Brid und Cara oder Die Macht des Luchssteines - Lea Catthofen - E-Book

Brid und Cara oder Die Macht des Luchssteines E-Book

Lea Catthofen

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Beschreibung

Katzen sehen uns manchmal an, als wollten sie uns etwas Dringendes mitteilen. Was, wenn es so wäre? Was, wenn deine Katze behauptete, ein Vertrauter wolle dich ermorden? "Es wird Zeit, dass du ein paar Dinge herausfindest, Brid", erklärte Cara schnurrend. "Dein Leben ist in Gefahr, und Sahsstein steht auf dem Spiel. Ich finde, da ist ein bisschen Neugier durchaus angebracht. Oder meinst du nicht?" 1233. Der blaue Luchsstein ist ein wertvoller Edelstein und schon seit Jahrhunderten im Besitz der Harzgrafen von Sahsstein. Sie sind reich und mächtig, doch Verrat und Mord ziehen sich durch ihre Familiengeschichte. Auch der letzte Erbe von Sahsstein starb einen plötzlichen und geheimnisumwitterten Tod. Nun ist Brid die Erbin. Sie ist siebzehn und soll einen ungeliebten Mann heiraten, um mit ihm zukünftig die Grafschaft zu regieren. Doch Brid hat ihren eigenen Kopf. Sie stellt unbequeme Fragen. Sie greift zum Schwert. War der Tod ihres Bruders wirklich ein Unfall? Und ist der wertvolle, blaue Diamant verflucht? Gemeinsam mit ihrer treuen und mutigen Katze Cara und der Sahssteiner Katzenorganisation kämpft Brid gegen böse Magie und hinterlistige Mörder. Werden sie es schaffen, die Burg und ihre Familie vor dem Untergang zu retten?

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Veröffentlichungsjahr: 2023

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Zitat

 

„Wo immer sich eine Katze niederlässt, wird sich das Glück einfinden.“

 

Stanley Spencer 1891-1959

 

 

Über das Buch

 

Katzen sehen uns manchmal an, als wollten sie uns etwas Dringendes mitteilen.

Was, wenn es so wäre?

Was, wenn deine Katze behauptete, ein

Vertrauter wolle dich ermorden?

 

„Es wird Zeit, dass du ein paar Dinge herausfindest, Brid“, erklärte Cara schnurrend. „Dein Leben ist in Gefahr, und Sahsstein steht auf dem Spiel. Ich finde, da ist ein bisschen Neugier durchaus angebracht. Oder meinst du nicht?“

 

1233. Der blaue Sahssteiner ist ein wertvoller Edelstein und schon seit Jahrhunderten im Besitz der Harzgrafen von Sahsstein.

Sie sind reich und mächtig, doch Verrat und Mord ziehen sich durch ihre Familiengeschichte. Auch der letzte Erbe von Sahsstein starb einen plötzlichen und geheimnisumwitterten Tod.

Nun ist Brid die Erbin. Sie ist 17 und soll einen ungeliebten Mann heiraten, um mit ihm zukünftig die Grafschaft zu regieren. Doch Brid hat ihren eigenen Kopf.

Sie stellt unbequeme Fragen. Sie greift zum Schwert.

War der Tod ihres Bruders wirklich ein Unfall? Und ist der wertvolle, blaue Diamant verflucht?

Gemeinsam mit ihrer treuen und mutigen Katze Cara und der Sahssteiner Katzenorganisation kämpft Brid gegen böse Magie und hinterlistige Mörder, um die Burg und ihre Familie vor dem Untergang zu retten.

 

Ein spannender Katzenkrimi voller Magie und Humor, der erzählt, was lange vor dem Buch „Admiral Lord Mizius und der verfluchte Luchsstein“ auf Sahsstein geschah.

 

Dieser Roman kann auch unabhängig von der „Admiral Lord Mizius-Serie“ gelesen werden.

 

 

 

 

Widmung

 

Für meine Schwester,

die sich dieses Buch gewünscht hat

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Urheberrechtsschutz

Das Werk einschließlich aller Inhalte, das Cover, sowie die Zeichnungen sind urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck und Reproduktion (auch auszugsweise) in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie oder andere Verfahren), sowie Einspeicherung, Verarbeitung, Vervielfältigung und Verbreitung mithilfe elektronischer Systeme jeglicher Art, gesamt oder auszugsweise, ist ohne ausdrückliche schriftliche Genehmigung der Autorin untersagt. Alle Übersetzungsrechte vorbehalten.

 

Im Juli 2022 / im Oktober 2022, 2.Auflage

 

 

 

Inhaltsverzeichnis

 

 

Zitat

Über das Buch

Widmung

Urheberrechtsschutz

Inhaltsverzeichnis

 

1 – Eine dumme Idee

2 – Eine Enttäuschung und heimliche Pläne

3 – Kylians Überraschung

4 – Freund und Feind

5 – Freyas Heiligtum

6 - Finstere Pläne und Minnesang

7 - Eiskalte Zweifel

8 - Noch ein Antrag

9 – Das Turnier

10 - Intrigen

11 – Im Schimmerwald

12 – Eine Aufgabe für Cara

13 – Geflüster in der Nacht

14 - Sumpf und Hexerei

15 – Bittere Wahrheit

16 – List und Tücke

17 - Besprechungen

18 – Apfelernte

19 – Stochern im Nebel

20 – Schwere Entscheidung

21 – Die Wanderer

22 - Die Höhle

23 – Ein magisches Geschenk

24 – Der Bote

25 – Das geheime Zeichen

26 – Es geht abwärts

27 – Bekenntnis

28 – Faraones Geschenk

29 – Die Schlinge zieht sich zu

30 – Eis und Geist

31 – Peyrs Sporn

32 – Weihnachten

33 – Veränderungen

34 – Neslins Verbrechen

35 – Die Einladung

36 - Auf Bruchberg

37 – Politik und Befürchtungen

38 – Sahssteins Fall

39 – Ein neues Leben

Anhang

Was es gibt und was es nicht gibt

Quellenverzeichnis

Zur Autorin

Weitere Bücher der Autorin

Impressum

 

 

 

 

 

Prolog

 

Burg Sahsstein, 12. Juli 1233

 

Der gellende Ruf des Horns schnitt durch die Morgendämmerung.

Brid schreckte auf und war sofort hellwach. Sie strich sich die Haare aus der verschwitzten Stirn und griff, ohne hinzusehen, nach den Stiefeln vor ihrem Bett.

Sie unterdrückte ein Zittern. Von klein auf wusste Brid, was der Schrei des Ochsenhorns bedeutete: Kampf, Blut und Tod. Sahsstein wurde angegriffen.

Nur, dass einmal der Ruf des Horns in einem Bruderkrieg erschallen würde, damit hätte niemand auf der Burg gerechnet. Niemand außer ihr.

Wieder schnitt der berstende Ton wie der Schrei eines verwundeten Tieres durch die Morgenluft, brach sich an den Wehrmauern und den Wänden der Wohngebäude.

 

Seit dem Wortgefecht mit ihrem Vater schlief Brid bekleidet mit Peyrs alter Kampfausrüstung, und ihr Schwert lag griffbereit auf dem Bett neben ihr. Jede Nacht hatte sie mit aufs Äußerste gespannten Sinnen den Angriff auf Sahsstein erwartet.

 

Sie stieß einen kleinen, bitteren Laut aus. Wenigstens in diesem einen Punkt war der Feind zuverlässig: Er überfiel Sahsstein genau am Hoftag des Königs, so wie Grendel es vorhergesagt hatte.

Brids Finger zitterten vor Eile und Angst, als sie die Lederriemen der Stiefel um die Waden wickelte und die Schnallen schloss. Grimmig biss sie die Zähne zusammen. Hoffentlich hatte Cara Kylian noch erreicht. Nur Enno, die Knappen und ein paar Knechte mit Heu- und Mistgabeln waren zur Verteidigung Sahssteins zurückgeblieben. Jeder Ritter war auf Befehl ihres Vaters nach Mainz zum Hoftag des Königs aufgebrochen.

Sie schloss die Finger um den lederumwickelten Griff ihres Schwertes. Mit drei raschen Schritten war sie am Fenster ihrer Kemenate. Sie sprang auf den gemauerten Fenstersitz und sah durch den schmalen Schlitz in dem Holzflügel, der die hohe Öffnung verschloss.

Nebel hing über dem Wald unterhalb der Burg. Schwere, feuchte Dunstfahnen, die zwischen den Buchen in der Morgendämmerung trieben und den Geruch nach frisch aufgeworfener Erde mit sich brachten.

Ihr Mund wurde trocken und sie erstarrte, als sie unten am Hang Bewegungen im Unterholz wahrnahm.

Verdammt. Sie wussten es. Dort lag Sahssteins einzige Schwachstelle.

„Niemand wird es wagen, die Burg anzugreifen“, hatte ihr Vater vor ein paar Tagen gesagt.

Brid lachte bitter. Von einem Feind angegriffen zu werden, das war das eine. Von einem Bruder verraten zu werden, etwas ganz anderes.

 

 

1 – Eine dumme Idee

Burg Sahsstein, 3. Mai 1227

 

„Er kann es nicht“, stellte Brid mürrisch fest. Sie zog die Stirn kraus und verengte die Augen. „Er hält das Schwert nicht richtig. Eberlin ist einfach zu blöd!“

„Brid!“ Els sog scharf die Luft zwischen den Zähnen ein und hörte auf, mit den Beinen zu baumeln. Sie sah ihre ältere Schwester von der Seite an.

Brid hatte ihre Arme auf dem oberen Holm der Schranken gekreuzt und hielt ihren Blick starr auf die Knappen gerichtet, die vor ihnen auf dem äußeren Burghof trainierten.

