Bücherwurm trifft Leseratte 2 - Gabriele Beyerlein - E-Book

Bücherwurm trifft Leseratte 2 E-Book

Gabriele Beyerlein

4,8

Beschreibung

Spannendes, Mutmachendes und Witziges für Kinder zwischen 5 und 9 Jahren. Geschichten und Gedichte zum Vor- und Selberlesen in Schul-Druckschrift. Mit Bildern von Manfred Schlüter. Bücherwurm trifft Leseratte ist zugleich Programm und will Kinder zum Artenschutz dieser beiden bedrohten "Tierarten" animieren. Ausgewählte Geschichten und Gedichte wie in dieser Sammlung helfen dabei! Bücherwurm trifft Leseratte 2 ist das zweite Gemeinschaftsprojekt bekannter Kinderbuch-Autor*innen und zugleich die 50. Buchveröffentlichung in der Edition Gegenwind. Weitere Informationen zum Buch siehe: www.edition-gegenwind.de

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Seitenzahl: 148

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Kinderbuchreihe

VOR- UND SELBERLESEN

Edition Gegenwind

Books on Demand

Zu diesem Buch …

Bücherwurm trifft Leseratte 2 ist das zweite Gemeinschaftsprojekt bekannter Kinderbuch-Autor*innen und zugleich die 50. Buchveröffentlichung in der Edition Gegenwind – es wirkten daran mit:

Gabriele Beyerlein wurde durch zahlreiche Bücher für Kinder und Jugendliche bekannt und ist mehrfach ausgezeichnet worden, u.a. mit dem Heinrich-Wolgast-Preis, dem Gerhard-Beier-Literaturpreis sowie mit einem Buch des Monats von der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur in Volkach.

Homepage: www.gabriele-beyerlein.de

Dagmar Chidolue zählt in Deutschland zu den namhaftesten Kinder- und JugendbuchautorInnen und ist u.a. für ihren Jugendroman Lady Punk mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet worden. Ihre Bücher wurden in viele Sprachen übersetzt, darunter auch die zahlreichen Bände ihrer Millie-Kinderbuchreihe.

Homepage: www.dagmar-chidolue.de

Uschi Flacke ist Kabarettistin und hat neben Soloprogrammen, Musicals und Drehbüchern für das Fernsehen (u.a. Die Sendung mit der Maus) seit Mitte der 1990er über 50 Bücher mit dem Schwerpunkt auf Kinder- und Jugendliteratur vorgelegt. Sie wurde mehrfach ausgezeichnet, u.a. 2005 mit dem Österreichischen Jugendbuchpreis für den Jugendroman Hannah und der Schwarzkünstler Faust.

Homepage: www.uschi-flacke.de

Thomas Fuchs schreibt Hörspiele für den Rundfunk und seit vielen Jahren Kinder- und Jugendbücher. Er wurde mehrfach ausgezeichnet – u.a. mit Literatur-Stipendien der Stiftung Preußische Seehandlung und zuletzt mit der Ulmer Unke für den Jugendroman Unter Freunden.

Homepage: www.thomas-fuchs.eu

Ulrich Karger ist Begründer der Edition Gegenwind und Herausgeber dieser Anthologie. Er veröffentlichte Bücher für Kinder und Erwachsene, darunter eine sehr erfolgreiche Nacherzählung der Odyssee von Homer. U.a. für den Berliner Tagesspiegel ist er auch als Rezensent tätig.

Homepage: www.karger.de.vu

Manfred Schlüter ist der Illustrator u.a. von Büchern der Autoren Achim Bröger, Michael Ende und Boy Lornsen. Seit 1991 legt er auch Bücher mit eigenen Texten für Kinder und Erwachsene vor. Er wurde u.a. ausgezeichnet mit dem Friedrich-Hebbel-Preis, dem Friedrich-Bödecker-Preis sowie von der Stiftung Buchkunst und der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur in Volkach.

