Briefwechsel mit seinen Kindern. Zweiter Band 1910–1912 - Karl May - E-Book

Briefwechsel mit seinen Kindern. Zweiter Band 1910–1912 E-Book

Karl May

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Beschreibung

Der zweite Teil des Briefwechsels zwischen Karl May und seinen fünf jungen Verehrern – Marie und Ferdinand Hannes, Lu Fritsch, Willy Einsle und Adolf Droop – liegt vor. Er umfasst die Korrespondenz der Jahre 1910 bis 1912 und als Anhang über 50 Seiten mit Essays, Notizen und Gedichten der als "seine Kinder" apostrophierten May-Jünger zu Leben und Werk des verehrten Autors. Hier entfaltet sich in vollem Umfang der Einsatz der May-Enthusiasten gegen die öffentliche Hetze und Bloßstellung des großen Idols. Gleichzeitig werden aber auch erste Brüche deutlich; der Blick der fünf wird kritischer und skeptischer. Indem aus den anfangs noch sehr kindlichen Schwärmereien langsam differenziertere Ansichten junger – allesamt sehr gebildeter und reflektierter – Erwachsener werden, wird bei aller unverbrüchlichen Liebe zum "Mayster" das Verhältnis komplizierter. Dass May sich in den öffentlichen Auseinandersetzungen um sein Werk und seine Person oft (sowohl juristisch wie publizistisch) ungeschickt verhalten hat, tritt für den heutigen Betrachter deutlich zutage. Sich darauf von seinen "Kindern" damals aufmerksam machen lassen zu müssen, konnte der von den Fehden zermürbte Autor allerdings seinerseits nur schwer ertragen, sodass er von manchen gutgemeinten Bemühungen seiner jungen Paladine mitunter eher "genervt" wirkt, wie wir heute sagen würden, denn beglückt.

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Seitenzahl: 738

Veröffentlichungsjahr: 2025

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KARL MAY’SGESAMMELTE WERKEUND BRIEFE

BAND 96

KARL MAY

BRIEFWECHSEL MIT

SEINEN ‚KINDERN‘

ZWEITER BAND 1910 – 1912

Briefe von und an Lu Fritschund Adolf Droop, Marie undFerdinand Hannes sowie Willy Einsle

Herausgegeben von Hartmut Vollmer,Hans-Dieter Steinmetzund Florian Schleburgunter Mitwirkung von Wolfgang Hainsch

Herausgeber der Gesammelten Werke:Bernhard Schmid

© 2020 Karl-May-Verlag, Bamberg

ISBN 978-3-7802-1596-3

KARL-MAY-VERLAGBAMBERG • RADEBEUL

INHALT

Briefe

1910

1911

1912

Anhang

Adolf Droop: Karl May ein Verbrecher? (1910)

Adolf Droop: Kara ben Nemsi (1910)

Lu Fritsch: Ein Vollblutindianer und seine Kriegspfade (1910)

Lu Fritsch: Die Verbrechererinnerungen Karl Mays (1910)

Lu Fritsch: Besuchsbericht Bruno Völcker (1910)

John Ojijatheka Brant-Sero: Carl May, the Apache-chief? (1910)

Marie Hannes: Karl Mays Beisetzung (1912)

Lu Fritsch: Gedichte (1903)

Literatur

Zeittafel

Danksagung

Bildnachweis

Karl May, Sommer 1911

Lu Fritsch, um 1908

Briefe

1910

ADELE EINSLE AN KARL MAY • 23. Februar 1910

Brief, hs.

München, d. 23./II 1910

Sehr geehrter, lieber Herr Doktor!

Mein gelbsüchtiger und wegen „Genickstarrebazillenverdächtigkeit“1 einstweilen vom Militär beurlaubter Sohn,2 scheint mit seinem Schreiben vor Abends nicht fertig zu werden. Die Blumen sollen aber frisch zur Bahn, – wenigstens da „frisch“ – so erlauben Sie daß ich in unser aller Namen unsere innigsten, herzlichsten Glückwünsche zum Geburtstage mitsende. Möchte Ihnen das neue Lebensjahr mehr von der wohlverdienten Freude und Ruhe bringen als die letzten Monate des Alten! Es kann freilich der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nac{hb}arn nicht gefällt,3 aber wenn Viele denken wie wir, so muß das eckelhafte Gekläff dieser – ich will sagen „Bande“ statt ..... doch bald wieder aufhören. Das wollen Priester der Religion der Liebe sein! Welcher Mensch, und wär’s der Höchste und Beste, hätte nie in seinem Leben einen Fehler begangen? Seit wann muß ein Schriftsteller ein Heiliger sein. Was gehen diese Pfaffen Ihre Familienverhältnisse an? Welcher Protestant kann nur einerechtmäßige Frau haben? Wir kennen diesen Pater Dr. Expedit Schmidt,4 – er ist so vorsichtig keine Streiche zu machen, aber als Geistlichen und Pater nimmt ihn hier niemand ernst. Er ist Sachse, kam auf der Walze nach Landshut und konvertierte dort „aus Not“ und sprang be{i} den Franziskanern ein, um der lieben Versorgung willen. Ein gescheiter Kopf ist er, aber ein filou[.]5 Der schreiende Held Ansgar6 wird wohl was Ähnliches sein.

Expeditus Schmidt (Fotokarte von Adele Einsle an Klara May, August 1910)

Doch genug von der Meute, sie sinds nicht wert Ihren Geburtstag zu {v}erderben! – Wie gehts der lieben Frau Doktor? Wenn wir nur nicht so weit auseinander wären, wie gerne hätte ich meine schwachen Kräfte zur Verfügung gestellt ihr dieses oder jenes abzunehmen von Last und Arbeit! Grüßen und küßen Sie sie von mir und Ihnen lieber verehrter Herr Doktor (a{u}ch wenn er aus Amerika7 wäre) wiederholt die herzlichsten Grüße und Wünsche!

Stets Ihre Adele Einsle.

WILLY EINSLE AN KARL MAY • 23. Februar 1910

Brief, hs.

München, den 23. II. 10.

Lieber Onkel!

Ein hochwohllöbliches Garnisonslazareth hat es verstanden, mich grad in die richtige Gratulationsstimmung zu versetzen. Die ganze Welt könnt ich zusammenschlagen, das Militär und Deine „edlen“ Feinde nicht zum wenigsten. Zuerst einen Monat lang Gelbsucht. Dann vom 17. Januar ab als genickstarreverdächtig, das heißt als Kokkenträger, sonst aber totalgesund auf drei Wochen in einer wind- und regendurchlässigen Leinwandbaracke isoliert unter direkt afrikanischen Zu- und Umständen. Heut am 23. II. endlich darf ich als unverdächtig zur Truppe zurück. Natürlich aber hab ich mich, bevor ich aus der Baracke kam, einer fürsorglichen Lazarethbehandlung entsprechend tüchtig verkältet und heut seh ich zu meiner Wonne, daß ich einen Rückfall in die Gelbsucht zu verzeichnen habe. Vom Dienstmachen ist vorderhand keine Rede. Dabei möcht ich am 1. April als Gefreiter entlassen werden.8

Ich schreibe das alles nur, um meine Stimmung einigermaßen zu entschuldigen. Meine Karte aus dem Lazareth habt Ihr jedenfalls, wie ich stark befürchte, gar nicht bekommen.

Also die Hauptsache: Du lieber, guter Onkel, alles Gute wünsch ich Dir zum Geburtstage, von ganzem, ganzem Herzen. Ich weiß, Du bist mein Onkel und läßt Dir nicht von all dem Tratsch und der Gehässigkeit die Freude und den Festtag verderben. Mein Grundsatz ist: Mögen sie’s noch so dreist und borniert treiben, der Neffe gehört zum Onkel und zur Tante. Das ist doch bloß natürlich. Nicht?

Mama wartet draußen, weil sie die Blumen abschicken will. Alle Augenblicke ruft sie herein, ob ich noch nicht fertig bin. Weil ich also jetzt doch nicht mehr zu einer rechten Ruh komm, verspare ich mir alle Details aufs nächste Mal. Onkel, ich bin in einer ganz kuriosen Situation. Mir ist nämlich grad so zumut, als läg ich irgendwo im hohen Gras unter einem schattigen Baum und träumte und könnte absolut {n}icht aufwachen und unterdessen treibt irgend so ein hergelaufener Kerl in meiner Gestalt allerhand Allotria und alles, was ich tu u. rede, tu und red nicht ich, sondern er. Zu verrückt. Eines aber weiß ich:

In Sternennächten, wo kein Laut sich regt,

Kein Lufthauch rings das dunkle Laub bewegt,

Die Berge still, in andachtsvollem Schweigen,

Als ob ein Gotteswunder kommen müßt,

Vom Silberstrahl des Mondes leis geküßt –

In Demut ihre Felsenhäupter neigen,

#

In solchen Nächten, wo am Himmelszelt

Wie Boten einer ungeahnten Welt

In Klarheit, unnahbar, die Sterne strahlen,

Hoch über Menschenlust und Menschenleid,

Unendlich fern von jedem Erdenneid,

Erhaben über all des Herzens Qualen,

#

Da steigt ein Sehnen heiß in mir empor,

Wie Kinderweinen fern vom Heimattor;

Mir ist, als müßt ich wieder beten gehen –

Und fänd dahin ich nur den Weg zurück:

Hoch über Lust und Leid – dort wohnt das Glück! –

– Laß bald dies Gnadenwunder, Gott, geschehen!

Onkel, Tante, denkt an mich!! Ein vortreffliches Buch hab ich entdeckt: Trine,9 Charakterbildung durch Gedankenkräfte. In den Himmelsgedanken les ich von Tag zu Tag lieber.

Zum Schluß nochmals alles Liebe und Gute, Du lieber, lieber Onkel! Deine Werke sind die beste Erwiderung auf all die gehässigen Wühlereien Deiner Feinde.

Mit den herzlichsten Grüßen Euch beiden

Immer Euer

alter, treuer Neffe

Willy aus M.

