Bülent Rambichler und die fliegende Sau - Anja Bogner - E-Book
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Bülent Rambichler und die fliegende Sau E-Book

Anja Bogner

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Beschreibung

»Allmächt, des is doch die Gelbwurscht-Pflunzn!« Ja, da liegt sie nun, die Gelbwurst-Pflunzn, eigentlich Kerstin und Fleischereifachverkäuferin. Mausetot und nackert. Und einer soll's aufklären: Bülent Rambichler, Kriminaler aus Nürnberg, Sohn eines türkischen Vaters und einer Strunzheimer Mutter, der wenig Lust darauf hat, seine neue Kommandozentrale im elterlichen Gartenschuppen einzurichten. Aber da muss er jetzt durch, der »Büli« - meint auch seine Kollegin Astrid, eine Veganerin im Land der Rostbratwürstel. Gemeinsam fördern sie so einiges zu Tage: Manipulation beim Presssack-Wettbewerb, amouröse Umtriebe des Pfarrers - viele haben Dreck am Stecken, doch wer hat die Gelbwurst-Pflunzn auf dem Gewissen?

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Zum Buch

»Allmächt, des is doch die Gelbwurscht-Pflunzn!« Ja, da liegt sie nun, die Gelbwurst-Pflunzn, eigentlich Kerstin und Fleischereifachverkäuferin. Mausetot und nackert. Und einer soll’s aufklären: Bülent Rambichler, Kriminaler aus Nürnberg, Sohn eines türkischen Vaters und einer Strunzheimer Mutter, der wenig Lust darauf hat, seine neue Kommandozentrale im elterlichen Gartenschuppen einzurichten. Aber da muss er jetzt durch, der »Büli« – meint auch seine Kollegin Astrid, eine Veganerin im Land der Rostbratwürstel. Gemeinsam fördern sie so einiges zu Tage: Manipulation beim Presssack-Wettbewerb, amouröse Umtriebe des Pfarrers – viele haben Dreck am Stecken, doch wer hat die Gelbwurst-Pflunzn auf dem Gewissen?

Zur Autorin

Nachdem sich Anja Bogner anhören musste: »Du kannst besser schreiben als küssen«, entschloss sie sich konsequenterweise dazu, Drehbuchautorin und Texterin zu werden. Nach Stationen in Hamburg und Nürnberg lebt sie nun mit ihrer Familie in der Nähe von München und tut das, was sie am besten kann: schreiben.

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Copyright © 2018 by Anja Bogner Copyright © 2018 bei btb Verlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München Covergestaltung: semper smile, München Covermotiv: © Shutterstock/Naypong; Ivan Rahouski; Eric Isselee Satz: Uhl + Massopust, Aalen MP · Herstellung: sc ISBN 978-3-641-19591-5V002
www.btb-verlag.dewww.facebook.com/btbverlag

Für Oma Hildeund meine Kinder

Des hier ist fei freilich bloß ein Roman. Heißt, sämtliche Romanfiguren, Handlungen und Schauplätze sind völlig frei erfunden. Und klar gibt’s Namen, die gibt’s halt, und darum gibt’s die auch in diesem Buch. Aber des, was die Romanfiguren tun, oder des, was sie sagen oder treiben, ist alles reine Erfindung. Solltest du jetzt, lieber Leser, trotzdem meinen: Allmächt, des könnt doch der Dings sein oder des Maadla von denen oder oder oder …? Dann hau dir selber anerkennend auf die Schultern für deine rege Phantasie, aber denk immer dran: Nix ist wahr – alles nur ausgedacht!

PROLOG

Was für ein grandioser Abgang. Die Sterne glitzerten wie Millionen Brillanten am Himmel. Der Mond strahlte wie ein überdimensionaler Scheinwerfer und tauchte ihren nackten Körper in schmeichelhaftes Licht. Es war ihr, als würde sie schweben, als würden die Engelsflügel auf ihrem Rücken sie tatsächlich tragen können. Aber natürlich war sie klug genug zu wissen, dass das Gesetz der Hummeln für sie nicht galt. Hummeln sind zu dick zum Fliegen und können es dennoch, weil sie nicht wissen, dass sie einfach zu fett sind. Fett. Das war sie auch. Das war sie schon immer.

Aber heute Nacht zählte das alles plötzlich nicht mehr. Sie fühlte sich frei, leicht – und vor allem schön. In diesem winzigen Moment wusste sie: Was das Leben ihr verwehrte, würde der Tod ihr schenken. Aufmerksamkeit. Liebe. Vergeltung. Ein bitteres Lächeln umspielte ihre Lippen. Sie schloss ihre Augen.

»Engele, Engele, flieg« waren ihre letzten Gedanken, bevor ihr Körper vor dem immer noch spätsommerlich aufgewärmten Asphalt kapitulierte.

*

Schwerfällig grub er sich aus der Dornenhecke. »Eine fliegende Sau, des glaubt mir doch keiner«, dachte er und tat das, was er immer tat, wenn er sich von seinem alkoholzerschmetterten Verstand verarscht fühlte: Maul halten und vergessen!

KAPITEL 1 Der frühe Vogel fängt sich eine

»Scheißdreck, verdammter«, fluchte Suff laut in die frühmorgendliche Stille hinein. Neugierig wurde er dabei von einer kleinen Eule beobachtet, die sich offensichtlich über den seltsamen Kauz wunderte, der zum wiederholten Male mit seinem ausgelatschten Schuhwerk von der Gehsteigkante rutschte. Einer, dessen Hirn noch vor Stunden in literweise Alkohol ertränkt worden war, tat sich aber auch wirklich schwer, auf diesem schmalen Grat zwischen Jägerzaun und Straßenbelag vernünftig im Tritt zu bleiben.

So kam er erneut vom richtigen Pfad ab und wurde fast von einem froschgrünen Opel Kadett C 1973 niedergemetzelt, der plötzlich wie aus dem Nichts von hinten angeschossen kam, um dann wenige Meter vor ihm eine Vollbremsung hinzulegen, die sich gewaschen hatte. Der Fahrtwind allein schien zu genügen, um Suff von den dünnen Beinen zu holen, und da saß er nun und starrte panisch auf die Rücklichter, die sich ihm in beängstigendem Tempo näherten.

»Das war’s jetzt«, dachte er und schloss die Augen, während sich nahezu zeitgleich sein Mund öffnete und vor lauter Aufregung seinen gesamten Mageninhalt freigab.

»Ja, du Dreckbär, du dreckerter!«, tönte es keifend und etwas zu schrill an Suffs Ohr. Langsam, ganz langsam hob er seinen lädierten Schädel und erfasste mit seinen blutleeren Augen ein Paar unförmige Gesundheitslatschen, die in einer Pfütze aus unschönen bräunlichen Bröckchen standen.

»Tot bin ich also schon mal nicht«, dachte Suff und wusste nicht, ob ihm diese Tatsache gerade jetzt, also just in diesem Moment, wirklich lieb war. Vor ihm hatten sich die 82-jährigen Walder-Zwillinge in ihrer vollen Lebensgröße von einem Meter 55 aufgebaut und blitzten ihn wütend an. Schwerfällig versuchte Suff, sich aufzurappeln, wurde aber von Erna jäh ausgebremst, die wild mit einem nicht mehr ganz taufrischen Taschentuch vor seiner Nase herumfuchtelte.