Homepage: www.manfred-schlueter.com

Sylvia Schopf ist Schauspielerin, Journalistin, leidenschaftliche Reisende und schreibt für Kinder & Erwachsene: Romane, Erzählungen und Lyrik sowie regelmäßig Features und Beiträge für das Radio (u.a. Hessischer Rundfunk, DeutschlandRadio, Bayrischer Rundfunk). Eine Zeitlang hat sie als Autorin auch fürs Fernsehen gearbeitet.

Homepage: www.sylvia-schopf.de

Pete Smith schreibt Kinder- und Jugendbücher, Essays sowie Romane für Erwachsene, für die er mehrfach ausgezeichnet wurde, zuletzt für seinen Roman Endspiel (2015) mit dem Robert-Gernhardt-Preis des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst.

Homepage: www.pete-smith.de

Christa Zeuch hat in namhaften Verlagen rund 60 Kinder- und Jugendbücher veröffentlicht und erfährt bis heute eine große Nachfrage an ihren interaktiven Schullesungen. Mehrfach ausgezeichnet, wurde bereits ihr erster Gedichtband Unten steht der Semmelbeiß in die Auswahlliste zum Deutschen Jugendbuchpreis und in die Ehrenliste zum Hans-Christian-Andersen-Preis aufgenommen.

Homepage: www.christazeuch.de

Inhalt

Gabriele Beyerlein

Halloween

Dagmar Chidolue

Katie, der Mond und die Schwester

Wer einmal lügt

Der Clown

Uschi Flacke

Das Tränenkullerlied und andere Gedichte

Thomas Fuchs

Keine Panik

Klassenfahrt

Stress im Trainingslager

Ulrich Karger

Mias Stecknadel

Manfred Schlüter

Reimereien und Sprachspielereien

Sylvia Schopf

Lizzi, Mama und ich

Vorsicht Zahnbeißer!

Reimereien mit Eule und anderen Tieren

Pete Smith

Papa ist der Größte!

Der Pups auf der Gardinenstange

Christa Zeuch

Jan, Jean und die Schilfrohrflöte

Vergissmeinnicht

Majas Ausflug zum Fuchs, der Marmelade kocht

Quellennachweise

Halloween

von Gabriele Beyerlein

Ich bin so satt, dass ich gleich platze, weil es so viele gute Sachen zu essen gegeben hat. Alles haben wir ausprobiert: den Nudelsalat und die Hackfleischbällchen und die chinesischen Sachen, von denen ich nicht weiß, wie sie heißen, und die Rote Grütze und die Vanillesoße und den Apfelstrudel. Wir haben ganz allein in Tobias’ Zimmer essen dürfen, weil unten im Wohnzimmer Miriam mit ein paar Freundinnen und Freunden damit beschäftigt war, das Buffet aufzubauen und alles zu schmücken.

Miriam ist Tobias’ große Schwester. Sie hat heute ihren achtzehnten Geburtstag. Und weil Halloween ist, feiert sie eine Gruselparty. Dazu bin ich natürlich nicht eingeladen, was ich ja auch gar nicht will. Aber Tobias ist schließlich mein Freund, und ich darf bei ihm schlafen. Na ja, was so „schlafen“ heißt. Tobias will unbedingt bei der Gruselparty mitmischen, heimlich, versteht sich. Ich weiß nicht, ob ich die Idee so toll finde …

Inzwischen hat die Party längst begonnen, es ist ja auch schon bald zehn Uhr. Doch es kommen immer noch Gäste. Miriam scheint ihre halbe Schule eingeladen zu haben.

Wir stehen in unseren Schlafanzügen am Fenster in Tobias’ Zimmer und spähen hinaus. Das Licht haben wir ausgemacht, damit wir nicht entdeckt werden, während wir die Gäste von Miriams Halloween-Party beobachten. Obwohl es ja längst Nacht ist, kann man ganz gut sehen, weil die Straßenlaterne scheint und neben dem Weg zur Haustür Fackeln leuchten.