MARIE HANNES AN KARL MAY • 24. Februar 1910

Postkarte (koloriert, Blumenstillleben, gez. C[atharina]Klein), hs.10

[Leipzig, ohne Datum]

Viele, herzliche Wünsche – ich käme gerne selber! Wie gehts bei Euch? bitte, bitte gebt doch mal Nachricht Eurem treuen Mariechen.

L. Hohestr. 35 II.11

LU UND KONRAD FRITSCH AN KARL MAY • 25. Februar 1910

Telegramm, hs. ausgefüllt12

[Stettin, 25. 2. 1910, 6.52 Uhr]

Unserm Ustad eine reiche Ernte und ein frohes sonniges Lebensjahr.

Lu und Konrad Fritzsch [sic]

REINHOLD WÜNSCHE13AN KARL MAY • 25. Februar 1910

Brief, hs.

Neustadt (Orla)d. 25./II. 1910.

Sehr geehrter Herr May!

Wiederum ist ein Jahr hinter Ihnen, wie alle bereits verflossenen: arbeitsreich, schwer an Erfahrungen. So stelle ich es mir vor, wie ich e{s} ja auch an mir selber erlebe, – und nun deshalb diesen Vergleich anstellen kann, weil ich mich durch Hineinleben in Ihr Problem immermehr mit Ihnen Eins fühle, wenn ich einmal so sagen darf. In Ihrer ernsten Lebensauffassung kennen Sie die Tiefen des Menschenherzens wie leicht kein Zweiter, haben aber auch gelitten wegen und für Ihre Mitmenschen, die in einer Schuld bei Ihnen stehen, welche von Millionen Einzelleben nicht getilgt werden könnte. Das ist Tatsache und persönliche Verehrung mit einem14 tiefen Dankgefühl ganz natürlich. So ist es bei Allem [sic] die mit Ihrer Weltanschauung einigermaßen vertraut sind und auch bei mir. – Soll ich Ihnen in begeisterten Worten erklären was ich für Sie fühle? Nein, das will ich nicht tun, ich sage nur: ichbinIhnentre{u}erdennje. Es ist vieles auf mich eingestürmt, was Ihnen nicht wohl wollte, sodass ich selbst das Höchste schon mit kritisch-misstrauischem Auge untersuchte. – Das mußte aber kommen, denn dadurch bin ich fester geworden. Was ich früher mit dem Herzen fühlte, kenne ich jetzt aus Überzeugung, und trete für dieselbe ein, indem ich für mich und Andere das Beste, was stets das Nützlichste ist, aus Allem was mir begegnet, herauszusuchen bestrebt bin (hier heißt es auch in erhöhtem15 Maß selbstständig zu sein, da die Natur keine Uniform will – über welche ja die große Menge nicht hinauskommt – sondern jedem Wesen besondere Eigenschaften verliehen hat, die dieses dann betätigen soll.) – – Ihre Leser zu ernst strebenden Individuen heranzubil{d}en, war doch wohl der Zweck Ihrer Arbeit. – Ich fühle mich manchmal so erhaben, so hoch – dann aber wieder auch so klein – – – unbeschreiblich. –

Reinhold Wünsche, 1910

Dann meinen herzlichen Dank für die Mitteilung der drei Adressen. – Der Dame in Stettin16 habe ich geschrieben, bekam aber einen abschl{ä}gigen Bescheid; die Adresse von Fräulein Vogel,17 Breslau habe ich gemäß Ihrer Anordnung meinem Hirschfelder Freund18 mitgeteilt; mit der dritten Dame, Fräulein Hannes in Leipzig, stehe ich nunmehr in brieflichem Gedankenaustausch. – Meine Erwartungen, die ich auf eine sehr angenehme Unterhaltung zugespitzt hatte, sind in der Weise übertroffen worden, daß die Worte meiner Brieffreundin bei wichtigen Angelegenheiten schon ausschlaggebend gewesen sind; das ist wohl sehr viel. – Welch eine geheimnisvolle Macht ist doch die Seele! Nochmals meinen herzlichen Dank. –

Ich erlaube mir noch einmal Sie um Gewährung einer Visite zu bitten. Am 15. Mai komme ich durch Dresden und bleibe 1 oder 2 Tage dort. – Wenn Sie da vielleicht ¼ Stunde für mich übrig hätten, würden Sie mich glückli{ch} machen und bitte ich Sie, mir dann die Zeit wenn ich kommen darf mitzuteilen. Aus Bürgel19 hatte ich ja deshalb schon einmal an Sie geschrieben, war aber dabei dumm gewesen, was ich zu entschuldigen bitte. – Ich würde ja Ihnen die Bestimmung des Tages gern überlassen, doch kann ich vom Geschäft nicht immer abkommen, Pfingsten aber habe ich Ferien und fahre da zu meinen Eltern. Wenn Sie die Pfingstfeiertage wegfahren, könnte ich ja auch einen Tag eher kommen, also Sonnabend. – Herzliche Grüße an Sie und Ihre liebe Frau erlaubt sich zu senden

in alter Treue

Reinhold Wünsche.

WILLY EINSLE AN KARL MAY • 1. März 1910

Brief, hs.20

München, den 1. März 1910abends.

Lieber Onkel!

Ob ich diesen Brief abschicke, weiß ich noch nicht. Aber schreiben muß ich ihn. Sonst werd ich noch reif für eine Narrenanstalt. Vielleicht ist auch meine Gelbsucht mit beteiligt. Ich weiß es nicht. Jetzt bin ich nimmer weit von dem Punkt entfernt, daß ich mich gar nimmer auskenn. Daß 〈sich〉 Deszendenzlehre21 und Christentum (dogmatisches), Katholizismus als Idealgebilde und wie er wirklich existiert, {u}nd ähnliche liebliche Widersprüche in mir ihr Rendenzvous [sic] abhalten und sich dort lustig abraufen, ist ja schließlich nicht so schlimm. Denn das eine wenigstens hab ich von Dir bereits gelernt: Die Klarheit kommt mit dem Alter und die praktische Tat ist mehr wert als die abgeklärteste – Theorie.

Aber daß ich nie, nie wissen soll, was es heißt, bei Vater und Mutter verstehende Liebe zu finden, das kann ich nicht fassen. Sie t{un} mir, was sie mir von den Augen ablesen können. Aber statt in mir frohe Dankbarkeit zu erwecken, bedrückt es mich, weil ich nicht fähig dazu bin, gegen sie die wahre, echte kindliche Pietät zu empfinden. Wenn seelische Bande einmal zerrissen sind, können sie halt nie mehr zusammengeknüpft werden. Onkel, Du kannst mir keine ärgeren Vorwürfe machen, als ich es selbst schon bei {m}ir tue.

Dazu kommt, daß nun das Ziel, für das ich so gern und freudig schaffen und arbeiten wollte: Ein kleines Häusl mit einem kleinen Rosengärtl, so ein richtiges Märchenreich mit meiner Olly22 als Märchenkönigin, so ziemlich im Anfangsstadium bereits in Luft und Nebel zerronnen ist.

Doch das sind alles Dinge, die jedem Menschenkind passieren können, die ja als unangenehm gelten, an denen man aber schließlich noch nicht zugrunde zu gehen braucht.

Aber, daß man so gar niemand hat, grad jetzt, wo einem so weh ums Herz ist, dem man das Herz ausschütten könnte ohne in den Verdacht kindischer Rührseligkeit und weltschmerzlicher Überhebung zu kommen, Onkel, das ist entsetzlich.

Am Tag gehts ja, da kann man sich zusammennehmen, aber nachts, wenn man so allein ist – Herrgott, manchmal mein ich, ich müßt verrückt werden. Einen wüßt ich ja schon, der einen verstehen könnt und auch nicht auslachen tät. Meinst nicht, Onkel?

Aber der sitzt in seinem Arbeitszimmer und hat grad den Kopf voll viel wichtigeren Dingen und dem machen sie s Leben selber grad schwer genug. Ach, Onkel, wenn der helfen könnt! Und wenn er mir nur gründlich den Kopf waschen tät, was ich scheinbar sehr nötig habe! Eine Menschenseele, die mir jetzt, gradjetzt, den Weg zeigen könnt, der aus den Strudeln und Stromschnellen heraus in ruhigeres Fahrwasser führte. Onkel, beten w{ollt} ich für ihn, solang ich leb.

Folgendes hat mir schließlich den Rest gegeben. Wir sitzen abends daheim gemütlich beisammen, die Eltern, meine Freundin, ihr Bruder23 und ich. Da erzählt Mama von einer Mutter dreier Töchter,24 die große Stücke auf mich hält und dies in dem Satze zum Ausdruck brachte, jedes ihrer Mädeln ließe sie ohne Mißtrauen ganz allein überall hin von mir {b}egleiten. Nun gings los. Das sei ein sehr zweideutiges Lob und es müßte schon fad sein alleweil von jungen Mädels so onkelhaft behandelt zu werden. u. s. w. Zum Schlusse stand ich halt da als der ausgemachte Trottel und Idiot. Doppelt peinlich war mirs in Ollys Anwesenheit. Die hat natürlich für mich Partei ergriffen.

Was andere Leute sagen – Ihr beide und Olly ausgenommen – hat mich ja noch nie weiter berührt, aber hier bin ich doch stutzig geworden.