»Erst putzt du die Sauerei weg, bevor sich das ins Leder frisst. Die waren nämlich nicht billig, die Schuh.«

»Geh, das war doch ein Schäufele, und des frisst nicht, sondern wird gefressen.« Suff versuchte es mit Humor und erntete dafür eine schmerzhafte Kopfnuss. Noch einige Zentimeter kleiner, und die beiden würden als Erdmännchen mit lila Haaren, gestärkter Bluse und Faltenrock durchgehen. Suff musste bei dieser Vorstellung grinsen und war fast schon überrascht darüber, wie gut seine Phantasie in Extremsituationen agierte.

»Was grinst denn so? Wegen dir hätten wir fast einen Unfall gebaut«, pflaumte Erna ihn an, während Traudl synchron zu den Worten ihrer Schwester nickte.

Suff ersparte es sich, die beiden darauf hinzuweisen, dass man innerhalb einer Ortschaft auch nicht fahren sollte wie ein Henker. Dass Erna sich gefälligst ein Kissen unter ihren Allerwertesten klemmen sollte, bevor sie aufs Gas drückte, weil sie ja sonst kaum übers Lenkrad drüberschauen konnte, sagte er auch nicht. Weil man all das halt nicht zu den Walder-Zwillingen sagte, die im ganzen Ort hinter vorgehaltener Hand nur die Dorfsheriffs genannt wurden und deren frühmorgendliche und allabendliche Patrouillenfahrten schon so manchen Einheimischen in schwere Bredouille gebracht hatten.

»Was machst denn in aller Herrgottsfrüh mitten auf der Straße, und warum schaust überhaupt aus, als hättest mit einem Rudel Katzen gekämpft?«, fragte Erna neugierig. Suff sah sie irritiert an.

»Katzen, wieso Katzen?«

Ungefragt hielt Traudl ihm ihren antiquierten Schminkspiegel unter die Nase, und tatsächlich, jetzt sah er es auch: Sein Gesicht war übersät mit blutigen Kratzern, und nicht nur das, im Grunde war sein ganzer Körper eine einzige schmerzende Wunde. Suff wusste sich darauf absolut keinen Reim zu machen. Im Endeffekt hatte er nicht einmal eine Ahnung, warum er überhaupt da war, wo er war. Er schaffte es ja gerade noch zu wissen, wer er überhaupt war. Überall nur Nebelschwaden im Hirn.

»Deine Mutter würde sich im Grab umdrehen, wenn sie dich so sehen könnte.« Angewidert musterte Erna Suff von Kopf bis Fuß. Auf seiner Stirn bildeten sich tiefe Zornesfalten.

»Lasst bloß Mama aus dem Spiel, oder ich vergesse mich!« Drohend hob Suff seine Arme und ging auf die Zwillinge zu.

»Jesus im Himmel! Der gehört ja weggesperrt, so aggressiv wie der ist.« Schnell verschanzte sich Traudl im Auto und versuchte wild gebärdend, ihre Schwester davon zu überzeugen, es ihr gleichzutun.

Erna öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch Suff fuhr ihr wütend dazwischen.

»Besser, du hältst jetzt dein Schandmaul und verschwindest.«

Ganz klar, das war jetzt alles ein großer Fehler, das wusste Suff. Aber wenn es um seine geliebte Mutter ging, da konnte er halt nicht anders. Zumal die Zwillinge ihr zu ihren Lebzeiten das Dasein nicht gerade leicht gemacht hatten. Da war ein Kind ohne Vater, und da waren viele Männer – das gehörte sich nicht für eine gute Katholikin. Aber es war halt auch nicht so einfach mit der wahren Liebe. Da riss man sein Herz ganz weit auf und hoffte, dass endlich jemand reinspringt, der auch bleiben mag, und am Ende war es doch nur wieder so ein windiger Mietnomade, der nichts hinterließ außer einem scheußlichen Trümmerfeld. Und dennoch, nie hatte seine Mutter aufgegeben, an die ganz großen Gefühle zu glauben – bis zu ihrem viel zu frühen Tod nicht. Ohne die Zwillinge noch eines weiteren Blickes zu würdigen, machte Suff auf dem Absatz kehrt und wanderte die menschenleere Straße entlang nach Hause, mit einer dumpfen Ahnung in seinem pochenden Kopf, dass es mit den ruhigen Zeiten wohl jetzt erst einmal vorbei sein würde.

*

»Sollen wir vielleicht eine Kerze für ihn anzünden?«

Traudl, die tendenziell mit einem eher sanftmütigen, man mag fast behaupten naiven Wesen gesegnet war, sah ihre Schwester unsicher von der Seite an. Krachend schaltete Erna – wie immer viel zu spät – in den zweiten Gang und schüttelte energisch den Kopf.

»Bei dem Hallodri kann selbst der Herrgott nichts mehr ausrichten.«

Ohne sich besonders um das Geschehen vor ihr auf der Straße zu kümmern, wurstelte sie am nostalgischen Autoradio herum und versuchte mit gichtigen Fingern, eine Kassette in dessen Inneres zu befördern.

»Ja, glaubst des, jetzt geh halt schon rein. Traudl, hilf mir halt.«

Angestrengt fummelten beide an der Anlage herum. Und als endlich Roy Blacks Evergreen »Ganz in Weiß« aus den altersschwachen Boxen tönte, tat es zeitgleich einen dumpfen Schlag, der die Zwillinge kurz durchschüttelte. Übellaunig bremste Erna ab.

»Seit wann hat denn die Gemeinde hier mitten auf der Kreuzung Bremshügel aufgestellt?«

Traudl folgte Ernas Blick durchs Heckfenster. »Da, da liegt ja jemand«, stammelte Traudl und hielt sich entsetzt die Hände vor den Mund.

»Ja, das seh ich auch.« Selbst bei Erna war ein gewisser Grad an Verunsicherung zu bemerken. Kurz spielte sie mit dem Gedanken, einfach weiterzufahren. Was nicht sein darf, ist auch nicht. Aber ein Blick in die panischen Augen ihrer Schwester sagte ihr, dass Traudl mit dieser – zugegebenermaßen nicht ganz legalen – Lösung des Problems schwer überfordert sein würde.

Erna straffte die Schultern und stieg aus dem Auto. Vorsichtig näherte sie sich der Gestalt, die da seltsam verrenkt und bis auf ein paar Engelsflügel splitterfasernackt auf dem Asphalt klebte.

»Das ist ja die Gelbwurst-Pflunzn.« Traudl, die Erna im sicheren Abstand gefolgt war, starrte entgeistert auf das blutverkrustete Mädchen und schauderte leicht ob des grusligen Anblicks. Und tatsächlich, vor ihnen lag, wie Gott sie erschaffen hatte – also fast –, die Metzgereifachverkäuferin Kerstin Rummsler.

