Brida - Paulo Coelho - E-Book + Hörbuch

Brida E-Book

Paulo Coelho

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Beschreibung

»Aber woran erkennt man den Mann oder die Frau seines Lebens?«, fragte Brida. »Du musst etwas riskieren«, war die Antwort. »Dabei wirst du oft scheitern, du wirst enttäuscht werden, desillusioniert. Aber wenn du nie aufhörst, nach deiner Liebe zu suchen, wirst du sie am Ende finden.«"

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Paulo Coelho

Brida

Diogenes

Heilige Maria,

ohne Sünden empfangen,

bete für uns,

die wir uns an dich wenden.

Amen.

Für:

N.D.L., die die Wunder vollbracht hat;

Christina, die eines dieser Wunder ist;

und Brida

Oder welche Frau, die zehn Silbergroschen hat und einen davon verliert, zündet nicht ein Licht an und kehrt das Haus und sucht mit Fleiß, bis sie ihn findet? Und wenn sie ihn gefunden hat, ruft sie ihre Freundinnen und Nachbarinnen und spricht: Freut euch mit mir; denn ich habe meinen Silbergroschen gefunden, den ich verloren hatte.

Lukas, 15, 8–9

Warnung

Im Buch Der Jakobsweg habe ich zwei Praktiken der R.A.M. durch Wahrnehmungsübungen ersetzt, die ich in der Zeit lernte, in der ich mit dem Theater zu tun hatte. Obwohl die Ergebnisse vollkommen gleich sind, hat mir das eine harsche Rüge meines Meisters eingetragen: »Gleichgültig, ob es schnellere oder einfachere Mittel gibt, die Tradition darf nie gegen etwas anderes getauscht werden«, sagte er.

Aus diesem Grund sind die wenigen in Brida beschriebenen Rituale genau jene, die jahrhundertelang in der Mondtradition ausgeübt wurden – einer ganz besonderen Tradition, die viel Wissen und Erfahrung voraussetzt. Derartige Rituale ohne Anleitung auszuführen ist sinnlos und gefährlich und kann die spirituelle Suche ernstlich gefährden.

Prolog

Wir hatten abends immer in einem Café in Lourdes zusammen gesessen: Ich, ein Pilger des heiligen Romweges, der am Anfang einer Wanderung stand, die viele Tage dauern würde und zu der ich aufgebrochen war, um auf die Suche nach meiner besonderen Gabe zu gehen. Und sie, Brida O’Fern, die für einen Teil des Weges zuständig war.

An einem dieser Abende fragte ich sie, ob eine bestimmte Abtei auf dem sternförmigen Weg, den die Eingeweihten durch die Pyrenäen gehen, sie nicht auch tief beeindruckt habe.

»Ich war nie dort«, war ihre Antwort.

Ich war überrascht. Sie hatte ihre besondere Gabe ja bereits gefunden.

»Alle Wege führen nach Rom«, sagte Brida und wollte mir damit sagen, dass die besonderen Gaben überall geweckt werden können. »Ich habe meinen Romweg in Irland gemacht.«

An den folgenden Abenden erzählte sie mir dann von ihrer Suche. Als sie geendet hatte, fragte ich sie, ob ich irgendwann einmal ihre Geschichte in einem Roman verarbeiten dürfe.

Sie stimmte spontan zu. Doch später bekam sie doch Bedenken. So bat sie mich beispielsweise, die Namen der beteiligten Personen zu ändern. Zudem wollte sie wissen, wer die zukünftigen Leser sein und wie sie reagieren würden.

»Das weiß ich noch nicht«, antwortete ich. »Aber ich glaube, dass deine Bedenken einen anderen Grund haben.«

»Du hast recht«, sagte sie. »Der wahre Grund ist, dass es sich um eine sehr persönliche Erfahrung handelt. Ich weiß nicht, ob andere Leute etwas damit anfangen können.«

Dieses Risiko müssen wir eingehen, Brida. Einem anonymen alten Text zufolge kann ein Mensch in seinem Leben zwei Dinge tun: bauen oder pflanzen. Diejenigen, die bauen, brauchen manchmal Jahre, um ihr Ziel zu erreichen, aber eines Tages ist ihre Arbeit beendet. Dann sind sie untätig, und die Wände, die sie gebaut haben, engen sie ein. Das Leben verliert seinen Sinn, wenn der Bau errichtet ist. Aber es gibt auch diejenigen, die pflanzen. Sie leiden manchmal unter Unwettern, unter den Jahreszeiten und ruhen selten aus. Doch anders als ein Gebäude hört ein Garten nie auf zu wachsen. Und da er die Aufmerksamkeit des Gärtners immer fordert, kann für denjenigen, der pflanzt, das Leben ein großes Abenteuer sein.

Die Gärtner werden einander erkennen – denn sie wissen, dass jede Pflanze die Geschichte der ganzen Erde enthält.

Der Autor 

Irland

August 1983 bis März 1984

Sommer und Herbst

»Ich möchte Magie lernen«, sagte die junge Frau.

