Burg Tollkühn - Andreas Völlinger - E-Book

Burg Tollkühn E-Book

Andreas Völlinger

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Beschreibung

Siggi soll in die Fußstapfen seiner berühmten Eltern Siegfried und Kriemhild treten und auf Burg Tollkühn zum Helden ausgebildet werden. Doch das ist leichter gesagt als getan, denn Siggi hat vor so ziemlich allem Angst - selbst der kleinsten Spinne! Gut, dass ihm die ehrgeizige Amazone Brünhild und der tollpatschige Elf Filas zur Seite stehen. Als aus einer Übung plötzlich eine echt gefährliche Mission wird, müssen sie beweisen, dass sie reif für ihre erste Heldentat sind.

Band 1 der Burg Tollkühn-Saga

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Seitenzahl: 145

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Inhalt

Cover

Über den Autor

Über den Illustrator

Titel

Impressum

Widmung

Die Helden

  1. Schulweg für Helden

  2. Willkommen auf Burg Tollkühn

  3. Die Helden von morgen

  4. Frühsport ist Mord

  5. Lieblingsstunde Heldenkunde?

  6. Große und kleine Schreckgestalten

  7. Der Mäusetöter

  8. Krallenwürger!

  9. Ein äußerst unerwartetes Treffen

10. Das Amulett von Courago

11. Siggi der Tollkühne

12. Heldenmission für Fortgeschrittene

13. Oger-Spuren

14. Mutlos

15. Eine unheimlich übelriechende Rettungsaktion

16. Oger-Bezwinger und Geisterseher

17. Ein geheimnisvoller Reisender

Das Heldendiplom

Dieser Held steckt in dir

Vorbereitung ist alles!

Jetzt bist du bereit für große Heldentaten! Viel Erfolg!

Über den Autor

Andreas Völlinger hat in Deutschland und Neuseeland Kommunikationswissenschaft, Anglistik und TV-Drama studiert. Mittlerweile schreibt er Drehbücher für Film und Animation. 2012/13 war er Stipendiat der Akademie für Kindermedien in Erfurt. Momentan arbeitet er an zwei Animationsserien und natürlich am nächsten Band von „Burg Tolkühn“.

Über den Illustrator

Zapf lebt in Wien und zahlt seine Miete mit Zeichnungen von seltsamen Kreaturen, Rittern, Monstern, Weltraumpiraten und sprechenden Tieren. So sind über die letzten 8 Jahre über 80 Kinderbücher entstanden. Nebenbei arbeitet er an Comicprojekten und geht mit seinem Hund spazieren.

ANDREAS VÖLLINGER

Mit Illustrationen von Zapf

BAUMHAUS

Vollständige eBook-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

BAUMHAUS Verlag in der Bastei Lübbe AG

Originalausgabe

Copyright © 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln

Umschlaggestaltung: Thomas Krämer unter Verwendung einer

Illustration von Zapf

eBook-Erstellung: Jilzov Digital Publishing, Düsseldorf

ISBN 978-3-7517-0132-7

www.luebbe.de/baumhaus

www.luebbe.de

www.lesejury.de

Für meine Eltern, die mir immer genug Raum

1. Schulweg für Helden

Der Ork-Häuptling grunzte böse und zeigte seine spitzen Hauer. Dann schwang er seine gewaltige Doppelaxt.

Aber Siggi beeindruckte das nicht.

„Willst du mit dem Ding etwa Holz hacken?“, rief er.

Der Ork-Häuptling fand das gar nicht lustig. Er brüllte vor Wut und holte mit der Axt aus. Aber Siggi hatte blitzschnell sein Schwert gezogen und wehrte den Angriff elegant ab.

„Mit dieser miesen Schlagtechnik wird das nicht mal was mit dem Holzhacken“, lachte er.

Da traf ihn aus dem Nichts ein Schlag gegen den Kopf …

„Siggi! Ist alles in Ordnung?“

Er öffnete die Augen und sah seinen Vater Siegfried, der sich besorgt über ihn beugte.