»Sagen wir besser, das war sie«, korrigierte Erna ihre Schwester.

»Du meinst, wir haben sie …« Entsetzt quiekte Traudl auf.

Erna verdrehte entnervt die Augen. »Geh Schmarrn, schau doch, wie es der das Gestell verzogen hat, das waren wir garantiert nicht. Wart, was sagt die Temperatur?« Testend legte Erna ihre Hand auf Kerstins Hinterteil und nickte zufrieden. »Arschkalt, wie ich es mir gedacht hab. Die liegt da schon länger.«

Traudl rümpfte die Nase und hatte Mühe, ihren Würgreflex unter Kontrolle zu halten. »Also, dass du das kannst, so an der Leichen herumhantieren, das ist doch eklig.«

»Fleisch bleibt Fleisch, und ein bisschen hat’s ja schon Ähnlichkeit mit einem Schweiners, oder?«

Traudl schüttelte sich.

»Du bist manchmal echt ein greißliches Pfuiteifi. Wegen dir werde ich jetzt mein Lebtag keinen Braten mehr essen können.«

Dennoch siegte Traudls Neugier, und sie schlich näher an die Tote heran. Interessiert betrachtete sie die falschen Engelsflügel, die in Höhe der Schulterblätter traurig herabhingen. Dann blickte sie suchend gen Himmel. Erna schnaufte verächtlich.

»Suchst die Wolken, von der sie gefallen ist, oder besser, gestoßen wurde?«

»Du glaubst, sie wurde ermordet?« Aus Traudls Stimme war ein leicht hysterischer Unterton zu vernehmen. »Aber wer tut denn so was?«

Erna zuckte emotionslos mit den Schultern.

»Mei, auf jeder Wiese tummeln sich ein paar schwarze Schafe. Ein Exemplar ist uns ja vorhin schon begegnet. Und schau dir doch die Tote mal an, fällt dir nichts auf?«

Traudl runzelte angestrengt die Stirn, man sah ihr deutlich an, wie es in ihrem Hirn arbeitete. Und arbeitete. Und arbeitete. Erna verdrehte entnervt die Augen.

»Schau halt hin, die Kerstin ist auch total zerkratzt.«

Einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig. Da fiel er endlich, der Groschen.

»Du meinst, der Suff hat sie …?«

Erna winkte ab. »Ich mein gar nichts, ich denk halt nur mehr nach wie du.«

Traudl zog einen Schmollmund, widersprach aber nicht. Stattdessen schloss sie die Augen und faltete ihre Hände zu einem stummen Gebet. Und während sie so dastand und Maria grüßte und der Frucht ihres Leibes huldigte, genehmigte sich Erna einen kräftigen Schluck Franzbranntwein. Was Krampfadern in Schach hielt, konnte schließlich auch für strapazierte Nerven nicht das Schlechteste sein. Was für ein aufregender Morgen. Versonnen blinzelte Erna in die immer stärker strahlende Sonne. Das waren die Momente, für die es sich wahrlich zu leben lohnte. Sterben durften gerne die anderen. Aber sie hatte hier noch einiges zu tun. Vor allem dem Verfall von Sitte und Moral Einhalt gebieten. Machte ja sonst keiner.

Vom Kirchturm her war lautes Glockengeläut zu vernehmen.

»Nimmer lang und die fängt, glaub ich, an zu ranzeln. Meinst nicht, wir sollten langsam jemandem Bescheid sagen?« Nervös tippelte Traudl neben ihrer Schwester hin und her. »Ist ja auch schon sieben. Außerdem hab ich Hunger …«

»… Und auf’s Klo musst auch«, vervollständigte Erna den Satz ihrer Schwester und dachte sich dabei zum wiederholten Male, dass Kinder wahrscheinlich leichter zu handhaben waren als ihr Zwilling.

»Erna, was ist jetzt?«, unterbrach Traudl weinerlich den Gedankenfluss ihrer Schwester.

»Ist ja gut. Ich fahr jemanden holen.«

»Was ist mit mir?«

Erna stieg ins Auto. »Du bleibst hier und hältst die Stellung, bis ich wieder da bin.« Sie sah ihre Schwester belustigt an. »Musst halt noch ein wenig zwicken.«

»Aber …«

»Nix aber, du musst aufpassen, dass niemand die Leich anfasst«, erklärte Erna ihrer Schwester bestimmt.

Traudl sah sich suchend um. »Ist doch gar keiner da.«

Erna startete den Motor. »Jetzt noch nicht, aber wart’s ab, die kommen schon.«

*

Sie sollte Recht behalten. Binnen weniger Stunden verbreitete sich die Nachricht von der Toten wie ein Lauffeuer in der ganzen Gemeinde, und der Platz rund um den Fundort ähnelte im Lauf des Vormittags, schon kurz nachdem die Tote vom Bestattungsunternehmer Günther Fledderer abgeholt worden war, einem geschäftigen Ameisenhaufen. Wenn schon mal was los war im Ort – jetzt mal abgesehen von Kirchweih, Fasching, Weihnachten –, dann wollte auch jeder mit von der Partie sein.

Vor allem Erkan Rambichler, seines Zeichens Deutsch-Türke in erster Generation, Vorstand des Geflügelzuchtvereins und Vorzeige-Franke, mischte kräftig am Ort des Geschehens mit. Er war überall, eilte geschäftig zwischen seinen Mitmenschen umher und wurde nimmermüde zu erwähnen, dass sein Sohn Bülent ein überaus erfolgreicher und anerkannter Kriminalbeamter in Nürnberg sei und schon so manchen schweren Fall innerhalb kürzester Zeit gelöst hätte.

»Ja, dann ruf ihn halt an, wenn der so ein Genie ist, dein Bülent«, tönte es Erkan von einem seiner Stammtischbrüder entgegen.

»Du, das ist eigentlich gar keine dumme Idee. So ein Topkriminaler, der auch noch von hier ist, kann bestimmt mehr ausrichten als die Hanseln, die sie uns geschickt haben. Das sehe ich doch schon von weitem, dass das nix wird.« Erkan schlug seinem Freund anerkennend auf die Schulter.

Maria, Erkans Frau, die sich eigentlich bei den Höhenflügen ihres Gatten dezent im Hintergrund hielt und abwartete, bis ihm die Luft oder die Lust ausging, sah sich diesmal gezwungen, schleunigst ihr Veto einzulegen. Sie zerrte Erkan hinter ein mobiles Klohäusl, um ihm dort ordentlich den Kopf zu waschen.

»Sag mal, spinnst du? Lass bloß unseren Bub hier aus dem Spiel«, zornte sie ihren Mann an. »Topkriminaler, ja so ein Unsinn. Du weißt doch ganz genau, dass unser Bülent noch nie wirklich was gerissen hat und bloß da hockt, wo er hockt, weil sein Chef so ein netter Kerl ist.«

»Er wurde eben immer falsch eingesetzt.« Erkan gab nicht auf. »Hier bei uns, das ist seine Heimat, da kennt er sich aus, da weiß er, wie der Hase läuft. Heimvorteil, verstehst?«

Maria verdrehte die Augen. »Genau, und weil es ihm hier so gut gefällt, lässt er sich auch nur alle Schaltjahr mal blicken. Erri, wach auf, des wird nichts.« Maria legte beschwichtigend eine Hand auf den Arm ihres Mannes. Unwirsch schüttelte dieser sie ab.