Der Magier schaute sie an: verwaschene Jeans, T-Shirt und diese herausfordernde Art, die schüchterne Menschen gerade dann an den Tag legen, wenn sie es nicht sollten. ›Ich bin bestimmt doppelt so alt wie sie‹, dachte er. Und dennoch wusste er, dass er vor seinem fehlenden Anderen Teil stand.

»Ich heiße Brida«, fuhr sie fort. »Tut mir leid, dass ich mich nicht vorgestellt habe. Ich habe so lange auf diesen Augenblick gewartet und bin viel aufgeregter, als ich es mir vorgestellt hatte.«

»Warum wollen Sie Magie lernen?«, fragte er.

»Um eine Antwort auf einige Lebensfragen zu bekommen. Um die okkulten Kräfte kennenzulernen. Und vielleicht um in die Vergangenheit und in die Zukunft zu reisen.«

Es war nicht das erste Mal, dass deswegen jemand zu ihm in den Wald kam. Es hatte eine Zeit gegeben, in der er ein sehr bekannter, in der Tradition geachteter Meister gewesen war. Er hatte mehrere Schüler angenommen und geglaubt, die Welt würde sich in dem Maße verändern, wie er diese veränderte. Aber er hatte einen Fehler gemacht. Und Meister dürfen keine Fehler machen.

»Finden Sie nicht, dass Sie etwas jung sind?«

»Ich bin einundzwanzig«, sagte Brida. »Für eine Ballettausbildung wäre ich sogar schon zu alt.«

Der Magier gab ihr ein Zeichen, ihm zu folgen. Die beiden gingen schweigend durch den Wald.

›Sie ist hübsch‹, dachte er, während die Schatten der Bäume schnell länger wurden – denn die Sonne stand schon dicht über dem Horizont. ›Aber ich bin doppelt so alt wie sie.‹ Was nichts anderes hieß, als dass ihm Leid bevorstand, wenn er sich auf sie einließ.

Brida ärgerte das Schweigen des Mannes, der neben ihr herging. Auf ihren letzten Satz hatte er überhaupt nicht reagiert. Der Waldboden war feucht, von welkem Laub bedeckt. Auch sie bemerkte, dass die Schatten schnell länger wurden. Bald schon würde es dunkel sein, und sie hatten keine Taschenlampe dabei.

›Ich muss ihm vertrauen‹, machte sie sich selber Mut. ›Wenn ich glaube, dass er mir Magie beibringen kann, dann glaube ich auch, dass er mich durch einen Wald führen kann.‹

Sie gingen immer weiter. Er schien ziellos unterwegs zu sein, ging hierhin und dorthin, wechselte die Richtung, obwohl kein Hindernis den Weg versperrte. Mehr als einmal gingen sie im Kreis, kamen drei- oder viermal an derselben Stelle vorbei.

›Wer weiß, vielleicht stellt er mich ja auch auf die Probe.‹ Sie war entschlossen, diese Erfahrung ganz auszukosten, und versuchte zu zeigen, dass nichts – auch das Im-Kreis-Wandern nicht – sie aus der Fassung bringen konnte.

Sie hatte lange auf diese Begegnung gewartet und dafür einen beschwerlichen Weg auf sich genommen. Dublin war fast 150 Kilometer weit entfernt, und die Busse in dieses Dorf waren unbequem gewesen und hatten unmögliche Abfahrtszeiten. Sie hatte früh aufstehen müssen, war drei Stunden gereist, hatte in der kleinen Stadt nach ihm gefragt, erklären müssen, was sie von diesem merkwürdigen Mann wollte. Schließlich hatte man ihr das Waldgebiet gezeigt, in dem er sich tagsüber aufhielt – aber nicht ohne sie vorher zu warnen, dass er schon versucht habe, eines der jungen Mädchen im Dorf zu verführen.

›Er ist ein interessanter Mann‹, dachte sie sich. Der Weg führte nun bergan, und sie hoffte, die Sonne würde noch etwas länger am Himmel bleiben. Sie hatte Angst, auf dem feuchten Laub auszurutschen, das den Weg bedeckte.

»Warum wollen Sie wirklich Magie lernen?«

Brida freute sich, weil er das Schweigen gebrochen hatte. Sie gab ihm dieselbe Antwort wie zuvor.

Aber er gab sich damit nicht zufrieden.

»Vielleicht wollen Sie Magie nur lernen, weil sie geheimnisvoll und okkult ist. Weil sie Antworten gibt, die nur wenige Menschen in ihrem Leben erhalten. Aber vor allem, weil sie eine romantische Vergangenheit heraufbeschwört.«

Brida sagte nichts. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie wünschte sich, er würde zu seinem Schweigen zurückkehren, denn sie befürchtete, eine Antwort zu geben, die dem Magier nicht gefiel.

Nachdem sie den ganzen Wald durchquert hatten, gelangten sie schließlich auf den Gipfel eines Berges. Das Terrain wurde nun felsig, und es gab keine Vegetation mehr. Deshalb war es weniger rutschig, und Brida konnte dem Magier mühelos folgen.

