Caitlyn Young - Vampirseele - Christin Thomas - E-Book

Caitlyn Young - Vampirseele E-Book

Christin Thomas

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Beschreibung

Als die Privatdetektivin Caitlyn einen Routineauftrag annimmt, ahnt sie nicht, auf was sie sich einlässt. Statt einen untreuen Ehemann auf frischer Tat zu ertappen, stolpert sie in eine Welt jenseits ihrer Vorstellungskraft. Nicht nur, dass Jonathan Green ihr Herz durcheinanderbringt, obwohl sie eigentlich auf ihn angesetzt ist. Nein, auf einmal wird Cait auch noch von einem mächtigen Vampir gejagt, der ein unerklärliches Interesse an ihr zeigt. Bald hat sie nur ein Ziel: überleben um jeden Preis. Humorvoll, spannend und mit einem gehörigen Schuss Romantik - Vampire zum Verlieben! "Caitlyn Young – Vampirseele" ist eine Neuauflage des Titels "Vampire, die bellen, beißen nicht"

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Caitlyn Young

VAMPIRSEELE

CHRISTIN THOMAS

Copyright © 2022 by

Drachenmond Verlag GmbH

Auf der Weide 6

50354 Hürth

https://www.drachenmond.de

E-Mail: [email protected]

Lektorat: Wortkrieger Lektorat – Jasmin Ickes

Korrektorat: Pia Euteneuer

Layout Ebook: Stephan Bellem

Umschlagdesign: Giessel Design

Bildmaterial: Shutterstock

ISBN 978-3-95991-653-0

Alle Rechte vorbehalten

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Epilog

Danksagung

Drachenpost

Für meine geliebten Pateneltern

Bärbel und Kurt

Es gibt eine Liebe,

die über jede Liebe erhaben ist,

die Leben überdauert.

Zwei Seelen aus einer entstanden.

Vereinigt wie zwei Flammen.

Identisch – und doch getrennt.

Manchmal zusammen, durch Gefühl

und Verlangen verschweißt.

Manchmal getrennt, um zu lernen und zu wachsen.

Aber einander immer wieder findend.

In anderen Zeiten, anderen Orten.

Wieder und wieder.

Überlieferung aus dem 6. Jahrhundert vom japanischen Patriarchen Tatsuya

Kapitel 1

Heutzutage bekommt man an jeder Ecke einen »Coffee to go«. Im Normalfall wird er mit einer Temperatur von etwa 60 Grad und einem festsitzenden Deckel verkauft. In meinem Fall hat sich dieser direkt beim ersten Schluck verabschiedet. Nun weiß ich genau, dass die Temperatur des Kaffees aus dem kleinen Donutladen, gegenüber von Connors Tankstelle an die 100 Grad herankommt. Während mir die kochend heiße Flüssigkeit in den Ausschnitt läuft und sich meine Brust anfühlt, als erlitte ich schwerste Verbrennungen, klingelt zu allem Übel mein Handy. Ich werfe nur einen kurzen Blick auf das Display, bevor ich den Becher aus dem Fenster pfeffere und mir mit dem Schal die Lava vom Dekolleté tupfe.

Das ist definitiv nicht mein Tag.

Ich wusste es schon, als ich mir morgens den kleinen Zeh an der Kante der Schlafzimmertür stieß. Noch deutlicher wurde es, als man mir in der Detektei eine Frau vorstellte, die abwertend mit der Zunge schnalzte und sagte: »Sie könnten ganz sicher auch eins von seinen Flittchen sein.«

Es hatte keine fünf Minuten gedauert, bis mir mein Chef, Pierce Flinch, den Auftrag für die Beschattung ihres Göttergatten erteilte. Dabei wollte ich diesen Auftrag nicht, denn diese in Prada gekleidete und auf rot besohlten High Heels laufende Hexe war die erste Frau, bei der ich es dem Mann nicht verdenken konnte. Während sie um meinen Schreibtisch herumstolzierte, warf sie Flinch immer wieder laszive Blicke zu.

Er hätte wissen müssen, dass sie ihn nur zur Kenntnis nahm, weil er ihren Fall klären sollte – und zwar dalli. Doch Flinch war längst in ihrer Duftwolke aus Chanel N°5 versunken und wurde in seinem rot karierten Hemd stetig kleiner, wodurch er noch weniger Hals hatte als ohnehin schon.

»Er betrügt mich«, sagte sie und zog aus ihrer Handtasche ein Stofftaschentuch, mit dem sie sich unter den Augen tupfte, als würden daraus ganze Sturzbäche fließen. In Wahrheit kam keine einzige Träne und auch ihr Gesicht zeigte keinerlei Regung.

Ich verschränkte die Arme und richtete meinen Blick lieber auf die Tischplatte, als mir dieses schlechte Schauspiel weiter anzusehen.

»Er tut es bestimmt schon seit einem halben Jahr.«

»Das tut mir leid«, gab Flinch von sich und klang dabei, als bedauerte er es tatsächlich. Ich hingegen gab nur ein Grunzen von mir und hatte mir damit wohl den Fall aufgebrummt.

»Caitlyn Young ist eine unserer Besten«, erklärte Flinch, woraufhin ich erschrocken aufsah.

»Ich würde nicht sagen, dass ich eine …«

»Doch, doch die Beste«, unterbrach er mich. »In den zwei Jahren, in denen sie bei uns ist, hat sie jeden ihrer Fälle in Rekordzeit abgeschlossen.«

»Höchst interessant«, meinte das Blondchen und bedachte mich mit einem so abschätzigen Blick, als hätte sie gerade abgelaufenes Fleisch im Kühlschrank gefunden.

»Sie können sich auf Ms Young verlassen«, versprach ihr Flinch.

»Das will ich doch hoffen«, sagte sie und betonte nachdrücklich, wie wichtig ihr die Aufklärung des Falles sei. Dann stolzierte die Frau mit ihrem engen Kostüm auf mich zu, lehnte sich mit ihren eindeutig aufgepumpten Brüsten zu mir vor und sah mich durchdringend an. »Worauf warten wir noch?«

Flinch sprang sofort vom Stuhl auf. »Sie hat recht! An die Arbeit, Caitlyn!« Er warf mir eine Akte auf den Tisch und geleitete Mrs Worauf-warten-wir -noch zur Tür hinaus. Selbstverständlich ließ er sich die Gelegenheit nicht entgehen, ihr dabei seine Hand auf den Rücken zu legen, um sich schon einmal vorzutasten. Ich rollte mit den Augen und warf den ersten Blick auf den armen Trottel, der ihr irgendwann, wie Flinch, ins Netz gegangen war.