»Du wirst schon sehen, was das wird. Ich ruf jetzt jedenfalls in Nürnberg bei Bülents Chef an.« Bockig zückte Erkan sein iPhone und tippte mit seinen kleinen fleischigen Fingerchen hektisch darauf herum. »Himmelherrgott, dieses Getatsche und Gewische macht mich noch wahnsinnig. Ich hab gleich gesagt, ich brauch kein neues Handy.«

Maria atmete einmal tief durch und dann noch einmal. Schließlich nahm sie Erkan das Telefon ab und suchte in seinen Kontakten nach der Nummer von Bülents Dienststelle.

»Wie willst du es überhaupt schaffen, dass die ihn hier bei uns einsetzen?«, fragte sie Erkan, ohne vom Bildschirm aufzublicken.

Der grinste diabolisch. »Wo ein Türke, da auch ein Weg.«

Maria reichte ihm das Telefon. »Mach, was du willst, aber den Karren ziehst hinterher schön selber aus dem Dreck.«

Erkan lächelte Maria dankbar an und gab ihr einen dicken Schmatz auf die Wange. »Mein Weibi, so mag ich dich.«

»Glaub bloß nicht, dass ich das für dich mache. Ich will einfach, dass mein Junge mal wieder heimkommt.«

»Schau, dann haben wir ja faktisch eine Win-win-Situation«, grinste Erkan und drückte auf »Verbinden«.

*

»Da, verreck.« Traudl, die im Inneren des Dixi-Klos auf der Schüssel saß, baumelte glücklich mit ihren kurzen Beinchen. Sie freute sich schon diebisch darauf, ihrer Schwester brühwarm die Geschichte vom Kriminaler, der dann irgendwie doch kein richtiger war, zu erzählen.

KAPITEL 2 Sakla samanı, gelir zamanı 1

Hauptkommissar Bülent Rambichler liebte es zu duschen. Überhaupt, die Restaurierung und Reinigung seines Körpers war ihm ein großes Anliegen. Demzufolge hatte er sich in seine hübsche Wohnung direkt an der Nürnberger Burg auch auf eigene Kosten sein persönliches Hamam einbauen lassen. Ein gefliester Mosaik-Traum im leuchtenden Königsblau mit integriertem Sternenhimmel, der von der Decke funkelte. Kann man haben und muss man auch, fand Bülent. Denn mit Blick in die Unendlichkeit seifte es sich einfach viel besser.

Auch an diesem späten Vormittag fuhr Bülent also mit einem weichen Handschuh ritualartig über seinen gut gebauten Körper, den er vorher eingeschäumt, gepeelt, gewachst und enthaart hatte. Mittlerweile schaffte er das ganze Prozedere in eineinhalb Stunden, aber diesmal konnte er sich Zeit lassen – ist ja Samstag, dachte er noch, als plötzlich »Ein guter Tag zum Sterben« von der fränkischen Punkband J. B. O. an sein Ohr tönte. Er hatte das Lied als Klingelton auf seinem Diensthandy eingerichtet. Fand er irgendwie passend.

Bülent schlitterte nackt über das Eichenholzparkett in seinem Flur seinem Handy entgegen, welches auf einem kleinen Tischchen neben der Tür lag. Öl auf der Haut ist gut, aber nicht, wenn man es eilig hat, dachte er noch, als er auch schon mit seinem kleinen Zeh am Türrahmen hängenblieb. Der grantige Schmerz zwang ihn sofort und unmissverständlich in die Knie, aber immerhin hatte er noch sein Handy erwischt. Profi blieb halt Profi.

»Hallo, Büli. Hallo?«

Astrid Weber, seine junge Assistentin, war am anderen Ende der Leitung. Wie oft hatte er ihr jetzt eigentlich schon gesagt, dass sie ihn nicht Büli nennen sollte? Er wollte nicht verniedlicht werden, er war schließlich ein ganzer Kerl. Mit einem leichten Pflegefimmel vielleicht, aber wer sagte denn, dass Männer stinken mussten wie Hyänen und haaren wie Schimpansen.

»Büli, bist du noch dran?«, schallte es ungeduldig aus dem Telefon.

»Was gibt’s denn?«, presste Bülent zwischen den Zähnen hervor, weil er gerade dabei war, vorsichtig seinen brutal wimmernden Zeh abzutasten, und das tat verdammt weh.

»Wir sollen sofort ins Büro kommen, der Chef will uns sehen.«

»Warum denn am Wochenende?! Und warum ruft er dich an und nicht mich?«

»Zu eins, Schatzi, weil es für uns keine Wochenenden gibt, und zu zwei, weil du wahrscheinlich wieder mal vor lauter Schaum im Ohr das Handy nicht gehört hast. Er hat es versucht, mehrmals. Also los, schwing die Hufe.«

Wenig später saß Bülent etwas schief gelagert und äußerst schlecht gelaunt in seinem Bürostuhl. Sein Zeh schrie vor Entrüstung, dass er trotz der widrigen Umstände in äußerst schicke, aber viel zu enge Wildleder-Slippers gepackt worden war. Außerdem lachte draußen das schönste Wetter. Der Tag konnte nur besser werden. Laut Astrid würde sein Chef in etwa zehn Minuten eintreffen, hatte noch irgendetwas auf dem kurzen Dienstweg zu regeln. Blabla.

Bülent wandte sich dem zu, was er immer tat, wenn ihm die Polizeiarbeit mal wieder so richtig gegen den Strich ging. Er überarbeitete sein Rezept für ein ganz besonders innovatives Produkt – den ersten fränkisch-türkischen Schäufele-Döner. Irgendwann, daran glaubte er fest, würde er seinen Traum von einem eigenen Imbissstand, was hieß Stand, eigenem Imperium, wahrmachen und dann endgültig die Tore zwischen sich und dem Kriminalamt schließen. Natürlich erst dann, wenn seine sicherlich nicht unansehnliche Pension allmonatlich auf sein Konto überwiesen würde. Er war vielleicht ein Visionär, aber auch nicht wahnsinnig. Mal abgesehen davon, dass es seinem Vater das Herz brechen würde, wenn er frühzeitig den Dienst quittieren und damit quasi die Familienehre verletzen würde. Nein, dann doch lieber noch ein paar Jahre weitermachen bei der Mordkommission. Und das am liebsten ohne Mord.