Weil es mir zuwider ist herumzuflirten und herumzupoussieren, weil mir das Verbringen der studentischen Flegeljahre in der bewußten Kellnerinnen- und Ladenmädelsphäre eckelhaft ist, bin ich deshalb ein Idiot? Ich habe meine Portion Sinnlichkeit zugeteilt bekommen, so gut wie jeder {an}dere auch, aber wenn ich sie auch nicht als von der Hölle stammend und als mit Rutenschlägen, Fasten und Kasteien auszutreiben betrachte, so sehe ich auch nicht ein, warum wir ihr erlauben sollen die Herrin zu spielen, die als oberstes Gesetz die Auslebetheorie verkündet. Bin ich deshalb ein Idiot? Vor Prüderie werd ich mich gewaltig hüten, auch hab ich grad in diesem Punkt noch jeden nach seiner Fasson selig werden lassen. Wenn ich mir ein bischen Mühe geb, hab ich sofort ein Verhältnis. Wenn ich aber Vaters Geldbeutel schone, warum spottet er da? Der Typus des Weibes ist für mich: gesunde, normale Sinnlichkeit, seelische Überlegenheit, Mütterlichkeit, aus der heraus all der praktische, tatkräftige Sinn, das Gefühl für den rechten Augenblick und die Stärke im Leiden entspringen, die {die} Frau hoch über den Mann erheben. Ich bemühe mich, überall diese Eigenschaften herauszufinden, und wenn mir deshalb das junge Mädchen zu gut zum Flirten ist, hat meine Mutter ein Recht mir mein „onkelhaftes“ Auftreten vorzuwerfen?

An jenem Abend bin ich die halbe Nacht herumgerannt, so aufgeregt war ich. Wenn ich wüßte, daß ich in Ollys Augen ebenfalls in so lieblichem Bilde daständ, ich wüßt nimmer, was ich tät.

Dich, lieber Onkel, bitt ich recht herzlich, mir zu schreiben, ob ich Recht hab oder nicht. Fast bin ich am Ende meiner Weisheit angelangt.

Nachdem ich das vom Herzen herunter hab, bin ich wieder etwas ruhiger. Manchmal möcht ich grad auf und davon, wos recht wil〈t〉d zugeht, in die Kolonien oder sonst wo hin. Mit Amerika ists nix, da {t}ät ich in den ersten Tagen schon verhungern. Ach Onkel, es ist halt ein Kreuz mit so einem Neffen. Halefs Nilpferdpeitsche wär vielleicht auch nicht schlecht. Wenn Dus moralisch vielleicht als zweckentsprechend ansiehst, alle, alle Onkelrechte seien Dir hiemit feierlich zugestanden. „So viel Geschrei“, wirst Du Dir denken, „weil einer einmal ernsthaft seinen Kopf an einen Baum gestoßen hat! Das passiert andern auch und solche Bäume gibts mehr!“ Du hast ja so Recht, aber trotzdem, bitte, bitte, Du lieber Onkel, hilf Deinem Neffen, der sonst niemand außer Dir hat. Daß es mir leichter wird, den Kopf hochzubehalten.

Dein Dir immer dankbarer Neffe Willy.

HETTY HEIDE AN ADELE EINSLE • 1. März 1910

Brief, hs.25

München, am 1. III. 10.

Meine liebe gnädige Frau,

es that mir so leid, daß ich Sie gestern verfehlte; auch schreiben konnte ich Abends nicht mehr, da ich in ein Konzert mußte. – Ich habe gestern früh einen Brief aus Radebeul erhalten und die niedergedrückte Stimmung, die daraus spricht, ist mir so zu Herzen gegangen, daß ich gerne gleich mit Ihnen davon gesprochen hätte. Auch Karl May schreibt ein paar Worte, die mit der lakonischen Mitteilung enden „bin krank – “, das will mir gar nicht gefallen. Wenn die ganzen Aufregungen ihm gesundheitlich in schlimmer Weise schaden, so kann sich der Pater Pöllmann gefaßt machen: ich werde ihn erschießen oder vergiften! Ich schaue in den nächsten Tagen wieder einmal zu Ihnen hinauf. Vielleicht treffe ich’s besser. Die kleinen Blumen schickte Ihnen Hannsheinrich alias Toldi,26 „für die Tante Professor oder wie sie heißt“ –

Wie geht es Ihrem Herrn Sohn? Den Heinrich Wagner las ich mit Interesse,27 halte vieles für wenig glücklich, wie es denn überhaupt ein Unding ist, Karl May’s Werke in ca. 10 – 15 Druckseiten eingehend zu würdigen, oder gar erschöpfen zu wollen. Das schadet allemal mehr, als es nützt. – Nun habe ich noch eine Mitteilung. Ich habe mir gestern aus der Leihbibliothek das „Waldröschen“ holen lassen. Denken Sie sich mein Erstaunen, als ich das Buch aufschlage und auf der ersten Seite lese: „Das Waldröschen, oder die Verfolgung rund um die Erde. Enthüllungsroman über die Geheimnisse der menschlichen Gesellschaft von Karl May. – Dresden-Niedersedlitz, Druck und Verlag von H. G. Münchmeyer.“ Auf der 2. Seite kommt folgendes: „Die Tochter des Granden“ Roman von Karl May. I. Band des Romans „Das Waldröschen“ – und dann geht es los, mit Illustrationen – aber wie! Mir sträubten sich alle Haare. Es ist ein Hintertreppenroman vielleicht nicht schlimmster aber doch schlimmer Sorte und ich würde drauf schwören, daß er gar nicht von unserm Karl May sein kann, wenn – ja wenn nicht im 15. Kapitel das Gedicht: „Die fürchterlichste Nacht“, (c. f. Winnetou, Band II. William Ohlert!!) und dann Kapitel 22. das Gedicht: „ich verkünde große Freude, die uns wiederfahren ist etc.“ prangte. Also – muß es doch wohl von Karl May sein! Was sagen Sie nun dazu? Warum dann diese Bücher nicht vom 〈w〉Weltenrund verschwunden sind, als der Münchmeyer Prozeß kam, verstehe ich nicht. Die sind mal bestimmt kein Glanzpunkt in des Autors Leben! Die ihm vorgeworfene „Unsittlichkeit“ habe ich zwar darin nicht entdeckt, obwohl an „üppigen Körperformen“ u. dergl. kein Mangel ist – auch ein ziemlich unmotiviertes Kind kommt einmal darin vor, das ist aber auch alles. Aber trotzdem: gefallen thut mir das Waldröschen immer weniger!

Mit vielen Grüßen an Sie alle

von uns allen

Ihre ergebenste HettyHeide

WILLY EINSLE AN KLARA MAY • 2. März 1910

Brief, hs.28

München, den 2. März 1910.

Liebste Tante!

Tante, Herr du mein Gott, ist Onkel krank? Ich bitt Dich, so sehr ich nur kann, schreib es mir. Nur ein paar Zeilen! Ich weiß sonst nicht, was ich anfangen soll vor Angst und Sorge! Und wir stehen da, müssen alles mit ansehen und können so gar, gar nichts helfen.

Gestern wollte ich Herrn Dr Pater Expedit im Kloster aufsuchen, den wir persönlich kennen.29 Aber es hieß, er sei für die ganze Woche verreist. Diesen Pater Pöllmann könnt ich lächelnd vergiften. Aber wenn ich ihm eine Bombe ins Kloster schick, dann heißts natürlich sofort: das sieht diesem Karl May gleich!

Pater Ansgar Pöllmann

Lassen wir ihn leben. Er hat noch viel zu viel Gift in sich, das er vorher noch anbringen möchte.

Daß Frau Hetty Heide den famosen Brief vom Augsburger Martin30 schickt, finde ich nur in der Ordnung. Sie hat sich nämlich um Euretwillen Vorwürfe gemacht. Die hab ich ihr aber aus{ge}redet. Ich hab ihn gelesen und ihr sofort dringend geraten Euch davon zu schreiben. Den Augsburger Herren schadet es nichts, weil sie schließlich für das Niveau, auf dem sie stehen, nichts können. Für Onkel aber ist es grad in dem jetzigen Durcheinander unbedingt nötig, daß er überall klar sieht.

Daß Onkel über all die gehässigen Angriffe für mich erhaben ist, ist soselbstverständlich, Tante, daß ich darüber weiter gar kei{n} Wort verliere.

Aber nicht gleichgültig ist es mir, wenn Pöllmann ihm in der Kunst auf den Zeitungsabonnenten Eindruck zu machen über ist. So wie Pöllmann voll heiligem Eifer die Feder im hehren Streite führt, gibt es nur eine treffende Antwort: Beleidigungsklage. Will man antworten mittelst der trefflichen Einrichtung des Preßgesetzes, das die Zeitungshelden zur Annahme zwingt, dann so, daß ruhig hinter jedem Busch ein Indianer lauern darf, der dann hervorstürzt um jedes Wort einzeln zu massakrieren, skalpieren und zu vierteilen.

Zum Beispiel das mit dem Doktortitel!31Ansichjasounsagbarkindisch. Aber wenn Onkel darauf eingeht, warum nicht so, daß jeder sich auskennt, vorallemderBöswillige: Entweder, Onkel hat den amerikanischen Doktor, den er in Deutschland nicht führen darf, warum erklärt er das nicht ganz einfach, oder er ist berechtigt ihn zu führen, warum dann überhaupt ein Eingehen auf diesen Punkt und nicht einfach als Antwort die Unterschrift: „Dr Karl May.“?

Oder das mit den Wiener Hofkreisen. Es ist doch Tatsache, daß Onkel in diesen Kreisen ebenso wie in München in Audienz empf{an}gen worden ist. Diese Herrschaften können doch nicht so viel Diskretion verlangen, daß man das verschweigt. Sonst kommt es schon bald so heraus, als müßten sie sich des Onkels schämen. Wenn ich aus Diskretion nicht drüber reden darf dann könnten sie mir den Buckel naufsteigen. Wenn Onkels einzige Antwort aber darin besteht: „Ich habe mich in adeligen Kreisen niemals zu Gast laden lassen“,32 so trägt das nicht zur Klärung bei und muß ja doch von Pöllmann als Sophistik und Haarspalterei aufgefaßt werden.