Er setzte sich auf den höchsten Punkt und bat Brida, sich neben ihn zu setzen.

»Vor Ihnen sind schon viele andere zu mir gekommen«, sagte der Magier. »Und auch sie haben mich gebeten, sie Magie zu lehren. Doch ich habe jetzt genug gelehrt. Ich habe der Menschheit schon zurückgegeben, was sie mir gegeben hat. Heute will ich nur noch allein sein, Berge besteigen, mich um meine Pflanzen kümmern und mit Gott eins sein.«

»Das ist nicht wahr«, sagte das Mädchen. Er schaute sie verwundert an.

»Vielleicht möchten Sie mit Gott eins sein. Aber es stimmt nicht, dass Sie allein sein wollen.«

Brida bedauerte sofort, was sie gesagt hatte. Es war ihr so herausgerutscht, und nun konnte sie die Worte nicht mehr zurücknehmen. Vielleicht brauchten Frauen die Männer nötiger als Männer die Frauen.

»Ich möchte Sie etwas fragen, und ich möchte, dass Sie mir ehrlich antworten«, sagte der Magier, und er wirkte überhaupt nicht verärgert. »Wenn Sie mir die Wahrheit sagen, werde ich Ihnen beibringen, worum Sie mich gebeten haben. Lügen Sie, sollen Sie nie wieder in diesen Wald zurückkehren.«

Brida atmete erleichtert auf. Es war nur eine Frage. Sie durf‌te nur nicht lügen, das war alles. Sie hatte immer geglaubt, dass die Meister von denjenigen, die ihre Schüler sein wollten, schwierigere Dinge verlangten.

Sie setzte sich direkt vor ihn hin. Ihre Augen leuchteten.

»Nehmen wir einmal an, ich bringe Ihnen bei, was ich gelernt habe«, sagte er und schaute ihr dabei fest in die Augen. »Ich fange an, Ihnen die Parallelwelten zu zeigen, die uns umgeben, die Engel, die Weisheit der Natur, die Mysterien der Sonnentradition und der Mondtradition. Und irgendwann gehen Sie in die Stadt hinunter, um einzukaufen und treffen mitten auf der Straße den Mann Ihres Lebens.«

›Ich wüsste gar nicht, wie ich ihn erkennen sollte‹, dachte sie. Aber sie sagte nichts; die Frage war eindeutig schwieriger zu beantworten, als sie gedacht hatte.

»Er empfindet das auch so und schafft es, sich Ihnen zu nähern. Sie beide verlieben sich. Sie, Brida, lernen weiter bei mir, ich mache Sie tagsüber mit dem Kosmos vertraut und er Sie nachts mit der Liebe. Aber irgendwann kommt der Augenblick, in dem beides nicht mehr miteinander vereinbar ist. Sie müssen sich entscheiden.«

Der Magier schwieg eine Weile. Er fürchtete die Antwort der jungen Frau, noch bevor er seine Frage gestellt hatte. Dass sie an diesem Nachmittag gekommen war, bedeutete für beide das Ende eines Lebensabschnitts. Er wusste das, denn er kannte die Traditionen und das Schicksal der Meister. Er brauchte sie ebenso, wie sie ihn brauchte. Aber sie musste in diesem Augenblick die Wahrheit sagen. Das war die einzige Vorbedingung.

»Antworten Sie mir jetzt ganz offen«, sagte er, nachdem er sich einen Ruck gegeben hatte. »Würden Sie alles aufgeben, was Sie bisher gelernt haben, alle Möglichkeiten und alle Geheimnisse der Welt der Magie, um mit dem Mann Ihres Lebens zusammen zu sein?«

Brida wandte den Blick von ihm ab. Ringsum lagen die Berge und die Wälder und dort unten das kleine Dorf, in dem die Lichter angingen. Die Schornsteine rauchten, bald würden sich die Familien um den Esstisch versammeln. Sie waren fleißige, gottesfürchtige Menschen, die sich bemühten, ihren Nächsten zu helfen. Sie kannten die Liebe und die Nächstenliebe; sie brauchten keine weiteren Erklärungen; sie waren imstande, alles zu begreifen, was in der Welt geschah, ohne jemals von so etwas wie Sonnen- oder Mondtradition gehört zu haben.

»Ich sehe keinen Gegensatz zwischen meiner Suche und meinem Glück«, sagte sie.

»Antworten Sie auf meine Frage!« Der Blick des Magiers war fest auf sie gerichtet. »Würden Sie alles für diesen Menschen aufgeben?«

Brida spürte, wie ihr die Tränen kamen. Es ging hier nicht um eine Frage, sondern um eine Entscheidung; die schwierigste Entscheidung, die Menschen in ihrem Leben treffen müssen. Sie hatte schon viel darüber nachgedacht. Es hatte eine Zeit gegeben, in der nichts auf der Welt wichtiger gewesen war als sie selber. Sie hatte mit vielen Männern eine Beziehung gehabt, hatte immer geglaubt, jeden von ihnen zu lieben, und hatte immer gesehen, wie die Liebe von einem Augenblick auf den anderen zu Ende ging. Von allem, was sie bisher kannte, war die Liebe das Schwierigste gewesen. Im Moment war sie in jemanden verliebt, der nur wenig älter war als sie, Physik studierte und die Welt ganz anders sah als sie. Wieder einmal glaubte sie an die Liebe, setzte alles auf ihre Gefühle, aber sie war schon so häufig enttäuscht worden, dass sie sich nicht mehr sicher war. Gerade jetzt stand sie vor der wichtigsten Entscheidung ihres Lebens.