„Was is’n los?“, murmelte Siggi benommen. Sein Kopf schmerzte. Er lag auf dem Holzboden einer Kutsche.

„Wir mussten bremsen, und du bist von der Bank gefallen und hast dir den Kopf gestoßen. Warst wohl eingenickt“, erklärte Siegfried.

„Die Straße ist blockiert!“, rief seine Mutter Kriemhild vom Kutschbock.

Siggi richtete sich auf und sah an seiner Mutter vorbei. Mitten auf der Landstraße stand ein alter Holzkarren, der mit ein paar Säcken beladen war. Vom Besitzer des Karrens war weit und breit nichts zu sehen. Links und rechts des Weges gab es nur hohe Büsche und Bäume.

Kriemhild sprang von der Kutsche und ging an den unruhig schnaubenden Pferden vorbei auf den Karren zu. Sie öffnete einen der Säcke.

„Steine?“, wunderte sie sich. „Wer lässt denn einen Karren voller Steine mitten auf dem Weg stehen?“

„Jemand, der den Weg blockieren will“, sagte eine unbekannte und nicht sehr freundliche Stimme.

Fünf Männer und zwei Frauen waren aus den Büschen am Wegesrand getreten. Dass sie finster aussahen, war die Untertreibung des Jahrhunderts.

„Her mit euren Geldbeuteln und dem Gepäck! Wenn ihr euch nicht wehrt, lassen wir euch vielleicht leben“, sagte ein Mann, der eine mit Metallstacheln gespickte Keule trug. Er grinste gemein und zeigte dabei seine faulig-schwarzen Zähne.

„Oha, Wegelagerer!“, rief Siegfried. „Brauchst du Hilfe, mein Goldstück?“

Siggis Mutter sah die näher kommenden Räuber abschätzend an und zog ihr Schwert.

„Nein, danke. Etwas Bewegung tut mir nach all dem Sitzen gut.“

Nun ging alles ganz schnell: Der erste Räuber, der sich mit seinem Beil auf Kriemhild stürzte, lag schon nach wenigen Sekunden wimmernd am Boden. Dann wandte sich Kriemhild den überraschten übrigen Angreifern zu.

Leichtfüßig wie eine Tänzerin wirbelte Siggis Mutter durch die Räuberbande. In atemberaubendem Tempo schlug sie zu, wehrte Angriffe ab und wich aus. Die armen Räuber wussten kaum, wie ihnen geschah. Nach kurzer Zeit lagen alle sieben stöhnend und jammernd am Boden.

„Ist jemand schlimm verletzt?“, fragte Siggi, der sich die Augen zuhielt. Er wollte auf keinen Fall abgeschlagene Arme oder noch Übleres sehen.

„Nein, nur ein paar kleine Schnitt- und Stichwunden“, sagte sein Vater. „Deine Mutter hat heute wohl einen großzügigen Tag.“

Siggi lugte zwischen seinen Fingern hindurch. Kriemhild versetzte dem Anführer der Bande gerade einen Tritt.

„Und jetzt räumt den verdammten Karren von der Straße. Wenn mein Sohn wegen euch zu seiner Einschulung zu spät kommt, werde ich euch finden und jedem Einzelnen die Haut abziehen. So wahr ich Kriemhild die Waghalsige bin!“

Der Räuber starrte Kriemhild mit großen Augen an.

„Ihr … Ihr s-seid Kriemhild, die Heldin?!“ Er sah zur Kutsche rüber. „Dann ist das bestimmt Siegfried! Wenn wir das gewusst hätten, hätten wir niemals …“ Er unterbrach sich und sah begeistert zu Kriemhild auf. „Was für eine Ehre für einen einfachen Straßenräuber wie mich! Kann ich ein Autogramm haben? Sonst glaubt mir keiner, dass ich von Euch vermöbelt wurde!“

Das passierte ständig, wenn Siggi mit seinen Eltern unterwegs war. Seine Mutter und sein Vater waren Helden. Nicht irgendwelche Helden, sondern echt große Nummern im Heldengeschäft, wie die Episode mit den Räubern bewies.