Seit über zwanzig Jahren schob er Dienst nach Vorschrift, und das nur, weil Erkan Rambichler als bekennender Tatort-Fan und Frankenfanatiker die kriminalistische Beamtenlaufbahn für seinen Sprössling als besonders erstrebenswert erachtet hatte. Vor allem auch hinsichtlich einer erfolgreich abgeschlossenen Integration. Dabei ging es Erkan mehr um seine eigene als die von Bülent, der war schließlich in Deutschland geboren und aufgewachsen. Natürlich hätte Bülent auch nein sagen können, als ihm sein Vater die Bewerbungsunterlagen für den gehobenen Polizeidienst mit den Worten »Sohn, mach mich stolz« in die Hand gedrückt hatte. Er hätte auch immer noch nein sagen können, als er seine Ernennungsurkunde in Händen hielt. Hatte er aber nicht. Denn Bülent hasste nichts mehr als Stress, und zu dem wäre es zweifelsohne gekommen, wenn er sich dem großen Wunsch seines Erzeugers widersetzt hätte. Ganz zu schweigen davon, was seine Mutter dann daheim vermutlich täglich für ein Theater hätte über sich ergehen lassen müssen. Und wenn er ganz ehrlich war, wusste er nach dem Abitur ohnehin nichts Rechtes mit sich anzufangen. Außerdem lief es ja nicht wirklich schlecht für ihn. Er schob, dank seines wohlwollenden Chefs, ausschließlich Innendienst und sah die meisten Leichen, wenn überhaupt, nur hübsch abgelichtet auf Fotopapier. Es störte ihn auch überhaupt nicht, dass man ihn im ganzen Revier als Akten-Schubser und Protokoll-Gott verspottete. Wenn schon. Sollten doch andere Licht auf die dunklen, blutrünstigen Seiten der Menschheit werfen. Ihm war nicht nach Ruhm und Ehre – ihm war nach Ruhe und Entspannung.

»Huhuuu, ist wer zu Hause? Erde an Büli.« Astrid, seine junge, zugegebenermaßen äußerst attraktive Assistentin, sah ihn aus großen Augen an, ein verdächtiges Zucken umspielte dabei ihre Mundwinkel.

»Du sollst mich nicht immer Büli nennen. Intensiv nachgedacht habe ich halt«, raunzte Bülent sie an und richtete sich schwer ächzend auf seinem Schreibtischstuhl auf. »Verdammt, wenn der mal nicht gebrochen ist«, jammerte er.

»Hier, nimm ein paar Arnika-Globuli. Die helfen.« Astrid streckte ihm ein kleines Döschen entgegen. Bülent verzog verächtlich das Gesicht.

»Du weißt ganz genau, dass ich an dieses homöopathische Graffl nicht glaube.«

Als hätte sie ihn nicht gehört, nahm Astrid Bülents Hand und schüttete ein paar der weißen Kügelchen hinein.

»Probieren muss man!«, gab sich Astrid gespielt streng und ließ Bülent so lange nicht aus den Augen, bis dieser gottergeben die Globuli hinuntergeschluckt hatte. Kaum hatte das vermeintliche Wundermittel jedoch den Weg gen Speiseröhre gefunden, fasste er sich theatralisch an den Hals.

»Hilfe, ich ersticke«, röchelte er und verdrehte dabei die Augen.

»Sehr witzig.« Beleidigt verschanzte sich Astrid hinter ihrem Computer, während Bülent seine Zunge zur Verdeutlichung seines schweren Leidens aus dem Mundwinkel hängen ließ.

»Herr Rambichler, geht es Ihnen nicht gut?«

Bülent öffnete die Augen und blickte direkt in das Gesicht von Horst Köhl, dem Leiter der Mordkommission, der ihn über seine randlose Brille mit ernsthaft besorgtem Gesichtsausdruck ansah. Ratlos drehte Köhl sich zu Astrid um. »Was hat er denn?«

Astrid grinste. Doch bevor sie sich eine freche Antwort zurechtlegen konnte, schaltete Bülent sich schleunigst ein.

»Alles bestens, ich habe Frau Weber nur etwas veranschaulichen wollen.« Bülent sandte Astrid einen hilfesuchenden Lass-mich-jetzt-bloß-nicht-hängen-Blick zu. Sie nickte.

»Ja, das hat er.« Sie lächelte ihren Vorgesetzten offen an.

»Und was genau?« Köhl ließ einfach nicht locker.

»Ähm, ja also …« Bülent überlegte fieberhaft.

»Die komplexe Wirkung halluzinogener Drogen auf den menschlichen respektive männlichen Organismus ab vierzig«, schoss es aus Astrids Mund. Bülent musterte sie anerkennend. Anscheinend versteckte sich hinter diesem hübschen kleinen Pagenköpfchen auch ein äußerst schlagfertiges Gehirn.

Als man ihm Astrid vor rund einem Jahr als seine Assistentin vor die Nase, besser gesagt an den Schreibtisch ihm gegenüber, gesetzt hatte, war er alles andere als begeistert gewesen. Eine Frau in seinen heiligen, Testosteron-geschwängerten Räumen, und dann auch noch so ein Exemplar. Bülent hatte damals kurz davorgestanden, den Dienst zu quittieren.

Denn dieses junge Ding war nicht nur hoffnungslos überambitioniert und witterte überall Mord und Totschlag, nein, schlimmer noch: Sie war eine von diesen dauerhaft fröhlichen Quietscheentchen-Frauen, an denen Zynismus und schlechte Laune abperlten wie Regen an einer gut geölten Haut. Das allein würde ja schon reichen, um einen Mann wie Bülent wahnsinnig zu machen. Doch stückweise kristallisierten sich weitere Absonderlichkeiten heraus, mit denen er sich täglich herumschlagen musste. Astrid hatte nämlich nicht nur ein Faible für Räucherstäbchen, sondern auch für Yoga. Was damit einherging, dass sie mindestens einmal am Tag ihre Matte ausrollte, um ohne Scham ihren zugegebenermaßen sehr ansehnlichen Körper zu dehnen. Praktizierende und missionierende Veganerin war sie außerdem. Dass sie sich mit zweitem Namen »Sunshine« nannte, war für Bülent dann nur noch die logische Fortführung eines konsequent gelebten weiblichen Wahnsinns. Mittlerweile hatten sich die beiden jedoch aneinander gewöhnt. Sie ließ ihm seine Bratwurstsemmeln, und er unterließ es gnädigerweise, auf ihrem Kälbchen-Poster die für den Verzehr geeigneten Fleischgebiete einzukreisen.

»Ich habe einen Auftrag für Sie und bin überzeugt davon, dass Sie der richtige Mann für diesen Job sind.« Der Chef hatte es sich auf der Schreibtischkante von Astrid gemütlich gemacht und strahlte Bülent mit breitem Lächeln an.

»Ok, um was geht’s? Welche Akten sollen wir uns diesmal vornehmen?«, fragte Bülent emotionslos.

»Nix Akten, zumindest noch nicht. Ich rede von einem echten Fall mit Leiche und allem Pipapo. Heute Morgen frisch reingekommen. Die Kollegen sind schon vor Ort und warten auf ihre Ablösung. Hab ich alles schon in die Wege geleitet.«

»Bitte was?«

»Sie haben mich schon richtig verstanden. Sie dürfen raus an die Front.«

Astrid jauchzte erfreut auf, verstummte aber sofort, als sie Bülents entsetztes Gesicht sah.

