Bülent Rambichler und der störrische Karpfen - Anja Bogner - E-Book

Bülent Rambichler und der störrische Karpfen E-Book

Anja Bogner

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Beschreibung

Trotz fantastischer Aufklärungsquote (ein Mord, eine Aufklärung) wünscht sich Hauptkommissar Bülent Rambichler nichts weiter, als bis zur Pension hinter seinem geliebten Schreibtisch in Deckung zu bleiben. Allerdings hat er die Rechnung ohne seinen Chef gemacht: Der befördert ihn zum Leiter der neu gegründeten Spezialeinheit „Landfrieden“, und Bülent findet sich - freilich total wider Willen - erneut in seinem Heimatdorf wieder. Ein Mord in höchsten Strunzheimer Politkreisen hat die Gemeinde erschüttert: „Bubblers Schorsch“, zweiter Bürgermeister und Fischerkönig, ist mausetot in einem Fischkasten am Weiher gefunden worden. Den letzten Streit mit ihm hatte kein Geringer als Erkan Rambichler, Bülents Vater und frisch berufener Gemeinderat ...

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Zum Buch

Trotz fantastischer Aufklärungsquote (ein Mord, eine Aufklärung) wünscht sich Hauptkommissar Bülent Rambichler nichts weiter, als bis zur Pension hinter seinem geliebten Schreibtisch in Deckung zu bleiben. Allerdings hat er die Rechnung ohne seinen Chef gemacht: Der befördert ihn zum Leiter der neu gegründeten Spezialeinheit »Landfrieden«, und Bülent findet sich – freilich total wider Willen – erneut in seinem Heimatdorf wieder. Ein Mord in höchsten Strunzheimer Politkreisen hat die Gemeinde erschüttert: »Bubblers Schorsch«, zweiter Bürgermeister und Fischerkönig, ist mausetot in einem Fischkasten am Weiher gefunden worden. Den letzten Streit mit ihm hatte kein Geringer als Erkan Rambichler, Bülents Vater und frisch berufener Gemeinderat …

Zur Autorin

Nachdem sich Anja Bogner anhören musste: »Du kannst besser schreiben als küssen« entschloss sie sich konsequenterweise dazu, Texterin und Drehbuchautorin zu werden. Nach Stationen in Hamburg und Nürnberg lebt sie nun mit ihrer Familie in der Nähe von München und tut das, was sie am besten kann: schreiben.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Originalausgabe Dezember 2019

© btb Verlag in der Verlagsgruppe Random House, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: semper smile, München

Umschlagmotiv: © Shutterstock/Maglara; Keith Publicover; Naypong Studio; Oleksandr Lytvynenko; Tuzemka

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

SK · Herstellung: sc

ISBN 978-3-641-19460-4V001www.btb-verlag.de

www.facebook.com/btbverlag

Für Alexander

Des hier ist freilich bloß ein Roman. Heißt, sämtliche Romanfiguren, Handlungen und Schauplätze sind völlig frei erfunden. Und klar gibts Namen, die gibts halt, und darum gibts die auch in diesem Buch. Aber des, was die Romanfiguren tun, oder des, was sie sagen oder treiben ist alles reine Erfindung. Solltest du jetzt, lieber Leser, trotzdem meinen: Allmächd, des könnt doch der Dings sein oder des Maadla von denen oder oder oder …? Dann hau dir selbst anerkennend auf die Schultern für deine rege Phantasie, aber denk immer daran: Nix ist wahr – alles nur ausgedacht!

PROLOG

Er hatte sein Werk vollendet. Schön war es freilich nicht geworden. So wie sein Leben eben – absolut dilettantisch. Vom Geburtskanal direkt mit Vollgas rauf auf die Verliererstraße. Aber immerhin – dort war er allerweil auf der Überholspur. Auf seiner linken Hand klebte ein wenig Blut. Nicht viel. Ganz so, als hätte er sich geschnitten. Aber das hatte er natürlich nicht. Das Blut stammte von ihm, dem zweiten tragischen Verlierer dieser Geschichte. Nichts von dem, was geschehen war, hatte er geplant. Doch für einen kleinen, miesen Moment hatte es sich tatsächlich gut angefühlt. Geteiltes Leid ist halbes Leid – so hieß es doch. Und er hatte viel zu teilen. Enttäuschung, Verlust, Schmerz, Verzweiflung. Sein ganzes armseliges Dasein hatte sich für einen kurzen windigen Augenblick in den Augen des anderen widergespiegelt. Groß vor Entsetzen und Angst hatten sie ihn angestarrt. Er wusste, dass ihn dieser Blick bis in seine tiefsten Träume verfolgen würde. Das Schicksal war nun mal eine Drecksau und sowas wie ein Happy End für ihn nicht vorgesehen. Eine einzige stumme, selbstmitleidige Träne fand ihren Weg über seine Wange hinab ins grüne Gras und schwappte seine Sehnsüchte und Wünsche für alle Ewigkeit mit fort. Er hatte sich für einen neuen Weg entschieden, und er wusste, dass ihn dieser direkt in die Hölle führen würde.

KAPITEL 1 Die fränkische Po-Ebene

»No woman, no cry – ka, Weiber, ka G’schrei!«, tönte es dreistimmig in die Herrgottsfrühe-Stille hinein. Es war schon ein äußerst kurioses Gespann, das da pünktlich zur Morgendämmerung auf einem schwer definierbaren, psychedelisch eingefärbten Gefährt mit Wimpeln durch Strunzheim zuckelte. Der Geiger Franz auf seiner Flunzn, einer Schwalbe aus Ostbeständen, und hinten drangenagelt ein ausgedienter Zwillingskinderwagen, der genau die richtige Größe hatte, um zwei eineiige über 80-jährige Schwestern in Hobbitgröße komfortabel zu transportieren. Eine fränkische Rikscha halt. Die Walder-Zwillinge Erna und Traudl saßen jedenfalls hinten drin wie die Queen in doppelter Ausführung, und so manch einem Hahn, der sich gerade aus den Federn quälte, blieb glatt die Spucke weg, bei diesem absonderlichen Anblick. Generell war man im Dorf eh aufs Äußerste verwundert über diese merkwürdige Combo aus alt und halb so alt, die sich da gefunden hatte und fast schon kommunenartig zusammenhing. Sogar seit kurzem im Geigerischen Anwesen zusammenwohnte. Nicht selten wurde Franz hinter vorgehaltener Hand als der Rainer Langhans aus Franken betitelt, der sich ganz klar erbschleichermäßig bei den Walders einschleimte. Warum auch sonst sollte man sich mit diesen zwei allerweil recht zundigen Biestgurken einlassen, wenn nicht zwecks der Kohle. Franz war das ganze Gerede um seine Person wurscht. Spätestens in ein paar Wochen würden sich neue Opfer finden, über die sich die dörfliche Inquisition hermachen würde. Bis dahin hieß es einfach Augen zu und durch. Das hatte ihm schon seine selige Mutter beigebracht, und er war schon immer gut damit gefahren. Und momentan fuhr er eben die Walders, wie jeden Samstagmorgen zu ihrer – nennen wir es mal – medizinischen Anwendung ohne Rezept.