Sein Vater Siegfried hatte den grausamen Drachen Gantir mit der bloßen Faust erschlagen und haufenweise andere Heldentaten vollbracht. Seine Mutter Kriemhild hatte das Land im Alleingang (und ohne Wintermantel) vor den fürchterlichen Frostriesen gerettet und ebenfalls haufenweise andere Heldentaten vollbracht.

Zusammen waren sie so gut wie unschlagbar. Ein bekannter Barde hatte ihnen zu ihrer Hochzeit vor vielen Jahren ein Lied mit 248 Strophen geschrieben, in dem es um ihre Großtaten ging. Und seitdem waren noch unzählige Heldentaten hinzugekommen.

Die meisten Menschen glaubten, dass es extrem toll sein musste, solch bekannte und beliebte Eltern zu haben.

War es aber nicht.

Jedenfalls nicht, wenn man in Siggis Haut steckte. (Der mit vollem Namen übrigens wie sein Vater hieß: Siegfried, Siegfried Junior.)

Siggi war für seine elf Jahre ziemlich klein und mager, seine Eltern aber beide hünenhaft groß und kräftig. Und während Kriemhild und Siegfried es liebten, sich in gigantische Gefahren zu stürzen und überall im Mittelpunkt zu stehen, war ihr Sohn schüchtern und vorsichtig. Waffen mochte Siggi auch nicht besonders, und er konnte kein Blut sehen. Davon wurde ihm übel.

Immer wenn andere Leute Siggi kennenlernten, waren sie erstaunt, manchmal sogar enttäuscht. Wie konnten zwei legendäre Helden einen so unheldenhaften Sohn haben? War Siggi etwa adoptiert? (Nein, war er nicht.)

Das konnte alles ganz schön nerven.

Was nicht heißt, dass Siggi nicht stolz auf seine Eltern war. Und er hatte auch nichts gegen das Heldentum. Er mochte den Gedanken, später ein Held wie seine Eltern zu sein. Prinzessinnen oder Prinzen retten, Schurken vermöbeln und überall bewundert zu werden. Das war wahrscheinlich die großartigste Arbeit, die man haben konnte! Aber Siggi war sich nicht sicher, ob er dafür jemals mutig und stark genug sein würde.

Kriemhild und Siegfried waren anderer Meinung.

„Das kommt schon noch. Du hast schließlich doppeltes Heldenblut in dir“, sagte sein Vater immer. Dabei hatte der schon mit zwei Jahren einen tollwütigen Wolf erwürgt. Siggi könnte nicht mal ein tollwütiges Eichhörnchen erwürgen.

Aber bald sollte alles anders werden. Denn sie waren auf dem Weg zur Burg Tollkühn, der ersten Heldenschule des Landes. Dort sollten Nachwuchshelden von erfahrenen Ex-Helden in allem unterrichtet werden, was zum Heldentum dazugehört.

Bisher lief es nämlich so: Man fing als junger, unerfahrener Held an und musste sich alles Heldenwissen mühsam selbst erarbeiten. Dabei bestand jedoch die ziemlich große Gefahr, dass man als Anfänger einen Fehler machte und starb, bevor man überhaupt ein guter Held werden konnte.

Mit der Heldenschule sollte sich das alles ändern. Die Ausbildung ging mit elf Jahren los. Und wer sie nach sechs Jahren mit einem Heldendiplom abschloss, war auf alle möglichen Gefahren vorbereitet und hatte eine glänzende Heldenkarriere vor sich.

Siggis Eltern waren begeistert von der neuen Schule. Schließlich waren sie ständig auf haarsträubend gefährlichen Heldenmissionen unterwegs. Wie sollten sie da ihrem Sohn etwas beibringen? Siggi hatte die letzten Jahre mehr Zeit mit seinem Kindermädchen als mit seinen Eltern verbracht.

„Es wird dir auf Burg Tollkühn bestimmt gefallen!“, hatte Siggis Mutter gesagt.