»Hören Sie, Herr Rambichler, ich weiß, dass Ihnen das nicht schmeckt, aber es ist Ihr verdammter Job, und ich kann Sie nicht länger hier vor Gott und der Welt verstecken.«

»Warum ich? Warum jetzt?« Fassungslos sah Bülent seinen Chef an. Der sprang behände von Astrids Tisch, ging zu seinem Untergebenen und klopfte ihm motivierend auf die Schulter.

»Weil Sie in diesem Fall tatsächlich die beste Besetzung sind. Die Tote stammt nämlich aus Ihrem Heimatdorf.«

Bülents Augen weiten sich. »Aus Strunzheim?« Nach kurzem Nachdenken aber lehnte er sich selbstzufrieden zurück. »Ja, wenn das so ist, dann muss ich den Fall leider wegen Befangenheit ablehnen.«

Was für ein genial gnadenloser Schachzug von ihm, gratulierte er sich noch selbst, da donnerte auch schon die Faust des Chefs auf seinen Schreibtisch.

»Einen Scheißdreck werden Sie. Sie fahren da hin, weil Sie wissen, wie die da draußen ticken, und wenn Sie das nicht tun, dann sorge ich höchstpersönlich dafür, dass Sie bis zu Ihrer Pensionierung bei der Bereitschaftspolizei Dienst schieben. Und ich verspreche Ihnen: Keine Neonazi-Demo und kein Hooligan getränktes Fußballspiel findet mehr ohne Sie statt, haben Sie mich verstanden?«

Astrid zog es vor, mucksmäuschenstill hinter ihrem Computer auszuharren und abzuwarten, was passieren würde. Bülent starrte einfach nur stur geradeaus.

»Herr Rambichler, ich weiß, dass Sie das können. Also, enttäuschen Sie mich nicht!«

Lange noch, nachdem Horst Köhl das Zimmer verlassen hatte, saß Bülent stumm da und starrte gegen die Wand, so als wollte er sie hypnotisieren. Plötzlich nahm seine empfindliche Nase eine Duftexplosion wahr, die ihm fast den Atem raubte.

»Gott verdammt, was ist das?«

»Sandelholz«, verkündete Astrid betont gelassen und fuchtelte dabei mit einem glimmenden Räucherstäbchen herum. »Vertreibt die schlechte Energie hier im Raum. Wirst sehen, gleich fühlst du dich besser.«

»Wann ich mich besser fühle, entscheide ich. Schließlich bin ich hier der Chef.«

»Pfff, Chef. Kaum bekommen wir mal einen echten Fall auf den Tisch, drehst du total durch. Ich bin mir sicher, wir schaffen das.«

»Das ist ja das Schlimme«, seufzte Bülent und erntete einen irritierten Blick von Astrid. »Versagen wir, lande ich in der Hölle. Sind wir erfolgreich, kommt die Hölle zu uns. Dann wird es hier nämlich bald von toten Leichen nur so wimmeln. Wie wir es auch machen, schön wird’s nicht. Verstehst?«

Astrid verstand natürlich mal so überhaupt rein gar nichts.

»Büli …«

»Sag halt nicht immer Büli zu mir«, unterbrach er sie und fuhr sich erschöpft mit der Hand durch sein Haar. Astrid richtete genervt ihre Augen gen Himmel.

»Also gut, Bülent. Dir ist schon klar, wo wir hier arbeiten, oder? MORDKOMMISSION – schon mal gehört?«

Bülent atmete hörbar genervt ein und aus, ersparte sich aber eine Antwort.

»Wieso bist du eigentlich schon so lange hier, wenn dir das alles nicht gefällt? Wieso bist du überhaupt hier?« Fragend sah sie ihn an.

Bülent zuckte mit den Schultern. »Hattest du schon mal einen türkischen Vater?«

Astrid lächelte, dann wurde sie ernst.

»Ich habe überhaupt keinen Vater mehr.«

»Das tut mir …«

»Schon gut, ist lange her. Ich verschwinde jetzt mal kurz an die frische Luft.« Astrid ging zur Tür. Doch bevor sie den Raum verließ, drehte sie sich noch einmal um. »Weißt du, es ist deine Sache, wenn du dich hier bis zur Pension unsichtbar durchmogeln willst, aber ich möchte das nicht. Ich will den Job machen, für den ich ausgebildet worden bin, und du bist verdammt noch mal dafür verantwortlich, dass ich ihn machen kann und dabei immer besser werde!« Eindringlich sah sie ihren Chef an. »Und wer weiß, je schneller ich immer besser werde, desto schneller bist du mich vielleicht auch wieder los und hast deine Ruhe«, vollendete Astrid ihr Plädoyer und lächelte Bülent dabei spitzbübisch an.

Nach einigen schweigsamen Augenblicken lächelte Bülent ergeben zurück.

»Ok, diesen einen Fall, danach lässt du mich in Ruhe. Und keine Räucherkerzen mehr, verstanden?«

KAPITEL 3 Heimweh ist’s, wenn’s daheim weh tut

Indien – nie wollte ich hin, jetzt stecke ich mittendrin, reimte Bülent im Stillen, nachdem ihm zum wiederholten Male der Holz-Ganesha vor die Linse baumelte, der zwischen lauter anderem asiatischen Krempel vom Rückspiegel hing. Astrids alter Lada Niva hatte wahrlich nichts mehr von der Derbheit, die diesen russischen Geländepanzer eigentlich ausmachen sollte. Ganz im Gegenteil, er kam eher daher wie die Reinkarnation einer äußerst farbenfrohen Rikscha, an deren Innerem und Äußerem fast schon inflationär mit Peace-Zeichen um sich geklebt worden war. Und dann dieser absonderliche Geruch, der aus den zerschlissenen Sitzpolstern strömte. Irgendeine herbe Mischung aus Chai-Tee und Katzenpisse.

»Ich weiß, es stinkt hier ein bisschen«, gab Astrid dann auch zu. Die angewiderte Mimik ihres Chefs war ihr wohl nicht entgangen. »Mir ist vor drei Wochen ein kleines Malheur passiert, außerdem war das früher das Auto eines Jägers. Aber nach ein paar Kilometern merkst du es nicht mehr, da gewöhnt sich dein Riechkolben dran. Versprochen.«

Astrid tippte sich zur Unterstreichung ihrer Worte an die Nase. Bülent kurbelte – ja, kurbelte – das Fenster hinunter und verfluchte im Geiste seinen schmerzenden Zeh. Wäre der nicht massiv deformiert, würde er jetzt selbst am Steuer seines herrlich nach Ledersitzen riechenden Dienstwagens hocken, statt sich von seiner Assistentin in deren Eso-Kübel durch die Gegend chauffieren zu lassen.

»Warum wolltest du eigentlich unbedingt mit deinem Auto fahren?«, fragte Bülent, weil es ihn tatsächlich interessierte.

»Ich fahre immer nur mit Achim, wenn ich schon fahren muss«, erklärte Astrid, als wäre es das Normalste der Welt, dass eine Sowjetkutsche Achim genannt wurde, beziehungsweise überhaupt benannt wurde. »Wir harmonisieren einfach wahnsinnig gut«, fügte sie dann noch hinzu und hielt Bülent einen tischtennisgroßen braunen Batzen unter die Nase, der nach Mottenkugeln roch. »Möchtest du auch ein Energiekügelchen? Schmecken echt lecker.«

Bülent erbat sich umgehend den Besuch eines Parkplatzes, und zwar zackig.