»Etz Dampfer, gib halt Gummi, die Brüh kocht ja, bis mir da sind!«, plärrte es ungeduldig gegen sein Rückgrat. Er grinste. Jeden Tag das gleiche Theater. Und dann noch dieser Spitzname – Dampfer, so ganz hatte er sich noch nicht daran gewöhnt. Seit er aber halt nicht mehr soff, sondern nur noch hin und wieder einen starken Dübel durchzog und zudem noch eine Eins-A-Pflanzenzucht hatte, war er nach der allgemeinen Strunzheimer Meinung eben kein Suff mehr, sondern ein Dampfer. Da waren sie konsequent, seine lieben Mitbürger. Freilich hätte man ihn auch ganz einfach Franz nennen können oder Geiger, aber wer wollte sich darüber schon den Kopf zerbrechen. Wo der doch grad jetzt mal wieder in so einen wunderbar bewusstseinserweiternden Nebel gehüllt war.

»Wennst so weiterschleichst, dann können mir mit unseren Krampfadern bald einen Pullover stricken, weil sich die vermehren wie die Fliegen«, frotzelte Erna aufs Neue auf ihn ein.

»Und du, wenn du weiter so keifst, kannst deine Kekse in Zukunft mit Sauerampfer backen«, konterte Franz schlagfertig und erntete ein meckerndes zweistimmiges Lachen.

Ja, sie hatten sich schon irgendwie gern, die drei. Franz war der Einzige, der so mit den beiden Walders reden durfte. Jeder andere hätte längst eine deftige Watschn kassiert. Lag wahrscheinlich schon auch daran, dass Erna und Traudl noch das schlechte Gewissen plagte, zwecks des unsäglichen Spektakels im letzten Sommer. Da stand er tagelang unter Generalverdacht, die Gelbwurschtpflunzn heimtückisch dermeuchelt zu haben. Vor allem die Walders hatten nichts unversucht gelassen, ihm diese Tat nachzuweisen. Das kam natürlich nicht von ungefähr. Er war in jenen schweren Zeiten ein ziemlich derhauter Kerl gewesen.

Jeden Tag am Promilletropf, und wenn nicht aggressiv verkatert, dann besoffen bis unter den Kragen. Da konnte man schon mal Böses vermuten. Und Erna war von jeher schnell dabei, den moralischen Zeigefinger zu heben. Nicht einmal vor Selbstjustiz scheute sie zurück. Noch heute erinnerte ihn die Narbe an seinem linken Bein schmerzhaft daran, wie ihn die Alte mit ihrer 73er-Opel-Kadett-Schleuder von der Flunzn katapultiert hatte. Mit voller Absicht – eh klar. Aber der Fall wurde ja dann Gott sei Dank rasch aufgeklärt von seinem alten Kumpel, dem Rambichler Bülent, der sich seitdem auch nicht mehr blicken hat lassen, die feige Sau.

Schiss hat er vor der Erna, da war sich Franz sicher. Weil er ihr ihr Auto samt Fahrerlaubnis für immer entzogen hatte, der Depp. Dabei hatte sie eh schon lang gar keinen Führerschein mehr gehabt und ist immer schwarzgefahren. Er hätte halt einfach bloß seine Augen vor der Realität verschließen müssen. Hat er aber nicht, und so war er jetzt Staatsfeind Nr. 1 und zum walderschen Abschuss freigegeben. Aber was sollt schon passieren. Erna hatte zwar gedroht den Rambichler, den aufgestellten Mausdreck, ungespitzt in den Boden neizuhauen, sollte er ihr noch einmal unter die Augen treten, aber er und vor allem sein besonderes Kraut waren ja auch noch da. Nach einer starken Friedenspfeife sah die Welt schon ganz anders aus. So war es auch zwischen ihm und den Zwillingen gelaufen. Fett in Dampf gehüllt, den Bob Marley im Ohr, hatten sie sich nach der Aufklärung der ganzen Mordsgeschichte ewige Freundschaft geschworen. Man war sich ja im Grunde auch recht ähnlich im Herzen. Stets auf Revolution aus und grundsätzlich gegen alles, was die örtliche und sogar die staatsmächtige Ordnung so vorsah. Die drei schwebten jedenfalls auf einer gemeinsamen Wolke dahin, und wenns nach der Traudl ging, würde wahrscheinlich sogar noch ein bisschen mehr für Franz drin sein.

Ständig faselte die liebestolle Alte etwas von der Klum, dass die sich ja auch gar nichts scheißen würde und völlig hemmungslos mit so einem Teenagerbub herumhantierte.

»Des darf man heut alles nicht mehr so eng sehen«, resümierte sie liebestaumelig ein ums andere Mal, während sie, sooft sich die Gelegenheit bot, imaginäre Fussel von seinem Hintern kratzte.

»Ach ja«, seufzte Franz zufrieden. Das Leben war schon irgendwie recht schön, vor allem, wenn man es zu leben wusste. Rasant bog er jetzt in einen kleinen Feldweg ab, der zu den Dorfweihern führte. Die Zwillinge wurden dabei schon arg durchgeschüttelt und kreischten vor Vergnügen. Auch beim Abbremsen ließ der Geiger keine Gnade walten, und den Alten verzog es glatt ein wenig die blasslila Dauerwelle. »Meine Damen, willkommen im Wellnessparadies Strunzheim«, säuselte er und hielt den beiden galant die Hand hin, um beim Aussteigen behilflich zu sein.

»Du bist mir schon so ein Lumpersler.« Erna lächelte ihn liebevoll an und kniff ihn in die Wange. »Aber etz tust gefälligst dei Griffel weg, weil sonst batschts. Ich brauch doch noch keinen Zivi, der ständig an mir rumkoordiniert.« Zum Beweis ihrer allgegenwärtigen Fitness krabbelte sie rücklings aus dem Wagen, wobei sich der Stoff ihres türkisfarbenen Frotteejoggers schon arg strecken musste, um bei ihren äußerst ausladenden hinteren Regionen noch alles beinanderzuhalten.

»Geh Erna, der wollte doch nur ein Gentleman sei, gell, Dampfer?« Traudl hielt Franz geziert die Hand hin und bedachte ihn mit einem Augenaufschlag der Sündiges vermuten ließ.

»Traudl, etz spinn di aus und kumm endlich. Langsam wird’s Zeit, dass mir unsere Füß ins Wasser bringen, bevor noch so ein Petri-Bruder daherkommt und bled daherred«, fuhr Erna ihre Schwester an, die daraufhin schmollend gen Weiher hinterherstapfte.

»Ich wart dann hier auf euch«, rief Franz ihnen hinterher und drehte sich genüsslich sein zweites Frühstück. »Passt aber fei auf, dass ihr mir ned dersauft.«

Erna hob drohend ihren Zeigefinger. »Du, gell, ned frech werden Bürschler. Wir sind ja nicht zum Tauchen da, sondern zum Kneippen.« Und so einfach wie effizient war das dann auch tatsächlich. In Ermangelung einer Strunzheimer Kneippanlage hatten die Zwillinge nämlich kurzerhand für sich entschieden, dass es auch anders ging. Und seitdem badeten sie ihre krampfaderdurchzogenen Glieder zwar selten in Unschuld, aber dafür in den Fischkästen, in denen sich zahlreiche Karpfen und Forellen tummelten. Weil es sich halt zwecks der Temperatur so gut ausging und so schön kitzelte. Der durchaus berechtigte Protest der Fischer, ging ihnen dabei gänzlich am Allerwertesten vorbei.