Wenn Eltern so etwas behaupten, ist meistens das Gegenteil der Fall. Aber Siggi wollte der Heldenschule eine Chance geben. Er wollte, dass seine Eltern stolz auf ihn waren. Und dass er irgendwann nicht mehr nur der kleine Sohn von zwei berühmten Helden war, sondern selbst ein Held. Wenigstens ein mittelmäßig bekannter.

Wenn er schon kein geborener Held war, konnte er vielleicht lernen, einer zu sein. Und eine Schule konnte ja nicht so schlimm sein. Oder?

2. Willkommen auf Burg Tollkühn

Im Hof von Burg Tollkühn herrschte geschäftiges Treiben. Dutzende Menschen und auch ein paar Elfen und Zwerge standen in der Gegend herum, neben ihnen Berge von Gepäck. Kutschen fuhren ein und aus, Reiter lenkten ihre Pferde durch das Gewusel. Eine Familie war sogar auf Reitechsen gekommen.

Kurz nachdem Siggi und seine Eltern aus der Kutsche gestiegen waren, passierte genau das, was fast immer geschah, wenn sie irgendwo aufkreuzten. Jemand kreischte: „Das sind Kriemhild und Siegfried!!!“ Und in null Komma nix waren seine Eltern von einer begeisterten Meute umringt. Andere zukünftige Heldenschüler und sogar einige der Heldeneltern wollten ihnen die Hände schütteln, sagen, was für Vorbilder sie seien, oder sie einfach nur ehrfürchtig angaffen. Jemand trieb eine Schreibfeder und ein Tintenfass auf, damit die beiden Über-Helden Autogramme geben konnten. Sie kritzelten ihre Namen auf Mäntel, Schilde, Helme, Gesichter und nackte Bäuche, die ihnen entgegengestreckt wurden. Mit einem Dolch ritzte Kriemhild ihre Signatur sogar in den Stiel einer Axt.

Siggi stand etwas abseits alleine da und sah sich unsicher im Burghof um. Im nördlichen Teil stand die noch recht neu wirkende Statue eines hünenhaften Kriegers. In der einen Hand hielt er einen abgeschlagenen Ogerkopf, in der anderen ein gezacktes Riesenschwert.

Siggi wurde von der Statue abgelenkt, als eine Gruppe Elfen auf Tolkanen – das waren große blau-grün gefiederte Laufvögel – in den Burghof ritt. Fasziniert beobachtete er, wie sie ihre prächtigen Reittiere stoppten und elegant hinunterglitten.

Elf müsste man sein, dachte Siggi. Die Angehörigen dieses uralten Volkes waren von Natur aus unheimlich geschickt und anmutig.

Aber das galt offenbar nicht für alle Elfen: Ein Tolkan rannte einfach weiter und quer über den Burghof. Der junge Elf auf dem Rücken des großen Laufvogels bekam ihn erst zum Stehen, als er schon fast in eine Zwergenfamilie gerannt war.

Unter wüsten Beschimpfungen der Zwerge und mit hochrotem Kopf lenkte der Junge sein widerspenstig krähendes Reittier zu den anderen zurück. Und mit dem eleganten Heruntergleiten hatte es der Elf auch nicht so. Beim Versuch, sein linkes Bein auf die rechte Seite zu schwingen, kippte er mit einem überraschten Schrei seitlich vom Laufvogelrücken – und landete neben Siggi auf dem Boden.

Die vier älteren Elfen, die mit dem Jungen gekommen waren, machten keine Anstalten, ihm zu helfen. Sie schienen sich zu schämen und schauten angestrengt in alle möglichen anderen Richtungen.

Siggi nahm sich ein Herz und hielt dem gestürzten Elfenjungen die Hand hin. Der ergriff sie und kam mit Siggis Hilfe wieder auf die Beine. Er war größer als Siggi (was nicht so schwer war) und hatte braunes Haar, das er elfentypisch lang trug. Seine Ohren waren natürlich lang und spitz. Siggi hatte sogar das Gefühl, dass sie noch etwas länger waren als bei anderen Elfen. Oder es wirkte einfach so, weil der Elfenjunge so dünn war.