Ebenso die Katholisiergeschichten. Katholische Tendenzen können mit gutem respektive bösem Willen verschiedentlich aus Onkels Werken herausgefischt werden. Noch viel mehr aber Anschauungen, auf deren Denuntiation hin Onkel leichtlich für den Index reif wäre. Was übrigens das einzige wohl sein dürfte, das unserm armen, lieben, guten Onkel bis jetzt noch nicht begegnet ist.33 Statt daß er nun erwidert: „Ich schreib, wie ich mag und wie ich denke. Ob meine Ansichten da und dort katholische id est im Sinne dieser Herren mit der Konfession sich deckende sind, geht absolut gar niemand etwas an, jedenfalls sinds meineeigenen!“ Statt dessen die Entgegnung: „Er soll mir einen einzigen Menschen bringen, den ich katholisiert habe.“ Das ist natürlich Wasser auf dieses Herren Mühle.

Wenn ein Mann von der Bedeutung Karl Mays einen Vortrag hält, so ist es nicht gleichgültig, wo er es tut. Er mietet sich in Dresden, München oder Wien einen Saal, aber nicht in Augsburg im Schoße einer gesellschaftlich ganz unbedeutenden, stockkatholischen Kaufmannsgenossenschaft. Das muß ja böses Bl{ut} machen. Onkel kommt in den Verdacht ausBerechnung so zu handeln, grad weil man eben weiß, wie frei er sonst denkt. Und das tut mir so bitter weh. Onkel ist ja für mich der herrlichste Mensch, den ich so unsagbar lieb habe. Da kann es mir doch ganz und gar nicht gleich sein, wenn sie ihn wegen lauter mißverstandener und böswillig aufgebauschter Dinge mit Schmutz bewerfen. Nicht?

Ich kann mir nicht helfen, aber ich glaub, an dem Gerücht von Onkels Katholizität sind Fehsenfelds auch nicht so ganz unschuldig. Beweisen kann ich natürlich nichts. In Augsburg wenigstens war Frau Fehsenfeld34 schwer zu überzeugen, daß Onkel nicht Katholik sei. Und dann, die Leute fassen eben Katholizismus streng konfessionell auf und das kann man ihnen schließlich gar nicht übel nehmen. Ich bitt Dich flehentlich, liebe, liebe Tante, Onkel soll doch ja all diesen katholischen Herren gegenüber ein nur zu berechtigtes Mißtrauen bewahren!!

So wie die Sachen stehen, ist das einzige Mittel den Gegnern das Maul zu stopfen: Verklagen. Aber nicht aus lauter Edelmut und lauter Noblesse zum Vergleich es kommen lassen, sondern so, daß jeder, der solche Gemeinheiten in die Welt setzt, ein bischen zu seinem Vergnügen ins Loch spaziert.

Hier ist Rücksichtnahme und Edelmut gegen irgend jemand ganz am falschen 〈Pf〉 Platz und rächt sich nur bitter.

Tante, wär es denn so gar nicht möglich, daß man sich auch an diesen Zustand fortwährender Prozesse so gewöh{nt}, daß man sich dabei schließlich gar nimmer aufregt?? Der Mensch gewöhnt sich doch an so vieles, was man vorher für ganz unmöglich hielt.

Ist denn kein einziger von Onkels Anwälten so edel-denkend mit seinem Namen für die Wahrheit einzustehen? Kann man denn angesichts all dieser Verwirrungen und Konfusionen keinen richterlichenEntscheid über d{ie} vor Gericht geklärten Tatsachen mit richterlicher Unterschrift erlangen? Warum veröffentlicht Onkel denn die reichsgerichtliche Entscheidung nicht? Onkel hat den Prozeß in drei Instanzen gewonnen,35 da hat er doch das Recht richterlichen Schutz in Anspruch zu nehmen.

Du lieber Gott, wenn ich nur ein bischen berühmt wäre und mit der Feder umgehen könnte!!

Findet sich denn jetzt in der Not keine berufene Literatenfeder, die für ihn einsteht, keiner, der durch die Bekanntheit seines Namens zeigt, daß es noch Geister gibt, die über all dem Schmutz stehen. Solche Stimmen sollte Fehsenfeld sammeln und veröffentlichen, nicht wie früher ein Dutzend wohlwollende, salbungsvolle Empfehlungen deutscher Bischöfe.36 Natürlich, jetzt rührt sich keiner. Pfui Teufel! Mit Sächelchen wie: „Ein Besuch in Villa Shatterhand von Fräulein X oder Herrn Studiosus Y“ ist nicht geholfen.37ImGegenteil, verbieten sollte man diese Art der Herzens-erleichterung können. Sie schaden Onkels Ansehen mehr als sie nützen.

Ich bin so froh, daß ich mit Frau Hetty Heide über all das, was mir das Herz so schwer macht, frei von der Leber weg red{en} kann. Bisher hatte ich so gar niemand, der mich hierin so ganz verstanden hätte.

Tantchen, Deine Prophezeiung, daß ich mich in sie sterblich verlieben würde, ist zwar noch nicht ganz in Erfüllung gegangen, wohl aber verehre ich sie als Prachtfrau, die als schlagensten [sic] Beweis für ihre Verehrungswürdigkeit ihre beiden reizenden Kinder besitzt. Dem Mann, der eine solche Frau hat, dem kanns gar nie {s}o miserabel gehen, daß er den Kopf verliert. Was meint Onkel dazu? Ich glaub, er kann da auch ein Liebesliedchen singen, nicht? Ein ganz besonders inniges! Der liebe Gott soll Dich so recht, recht segnen, Du liebe, liebe Tante! Wenn Onkel einmal wegen all den dummen Sachen recht mißmutig und grantig werden möcht, dann sag ihm einen schönen Gruß und er soll bitte dran denken, was für eine liebe Tante er zur Frau hat! Einen noch bessern Trost weiß ich wirklich nimmer.

Du aber, Tante, wenn Du den Mut sinken läßt, dann wollen wir uns lieber gleich begraben lassen. Es krakehle, wer krakehlen mag. Kommt Euch einer zunahe, dann gebt ihm eins auf die Schnauze. Vor dem „Bergle“, auf dem das „Häusle“ mit dem „Gärtle“ steht, müssen sie ja doch alle, alle Halt machen. Sonst kommt das Karlinchen und wirft sie in den Bach. Droben aber kocht das „Herzle“ Kafe für unsern guten Doktor und da droben bei den Blumen, da vergißt es ganz darauf, daß überm Bächle drüben gefälscht und verleumdet wird.38

Tante, bist mir bös, weil ich heut so geschrieben hab, wie mirs ums Herz war? De{nk}t Euch halt, ein bald dreiundzwanzigjähriger aber noch entsetzlich dummer Junge hats geschrieben, der Euch halt so furchtbar lieb hat und der flennen könnt wie ein Kind, weil sie seinen Onkel so gar nicht zur Ruhe kommen lassen und der in seiner Hilflosigkeit wie ein dummer August zusehen muß ohne seinem Onkel ein richtiger Neffe sein zu können. Ich ging ja durchs Feuer, wenns was nützen tät. Das dürft Ihr mir glauben und Ihr wißt auch, daß es39 mir damit Ernst ist.

Ich hab solche Angst wegen Onkels Gesundheit. Tante, geht das gar nicht: Ich hab mir 200 M zusammengespart für einen Photographenapparat. Der kann aber ruhig warten. Es läßt mir halt keine Ruh. Zwischen 2. und 15. April möcht ich nach Radebeul fahren für einen Tag, selbstverständlich für diesmal im Gasthof bleiben. Ich würde Euch auch gar nicht stören. NursehenwolltichEuchaufeinhalbesStündel. Sicher, sichernichtlänger. Eine Minute drüber sollt Ihr mich rausschmeißen. EsistmeinvölligerErnst, das dürft Ihr mir glauben. Ich verstehe, daß Ihr jetzt den Kopf voll von anderen Dingen habt. Deshalb sollst Du mir DeineehrlicheAnsichtwegenmeinesVorschlags mitteilen. Es ist mir ja schon genug, wenn ich Euch gesehen hab. Du darfst mich nicht für kindisch halten, weil ich so impulsiv bin, aber mit meiner Olly hab ich Euch halt am allerliebsten auf der Welt. Und da ist es doch nur natürlich, daß man sich sorgt.

Bei Frau Hetty hab ich eine Photographie von Dir gesehen, ein Profilbild. Und da hat mich der blasse Neid erfaßt. Tante, Dein Neffe hat gar kein Bild von Dir, wie Du jetzt ausschaust.40 Das ist nicht nächstenliebend und macht mich sehr betrübt!!

Und weil ich halt schon einmal so schön drin bin, im Betteln: dort hab ich auch die Postkarte mit der bewußten 〈Af〉 Beschäftigung des Affen mit Flohen und Lausen in der Familie Seyid Omar und die mit Onkel in der Gesellschaft v. Professor Werner und Sascha Schneider u. noch einem41 gesehen.42 Ach die beiden wenn ich bei Gelegenheit einmal beko{mm}en könnte! Tante, ich will sie sicher nicht als Pendant verwenden.

Es trifft halt wieder mal zu, was Onkel im Mahdi III., im Nachwort von seinen Lesern sagt: „Denn Wünsche haben sie alle, alle, die mir schreiben.“43

Aber halt, es stimmt ja gar nicht, ich bettle ja die Tante an. Siehst Du wohl, Onkel, schon damals hättest Du Dich vorsichtiger ausdrücken sollen.

Frau Hetty Heide grüßt herzlichst. Sie sagte mir, daß Du vielleicht selber für Onkel öffentlich eintreten wollest. Ich fürchte, Deine klare Stimme würde verklingen, so wie der reine Klang des Aveglöckleins überheult wird von Sturm und Meeresbrandung. Eine starke, unerbittliche Männerfaust, wenn die sich fände, mit unbarmherziger Logik all das Gewebe von Lüge und Betrügerei zu zerreißen! Alles was Dir heilig ist und was Dich stolz und glücklich macht, darüber würden sie in ihrem Stumpfsinn mit Hohngelächter herfallen und es mit ihren ungeschlachten Pfoten in den Schmutz ziehen. Die Zuversicht aber ist in meinem Herzen fest eingegraben: Einen Karl May kriegen sie nicht unter. Noch immer ist es ihnen mißlungen. Und es war ihnen doch so bitter Ernst damit. Der Ochse hört ja das Brüllen auch von selber auf, wenn er merkt, daß er bloß heiser wird und daß der, {d}ens angeht, unberührt seinen selbstgewählten Weg weiterwandelt.