„Wenn Gretlin das hört, wird sie dir den Mund mit Seife auswaschen!“

„Ach was!“ Brid wandte den Kopf. „Nun sieh dir das bloß an, wie sich Eberlin bewegt! Wie ein dickes Wildschwein!“ Sie kicherte. „Ein langsames, träges, dickes Wildschwein!“

Ihre Schwester seufzte. „Du wirst Ärger bekommen!“, prophezeite sie düster. „Du bist nicht sittsam. Und was du sagst, schon gar nicht! Es steht dir nicht zu, über einen Knappen so zu sprechen.“

„Warum?“ Mit einer schnellen Geste wischte sich Brid eine blonde Locke aus der Stirn. Immer wieder lösten sich die Haarsträhnen widerspenstig aus ihren geflochtenen Zöpfen. Ganz anders als bei Els, die makellos sauber aussah, das braune Haar ordentlich frisiert, glatt und glänzend wie fließende Seide.

„Sein Vater ist der Harzgraf von Schwarzeneck“, erklärte ihre Schwester altklug. „Er ist reich und angesehen, und auch Eberlin wird reich und angesehen sein.“ Sie grinste breit und warf Brid einen listigen Blick zu. „Sei besser vorsichtig mit dem, was du sagst. Vielleicht hält Eberlin schon in zwei Jahren um deine Hand an.“

„Niemals!“, schnappte Brid entrüstet. „Ich nehme keinen, der dümmer ist als ich! Und auch keinen, den selbst ich im Kampf besiegen könnte!“

„Oh!“ Els starrte sie einen Moment lang mit offenem Mund an. „Das kannst du nicht, Brid von Sahsstein! Das lügst du!“

„Kann ich doch!“, widersprach Brid lauter, als sie wollte. Sie blinzelte herausfordernd gegen die Nachmittagssonne, die schräg durch die Zinnen der Burgmauer stach. „Ich wette mit dir: um deine schönste Haarschleife!“

„Du bist so hochmütig!“ Els‘ grüne Augen füllten sich mit Tränen. „Und gemein. Du trägst gar keine Schleife im Haar. Die würde in deinem derben Stroh nicht halten!“ Mit Mühe zog Els ihre Beine über den unteren Holm und kam stolpernd zum Stehen. „Ich sage alles Mutter!“

„Na, lauf doch“, rief Brid hinter ihrer Schwester her. „Aber verliere nur nicht deinen Beutel mit den dreißig Silberlingen! Alte Petze!“ Sie zuckte herum, als sie eine Bewegung neben sich spürte.

Ihr Freund Kylian trat an die hölzerne Absperrung des Kampfplatzes. Mit einem schiefen Grinsen steckte er sein Schwert in den Gürtel. „Na, wieder einmal Unfrieden im Paradies der Schwestern von Sahsstein?“

„Ph“, machte Brid. „Was für ein Paradies?“ Sie legte den Kopf schräg und blinzelte.

Hinter ihr gackerten ein paar Hühner empört. Els scheuchte sie mit ausgebreiteten Röcken aus dem Weg, als sie durch das Torhaus zum inneren Burghof rannte.

„Kannst du mir das beibringen?“

„Was?“ Kylian stellte einen Stiefel auf den unteren Holm und grinste wieder. „Zu petzen? Oder die Hühner wegzuscheuchen?“

„Veralbere mich nicht, Kylian von Keinland!“, entgegnete Brid und kniff ihre blauen Augen zusammen. „Ich will kämpfen lernen wie du. Du brauchst gar nicht so eingebildet zu sein, weil du seit Neuestem Knappe bist! Erst gestern warst du noch dreizehn und hast die Teller in der Burghalle abgeräumt!“

„Nenn mich nicht so, Brid!“ Der dunkelhaarige Knappe sah auf seine schlammverschmierte Stiefelspitze und schüttelte den Kopf. „Auch wenn du es immer wieder vergisst: Du bist die Tochter des Burgherren. Und ich rede jetzt nur mit dir, weil Enno es mir befohlen hat.“ Er warf einen schnellen Blick über seine Schulter zu einem riesigen Ritter in gepolstertem Lederwams, der grimmig zu ihnen herübersah. „Du störst das Training. Eberlin trifft mit seinem Schwert knapp den Holzpfahl, weil er ständig zu dir herübersieht. Im Ernst, hast du nicht irgendetwas zu tun? Musst du nicht sticken, oder was ihr Mädchen sonst so macht?“

Brid schnappte nach Luft. Ihre Wangen liefen rot an und brannten, als hätte der hochgewachsene Knappe sie mit der flachen Hand ins Gesicht geschlagen. In einer einzigen, fließenden Bewegung schwang sie herum und zog ihre Beine über den runden Holm, auf dem sie gesessen hatte. „Das büßt du mir, Kylian von Keinland! Heute Nacht, nach dem Essen, wenn der Barde im Palas wieder seine furchtbaren Lieder singt, dann erwarte ich dich im Burggarten. Und du bringst besser dein Schwert mit!“

Kylian lachte und sah kopfschüttelnd dem blonden Mädchen hinterher, das mit hoch erhobenem Kopf über den Hof stolzierte. Er seufzte. Sie war die Erbin von Sahsstein, ohne Zweifel. Außerdem war sie eine sture Ziege und seine beste Freundin.

Eine Hand fiel schwer auf seine Schulter, und er sah zu dem großen Mann empor, der nun neben ihm stand. „Junge“, sagte Enno leise, „ich konnte nicht umhin, euer Gespräch mit anzuhören. Du weißt, dass ich mich ungern in fremde Sachen einmische.“ Er runzelte die Stirn und sah Kylian fest in die Augen. „Aber das hier, Sohn, das riecht nach Ärger mit dem Burggrafen. Sie ist schon zwölf. Du wirst heute Abend im Palas bleiben. Ich regele das mit Graf Eckwin.“

 

„So“, sagte Gretlin im Plauderton, „unser wohlgeborenes Fräulein findet, dass Eberlin von Schwarzeneck sich wie ein fettes Wildschwein bewegt?“

Mit hochrotem Gesicht tauchte Brid aus dem Halsausschnitt des blauen Seidenkleides auf, das ihr die dicke Zofe über den Kopf gezogen hatte. Sie schluckte, dann breitete sie die Arme aus, damit Gretlin die seitlichen Schnürungen an ihrer Taille festzurren konnte. Es hatte keinen Sinn, sich zu verteidigen, obwohl es der erste wütende Impuls war, der in ihr aufstieg.

„Genau“, antwortete sie fest. „Wenn du ihn beim Training mit dem Schwert gesehen hättest, dann würdest du mir zustimmen.“

Gretlin unterdrückte ein Lachen und seufzte stattdessen. „Setz dich auf den Hocker, damit ich dein Haar bürsten kann, Brid.“ Sie schüttelte den Kopf und versuchte, eine strenge Mine aufzusetzen. „Du weißt, dass sich das für eine junge Frau nicht gehört! Was du offenbar nicht weißt, ist, wie stark und schnell ein wilder Eber ist!“

Brid schloss die Augen und genoss die weichen Bürstenstriche, die über ihr Haar glitten. „Ich habe dich beobachtet“, erklärte sie lächelnd, „du machst mir nichts vor, Gretlin. Du findest Eberlin genauso schrecklich wie ich, nicht wahr?“

„Es steht mir nicht zu, über den jungen Herren zu urteilen“, versetzte die Zofe und grinste dazu breit. „Wollen wir hoffen, dass er nicht in naher oder ferner Zukunft um deine Hand anhält.“

„Bloß das nicht! Die ganze Grafschaft Sahsstein hätte nicht genug Vorräte, um Eberlin auf Dauer zu ernähren“, murmelte Brid finster. Sie wandte sich zu Gretlin um. „Du bist schon die Zweite, die das heute sagt. Ist da etwas im Busche, wovor ich auf der Hut sein muss? Hast du etwas gehört?“

Die Zofe umschloss die Haarbürste mit beiden Händen und verzog ihr breites, sommersprossiges Gesicht zu einer gequälten Grimasse. „Du sollst vor dem Abendessen in den Palas kommen“, erklärte sie, ohne auf Brids Frage zu antworten. „Wie ich gehört habe, ist dein Vater sehr wütend auf dich.“

„Oh, Mann!“ Brid kippte auf dem Hocker vornüber, sodass ihr das Haar vor dem Gesicht hing. „Wie schrecklich! Ist es wegen Els?“

„Das wird dir der Herr Graf selbst sagen. Es wird schon nicht so schlimm werden! Es ist Besuch angekommen, deshalb die feinen Kleider. Und jetzt lass dir dein Haar fertig bürsten.“

„Ist es Onkel Erardt?“ Brid lugte zwischen ihren langen, blonden Haarsträhnen hervor. Sie atmete auf. „Er ist immer auf meiner Seite. Dann wird mir Vater nicht den Kopf abreißen. Oder mich Eberlin versprechen.“

„Wer weiß das schon“, erwiderte Gretlin und unterdrückte ein Grinsen. „Es wurden mehr widerspenstige Töchter von ihren geplagten Vätern verheiratet, als du an beiden Händen abzählen kannst!“

 

Zwanzig Minuten später stieg Brid die Außentreppe zum Palas empor, wobei sie ihre langen Röcke mit beiden Händen raffte, um nicht auf den Saum zu treten. Sie biss auf ihre Unterlippe und versuchte erfolglos, den Kloß in ihrem Hals herunterzuschlucken. Eine riesige Faust drückte ihren Magen zusammen.

Unter dem weitläufigen Saal im ersten Obergeschoss, in dem die Familie jeden Tag gemeinsam aß, lag die Burgküche. Brat- und Kochgerüche strömten aus der offen stehenden Tür und ließen Brids Magen noch mehr rebellieren. Wahrscheinlich schickte ihr Vater sie heute Abend ohne Essen auf ihre Kemenate zurück. Aber das war egal, sie bekam ohnehin keinen Bissen herunter.