»Denen haben’s doch ins Hirn g’schissen, diesen Wurmschubsern«, lautete Ernas einziger Kommentar dazu, wenn man sie mal wieder freundlich dazu aufforderte, doch bitte ihre gichtigen Haxn wo anders neizuhalten. Sonst würden am End noch die Fisch schwerst traumatisiert daherkommen. Und so ein Viech mit Hirnschaden frisst doch keiner mehr. Hatte man doch damals schon am Rinderwahnsinn gesehen. Ein durchaus schlüssiges Argument, aber für die Walders kein Grund, sich in ihrem körperkultigen Treiben aufhalten zu lassen.

»Du, Erna, schau mal, was hängt denn da aus unserem Kasten raus? Ist des, ja, was ist denn des?« Traudl blieb abrupt stehen und umklammerte, nichts Gutes ahnend, den Arm ihrer Schwester. Erna zwickte die Augen zusammen, um besser sehen zu können, und bei dem, was sie sah, schwoll ihr dann auch augenblicklich der Kamm.

»Ja so ein Saubär«, zürnte sie. »Dem werd ich jetzt aber was verzählen, Traudl lass mich los.«

Doch die Jüngere der beiden dachte gar nicht daran, den Schraubstock zu lockern. »Du, am End ist des so ein Perverser, der es auf uns abgesehen hat. Gibt ja so viele wilde Leut heutzutage, erst gestern hab ich wieder in der Zeitung …«

Ihr Zwilling schnitt ihr mit einer Handbewegung das Wort ab. »Ist mir egal, was du gelesen hast. Ich geh da etz hin, und dann schlägt’s dreizehn, des garantier ich dir. So geht’s nämlich auch nicht.« Im Endeffekt schlug es dann freilich gar nichts mehr. Weil, was will man einem Toten schon sagen. Und dass der Kerl, der da nackert bis auf die Wurscht und kopfüber im Fischkasten hing, nur seine Haferlschuh samt Trachtensocken an den Füßen, nicht mehr lebendig war, sah man auf den ersten Blick. Fast schon andächtig standen die Zwillinge und Franz, den Erna mit einem lauten Brüller aus seiner persönlichen Komfortzone gerissen hatte, neben der Leiche und betrachteten sie. Man war ja mittlerweile Leute, die irgendwo im Dorf unlebendig herumlagen, gewohnt, demzufolge hielt sich der Schock bei allen ihn Grenzen. Schlussendlich waren die drei auch gleich dahintergekommen, wer da so völlig schamlos herumhing. Schließlich gab es nur einen solariumverbruzzelten Adonis in ganz Strunzheim.

»Dass es jetzt ausgerechnet den Bubblers Schorsch derwischt hat.« Erna kratzte sich nachdenklich am Kopf.

»Ja ausgerechnet«, wiederholte Traudl. »Der war doch noch keine fünfzig ned.« Ihrem Tonfall war zu entnehmen, dass sie es jetzt schon arg schad fand, dass der liebe Gott so ein schönes Exemplar von einem Mannsbild von der Weide und somit aus ihrem Blickfeld pflücken musste. Der Bubbler Schorsch alias Georg Gmeinwieser war aber auch eine kleine Berühmtheit im Ort.

Als Zweiter Bürgermeister in dritter Generation – nie Erster, weil ganz zum Deppen wollte man sich dann doch nicht machen – und Chef der größten Gärtnerei im Landkreis war er allgegenwärtig und tatsächlich so etwas wie beliebt. Vor allem, weil er gerne mal höchst spendabel einen kostenlosen Rausch finanzierte. Für Franz war es einfach ein gewiefter Depp, der das Glück hatte, aus der richtigen Familie zu stammen, und seinen wenig schmeichelhaften Spitznamen nicht von ungefähr hatte. Weil er halt als Kind allerweil die Finger tief in seiner Nasen vergraben hatte und, pfui Teufel, alles gefressen hatte, was die Höhle so hergab. Schlimmer noch, sich sogar Vorräte für schlechte Zeiten unter seiner Schulbank zusammengewutzelt hatte. Kurzum: ein damischer Kerl, der sich als eloquenter Mann des Volkes verkaufte und es gekonnt um den Finger wickelte. Ein Blender vor dem Herrn halt. Leider stand Franz mit dieser Meinung ziemlich alleine da. Oder auch nicht, dachte er jetzt bei sich, weil zumindest einer musste in Ansätzen auch massiv etwas gegen den Bubblers Schorsch gehabt haben. Nämlich derjenige welcher, der seine Meinung auch noch für alle sichtbar und für alle Zeiten auf dem durchaus sehr knackigen Po des Toten hinterlassen hatte. Da stand nämlich, tief in die Haut eingeritzt und in großen, unschmeichelhaften Lettern einfach nur: ARSCH! Jetzt nicht unbedingt ein graphisches Meisterwerk, aber Traudl war trotzdem schwer angetan.

»Gib mir doch mal des Wischkästle1 rüber, Erna, damit ich ein Foto machen kann. Des schaut so, wie soll ich sagen, ja so künstlerisch aus.« Begeistert schoss Traudl gleich mal die Röte quer übers Gesicht bis unter die Haarwurzeln. Erna betrachtete ihre Schwester so, wie man halt jemanden anschaut, den man für ein wenig g’schubst hielt.

»Und was willst dann mit dem Bild machen, ins Wohnzimmer nebens Kruzifix hängen?«, presste sie hervor.

Aus Traudls nachdenklicher Miene zu schließen, schien sie diese Möglichkeit tatsächlich in Betracht zu ziehen. »Also ich glaub fast, ihr zwei habt’s ein Abo auf nackerte Tote«, grätschte Franz versucht humorvoll dazwischen, um einen schwesterlichen Eklat zu verhindern. Und Recht hatte er schon irgendwie, denn auch beim letzten Kriminalfall waren die Zwillinge diejenigen welche, die das ebenfalls unbekleidete Opfer zuerst entdeckt hatten.

»Denkt ihr, des war Mord?« Mit großen Augen blickte Traudl in die Runde. »Etz grad wenn Kärwa ist?!« Sie schüttelte den Kopf. »Da tut doch sowas keiner.« Traudls Logik, wie immer bahnbrechend.

»Ja was meinst denn du, dass der da freiwillig drinliegt, weil er so gern die Fisch beobachtet«, barschte Erna ihre Schwester an. »Freilich hat den jemand abg’murkst.«

Sie sah sinnierend gen Himmel. »Und ich würd ja schon gern wissen, wer.« Man konnte es direkt am Blitzen ihrer listigen Äuglein erkennen, dass der Walderin das alles schon irgendwie einen rechten Spaß machte.

»Wir werden schön unsere Finger aus der G’schicht lassen, ist des klar?« Franz fokussierte Erna mit scharfem Blick. »Noch so einen Ärger wie letztes Jahr derpack ich ned. Ich will einfach meine Ruh haben«, erklärte er weiter. Traudl nickte verständnisvoll.

»Bub des versteh ich sehr gut, mir war das alles auch zu viel. Dann gehen mir halt etz, gell, und tun so, als hätten wir nix gesehen.«

Erna schnaubte verächtlich. »Wunderbar, Traudl. Als ob du nur fünf Minuten deine Goschen halten könntest. Spätestens in einer Stund wüsst es doch dank dir eh ein jeder Hund.« Sie schüttelte den Kopf. »Mir kommen aus der Sach nemmer raus, ob du willst oder nicht, Dampfer.«

Wohl oder übel musste Franz ihr Recht geben. Im Grunde steckten sie schon wieder mittendrin im feinsten Debakel, denn das Ganze sah jetzt wirklich nicht direkt nach einem simplen Badeunfall aus.