Sobald ich eine Militärphotographie (weil wir grad vom Ochsen reden) habe, sollt Ihr sie bekommen. Die Lazarethmontur wär freilich passender für mich als die Uniform mit den großen Sporen und dem krummen Säbel.

Beiliegender Brief soll nicht eine Antwort Onkels provozieren sondern es soll mir eine Erleichterung sein, wenn ich einmal mein Herz ausgeschüttet habe.

Die Eltern grüßen, ebenso meine Freundin.

Es küßt Euch die Hände

Euer alter, treuer Neffe Willy

aus München.

HETTY HEIDE AN ADELE EINSLE • 3. März 1910

Brief, hs.44

München, 3. III. 10.

Liebe gnädige Frau,

hier kommen ein paar Silvester’sche〈r〉 Geisteskinder, die ich freundlich aufzunehmen bitte. In dem Roman45 steht am Schluß alles angezeigt, was weiter erschienen ist. Vielleicht schaffen Sie sich mal das „Verhältnis“46 – sein bekanntestes Werk – an, das gebunden (rot und gold) auch äußerlich sympathisch ist. Über den Roman gebe ich Ihnen gelegentlich mündlich ein paar Daten, die zum vollen Verständnis eigentlich nötig sind. Es ist nämlich eigentlich gar kein Roman, sondern nur die Skizze von einem verbrannten Manuskript. Die Gedichte – auch noch Jugendsünden dabei – sind schon alten Datums, können sich aber teilweise doch sehen lassen. (Der kleine Vogel, Weißt Du’s noch? etc.)47 Das müssen Sie aber ja nicht kaufen, denn demnächst erscheint eine neue Auflage Lyrik, die wertvoller sein wird. Immerhin hoffe ich, daß Ihnen auch dies gefällt. „Gemütspflege“ lege ich für Herrn Willy bei; die andern Artikel konnte ich momentan nicht finden. Er bekommt sie aber später. –

Die Kompositionen des Herrn Heumann48 haben meinen ungeteilten Beifall! Namentlich der lustige Ehemann49 ist so flott und originell, daß ich ihn der andern abgedroschenen Melodie bei weitem vorziehe〈n〉! Nur möchte ich mir die Bemerkung erlauben, daß die p. t.50 Komponisten heutzutage an die armen Sänger Anforderungen stellen, denen nicht einmal ein musikalischer Mensch gewachsen ist! Denn wie ich z. B. in dem genannten Lied mitten in der F Dur Tonart nacheinander g, dis, h, gis treffen soll, ohne zu patzen, ist mir durchaus unklar! –

Hetty und Hans Karl Heide, 1907

Hoffentlich ist mit Ihrem Magen alles in Ordnung. Es war so reizend gestern bei Ihnen, haben Sie noch recht vielen Dank. Toldi läßt grüßen und sagen, Sie möchten ihn recht bald wieder besuchen. Er wird auch alles vorsingen, was er kann.

Mit den herzlichsten Grüßen

von Haus zu Haus

Ihre ergebenste

HettyHeide-Silvester.

KLARA MAY AN WILLY EINSLE • vermutl. Anfang März 1910

Brief, hs.51

[Radebeul, ohne Datum]

Lieber Willy!

Deine erste Frage nach des Onkels Befinden will ich gleich zuerst beantworten. Leider kann ich Dir nichts Gutes berichten. Er gefällt mir nicht und macht mir Sorge.

Der Geburtstag war ein lieber, sonniger Tag und machte viel gut, was Andere anrichteten. Auch Eure lieben Blumen brachten Duft und Liebe in’s Haus. Habt vielen, herzlichen Dank. Deine liebe Mama würde sich gefreut haben, wenn sie gesehen hätte, wie frisch und gut die lieben Blumen ankamen. Sie stehen noch in der Veranda und erinnern mich an Euch, sobald ich sie sehe.

Auf den weiteren Inhalt Deines Briefes will ich im einzelnen nicht eingehen. Vielleicht findet sich doch die Zeit mit Dir über manches, was Du berührtest zu sprechen. Ich kann Dir heute noch nicht sagen, ob wir im nächsten Monat daheim sein werden. Für den Onkel wäre eine Abwechslung dringend geboten. Ob die Umstände es gestatten werden, weiß ich nicht. Du verschiebst Deinen in Aussicht genommenen Besuch vielleicht auch bis zum Mai?

Aus Deinen Ausführungen spricht Hetty, wie sie leibt und lebt. Du lieber Kerl bist wie Wachs. Deiner Seele prägt sich Alles ein, was Dich bewegt. Deine süße kleine Freundin hat in Hetty eine gefährliche Konkurentin. Hetty ist eine geistig bedeutende Frau, dazu schön. Sie kann Dir die Freude an dem allergrößten Theil der Frauen verderben, für’s ganze Leben.

Was Dich in den [sic] Brief an den Onkel so bewegt, ist nicht’s, als übergroße Empfindlichkeit Deinerseits. Deine Mutter weiß sehr wohl, was sie an Dir hat, und ist sicherlich weit davon entfernt, Dir wehe thun zu wollen, oder Dich als einen „Idioten“ zu denken. Sie wählte vielleicht nicht den rechten Ausdruck – oder besser, – sie trug Deiner großen Empfindlichkeit nicht Rechnung. Laß Dir von mir gesagt sein, Willy, jeder, der Dich kennt, und dazu rechne ich in erster Linie die Deinen, sieht in Dir einen durchaus vornehmen Character, dem man als Ehrenmann eine junge Dame unbedenklich anvertrauen kann, nicht aber den „Idioten“. Wie Du überhaupt so auf Abwege gerathen kannst in Deinem Denken und Empfinden, begreife ich nicht. Es ist krankhaft. Rotte es aus. Du selbst mußt wissen, was Du werth bist!

Du hast Trine52 gelesen. Es freut mich. Ich kenne alle seine Werke und schätze ihn sehr hoch. Versuche seine Werke in seiner Sprache zu lesen, Du wirst dann erst den ungeheuren Unterschied finden zwischen dem Original und der Ubersetzung [sic].

Um das Englische kommst Du ja so wie so nicht herum, wenn Du ernstlich die Absicht hast, die Welt kennen zu lernen. Es ist nun mal heut zu Tage diejenige Sprache, mit der man durch die ganze Welt kommt.

Laß mich noch kurz Deinen Märchentraum streifen. Glaubst Du Dein Leben recht ausgefüllt zu haben, wenn Du nur Deiner selbst lebst? Glaubst Du, Gott gab Dir Dein Pfund – was er einst zurückverlangen wird – nur, damit Du es allein für Dich verwendest? Du sagst, Du hast Trine gelesen? Hättest Du ihn auch nur ein ganz klein wenig begriffen, konnte keine Minute Deiner Lebenszeit mehr am „Märchenheim“ hängen. Du hast den großen Ernst des Lebens noch nicht erfasst; es ging Dir allezeit zu gut, wie den meisten Menschen. Du hast keine Ahnung, was Leiden heißt – die Leiden, die Du Dir einbildest, sind keine Leiden – . Du wirst einen Einblick gewinnen in großes, tiefernstes Menschenleid, wenn Du des Onkels Buch über sich selbst lesen wirst, was er herausgeben wird,53 über all den Streit um ihn und sein Wollen. Dann wirst Du ahnen lernen, was Leid ist und was Dir heute als solches erscheint, wird in Deiner Hand zerrinnen, wie eine große Seifenblase – nichts bleibt zurück.

Nun noch zum Schluß einen Augenblick zu all den Feindseligkeiten, die sich Karl May in den Weg stellen. Hast Du schon einmal ernstlich über alles nachgedacht? Du kennst Karl May aus seinen Werken. Hast sein Wollen tief in Dir empfunden. Du weißt, daß er nur und nur das Gute will. Edelmenschen möchte er bilden, weil er darin das höste [sic], hier erreichbare Glück erblickt. Wie Du fühlst und empfindest, fühlen tausende, ja hunderttausende mit Dir. Du und sie Alle bilden die Masse. Im einzelnen kommt das Empfinden all dieser so und so oft zum Ausdruck. Nun denke einmal weiter. Prüfe mit kritischem Verstand Alles, was man gegen Karl May sagt. Sieh Dir an, was man sagt und prüfe, wer es sagt, und dann gieb noch einmal Ratschläge, aus Dir heraus, durch Deinen gesunden Menschenverstand hindurch filtrirt, – nicht der gutten [sic] Hetty nachgebetet. Selbst denke, selbst erwäge, selbst handle. Dazu mußt du Dich durchringen, nicht nur in diesem Falle, sondern in allen Fällen Deines Lebens, denn die treusten Freunde, die du auf der Welt hast, wozu in erster Linie Deine Eltern gehören, werden Dich verlassen, vielleicht schon bald, wie Gott es will, und wehe Dir, wenn Du dann erst beginnen willst, Dich tastend zurecht zu finden im Labyrinth des Lebens. Weißt Du, wie Tr〈e〉ine so treffend sagt: „Du bist, was Du sein willst!“ Wolle es nur ernstlich sein, dann bist Du es.

Ich könnte Dir noch viel schreiben. In Deinem Brief war so viel. Unerfreuliches, unruhevolle Unklarheit, Humor und was uns beiden Alten das Kostbarste ist, reine, kindliche, den Hauch des Göttlichen in sich tragende Edelmenschlichkeit. Gott behüte Dich, Du lieber, guter Willy.

Tante Klara.

FRIEDRICH ERNST FEHSENFELD AN WILLY EINSLE • 14. März 1910

Antwort-Postkarte, hs.54

Freiburg/Br.,14. März ’1055

Geehrter Herr!

Auf ihre frdl. Zeilen erwidere ich höflichst, daß Winnetou Bd. IV voraussichtlich Ende April fertiggestellt sein wird. Ich gebe Ihnen srzt. nochmals Nachricht.