Brid trat über die Türschwelle in den Palas hinein und hob das Kinn. „Du wolltest mich sehen, Vater?“, fragte sie.

Graf Eckwin von Sahsstein stand vor dem riesigen Kamin an der östlichen Seitenwand, in dem schon ein Feuer prasselte. Obwohl dieser Tag im Mai warm gewesen war, brachten die langen, blauen Schatten der Abenddämmerung eine gewisse Kühle mit durch die offenen Fenster. Ihr Vater hatte ihr seinen Rücken zugewandt und drehte sich nicht um, als er sprach. „Schließ die Tür, Brid“, sagte er über seine Schulter, „es muss nicht die gesamte Dienerschaft erfahren, worüber wir reden.“

Wieder biss sich Brid auf die Unterlippe, und ihr Blick wanderte hinüber zu ihrer Mutter, die schon hinter der großen Tafel des Burgherren auf einem Lehnstuhl Platz genommen hatte. Ihre grauen Augen sahen Brid ernst entgegen, und ihr Gesicht, das von dem weißen Leinen-Gebende umrahmt wurde, verriet mit keiner Regung, was in ihr vorging.

Neben ihr saß Brids Großmutter Margareta. Als sich ihre Augen trafen, sah Brid das belustigte Funkeln ihn ihrem Blick, und um ihre Mundwinkel spielte ein unterdrücktes Lachen. Sie atmete auf. Wenn ihre Großmutter lächelte, dann würde es nicht so schlimm werden.

 

„Brid!“ Ihr Onkel stand an einem der offenen Fenster und hob ihr seinen Becher entgegen, als wolle er auf sie trinken. „Nun“, platzte er gut gelaunt heraus, „man hört ja so einiges von dir, junge Dame!“ Er lachte.

Sein Stiefsohn Gallus, der neben ihm an der Mauer lehnte, grinste breit, bevor er unter seinen blonden Bartstoppeln rot anlief.

Auch das noch! Brid holte tief Luft und biss die Zähne zusammen. Gallus war wieder mitgekommen. Seit ein paar Monaten begleitete der angeheiratete Sohn ihres Onkels ihn ständig, wenn er Sahsstein einen Besuch abstattete. Selbst zum Apfelpflücken. UndGallus stierte sie immer so blöd an.

Sie nickte ihrem Onkel und seinem Sohn zu und sah wieder ihren Vater an. Ach ja, die Tür. Brid griff hinter sich und zog das eisenbeschlagene Türblatt zu. „Du hast mich rufen lassen?“

Endlich wandte sich der Graf von Sahsstein um. Sein Gesicht war gerötet, und in dem kurzen Bart hielt er die Lippen fest zusammengepresst. Ein strenger Blick traf sie aus stahlblauen Augen, dann sah er zu ihrem Onkel hinüber. „Im Gegensatz zu dir sehe ich nicht, was an dieser Situation lustig sein soll, Erardt“, versetzte er. „Komm näher, Brid.“

Nach zwei Schritten blieb Brid wieder stehen, die Hände über ihrem langen, doppelt geschlungenen Gürtel vor den Hüften gefaltet.

„Ich hatte vor einer Stunde ein Gespräch mit dem Waffenmeister Enno“, sagte Graf Eckwin. „Was hat er mir für einen Unsinn von dir berichtet?“

Brid begegnete dem Blick ihres Vaters. „Wieso Unsinn?“, fragte sie. „Ich verstehe nicht.“

Graf Eckwin holte tief Luft. „Du wirst heute Abend nicht in den Burggarten gehen!“, erklärte er streng. „Nicht mit und nicht ohne Schwert!“

„Ach das.“ Brid atmete auf, doch ihr Vater hob den Kopf wie ein Stier, dem man mit einem roten Lappen vor den Augen herumgewedelt hatte.

„Wie ‚ach das‘?“, fuhr er sie an. „Enno hat mir gesagt, du willst den Schwertkampf lernen! Und dafür planst du, dich nachts im Garten mit einem Mann zu treffen! Bist du wahnsinnig, Brid?“

Gallus lachte meckernd, und sie warf ihm einen mörderischen Blick zu.

„Hinaus“, sagte ihr Vater mit einer knappen Kopfbewegung zur Tür.

Es dauerte einen Augenblick lang, bevor Gallus begriff, dass der Graf nicht seine Tochter gemeint hatte, sondern ihn. Widerstrebend löste er sich von der Mauer und schritt langsam zum Ausgang des Saales, nicht ohne ihr einen provozierenden Blick zuzuwerfen.

Erst, als sich die schwere Eichentür hinter dem jungen Mann geschlossen hatte, sah Graf Eckwin seine Tochter wieder an. „Nun“, fragte er mit gerunzelter Stirn. „Was hast du dazu zu sagen, Brid?“

Sie holte tief Luft. „Nichts“, antwortete sie. „Es stimmt. Also, das mit dem Schwertkampf. Aber ich wollte mich nicht mit einem Mann treffen. Nur mit Kylian.“

Ihre Großmutter lehnte sich in ihrem Sessel zurück und lachte.

„Mutter“, beschwerte sich der Graf. „Du machst es mir nicht eben leichter!“

„Entschuldige.“ Die alte Gräfin tupfte mit einem Taschentuch über ihr Gesicht, um höflich ihr Lachen darin zu verbergen.

Mit steifen Schritten ging Graf Eckwin zu seinem Stuhl und ließ sich auf das Polster fallen. „Brid“, sagte er, mit einer Mischung aus Belustigung und mühsamer Geduld, „Kylian ist ein Mann. Jedenfalls sollte er es bald sein. Genauso, wie du eine Frau bist.“ Er schüttelte den Kopf und stieß in einem Seufzer die Luft aus. „Weißt du nicht, dass du uns im ganzen Harz zum Gespött machst?“

„Nein“, erwiderte Brid ernst. „Das wollte ich nicht. Dennoch ...“

„Dennoch?“ Ihr Vater seufzte wieder. „Dennoch was?“

Einen Augenblick lang bekam Brid keine Luft, so aufgeregt hämmerte ihr Herz gegen ihre Rippen. „Ich will kämpfen lernen“, sagte sie fest. „Mehr als alles andere. Wenn Peyr noch leben würde, dann würde er mir ganz sicher zeigen, wie man ein Schwert führt.“

Der Graf von Sahsstein biss die Zähne aufeinander, sodass sich die Muskeln an seinem Kiefer spannten. „Dein älterer Bruder ist tot“, presste er hervor. „Schon seit zwei Jahren. Du musst mich nicht unbedingt daran erinnern, dass er dir nichts abschlagen konnte. Selbst wenn es ausgemachter Blödsinn war, worum du ihn gebeten hast.“ Er seufzte, dann stieß er einen Laut aus, als müsse er sich unverzüglich übergeben. „Bring deine Tochter zu Verstand, Geras. Bitte schnell!“

„Meine Tochter?“, erklärte ihre Mutter erstaunt. „Meine Tochter ist sie vormittags, wenn sie mehr schlecht als recht webt und stickt. Jetzt gehört sie dir, Eckwin!“

„Aber Vater“, sagte Brid eilig, „ich denke schon lange darüber nach! Und heute habe ich Eberlin mit dem Schwert beobachtet. Er wird niemals ein guter Kämpfer! Ich kann das besser, glaub mir.“ Mit einer so schnellen Bewegung, dass ihr Vater zusammenzuckte, legte Brid die letzten Meter bis zu seinem Stuhl zurück und fiel vor ihm auf die Knie. „Wir sind doch Germanen, und früher haben die Frauen immer an der Seite der Männer gekämpft! Die Wikingerfrauen sind noch heute Kriegerinnen!“

„Ach Brid, das ist lange her!“ Eckwin schüttelte den Kopf. „Inzwischen sind Dänemark und Schweden moderne Königreiche!“

„Ja, na gut. Aber was ist, wenn wir belagert werden?“, fuhr sie mit roten Wangen fort. „Peyr ist schon so lange tot. Er fehlt uns immer noch, Vater. Wenn wir belagert werden, müssen alle kämpfen, auch die Frauen. Ist es dann nicht besser, dass ich mit einem Schwert umgehen kann?“

Ihr Vater hob die Hand, um ihren Redefluss zu stoppen, doch Brid hatte den nachdenklichen Blick ihrer Mutter gesehen, und die Augen ihrer Großmutter leuchteten. „Wie die Frauen in Tortosa“, setzte sie nach, „die die Stadt von den Mauren befreiten, als ihre Männer schon planten, sie dem Feind zu übergeben! Durch einen Ausfall vertrieben sie die Belagerer, ohne die Hilfe ihrer Ritter! Das ist gar nicht so lange her. Es war erst 1149!“

Brid stutzte einen Moment, als sie sah, dass der Graf sein Gesicht wie unter Schmerzen verzog. „Oder wie Sigelgaita, die lombardische Prinzessin!“, sprudelte es weiter aus ihr heraus. Sie breitete die Arme aus und schüttelte den Kopf. „Sie war eine Kämpferin und eine Königin! Und wenn dir Sorgen macht, ich würde unweiblich werden: Sigelgaita hat das Kämpfen nicht davon abgehalten, mit ihrem Gemahl zehn Kinder zu bekommen!“

„Brid ...“ Ihr Vater stieß mit mühsamer Geduld den Atem aus.

Ihre Großmutter versteckte ein weiteres Lachen, indem sie in ihr Taschentuch hüstelte, während ihre Mutter mit einem feinen Lächeln den Teller vor sich auf dem Tisch betrachtete.