So ein Mord in den höchsten Politkreisen konnte so ein Dorf sicherlich binnen Sekunden komplett aus der Fassung bringen. Zumal gerade die Strunzheimer nicht gerade bekannt dafür waren, Dinge mit Abstand und Vernunft zu betrachten. Wer wusste also schon, was das dann wieder für weitreichende Folgen hatte, auch für ihn.

»Der Bülent muss her!«, schlussfolgerte Franz daher entschlossen.

»Waaas?!«, fauchte Erna ihn an. »Die unverschämte Kanalratz willst du wieder herholen? Also nur über mei Leich!«

Bockig wandte sie ihm den Rücken zu.

»Wenn du des machst, Dampfer, dann wars das mit unserer Freundschaft«, mumpfelte sie noch hinterher.

»Geh, Erna«, zirpte Franz sich an sie heran. »Zwischen uns zwei passt doch kein Paper nicht.«

»Uns drei«, eifersüchtelte Traudl gleich noch mit rein.

»Eh klar.« Franz wusste, dass einfache Argumente hier nicht mehr weiterhalfen. Er packte daher sein gut abgehangenes 2018er Kraut vom Südbalkon aus und bastelte in aller Eile ein schönes Tüterl. »Glaubts mir, des ist des Beste, wenn der Bülent die Ermittlungen leitet. Auch für uns.«

»Warum?!«, kam es unisono und spontan aus den Zwillingsmündern.

»Na, wer weiß, was die uns sonst für einen scharfen Hund schicken würden. Der nimmt am End dann das ganze Dorf auseinander, und ihr wisst dann schon, was das für unsere Plantagen bedeuten würde.« Franz ließ seine Worte kurz wirken, bevor er weitersprach. »Beim Bülent können mir uns sicher sein, dass der seine Nase nicht überall neistecken will, dafür ist der nämlich viel zu bequem.« Und außerdem dübelt er selber gern, vollendete Franz in Gedanken seinen Satz.

»Allmächd, ist das alles wieder eine Aufregung.« Traudl war bei den geigerischen Worten ganz blass um die Nase geworden. Sicherlich sah sie sich schon mit einem Bein im Knast.

Erna mimte freilich noch immer die Coole. Aber Franz wusste, die Saat war gesät. Zufrieden nahm er einen tiefen Zug vom Kifferstängel und blies den Rauch pfeilgrad in ihre Richtung. Wirkte freilich sofort. Genüsslich schnuppernd streckte sie ihm die Nase entgegen und griff wie selbstverständlich nach dem Haschkolben. Franz zog schnell seine Hand zurück und hielt seinen Arm mit dem begehrten Dampf in die Luft.

»Bist dabei?« Die alte Walderin schüttelte den Kopf und hupfte wilde Verwünschungen fluchend noch ein paar Mal wie ein aufgekratzter Terrier vor ihm herum, erkannte aber schon bald die Sinnlosigkeit ihres Treibens. Als sie halbwegs wieder richtig schnaufen konnte, tippte sie Franz gegen die Brust. »Aber eins schwör ich dir, seis drum, Fotzn kriegt er trotzdem noch, zwecks der Haderlumperei mit meiner Fahrerlaubnis und meinem Auto. Und du hältst dich da brav raus. Des ist nämlich meine Angelegenheit. Ham mir uns?« »Logisch«, lenkte Franz nun seinerseits friedfertig ein und reichte Erna das Pfeiferl, woraufhin sie sofort selig dran zuzzelte. Ihr Schwesterherz ganz klar auch schon etwa ungeduldig neben ihr herzappelnd.

»Ich will auch. Ich will auch«, quengelte sie in bester Kleinkindmanier, während Franz seinen Gedanken nachhing. »Etz ruf ihn halt schon an, den Hundling, bevor die Fisch am End gar nichts mehr vom Kadaver übrig lassen«, unterbrach Erna seine schöpferische Pause.

Franz schüttelte den Kopf. »Naaa, des mach ich bestimmt nicht auf dem direkten Weg. Da müssen mir jetzt ganz schlau vorgehen. Kennst ihn doch, den Bülent, der wenn bloß Heimatluft schnuppert, macht er sich schon in die Hosen.« Er kramte sein Handy aus der Tasche. »Da müssen mir absolut taktisch vorgehen. Jeder Schritt muss jetzt exakt geplant sein. Von hinten durchs Bein, verstehts?« Die Zwillinge nickten zeitgleich und mittlerweile breit grinsend.

Was so viel hieß, dass sie eigentlich gar nix mehr verstanden. Aber Franz wusste haargenau, was zu tun war. Und tat es dann auch, ohne zu ahnen, was er da am End wirklich lostrat.

1 Handy.

KAPITEL 2 Akrabanın akrabaya g akrep etmez 2

Hauptkommissar Bülent Rambichler, der sich gerade noch einmal in seinem Bett um die eigene Achse drehen wollte, wurde just in diesem Moment von seinem wild bebenden Privathandy aus seinen Wochenendträumen gerissen. Das dienstliche hatte er am Vorabend wie immer ins Gemüsefach seines Kühlschrankes gelegt. Vorsorglich, da konnte es dann im Fall der Fälle erst einmal den Broccoli anplärren. Mühsam öffnete er die Augen und riskierte einen Blick aufs Display. Der Anblick überraschte ihn. Was wollte seine Mutter um diese unchristliche Uhrzeit von ihm? Es war noch nicht einmal sieben und außerdem sein dienstfreier Samstag. Maria wusste doch, dass ihm sein Schlaf heilig war und er absolut keinen Bock auf unter dem Deckmantel mütterlicher Fürsorge getätigte Kontrollanrufe hatte. Dieses aufdringliche Verhalten war eigentlich komplett untypisch für die sonst so umsichtige und besonnene Frau, die man auch sein musste, wenn man mit Erkan, seinem immer recht umtriebigen und dabei äußerst eigenwilligen Vater, verheiratet war. Zu allem Überfluss wurde sein Erzeuger im letzten Jahr als erster Türke in der Geschichte seines Heimatdorfes in den Gemeinderat beordert und größenwahnt seitdem durch die Straßen von Strunzheim. Was für Bülent faktisch ein Grund mehr war, sich heimatlich rarzumachen. Zumal ihm der Gelbwurschtpflunznfall vom letzten Sommer noch arg in den Knochen hing. Vor allem die zweifelhafte Ehre, die ihm nach Aufklärung desselbigen von seinem Chef Horst Köhl zuteilwurde, zerrte täglich an seiner Laune. »Leiter der Spezialeinheit ›Landfrieden‹« – hat man so einen Schmarrn schon mal gehört. Gott sei Dank war bis dato alles ruhig geblieben in der Pampa, und Bülent klebte mehr denn je auf seinem Bürostuhl.