Nachdem sie diverse Rastplätze auf der Strecke konsultiert hatten, die Bülents Frischluftzufuhr sicherten, passierten sie endlich kurz vor dem Ein-Uhr-Läuten das Ortsschild von Strunzheim.

»Wow, das sieht ja alles gleich aus«, bemerkte Astrid, als sie an einem Neubaugebiet vorbeifuhren, welches vor nicht allzu langer Zeit noch Wald und Wiese gewesen war. Jetzt reihten sich hier Wand an Wand zahlreiche Einfamilienhäuser, deren Besitzer sich höchstens in der Farbwahl einen Funken Individualität bewahrt hatten.

»Das ist wie Nürnberg-Langwasser, nur ohne Hochhäuser. Aber genauso eng und zugebaut. Nur weil alle billig und schnell ein Haus mit Garten haben wollen, nehmen’s in Kauf, dass der Nachbar ihnen von seinem Balkon aus direkt in die Suppe spucken kann. Ich versteh das nicht«, grummelte Bülent mürrisch vor sich hin. »Mal abgesehen davon, dass es die Landschaft total verschandelt.«

Astrid deutete auf zwei kleine Mädchen, die in einem der Vorgärten quietschvergnügt auf einem überdimensionierten Trampolin auf und ab hüpften.

»Schau sie dir an, für die ist das hier das Paradies.«

Bülent schnaubte verächtlich. »Geh, das sind Kinder, die fühlen sich doch überall wohl. Denen ist doch wurscht, wo sie ihrem Ball hinterherrennen.«

Urplötzlich legte Astrid eine Vollbremsung hin, dass es Bülent glatt den gegelten Scheitel verzog.

»Du glaubst also wirklich, es ist Kindern egal, wo sie leben? Dann sag ich dir jetzt mal was: Mir war es nicht egal, dass ich die Sonne vor lauter Beton um mich herum kaum sehen konnte. Mir war es auch nicht egal, dass ich nie auf dem kleinen Rasenfetzen vor dem Haus spielen durfte, während der Kampfhund vom Hausmeister draufkacken konnte, wann immer er das Bedürfnis hatte. Und mir war es auch nicht egal, dass ich mir mit meiner Mutter und zwei Geschwistern eine trostlose kleine Einzimmerbude teilen musste, nur weil mein Herr Papa irgendwie mit der Nachbarin besser klarkam als mit der Verantwortung für seine Familie. Nichts davon war mir egal. Und auch wenn das für dich total geschmacklos klingt, für mich ist es immer noch ein Ort, der um vieles schöner ist als da, wo ich herkomme.«

Astrid holte tief Luft und strich sich eine Haarsträhne aus dem erhitzten Gesicht. Dann blickte sie schweigend zum Fenster hinaus.

Bülent stupste sie vorsichtig an. »Hey, wo kommst du denn eigentlich her?«

»Aus Nürnberg-Langwasser, du Vollpfosten.« Astrid grinste schon wieder ganz versöhnlich.

»Oh. Entschuldigung, das wusste ich nicht.«

Bülent schämte sich augenblicklich für seine unsensible Ader, die ihm vor allem im Umgang mit Frauen schon oft zum Verhängnis geworden war. Dabei stand nie wirklich eine böse Absicht dahinter. Er neigte einfach manchmal zu verbalen Fehltritten und stapfte fröhlich in jedes noch so kleine Fettnäpfchen. Das lag ihm irgendwie im Blut. Im Grunde war es ihm auch wurscht, was die Frauen von ihm hielten. Die meisten waren ihm ohnehin zu hysterisch. Nur mit Astrid, dem kleinen Friedensengel, wollte er es sich eigentlich gerade zum jetzigen Zeitpunkt nicht verscherzen. Schließlich sollte sie, wenn es nach ihm ging, den Löwenanteil der Ermittlungen übernehmen. Er musste also unbedingt wieder gut Wetter machen. Und am besten gleich damit anfangen.

»Sag mal, hast du noch so eine von den Dings … äh Energiekugeln?«

Astrid starrte ihn ungläubig an. »Bist du sicher?«

Bülent nickte und schickte ein schiefes Grinsen hinterher. Wenig später kaute er auf einer undefinierbaren Masse herum. Während er angestrengt darüber nachdachte, wie er heimlich seinen Mundraum von dem Batz befreien konnte, sah Astrid begeistert nach draußen.

»O Mann, das ist ja wirklich zauberhaft, Büli. Jetzt kann ich fast schon wieder verstehen, dass du dich über das Neubaugebiet so aufregst. Das passt ja wirklich gar nicht zum Rest.«

Und tatsächlich, je näher sie dem Dorfkern kamen, desto idyllischer wurde es. Alte Bauernhäuser mit prächtigen Gärten säumten die Straße, und hier und da saß tatsächlich eine Oma in Kittelschürze auf der Bank vor ihrem Häuschen und streckte die Nase in die Sonne. Ansonsten war jedoch reichlich wenig los.

»Ist das hier immer so still?«, wollte Astrid wissen.

»Wart’s ab, das ist nur die Ruhe vor dem Sturm«, raunte Bülent ahnungsvoll und sollte Recht behalten.

Nicht unweit vom Fundort der Leiche herrschten geradezu eventartige Zustände. Die Hauptstraße, die mitten durch das Dorf führte, war aufgrund der polizeilichen Ermittlungsarbeit für den Verkehr gesperrt worden, und man nutzte diese Gelegenheit für ein kleines spontanes Straßenfest. Die aufgestellten Bierbänke und Tische bogen sich unter zahlreichen Hintern und Maßkrügen. Es gab Bratwürste vom Grill und panierte Karpfennuggets aus heimischer Fischzucht. Außerdem hatten sich die Damen vom Landfrauenbund nicht lumpen lassen und ein ausladendes Kuchenbuffet auf die Beine gestellt. Dass noch kein hübsch geschmückter Kirchweihbaum aufgestellt worden war – wie üblich bei ländlichen Festivitäten –, lag wohl daran, dass die versammelten Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr mittlerweile eines geraden Ganges kaum mehr mächtig waren. Soweit man es beurteilen konnte, waren im Grunde alle mehr oder minder kräftigen Burschen des Dorfes sternhagelvoll. Die Mädchen im Übrigen auch. Die Stimmung war ausgelassen.

Bülent fühlte sich beim Anblick dieses Spektakels sofort in seine Jugend zurückkatapultiert. Auch er hatte ab seinem vierzehnten Lebensjahr so manchen Tag nicht mehr ganz geradeaus sehen und gehen können. Ab dem Zeitpunkt war er nämlich der katholischen Landjugend beigetreten, und die war alles, nur nicht ohne Sünde. Seine Mutter hatte damals nicht selten damit zu tun gehabt, die alkoholbedingten Kollateralschäden im Haus und rundherum zu beseitigen. Nach so einer Schneemaß2 speite es sich aber auch besonders leicht. Bülent musste lächeln, als er an die alten Zeiten zurückdachte. Mein Gott, was hatten er und sein bester Freund Franz doch für einen Unsinn getrieben. An Silvester Briefkästen gesprengt oder in den Goldfischteich des Bürgermeisters gepinkelt.