Zwei Typen kommen gerade den Weg herauf, ein Vampir und eine Hexe. Vampire und Hexen gibt es schon mehrere auf der Party. Aber da trippelt noch jemand heran, der von Kopf bis Fuß in weiße Bänder eingewickelt ist und kaum gehen kann, weil er sich die Füße aneinandergewickelt hat. Vielleicht ist er ja auch eine Sie, das kann man nicht erkennen. Aber dass es eine Mumie ist, das erkennt man.

Schon wieder hält ein Auto vor dem Haus. Eine große Gestalt steigt aus. Boah! Was für ein schrecklicher, riesiger Kerl! Ganz in eine schwarze Kutte gehüllt, die Kapuze tief in die Stirn gezogen, ein großes Beil über die Schulter gelegt. Und unter dem Arm trägt er einen Kopf, der sieht ganz blutverschmiert aus. Unwillkürlich zucke ich zusammen. Auch wenn ich natürlich weiß, dass der Kopf nur aus Plastik ist und das Blut nur Farbe – klar.

„Huuuh!“, macht Tobias. „Ein Henker! Da hab ich aber Angst!“ Er lacht.

Ich lache auch. „Pass nur auf, dass er dir nicht den Kopf abschlägt!“

„Klar“, sagt Tobias. „Der sitzt mir dann nur noch ganz locker auf meinen Schultern. Und wenn ich nicke, fällt er mir runter!“

„Und ich spiele als Gespenst Fußball damit.“

„Also hör mal, Jan!“, protestiert er. „Mit meinem Kopf! Etwas mehr Pietät, bitte.“

Ich habe keine Ahnung, was das ist, Pietät. Aber ich habe keine Lust, zuzugeben, dass ich das Wort nicht kenne. Deshalb sage ich nur: „Ich glaub, jetzt kommen keine Gäste mehr.“

„Ja, scheint so. Ich fand den Henker am besten“, erklärt Tobias. „Und du?“

„Ich die Mumie“, antworte ich.

Er nickt. „Auch nicht schlecht. Jedenfalls besser als lauter Hexen, Vampire und Monster. Aber Gespenster waren nicht darunter. Die spielen wir, um Mitternacht!“

Um Mitternacht wird Miriams Vater die Sicherungen ausschalten. Wir haben gehört, wie Miriam das mit ihm abgesprochen hat, weil sie dann Gruselparty im Finstern feiern will. Dass wir da mitspielen werden, ahnt keiner. Das soll schließlich unsere Überraschung werden, wenn alle denken, wir würden tief und fest schlafen.

„Denen werden wir ganz schön Angst einjagen“, prahlt Tobias. „Wenn wir da plötzlich im Finstern auftauchen und keiner mit uns gerechnet hat und meine Katzenaugen leuchten und du mit dem …“

Er kichert.

„Die machen sich vor Schreck bestimmt in die Hosen“, bestätige ich. Aber mein Herz klopft auf einmal ziemlich schnell. Im Finstern unter all diesen Monstern …

Wahrscheinlich werden die nicht gerade brav darauf warten, dass wir sie erschrecken, sondern selbst alles Mögliche anstellen, um anderen Angst zu machen!

Ich glaube, das stelle ich mir lieber nicht so genau vor.

Doch ich werde das schon hinkriegen, irgendwie. Ein Angsthase bin ich jedenfalls nicht, und das werde ich allen beweisen.

Wenn nur mein Herz nicht so schlagen würde!

„Spielen wir noch in der Räuberhöhle?“, fragt Tobias und schaltet das Licht wieder an.

„Klar“, sage ich und bin froh, dass ich auf andere Gedanken komme.

Wir klettern in die Räuberhöhle. Sie ist das Tollste an diesem Riesenzimmer, das Tobias ganz für sich allein hat. Es ist eine Nische hoch unter der Decke, denn die Räume sind hier viel höher als in normalen Häusern. Man muss eine Leiter hochsteigen, um die Höhle zu erreichen. Tobias’ Vater hat ein Brett davor angebracht, damit man nicht runterfallen kann. In der Höhle liegen zwei Matratzen, ein großer Pandabär und jede Menge Kissen.