Es war keine große Überraschung, dass es sich dabei um einen gutaussehenden Mann handelte. Dunkles Haar gepaart mit schokobraunen Augen, die in süßer Verlegenheit in die Kamera blickten. So unschuldig, wie er auf dem Foto aussah, war er jedoch ganz sicher nicht. Wenn ich etwas in meinem Job als Privatdetektivin gelernt hatte, dann, dass gerade diese Menschen zu den Personen gehören, die die Schuld quasi gepachtet haben.

Und nun sitze ich hier, weil ich wegen dieser parfümierten Barbie nicht mal mehr meinen Kaffee im Büro zu Ende trinken durfte. Mein Handy klingelt immer noch und meine Brust steht trotz aller Löschversuche in Flammen.

Genau in diesem Moment taucht er endlich auf – Jonathan Green.

Ihm folgt eine kleine und aufgeweckte Frau. Sie redet unentwegt auf ihn ein und wedelt unterdessen wild mit Dokumenten herum. Während er schnurstracks auf sein Auto zugeht, versucht sie, mit ihm Schritt zu halten. Als er urplötzlich stehenbleibt, kann sie einen Zusammenstoß nur knapp vermeiden und wirkt darüber sichtlich erleichtert. Mehr braucht es nicht, um diese Frau direkt als mögliche Kandidatin auszuschließen. Die beiden wahren mehr Abstand als nötig und während er das Gespräch in die Hand nimmt, schaut sie ehrfürchtig zu Boden.

»Ist wohl nicht sein Typ«, sage ich und mache mir ein paar Notizen. Endlich gibt meine Mutter ihren Telefonterror auf und ich atme tief aus. Als ich den Blick wieder auf meine Zielperson richte, ist diese gerade dabei, die Straße zu überqueren. Mr Green steuert direkt auf mich zu.

»Ach du Scheiße«, murmele ich, schmeiße die Akte auf den Rücksitz und fummele nervös an den Reglern des Radios. Er wird doch nicht etwa …?

Prompt klopft es an der Fensterscheibe. Ich setze einen überraschten Gesichtsausdruck auf, blicke ihn durch das Glas hindurch an und betätigte den Fensterheber.

»Ja?«, frage ich auffällig hoch.

»Ich habe vorhin gesehen, wie Sie Ihren Kaffee aus dem Auto geworfen haben.«

»Oh.«

»Ja«, erwidert er und deutet zu seinem Büro hinauf. »Ich stand gerade am Fenster.« Dann liegt seine Aufmerksamkeit für einen kurzen Moment auf meiner eingesauten Bluse. »Ist wohl nicht Ihr Tag.«

»Wenn Sie wüssten«, schnaufe ich.

»Haben Sie vielleicht etwas dagegen, wenn ich Sie auf einen neuen einlade?«

»Sie wollen mich auf einen Kaffee einladen?« Ich glaube, mich verhört zu haben, doch Jonathan Green nickt. Mein Tag scheint gerade den Höhepunkt zu erreichen. Schlimmer kann es definitiv nicht kommen. Der Mann, den ich eigentlich beschatten soll, hat mich nicht nur gesehen, nein – jetzt möchte er auch noch einen Kaffee mit mir trinken gehen. Innerlich tobe ich, während ich nach außen hin freundlich lächele.

»Das ist wirklich nett von Ihnen, aber ich warte auf einen, meinen … Freund«, lüge ich, wobei er mir das bei dem Gestotter vermutlich nicht abnimmt.

»Aha«, erwidert er lässig. »Ich wollte nicht …«

»Schon gut, trotzdem danke«, falle ich ihm ins Wort und winke, um von der aufsteigenden Wärme in meinen Wangen abzulenken. Danach schließe ich das Fenster und kralle mich an mein Handy. Es dauert einen Moment, bis Mr Green kehrtmacht und mir klar wird, dass ich total versagt habe.

»Ist nicht dein Ernst?!«, ruft Maggie ins Telefon. Ihre Stimme hallt dabei so, dass ich glaube, mein Trommelfell platzt gleich. Mit einem deutlichen Piepen im Ohr nehme ich den Hörer ein Stück zurück.

»Ich sage dir, der Kerl lässt ganz sicher nichts anbrennen«, erwidere ich anschließend.

»Du hättest mitgehen können, dann wäre der Fall doch direkt geklärt.«

Ich schüttele amüsiert den Kopf. »So viel verdiene ich da auch nicht, Maggie.«

Sie kichert, wobei sie irgendwie immer einen glucksenden Laut von sich gibt.

»Und was willst du jetzt machen?«, fragt sie. »Er hat dich gesehen und wird dich womöglich wiedererkennen.«

»Ich bringe erst mal meine Bluse in die Reinigung und versuche, den Fall dann schnellstmöglich Flinch aufs Auge zu drücken. Soll er doch dieser reichen Trulla den Gefallen tun.«

»Aber sie wird bestimmt denken, dass du es vermasselt hast«, stöhnt Maggie enttäuscht und gibt mir damit unwissend einen Seitenhieb.

»Ich vermassel nie einen Fall.«

»Das ist ganz egal. Sie wird glauben, dass du dem nicht gewachsen warst.«

»Bitte?Ich dem nicht gewachsen?! Ich habe in den letzten zwei Jahren nichts anderes gemacht. Sie hat es ja gehört: Ich bin die Beste.«

»Nach allem, was du mir bisher erzählt hast, hält sie offenbar nicht allzu viel von dir und wenn du den Fall abgibst, wird ihr das sicher in die Karten spielen. Sie will bestimmt nicht, dass eine Frau wie du ein Auge auf ihren Mann wirft.«

»Eine Frau wie ich?« Verdutzt hebe ich die Augenbrauen.

»Du weißt, wie ich das meine«, erwidert Maggie.

Gerade als ich meiner besten Freundin sagen will, dass sie nicht immer so tun soll, als wäre ich der Schwan und sie nur ein hässliches Entlein, klingelt mein Handy. Es schreit mich förmlich an, während das Wort »Mom« wie eine Warnleuchte blinkt.

»Ich muss jetzt Schluss machen. Mach’s gut«, erkläre ich und lege direkt auf.

»Wieso hast du mich nicht zurückgerufen?«, blafft meine Mutter, noch bevor ich überhaupt irgendetwas sagen kann.