Stets darauf bedacht, um jede Leiche einen großen Bogen zu machen und lieber der Aktenschubser zu bleiben. Sehr zum Verdruss seiner Assistentin Sunshinchen alias Astrid Weber. Wenn es nach diesem übermotivierten Persönchen ginge, würden sie jeden Tag an den grausigsten Orten rumermitteln und sich mit dem menschlichen Dunkel auseinandersetzen. Wahrscheinlich hielt sie es eh nicht mehr lang bei ihm aus, so mordlustig wie die war. Was jetzt ganz persönlich schon wieder arg schad wär. So rein optisch zwischenmenschlich. Ja, die war schon ein richtiges Brett. Ein heißes Vögerl mit einem durchaus nicht uncharmanten, aber ausgeprägten Vogel, wie Bülent fand. Astrid war nämlich nicht nur militante Veganerin, sondern packte auch überall, wo es ging, ihre Yogamatte samt Räucherkerzen aus. Von den massiven Globulivorkommen in ihrer Schreibtischschublade gar nicht erst zu sprechen. Für einen echten Kerl also eine echte Herausforderung. Aber auch wenn der Rambichler sie wirklich sehr gernhatte – wegen einer Frau Dinge tun, die es seines Erachtens nicht braucht, so weit kams noch. Und so handhabte er es auch jetzt. Bülent zerrte seine Schlafmaske wieder über die Augen und beschloss sich erst einmal in gesunder Ignoranz zu üben. Das ging freilich nicht so einfach, wie er sich das gedacht hatte. Er war wach, und sein schlechtes Gewissen auch. Es war halt schon arg seltsam, dass seine Mutter so dermaßen penetrant durchklingelte. So ein unsensibles Verhalten kannte er normalerweise nur von seinem Vater. Vielleicht war es doch besser, mal kurz die Lauscher zu öffnen. Auf Durchzug konnte er sie dann ja immer noch schalten, dachte er, und ging an sein Handy, das immer noch auf seinem Nachttisch vor sich hin rumorte.

»Bub, du musst sofort herkommen«, hektelte seine Mutter aufgeregt und grußlos in die Muschel hinein.

»Ähm, Mama, dir auch einen schönen guten Morgen. Dürfte ich vielleicht erst mal erfahren, was los ist?« Er gähnte demonstrativ laut und wollte es ja eigentlich gar nicht wissen.

»Frag ned so viel, Bub. Schick di lieber. Ich erklär dir alles, wennst nachad da bist. Also, komm, beweg di.«

Ein Feldwebel bei der Bundeswehr war ein Lämmchen dagegen. In so einem herrischen Ton hatte Maria noch nie mit ihm gesprochen. Schlagartig fühlte er sich wie ein kleiner Junge, dem gerade gesagt wurde – fränkisch-herzlich freilich – dass in die Hose pieseln einfach keine Option mehr war. Aber so ließ er wirklich nicht mit sich umspringen. Das konnte sie sich wirklich abschminken, dass er sofort sprang, wenn sie rief. Hallo, mit über 40 hatte man doch wohl ein Recht auf ein bisschen elternabstinente Privatsphäre.

Bevor er überhaupt einen Fuß vor die Wohnung setzen konnte, musste er erst einmal ein wenig Körperpflege betreiben. Ein kleines Peeling vielleicht oder eine Feuchtigkeitsmaske, sinnierte er hoffnungsfroh in Gedanken, als seine Mutter, inzwischen extrem ungehalten, in sein Ohr fauchte: »Und, dass du jetzt fei nicht erst noch an dir rumschrubbst, gell?! Schmier dir a Nivea ins G’sicht und dann her mit dir. Hier brennt die Hüttn.«

Und dann hatte sie die Verbindung auch schon wieder unterbrochen.

Wofür hatte man eigentlich ein eigenes Hamam in der Wohnung, wenn es am Ende doch nur auf eine Katzenwäsche hinauslief? Bülent war sauer, aber irgendeine innere Stimme sagte ihm, dass vehemente Gegenreaktionen jetzt auch nicht wirklich angebracht waren. Immerhin hatte er seine Eltern schon seit Monaten nicht besucht, da konnte es durchaus sein, dass Maria plötzlich der Rappel gepackt hat und sie ihn deshalb, etwas unsanft, nach Hause beorderte.

Wenn das Mutterherz am Ausbluten war, konnte der Ton schon etwas rauer werden. Bülent zog es sicherheitshalber vor, an diese Version zu glauben. Und während er wenig später über die Autobahn schoss, träumte er, schon etwas milder gestimmt, von einem hausmütterlichen Omelett mit Schinken und einer großen Tasse Kaba. In solchen Fällen, und wenns Sauerbraten gab, schmeckte selbst dem Hauptkommissar die Heimat ohne Wenn und Aber.

Die Realität gestaltete sich dann aber nicht ganz so appetitlich. Seine Wange brannte noch immer, von der deftigen Watschn, die ihm Erna kommentarlos eingeschenkt hatte, als er langsam seinen Blick vom mittlerweile schwer durchweichten Bubblers Schorsch abwandte, der da immer noch im Fischkasten seine Runden drehte. Neben einem verräterisch würzigen, süßlichen Duft hing ein unheilvolles Schweigen in der Luft. Selbst Erna und Traudl hielten vorsichtshalber kurz mal ihre Münder und beobachteten mit wachsender Anspannung, was passieren würde.

»Und, was sagst?« Franz bemühte sich um einen betont beiläufigen Ton. Bülent schloss die Augen und tat einen tiefen, verzweifelten Schnaufer. Dann sah er Franz ernst an.

»Ich sag dir, was ich sag, gar nix sag ich. Ihr ruft jetzt die Polizei, und ich fahr wieder.«

Die versammelte Mannschaft ächzte auf. Erna stapfte auf ihn zu und baute sich in ihrer ganzen Lebensgröße vor ihm auf. Sie ging ihm freilich nur bis kurz unter die Brust, aber ungefährlich war das trotzdem nicht, wie der Hauptkommissar wusste. Vorsichtshalber wich er einen Schritt zurück.

»Sag amal, Rambichler, hat dich deine Mutter als Kind zu heiß bad? Du bist doch ein Kriminaler«, spuckte ihm die Walderin zwiderwurzig entgegen.

»Erna, wie redst denn du von mir?«, brachte sich nun auch Maria aufgebracht mit ein.

»Ja, weils wahr ist. Da is a tote Leich und dein feiner Herr Sohn will sich vom Acker machen. Na, na, na, und für sowas zahlt unsereins dann Steuern. Ich hab gleich g’wusst, dass des nix bringt mit dem da.« Zack hatte Bülent Ernas Fußspitze im Schienbein. Das gab einen Blauen, aber das war jetzt auch schon wurscht. Er wusste im Moment nicht, welche Tatsache mehr zum Himmel stank, dass seine Mutter bei diesem schändlichen Spiel mitgemacht und ihn hierhergelockt hatte, oder dass sein Kumpel Franz – also Ex – der Regisseur dieser ganzen Hinterfotzigkeit gewesen war. Wo der doch ums Verrecken haargenau wusste, dass er es mit direkter Ermittlungsarbeit so gar nicht hatte. Grad richtig allergisch reagierte er darauf.

»Ich will aber nicht ins Gefängnis«, jammerte Traudl unvermittelt los und schmiss sich dem Franz an die Brust. Dafür kassierte sie ebenfalls einen unsanften Tritt ins Gebein.

»Bist etz gleich ruhig«, fuhr Erna sie an. »Darum gehts doch etz gar ned«.

Traudl wimmerte ungerührt weiter. »Aber der Dampfer hat doch g’sagt, wenn der Bülent den Fall nicht übernimmt, dann sind wir dran zwecks unserem Garten, weil …« Der Rest ihres Satzes ging in einem unverständlichen Gemumpfel unter, weil der Geiger der Alten eins a seine Finger vor die Goschen schob.