Wir spielen, wir wären Raubritter und unsere Burg würde angegriffen. Wir müssen uns natürlich verteidigen und werfen Felsbrocken auf die Angreifer, sodass sie rückwärts die Leiter runterfallen. Als uns die Munition ausgeht, hören wir mit dem Spiel auf. Alle Kissen liegen jetzt unten.

Tobias’ Mutter kommt rein und sagt, wir sollen jetzt langsam Schluss machen und schlafen und sie schaut nachher noch mal nach uns, ob das Licht auch aus ist. Dann geht sie wieder.

Wir nehmen den Pandabären als Rückenlehne und machen es uns gemütlich. Wir trinken Apfelsaftschorle, obwohl wir schon längst die Zähne geputzt haben, und beginnen, uns Gespenstergeschichten vorzulesen. Schließlich müssen wir uns ja bis Mitternacht wach halten.

Ich gähne. Tobias’ Stimme schläfert mich ein. Und wie die Geschichte ausgeht, die er vorliest, kann ich sowieso schon erraten.

Von unten hören wir Musik und Lachen und viele Stimmen. Klingt nicht gerade wie eine Gruselparty. Aber um Mitternacht, wenn es dunkel wird und wir herumgeistern …

Bloß nicht wieder anfangen, darüber nachzudenken!

Eigentlich würde ich jetzt am liebsten schlafen. Aber ich kann doch nicht zu Tobias sagen: Hör mal, zum Gespensterspielen bin ich zu müde, das musst du wohl allein machen. Das wäre ja peinlich. Und schließlich zählt er auf mich.

Ich müsste noch mal aufs Klo, aber diese Leiter hinunterzuklettern, das ist mir viel zu viel Aufwand. Ich bin so müde.

Ich wache auf, weil ich plötzlich ganz dringend muss. Ich wundere mich, dass meine Eltern mitten in der Nacht so laute Musik machen, und setze mich in meinem Bett auf. Da merke ich erst: Ich bin ja bei Tobias! Offensichtlich sind wir beide in seiner Räuberhöhle eingeschlafen, und jemand hat uns zugedeckt und das Licht ausgemacht.

Von unten kommt ein Lied, das ich aus dem Radio kenne, aber es klingt irgendwie anders als sonst, näher und echter. Eine Frau singt mit einer ganz rauchigen Stimme, die Instrumente begleiten sie. Sonst ist es still da unten, keiner redet oder lacht oder trampelt auf der Treppe herum wie noch vorhin.

Vielleicht ist Mitternacht schon lange vorbei und wir haben die Geisterstunde verpasst? Ich taste neben mich und bekomme die Schulter von Tobias zu fassen. Er schläft.

Ich möchte auch weiterschlafen. Aber es geht nicht. Gleich mache ich in die Hose.

Vorsichtig krabble ich zum Rand der Räuberhöhle.

„Jan?“, brummt Tobias halb im Schlaf. Aber plötzlich setzt er sich auf. „Haben wir etwa Mitternacht verschlafen?“

„Keine Ahnung“, murmle ich und beginne die Leiter hinunterzusteigen. Die Straßenlaterne scheint durch die beiden hohen Fenster herein und malt helle Rechtecke an die Wand. Am Fußboden stolpere ich über ein paar Kissen und hätte mich beinahe flachgelegt.

„Was ist?“, fragt Tobias und schaltet die kleine Lampe in der Räuberhöhle ein. „Mensch! Bald Mitternacht! Wir müssen uns verkleiden!“

„Erst mal muss ich aufs Klo!“, antworte ich.

Als ich ins Zimmer zurückkomme, ist das Licht aus.

Da!

Ich stocke.

Da, da, vor dem Fenster, da steht was! Riesengroß. Ein schwarzer Schatten vor dem helleren Rechteck des Fensters. Eine dürre Gestalt mit glühenden Augen.

Ich weiß genau, es ist Tobias in seinem Kostüm, von so was lasse ich mir doch keine Angst einjagen, aber trotzdem …

Das Herz klopft mir bis zum Hals.