»Ich stecke gerade mitten in einem Fall.«

»Du steckst immer in irgendeinem Fall. Ich warte schon seit zwei Wochen.«

»Ich weiß …«, brumme ich.

»Ist es denn zu viel verlangt, dass du dich mal blicken lässt?«

»Natürlich nicht«, entgegne ich ihr, wobei ich in Wahrheit das Gegenteil denke. Schließlich kommt sie mich nie besuchen und das, obwohl der Weg in beide Richtungen gleich lang ist.

»Ich weiß, woran das liegt …«, beginnt sie und ich ahne, worauf das Gespräch nun hinausläuft. »Das liegt an deinem Job.«

Es liegt immer an meinem Job.

»Du findest nie einen Mann, wenn du in jedem einen Lügner und Betrüger siehst. Und außerdem hast du dich verändert.«

Natürlich habe ich mich verändert. Ich bin irgendwann in den letzten 28 Jahren erwachsen geworden.

»Tut mir leid, Mom«, entgegne ich müde und schlendere unterdessen ins Schlafzimmer.

»Dein Vater würde sich im Grab umdrehen, wenn er wüsste, dass du dafür deine Karriere als Anwältin hingeworfen hast.«

»Ich habe das Studium abgebrochen und nicht bei einer Kanzlei gekündigt, Mom.«

»Das ist doch das Gleiche«, erwidert sie trotzig. »Er wäre auf jeden Fall sehr enttäuscht.«

Wenn es nach ihr geht, war er immer enttäuscht. Manchmal träume ich sogar schon davon, wie man bei seiner Trauerfeier den Sargdeckel öffnet und er reglos mit einem starren und tief enttäuschten Blick daliegt.

»Ich bin wirklich müde«, bemerke ich.

»Das liegt ebenfalls an diesem Job.«

Statt irgendetwas zu sagen, atme ich ein und schlucke es herunter.

»Du bist immer so erschöpft. Deshalb hast du auch nie Zeit.«

»Wenn du mich unbedingt sehen möchtest, dann komme ich morgen Abend vorbei«, verspreche ich ihr, nur um sie irgendwie loszuwerden. Mein jämmerlicher Versuch wird mit Erfolg gekrönt, denn plötzlich verwandelt sich ihre Frustration in pure Freude. Wie bei einer Faschingsparty, bei der alle witzige Kostüme anziehen und die Welt wieder in Ordnung ist.

»Oh, mein Liebling«, säuselt sie entzückt. »Ich mache dir den Lammbraten, der dir immer so gut schmeckt.«

Es geht doch noch schlimmer.

Der Tag endet also mit einer Einladung zum Lammbraten, den ich sonst ausschließlich an den Geburtstagen meines verstorbenen Vaters serviert bekam, weil er ihn so liebte. Mich erinnert dieses Gericht an unsere gemeinsame Zeit, was die Trauer jedes Mal wieder aufkeimen lässt.

»Das klingt … ganz wunderbar«, seufze ich, bevor wir uns verabschieden und ich mich in meinem Bett verkrieche, um mich von der Welt abzuschotten.

Am Abend des nächsten Tages sitze ich, wie versprochen, bei meiner Mutter an dem kleinen runden Esstisch. Meine Augen wandern über die grottenhässliche Blümchentapete, wobei ich mich zum ersten Mal frage, ob sie auch schon vor ihrem Einzug die Wände schmückte. Ich höre sie durch die geschlossene Küchentür pfeifen und spiele nervös mit der Serviette. Eigentlich liebe ich meine Mutter, aber sie ist eben speziell. Seit mein Vater vor drei Jahren an einem Schlaganfall gestorben ist, hat sie es sich zur Aufgabe gemacht, mein Leben zu bereichern. Nicht finanziell, sondern mit all ihrer Liebe. An manchen Tagen bin ich ehrlich froh darüber, dass ich eine Mutter habe, die sich so um mich sorgt und kümmert. Doch an den meisten Tagen fühle ich mich, als läge ich unter einem Schutthaufen, durch dessen Spalten ich nur schwer Luft bekomme.

Die Tür schwingt gerade auf, als mich eine Nachricht auf meinem Handy erreicht. Jonathan Green, der Mann, der ganz oben auf meiner To-do-Liste steht, wird am heutigen Abend an einer Spendengala teilnehmen, die er, zu meinem Glück, ohne seine Frau besucht. Da ist sie: die Chance, um ihn bei einer seiner Liebeleien zu erwischen. Maggie arbeitet bei einer Redaktion und hat mir schon des Öfteren ihren Presseausweis geliehen.

»Leg doch mal das Ding weg«, keift meine Mutter und hämmert dabei den Lammbraten auf den Tisch, als würde sie einen Nagel in die Wand schlagen. »Es ist wieder diese Arbeit, nicht wahr?«, fragt sie, während sie vorwurfsvoll auf mich hinabblickt.

»Nein, es ist nur eine Nachricht von Maggie«, flunkere ich schulterzuckend. Wortlos verschwindet sie abermals in der Küche, um noch schnell die Beilagen zu holen.

»Presseausweis! Für die Spendengala im Southwest Hotel«, tippe ich ins Handy und schicke die Nachricht gerade an Maggie, als meine Mutter zurückkommt.

»Gott! Kann sie denn nicht bis nachher warten?«, sagt sie und schnauft verächtlich. Das ausgerechnet aus dem Mund meiner Mutter zu hören ist, als würde ein Vegetarier eine abfällige Bemerkung über Gemüse machen. Ungeduld gehört schließlich zu ihrer Königsdisziplin.

»Ist schon gut«, entgegne ich ihr und lasse das Handy in meine Tasche gleiten.

Nachdem sie uns beiden aufgefüllt hat, ernte ich einen besorgten Blick. Ich benehme mich so, als würde ich es nicht wahrnehmen, doch noch bevor ich einen Happen in den Mund nehmen kann, stöhnt sie: »Du weißt ja gar nicht, wie schnell die Zeit vergeht.«

Mit zusammengepressten Lippen lasse ich die Gabel sinken.

»Wenn du dich nicht langsam ranhältst, dann wirst du ganz allein alt werden. Das ist dir doch bewusst, oder?«

»Ich bin erst 28«, antworte ich vorsichtig.

»In deinem Alter war ich aber schon fast zehn Jahre verheiratet.«

»Das waren ja auch andere Zeiten.«

»Ich sehe da keinen Unterschied.«

»Und ich würde gern essen«, erwidere ich und versuche erneut, von dem Lammbraten zu kosten, der Daddy bestimmt geschmeckt hätte.