»Alte Leut und ihre Phantasie, gell?« Etwas unbeholfen grinste er Bülent an. Der konnte nur noch den Kopf schütteln. »Mir ist völlig wurscht, was ihr drei in eurer Freizeit treibt oder … züchtet. Und ob du da am Ende auch noch mit drinhängst, Mutter. Ich will einfach nix mit alledem zu tun haben. Und darum hol ich mir jetzt vom Doktor die Bescheinigung für eine saubere Magendarm, und dann bin ich erst mal raus. So schauts aus. Also servus miteinander.«

Bülent wandte sich zum Gehen. Doch kaum hatte er einen Schritt gen innere Freiheit getan, durchschnitt ein scharfer Pfiff seine Träume vom heimatlichen Lebewohl. Er kannte diesen Ton nur zu gut. Der kam bei seiner Mutter immer dann zum Einsatz, wenn er als Sohn nicht ganz auf ihrer Spur lief. Allerdings hatte er diesen schrillen Hirnsprenger schon lange nicht mehr vernommen. Seine landjugendlichen, pubertären Sturm-und-Drang-Zeiten waren ja schon lange vorbei, und er gab generell selten Anlass zu Beschwerde. Weil er halt auch selten daheim und außerdem kein kleiner Bub mehr war. Als er sich nun, zornig, wie er war, mit einem deftigen Konterspruch, der ihm schon fast von den Lippen tropfte, zu Maria umdrehte, konnte er sich gerade noch auf die Zunge beißen. Denn sie wirkte alles in allem nicht wirklich wütend, sondern eher hilflos. Wie sie so dastand und an ihrer optimistisch eidottergelben Bluse rumwurschtelte und knetete, so klein und verwundbar kannte er seine sonst so nervenstarke Mutter gar nicht. Und es schien ihm gar, als würden ihre Augen ein wenig feuchteln. Sofort zerschoss es ihm das Sprachzentrum. Die Sache mit der weiblichen Emotionalität brachte ihn seit jeher aus dem Konzept.

»Bub, du musst aber dableiben und des hier übernehmen. Bitte!« Marias Ton hatte etwas Flehendes.

»Mensch, Maria, zwecks meiner musst dich fei jetzt nicht so aufregen. Mir kriegen des schon hin. Abgeerntet ist schnell«, versuchte Franz sich als rambichlerischer Friedensengel, weils ihm sichtlich schon gar nicht so angenehm war, dass diese missglückte Familienzusammenführung auf seinem Mist gewachsen war.

»Ehrlich, Franz, ihr drei seids mir sowas von wurscht.« Die Antwort kam postwendend und sehr ernüchternd. Fast schon gemein.

»Ja, und warum machst dann so einen Aufstand?« Bülent bereute die Frage augenblicklich, weil er die Antwort darauf eigentlich gar nicht wissen wollte. Ahnte er doch schon, dass es ihn spontan grausen würd. »Weil der Erkan mit drinhängt. Stimmts oder hab ich Recht?!«, bretterte es aus Ernas so dermaßen zackig heraus, dass Traudl, die mit offenen Augen schlief, glatt vor Schreck ein wenig zusammenzuckte. Die Wahrheit, die dann ans Licht kam, katapultierte Bülent von jetzt auf gleich in seinen persönlichen Alptraum hinein. So, wie es aussah, war Erkan himself noch gestern im Bierzelt mit dem Bubblers Schorsch ordentlich zusammengerückt. Nachdem er ihn ein paar handfeste türkische Drohungen ins Gesicht geschleudert hatte, wollte er ihm gar noch mit einem Steckerlfisch3 den Arsch versohlen. »Und das vor 700 Zeugen«, greinte Maria. Es war ja jetzt tatsächlich durchaus kein Geheimnis, dass Erkan Rambichler vom Zweiten Bürgermeister gar nichts hielt. Im Grunde fing diese Dauerfehde damit an, dass der alte Rambichler in den Gemeinderat gewählt wurde, und von Anfang bei allen Abstimmungen grundsätzlich immer dagegen war. Aus Prinzip versteht sich. Zwecks des oppositionellen Gedankens. Er wollte schließlich aller Welt beweisen, dass auch Türken sich gegen die staatliche Obrigkeit aufzulehnen wissen, wenns drauf ankam. Der Bubbler Schorsch, das musste man ihm lassen, verlor niemals nicht die Contenance, und genau das machte Erkan freilich noch narrischer. Was ein echter Politiker war, der musste auch mal verbal zuschlagen, so seine klare Meinung. Das höchst einseitig geführte Kräftemessen fand seinen vorläufigen Höhepunkt darin, dass der Bubblers Schorsch den Erkan vom Fischerkönig-Thron gestoßen hatte und der Rambichler daraufhin felsenfest davon überzeugt war, dass bei dem Wettbewerb schon recht arg rummanipuliert wurde.

Der zweite Bürgermeister Lump zog nämlich den kapitalsten Karpfen aus dem Weiher, den es in der Geschichte von Strunzheim je gegeben hatte. Des Viech war so groß und fleischig gewesen, dass man tatsächlich der Meinung hätte sein können, dass da am Genpool ein wenig rumgepfuscht worden war. Hat aber außer dem Erkan niemanden recht interessiert. Vor allem nicht, nachdem der Schorsch dem Fischereiverein zehn Weinkisten Pfälzer Edelstoffes anlässlich seines Sieges spendiert hatte. Wer will da noch an eine Verschwörung glauben. Keiner außer Erkan. Der befand sich seitdem erst recht auf dem Kriegspfad – südländisch temperiert versteht sich.

»So wie der Erkan mit dem Gmeinwieser hantiert hat, glaubt doch jeder, dass er ihn abg’murskt hat«, schlussfolgerte Maria am Ende ihres Berichts. »Verstehst jetzt, warum ich dich hier brauch, Bub? Dein Vater ist zwar manchmal ein rechter Depp, aber bestimmt kein Mörder.«

Erna juckte ein pfundiges Widerwort schon sichtlich in der Kehle, aber ein scharfer Blick von Franz ließ sie schnell einlenken.

»Das glaub ich auch nicht, Rambichler, dein Vater ist doch ein wunderbarer Mensch«, zeiserlte sie stattdessen recht ang’schleimt daher.

»Ja, ganz wunderbar«, kam es etwas träge von Traudls Seite. Dabei schielte sie, dass einem ganz schlecht werden konnte. Das Kraut von vorhin schien ein wenig ihre Synapsen durchgewirbelt zu haben.

»Und was sagst jetzt?«, wiederholte Franz seine Frage von vorhin. »Vielleicht wars ja auch gar kein Mord, dann wär des ganze Geschrei eh umsonst gewesen.«

Der Hauptkommissar schwieg sich erst einmal aus. Wobei die Gedanken in seinem Hirn freilich Amok liefen. Also wenn man es ganz genau nahm, dann konnte, nein, musste er den Fall wegen Befangenheit ablehnen. Das war eindeutig klar und wahrscheinlich auch nervenschonender, andererseits sein Vater im Fokus einer Ermittlung, schön war das nicht.

Vor allem nicht für ihn. Auf der Dienststelle würden sie sich, mehr als sonst, das Maul über ihn zerreißen. Und dann noch der Köhl, der so große Stücke von Erkan hielt – warum auch immer.

»Langsam musst fei wirklich mal in die Gäng kommen, sonst geht der Bubblers Schorsch noch auf wie ein Hefeteig«, unterbrach Franz leicht drängelnd seine Überlegungen. »Musst deinem Chef ja nicht sagen, was hier wirklich Sache ist, mir halten eh das Maul. Weil zwecks, weißt schon.« Zur Untermalung seiner Worte zog Franz genüsslich an einem imaginären Joint und grinste dabei spitzbübisch in die Runde.