„Danke dir“, sagte der Elf und schüttelte Siggis Hand. Er hatte ein ansteckendes Lächeln. „Ich bin Filas.“

„Und ich Siggi. Gern geschehen“, antwortete Siggi und lächelte ebenfalls.

„Ich glaube, mein Tolkan ist verflucht. Er macht wirklich nie, was ich will“, erklärte Filas und fuchtelte mit seinen dünnen Armen herum. „Und ich reite eh nicht gerne. Davon tut mir nur der Hintern weh. Aber meine Eltern wollten unbedingt mit den neuen Tolkanen angeben.“

„Äh, wo ist deiner eigentlich hin?“, fragte Siggi.

Filas’ eigensinniges Reittier war inzwischen einfach davonstolziert und hatte einem Edelmann die Seidenmütze vom Kopf gefressen.

„Och nee“, ächzte Filas und rannte los, um Schlimmeres zu verhindern. „Bis später!“

Siggi sah dem seltsamen Elfenjungen grinsend hinterher.

Da tippte ihm jemand auf die Schulter.

„Entschuldige, stehst du auch für ein Autogramm an?“ Hinter Siggi war ein rothaariges Mädchen aufgetaucht.

Siggi schüttelte den Kopf. „Nicht wirklich. Ich warte nur auf meine Eltern.“

„Ah, das ist nett, dass sie für dich anstehen“, sagte das Mädchen.

Siggi seufzte. „Nein, ich warte darauf, dass meine Eltern endlich mit dem Autogrammegeben fertig sind.“

Der Rothaarigen fielen fast die Augen aus dem Kopf.

„Du bist der Sohn von Siegfried und Kriemhild?! Aber-aber …“

„Ja, ich weiß“, murmelte Siegfried. „Ich sehe nicht so aus. Und nein, ich bin nicht adoptiert.“

Ihre Wangen röteten sich. „Äh, nein, so war das nicht gemeint …“

„Schon gut, ich bin’s gewohnt. Ich heiße Siggi.“

„Ich bin Brünhild“, sagte das Mädchen.

„Und sie will die beste Heldin aller Zeiten werden“, plärrte ein ebenfalls rothaariger Dreikäsehoch dazwischen.

„Verschwinde, Gernot!“, zischte Brünhild genervt.

„Aber es stimmt doch!“, rief Gernot. „Du hast gesagt, du wirst in die Geschichte eingehen …“

„Halt die Klappe, du Gnom!“, rief Brünhild. Sie schob den kleinen Jungen, offensichtlich ihr Bruder, in Richtung einer rothaarigen Frau und eines glatzköpfigen Mannes. Beide waren in lange Gewänder gekleidet, wie sie Gelehrte trugen. Das fiel ziemlich auf, denn die meisten Eltern im Burghof waren eindeutig kampferfahrene Helden.

„Mein Bruder redet mal wieder Blödsinn“, versicherte Brünhild eilig. „So habe ich das bestimmt nicht gesagt.“

„Sind das deine Eltern?“, fragte Siggi überrascht.

Brünhild sah etwas peinlich berührt aus. „Man sieht ihnen an, dass sie keine Helden sind, was? Mein Vater ist Geschichtsschreiber und meine Mutter Runengelehrte. Sie hätten gern gehabt, dass ich auch Gelehrte werde. Dabei will ich eine Heldin werden, seit ich denken kann! Ich musste ewig diskutieren, bis sie mir erlaubt haben, auf die Heldenschule zu gehen. Nicht jeder hat mit seinen Eltern so ein Glück wie du.“

Siggi verzog das Gesicht. „Na ja, das kann man auch anders sehen …“

Doch Brünhild beschäftigte bereits etwas anderes. Mit offenem Mund starrte sie nach oben in die Luft.

Siggi folgte ihrem Blick und sah ein weißes geflügeltes Pferd am Himmel. Majestätisch kreiste es über der Burg und kam dem Hof dabei immer näher. Auf seinem Rücken saß eine breitschultrige Gestalt in einer glänzenden Rüstung und mit einem gehörnten Helm auf dem Kopf.