»Ich meine ja nur. Du wirst schließlich nicht jünger, weißt du?«

Hilflos schüttele ich den Kopf. Wieso versteht sie nicht, dass ich es mir nun einmal nicht auf die Fahne geschrieben habe, früh zu heiraten und Kinder zu bekommen? Wir sind eben verschieden. Wo ist da bitte das Problem?

»Könnten wir jetzt einfach essen?«, frage ich, statt meine Gedanken mit ihr zu teilen.

Doch sie denkt nicht daran und verzieht stattdessen das Gesicht. Das ist eine ihrer vielen Methoden, um mir zu verdeutlichen, wie sehr sie sich um mich sorgt.

Ich gebe auf, lege die Gabel neben den Teller und lehne mich erwartungsvoll zurück.

»Okay. Was ist hier los?«

»Ich habe mich letztens mit den Nachbarn unterhalten«, erklärt sie mir ohne Umschweife. »Du kennst ja dieses unerträgliche Weibsstück von nebenan.«

»Mrs Tale?«

»Natürlich Mrs Tale«, antwortet sie, wobei sie spricht, als hätte sie irgendetwas Klebriges im Mund. »Sie hat bei den anderen Frauen im Haus schon wieder eine ihrer Bemerkungen gemacht.«

»Eine Bemerkung? Etwa über mich?«

Meine Mutter nickt. »Sie hat zwar weder deinen noch meinen Namen gesagt, aber sie sprach davon, dass manche eben Töchter hätten, die nie unter die Haube kommen würden.« Sie verdreht die Augen. »Egal wie hübsch sie auch sind, hat dieses Lästermaul gesagt und dann, dass ihr dieser Karrierewahn völlig unverständlich ist.«

Ich bin vollkommen sprachlos.

»Ist das nicht eine Frechheit?«, fragt meine Mutter herausfordernd.

Ich kann nicht nachvollziehen, weshalb sie den Worten dieser Frau so viel Gewicht beimisst. »Ich verstehe ehrlich gesagt nicht, wieso dich das so aufregt.«

Damit verletze ich sie ungewollt und ehe ich mich versehe, vergräbt sie weinend das Gesicht in ihren Händen.

»Ich werde nie Enkelkinder haben«, schluchzt sie bekümmert.

Genau solche Ausbrüche habe ich befürchtet, als sie mich tagelang darum gebeten hat, endlich zu Besuch zu kommen. Schließlich gibt es, seit dem Tod meines Vaters, nur wenige Themen, über die sie mit mir spricht. Wenn es nicht um meinen Job geht, geht es um meinen Vater und wenn es nicht um ihn geht, dann geht es darum, dass ich weder verheiratet bin, noch Kinder habe. Sie hat mir nie ins Gesicht gesagt, dass sie enttäuscht von mir ist, aber wenn ich ihre krankhafte Sorge um die Meinung meines verstorbenen Vaters analysiere, weiß ich genau, dass sie eigentlich von sich spricht. Obwohl dieses Verhalten oft zum Haareraufen ist, liebe ich meine Mutter. Ich will und kann sie nicht verletzen. Schließlich weiß ich, dass sie nur das Beste für mich möchte.

»Ist schon gut«, flüstere ich und lege ihr tröstend die Hand auf die Schulter. »Du solltest nicht so viel Zeit mit dieser Frau verbringen.«

Nach unserem Gespräch bringt meine Mutter den kalten Lammbraten zurück in die Küche. Ihr ist der Appetit vergangen und ich habe ein bisschen darin herumgestochert, damit sie sich nicht völlig umsonst diese Mühe gemacht hat.

Jetzt wäre Daddy ganz sicher enttäuscht.

Durch den Ausbruch meiner Mutter komme ich viel zu spät beim Southwest Hotel an. Ein Portier lässt sich die Schlüssel meines Kleinwagens geben, der neben all den anderen protzigen Limousinen aussehen muss, als hätte ich mich in der Hausnummer geirrt. Mein rotes Kleid ist eng und wenn ich etwas nicht ausstehen kann, dann sind es unbequeme Klamotten. Genau aus diesem Grund habe ich solche Galakleider auch nicht im Schrank, weshalb ich für diesen Abend eines von Maggie leihen musste. Erst nachdem ich mich mühevoll reingezwängt hatte, wurde mir bewusst, dass die Arme weder Brüste noch einen Po besitzt. Anders kann ich mir nicht erklären, wie man da ohne Hilfe reinkommt. Zu meinem Glück hat sich das leuchtende Rot meines verbrannten Dekolletés wieder zu einer einigermaßen ansehnlichen Farbe zurückverwandelt. Ansonsten würde es sich farblich überhaupt nicht vom Kleid abheben.

Mit kleinen Schritten steuere ich direkt auf den Empfang zu. Der Mann, der sich um die Gästeliste kümmert, wirft einen fragenden Blick auf mich. Noch bevor er sich nach meinem Namen erkundigen kann, halte ich ihm den Presseausweis entgegen. Er reagiert höchsterfreut. »Ich wusste gar nicht, das The golden mirror heute vertreten sein wird.«

»Wir hoffen auf einen interessanten Abend«, erwidere ich lächelnd und werde dann von einem anderen Portier durch die Gänge des Hotels geführt. Bevor ich die festliche Halle betreten darf, will er mir noch ein kleines Etikett auf das Kleid kleben. Während er mir hilflos in den Ausschnitt starrt, deute ich auf meine Taille. »Sie können es gern hier hinkleben.« Er wirkt erleichtert und befestigt das gute Stück vorsichtig. Als könnte ich andernfalls aus dem Stoff platzen. Erst als er sich vergewissert hat, dass auch wirklich alles sitzt, öffnet er die Tür zum Festsaal.

Der Raum, der sich mir eröffnet, ist riesig. An der hohen Decke hängen gewaltige Kronleuchter, die trotzdem nur ein schummriges Licht abgeben. Meine Schuhe spiegeln sich im glänzenden Marmorboden und alles ist von angeregten Gesprächen und den zart klimpernden Klängen zahlreicher Gläser erfüllt.

