Cari Mora - Thomas Harris - E-Book

Cari Mora E-Book

Thomas Harris

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Beschreibung

Hannibal Lecter hat einen Nachfolger. Er ist erbarmungslos. Und er kann dich fühlen.

Millionen Leser haben das teuflische Spiel zwischen Serienkiller Hannibal Lecter und FBI-Agentin Clarice Starling verfolgt. In der kongenialen Verfilmung mit Anthony Hopkins und Jodie Foster kamen Millionen Zuschauer hinzu. Jetzt ist Thomas Harris zurück und schickt einen Killer ins Rennen, der erneut für schlaflose Nächte sorgt.

Die Schreie einer Frau sind Musik in seinen Ohren. Er ist groß, blass, haarlos, und wie ein Reptil liebt er die Wärme. Menschen begegnen ihm mit Angst und Ekel. Er ist daran gewöhnt. Denn wenn sie das Monster in ihm erkennen, ist es meist zu spät. Bis der Killer sich Cari Mora aussucht. Die junge Frau hat keine Angst vor dem Grauen und wagt es, dem Dämon ins Auge zu blicken.

Enthält eine Leseprobe von "Das Schweigen der Lämmer" (Kapitel 1 bis 7) .

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Seitenzahl: 277

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ZUM BUCH

Millionen Leser haben das teuflische Spiel zwischen Serienkiller Hannibal Lecter und FBI-Agentin Clarice Starling verfolgt. In der kongenialen Verfilmung mit Anthony Hopkins und Jodie Foster kamen Millionen Zuschauer hinzu. Jetzt ist Thomas Harris zurück und schickt einen Killer ins Rennen, der erneut für schlaflose Nächte sorgt.

Die Schreie einer Frau sind Musik in seinen Ohren. Er ist groß, blass, haarlos, und wie ein Reptil liebt er die Wärme. Menschen begegnen ihm mit Angst und Ekel. Er ist daran gewöhnt. Doch wenn sie das Monster in ihm erkennen, ist es meist zu spät. Bis der Killer sich Cari Mora aussucht. Die junge Frau hat keine Angst vor dem Grauen und wagt es, dem Dämon ins Auge zu blicken.

ZUM AUTOR

Thomas Harris begann seine Karriere als Journalist und schrieb hauptsächlich über Gewaltkriminalität in den USA und Mexiko. Danach arbeitete er als Reporter und Redakteur bei Associated Press in New York. Von Thomas Harris sind bislang fünf Romane erschienen, die sich weltweit über 30 Millionen Mal verkauft haben und allesamt verfilmt wurden. Sein größter Erfolg war »Das Schweigen der Lämmer«, das wochenlang die Bestsellerliste der New York Times anführte und als Verfilmung einen Oscar für den besten Film erhielt.

THOMAS

HARRIS

CARI

MORA

THRILLER

AUS DEM AMERIKANISCHEN

VON IMKE WALSH-ARAYA

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel Cari Mora

bei Grand Central Publishing, New York

Die Figuren und Ereignisse dieses Romans sind erfunden. Jegliche Ähnlichkeiten mit realen Personen, seien sie lebendig oder tot, wären zufällig und vom Autor nicht beabsichtigt.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Copyright © 2019 by Thomas Harris

Copyright © 2019 der deutschen Ausgabe

by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Lektorat: Kirsten Naegele

Redaktion: Oliver Neumann

Covergestaltung: punchdesign

Coverdesign: Tal Goretsky, unter Verwendung von Motiven von: Shutterstock (Natali Zakharova); Alamy Stock Foto (Patrick Guenette, lorilegius, Antiqueimages, Steve Beaumont, Quagga Media)

Satz: Leingärtner, Nabburg

ISBN 978-3-641-24720-1 V003

www.heyne.de

Für Elizabeth Pace Barnes,

die mir Liebe schenkt und Weisheit leiht.

1

Zwei Männer, die mitten in der Nacht miteinander telefonieren. Eintausendsiebenhundert Kilometer voneinander entfernt. Jeweils eine Seite ihrer Gesichter wird von einem Mobiltelefon erhellt. Zwei halbe Gesichter in der Dunkelheit.