Bülent schwelgte in seinen Erinnerungen, doch ihm entging auch nicht, dass Astrid von dem bunten Treiben um sie herum weit weniger angetan war. Zumal ihr so manch ein betrunkener Kerl schon unmissverständlich zu verstehen gegeben hatte, dass er sie gerne mal so richtig durchmausen würde. Da störte es auch nicht, dass die Freundin daneben stand und Rotz und Wasser greinte ob dieses wenig gentlemanliken Verhaltens.

»Die sind ja wie die Wilden.« Leicht irritiert blickte Astrid sich um, während sie sich mit ihrem Chef durchs dörfliche Gewühl kämpfte.

Bülent entging dabei nicht, dass der ein oder andere Dörfler von seiner Maß aufsah, auf ihn deutete und hinter vorgehaltener Hand darüber spekulierte, ob das jetzt tatsächlich der verlorene Sohn vom Rambichler war oder nicht. Er konnte es direkt ahnen, was in den Köpfen der Leute vorging, die ihn jetzt so unverhohlen und nicht gerade wohlwollend musterten. Zum einen war es für sie wohl noch immer ein absolutes Unding, dass er es gewagt hatte, die Grenzen des Landkreises zu überschreiten, um sich schlussendlich in einer großen Stadt wie Nürnberg niederzulassen. Denn man war sich hier draußen schon einig darüber, dass ab zehntausend Einwohnern der körperliche wie soziale Verfall vorprogrammiert war. Und zum anderen, was sie sicherlich auch ganz fuchsig machte, überlegte Bülent weiter, war die Tatsache, dass er zur Miete wohnte, wo doch seine Eltern schon vor Jahren einen Bauplatz für ihn optioniert hatten. Tausend Quadratmeter Grund. Genug für Häuschen, Garten und Kinderschaukel. Ja, in ihren Augen war er wohl ein Landesverräter, der es zudem nicht mal für nötig hielt, sich der heiratswilligen Frauen des Dorfes anzunehmen.

»Öha, da schau her, der Ander, der hält sich bestimmt für was Besseres«, hörte Bülent dann auch die vollbusige Schneider Anni, eine von den Landfrauen, laut plärren, als er grußlos an ihr vorüberzog. »Dabei hab ich dem Erkan seinen Ableger schon als kleinen Bub gekannt, wie er immer mit seiner verpieselten Hosen dastand«, legte sie nach und gönnte sich ein weiteres Stück ihrer selbstgebackenen Biskuitrolle. »Eh ganz was Leichtes, ist ja nur Sahne drin«, erklärte sie jedem, der in der Nähe stand, mit vollem Mund und wippender Brust.

Der Hauptkommissar spürte die zahlreichen Blicke im Nacken, und wirklich wohl fühlte er sich dabei nicht. Ihm war nämlich durchaus bewusst, dass diese ganze seltsame Stimmung gegen ihn nicht von ungefähr kam. Die Männer in seinem Alter kämpften bei seinem Anblick gegen ihre Komplexe, und deren Frauen, sofern sie denn welche hatten, gegen ihre wallende Libido. Mutmaßte er zumindest. Nachdem es mehrere Jahre hintereinander seinetwegen zu kleineren bis mittelschweren Zerwürfnissen und haltlosen Eifersuchtsdramen in diversen Familien gekommen war, hatte seine Mutter beschlossen, ihm für seine alljährlichen Besuche am 24. Dezember einen dezenteren Dresscode – sprich einfache Jeans und Poloshirt – ans Herz zu legen, den er natürlich mitnichten befolgte. Er trug zu Christi Geburt, wie zu allen feierlichen Anlässen, einen seiner eleganten schwarzen Anzüge. Klar sah er darin verdammt gut aus, aber hallo, wenn schon »nur« Kriminaler, dann wenigstens einer mit Stil – da konnte seine Mutter noch so hantieren. Und auch wenn Maria jammerte und zürnte, natürlich platzte sie zeitgleich vor mütterlichem Stolz über ihren Jungen. Dennoch verbat sie ihm mittlerweile den Besuch des weihnachtlichen Gottesdienstes, um wenigstens gefühlt den heiligen Frieden des Herrn zu wahren. Bülent hatte es aufgegeben, ihr klarzumachen, dass er nicht im Geringsten an einer Frau aus Strunzheim interessiert sei.

»Das ist doch wurscht, was du willst, sobald nur eine von diesen gämsigen Weibern Witterung aufgenommen hat, ist der Teufel los«, bekam er jedes Mal zur Antwort.

Als er jetzt so über die Bankreihen blickte, da musste er an ihre Worte denken und befürchtete, dass seine Mutter durchaus Recht hatte mit ihren dunklen Vorahnungen. Unweit von ihm saß nämlich die Krätz Evi, eine blonde, dralle Mittvierzigerin, die schon während seiner Schulzeit hinter ihm her gewesen war und ihm nun keck zuwinkte. Dabei thronte direkt neben ihr der Heinzi, ihr voluminöser, haarloser Autoschrauber-Ehemann, der sich gerade genüsslich Ketchup von den ölverschmierten, wiederum behaarten Pranken leckte. Bülent schüttelte es. Rasch zwang er sich weiterzugehen. Er schien also nicht nur im Anzug auf die Frauen zu wirken, sondern auch in lässigen Chinos und tailliertem Hemd. Gut, Letzteres betonte durchaus seinen muskulösen Oberkörper, aber er konnte sich ja nicht in Sackleinen kleiden. Hatte er sich verguckt, oder leckte sich die rotwangige Frau vom Bäcker gerade die dicken Lippen, als er an ihr vorbeilief?

Verdammt noch mal, worauf hatte er sich da nur eingelassen? Er wusste doch genau, wie es hier draußen zuging. Vermeintliche Fehler wurden schnell entdeckt, und ehe man sich’s versah, versank man in einem Morast aus Lästerei und Verleumdung. Und was das Schlimmste daran war: Die gesamte Sippe wurde unweigerlich mit in den Abgrund gerissen. Bülent stöhnte resigniert und stolperte fast über das polizeiliche Absperrband, das die Staatsmacht vor dem privaten Pöbel schützen sollte.

»Da, schau ihn an, den Kriminaler, recht standfest scheint er ja nicht zu sein. Hoffentlich läuft es im Schlafzimmer besser für ihn.« Der Witzbold, ein junger Bursche in Feuerwehrkluft, hatte natürlich mit dieser Aussage die Lacher auf seiner Seite, während Bülents Ohren vor Scham glühten.

»Was zum Teufel tun all diese Menschen hier?«, fragte Astrid, während sie wie ein junges Reh über die Absperrung hüpfte und so tat, als hätte sie die Bemerkung nicht gehört.

Bülent folgte ihr dank seines lädierten Fußes weitaus weniger elegant.