Ich mache mich auf die Suche nach Mr Green und schiebe mich dabei vorsichtig durch die Menge. Auf einer Bühne gibt eine Frau ihre engelsgleiche Stimme zum Besten. Immer wieder bieten mir Kellner Schampus und kleine Häppchen an. Im Vorbeigehen schnappe ich mir deshalb einen Champagner und kippe ihn in nur wenigen Zügen hinunter. Nur ein paar Meter später werde ich mein leeres Glas direkt los.

Neben einem der runden Tische halte ich inne und lasse meinen Blick über die vielen Menschen schweifen. Irgendwo muss Mr Green ja sein. Nur wenn ich wirklich Pech habe, ist er bereits auf eines der Zimmer verschwunden und gibt eine Privatvorstellung.

Während ich so dastehe, kann ich ein Gespräch verfolgen, dass die Gesellschaft am Nebentisch führt. Ein Mann mit weißem Haar und weißem Schnauzer klammert sich an seinen überteuerten Gehstock.

»Ist ein feiner Kerl«, sagt er zu den anderen. »50.000 Dollar zu spenden zeugt von ehrlichem Interesse. Sehen Sie sich all die Leute an …« Er deutet den Ladys und Gentlemen sich einmal umzusehen. »Die sind doch nur wegen der Feierlichkeiten hier.«

»Ich finde, es ist nicht verwerflich, einen solchen Abend auch zu genießen«, entgegnet ihm eine der Frauen.

»Natürlich nicht«, antwortet der Alte. »Aber es geht vorrangig darum, Gutes zu tun. Und dass ein Mann wie Mr Green die höchste Summe des Abends beisteuert, sollte allen Männern und Frauen, die reicher und bekannter sind, einen ordentlichen Seitenhieb versetzen.«

Ich horche interessiert auf. Mr Green hat also bereits gespendet. Im schlimmsten Fall ist er demnach längst verschwunden.

»Wissen Sie eigentlich, worauf sein Vermögen fußt?«, fragt in diesem Moment ein deutlich jüngerer Mann.

Der Alte schüttelt den Kopf.

Ich kralle mir bei dieser Gelegenheit noch einen Drink, um zu verbergen, dass ich sie belausche. Stattdessen will ich den Eindruck vermitteln, als genieße ich lediglich die gute Musik.

»Ich habe ja gehört, dass es sich um ein Erbe handelt«, meint eine der Frauen.

»An der Maklerei liegt es jedenfalls nicht«, spottet der Alte. »Wenn Sie sich ansehen, welche Objekte über seine Firma angeboten werden, werden Sie feststellen, dass es sich dabei nicht um Villen und Luxusapartments handelt.«

»Ich finde, er ist seltsam.« Das sagt wieder die Frau, die von dem Erbe gehört hat.

»Und seine Frau scheint mir auch mehr zum allgemeinen Ansehen beizutragen, als dass er wirklich viel von ihr hält.«

Ich muss unweigerlich schmunzeln.

Der Alte stützt sich auf den Gehstock und lehnt sich über den Tisch. »Mir ist schon zu Ohren gekommen, dass er sich des Öfteren gern die eine oder andere Prostituierte in sein Büro bestellt.«

Ein überraschtes Raunen macht die Runde.

Während ich den Hals vor lauter Neugier strecke, tippt mir jemand auf die Schulter. Bestimmt wieder so ein nerviger Kellner, der mich beiseiteschieben will. In Wahrheit ist es jedoch Mr Green, der direkt hinter mir steht und mich erfreut ansieht.

»Sagen Sie mal, verfolgen Sie mich?«, fragt er amüsiert.

»Was? Nein! Ich schreibe einen Artikel für The golden mirror«, kontere ich.

»The golden mirror? Das ist ein fantastisches Blatt. Teilweise kritisch, aber unterhaltsam.«

Ich nicke lediglich und kippe mir dann eilig den Schampus hinter. Zu meinem Glück werde ich von dem alten Mann am runden Tisch gerettet.

»Mr Green!«, ruft er und winkt ihn zu sich herüber. »Sie haben ja eine bezaubernde Begleitung«, meint er mit einem Kopfnicken in meine Richtung und die feinen Herrschaften kichern daraufhin erfreut, was mir das Gefühl gibt, dass ich in ihren Augen durchaus auch eine der Prostituierten sein könnte. Wütend verziehe ich das Gesicht und schlage einem der vorbeilaufenden Kellner das leere Glas auf sein Tablett. Dabei höre ich noch, wie Jonathan Green ihnen erklärt, dass ich nicht seine Begleitung, sondern eine Journalistin sei. Einer der Herren fragt ihn prompt nach seiner Frau, doch er winkt diese Frage mit einer lässigen Handbewegung ab.

»Sie ist leider verhindert«, meint er mit einem sanften Lächeln auf den Lippen. Die anderen mögen ihm das abkaufen, aber ich weiß ganz genau, dass sie gerade mutterseelenallein zu Hause sitzt.

»Bitte entschuldigen Sie mich«, sagt er und überhört dabei das Lob, das ihm eine der Frauen zu der hohen Spende machen wollte. Danach wendet er sich direkt wieder an mich: »Vielleicht darf ich Sie ja jetzt um einen gemeinsamen Drink bitten?« Seine braunen Augen mustern mich intensiv und zwingen mich förmlich dazu, nervös am Stoff meines Kleides zu zupfen.

»Nein, vielen Dank. Ich arbeite«, erwidere ich in aller Hoffnung, dass er sich endlich eine andere sucht, die er in eines der Hotelzimmer entführen kann.

Doch anstatt nachzugeben, lächelt er, wobei sich kleine Grübchen auf seinen Wangen bilden.

»Seit wann schreiben Sie denn für diese Zeitung?« Er greift einfach nach zwei Champagnergläsern, während uns abermals einer der Kellner streift.

»Seit zwei Jahren«, lüge ich und kneife skeptisch die Augen zusammen.

Eine bessere Antwort kam mir so schnell nicht in den Sinn. Wenn man die Arbeit als Privatermittlerin mit der Presse vergleicht, dann ist das auch gar nicht so weit hergeholt. Schließlich habe ich eine Menge Schreibarbeit.

»Und wissen Sie schon, worum es in Ihrem Artikel gehen wird?«

»Nun, wie ich hörte, hat jemand ganze 50.000 Dollar gespendet.«

Er lässt sich nichts anmerken und bleibt weiterhin die Ruhe selbst. »50.000? Wow«, erwidert er beeindruckt und reicht mir dann eines der Gläser. »Darauf sollten wir trinken.« Wieder folgt dieses charmante Lächeln, das die Frauenwelt vermutlich zum Dahinschmelzen bringt. Davon lasse ich mich allerdings nur wenig beeindrucken. Attraktive Männer mit einem Haufen Geld bedeuten Ärger. Ich habe nicht vor, mich von ihm um den Finger wickeln zu lassen. Er ist schließlich mein Auftrag und meine Aufträge nehme ich sehr ernst.