„Und denke nur an Eleonore von Aquitanien! Sie erbte ein riesiges Herzogtum und zog mit ihrem Gemahl sogar in den Kreuzzug! Und Blanca von Kastilien: Erst letztes Jahr wurde sie zur Alleinregentin von Frankreich ernannt!“

„Argh!“, machte ihr Vater, als wäre ihm das alles im Hals stecken geblieben. „Ich werde ein ernstes Wörtchen mit deinem Schulmeister reden! Wer setzt dir nur all diesen Unfug in den Kopf?“

Ihre Großmutter wechselte einen Blick mit Gräfin Geras und räusperte sich. „Ich“, beantwortete sie die Frage. „Ich habe Brid von all diesen Frauen erzählt!“

„Mutter!“, stieß der Graf ärgerlich hervor. „Warum tust du denn so etwas?“

Onkel Erardt lachte leise, dann nahm er wieder einen Schluck Wein aus seinem Becher.

„Weil Brid die Erbin von Sahsstein ist“, antwortete die alte Gräfin fest. „Und sie hat mit ihren Argumenten recht: Peyr ist seit zwei Jahren tot. So sehr mich der Verlust meines Enkels schmerzt: Nun ist Brid die zukünftige Herrin der Grafschaft. Sie muss lernen, sich zu behaupten. Gegen all die Männer, die ringsherum auf ihren Lehen sitzen, und denen jede Schwachheit willkommen ist, um nach ihren Fersen zu schnappen.“

„Sie wird heiraten“, protestierte Graf Eckwin. „Sofern sie noch jemand nimmt, wenn sie sich erst zur kraftstrotzenden Walküre entwickelt hat.“

„Eleonore von Aquitanien war zweimal verheiratet“, widersprach Brid. „Zuerst mit dem König von Frankreich und dann mit dem König von England. Außerdem berichtet man von ihr, dass sie sich vor Heiratsanträgen nicht retten konnte!“

„Ich glaube nicht, dass Brid sich um einen zukünftigen Eheantrag sorgen muss“, erklärte ihre Mutter mit ernstem Gesicht. „Dafür hinterlässt du ihr mit der Grafschaft Sahs-stein ein zu großes Erbe.“ Sie seufzte. „Eckwin, auch ich sehe manchmal besorgt auf Brids wildes Wesen. Aber in diesem Punkt stimme ich ihr und Margareta zu: Ein Ehemann garantiert nicht, dass sie sich behaupten kann. Vielleicht sogar im Gegenteil.“

„Wie bitte?“ Graf Eckwin hob die Augenbrauen. „Und deshalb soll sie lernen, wie sie dem armen Kerl mit dem Schwert den Schädel einschlägt?“ Er seufzte, dann sah er seine Tochter ernst an. „Nun, um Gottes willen, offenbar habt ihr euch alle drei gegen mich verschworen. Wenn dein Herz so daran hängt, Brid, dann wird Enno persönlich für deine Ausbildung verantwortlich sein!“

„Enno?“, fragte Brid. „Wieso nicht Kylian? Er ist mein bester Freund!“

Mit einer knappen Geste hob Graf Eckwin die Hand. „Genug, Brid! Ich sagte es schon und wiederhole es nicht noch einmal: Kylian ist jetzt ein Mann, du bist eine Frau. Das bedeutet für dich in Zukunft: keine heimlichen Treffen mit ihm bei Nacht.“ Er sah ihr streng in die Augen. „Und um es deutlicher zu machen: Kylian ist nicht der passende Mann für dich! Halte dich daran, Tochter!“

Brid runzelte die Stirn und setzte zu einer Erwiderung an, doch ihre Großmutter legte einen Finger auf die Lippen und schüttelte sachte den Kopf. Wieder sah sie zu ihrem Vater, der einem Pagen mitteilte, man möge das Essen auftragen. Sie biss sich auf die Lippen, erhob sich aus ihrer hockenden Position und strich ihren seidenen Rock glatt. Mit betont würdevollen Schritten trat sie zu ihrem Sitzplatz an der gräflichen Tafel und ließ sich an der rechten Seite ihrer Mutter nieder.

Nun gut. Diese Schlacht war nur zum Teil gewonnen. Ihr Vater hatte befohlen, dass sie Kylian nicht mehr so zwanglos sehen durfte wie bisher. Doch das bedeutete nicht, dass Brid diese Freundschaft aufgeben würde. Der Graf hatte nichts gegen heimliche Treffen am Tag gesagt.

Sie hob die Augen und traf den Blick ihres Onkels. In seine Gedanken versunken, betrachtete er sie mit einem abschätzenden Ausdruck, unter dem sich Brids Magen eiskalt zusammenzog.

Erardt bemerkte erst jetzt, dass seine Nichte ihn ansah, und ein strahlendes, warmes Lächeln erhellte sein Gesicht.

 

 

2 – Eine Enttäuschung und heimliche Pläne

 

 

Gleich am Mittag des nächsten Tages richtete Gretlin Brid aus, dass Waffenmeister Enno im Palas auf sie wartete.

Sofort legte sie die Stickerei, an der sie arbeitete, neben sich auf den Fenstersitz. „Ist Vater im Saal?“, fragte sie aufgeregt. „Flechtest du mir einen festen Zopf, Gretlin? Ich will nicht, dass mir das Haar beim Kämpfen in die Augen hängt!“

Ihre Zofe lachte. „Zappele nicht so herum, Brid! Komm, setze dich hierher!“ Sie griff nach der Haarbürste, die mit einem kleinen, polierten Silberspiegel auf einem Tisch neben dem Fenstererker lag. Mit geschickten Fingern flocht sie Brids widerspenstiges, langes Haar zu einem Zopf.

„Soll ich mein Kleid anbehalten?“ Atemlos strich Brid über den schlichten blauen Leinenstoff ihres Surcots. „Ich ziehe lieber eine kurze Hose und Beinlinge ...“

„Na, so weit kommt es noch!“, unterbrach Gretlin streng. Ihre breiten Wangen waren rot und ihre kleinen Augen blitzten. „Wenn du willst, dass ich von der Burg gejagt werde und du in ein Kloster gesteckt wirst, dann kannst du so etwas ja anziehen! Und nun los, der Waffenmeister wartet schon!“

 

Nur einen Moment später flitzte Brid die Wendeltreppe des östlichen Turmes herunter, einmal quer über den verlassenen Innenhof und wieder die Außentreppe am Palas hinauf.

Mit roten Wangen und nach Luft schnappend öffnete sie die schwere Tür aus eisenbeschlagenem Eichenholz.

Insgeheim hatte sie gehofft, dass statt Enno doch Kylian im großen Saal auf sie warten würde. Ihr Herz setzte einen enttäuschten Sprung lang aus, als sie den Waffenmeister mit finsterem Gesichtsausdruck mitten im Raum stehen sah. Offensichtlich betrachtete er es nicht als Ehre, einem Mädchen das Kämpfen mit dem Schwert beizubringen, selbst wenn es die Tochter des Harzgrafen war.

In einem Lehnstuhl vor dem kalten Kamin saß ihre Großmutter und hielt eine Näharbeit auf ihren Knien. „Da bist du ja, Brid“, sagte sie nüchtern, als sie ihre Enkelin auf der Türschwelle stehen sah. „Wie du siehst, ist dein Vater nicht hier, doch ich werde die Lehrstunden verfolgen und ihm regelmäßig über dein Betragen berichten.“

Brids Aufregung fiel ein weiteres Mal in einem kalten Klumpen in ihrer Magengrube zusammen. Ihr Vater hatte Bedingungen an seine Erlaubnis geknüpft, die er ihr selbst nicht mitgeteilt hatte. Wie die, dass Großmutter Margareta ihre Ausbildung mit den Argusaugen einer Anstandsdame verfolgte.

Enno nickte ihr zu. „Meine edle Dame.“ Er räusperte sich und bemühte sich, Brid nicht direkt ins Gesicht zu sehen. „Wir werden uns jede Woche zweimal hier nach der Mittagsstunde im Palas zur Übung treffen“, brummelte er, ohne die Zähne auseinanderzubekommen. „Ich bin Euer Ausbilder.“ Er reichte ihr ein Schwert, und als Brid die Waffe sah, schluckte sie einen Kloß im Hals herunter.

„Es ist aus Holz“, stellte sie enttäuscht fest.

„In der Tat.“ Enno nickte. In seinen Augen sah sie für einen kurzen Augenblick lang so etwas wie Mitgefühl. „Nur zu Eurer eigenen Sicherheit.“

Brid sah zu ihrer Großmutter, die ohne Worte die Lippen aufeinanderpresste und die Schultern hob. Das Kratzen in Brids Kehle verstärkte sich, und Tränen der Wut und Enttäuschung stiegen ihr in die Augen.

Sie biss auf ihre Unterlippe und nahm das lächerlich leichte Holzschwert aus der schwieligen Hand des Mannes entgegen. Dann atmete Brid tief ein und aus und straffte ihre Schultern.

Gut. Das musste man ihrem Vater wohl als Kriegslist anrechnen. Sie würde allein, vor allen versteckt, im Palas Unterricht bekommen. Mit einem Holzschwert. Sicher hatte ihr Vater mit Enno genau besprochen, was er ihr beibringen sollte.

„Nun“, sagte Brid und sah dem riesigen Waffenmeister fest in die Augen. „Dann will ich lernen, so viel Ihr mir beibringen dürft, Herr Enno. Ich bin bereit.“

 

Etwas später an diesem Nachmittag, als die Sonnenstrahlen schon länger wurden, kauerte Brid im Burggarten, den Rücken an den Stamm eines knorrigen Apfelbaumes gepresst und die Knie unter die Röcke gezogen. Sie hatte Kräuter zum Trocknen geschnitten, die sie vor dem Abendessen in die Burgküche bringen wollte. Doch bis dahin war noch ein bisschen Zeit, und Brid genoss mit geschlossenen Augen die warme Sonne auf ihrem Gesicht. Hier versteckte sie sich oft. Immer wenn sie nachdachte, oder sie traurig war. Der niedrige Apfelbaum beschirmte sie mit seiner Krone vor Beobachtern, und die Mauer des hohen Kräuterbeetes verbarg sie vor jedem, der sich von den Hühnerställen her näherte. Leise vor sich hin glucksend kratzten die Hühner um Brid herum nach Würmern und Käfern im Gras.