Als Antwort auf die vielen Angriffe der Presse beabsichtigt Herr K. May ein Buch „Aus meinem Leben“ zu veröffentlichen. Näheres darüber kann ich Ihnen noch nicht mitteilen.

Hochachtungsvoll grüßend

Fr. Ernst Fehsenfeld

HETTY HEIDE AN WILLY EINSLE • 22. März 1910

Brief, hs.56

München, 22. III. 10.Äussere Prinzregentenstrasse 9.

Lieber Freund,

wollen Sie mir erlauben, Sie der Einfachheit wegen gleich so anzureden? – Danke schön. – Meine Glückwünsche zu Ihrem Geburtstage muß ich von einem höchst verzwickten Krankenlager aus senden. Bei uns grassiert nämlich die Influenza in grauenerregender Weise. Ich selbst lag acht Tage mit heftiger Bronchitis, Fieber u. anderm Zubehör, darf heute die erste Stunde aufstehen und fühle mich durchaus nicht beneidenswert. Gestern legte sich auch Hannsheinrich mit 39° Fieber und Darmkatarrh. Heute klagt mein Mann über Kopfschmerzen und das Herzi57 sieht aus, „wie zwei Pfenninge in ein Läppchen gewickelt“ – wie man in Sachsen zu sagen pflegt. Sie sehen also, andre Leute müssen dem Winter auch Tribut zahlen – nicht nur Sie Unglückswurm allein! – Nun nehmen Sie aber trotz alledem recht schöne Grüße und herzliche Glückwünsche zum 24., feiern Sie Ihr Fest in möglichst guter Stimmung innen und außen und lassen Sie einem fröhlichen Tage ein ebensolches Jahr folgen.58 Meine beiden Buben folgen im Bilde mit59 und der Gatte schließt sich uns in Gedanken an. Er haßt, sich fotographieren zu lassen. –

Hetty Heide, 1907

Für den Silberlöwen meinen besten Dank. Ich ließ mir den 4. Band gleich aus der Leihbibliothek kommen und verschlang ihn hinterher, – ohne daß ich mir aber bis jetzt darüber klar werden konnte, was an diesem Buche mich so merkwürdig anzieht. Ich liebe es fast am allermeisten von allen – freilich das sagt man fast zu allen Büchern unsres Freundes – Der Freitag Abend mußte natürlich ausfallen. Hoffentlich können wir ihn noch nachholen. Noch eine Frage: man sagt mir überall, von „Über den Wassern“ würden keine einzelnen Hefte abgegeben. Ja, haben Sie sie denn abonniert? Und ist schon die Fortsetzung erschienen?60

Bitte um viele Empfehlungen an Ihre Eltern.

Ihnen selbst nochmals viele gute Glückwünsche

und ebensolche Grüße

von Ihrer Freundin

HettyHeide-Silvester.

Hetty Heide mit ihren Kindern, 1910

LU FRITSCH AN KLARA MAY • 26. März 1910

Postkarte (Aufdruck: „Stettin – Rathaus am Viktoriaplatz“), hs.61

[Stettin, ohne Datum]

Liebe verehrte, Frau Doktor

Im Namen meines Bruders62 danke ich Ihnen bestens für die liebenswürdige Sendung. Darf ich wohl einmal an Sie schreiben? Mein Lebensweg führt mich nun nach Berlin – – in die Freiheit, in – den Beruf.63 Ihnen und Ihrem sehr verehrten Herrn Gemahl ein frohes Osterfest!

Ihre sehr ergebene Lu Fritsch

MARIE HANNES AN KLARA MAY • 2. April 1910

Postkarte (Foto, Aufdruck: „WERNIGERODE-NÖSCHEN-RODE. / Partie mit Schloss.“), hs.64

[Wernigerode] D. 2. IV. 10

Liebe Tante – ich reise hier am 6. IV. ab {u}nd bin um ½ 5 in Dresden. Von dort werde ich telefonisch oder sonstwie anfragen, wann ich bei Euch gelegen komme. Nachricht in Dresden erreicht mich b. Professor Ziel.65 Wilhelminenstr. 11 I. D[ein] tr[eues] Mariechen.

KARL UND KLARA MAY AN WILLY EINSLE • 12. April 1910

Postkarte („Post Card“, Aufdruck: „GEN’L U. S. GRANT’S HOME BEFORE THE WAR. GALENA ILL.“66), hs.67

[ohne Orts- und Datumsangabe]

Lieber Willy!

Dir kann man also gratulieren,68 wie uns Frau Hetty schreibt? Na, ein lieberes Wesen würdest Du auch nicht leicht finden, als Deine herzige Olly ist. Warte aber nur noch ein bischen mit dem Heirathen. Ich hätte Dir gewünscht, Du lerntest die große, schöne Welt kennen, ahntest erst einmal den Pulsschlag des Unendlichen. Viele, liebe Grüße Euch Allen!

Onkel u. Tante.

Willy Einsle und Olga Heumann, 1910

Postkarte von Klara May an Willy Einsle, 12. 4. 1910

WILLY EINSLE AN KARL UND KLARA MAY • 13. April 1910

Briefkarte, hs.69

München, den 13. IV. 10.

Lieber Onkel, beste Tante!

Soeben aufgestanden lese ich die neuesten „Anti-Karl-May-Kundgebungen“. Herr du mein Gott, hört den [sic] diese entsetzliche Hetze noch nicht bald auf? Ich bin wie vor den Kopf geschlagen. Ich bitt Euch flehentlich, verliert nur Ihr den Kopf nicht. Kann Euch denn unsere Liebe gar kein bißl über die schweren Zeiten weghelfen? Seht Ihr, das ist mein ernstes Ziel: Ein guter Mensch werden u. d{an}n sagen können: Alles hab ich jenem „verruchten“ Karl May zu verdanken. Ihm ganz allein!! N{un} werdet Ihr an Pfingsten wohl nicht zu sprechen sein für mich??? Ich verstehs ja, wenn Ihr jetzt ganz allein sein wolltet.

Bitte, nur ein kleinwinziges Lebenszeichen, sonst hab ich so furchtbare Angst für Eure Gesundheit. Ich bete, daß Ihr innerlich stärker sein mögt, als diese unbegreiflichen Zeiten. Wenn nur Onkels Buch bald erschiene. Ich glaube Euch und sonst niemand.

In alter Treue

Euer Willy.

MARIE HANNES AN KLARA UND KARL MAY • 16. April 1910

Postkarte (Foto koloriert, Aufdruck: „Leipzig. Thomaskirche.“), hs.70

[Oetzsch,71ohne Datum]

Meine lieben Radebeuler; ich habe mich ebenso über die letzten Karten gefreut, wie über die vorhergehende betrübt;72 habe natürlich daraufhin meine Dresdener Rei{se} aufgegeben und bin stat{t}dessen hier in Ötzsch, wo ich nun meine neue Wohnung ganz „auf dem Lande“ bezogen habe. Hoffentlich seid Ihr bald wieder zuhause, wo Euch keiner mehr quält! Herzlich Euer altes Mariechen.

KLARA MAY AN LU FRITSCH • nach dem 20. April 1910

Brief, hs.

[Radebeul, ohne Datum]

Mein liebes Fräulein!

Es ist sehr lieb von Ihnen, daß Sie Ihre Feder in den Dienst Ihres alten, arg angegriffenen Freundes stellen wollen. Tun Sie es wo und wie Sie wollen.

Es ist wahr, daß K. M. vor nahezu 50 Jahren mit dem Gesetz in Conflict kam. Er ist aber dennoch nicht zerbrochen und ein Mensch geworden, der recht vielen genützt im Leben und, wie Berge von Briefen nachweisen können, manchem zu einem besseren Leben verhalf. Was soll ich Ihnen viel schreiben. Sie kennen ihn und sein Wollen. Anbei sende ich Ihnen einige Drucksachen,73 die mögen Ihnen den Blick erweitern, Sie aber nicht veranlassen, in einen Streit einzugreifen, den wir ruhig dem Gericht überlassen wollen. Zeichnen Sie den geistigen Karl May, wi{e S}ie ihn so oft mit Ihrer reinen, edlen Seele belauschten. Aus Ihren Briefen quoll ein Duft, ein Hauch, der aus jenem Reiche stammt, wohin K. M. sich und die Seinen hinzuretten strebte, aus den [sic] Staub des Alltagslebens, aus der Menschheitsqual, die ihn jetzt zu ersticken strebt.

In Berlin lebt eine Ihnen v{er}wandte Seele. Herr Dr. Droop, Halensee, Küstrinerstr. 22.II. Ein edler, großer Mensch, in seinem Denken und Fühlen.

Er schrieb das beifolgende Buch und jetzt im Kampf sandte er mir folgende Strophen:

„Wenn sich aus den Gründen

frech Giftschlangen winden,

Um, Hoher, Dich zu umfahn,74

Wenn hassende Recken75

Dich höhnen und spotten,

Stolz geh Deine Himmelsbahn!

Treu zu Dir doch stehen,

Treu mit Dir doch gehen

Die Seelen die Du Dir errungen,

Durch rastlose Liebe bezwungen:

Die Seelen von Dschinnistan![“]

Ich kann Ihnen nicht sagen, wie tief mich die Worte dieses lieben, edlen Mannes berührten. Ich kann jetzt nur für ihn beten, daß Gott ihn segne tausendfach. Ich hoffe aber, es kommt auch noch hier die Zeit, wo alle diesen lieben, lieben treuen Freunde ihren Lohn empfangen.

Es ist mir so traurig und weh ums Herz. Ich zürne keinem und doch ist’s mir, als wenn ein Unheil geschehen, daß viele vernichtet, als wenn ein Massenmörder, gleich Thomas,76 mit einer Höllenmaschine ein blühendes Leben zerstört hätte. Es ist so wenig Sonnenschein in der Welt, man sollte den Menschen auch nicht einen Strahl rauben.

In herzlicher Liebe

Ihre

Klara May.