»Ich kann mir Zugang zu dem Haus verschaffen, wo das Zeug ist. Wenn das stimmt, was Sie sagen … Aber Sie haben mir noch nicht alles erzählt, Jesús.«

Die Antwort wird durch statisches Knistern fast übertönt. »Und Sie haben erst ein Viertel von dem gezahlt, was Sie mir versprochen haben.« Ein leises Zischen erklingt. »Schicken Sie mir das restliche Geld. Schicken Sie’s mir endlich.« Wieder das leise Zischen.

»Jesús, wenn ich ohne Ihre Hilfe bekomme, was ich will, war’s das. Dann kriegen Sie nie wieder was von mir.«

»Da haben Sie recht. So recht haben Sie im ganzen Leben noch nicht gehabt.« Leises Zischen. »Das, was Sie suchen, ist mit fünfzehn Kilo Semtex gesichert … Wenn Sie’s ohne meine Hilfe finden, landen Sie in kleinen Stücken auf dem Mond.«

»Ich habe einen langen Arm, Jesús.«

»Vom Mond bis zur Erde reicht er bestimmt nicht, Hans-Pedro.«

»Ich heiße Hans-Peter, wie Sie wissen.«

»Und wenn Ihr Arm lang genug wäre, würden Sie sich dann damit an Ihren Petermann langen? Wollen Sie mir das damit sagen? Ihre intimen Gewohnheiten interessieren mich nicht. Hören Sie auf, meine Zeit zu verschwenden. Schicken Sie mir das Geld.«

Die Verbindung ist unterbrochen. Beide Männer liegen da und starren in die Dunkelheit.

Hans-Peter Schneider ist in einer Koje seiner langen schwarzen Jacht vor Key Largo. Als er eine Frau in der V-Koje im Bug schluchzen hört, äfft er sie nach. Stimmen nachahmen ist seine Spezialität. Er ruft den Namen der weinenden Frau, und die Stimme seiner Mutter kommt aus seinem Mund: »Karla? Karla? Warum weinst du, Kind? Es ist nur ein Traum.«

Für einen Augenblick lässt sich die verzweifelte Frau in der Dunkelheit täuschen, dann wird sie wieder von bitteren Tränen geschüttelt.

Das Weinen einer Frau ist Musik für Hans-Peter, es beruhigt ihn. Er schläft wieder ein.

Im kolumbianischen Barranquilla in lauscht Jesús Villarreal dem regelmäßigen Zischen seines Beatmungsgeräts, um sich zu beruhigen. Er atmet Sauerstoff aus der Maske. In der Dunkelheit, die sie alle umgibt, hört er draußen auf der Station des Krankenhauses einen Patienten. Der Mann fleht Gott um Hilfe an, ruft: »Jesus!«

»Ich hoffe, Gott kann dich so gut hören wie ich, mein Freund«, flüstert Jesús Villarreal in die Dunkelheit. »Aber ich bezweifle es.«

Jesús Villarreal ruft mit seinem Wegwerf-Handy die Auskunft an und lässt sich die Nummer eines Tanzstudios in Barranquilla geben. Er schiebt die Sauerstoffmaske beiseite, damit er reden kann.

»Nein, ich will nicht tanzen lernen«, sagt er in das Telefon. »Meine Tage als Tänzer sind vorbei. Ich will Don Ernesto sprechen. Doch, den kennen Sie. Nennen Sie ihm meinen Namen, er weiß dann schon Bescheid.« Leises Zischen.

2

Hans-Peter Schneiders Jacht glitt langsam an dem großen Haus in der Biscayne Bay vorbei. Das Wasser plätscherte um den schwarzen Rumpf.

Durch sein Fernglas beobachtete er Cari Mora, fünfundzwanzig, die sich mit Schlafanzughose und Tanktop bekleidet im Licht des frühen Morgens auf der Terrasse dehnte und streckte.

»O mein Gott«, sagte er. Seine Eckzähne waren ungewöhnlich lang und schimmerten silbern, wenn er lächelte. Er war groß und blass, völlig unbehaart. Hatte nicht mal Wimpern. Seine Augenlider berührten die Gläser des Fernglases. Er polierte die verschmierten Okulare mit einem Leinentaschentuch.