Das Stimmengewirr im Burghof wurde leiser und verstummte schließlich ganz, als alle das Flugpferd entdeckt hatten.

„Das ist sie …“, sagte Brünhild begeistert.

„Hä? Wer denn?“, wunderte sich Siggi.

„Na, Gudrun. Die legendäre Walküre. Die Gründerin dieser Schule!“

Walküren wurden die sagenhaften Kriegerinnen aus dem Norden genannt, die sich auf ihren geflügelten Pferden selbst ins größte Schlachtgetümmel trauten. Manche glaubten, dass die Walküren keine normalen Frauen seien, sondern Halbgöttinnen. Was aber wohl etwas übertrieben war.

Jetzt konnte Siggi dicke graue Zöpfe erkennen, die unter dem Helm hervorschauten und im Wind flatterten. Doch mit einem Mal sackte das fliegende Pferd ein ganzes Stück in der Luft ab – und auf die Menge zu! Angstschreie erklangen.

Das Pferd begann hektisch mit den Flügeln zu schlagen. Für einen Moment schien es, als ob es mitten in den Burghof stürzen würde. Doch dann fing sich das Tier wieder. In einer schrägen Spirale flog es auf die breite Treppe zu, die zu einem großen Portal hochführte. Kurz vor der Treppe landete das Flügelpferd, wobei es fast in die Knie ging.

Das Tier zitterte vor Anstrengung. Es war offenbar nicht mehr das jüngste Pferd, sondern schon etwas klapprig. Und seine Reiterin, die gerade ächzend vom Sattel kletterte, war nicht nur groß und kräftig, sie hatte auch mehr als nur ein paar Pfunde zu viel auf den Rippen. Kein Wunder, dass das Pferd Probleme hatte, sich in der Luft zu halten.

„Auf dem Gemälde, das ich von ihr gesehen habe, war sie aber besser in Form“, kommentierte Brünhild enttäuscht.

Während ein Knecht das ausgelaugte Flugpferd wegschleifte, erklomm Gudrun die Stufen vor dem Hauptgebäude der Burg. Oben angekommen, holte sie ein paarmal tief Luft.

„Willkommen“, hallte ihre tiefe Stimme durch den Burghof. Das aufgeregte Gemurmel, das eingesetzt hatte, verstummte augenblicklich. „Willkommen, ihr Heldinnen und Helden von morgen! Es herrschen dunkle Zeiten, und das Land braucht dringend neues Heldenblut! Daher freue ich mich, die ersten Schüler auf Burg Tollkühn begrüßen zu dürfen. Hier wird der Grundstein für eure großen Taten gelegt. Wir werden euch stark machen! Wir werden euch beibringen, wie ihr in der tödlichsten Gefahr überlebt! Wie ihr die furchtbarsten Gegner bezwingt. Und wie ihr zu Legenden werdet!“

Die Menge im Burghof applaudierte begeistert, besonders Brünhild. Siggi klatschte etwas weniger eifrig.

Als Nächstes versammelte Gudrun die anderen Lehrerinnen und Lehrer der Heldenschule um sich. Es waren fünf ziemlich unterschiedliche Gestalten.

„Die Halbelfe mit der Augenklappe ist Kendra, eine legendäre Waldläuferin“, erklärte Brünhild aufgeregt. „Und der Herr mit dem weißen Bart ist Jaromir von Donnerhall, der den Häuptling der Reif-Riesen erschlagen und damit die dritten Riesenkriege beendet hat! Und der Zwerg mit der Narbe im Gesicht, das ist …“

„Woher kennst du die alle?“, unterbrach Siggi sie verblüfft.

„Na, aus dem Großen Heldenlexikon. Und natürlich lese ich jeden Monat den Heldenboten mit allen Neuigkeiten aus der Heldenwelt. Habt ihr den nicht abonniert?“

„Äh, kann sein“, sagte Siggi.