Maria, deren Bluse mittlerweile einem zusammengewuzelten Rührei glich, formte eine tonlose Bitte mit ihren Lippen und hob die Hände wie zum Gebet. Sah aus wie die heilige Mutter. Gehts eigentlich noch theatralischer? Bülents Blick wanderte gen Himmel.

Lieber Gott, manchmal bist schon wirklich ein Hund, dachte Bülent und kapitulierte.

2 Erwarte von einem Skorpion nicht annähernd das Böse, das Verwandte einander antun können.

3 Am Stab gegrillter Fisch (Makrele, Forelle …).

KAPITEL 3 Daheim ist’s doch am schwersten

»Mensch, Büli, dass du dir mal freiwillig einen Fall ans Bein bindest. Der Chef war ja ganz von den Socken nach deinem Anruf.« Astrid, die vor Kurzem mit Spurensicherung und Gerichtsmedizin am Tatort eingetroffen war, sah ihn forschend von der Seite an. »Hast du vielleicht Fieber.« Prüfend legte sie eine Hand auf seine Stirn.

»Schmarrn. Und du sollst mich nicht immer Büli nennen, wie oft denn noch«, ging er seine Assistentin missmutig an.

»Oha, da hat aber einer schlechte Laune.« Da, schon schmollte sie wieder. Weiber. Dabei hatte er wahrlich allen Grund zum Gifteln. Der zweite Mordfall seiner Laufbahn, wieder in Strunzheim, und dann hing auch noch sein Vater bis unter den Hemdkragen in diesem Drama mit drin. Aber all das konnte er Astrid ja nicht erzählen, wollte er ihr nicht erzählen. Sie sollte schließlich nicht hineingezogen werden in diese ganze undurchsichtige Affäre und am Ende ihre Karriere gefährden. Reichte schon, wenn er dem Köhl nur die halbe Wahrheit erzählte und ihn in dem Glauben ließ, dass er plötzlich eine nie dagewesene Lust aufs Ermitteln verspürte.

»Herr Rambichler, Frau Weber, kommens doch mal bitte her.« Gerichtsmediziner Dr. Fröstel winkte den beiden zu und strahlte dabei wie ein Sonnenkönig. Wie man bei diesem dauernden Leichenfleddern noch gute Laune haben konnte, war Bülent ein Rätsel. Er selbst erschauderte, als er sich dem leblosen Körper vom Bubblers Schorsch bis auf einen Meter genähert hatte. Es war aber auch ein skurriler Anblick, der sich ihm da bot. Der Tote lag, mittlerweile schon etwas unschön aufgedunsen, mit dem Gesicht nach oben auf einer weißen Plane, von der er sich zwecks seiner nahtlos durchgebräunten Haut seltsam abhob.

»Allmächd, Traudl, schau dir mal des G’stell an, des ist ja bis in die Ritzn angeschmort.«

Klammheimlich hatten sich auch die Walder-Zwillinge herangewanzt und standen jetzt, geifernd vor Neugier, neben den Ermittlern. Anders als Maria und Franz, die bei Eintreffen von Bülents Kollegen freiwillig die Flucht ergriffen hatten, waren die zwei Alten schlichtweg am Tatort pappen geblieben. Weil sie aber auch ums Verrecken noch ihre Füß in den Fischkasten stecken wollten. Das hatten sie Bülent nicht nur einmal zu verstehen gegeben. Wenn man schon mal da war, dann war man schon mal da. Basta. Außerdem, und das war mehr als offensichtlich, hatten die beiden ein Auge auf Dr. Fröstel geworfen. Sie balzten wie zwei liebeskranke Täubchen.

Gerade gurrte Traudel zum wiederholten Male ein anrüchiges »Huhu« in Richtung Gerichtsmediziner. Dabei zwinkerte sie ihm so dermaßen schamlos über die Leiche hinweg zu, dass die Himmelangst dem Fröstel deutlich aus allen Poren triefte. Das hob doch glatt ein wenig Bülents Stimmung. War er doch selbst nicht gerade ein Befürworter von diesem freudetaumeligen Charmebolzen, der alles um den Finger wickelte, was weiblich und willig war.

»Na, Doc, was haben Sie für uns.« Eh klar, dass auch Sunshinchen diesen Pathologiedandy in den höchsten Tönen anzwitscherte. Sofort hellte sich dessen Miene wieder auf, während die Miene des Hauptkommissars noch ein paar Nuancen finsterer wurde.

»Schau dir den Doktor an, Rambichler, der zieht nicht so ’ne Lätschn wie du«, ploppte es dann auch glatt aus Ernas Mund und brachte endgültig das Fass zum Überlaufen. »Ich schwörs euch.«

Bülent ging drohend auf die beiden zu.

»Gleich lass ich euch wegen Behinderung der Ermittlungsarbeiten abführen, wenn ihr jetzt nicht gleich freiwillig verschwindet. Könnts eh vergessen, dass ihr heute noch irgendwo eure grindige Füß reinstreckts. Der Fischkasten wird nachher versiegelt, damit das klar ist. Soll euch der Franz halt ein Planschbecken aufstellen, da könnts dann eure Hornhaut bis zum Sankt Nimmerleinstag einweichen«, brach es nun etwas zu laut und zu wenig diplomatisch aus Bülent hervor.

War klar, dass das ein sofortiges Echo nach sich zog. Patsch hatte er die nächste Watschn von Erna im Gesicht.

»Rambichler, du bist ja völlig überspannt. Wennst des alles nicht packst, dann schleichst dich! Aber wunder dich dann hernach ned, wenn keiner mehr was von dir wissen will. Ned amal mehr deine Mutter«, zischte Erna ihm nicht minder angesäuert zu.

»Komm, Traudl, Abmarsch. Mir ist die Luft hier zu ung’sund.« Sie wandte sich hoch erhobenen Hauptes zum Gehen.

Ihre Zwillingsschwester dackelte wie immer gehorsam hinterher, aber natürlich nicht ohne dem Fröstel noch ein heiseres »Ciao« hinzuröcheln und ein schnelles Selfie mit ihm hinzudatschen. Dann war erst einmal alles still. Selbst die Vögel schienen die Luft anzuhalten. Bülent fuhr sich erschöpft mit der Hand über das Gesicht und wandte sich dann, ohne ein weiteres Wort über das Geschehene zu verlieren, dem Gerichtsmediziner zu.

»Also, was können Sie uns über den Toten sagen?« Der Arzt, der während des ganzen Spektakels sicherheitshalber hochmotiviert an der Leiche herumgefuhrwerkt hatte, um nicht in die Schusslinie zu geraten, räusperte sich.

»Wie es ausschaut, ist der gute Mann gerade mal so sechs bis maximal sieben Stunden tot. Also schätzungsweise hat es ihn gegen ein Uhr nachts erwischt. Plus/minus. Und wie man am Gesicht deutlich sehen kann, hat ihm vor Kurzem jemand schön eine mitgegeben. So, und was sein verkünsteltes Hinterteil betrifft: Da war definitiv kein Profi am Werk. Ich schließe auch eine Tätowiernadel aus, dafür ist das viel zu unsauber. Meines Erachtens wurde der Schriftzug mit einem spitzen Gegenstand reingeritzt. Muss ganz schön unangenehm gewesen sein, wenn er es denn noch erlebt hat.« Fröstel grinste. »Außer der Herr Bürgermeister stand auf Schmerzen.«

Pietätlos war er also auch noch. Astrid wuschelte sich mehrmals aufgeregt durch ihren dunklen Pagenkopf. Das tat sie immer, wenn ihr Hirn auf Hochtouren lief und sie kurz vor einem gedanklichen Auswurf war.

