuhr, wer der Rabe Mereles war und was er so trieb, war es ihr schon egal. (Im Gegenteil, er gefiel ihr sogar noch mehr, sie war total verknallt in den Revolverhelden, der ihr dauernd Geschenke machte und jeden Wunsch erfüllte.)

Sie blieb bei ihm, und die Jungs von der Bande schauten sie an wie hungrige Hunde. Einmal hatte sie eine angekettete, ausgehungerte Meute in einem Zwinger gesehen, sie stürzten sich auf alles, was sich bewegte, und kämpften gegeneinander, genau so kam ihr das jetzt vor. Wenn Mereles sie losließ, würden sie sich über sie hermachen. Irgendwann, früher oder später. Sie stellte sich vor, wie sie ihr zuschauten, während sie nackt herumlief, mit hohen Absätzen, und dann sah sie sich im Bett mit dem Nene, was ihr Mereles schon ein paar Mal vorgeschlagen hatte. Willst du, daß ich ihn hole, sagte der perverse Kerl, und ihr wurde ganz heiß. Ihr gefiel der Kleine mit dem schwarzen Haar, er war so blaß und sah kaum älter aus als sie. Aber er war ein Strichjunge (behauptete der Rabe). Oder gefällt dir der Riese, sagte Mereles, stell dir vor, so ein grober Gaucho, und Blanca lachte, sie warf sich auf ihn. »Gib’s mir, Papi«, sagte sie. Nackt, mit hohen Absätzen lief sie herum, die Kleine, und er drückte sie gegen den Spiegel, während sie sich auf die Bank stützte, das brachte sie auf Touren.

Sie wollte nicht wissen, was sie besprachen, und ging zurück aufs Zimmer. Irgendeinen Coup heckten sie aus (immer ging es um einen Coup, wenn sie zusammensaßen und mit leiser Stimme redeten und tagelang das Haus nicht verließen). Sie mußte lernen, weil sie noch zwei Prüfungen hatte, und sie wollte die Schule abschließen. Ein paar Monate wollte sie noch bei Mereles bleiben, so eine Art Ferien, dachte sie, und dann zurückkehren und weiterleben wie früher. »Laß es dir gutgehen, solange du jung bist«, hatte ihre Mutter gesagt, als die Kleine begann, Geld nach Hause zu bringen. Der Vater, Don Antonio Galeano, lebte auf dem Mond, der wußte von nichts, er arbeitete bei den Städtischen Wasserwerken, in dem Gebäude Ecke Río Bamba und Córdoba, das aussah wie ein Palast. Ihre Mutter war es, die sofort alles ahnte, sie klagte in einem fort über ihren Mann, der gerade soviel verdiente, wie sie zum Leben brauchten, und als sie von der Geschichte Wind bekam, drehte sie es so, daß sie mit dem Mädchen allein war und sie ihr alles erzählte. Die Töchter tun immer, was die Mütter wollen. Als sie Mereles kennenlernte, spürte die Mutter die perversen Augen des Raben auf ihrem Busen, und sie begann zu lachen. Die Nena schaute sie an, und ihr wurde klar, daß sie auch auf ihre Mutter eifersüchtig sein konnte. »Ihr seid wie zwei Schwestern«, sagte Mereles, »erlauben Sie mir, daß ich Sie auf die Wange küsse.«

»Natürlich, mein Lieber«, sagte die Mutter, »paß mir gut auf Blanquita auf, und daß bloß ihr Vater nichts erfährt …«

»Was erfährt?«

Daß er verheiratet war, der Rabe. Verheiratet und getrennt und immer mit billigen Nutten, die er sich aus den Animierkneipen im Hafenviertel holte.

Die Nena legte sich mit dem Mathematik-Lehrbuch aufs Bett und ließ ihre Gedanken schweifen. Mereles hatte ihr versprochen, sie zum Karneval nach Brasilien mitzunehmen. Auf der anderen Seite der Tür sprachen sie jetzt noch leiser, man hörte nichts mehr, erst nach einer Weile flackerte Gelächter auf.

Dorda war irgendwie überdreht und redete wie ein Spielverderber, er sah alles schwarz und machte Katastrophenwitze, aber am Ende fanden es alle lustig.

»Bei der Ausfahrt vom Platz werden sie uns blockieren, wir werden steckenbleiben, und sie werden uns umlegen wie die Spatzen.«

»Sei kein Miesmacher, Gaucho«, sagte der Rabe, »wo doch der Papi die Karre steuert und dich über’s Trottoir kutschiert und die Bullen umkurvt.«

Dorda begann zu lachen, die Vorstellung, wie das Auto auf dem Bürgersteig gegen die Einbahnstraße auf den Platz zufährt, mitten im Kugelhagel, und überall Tote, fand er urkomisch.