Auf dem Platz hinter den Gesindehäusern hörte sie Enno mit heiserer Stimme Kommandos bei der Ausbildung der Knappen bellen. Immer wieder korrigierte er die jungen Männer, festeren Stand einzunehmen oder härter zuzuschlagen. Schwert klang hell gegen Schwert, und ein dumpfer Ton erklang, wenn der Hieb des Angreifers mit einem Holzschild pariert wurde. Nach und nach verebbten diese Geräusche, als die Trainingszeit endete.

Sie selbst war heute Mittag kaum ins Schwitzen gekommen. Enno hatte ihr eher eine Tanzstunde gegeben, als ihr den Umgang mit dem Schwert beizubringen. Im Augenblick hatte Brid wenig Hoffnung, dass sich das ändern würde.

Ein Schatten fiel über ihr Gesicht, als jemand vor ihr in das Licht der sinkenden Sonne trat.

„Kylian“, sagte Brid, ohne jeden Zweifel in ihrer Stimme und mit geschlossenen Augen.

Ihr Freund umrundete den Baumstamm, sodass er nicht mehr vom Hof aus zu sehen war. „Woher weißt du das?“, fragte er leise und ging vor ihr in die Hocke. Sein Schwert hielt er quer über seine Knie gelegt. Es war nicht aus Holz. Natürlich nicht.

„Nur du kennst mein Geheimversteck“, antwortete Brid mit einem traurigen Lächeln. „Niemand sonst.“ Sie schluckte. „Mein Vater hat gestern bestimmt, dass wir uns nicht mehr treffen dürfen. Zumindest, sobald die Sonne untergegangen ist.“

Kylian stieß ein bitteres Lachen aus und wischte sich das dunkle Haar aus den Augen. „Ja, ich weiß. Enno hat es mir vorhin mitgeteilt.“ Er blinzelte gegen die Sonne. „Ich habe eine deutliche Ahnung, weshalb.“

„Das ist mir egal!“, versetzte Brid heftig und lehnte sich vor. „Es ist mir gleich, ob du von deinem Vater nur ein kleines Rittergut erbst oder gar nichts. Mein Bruder wäre der Erbe der Grafschaft gewesen, und jetzt?“ Sie schnaubte. „Jetzt vermodern seine Knochen in der Gruft!“ Mit einer bitteren Geste fuhr sie vor sich über das Gras, wie der Sensenmann durch das Kornfeld. „Woher will man genau wissen, was kommt? Aber eines weiß ich:“ Sie stutzte. „Nein“, verbesserte sie sich selbst, „zwei Dinge weiß ich genau.“

Ihr Freund verzog seinen Mund zu dem spöttischen, schiefen Grinsen, das Brid so an ihm mochte. „Und das wäre?“

„Zum einen“, fuhr sie ernst fort, „weiß ich, dass ich mich nicht an den reichsten und mächtigsten Bewerber verschachern lasse wie ein preisgekröntes Schwein!“ Sie schnaubte. „Und wenn Vater noch so viele Kriegslisten ins Feld führt!“

Kylian lachte leise. „So ist das. Das glaube ich dir ohne Zweifel.“ Er schwieg einen Moment lang und starrte mit einem bitteren Ausdruck in seinen braunen Augen vor sich ins Gras. Brid hatte in dieser Sache nicht das letzte Wort, sondern ihr Vater. Doch das würde er ihr jetzt nicht auf den Kopf zu sagen. „Und zum Zweiten?“

Brid holte tief Luft. „Zum Zweiten bist du mein bester Freund. Und ich werde daran nichts ändern. Egal, was Vater sagt. Egal, ob wir uns jetzt nicht mehr so oft sehen dürfen. Du etwa?“

Wieder starrte Kylian blicklos ins Leere.

„Du etwa?“, wiederholte Brid streng, doch in ihrer Stimme war ein kleines Zittern, das Kylian bis ins tiefste Herz schnitt.

„Nein“, erklärte er schließlich, und sie atmete auf. „Natürlich nicht. Das darfst du nicht einmal denken.“ Er ließ sich auf einem Knie auf dem Rasen nieder, vorsichtig, damit er die Hühner nicht aufschreckte und sie verriet. „Wie war heute dein Schwert-Training?“

Enttäuschung zeigte sich auf Brids schmalem Gesicht, und sie bemühte sich nicht darum, ihre Gefühle vor Kylian zu verstecken. „Mein Vater macht einen Narren aus mir“, erklärte sie leise. „Enno hat mir ein Holzschwert gegeben und zeigt mir Tanzschritte!“ Sie seufzte.

„Warte einmal, Brid“, flüsterte ihr Freund. „Sei nicht böse auf Enno. Er kann nichts daran ändern. Dein Vater hat es so befohlen.“

„Ich weiß.“

„Und so falsch ist das alles nicht“, fuhr Kylian fort. „Du bist eine Frau, und du wirst niemals so viel Kraft haben wie ein Mann. Das ist nun einmal so.“

Brid zog mit einem Schniefen die Luft durch die Nase und schenkte dem dunkelhaarigen Knappen einen giftigen, enttäuschten Blick.

„Hör zu, Brid“, erklärte Kylian und strich sich mit einer raschen Bewegung die Haare aus der Stirn, „du kannst dich nur verteidigen, wenn du auf deine Schnelligkeit setzt. Deshalb lässt dich der Waffenmeister die Tanzschritte üben. Halte das Schwert mit beiden Händen und sei schnell wie eine Schlange.“ Er lächelte mit schräg geneigtem Kopf. „Ich weiß, du kannst das. Und Enno ist der Beste. Guck dir soviel von ihm ab, wie es geht, hörst du?“

„Ist gut“, brummelte Brid, und blinzelte Kylian misstrauisch aus beleidigten blauen Augen an. „Sonst noch was?“

„Ja. Du brauchst Kraft. Und Ausdauer. Die Übungen dafür wird dir Enno nicht zeigen, denn dann bekommt er Ärger mit dem Grafen.“ Er griff nach einem kurzen Zweig, der neben ihm im Gras lag. „Hier. Du nimmst ein Stück Holz, so lang, aber es muss schwer sein, wie ein großer Krug Wasser. Und dann übst du das.“ Kylian bewegte die Unterarme mit dem Ast auf und ab. „Jeden Tag, Brid. Wenn du allein bist. Und das.“

Kylian zeigte ihr einige Übungen aus dem Training der Knappen, bis die Sonne ihre Strahlen schräg über die westliche Wehrmauer schickte.

„Ich muss jetzt gehen“, erklärte Brid hastig. „Die Köchin wartet sicher schon längst auf die Kräuter. Ich danke dir Kylian. Und ich werde jeden Tag üben. Versprochen!“ Sie griff nach dem Korb, sah sich vorsichtig um und lief dann mit eiligen Schritten zwischen den Bäumen davon.

Kylian sah seiner Freundin hinterher. Brid war manchmal seltsam. Genau konnte er nicht nachvollziehen, weshalb sie plötzlich so versessen darauf war, kämpfen zu lernen wie ein Mann. Er fuhr sich durch sein dunkles Haar und schüttelte den Kopf, verzweifelt über sich selbst.

Warum hatte er das getan? Wenn Enno das erfuhr, bekam er schweren Ärger. Und hörte der Burggraf davon, würde er ihn sofort von der Burg werfen. Doch er konnte Brid nichts abschlagen. Sogar ohne, dass sie ihn um irgendetwas bat.

 

Brid hörte schon von Weitem den Krach, der durch die offenstehende Tür aus der Burgküche ertönte. Ein Mädchen schrie und schimpfte. Dann polterte es, als würde jemand mit Gegenständen werfen, und eine Katze kreischte laut in jämmerlicher Panik.

Im Laufschritt stürzte sie in den halbdunklen, rauchigen Raum und hielt die im Schlag erhobene Hand einer jungen Dienstmagd fest. Nur einen Augenblick später, und das schwere Nudelholz, das sie umklammerte, wäre auf den Rücken einer struppigen Katze niedergesaust, die sich verzweifelt fauchend in eine Ecke gedrückt hatte.

„Was ist hier los?“, fuhr Brid das Mädchen wütend an. „Niemand fügt einem Tier auf Burg Sahsstein ein Leid zu!“

„Ich habe die Katze erwischt, wie sie Fleisch vom Tisch gestohlen hat!“, schnappte die Magd zurück. Schweiß verklebte die dunklen Haare auf ihrer Stirn, und ihre blauen Augen funkelten zornig. „Verzieh dich aus der Küche, sonst werde ich ...“

Eilig tauchte die Köchin hinter dem Mädchen auf und schüttelte sie, als würde sie eine Schlafwandlerin wecken. „Halt den Mund, du freches Ding!“, schnappte sie hastig, „Bist du verrückt? Das ist Brid von Sahsstein, die älteste Tochter des Burgherren! Geh und pass auf das Fleisch auf, Nes!“ Sie schubste das Küchenmädchen, das etwa in Brids Alter war, auf die offene Feuerstelle zu und verbeugte sich. „Entschuldigt diese dumme Göre, hohe Dame. Sie ist meine Nichte, und sie ist erst seit heute Morgen in den Diensten auf der Burg. Es wird nicht wieder vorkommen, das verspreche ich!“

Brid stieß den Atem aus. „Diese Katze steht ab sofort unter meinem persönlichen Schutz“, sagte sie laut. „Wehe, ihr oder einem anderen Tier wird aus reinem Mutwillen nur ein Haar gekrümmt. Habt ihr mich verstanden?“

„Ja, hohe Frau“, flüsterte die Köchin.