»Könnte es sich bei dem spitzen Gegenstand um einen Angelhaken gehandelt haben? Ich meine, das wäre nicht ganz unlogisch hier an diesem Ort, oder?« Triumphierend blickte sie die beiden Männer an.

Dr. Fröstel nickte zustimmend. »Durchaus im Bereich des Möglichen, selbst Draht wäre denkbar.« Augenblicklich drehte sich bei Bülent der Magen. Angelhaken gab es nämlich einige im Hause Erkan Rambichler.

»Ich denke bis der Tote in der Pathologie nicht von Kopf bis Fuß auseinandergenommen ist, lässt sich gar nix wirklich sagen. Und mit Vermutungen kommen wir nicht weiter«, fuhr Bülent heftiger als gewollt seiner Assistentin in die Parade. »Also, Fröstel, einpacken und dann Abmarsch.«

»Hey, chill mal deine Base. Du bist ja wirklich total überspannt«, schnappte Astrid wie ein Terrier nach ihm. »Autogenes Training würde vielleicht helfen«, bockelte sie noch nach. Süß war das schon sehr, wenn sie grantig war, aber hilfreich war es nie. Meist drohten aus solcher Laune heraus Arbeitsverweigerung und Yogaexzesse – alles schon gehabt. Bülent bemühte sich darum schnellstmöglich wieder um gute Stimmung. Er setzte seinen Welpenblick auf und winselte um Frieden.

»Du siehst so bescheuert aus«, grinste Astrid, während der Fröstel wenig höflich, aber schwer amüsiert in seine geschlossene Faust hineinprustete. Er ist und bleibt ein einfach ein Doldi4«, resümierte Bülent in Gedanken und im schönsten Fränkisch, als sich schon wieder neues Unheil, in Form der gmeinwieserischen Hinterbliebenen, vor ihm auftat. Franziska Gmeinwieser, eine wahre Walküre, die ihre perfekten Rundungen in ein tiefschwarzes Dirndl gepresst hatte, pflügte sich ohne Rücksicht auf Verluste über sämtliche Spurensicherer hinweg ihren Weg zum Leichnam.

Dabei schrie sie so dermaßen theatralisch herum über das Leid und überhaupt, dass es einem die Gänsehaut unter den Scheitel trieb. Da hatten die dörflichen Buschtrommeln ja mal wieder ganze Arbeit geleistet und, wie Bülent vermutete, sicherlich nicht gerade sensibel den Takt der Wahrheit geschlagen. Augenblicklich fühlte er beim Anblick dieser Trauerfregatte gleichermaßen Faszination wie Überforderung in sich aufsteigen. Auch Astrid schien es nicht anders zu ergehen. Mit offenem Mund schaute sie dabei zu, wie diese, wahrlich nicht unattraktive Matrone vor ihrem toten Gatten auf die Knie fiel und ihn von oben bis unten abbusselte. Wobei ihr Busen schon arg nach Freiheit lechzte und der Dirndl-BH wohl kurz davor war, seiner Bürde nachzugeben. Nach dem Silberblick vom Fröstel zu urteilen, hätte der nichts dagegen, wenn die zwei formschönen Doppel-D-Granaten dann auch wirklich fallen würden. Sie war aber auch ein Vollweib, die Gmeinwieserin, so à la Christine Neubauer, also bevor die auf Magerstufe geschalten hatte. Und dann diese Stimme – wie die Uschi Glas, wenn sie hochdeutsch spricht. Dieses wundervolle beckenbaurische Weltbayrisch, das mochte Bülent schon irgendwie gut leiden. So gesehen konnte er also auch nichts anders tun als gaffen, weil zum Denken war grad so gar kein Blut mehr im Kopf.

»Wo ist eigentlich die Lederhosen von meinem Mann«, fragte die Gmeinwieserin, plötzlich wieder völlig Herrin über ihre Gefühlswelten. Die Ermittler zuckten ahnungslos mit den Schultern.

»Er hatte keine an und gefunden haben wir auch keine«, erklärte Astrid. »Oh mein Gott, das war ein Erbstück von meinem Großvater. Allein des Charivari, was dranhängt, ist ein Vermögen wert«, greinte sie grad mehr als über den Tod ihres Mannes, wie es Bülent vorkam. Aber er konnte sich auch irren.

»Des miassns verstehn. Mei Ur-Opa war für mei Mama ois. Und der war fei sogar noch mit dem Strauß auf der Jagd«, drang es unvermittelt extrem fisselig stimmbrüchig und im tiefsten Oberbayrisch an das Ohr des Hauptkommissars. Neben ihm stand ein dunkelhaariger, gut rausgefutterter Junge mit rot verweinten Augen, der sich nun den Rotz hochzog bis unter die speckige Stirnfalte. Den Rest Flüssigkeit versenkte er ohne mit der Wimper zu zucken in den Ärmel seines Lodenjankers. Ein zu groß und zu breit gewachsener Erbprinz, dem in seinen jungen Jahren schon unverkennbar die Patina des bajuwarischen Dreckbären anhaftete. Bülent konnte nicht genau sagen, warum, aber sympathisch fand er den Buben nicht. Seines Erachtens war das einer von der hinterfotzigen Sorte, so ein kleiner Lauser, der genau wusste, welche Knöpfe er zu seinem Vorteil drücken musste. Das sah man dem schon an seiner Amigovisage an, die überhaupt verdächtig an die eines äußerst ungemütlichen wie übermächtigen bayrischen Landesvaters erinnerte. Mit Teenagern hatte es Bülent aber eh so überhaupt gar nicht. Zu störrisch, zu uneinsichtig, zu unkontrolliert in ihren Gefühlswelten. Kurz: Zeitbomben auf zwei Beinen. Dennoch bemühte er sich um eine gewisse gnädige Freundlichkeit. Vor ihm stand schließlich eine Halbwaise.

»Du bist also der Sohn vom Bubblers … ähm, vom Schorsch. Wie heißt du denn?« Bevor der Bub überhaupt seine drahtumspannten Zahnleisten auseinanderbrachte, schnalzte seine Mutter schon tränenreich dazwischen. »Das ist mein Schorsch-Edmund. Das Einzige …«, alles an ihr vibrierte und brachte damit das Holz vor ihrer Hütte gefährlich zum Wanken, »das Einzige, was mir jetzt auf Erden noch geblieben ist«, vervollständigte sie stockend ihren Satz. Dann sank sie wieder, wie einst Julia in ihrer ganzen Pracht, auf ihren toten Romeo nieder.

Der Name der gmeinwieserischen Nachzucht war jetzt aber auch wirklich ein Grund zum Plärren, wie Bülent fand, enthielt sich aber wohlweislich einer Meinung.

»Das mit deinem Papa tut mir wirklich sehr, sehr leid.«

Unvermittelt nahm Astrid Schorsch-Edmund in den Arm und wiegte den Brackl5 wie ein Baby. Der hormonell durchaus schon leicht knospende Kerl ließ sich das anstandslos gefallen und drückte sein jubilierendes Untenrum gleich noch ein bisschen näher an die Kommissarin heran.