Sie vermied es, den Magier anzuschauen. Ihr Blick war fest auf das Dorf mit den rauchenden Schornsteinen gerichtet. Die Menschen hatten schon immer versucht, die Welt durch die Liebe zu verstehen.

»Ich würde alles für ihn aufgeben«, sagte sie schließlich.

Der Mann, vor dem sie saß, würde niemals verstehen, was im Herzen der Menschen vor sich ging. Dieser Mann mochte verborgene Kräfte, die Geheimnisse der Magie kennen, doch die Menschen kannte er nicht. Er hatte graues Haar, seine Haut war sonnengebräunt, und sein durchtrainierter Körper verriet, dass er regelmäßig in diesen Bergen herumkletterte. Er war ein faszinierender Mensch, und sein wissender Blick ließ sie tief in seine Seele hineinsehen. Er wirkte, als sei er wieder einmal von den Gefühlen der gewöhnlichen Menschen enttäuscht. Auch sie war enttäuscht, aber von sich selber, doch sie durf‌te nicht lügen.

»Schauen Sie mich an«, sagte der Magier.

Brida schämte sich. Dennoch blickte sie ihn an.

»Sie haben die Wahrheit gesagt. Und ich werde Ihr Lehrer sein.«

Es war inzwischen vollkommen dunkel geworden, und die Sterne blinkten am mondlosen Himmel. In nur zwei Stunden hatte Brida dem Unbekannten ihr ganzes Leben erzählt. Sie hatte dabei versucht, eine Erklärung für ihr Interesse an der Magie zu finden, etwa: Visionen in der Kindheit, Vorahnungen, innere Stimmen. Doch solche Erklärungen gab es nicht. Sie hatte einfach nur den Wunsch, die Magie zu lernen, das war alles. Deshalb hatte sie schon Kurse in Astrologie, Tarot und Numerologie gemacht.

»Das sind nur Sprachen«, sagte der Magier. »Und es sind nicht die einzigen.«

»Und was ist dann Magie?«, fragte sie.

Selbst im Dunkeln konnte sie erkennen, dass der Magier sich abwandte. Er schaute gedankenverloren in den Himmel, vielleicht auf der Suche nach einer Antwort.

»Die Magie ist eine Brücke«, sagte er schließlich. »Eine Brücke, die Ihnen erlaubt, von der sichtbaren Welt in die unsichtbare Welt zu gehen. Und von beiden Welten zu lernen.«

»Und wie lernt man, diese Brücke zu überqueren?«

»Indem man seinen eigenen Weg findet. Jeder Mensch hat seinen eigenen Weg.«

»Um meinen Weg zu finden, bin ich hergekommen.«

»Es gibt zwei Wege«, entgegnete der Magier. »Die Sonnentradition, die die Geheimnisse durch den Raum, die Dinge, die uns umgeben, lehrt. Und die Mondtradition, die die Geheimnisse durch die Zeit, durch die Dinge lehrt, die eng mit der Erinnerung verbunden sind.«

Brida hatte ihn verstanden. Diese Nacht, die Bäume, die Kälte, die sich in ihrem Körper ausbreitete, die Sterne am Himmel, sie gehörten zur Sonnentradition. Und dieser Mann hier, in dessen Blick die Weisheit der Vorfahren lag, gehörte zur Mondtradition.

»Ich habe die Mondtradition gelernt«, sagte der Magier, als hätte er ihre Gedanken erraten. »Aber ich war nie ein Meister. Ich bin Meister der Sonnentradition.«

»Zeigen Sie mir die Sonnentradition!«, sagte Brida misstrauisch, denn sie hatte aus der Stimme des Magiers eine gewisse Zärtlichkeit herausgehört.

»Ich werde Ihnen beibringen, was ich gelernt habe. Aber es gibt in der Sonnentradition viele Wege. Man muss auf die Fähigkeit eines jeden Menschen vertrauen, sich selbst etwas beizubringen.«

Brida hatte sich nicht geirrt. Es lag wirklich Zärtlichkeit in der Stimme des Magiers, und das beunruhigte sie. »Ich bin durchaus imstande, die Sonnentradition zu begreifen«, sagte sie.

Der Magier hörte auf, in die Sterne zu blicken, und konzentrierte sich auf die junge Frau. Er wusste, dass sie noch nicht bereit war, in die Sonnentradition eingeführt zu werden. Aber es blieb ihm nichts anderes übrig. Bestimmte Schüler erwählen sich eben ihre Meister.