Neslin warf Brid einen schrägen Blick unter gesenkten Wimpern zu. Sie schwieg mit zusammengepressten Lippen.

„Dann werde ich es noch einmal vergessen. Aber ich füttere ab sofort die Katzen persönlich mit den Resten aus der Küche.“ Brid griff nach einer Holzschale und füllte sie mit Fleischresten, die auf einem Schneidebrett lagen, und ein paar Stücken Käse.

„Wie Ihr wünscht.“ Mit einem Zipfel ihrer schmutzigen Schürze wischte sich die dicke Köchin den Schweiß von der Stirn und knickste wieder. „So wütend habe ich Brid von Sahsstein noch nie gesehen!“, zischte sie ihre Nichte an, sobald Brid die Küche verlassen hatte. „Was ist bloß in dich gefahren? So einen gerechten Dienst wie auf Burg Sahsstein findest du im gesamten Harzgau nicht wieder!“

„Pff!“, schnaubte Nes geringschätzig. „Das werden wir ja sehen! Eine hohe Herrschaft, die das dreckige Viehzeug füttert statt die Reste für uns zu lassen, kann so gut nicht sein!“

 

Die kleine, struppige Katze hatte sich bei der ersten Gelegenheit mit wirbelnden Pfoten aus der Burgküche gerettet. Das Stück Braten, das sie vom Tisch gestohlen hatte, hielt sie immer noch fest zwischen den Zähnen. Ihr Magen knurrte vor Hunger. Seit vielen Tagen war sie nicht zum Mausen gekommen, denn ihre vier Babys brauchten sie im Augenblick Tag und Nacht. Meistens hatte die Köchin nichts dagegen, wenn sie sich vor der Küche herumdrückte. Gelegentlich hatte sie ihr sogar eine Schale Milch vor die Tür gestellt. So hatte Kattera nicht erwartet, diesem bösen, neuen Mädchen zu begegnen und in Gefahr zu geraten, wenn sie heute frech etwas vom Tisch stahl. Aus reiner Verzweiflung natürlich.

Sie lief über den inneren Burghof und versteckte sich tief in den dunklen, schattigen Vorhängen des Efeus, der am östlichen Treppenturm wuchs. Erst dann traute sie sich, mit gierigen Bissen das Fleisch herunter zu schlingen.

Die Katzenfrau beobachtete aufmerksam, wie das blonde Mädchen, das sie eben gerettet hatte, aus der Küchentür trat und quer über die festgestampfte Erde des Hofes direkt auf sie zu schritt. Ihr Gesicht war rot und immer noch ärgerlich, doch sie hielt ihren Kopf erhoben.

‚Ja‘, sinnierte Kattera zwischen zwei Bissen, ‚manchmal hat man einen schweren Tag. Aber diese da, die hat Katzenverstand und Katzenstolz. Was bei den Zweibeinern nicht sehr oft vorkommt.‘

Sie beobachtete, wie Brid die Holzschale mit den Essensresten neben dem Ostturm abstellte und dann durch die offenstehende Tür in das Innere des Treppenturmes trat. Sie sah auch, wie Brid den Laubengang vor den Frauengemächern entlangschritt. Wie sagte Will, der Chefkater, immer? Beobachtet, seid schnell und schlau. Wissen ist Macht.

Nun wusste sie, wo Brid von Sahssteins Kemenate lag und auch, dass sie ein gutes Herz hatte. Kattera brauchte nicht lange darüber nachzudenken, was sie mit diesem Wissen anfangen würde.

 

Es war schon Nacht, und Brid sollte längst schlafen. Doch statt in ihren Kissen zu träumen, hatte sie in Hemd und Strümpfen die Turnübungen gemacht, die Kylian ihr heute Nachmittag im Burggarten gezeigt hatte.

„Mau!“, sagte es leise aber bestimmt vor der Zimmertür. Brid zuckte erschrocken zusammen. War sie zu laut? Hatten die Dielen geknackt, und Els hatte etwas bemerkt?

„Mau!“, machte es wieder, dieses Mal in einem ungeduldigen Tonfall, der von einem dringenden Kratzen an der Tür begleitet wurde.

Els hatte sicher einen leichten Schlaf, doch so weit sie sich erinnerte, hatte sie noch nie gemaunzt. Und schon gar nicht nachts im Flur herumgekratzt.

Leise schlich Brid zur Tür, lockerte den Riegel und zog das schwere Türblatt einen Spalt weit auf.

Sofort drängelte sich eine kleine, struppige Gestalt durch die schmale Öffnung. Erst, als sie in den Schein des heruntergebrannten Feuers trat, erkannte Brid die Katze, die sie vor dem Nudelholz der Magd gerettet hatte. In ihrem Mäulchen trug sie ein winziges Knäuel, das sie behutsam auf dem Fell vor dem Kamin absetzte. Das Pelzbündel fiepte und fauchte abwechselnd.

„Mau“, erklärte Kattera wieder. Sie legte den Kopf schräg und beobachtete Brid genau, die in einer Mischung zwischen Begeisterung und Entsetzen vor ihr und ihrem Katzenbaby auf die Knie ging.

„Du bringst mir dein Baby?“, flüsterte Brid. „Damit ich euch beschütze?“

Kattera atmete auf. Na, also! Sie erhob sich und schritt entschlossen wieder zur Tür. „Ganz recht“, sagte sie und sah das Menschenmädchen über ihre Schulter an. „Und ich bringe dir auch noch die drei anderen. Deshalb mach mir jetzt bitte die Tür auf, ja?“

Natürlich verstand Brid keinen einzigen Maunz und doch wiederum so viel, dass sie der Katze seufzend die Tür wieder öffnete.

Wie ein Schatten verschwand Kattera sofort in dem dunklen Gang.

„Oh je“, sagte Brid zu dem Katzenkind, das mit hängenden Ohren und eingeknickten Beinen auf dem Fell vor dem Kamin herumstrolchte und fiepend nach seiner Mutter rief. „Nun weine doch nicht so, sie kommt ja gleich wieder.“ Sie nahm ein weiches Kopfkissen von ihrem Bett, legte es dorthin, wohin das verlöschende Feuer Wärme abstrahlte und setzte die Minikatze obendrauf.

„Bäh!“, protestierte das Katzenbaby sofort. „Fass mich nicht an, mit deinen riesigen Pranken! Ich würde dich gerne kratzen, aber ich habe noch nicht gelernt, wie das geht!“ Es hob eine winzige Pfote und blitzte sie aus einem Auge drohend an.

Brid kicherte. „Na, du bist ja ein kleiner Giftzahn!“, flüsterte sie leise. „Aber weißt du was? Du bist wirklich sehr tapfer, und ich habe dich gleich lieb gehabt. Sofort, beim ersten Blick. Deshalb nenne ich dich ‚Cara‘. Das ist italienisch und bedeutet, dass du mir lieb und teuer bist!“

 

 

3 – Kylians Überraschung

Burg Sahsstein, 3.05.1232

 

Brid tauchte unter Kylians Schwerthieb weg, bewegte sich blitzschnell zur Seite und schlug ihm die flache Klinge ihres Schwertes auf das Hinterteil.

„Argh!“, machte ihr Freund. „Du Hexe!“

„Irgendjemand hat mir vor fünf Jahren einmal den Rat gegeben, schnell zu sein wie eine Schlange!“ Brid lachte. „Du trainierst zu oft mit Eberlin!“ Sie zog eine Fratze. „Dem laaangsamen Eberlin, schneckenlaaangsam...“

Kylian steckte sein Schwert in die Erde und schüttelte lachend den Kopf. „Vertue dich nicht, Brid!“, erklärte er außer Atem. „Die Kraft ist eben seine Stärke. Zugegeben, Eberlin trifft sein Ziel nicht oft, aber wenn er es trifft, dann wächst dort kein Gras mehr! Und er ist ein guter Kerl.“

Auch Brid legte ihr Schwert zur Seite und zog die Röcke, die sie bis über den Saum ihrer knielangen Unterhose gerafft hatte, aus ihrem Gürtel wieder hinunter. Dann ließ sie sich neben Kylian in das hohe Gras fallen. „Ist ja gut“, erwiderte sie und schnappte ebenfalls nach Luft, „ich mache mich ja nur über ihn lustig, weil ich seit Neuestem das Ziel seiner ritterlichen Minne bin.“ Sie löste das Lederband aus ihren langen Haaren und runzelte die Stirn. „Weißt du, wie lästig das ist?“

Ihre blauen Augen leuchteten in ihrem glänzenden, geröteten Gesicht, und Kylian sah zur Seite, weil Brid so hübsch war. „Ja, warum tut er das nur?“, fragte er zynisch und grinste schief. „Ich verstehe nicht, was ihn dazu treibt. Es gibt auf Burg Sahsstein so viele schönere Mädchen als dich. Zum Beispiel Neslin aus der Küche.“

„Ich hätte dir das Schwert lieber noch härter überziehen sollen!“, schnappte Brid sofort.

Kylian lachte wieder und hob abwehrend die Hand. „Wir müssen langsam zur Burg zurückgehen“, sagte er dann und blinzelte durch die hohen Bäume in die Mittagssonne. „Nicht, dass wir nach all den Jahren bei unserem Training hier im Wald erwischt werden. Und außerdem muss sich die Prinzessin für ihr Geburtstagsfest herrichten, oder zeigst du dich lieber verschwitzt und zerzaust in der großen Halle?“ Er sah Brid unter seinen dunklen Haaren her von der Seite an.