Behutsam greife ich nach dem Champagner, wodurch er bereits siegessicher wirkt. Wir stoßen an. Neckisch zwinkere ich und drücke das volle Glas einer Kellnerin in die Hand, die gerade nach dem Rechten sehen will. Damit hat er definitiv nicht gerechnet. Sein Gesichtsausdruck spricht Bände.

»Bei Ihnen bedeutet nein also wirklich nein?«, fragt er mit einem breiten Grinsen.

»Nun, wenn ich arbeite, trinke ich maximal ein Glas und das hatte ich bereits. Und wo wir gerade davon sprechen«, merke ich an. »Haben Sie nichts Wichtigeres zu tun, als sich mit einer Journalistin zu unterhalten?«

Mr Green lacht und beugt sich ein Stück vor, um einen Blick auf mein Etikett zu erhaschen.

»Maggie«, liest er laut vor. »Also, ich muss Ihnen sagen, dass man bei diesem Kleid nicht den Eindruck gewinnt, als seien Sie beruflich hier.«

Fassungslos klappt mir der Mund auf. »Wie bitte?«

»Das und die zwei Drinks, die Sie bereits hatten, wirken eher so, als würden Sie Ihre Arbeit nicht allzu ernst nehmen.«

Ich bin peinlich berührt. Er hat mich also schon vorher beobachtet.

»Gut, Sie haben mich erwischt«, gebe ich zu. »Aber ich sollte wirklich einen klaren Kopf behalten.«

Mr Green sieht mich mit großen Augen an.

»Für den Artikel«, betone ich nachträglich.

»Natürlich«, antwortet er und lächelt schelmisch.

Ich weiß nicht, ob es an all den Menschen liegt oder daran, dass mir dieses enge Kleid die Luft abschnürt, aber in mir entfacht sich eine unangenehme Hitze.

»Ich sollte jetzt besser gehen«, sage ich und wende mich augenblicklich von ihm ab. Nach Luft wedelnd, bahne ich mir einen Weg durch die Menschenmenge. Meine Nerven spielen unterdessen total verrückt, weil mir immer bewusster wird, dass ich diesen Fall gänzlich vermasselt habe.

Gestern hat er mich dabei erwischt, wie ich ihn observiert habe, und heute hatte er mich schon im Blick, als ich noch auf der Suche nach ihm war. Was ist los mit mir? Ich schütte kochend heißen Kaffee über meine Bluse, werfe Becher aus meinem Autofenster, stammele wie bekloppt herum und quetsche mich förmlich in eine nach Aufmerksamkeit schreiende Signalfarbe! Ich weiß nicht, weshalb ich mich mit einem Mal derart schusselig verhalte, aber vielleicht bin ich langsam urlaubsreif. Jonathan Green wird mich nun jedenfalls ganz sicher nicht mehr vergessen. Ich bin ihm nicht nur ein klein wenig aufgefallen, sondern habe mich direkt ins Rampenlicht geworfen. Toll, Caitlyn. Flinch wird absolut begeistert sein.

»Es war ein totaler Reinfall«, jammere ich und lasse mich auf Maggies Sofa fallen. »Selbst nachdem ich draußen im Wagen gewartet habe, konnte ich ihn lediglich dabei beobachten, wie er ohne Begleitung das Hotel verließ und direkt nach Hause fuhr. Kannst du dir das vorstellen?«

Sie gluckst wieder einmal vergnügt. »Er hat ein Auge auf dich geworfen.«

»Er hat kein Auge auf mich geworfen, sondern auf diesen roten Magneten, den du Kleid nennst.«

Maggie klopft mir lachend auf die Schulter. »Es hat doch funktioniert«, sagt sie, wobei ich das Wort funktioniert in keiner Weise mit diesem Abend in Verbindung setzen kann. »Du weißt zumindest schon einmal, dass er für Spaß bezahlt.«

»Das war nur eine Behauptung«, erkläre ich ihr enttäuscht. »Ich kann nicht zu meiner hochtrabenden Mandantin fahren und ihr nichts als ein paar Tischgespräche liefern.«

»Aber er baggert dich wie verrückt an, Cait«, erwidert sie in ernstem Tonfall. »Was muss man denn noch wissen?«

»Du wirst kaum glauben, was für Details manche Frauen wissen wollen.«

Wir lachen beide. Maggie gehört zu den Menschen, die einem auch zu später Stunde die Tür öffnen und selbst die düstersten Tage erhellen.

»Ich hoffe nur, er wirft keinen Blick in die Zeitung«, stöhnt sie gedankenverloren. Sie hat das kaum ausgesprochen, als ich mich deshalb fast an meiner eigenen Spucke verschlucke.

»Verdammt!«, fluche ich panisch und springe so schnell auf, dass Maggie einen Schreck bekommt. Wie ein aufgescheuchtes Huhn laufe ich um ihren Wohnzimmertisch herum. »Scheiße, scheiße, scheiße.«

»Ganz ruhig«, höre ich Maggie sagen.

»Verdammt noch mal«, schimpfe ich ungerührt weiter. »Flinch bringt mich um.«

»Er bringt dich nicht um.«

»Doch, er wird meinen Kopf nehmen und ihn direkt in eine Ausgabe von The golden mirror hineinpressen. Und zwar so fest, dass ich daran ersticken werde.«

»Ich versichere dir«, antwortet Maggie trocken, »das wird er am allerwenigsten tun.«

»Ich brauche ganz dringend einen Artikel über diese Spendengala«, sage ich und werfe mich theatralisch vor ihr auf die Knie. Das Kleid gibt dabei einen beunruhigenden Laut von sich, den hoffentlich nur ich gehört habe. Ihr fassungsloser Blick lässt jedoch darauf schließen, dass er ihr nicht entgangen ist. Eine ihrer Augenbrauen hebt sich.

»Das war jetzt nicht der 300 Dollar teure Magnet, oder?«

Ich lächele aufgesetzt. »Ich denke schon«, sage ich kleinlaut. Meine Stimme ist dabei eher ein Quietschen.