Zwei

Am Tag des Überfalls war der Himmel wolkenlos und klar. Am Mittwoch, dem 27. September, betrat der Schatzmeister Alberto Martínez Tobar um 15 Uhr 2 den Tresorraum der Filiale der Bank der Provinz Buenos Aires in San Fernando. Er war großgewachsen, hatte ein rötliches Gesicht und vorspringende Augen, vor kurzem erst hatte er seinen vierzigsten Geburtstag gefeiert, und jetzt blieben ihm nur noch zwei Stunden zu leben. Er scherzte ein wenig mit den Mädchen von der Buchhaltung und ging dann hinunter zur Hauptkasse, wo sich die Tresorfächer, der schwarze Tisch und auf dem Tisch die Säcke voll Geld befanden. Die Angestellten in Hemdsärmeln zählten Banknoten im künstlichen Licht, begleitet vom Geräusch der Ventilatoren. Ein Grab unter der Erde, ein Knast voll Geld, dachte der Schatzmeister. Er hatte sein ganzes Leben in San Fernando verbracht, schon sein Vater war Gemeindeangestellter gewesen. Er hatte eine Tochter mit einem Nervenleiden, die Ärzte kosteten ihn ein Vermögen. Schon öfter hatte er sich gefragt, ob es nicht möglich wäre, das Geld zu klauen, das sie ihm jeden Monat übergaben. Er hatte sogar mit seiner Frau darüber gesprochen.

Manchmal dachte er, daß man einen genau gleich aussehenden Aktenkoffer mitnehmen und mit Falschgeld füllen müßte. Die Taschen miteinander vertauschen und einfach hinausgehen. Er könnte sich mit dem Kassierer zusammentun, der ein Freund aus den Tagen der Kindheit war. Sie würden sich das Geld teilen und ein normales Leben führen wie bisher. Das Vermögen war für die Kinder. Er stellte sich das Geld vor, das er in einem Geheimfach im Kleiderschrank verwahrte, oder das Geld unter falschem Namen auf einem Schweizer Bankkonto, das Geld in der Matratze versteckt, er stellte sich vor, daß er mit den Scheinen unter dem Bettbezug schlief und sie knistern hörte, wenn er sich in den schlaflosen Nächten herumwälzte. In diesen Nächten, wenn er kein Auge zudrücken konnte, erzählte er seiner Frau, wie er das Tauschmanöver durchführen wollte. Er redete in der Dunkelheit, sie hörte gehorsam zu. Es war eine Idee, die ihm zu leben half, weil sie dem Geldtransport, den er monatlich durchführen mußte, eine Prise Abenteuer und persönliches Interesse hinzufügte.

An diesem Nachmittag stellte er den Aktenkoffer auf den Tisch, der Angestellte mit dem grünen Blendschutz sah auf den Zettel mit dem auszuzahlenden Betrag, den Unterschriften und Stempeln und begann, Bündel zu zehntausend abzuzählen. Es war ein Haufen Geld, 7203960 Pesos, um die Gehälter der Angestellten und die Ausgaben für die Arbeiten am Entwässerungssystem der Gemeinde zu bezahlen. Sie steckten die Bündel neuer Scheine in den abgegriffenen, innen gefächerten, außen mit zusätzlichen Taschen versehenen Aktenkoffer aus schwarzem Leder.

Ehe er die Bank verließ, befolgte Martínez Tobar die Sicherheitsvorschriften und befestigte die Tasche mit einer kurzen Kette und einem Schloß an seinem linken Handgelenk. Später sagte jemand, daß ihn diese sinnlose Vorsichtsmaßnahme das gekostet habe, was am meisten wert ist.

Als er auf die Straße trat, sah er nichts; niemand sieht etwas in den Sekunden vor einem Überfall. Plötzlich kommt ein Wind auf, und der Mann liegt auf dem Boden, eine Keule trifft ihn am Kopf, und er weiß nicht einmal, was geschieht. Wenn jemand verdächtige Bewegungen sieht, ist er ein Angsthase, dem früher schon mal was passiert ist und der sich jetzt vorstellt, daß ihm nochmal dasselbe passiert.

Martínez Tobar sah, was er immer sah, ohne es zu sehen: die Frau mit dem Wägelchen vom Markt, den Jungen, der neben dem Hund herlief, den Krämer, der nach der Siesta den Laden aufschloß, aber er bemerkte den Chueco nicht, der in der Bar an der Theke lehnte und aufpaßte, einen kleinen Gin trank und die Beine des schwangeren Mädchens beäugte, das aus dem Geschäft nebenan kam. Die Schwangeren machten ihn scharf, den Chueco, und er dachte an die Frau, mit der er es in einem Haus in Saavedra trieb, während ihr Mann im Büro war. Er hatte sie in der U-Bahn rumgekriegt, weil er ihr seinen Sitzplatz überließ und die Frau zu reden anfing und sich bei ihm bedankte. Er war damals Rekrut und sie in seinem Alter, um die zwanzig, im sechsten Monat schwanger, ihre Haut spannte, fast durchsichtig, und er mußte ausgefallene Positionen wählen, damit er an sie rankam, sie machten es im Stehen, die Frau stellte ein Bein auf das Bett, drehte ihm das Gesicht zu und lächelte. Der Gedanke an die schwangere Frau aus Saavedra, die Graciela oder Dora hieß, lenkte ihn ab, aber er nahm sich gleich wieder zusammen, weil der Typ mit dem Aktenkoffer voll Zaster die Bank verließ. Er schaute auf die Uhr. Pünktlich auf die Sekunde.

Die beiden Wachleute unterhielten sich auf dem Bürgersteig, und der andere Gemeindebedienstete, Abraham Spector, ein großgewachsener, schwerer Mann, stellte ein Bein auf den Kotflügel des IKA-Wagens und band sich umständlich die Schnürsenkel. Auf dem Platz herrschte Stille. Alles wie gewohnt.