„So ein blödes Theater“, erwiderte sie missmutig und rupfte einen Grashalm aus, um darauf herumzukauen. „Vater hat den halben Harz eingeladen.“ Brid seufzte. „Ich habe schon Angst, dass noch etwas anderes dahintersteckt, als nur mein siebzehnter Geburtstag.“ Sie warf den Halm mit einer angewiderten Geste weg.

Kylian schluckte. Da war sie nicht die Einzige. Man hörte derzeit viel Gerede auf der Burg. „Ach, ja, heute ist dein Geburtstag. Stimmt ja ...“, sagte er mit so einer merkwürdigen Stimme, dass Brid stutzte, um ihren Freund mit offenem Mund anzustarren.

Er nestelte hinter seinem Gürtel herum und zog ein kleines, in blaue Seide gewickeltes Päckchen hervor. „Brid?“ Blut stieg in seine braun gebrannten Wangen, und er musste sich räuspern.

Mit einer geschmeidigen Bewegung hockte sich Brid auf ihre Unterschenkel und beobachtete atemlos, wie Kylian ihr das Päckchen auf der flachen Hand entgegenhielt. „Für mich?“, flüsterte sie.

Kylian schnaubte. „Nein, für das fette Wildschwein, das sich hundert Meter weiter den Wanst an der Eiche kratzt!“, antwortete er trocken. „Du sollst den Ring nur probieren, damit er auf seine Pfote passt!“

„Du schenkst mir einen Ring?“ Brid wurde dunkelrot, warf ihrem Freund einen skeptischen Blick zu und nahm das kleine Seidenpaket mit spitzen Fingern aus Kylians Hand. Sie schlug das winzige Tuch auseinander. Darauf lag ein breiter Silberring, der mit einem opaken, dunkelgrünen Stein besetzt war. „Er ist wunderschön“, hauchte sie. „Aber Kylian, ein Ring?“

„Ja, ich hatte nach etwas anderem gesucht“, erklärte er gedehnt und sah an ihr vorbei. „Nach etwas Blauem, damit es besser zu deinen Augen passt. Aber der Goldschmied im Dorf hatte nur diesen Ring. Und dann dachte ich, möglicherweise plant dein Vater, dich heute Abend mit irgendwem zu verloben, könnte ja sein. Und das wäre doch wirklich sehr ärgerlich.“ Kylian sah sie direkt und fest in die Augen. „Wirst du auf mich warten, Brid? Willst du meine Frau werden, sobald ich für uns sorgen kann?“

„Was?“ Sie schluckte, dann schob sie den Ring langsam auf ihren Mittelfinger. „Er passt“, erwiderte sie, ohne direkt zu antworten. Sie lächelte über Kylians schlecht unterdrückte Ungeduld. „Ja“, sagte sie. „Wen sollte ich wohl sonst wollen, Kylian von Keinland?“

Kylian atmete tief ein und aus, dann schob er sein Gesicht dicht an Brids heran. „Nenn mich nicht so, Brid“, murmelte er, bevor er seine Lippen sanft auf ihre presste.

 

Cara saß in der offenen Fensterlaibung in Brids Kemenate. Sanft wehte der warme Frühlingswind über ihren getigerten Pelz, und sie hob witternd die mit einem schwarzen Strich gezeichnete Nase. Neben den verschiedenen Gerüchen, die aus dem inneren Burghof heraufstiegen, witterte das Katzenmädchen eines genau: Abgesehen von Braten, Wein, Obst, Pudding und Bier roch es deutlich nach Ärger. Nach sehr viel Ärger. Nachdenklich bewegte sie ihre Schwanzspitze. Nicht absichtlich, denn das machte ihr getigerter Wildkatzenschwanz von allein, während sie nachdachte.

Auf dem Gang hörte Cara Brids Schritte, dann klappte die schwere Holztür auf und hinter ihrer Freundin wieder zu. „Du kommst spät“, sagte die Katze streng. „Gretlin war schon hier und wollte dir das Bad richten. Außerdem rieche ich ...“ Sie sah über ihre getigerte Schulter und gefror inmitten ihrer Bewegung.

Brid war ebenfalls zur Statue erstarrt, mitten im Zimmer und mit offenem Mund. „Ich hätte darauf gewettet, dass du so etwas zu mir sagst“, flüsterte sie schließlich. Sie ließ sich mit wachsamem Blick auf die Kante ihres Bettes sinken. „Aber ich hätte niemals gedacht, dass ich dich irgendwann verstehe, als würde ein Mensch mit mir sprechen.“ Sie schluckte.

Die Katze starrte Brid mit aufgerissenen Augen an und der Pelz sträubte sich entlang ihrer Wirbelsäule. „Der Franziskusring ...“, hauchte Cara. „Tatsächlich, so muss es sein! Ich sehe das magische, rot-goldene Leuchten.“ Sie holte tief Luft, dann verließ sie die Fensterbank und sprang neben ihrer Menschenfreundin auf das Bett.

„Was?“, stammelte Brid. Sie rutschte ein Stück auf ihre Katze zu und starrte ihr direkt in die Augen. „Vielleicht träume ich ja. Hast du gerade wirklich gesprochen? Wie ist das möglich?“

Cara legte eine geringelte Pfote direkt auf den dunkelgrünen Stein auf dem Ring an der Hand ihrer Freundin. „Ja, ich habe mit dir gesprochen, und du kannst mich endlich verstehen! Das geschieht durch diesen Ring. Wir Katzen nennen ihn den ‚Ring des Übersetzers‘ oder seit neuestem ‚Ring des Franziskus‘, und er ist ein mächtiges Zauberartefakt. Wir haben lange danach gesucht.“

Brid schüttelte den Kopf. „Zauberei? Und wer ist ‚wir‘?“ Sie seufzte. „Dann sollte ich den Ring besser nicht tragen. Ein Grund mehr.“

„Nein!“ Cara fing ihre flache Hand mit beiden Pfoten ein, als wäre es eine Maus. „Bitte, du musst den Ring tragen! Es ist so wichtig, dass wir uns endlich verständigen können.“ Sie legte den Kopf schräg und sah Brid aus tiefgrünen Augen beschwörend an. „Es darf nur niemals ein anderer Mensch davon erfahren.“ Sie räusperte sich, dann setzte sich das Katzenmädchen auf. „Zum Beispiel habe ich jetzt eine wichtige Nachricht für dich: Es riecht deutlich nach Ärger!“

Brid schüttelte den Kopf und lachte. „Dafür brauchen wir keine Magie! Darauf hätte ich ohnehin gewettet!“ Sie erhob sie sich und versteckte ihr Schwert unter einer lockeren Diele neben ihrem Himmelbett, während ihre Katze von der Bettkante aus zusah. „Kylian hat mir diesen Ring geschenkt und sich mit mir verlobt. Wetten, dass das richtigen Ärger gibt, wenn Vater davon erfährt?“

„Was?“, maunzte Cara verwirrt. „Das ist ... nun ja ...“ Plötzlich hob das Katzenmädchen alarmiert den Kopf. „Ach, du liebe Zeit! Gretlin kommt den Laubengang entlanggestampft“, erklärte sie schnell. „Behalte das besser für dich, Brid, denn es ist nicht der einzige Heiratsantrag, den du heute bekommen wirst!“

 

Gretlin hatte das heiße Bad für Brid unten in einem der Frauengemächer bereitet, und bevor Cara noch irgendeinen Maunz sagen konnte, war ihre Freundin schon wieder durch die Tür verschwunden. Dabei wäre es so wichtig gewesen, Brid mehr zu erklären.

Cara ließ sich auf das Bett fallen und faltete die Pfoten missmutig zu Müffchen unter. Um sich selbst ein wenig zu trösten und sich Mut zu zu sprechen, begann die Katze, leise zu schnurren.

 

Heute nach der Mittagsstunde, als Brid und Kylian getrennt die Burg verlassen hatte, um sich wieder einmal heimlich im Wald zu treffen, hatte Cara zunächst ein wenig unschlüssig im Burggarten im Schatten der alten, knorrigen Apfelbäume gesessen. Sie hatte nicht recht Lust gehabt, den beiden wie sonst manchmal zu folgen. Nach einer Weile hatte Cara beschlossen, in den Pferdeställen das Loch einer besonders fetten Maus zu belauern, die leider auch ziemlich schlau war. Zumindest für eine Maus.

Die gemütliche Wärme, die im Stall durch die Pferde herrschte, hatte sie eingelullt, und Cara wäre fast eingeschlafen. Da flog das Eingangstor auf und schlug krachend an die Steinmauer. Zwei Männer kamen mit ihren Pferden herein, um die Tiere zu versorgen, während sie sich flüsternd unterhielten.

Diese Tatsache war an sich nichts Besonderes. Die ganze letzte Woche über waren zahlreiche Edelleute mit ihren Knappen und Zofen zu der heutigen Feier angereist. Cara bemerkte, dass es keine Stallknechte waren, die die verschwitzten Pferde absattelten, mit Stroh abrieben und mit Hafer versorgten. Es waren adlige Herrschaften, die diese Arbeit selbst machten, was an sich schon ungewöhnlich war. Umso merkwürdiger war es zudem, dass es Brids Onkel Erardt und sein Stiefsohn Gallus waren, die sich in der hintersten Ecke einer Pferdebox herumdrückten und leise, aber angespannt über etwas redeten.

Cara drehte wachsam beide Ohrmuscheln, ohne sich zu bewegen.