»Ehe wir mit der ersten Lektion beginnen, möchte ich Sie auf etwas hinweisen«, sagte er. »Wenn jemand seinen Weg gefunden hat, darf er keine Angst haben. Er muss auch den Mut aufbringen, Fehler zu machen. Durch die Enttäuschungen, die Niederlagen, die Mutlosigkeit zeigt Gott uns den Weg. Sie sind seine Werkzeuge.«

»Sonderbare Werkzeuge«, meinte Brida. »Sie bewirken oft, dass Menschen aufgeben.«

Der Magier kannte den Grund. Er hatte die Wirkung der sonderbaren Werkzeuge Gottes bereits selbst an Körper und Seele erfahren.

»Lehren Sie mich die Sonnentradition!«, bat Brida erneut.

Der Magier bat Brida, sich an einen Felsvorsprung zu lehnen und sich zu entspannen.

»Sie brauchen die Augen nicht zu schließen. Schauen Sie sich die Welt ringsum an, und nehmen Sie alles in sich auf, was Sie in sich aufnehmen können. In jedem Augenblick zeigt die Sonnentradition jedem Menschen ihre ewige Weisheit.«

Brida folgte der Anweisung des Magiers. Aber sie fand, dass er etwas sehr schnell ans Werk ging.

»Dies ist die erste und wichtigste Lektion«, sagte er. »Sie stammt von Johannes vom Kreuz, dem spanischen Mystiker Juan de la Cruz, der verstanden hatte, was Glauben bedeutet.«

Er schaute die junge Frau an, die sich ihm so vertrauensvoll anheimgab. Tief in seinem Herzen wünschte er sich, sie würde begreifen, was er ihr jetzt gleich beibringen würde. Schließlich war sie seine andere Hälfte, auch wenn sie es selber noch nicht wusste und noch von den Dingen und den Menschen der Welt fasziniert war.

Brida sah links die Gestalt des Magiers in der Dunkelheit in den Wald hineingehen und zwischen den Bäumen verschwinden. Sie hatte Angst, allein zurückzubleiben, und versuchte, sich nicht zu verkrampfen. Dies war ihre erste Lektion, sie durf‌te nicht nervös werden.

›Er hat mich als Schülerin angenommen. Ich darf ihn nicht enttäuschen.‹

Sie war mit sich selber zufrieden, doch zugleich überraschte sie, wie schnell alles geschehen war. An ihren Überredungskünsten hatte sie nie gezweifelt – sie war sogar stolz darauf –, und auch nicht an dem Wunsch, der sie hierhergeführt hatte. Sie war sich sicher, dass der Magier sie von irgendeinem Felsen aus beobachtete, um zu sehen, ob sie imstande war, die erste Lektion in Magie zu lernen. Er hatte von Mut gesprochen, und daher musste sie sich mutig zeigen, obwohl sie Angst hatte – in ihrer Vorstellung begannen Bilder von Schlangen und Skorpionen aufzutauchen, die diesen Felsen bewohnten. Doch er würde schon bald wiederkommen und sie die erste Lektion lehren.

»Ich bin eine starke, entschlossene Frau«, sagte sie sich immer wieder leise. Es war ein Privileg, hier zu sein, mit diesem Mann, den manche Menschen verehrten und andere fürchteten. Brida ließ den Nachmittag, den sie zusammen verbracht hatten, vor ihrem inneren Auge ablaufen, erinnerte sich an den Augenblick, in dem seine Stimme plötzlich zärtlich geklungen hatte. ›Wer weiß, vielleicht hat er mich ja für eine interessante Frau gehalten. Vielleicht wollte er ja sogar mit mir schlafen?‹ Eine schlechte Erfahrung wäre das sicher nicht, denn es lag etwas Seltsames in seinem Blick.

›Was für dumme Gedanken!‹ Sie war hier, wollte etwas ganz Bestimmtes erreichen, einen Weg des Wissens finden. Und plötzlich nahm sie sich selber einfach nur als Frau wahr. Sie versuchte, nicht mehr daran zu denken, und da bemerkte sie, dass der Magier sie schon eine geraume Weile allein gelassen hatte.

Brida geriet in Panik. Dieser Mann hatte einen widersprüchlichen Ruf. Einige Leute sagten, er sei der mächtigste Meister, den sie je kennengelernt hatten, dass er allein mit seiner Willenskraft die Richtung des Windes ändern, Löcher in Wolken machen könne. Brida war wie alle von solcherlei Wundertaten fasziniert.

Andere hingegen – Leute, die mit der Welt der Magie zu tun hatten, mit den Kursen, an denen auch sie teilnahm – behaupteten, er sei ein Schwarzer Magier, er habe einmal einen Menschen mit seiner Macht zerstört, weil er sich in die Frau dieses Mannes verliebt hatte. Aus diesem Grunde sei er, obwohl er ein Meister war, dazu verdammt worden, einsam durch die Wälder zu streifen.