[auf gesondertem Blatt:]

Ferner möchte ich Sie bitten, mir von der

„Tribüne“

vom 20 d. M.77

10 Exemplare zu senden. Porto und Betrag dafür füge ich bei.78 Bitte, senden Sie nur die Hauptblätter mit dem Artickel „Spottvogel“, er geht dann als Drucksache zu senden. Die dort entwickelte Anschauung ist die eines im Gewühl stehenden Mannes, der sich aber selbst im Kampf des harten Lebens noch reine Menschlichkeit bewarte [sic].

Die Roheit einiger Zeitungen ist so empörend, daß mir graut diesen Leuten auch nur ein Wort zu entgegnen. Das Mittelalter war doch in Bezug auf Roheit der Empfindungen erhaben über das heutige Preßtreiben.

Zur Verfügung stehen würde Ihnen auch, für Ihren Artickel die

Tägliche Correspondenz,79 Zeitung für Zeitungen

Berlin S. 14. Dresdenerstr. 105.

Chefred. Schönthal, Sprechstunden von 11 – {?};

Amt 4. T. 11175.

Neue Preussische Correspondenz Berlin 30.

Motzstr. 14. [Herausgeber] Karl Hoeger.

Sächsische Correspondenz Leipzig

Johannesg. 4.80

Deutsche Nachrichten, Berlin 48.

Friedrichstr. 240/41. Amt 6. Teleph. № 2870

Chefredakteur Coböben [sic].81

KARL UND KLARA MAY AN WILLY EINSLE • 28. April 1910

Postkarte (Aufdruck: „MOSCHEE OMAR IN JERUSALEM“), hs.82

[Köln, ohne Datum]

Viele, liebe Grüße Dir und Deinen Lieben von Deinen alten

Onkel & Tante

K. & K.

LU FRITSCH AN KLARA MAY • 29. April 1910

Postkarte, hs.83

[Berlin, ] den 29. IV [1910]

Liebe Frau Doktor!

Herrn Dr. Droop habe ich nun k{en}nen gelernt. Sie haben so recht, a{be}r, als Schülerin Ma[rah] Dur[imehs], wie so{l}lten Sie da die Menschen nicht kennen. Wir kämpfen Schulter an Schulter. Sie ahnen nicht wie feig die Meisten sind, sehr viel innere Sympathie, aber so gar 〈nicht〉 kein Mut, sie zu bekennen. Der A. S. V.84 wäre gewonnen, bes. Hirschfeld,85 aber auch da Zögern – Angst vor der Presse – Nun kommt Harden86 an die Reihe –, dann die Social Dem[okraten]. Wir haben auch eine Erklär. ver-viel{fäl}tigen lassen, wir denken oft an die Dschamikun und am meisten an den Ustad. Sie kommen nach Berlin. Wo werden Sie wohnen? Alle Veilchen aus dem Sternenblumengarten warten auf Sie. Verzeihen Sie die Karte.87 Vom Ge- [auf dem linken Kartenrand:] schäft aus ist nur diese Corr. möglich. Mit 1000 Grüßen Ihre Lu Fritsch ......

ADOLF DROOP AN KARL UND KLARA MAY • 29. April 1910

Brief, hs.

Halensee, 29. 4. 10.88

My dear Mr. Shatterhand,

Dear Mrs. Schakara,

Thank you very much for {y}our kind post-cards of to-day! {B}ut I am so very anxious to know, if we may expect you in Berlin for the next time, as you wrote.

You know, I suppose, that I have made the acquaintance of Miss Lu Fritsch. How fervently she loves her Karl May! What a mixture of wonderful intelligence and sweet phantasies she bears in her angelic little head, that image of Merhameh!89

I am sorry to say, I had no success at all with the article I wrote in your cause.90That is to say, with the first. These last days I wrote a second, a fairy-tale of Kara ben Nemsi.91I shall send it to the Esse{ne}r Volksfreund,92and if it will not b{e} accepted there, I shall offer it to the Postzeitung.93

But now –

Salâm alêkum, Kara we Schakara!

Taʿâla lihänä, biʾaḳrab mâ jumkin,

itfaddal achbirni!94

Yours very truly,

DrDroop.

LU FRITSCH AN FRIEDRICH ERNST FEHSENFELD • 2. Mai 1910

Briefabschrift, hs.

Berlin SO 33Oberbaumstr. 1den 2. 5. 10

Herrn

Ernst Fehsenfeld!

Freiburg i Br.

Verehrter Herr! Besten Dank für Ihre freundliche Zuschrift!95 Auch wir Berliner Freunde bereiten eine Erklärung vor. Unser Ustad – wir lieben ihn. Mögen kleinliche Dutzendmenschen seinen Namen verdunkelt sehen – die wahren Freunde, die[,] deren ganze Jugend von ihm durchstrahlt wurde und die ihm alles verdanken, was groß und kühn und rein an ihnen ist, schließen den Bund mit dem Herrn vom hohen Hause nur noch fester. Ein warmer Händedruck für Ihr schönes, freimütiges Bekenntnis – es〈t〉 ist all mein Dank, aber Sie ahnen nicht, wie Sie mich erfreut haben.

Hochachtungsvoll

Lu Fritsch.

BRANT-SERO96 AN CARL STIELER97 • 3. Mai 1910

Brief, hs.98

Dresden. Saxony. May 3 rd 1910.

Carl Stieler.

Hotel „Zur Bleibe“.

Trompeterstr. 21. Hier.

Dear Sir: –

Kindly take this letter as your Authority from me to demand and receive from my late employer, James D. Deer, working under contract for the Circus Angelo, – Madame Solange d’Atalide99– salary owing for services rendered100covering five weeks at the rate of forty Marks per week

(

Sixty-one marks – fifty pfennigs being hereby acknowledged received between March 27th and April 30th, 1910 in part payment of my indebtedness to you.

)

Yours very truly,

J. O. Brant-Sero.

Mohawk Indian.

Brant-Sero an Carl Stieler, 3. 5. 1910

JAMES D. DEER101• 4. Mai 1910

Blatt, hs.102

Mai. 4 te / 1910Dresden. A.„Hotel zur Bleibe“

Ich der Unterzeichnete bestätigt hiermit das Er den Restrateur, Carl Stieler, Chef d. „Hotel zur Bleibe“ S[umm]a M 276. 50 Pf. Schulde

„Translation.“

I the undersigned declare that I am the Landlord Carl Stieler, of the „Hotel zur Bleibe“ the sum of Mark 276. 50 Pf. owe.

Jos. D. Deer

ADOLF DROOP AN KLARA MAY • 9. Mai 1910

Brief, hs.

Halensee, 9. 5. 10.103

Sehr verehrte gnädige Frau!

Herzlichen Dank für Ihren lieben langen Brief104 und die Drucksachen, die sehr forsch geschrieben sind!105 Mittlerweile habe ich auch den hochwürdigen Pöllmann gebührend bewundert, der mir den freundlichen Rat gibt, die Finger von der literarischen Kritik zu lassen.106 Der Artikel der Augsburger Zeitg.107 über ihn ist sehr gut. Dem Mann spritzt der Priesterhochmut aus allen zehn Fingerspitzen!

Meine beiden Artikel108 habe ich dem Westfäl. Volksfreund109 zugesandt; aber noch keine Antwort! Ich frage gleichzeitig an. Wenn sie dort auch nicht genommen werden, sende〈n〉 ich sie Ihnen zu; vielleicht haben Sie irgend eine Verwendung dafür. Wenn nicht, so sehen Sie doch meinen guten Willen, Ihnen ein wenig zu helfen. Besonders, denke ich, werde [sic] Sie an dem Märchen Kara ben Nemsi etwas Freude haben. Fräulein Lu Fritsch, die gestern bei uns zum Tee war, hat sich anerkennend darüber ausgesprochen.

Ihr herzlichst ergebener

DrDroop

P. S. Meine Frau läßt sich Ihnen und Herrn Dr K. May bestens empfehlen.

D[er] O[bige]

KLARA MAY AN LU FRITSCH • 13. Mai 1910

Brief, hs.110

[Radebeul, ohne Datum]

Mein liebes Fräulein!

Ihr Plagegeist kommt schon wieder. Bitte, besorgen Sie mir 20 Nummern von der Zeitschrift

„Der Sturm“, Potsdamerstr. 111. von Donnerstag d. 12 d. M. № 11. à 10 ₰. Herausgeber Schriftsteller H. Walden,111 der Vorstand v. Berliner Götheverein, Kunstverein u. s. w.

Es ist ein sehr guter Artikel darin enthalten über K. M. vom Schriftst. Dr. R. Kurtz, Literarhistoriker.112 Es muß ein lieber, feinsinniger Herr sein. Ich hoffe, wir können ihn unserem kleinen Maykreis mit einreihen, sobald wir nach Berlin kommen.

Es freut mich, daß Sie sich an Herrn Dr. Droop angeschlossen haben, er ist ein so lieber, lieber Herr.

Möchten Sie frohere Festtage113 verleben, als Ihre alten, Sie herzlich grüßenden

May’s.

ADOLF DROOP AN KLARA MAY• 13. Mai 1910

Brief, hs.

Hal[ensee] 13. 5. 10.114

Sehr verehrte gnädige Frau!

Ich erhielt meine beiden Mss. vom [Westfälischen] Volksfreund zurück und gestatte mir, Ihnen die gen. beifolgend einzusenden. Wenn Sie sie irgendwie verwerten können, gut. Wenn nicht, würde es mich freuen, wenn Sie sie einmal lesen.

Nächsten Mittwoch werde ich mich mit Herrn v. Lutz,115 der an mich geschrieben hat, in Verbindung setzen.

Ihr herzlichst ergebener

DrDroop

KONRAD FRITSCH AN KARL MAY • 16. Mai 1910

Brief, hs.

Stettin, 16. V. / 10.

Sehr verehrter Herr Dr.!