„Ich verlange von dir, dass du dich heute Abend von deiner besten Seite zeigst!“, flüsterte Erardt. „Du weißt, wie viel für uns davon abhängt, dass Brid dir auf den Leim kriecht!“

Gallus schnaubte verächtlich. Er hörte auf, den Rücken des Braunen mit einem Büschel Stroh abzureiben, und stützte sich mit beiden Armen auf dem Pferderücken ab, um seinem Stiefvater einen giftigen Blick zuzuwerfen. „Wie könnte ich es vergessen!“, gab er ätzend zurück. „Ich habe dich knapp davon überzeugt, dass ich für die magere Ziege kein Lied singen werde. Du weißt, wie mir dieses Getue zuwider ist! Aber ich sage dir noch einmal: Ich werde mein Möglichstes tun!“ Er fuhr fort, den Rücken seines Pferdes mit langen Strichen des Strohbüschels trocken zu reiben. Sein Gesicht zeigte einen blasierten, grimmigen Ausdruck.

Nun war Cara hellwach in ihrem Versteck hinter den Strohballen.

„Besser ist das!“, zischte der ältere Mann. „Du weißt, ich war erst vor ein paar Tagen hier auf Sahsstein, um meinen Bruder zu einem förmlichen Eheversprechen zwischen dir und seiner Tochter zu bringen, doch er war absolut nicht einverstanden damit. Aber er wird sich nicht öffentlich gegen sein verzogenes Balg stellen, wenn Brid deinem Antrag zustimmt. Also wirst du sie heute Abend vor versammelter Gesellschaft um ihre Hand bitten, und sei besser glaubhaft dabei!“

„Das hat man davon, wenn die Weiber mitreden dürfen!“, grollte Gallus. Er griff nach einer Decke und warf sie seinem Pferd über den Rücken.

Mit raschen Schritten war sein Stiefvater neben ihm und packte ihn am Halsausschnitt seiner feinen Tunika. „Wir haben es nicht zuletzt dir zu verdanken, dass Bruchberg so hoch verschuldet ist. Wenn du weniger saufen und spielen würdest, dann stünden wir anders da!“

Gallus stieß den älteren Mann von sich und richtete seine Kleider. „Was willst du?“, blaffte er zurück. „Ist es nicht so, dass dein Bruder mehr geerbt hat? Sahsstein sollte uns gehören, genau wie der Rest der Grafschaft!“

Cara hielt den Atem an, als Erardt sein Schwert zog und die scharfe Spitze an den Hals seines Ziehsohnes setzte. „Tue, was ich dir sage“, knirschte der Herr von Bruchberg, „dann wird die Grafschaft unser! Und tue es gut, sonst geht es dir schlecht!“

„Wie du willst, Vater“, gab Gallus zurück. Er schob die Spitze des Schwertes mit einem Finger zur Seite und grinste seifig. „Bislang hat sich noch kein Mädchen über mich beschwert!“

Erardt steckte mit einem letzten finsteren Blick sein Schwert zurück in die Scheide und verließ ohne ein weiteres Wort den Stall.

Gallus strich mit den Fingern durch seine blonden Locken und verfolgte seinen Stiefvater mit hasserfüllten Blicken. Dann fluchte er, richtete seinen langen, schwarzen Umhang, der mit einem Lederband zwischen zwei großen goldenen Fibeln gehalten wurde, und folgte seinem Vater.

 

Seufzend sah Cara auf ihre Pfoten herunter. Es hatte keinen Sinn, sich hier oben zu verstecken und über vergossene Milch zu maunzen. Besser, sie suchte sich ein günstiges Plätzchen im großen Saal, um Brid von dort aus beizustehen.

 

Gretlin hatte sich heute regelrecht verausgabt, um Brid zurechtzumachen. Ihr blondes, langes Haar wurde dreimal mit duftender Haarseife gewaschen und sie selbst genauso oft abgeschrubbt, bis es ihr zu viel wurde und sie ihre Zofe aus dem Raum schickte. Sie war durchaus allein im Stande, sich in ein großes Tuch zu hüllen und abzutrocknen.

Doch Gretlin ließ ihr nur wenige Minuten Ruhe, dann öffnete sich die Tür wieder, und sie watschelte herein, beladen mit einem ganzen Arm voller Kleider, die sie auf einem Hocker neben dem prasselnden Kaminfeuer ablud. Aufgeregt schwatzend über all die feinen Herrschaften, die in der großen Halle schon eingetroffen waren, bürstete sie Brids Haar. Sie zeigte alle Anzeichen einer dicken Glucke, die furchtbar stolz auf ihr flügge werdendes Küken war.

Zurzeit trugen die edlen Damen nach neuester Mode Cottelette und Surcot, und Gretlin hielt Brit abwechselnd ein goldenes Unterkleid und ein dunkelblaues mit glitzernden Borten unter das Kinn.

Brid ließ das alles stoisch über sich ergehen und grübelte, was es zu bedeuten hatte, dass sie ihre Katze plötzlich wortwörtlich verstand. Selbst mit Kylian darüber zu reden verbot sich, denn Cara hatte sie gebeten, niemanden in dieses Geheimnis einzuweihen. Doch darauf wäre Brid ohnehin nicht gekommen.

In den letzten Jahren waren die Menschen abergläubisch geworden. Es verging kaum eine Sonntagspredigt, in der Vater Albi nicht gegen den alten Glauben der Sachsen wetterte. Hinter jedem Baum vermutete der Priester einen Abtrünnigen. Menschen, die immer noch die Alben und die alten heidnischen Götter der Germanen anbeteten, nannte man Ketzer, Häretiker und Hexen. Oft erwartete sie ein qualvoller Tod.

Brid schauderte. Üble Nachrede wurde heutzutage leicht gefährlich.

„Ist dir etwa kalt, mein Liebes?“, fragte Gretlin sofort. „Ich werde ein Stück Holz auf das Feuer legen!“

„Es geht schon.“ Brid verschränkte die Arme über ihrem Unterkleid aus feinem Leinen. „Gib mir bitte das Dunkelblaue, Gretlin.“

„Oh ja, eine gute Wahl. Und darüber das Goldene und den seidenen Mantel.“

„Meinetwegen.“

„Ach, Brid!“, tadelte Gretlin. „Freue dich doch wenigstens ein bisschen! All die jungen, feinen Ritter sind dir zu Ehren auf Burg Sahsstein angereist!“ Sie legte einen hauchdünnen Seidenschleier über Brids lange Wellen und drückte einen schmalen Goldreif auf ihre Stirn. „So“, sagte Gretlin zufrieden, „wenn sich nicht jeder Knappe und Ritter auf der Stelle in dich verliebt, dann kenne ich die Männer nicht!“

Verstohlen drehte Brid den breiten Silberring an ihrer linken Hand um den Finger. „Einer reicht mir, Gretlin“, sagte sie leise, „es muss nur der Richtige sein.“

 

4 – Freund und Feind

 

Die große Halle war erleuchtet von zahllosen Fackeln, die in den Halterungen entlang der Wände flackerten, als Brid den Pallas betrat. Unter der Holzbalkendecke hing ein riesiger Leuchter aus vier Eisenringen, auf denen Dutzende Kerzen steckten, die ihr Licht auf die Tafeln warfen.

Man hatte die Fensterläden zum inneren Burghof geschlossen, denn draußen war die Dämmerung längst hereingebrochen, und es war nachts immer noch kühl.

Cunradt, der Barde ihres Vaters, schlenderte mit seiner Harfe in den schmalen Gängen zwischen den Tischen umher und unterhielt die redenden und lachenden Gäste mit seinem Gesang. Vor dem hell lodernden Feuer des Kamins lagen die Hunde ihres Vaters und hoben leise winselnd ihre Nasen in den verheißungsvollen Bratenduft, der aus der Burgküche heraufzog.

Offenbar wartete man nur noch auf sie.

Mit erhobenem Kopf schritt Brid den Mittelgang zu dem erhöhten Podest entlang, auf dem die gräfliche Tafel aufgebaut war. Während sie an den Tischen vorbeiging, verstummten die Gespräche der Gäste für einen atemlosen Moment, doch Brid bemerkte es nicht. Sie suchte inmitten der Menge Kylian. Er saß an einem der hinteren Tische bei den Schildknappen neben Enno, und ein Lächeln umspielte seine Lippen, als er zu ihr hinübersah.

Ihre Familie wartete schon an der Festtafel auf sie. In der Mitte saß wie üblich ihr Vater, rechts von ihm ihre Mutter Geras. An der linken Seite des Burgherren hatte ein großer Mann mittleren Alters Platz genommen, den Brid noch niemals in ihrem Leben gesehen hatte. Auch sein Wappen erkannte sie nicht. Er musste einflussreich sein, wenn er so dicht neben dem Burggrafen saß. Die Dame an seiner Seite war in die teuersten Stoffe gekleidet und trug Schmuck, besetzt mit funkelnden Edelsteinen. Demnach war das Paar auch sehr reich. Neben der fremden Adligen saß der Priester des Dorfes Sahsstein, Pater Albi, der mit blasierter Mine die Menschen vor ihm betrachtete. Eben blähten sich seine Nasenlöcher, als würde man ihn zwingen, einen schrecklichen Gestank einzuatmen. Am Ende der ausgedehnten gräflichen Tafel saßen Onkel Erardt und wie immer Gallus.

Zur Rechten ihrer Mutter lächelte ihr ihre Großmutter Margareta entgegen. Zwischen ihr und Els stand ein leerer Lehnsessel, den ein Diener für Brid zurückzog. Sie warf noch einen Blick über die anwesenden Gäste. Es waren viele fremde Menschen geladen. Bunte Wappen zierten die Waffenröcke der Männer, und entlang der Wände waren ihre Banner aufgestellt. Brid sah den schwarzen, springenden Hirsch auf blauem Grund der Grafen von Hirschstein. Auch die roten Tore auf Silber der Grafschaft Pfortenberg erkannte sie. Die meisten Wappen waren ihr jedoch unbekannt. Ihre Augen blieben wieder an Kylian hängen. Sie wechselten einen langen Blick, dann nahm sie Platz.

„Endlich“, sagte ihr Vater leise. „Brid!“ Er sah auf ihren Ring und stutzte.