»Gott!«, schreit sie und springt ebenfalls vom Sofa auf. Sie drückt mein Gesicht in den Stoff der Couch, während sie meinen Rücken begutachtet. »Oh!« Anscheinend hat sie etwas ganz Furchtbares entdeckt.

Ich traue mich nicht, sie danach zu fragen.

»Zieh es aus!«, zischt sie wütend. Wenn Maggie sauer ist, gehorcht man besser, also ziehe ich es ohne Widerworte aus. Ich habe den Fummel kaum über meinen Kopf gezogen, als sie ihn mir bereits aus den Händen reißt.

»Ich bezahle dir den Schaden«, versichere ich ihr.

»Das kannst du nicht bezahlen«, erwidert sie und betrachtet dabei das Kleid, als wäre es gerade gestorben. »Das war ein Unikat. Handarbeit. Ein Einzelstück aus Paris.«

Ich kaue nervös auf meiner Unterlippe in aller Hoffnung, dass sie mich jetzt nicht in einen Flieger setzen wird.

»Es tut mir echt leid.«

Maggie zieht den Stoff auseinander und zeigt mir das klaffende Loch.

»Nun ja, zum Glück liegt es direkt neben dem Reißverschluss.«

Wieder ernte ich einen fassungslosen Blick ihrerseits. »Direkt daneben?«, fragt sie mich. »Wenn du mit daneben ganze zwei Zentimeter meinst, dann habe ich ja echt tierisch viel Glück gehabt.«

Der Tag endet also so ähnlich wie der davor. Nachdem ich nun bereits eine Bluse, einen Lammbraten und ein teures Kleid auf dem Gewissen habe, fürchte ich mich langsam vor dem Klingeln meines Weckers.

Kapitel 2

Mrs Green hat die Beine übereinandergeschlagen und Flinch damit in die Steinzeit zurückgeworfen. Er sieht aus wie ein Neandertaler, der zum allerersten Mal fasziniert ins Feuer blickt.

»Jonathan war immer etwas eigenartig«, erzählt sie uns und betrachtet dabei den Ehering oder vielleicht die frisch manikürten Fingernägel. Genau kann ich das nicht festmachen – aber zumindest sieht sie uns unterdessen nicht an. »Früher ist er oft nachts durch das Haus geschlichen, aber er ist nie weggefahren.«

Anscheinend wird die Entfernung zwischen ihnen größer und das muss nicht zwangsläufig an ihm liegen. Ich spüre, wie ich unweigerlich grinse, während mir dieser Gedanke durch den Kopf schießt.

»Er war schon immer ein sehr verschwiegener Mann und es gab stets Themen, die ich niemals ansprechen durfte.«

Flinchs Blick wandert nun zu ihrem Gesicht hinauf.

»Wenn ich ihn gefragt habe, ob er nicht schlafen kann, wurde er mit jedem weiteren Mal distanzierter. Das Gleiche tut er, wenn ich versuche, ihn zu einem Sommerurlaub zu überreden. Er sieht mich dann an, als würde ich von ihm etwas Unmögliches erwarten, und straft mich danach mit Schweigen.« Ihr gefällt das keineswegs. Sie klimpert verzweifelt mit den Wimpern und schaut dabei theatralisch zum Fenster hinaus. »Er hat mich in den drei Jahren unserer Ehe nicht ein einziges Mal begleitet«, fährt sie fort. »Nicht einmal bei unseren Flitterwochen hat er sich auf Florida oder Hawaii eingelassen.«

»Wo haben Sie diese denn dann verbracht?« Ich frage aus reiner Neugier.

»Wir waren in London. Waren Sie schon einmal in London?«

Ich schüttele wortlos den Kopf.

»Es hat geschüttet wie aus Eimern«, jammert sie. »Zwei Wochen lang hatte ich das Gefühl, dass er sich einen albernen Scherz erlaubt.«

Während sie von ihrer traurigen Vergangenheit erzählt, fällt es mir äußerst schwer, nicht in schallendes Gelächter auszubrechen. Die Frau hat eindeutig Probleme! Sie lädt mir einen Fall auf, weil ihr Mann nachts neuerdings Spazierfahrten unternimmt, anstatt wie üblich im Haus herumzulaufen, und er allem Anschein nach einfach kein Sommermensch ist?

»Und dann vor etwa zwei Monaten erwähnte seine Sekretärin etwas, das mich aufhorchen ließ.«

»Sie meinen so eine kleine Frau mit dünnem braunem Haar?«

Mrs Green nickt zustimmend, wobei sie nun wieder einen abwertenden Blick aufsetzt.

»Sie ist eine grässliche Person und die vergesslichste Sekretärin, die mir je untergekommen ist.« Danach sitzt sie noch einen Augenblick lang kopfschüttelnd da, als wäre ihr entfallen, dass sie eigentlich etwas erzählen wollte.

»Und sie hat also eine Bemerkung gemacht?«, hake ich nach.

»Ach, genau«, beginnt Mrs Green. »Sie sagte, mein Mann hätte heute wieder seinen Termin, dann hustete seine Sekretärin, als hätte sie sich fast verschluckt, und korrigierte sich: einen Termin.«

Ich lasse es so aussehen, als würde ich mir eine Notiz machen, während ich auf meinem Block herumkritzele. »Und dieser eine Termin war an welchem Tag?«

»Es war irgendein Mittwoch. Ich wollte Jonathan in seiner Mittagspause zum Essen einladen.«

Sie wollte ihn also einladen? Wieder presse ich fest die Lippen aufeinander, um mir nichts anmerken zu lassen. »Verstehe«, sage ich leise und male weitere Linien und Kreise, bevor ich erneut zu ihr aufblicke.

Ich will ihr gerade danken, um sie schleunigst loszuwerden, als mein Handy klingelt.

Nicht jetzt.

Flinch wirft mir direkt einen spitzen Blick zu.

»Entschuldigen Sie mich kurz«, sage ich und verschwinde durch die Glastür meines Büros in den Flur hinaus.

»Maggie«, flüstere ich. »Es ist im Moment wirklich sehr schlecht.«

»Du wirst nicht glauben, wer mich gerade angerufen hat«, sagt sie und meine Augen suchen die beiden erwartungsvollen Gesichter in meinem Büro auf. Ich hebe den Zeigefinger, um anzumerken, dass es nur eine Sekunde dauert, ehe ich mich wieder abwende.