„Huuuuh“, macht die Gestalt. Tobias, klar. Langsam stoße ich die Luft aus.

„Sieht echt stark aus“, sage ich so cool wie möglich und räuspere mich, weil meine Stimme ein bisschen heiser ist. „Aber das Huuuuh solltest du lieber lassen. Klingt nicht so überzeugend.“

Tobias kichert.

Da muss ich auch lachen.

Endlich finde ich den Lichtschalter. Im Hellen sieht Tobias’ Kostüm nicht gerade gefährlich aus. Da erkennt man, dass der Kopf nur aus Pappe ist und dass die glühenden Augen nichts anderes als solche Katzenaugen sind, die im Dunkeln leuchten, wenn man sie vorher ins Licht gehalten hat. Tobias hält den Kopf an einem Besenstiel hoch über sich. Ich habe Tobias heute Nachmittag selber geholfen, mit einem Kleiderbügel so etwas wie Schultern an dem Besenstiel zu befestigen und über das Ganze ein Bettlaken zu hängen. Aber dass das im Dunkeln so echt wirkt …

Ich grinse. Auf einmal glaube ich doch daran, dass es uns gelingen wird, den Monstern da unten im Wohnzimmer einen Schrecken einzujagen. Die werden ganz schön dumm aus der Wäsche schauen!

Schnell werfe ich mir mein Gespensterkostüm über, das alte Bettlaken mit den kleinen Sehschlitzen drin. Dann nehme ich den langen, hauchfeinen Seidenschal, den Tobias in der Garderobe gefunden hat. Wir haben ausprobiert, wie ich damit herumwehen soll und was für ein Gefühl es ist, wenn einem der Schal so ganz leicht über das Gesicht streift: als würden einen Spinnweben berühren. Das passt zu einer Gruselparty, finden wir.

„Also dann!“, erklärt Tobias. „Der Plan ist ja wohl klar.“

Die Tür zum Wohnzimmer ist angelehnt. Auf Zehenspitzen schleichen wir hin und spähen durch den Spalt. Ich sehe Vampire, Hexen und Monster, die friedlich in der Sitzecke und auf dem Fußboden beieinander sitzen.

Die Mumie hat ihren Kopf an die Schulter des Henkers gelehnt. Auf dem Sofa nahe der Tür hockt eine Hexe bei einem Vampir auf dem Schoß und knabbert an seinem Ohr herum. Eine Zauberin mit spitzem Hut steht mitten im Zimmer und singt in ein Mikrofon. Ich erkenne sie gleich am Kostüm: Es ist Miriam, die Schwester von Tobias. Sie singt so schön, dass mir eine Gänsehaut über den Rücken läuft. Zwei Monster spielen Gitarre, am Schlagzeug sitzt ein Zombie.

Ganz harmlos, das Ganze – wusste ich’s doch. Noch jedenfalls.

Das Lied ist aus. Einen Augenblick ist es ganz still. Da höre ich oben im ersten Stock eine Tür und dann Schritte. „Schnell weg hier!“, flüstere ich Tobias zu. Im Wohnzimmer wird jetzt geklatscht.

Wir verstecken uns hinter dem Schrank in der Diele. Jemand kommt die Treppe herunter. Tobias krallt seine Finger in meinen Oberarm. Ich linse um die Ecke. Es ist der Vater von Tobias. Hoffentlich sieht er uns nicht! Ich halte die Luft an.

Nein, er geht durch die Diele und die Treppe in den Keller hinunter. Er hat uns nicht bemerkt. Der glaubt, wir würden schlafen!

Gleich wird er die Sicherung ausschalten.

Damit sich unsere Augen schon mal ans Dunkel gewöhnen und wir gleich besser sehen können, wenn das Licht ausgeht, machen wir die Augen zu und halten uns auch noch die Hand davor.

Im Wohnzimmer setzt wieder die Band ein. Dieses Lied gefällt mir nicht so gut wie das andere. Eigentlich hört es sich im Augenblick auch mehr nach Krach an als nach Musik. Die Gitarre dröhnt, und das Schlagzeug scheppert, und die tiefen Töne wummern so, dass es mir im Bauch kitzelt.