›Vielleicht hat die Einsamkeit ihn ja noch verrückter gemacht?‹ Brida spürte wieder Panik. So jung sie war, wusste sie doch schon, was Einsamkeit bei Menschen anrichten kann, vor allem bei älteren. Ihr waren Menschen begegnet, die ihre strahlende Lebendigkeit verloren hatten, weil sie mit ihrer Einsamkeit nicht fertig wurden und am Ende süchtig nach Einsamkeit waren. Es handelte sich zumeist um Menschen, die die Welt für einen Ort hielten, an dem es weder Würde noch Ruhm gab, und die ihre Tage damit verbrachten, über die Fehler der anderen herzuziehen. Es handelte sich um Menschen, die sich aus Einsamkeit zu Richtern über die Welt aufschwangen und ihr Urteil in alle vier Himmelsrichtungen hinausposaunten, damit jedermann sie hören konnte. Vielleicht hatte die Einsamkeit ja auch den Magier in den Wahnsinn getrieben.

Plötzlich ließ sie ein etwas lauteres Geräusch neben ihr auf‌fahren, und ihr Herz schlug heftig. Der Ort, an dem sie sich befand, war wohl doch nicht so einsam. Eine Welle von Angst stieg in ihrem Bauch auf und verteilte sich im ganzen Körper.

›Ich muss mich zusammennehmen‹, dachte sie, doch es war unmöglich. Vor ihrem inneren Auge tauchten Schlangen, Skorpione und die Gespenster ihrer Kindheit auf. Brida konnte sich vor lauter Angst kaum noch beherrschen. Ein anderes Bild baute sich auf: das eines mächtigen Zauberers, der einen Pakt mit dem Teufel geschlossen hatte und jetzt ihr Leben als Opfer darbrachte.

»Wo sind Sie?«, rief sie schließlich. Jetzt wollte sie niemanden mehr beeindrucken. Sie wollte nur noch weg.

Niemand antwortete.

»Ich will hier weg! So helfen Sie mir doch!«

Aber da war nur der Wald mit seinen merkwürdigen Geräuschen. Brida war ganz schwindlig vor Angst, sie glaubte, gleich in Ohnmacht zu fallen. Aber das durf‌te sie nicht. Jetzt, wo sie wusste, dass er weit weg war, durf‌te sie unmöglich in Ohnmacht fallen. Sie musste sich beherrschen. Als sie dies dachte, wurde ihr bewusst, wie in ihr eine Kraft darum kämpf‌te, die Beherrschung aufrechtzuerhalten. ›Ich darf nicht weiter rufen‹, dachte sie als Erstes. Ihre Rufe könnten die Aufmerksamkeit anderer Männer, die womöglich in diesem Wald lebten, auf sie lenken, und Männer, die in Wäldern leben, konnten gefährlicher sein als wilde Tiere.

»Ich habe Vertrauen«, sagte sie leise vor sich hin. »Ich vertraue auf Gott, auf meinen Schutzengel, der mich bis hierher geführt hat und der jetzt bei mir ist. Ich weiß nicht, wie er aussieht, aber ich weiß, dass er in der Nähe ist.« ›Er wird über mich wachen und sehen, dass ich meinen Fuß nicht an einem Stein stoße‹, hieß es in einem Psalm, den sie als Kind gelernt und inzwischen schon fast vergessen hatte. Ihre Großmutter, die vor kurzem gestorben war, hatte ihn ihr beigebracht. Sie hätte sie jetzt gern in ihrer Nähe gehabt. Kaum hatte sie dies gedacht, spürte sie eine ihr freundlich gesinnte Präsenz.

Sie begann zu begreifen, dass zwischen Gefahr und Angst ein großer Unterschied bestand.

»Wer unter dem Schirm des Höchsten sitzt …«, begann der Psalm. Brida bemerkte, dass sie sich an alles Wort für Wort erinnerte, genau so, als würde ihre Großmutter ihn in diesem Augenblick für sie vortragen. Brida sagte den Psalm mehrmals nacheinander auf und fühlte sich trotz ihrer Angst ruhiger. Ihr blieb in diesem Augenblick keine andere Wahl. Entweder vertraute sie ihrem Gott und ihrem Schutzengel, oder sie würde verzweifeln.

Sie spürte etwas, das gegenwärtig war, das sie beschützte. ›Ich muss an dieses Gegenwärtige glauben. Erklären kann ich es nicht, aber es ist da. Und es wird die ganze Nacht bei mir bleiben, denn allein finde ich hier nicht mehr heraus.‹

Als Kind war sie nachts häufig voller Angst aufgewacht. Ihr Vater war dann mit ihr ans Fenster getreten und hatte ihr die Stadt gezeigt, in der sie lebten. Er erzählte ihr dann von den Nachtwächtern, dem Milchmann, der bereits die Milch austrug, vom Bäcker, der das tägliche Brot buk. Ihr Vater sagte, sie solle die Ungeheuer verscheuchen, mit denen sie die Nacht bevölkert hatte, und durch die Menschen ersetzen, die in der Dunkelheit wachten. »Die Nacht ist nur ein Teil des Tages«, hatte er sie beruhigt.