»Sag jetzt bitte nicht, dass was ich denke.«

»Jonathan Green rief hier in der Redaktion an, um Maggie zu sprechen«, sagt sie und klingt dabei alles andere als erfreut. Sicherlich war ihr das äußerst peinlich, zumal sie nicht einmal gemeint war.

»Das ist total verrückt«, äußere ich fassungslos. »Was wollte dieser Casanova denn?«

In diesem Augenblick öffnet sich meine Bürotür und Flinch streckt den Kopf in den Gang.

»Caitlyn?«, sagt er auffordernd. »Du willst sie doch nicht noch länger warten lassen?«

»Nur einen klitzekleinen Moment «, erwidere ich und mache dabei ein Gesicht, als würde es um Leben und Tod gehen.

»Beeil dich!«, schnaubt er und schließt die Tür.

Ich konnte lediglich hören, wie Maggie drauflosgebrabbelt hat, doch ich habe kein einziges Wort mitbekommen. »Warte«, falle ich ihr ins Wort. »Noch mal, bitte.«

Sie stöhnt genervt. »Er wollte mit mir, also eigentlich ja mit dir, essen gehen und sagte, dass er gern etwas mit dir besprechen würde.«

Ich halte einen Moment verwundert inne. »Er will etwas besprechen?« Kopfschüttelnd wende ich mich wieder Flinch und Mrs Green zu. Ich hebe erneut den Zeigefinger, um mir noch etwas mehr Zeit zu verschaffen. »Nur ein wenig Geduld«, sage ich, wobei ich mir nicht sicher bin, ob Flinch und das Blondchen überhaupt von meinen Lippen lesen können. Doch die beiden nicken artig.

»Du hast es nicht gemacht, oder? Du hast abgelehnt, nicht wahr?«, sage ich zu Maggie.

»Du triffst ihn heute Abend um sieben in dem kleinen Fischrestaurant an Pier 12.« Damit legt sie einfach auf.

»Maggie?«, frage ich verwundert, doch bis auf das Tuten erhalte ich keine Antwort. »Diese Kröte«, fluche ich wütend, bevor ich mit einem falschen Lächeln ins Büro zurückkehre.

»Ist alles in Ordnung?«, möchte Mrs Green wissen, ganz so, als wüsste sie, dass es bei diesem Anruf um ihren Mann ging.

»Alles okay. Nicht so wichtig«, erwidere ich knapp und eile zu meinem Schreibtischstuhl zurück. Während sie nun weitererzählt, bin ich gedanklich jedoch bereits meilenweit entfernt. Es ist, als würde ich noch immer Maggies Stimme hören, die mir die Uhrzeit und den Ort nennt. Ich kann mich doch nicht mit dem Mann treffen, den ich eigentlich beschatten soll. Was will er von mir? Wie kann ich ihn mit einer anderen Frau erwischen, wenn ich selbst zu derjenigen werde, die mit ihm essen geht? Maggie scheint sich einen Spaß daraus gemacht zu haben, weil ich ihr Kleid ruiniert habe, aber ich finde das gar nicht witzig. Ich weiß nicht mehr, wo mir der Kopf steht. Meine letzten Tage scheinen sich förmlich darum zu duellieren, welcher von ihnen der schlimmste ist. Solange all diese Missgeschicke um das Krönchen rangeln, stehe ich irgendwo als Zuschauer am Spielfeldrand und bete, dass dieser Kampf bald ein Ende nimmt.

Am Abend schlägt mir der Wind mit eisiger Hand ins Gesicht. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal so gefroren habe. Direkt am Hafen ist es auf alle Fälle deutlich kälter als in der Stadt. Der Herbst wird langsam immer stürmischer und um mich vor einer Erkältung und falschen Annahmen zu schützen, habe ich mir vorsorglich einen meiner Wollkragenpullover angezogen. In diesem habe ich zwar eigentlich mehr Platz als nötig, aber ich wollte mich auf gar keinen Fall noch mal in etwas derart Aufreizendem, wie dem hautengen Kleid von Maggie, präsentieren.

Ich stehe direkt am Pier, lässig an einen Zaun gelehnt, und beobachte das Restaurant erst einmal aus sicherer Entfernung. Es muss ziemlich gut sein, denn der Laden ist gerammelt voll. Es ist fraglich, ob wir überhaupt einen Tisch bekommen werden, in den meisten Fällen muss man in so einem Restaurant oft Wochen vorher reservieren. In diesem Moment taucht Mr Green auf. Er ist absolut pünktlich. Ich kann ihn dabei beobachten, wie er zielstrebig auf das Restaurant zugeht, um es dann ohne Umschweife zu betreten. Für mich kommt es gar nicht infrage, ihm direkt zu folgen, lieber will ich ihn noch etwas zappeln lassen. Vielleicht ein paar Minuten, je nachdem, wie lange ich es in dieser Eiseskälte aushalte.

Etwa zwei Minuten später steuere ich allerdings bereits zitternd auf die Doppeltür des Restaurants zu. Das Lokal ist äußerst luxuriös. Schon beim Reinkommen entdecke ich unterschriebene Porträts einiger Prominenter sowie die ersten Designerstücke der exklusiven Einrichtung. Ein Mann in feiner Weste und weißem Hemd fragt mich freundlich nach meinem Namen, um im Gästebuch nach meinem Platz zu suchen.

»Young. Ähm nein, suchen Sie lieber nach Green«, korrigiere ich mich und beobachte, wie er mit dem Finger über die vielen Einträge fährt. Mir steigt der Geruch von Vanille in die Nase, als einer der Kellner ein Dessert an uns vorbeiträgt. Ansonsten dominiert der aromatische Duft verschiedener Gewürze. Im Hintergrund läuft klassische Musik und statt lautem Geplapper werden dezente Gespräche geführt. Ich wende den Blick von dem Mann vor mir ab und schaue mich interessiert um. Die Wände sind mit beigefarbenen Stofftapeten überzogen und passen hervorragend zu dem hellen Holzboden. Von der Decke hängen tropfenartige Lampen, die das Restaurant in ein warmes Licht tauchen. Die goldene Deko tut ihr Übriges, um den erdrückenden Eindruck der Exklusivität zu verstärken.

»Green«, murmelt der Mann nachdenklich, bevor er überrascht zu mir aufsieht. Seine Augen wandern verwundert an mir herab. Vermutlich kann er kaum fassen, dass eine Frau im Secondhandmantel eine Verabredung mit Jonathan Green hat. Der Kellner lässt sich das jedoch nur kurz anmerken und bittet mich dann ganz professionell darum, ihm zu folgen.