Aber vielleicht ist das ja auch die Aufregung, die mir im Bauch kitzelt. Gleich haben wir unseren großen Auftritt, Tobias und ich.

Jetzt schlägt im Treppenhaus die Uhr. Sie hört gar nicht mehr auf. Mitternacht!

Plötzlich bricht die Musik mitten im Lied ab. Ich öffne die Augen und nehme die Hand weg. Es ist finster. Aus dem Wohnzimmer dringen ein paar überraschte Rufe. Jemand sagt: „Finster war’s, kein Mond schien helle!“ Darauf folgt ein Kichern. Richtig irre.

„Los!“, flüstert Tobias.

Ich verlasse als Erster unser Versteck, mache leise die Wohnzimmertür noch ein Stück weiter auf und schiebe mich ins Zimmer. Jetzt muss alles schnell gehen, ehe sich die Augen der anderen ans Dunkel gewöhnt haben und sie merken, was los ist.

Lautlos husche ich hinein. Hinter mir her schleicht Tobias mit seinen glühenden Katzenaugen. Er ist genauso wenig zu hören wie ich. Wir haben beide nur Socken an.

Vom Garten dringt ein schwaches Licht durch die Fenster. Gerade genug, damit ich die Hexe auf dem Sofa finde, auf die ich es als Erstes abgesehen habe. Ich kann ihren Umriss erkennen – und den des Vampirs, auf dessen Schoß sie sitzt. Ich lasse den Seidenschal flattern und spüre, wie er ihr Gesicht berührt.

„Iiiih!“, schreit die Hexe auf. „Was war das?“

Wow! Es hat geklappt! Es hat tatsächlich geklappt! Am liebsten würde ich laut lachen, aber das muss ich mir natürlich verkneifen.

Ich schleiche weiter und wehe mit dem Schal, treffe bald den einen damit, bald den anderen. Dann schaue ich mich kurz um. Die Katzenaugen leuchten gespenstisch. Tobias’ Gestalt sieht echt furchterregend aus. Ich grinse vor mich hin. Tobias und ich, wir sind unschlagbar!

„Geiii-steeer-stuuun-deee!“, dröhnt hohl und langgezogen eine tiefe Stimme von der Tür. „Die Gräber öffnen siiich! Die Unterwelt erwaaaacht!“

Ein schreckliches Kichern ertönt von der anderen Seite des Raumes und endet in einem schaurigen Schrei.

„Gefaaahr! Gefaaahr! Rette sich, wer kaaann!“, dröhnt die tiefe Stimme an der Tür.

Auf einmal ist es, als würde sich der ganze Raum verwandeln. Überall bewegt sich etwas. Ein Schleichen und Schlurfen und Scharren.

Die Monster erheben sich. Finstere Schatten geistern über die helleren Stellen an der Wand, auf die das schwache Licht von draußen fällt. Die Monster kommen immer näher, umringen mich. Dicht über mir erkenne ich die Schneide des Henkerbeils. Jemand bekommt meinen Schal zu fassen und zieht mich damit zu sich heran. Schnell lasse ich den Schal los und stolpere, kann mich gerade noch fangen, trete auf den Saum meines Gespensterkostüms. Etwas Wuscheliges fährt mir über den Kopf. Mein Kostüm ist verrutscht, ich kann nichts mehr sehen. Ich versuche, die Sehschlitze wieder vor meine Augen zu ziehen, es gelingt mir nicht.

Hinter mir flüstert eine Stimme: „Menschenblut! Ich rieche Menschenblut!“

Dann höre ich ein schauerliches Röcheln.

Ich will weg, nur noch weg. Aber ich kann mich nicht rühren. Ich kann einfach nicht. Unheimliche Geräusche sind plötzlich überall um mich herum, füllen den ganzen Raum aus. Schaben und Kratzen, Klirren und Rasseln, Heulen und Wimmern …

Mein Herz tobt wie verrückt. Ich drehe gleich durch.