Die Nacht war nur ein Teil des Tages. Und ebenso, wie sie sich durch das Licht beschützt fühlte, konnte sie sich durch die Dunkelheit beschützt fühlen. Die Dunkelheit hatte sie dazu gebracht, diese beschützende Gegenwart anzurufen. Sie musste ihr vertrauen. Dieses Vertrauen hieß Glaube. Nie hatte ihr jemand erklären können, was Glauben war. Der Glaube war genau das, was sie jetzt erlebte, ein unerklärliches Eintauchen in eine dunkle Nacht wie diese. Den Glauben gab es nur, weil sie darauf vertraute. So wie auch die Wunder keine Erklärung hatten, sondern für diejenigen geschahen, die an sie glauben.

›Er hat mir etwas von der ersten Lektion gesagt‹, wurde ihr plötzlich klar. Die beschützende Gegenwart war da, weil sie daran glaubte. Brida bemerkte, wie müde sie war und wie sehr sie sich verkrampft hatte. Sie entspannte sich wieder und fühlte mit jedem Augenblick immer mehr, dass sie beschützt wurde.

Sie glaubte. Und der Glaube würde nicht zulassen, dass der Wald sich wieder mit Skorpionen und Schlangen bevölkerte. Der Glaube hielt den Schutzengel wach, der seine Hand über sie hielt.

Brida lehnte sich wieder an den Felsen und schlief ein, ohne es zu merken.

Als sie aufwachte, war es bereits hell, und eine herrliche Sonne tauchte alles um sie herum in die schönsten Farben. Sie fröstelte, ihre Kleidung war verschwitzt, aber ihre Seele frohlockte. Sie hatte eine ganze Nacht allein in einem Wald verbracht.

Obwohl sie wusste, dass es sinnlos war, hielt sie nach dem Magier Ausschau. Er würde durch die Wälder streifen und ›mit Gott eins sein‹ und sich vielleicht fragen, ob das Mädchen von der vorhergehenden Nacht den Mut gehabt hatte, die erste Lektion der Sonnentradition zu lernen.

»Ich habe etwas über die Dunkle Nacht gelernt«, sagte Brida zum Wald, der nun schwieg. »Ich habe gelernt, dass der Weg zum Glauben durch die Dunkle Nacht führt.

Letztlich ist das nicht verwunderlich. Jeder Tag des Menschen ist wie die Dunkle Nacht. Niemand weiß, was in der nächsten Minute geschehen wird. Dennoch schreiten die Menschen voran. Weil sie Vertrauen haben. Weil sie glauben.«

Oder, wer weiß, weil sie das in der nächsten Minute enthaltene Geheimnis nicht bemerkt haben. Aber das war jetzt nebensächlich. Die Hauptsache war für sie zu wissen, dass sie es begriffen hatte.

Dass jeder Augenblick des Lebens ein Akt des Glaubens war. Dass es ihr freistand, jeden Augenblick entweder mit Schlangen und Skorpionen oder mit einer beschützenden Macht zu bevölkern.

Dass es für den Glauben keine Erklärung gab. Er war eine Dunkle Nacht. Und es war an ihr, dies entweder zu akzeptieren oder nicht.

Brida schaute auf die Uhr und sah, dass es schon spät war. Sie musste den Bus erreichen, sie hatte eine dreistündige Reise vor sich und konnte sich währenddessen überlegen, was sie ihrem Verlobten sagen würde; er würde niemals glauben, dass sie eine ganze Nacht allein im Wald verbracht hatte.

»Die Sonnentradition ist sehr schwierig!«, rief sie in den Wald. »Dass ich meine eigene Meisterin sein muss, hatte ich nicht erwartet!«

Sie schaute auf den kleinen Ort hinunter, überlegte sich, wie sie hergekommen war, und machte sich in umgekehrter Richtung auf den Rückweg. Vorher allerdings drehte sie sich noch einmal zum Felsen um.

»Ich möchte noch etwas sagen«, rief sie mit gelöster, fröhlicher Stimme. »Sie sind ein sehr interessanter Mann.«

 

An den Stamm eines alten Baumes gelehnt, sah der Magier die junge Frau im Wald verschwinden. Er hatte ihre angstvollen Rufe in der Nacht gehört. Es hatte Augenblicke gegeben, in denen er kurz davor war, zu ihr zu gehen, sie zu umarmen, sie vor ihren Ängsten zu schützen, ihr zu sagen, dass sie diese Art von Herausforderung nicht brauchte. Jetzt war er froh, es nicht getan zu haben, und stolz auf diese junge Frau, die trotz ihrer jugendlichen Verwirrung sein Anderer Teil war.

Im Zentrum von Dublin gibt es eine Buchhandlung, die auf okkulte Traktate für Eingeweihte spezialisiert ist. Sie machte nie Werbung in Zeitungen oder Zeitschriften – die neuen Kunden kamen auf Empfehlung alter Kunden, und dem Buchhändler war diese Mund-zu-Mund-Propaganda sehr recht, denn auf diese Weise gelangte er an das ausgewählte Fachpublikum, das er wollte. Sein Laden war immer voll.