Eine lange, sehr schwere Krankheit hatte mich, den Ihnen vielleicht schon Unbekannten, verhindert, Ihnen meine tiefe Mißbilligung, mein herzliches Bedauern über jene empörenden Vorgänge a conto Lebius u. Konsorten, auszusprechen.116 Seien Sie versichert, daß sich bei meiner S{chw}ester, wie bei mir die regste Anteilnahme für die Ihnen zugefügte Ungerechtigkeit m{i}t dem festen Willen verbindet, die verderblichen Folgen jener erbärmlichen Insulten u. unverantwortlicher [sic] Anklagen so viel wie möglich abzuschwächen. Daß Sie einst einen Fehler begangen, weiß ich u. ich habe diese meine Kenntnis dem hiesigen K. M.-Anhängerkreis nicht verschwiegen. Daß aber diese Ihre Jugendsü{n}den in derartig rabiater Weise be{nutz}t werden, um Ihr gesellschaftl. wie schriftstellerisch [sic] Renommee zu vernichten, da〈ß〉s hat mich unsäglich empört. Ich weiß, {wi}e Sie für Ihr Vergehen gelitten, wie übermenschlich Sie gebüßt haben. Als hellleuchtendes Vorbild werden Sie nach wie vor immer den wahren Psychologen u. Menschenkennern dienen. Und 〈i〉Ihr kulturhistorisches Verdienst, da〈ß〉s Sie durch Ihre Bücher für die deutsche Jugend wie für jeden ernst denkenden Menschen erworben haben, wird immer bestehen bleiben. Verzeihen Sie es, wenn ein117 Rekonvales{zen}te mit zitternder Hand Ihnen seine Verehrung darzubringen versuchte.

Ihr K. Fritsch. Stettin / Neu-Westend N. T.

MARIE HANNES AN KARL UND KLARA MAY • 17. Mai 1910

Postkarte (Aufdruck: „DRESDEN / Kgl. Grosser Garten | Blick nach dem Palais“), hs.118

[Nähe Rathen, ohne Datum]

Karte 2

Auf dem Weg zur Bastei119

Wir sind im Walde ganz versteckt – es ist ganz stille[,] man hört, wie die Sonnenstrahlen durch die Blätter fallen – ganz oben singt ein kleiner Vogel – was er singt, kann man aber nicht auf das {Pa}pier malen – wenn Du hier wärest, könntest Du es uns sagen – ach, wenn! Wie kann nur ein Mensch soviel Schönheit fassen – man fühlt ordentlich, wie die Grenze zwischen Mensch und Menschheit sich verwischt!

REINHOLD WÜNSCHE UND MARIE HANNES AN KARL UND KLARA MAY • 17. Mai 1910

Postkarte (Aufdruck: „Dresden-Neumarkt | Frauenkirche“), hs.120

[Bastei bei Rathen, ohne Datum]

No. 5

Endlich sind wir auf der Bastei angelangt, mit einem schweren Kopf. Das gestern Gehörte war zu viel um sogleich einzugehen. Ich selber werde damit auf Jahre reichen. Wenn ich in meiner Heimat angekomm{en} sein werde, erhalten Sie auch jedenfalls einen Brief von mir. Was ich Ihnen darin sagen werde, hätten Sie ja eigentlich schon gestern von mir erfahren können, doch waren mir nähere Erklärungen unmöglich. – [Zusatz von Marie Hannes:] Gruß Mariechen

MARIE HANNES AN KARL UND KLARA MAY • 17. Mai 1910

Postkarte (Aufdruck: „Dresden – Kgl. Grosser Garten | Hauptallee mit Centauren“), hs.121

[Zwischen Rathen und Dresden, ohne Datum]

No. 6. Wir sind auf dem „Luxusdampfer“ – sehr müde, schmutzig und hungrig – auf der Bastei war es wunderschön! Aber nun au{f} dem Wasser – das ist doch das Allerschönste! Trotzdem kommen wir uns den ganzen Tag wie zwei verirrte Kinder vor ....... Morgen fahren wir beide fort – ich wäre sonst noch zu einigen Freunden gegangen – aber mit einem male freut mich nichts mehr so recht – wir hattensoviel zum Freuen! Euer Mariechen.

LU FRITSCH AN KARL MAY • 22. Mai 1910

Brief, hs.

Berlin SO. 33.Oberbaumstr. 1.Mai 22.122

{H}ochverehrter Herr Doktor!

Anbei folgt der Text der Erklärung,123 die Dr. Droop und ich gemeinsam verfaßt haben und die ich, nachdem ich sie ver〈f〉vielfältigt habe nunmehr in alle deutschen Städte senden werde, in denen ich Freunde oder Bekannte habe, ferner an alle Zeitungen und Zeitschriften, die ihre vornehmere Gesinnung durch Stillschweigen bewiesen haben. Die meisten Menschen sind feige, ängstliche kleine Seelen – Jesusjünger, die in der Stunde der Gefahr – oder wenn es gilt, nun auch ihrerseits das Opfer ihrer Bequemlichkeit zu br{in}gen, nicht einmal den Schlaf fern{ha}lten, um dem Leidenden geistig nahe zu sein.124 Jesusjünger, die auf den freundlichen Befehl des Meisters wirklich gehorchen und das Schwert in die Scheide stecken – aufatmend angstbefreit. Dahin ist die germanische Schwurgenossensch{af}t, dahin das bischen Aufopferungsfähigkeit, die Vornehmheit der Renaissance. Ein Mensch kann die tiefsten, gewaltigsten Empfindungen erleben und sie morgen oder übermorgen in der Jagd nach betäubenden Genüssen vergessen. Und wer besäße noch die Achtung vor seiner Kindheit, seiner Jugend, daß er die Heiligkeit ihrer Träume höher einschätzte als den zynischen Sarkasmus, mit dem er dann einen Winnetou zergliedert – dann, wenn er vom Dualismus redet und den höchsten Grad kultureller Bildung glücklich erreicht hat – Wer das Tatmenschentum des Old Shatterhand begriffen und geliebt hat – handelt.

Wir verdanken Ihnen unnennbar viel!

Mit den besten Grüßen

Ihre erg. Lu Fritsch.

WILHELMINE HANNES AN KLARA MAY • 23. Mai 1910

Briefkarte, hs.

Wernigerode 23 – 5. 010

Meine liebe Frau May!

Ih{nen} und Ihrem lieben Mann möchten wir im Geiste die Hand drücken. Worte finden wir nicht, eben wie Mariechen, für solche namenlose Schmach.125 Haben Sie Dank, daß Sie Mar[iechen] einluden. Sie ist nun ruhiger wieder geworden. Als sie Ostern hier war, schrieb sie einer Freundin in’s Album: „Das Leben ist ein Kampf, der Tod ist der Sieg – Ich lebe um zu kämpfen und ich sterbe um zu siegen.“126 Das hat mich tief erschüttert, auch das Kind weiß, was kämpfen heißt und ist – tapfer. – Ja liebe Frau May, auch Sie und Ihr lieber Mann wissen, was kä{mp}fen ist wie wir beiden Alten. Mein armer Mann hat keinen Tag noch Stunde mehr ohne Kampf zunehmend[.] In welchem Umfange, das wissen nur er und ich allein – Die körperlichen Beschwerden nehmen immer mehr überhand. Der Hammer der Schmiede ist gewaltig.127 Und dennoch! – Gott ist die Liebe! – Wenn wir ihn verstehen könnten, wäre er eben kein Gott. – So stehen wir beide dazu zu{ne}hmend. Gott sei Dank, daß mein armer Dulder – Ihr armer Dulder uns, ihre Frauen, haben! Denken Sie sich Ihren Mann ohne Sie! Wie ich mir meinen Gustav ohne mich! Das allein genügt mir, immer von Neuem zu danken und dazu so vieles vieles andre. Wir hoffen, daß Ihr lieber Mann es erlebt, daß alles, alles gut wird und dann sich mit Ihnen noch lange dessen freuen kann. Mar. schrieb uns von Dresden aus, unter der Karte mit Ihren Grüßen!128 Es war so schön, daß ich gleich mit der Erinnerung im Herzen sterben möchte! Wie gehei{mn}isvoll und eng muß ihre Seele mit der ihres Onkel Karl verbunden sein! Grüßen Sie ihn von Herzen von uns. Auch Ihnen senden wir herzl. Gr. M. Hann[es]

MARIE HANNES AN KLARA MAY • vermutl. 29. Mai 1910

Brief, hs.129

Oetzsch-Leipzig K. Albertstr. 22.

Meine liebe Tante, ich feiere heute einen echten Mayensonntag; in allen Bedeutungen! Seit frühmorgens sitze i{ch} hier in meinem Garten auf einem kleinen Berge am Bahndamm130 – die Züge fahren ganz nahe an mir vorüber – viele frohe Menschen stehen am Fenster – und obg{le}ich ich das Gegenteil weiß, meine ich immer, sie müßten alle nach Dresden fahren! Um mich herum habe ich alle Herrlichkeiten gebaut, die den Sonntag schön und heilig machen können – eine kleine Bibel, Andersens Märchen und das Volksbilderbuch von Ludwig Richter – – so will ich versuchen, mich wieder auf der Welt zurechtzufinden – aber es geht noch nicht – alles, was ich lese und denke, klingt in den Ton Karl May aus – eben habe ich von Andersen das Märchen „vom häß{li}chen jungen Entlein“ gelesen – ich möchte es Dir am liebsten ganz abschreiben, so herrlich ist es – einige Stellen klingen wie eine Biografie über Karl May. Gestern abend habe ich fünf Briefe an D{i}ch geschrieben und alle wieder zerrissen – es ist mir nicht möglich über meinen jetzigen Gemütszustand zu schreiben – mein ganzes Wesen ist im Aufruhr – und nun schreibst D{u} – ich hätte noch einmal vorkommen dürfen – ich habe mir jede Minute tatsächlich, während ich in Dresden und Umgebung war, förmlich Gewalt antun müssen, um nicht wieder zu Euch zu gehen und – so viel zu sagen, daß es Eu{c}h eben zu viel