Brida hatte schon viel von der Buchhandlung gehört, aber erst über ihren Lehrer im Kurs für Astralreisen, an dem sie gerade teilnahm, die Adresse erfahren. Kurz darauf ging sie an einem Nachmittag nach der Arbeit hin und war begeistert.

Von da an besuchte sie die Buchhandlung, sooft sie konnte, allerdings konnte sie sich keine Bücher leisten. Sie blätterte sie einzeln durch, schaute sich in einigen die Zeichnungen und Symbole genauer an und spürte dabei die Schwingungen all dieses angehäuf‌ten Wissens. Seit dem Erlebnis mit dem Magier war sie vorsichtiger geworden. Manchmal kritisierte sie sich selber dafür, weil sie sich entschieden hatte, sich nur noch mit Dingen zu beschäftigen, die sie verstehen konnte. Sie ahnte, dass sie dabei war, etwas sehr Wichtiges in ihrem Leben zu verlieren. Doch ihr fehlte der Mut, sich zu verändern. Sie musste den Weg immer vor sich sehen. Sie kannte jetzt die Dunkle Nacht und wusste, dass sie sie nicht wieder durchqueren wollte.

Und obwohl sie manchmal mit sich unzufrieden war, schaffte sie es doch nicht, ihre eigenen Grenzen zu überschreiten.

Bücher waren ein sichereres Terrain. Die Regale enthielten Neuauf‌lagen von vor Hunderten von Jahren geschriebenen Traktaten – nur wenige Menschen riskierten es, etwas Neues auf diesem Gebiet zu sagen. Und die geheime Weisheit schien auf diesen Seiten zu schimmern, fern und unbeteiligt, und Brida lächelte über die fruchtlosen Bemühungen von Generationen von Menschen, die Weisheit zu enthüllen.

Neben den Büchern gab es noch einen Grund, weshalb Brida immer in diese Buchhandlung ging: Sie wollte die Stammkunden beobachten. Manchmal tat sie so, als würde sie in den ehrwürdigen alchimistischen Traktaten blättern, aber ihr Blick war auf die Leute konzentriert – Männer und Frauen, die zumeist älter waren als sie und wussten, was sie wollten, und immer zielbewusst zum richtigen Regal gingen. Sie versuchte sich die Leute privat vorzustellen. Manchmal wirkten sie so weise, imstande, in normalen Sterblichen unbekannte Kräfte und Mächte zu wecken. Andere wirkten verzweifelt, als hätten sie die Antworten, ohne die ihr Leben keinen Sinn hatte, längst vergessen.

Brida bemerkte auch, dass die Stammkunden sich immer mit dem Buchhändler unterhielten. Sie redeten über seltsame Dinge wie Mondphasen, die Eigenschaften von Steinen und die korrekte Aussprache von rituellen Worten.

Eines Nachmittags fasste sich Brida ein Herz und tat es auch. Sie dachte, sie müsse ihr Glück einmal versuchen.

»Ich weiß, dass es Geheimgesellschaften gibt«, sagte sie. Sie hielt das für einen guten Einstieg in ein Gespräch. Sie »wusste« etwas.

Doch der Buchhändler blickte nur von den Rechnungen auf, die er gerade schrieb, und schaute das junge Mädchen verblüfft an.

»Ich war beim Magier von Folk«, meinte Brida, etwas aus der Fassung gebracht, und wusste nicht recht, was sie nun sagen sollte. »Er hat mir das mit der Dunklen Nacht erklärt. Er hat mir gesagt, dass es auf dem Weg zum Wissen wichtig ist, keine Angst zu haben, sich zu irren.«

Sie bemerkte, dass der Buchhändler ihr nicht mehr zuhörte. Wenn der Magier ihr etwas beigebracht hatte, dann doch, weil sie jemand ganz Besonderes sein musste.

»Wenn Sie wissen, dass der Weg die Dunkle Nacht ist, warum brauchen Sie dann Bücher?«, sagte er schließlich, und Brida wurde klar, dass die Erwähnung des Magiers keine gute Idee gewesen war.

»Weil ich nicht so lernen will«, verbesserte sie sich.

 

Der Buchhändler schaute die junge Frau, die vor ihm stand, unverwandt an. Sie hatte eine besondere Gabe. Aber es war eigenartig, dass der Magier von Folk ihr deswegen so viel Beachtung geschenkt hatte. Da musste noch etwas anderes sein. Sie konnte auch gelogen haben, allerdings wusste sie etwas über die Dunkle Nacht.

»Ich habe Sie hier schon häufiger gesehen«, sagte er. »Sie kommen herein, blättern in den Büchern, aber kaufen nie welche!«

»Für mich sind sie zu teuer«, gab Brida zurück, die das Gefühl hatte, er wolle das Gespräch fortsetzen. »Aber ich habe schon andere Bücher gelesen, und ich habe schon verschiedene Kurse besucht.«

Sie sagte ihm die Namen der Lehrer. Vielleicht würde ihn das beeindrucken.