Felix, der Immobilienmakler, stand hinter ihm auf der Jacht. »Das ist sie. Die Haushüterin«, sagte er. »Sie kennt das Haus besser als irgendwer sonst, erledigt sogar Reparaturen. Lassen Sie sich das Haus von ihr zeigen. Danach werfe ich sie raus, bevor sie irgendwas sieht, was nicht für sie bestimmt ist. Sie kann Ihnen Zeit sparen.«

»Zeit …«, sagte Hans-Peter. »Wie lange dauert das mit der Genehmigung noch?«

»Der Typ, der das Haus im Moment gemietet hat, dreht Werbefilme. Seine Genehmigung gilt noch zwei Wochen.«

»Felix, ich will, dass Sie mir einen Schlüssel zu dem Haus geben.« Hans-Peter sprach Englisch mit deutschem Akzent. »Und zwar heute.«

»Wenn was passiert, und Sie haben meinen Schlüssel benutzt, bin ich dran. Wie bei O. J. Simpson. Sie nehmen meinen Schlüssel, und jeder denkt, ich war es.« Felix lachte über seinen eigenen Witz. »Hören Sie, ich rede heute mit dem Mieter und bitte ihn, das Haus freizugeben. Sie müssen sich die Immobilie tagsüber ansehen, mit anderen Leuten zusammen. Das Ding ist das reinste Gruselkabinett. Das ist schon die vierte Haushüterin. Sie ist die Einzige, die keine Angst hat.«

»Felix, reden Sie mit dem Mieter. Bieten Sie ihm Geld. Bis zu zehntausend Dollar. Aber Sie geben mir jetzt einen Schlüssel oder Sie sind in fünf Minuten eine Wasserleiche.«

»Wenn der Frau was zustößt, kann sie Ihnen nicht mehr von Nutzen sein«, sagte Felix. »Sie schläft im Haus. Sie muss da übernachten, wegen der Brandschutzversicherung. Tagsüber arbeitet sie manchmal woanders. Warten Sie und sehen Sie es sich tagsüber an.«

»Ich will mich nur umsehen. Sie wird gar nicht merken, dass ich da bin.«

Hans-Peter musterte Cari durch das Fernglas. Sie stand jetzt auf Zehenspitzen und füllte Vogelfutter in einen Behälter. Mit diesen interessanten Narben konnte er sie teuer verkaufen. Für hunderttausend Dollar vielleicht – 35 433 184 mauretanische Ouguiya –, an den Acroto Grotto Stump Club in Nouakchott. Mit allen Gliedmaßen und ohne Tätowierungen. Wenn er sie an Kundenwünsche anpassen musste, würde es in Anbetracht der Ausfallzeit mehr kosten. Hundertfünfzigtausend Dollar. Peanuts. In dem Haus steckten fünfundzwanzig bis dreißig Millionen.

Im Frangipani-Baum neben der Terrasse sang eine unsichtbare Spottdrossel ein Lied, das sie im kolumbianischen Wolkenwald gelernt und nach Norden, nach Miami Beach, mitgebracht hatte.

Cari Mora erkannte den typischen Gesang des Andenvogels, der mehr als zweieinhalbtausend Kilometer entfernt lebte. Die Drossel sang voller Leidenschaft. Cari lächelte und hielt inne, um noch einmal dem Lied ihrer Kindheit zu lauschen. Sie pfiff. Der Vogel pfiff zurück.

Sie ging ins Haus.

Auf dem Boot streckte Hans-Peter die Hand nach dem Schlüssel aus. Felix legte ihn auf die Handfläche, ohne sie zu berühren. »Die Türen sind mit einer Alarmanlage gesichert«, sagte er. »Aber an der Wintergartentür ist sie ausgefallen, wir warten noch auf die entsprechenden Teile. Es ist der Wintergarten an der Südseite des Hauses. Haben Sie ein paar Dietriche? Zerkratzen Sie in Gottes Namen den Schließzylinder, bevor Sie den Schlüssel benutzen, und lassen Sie für den Fall der Fälle einen Dietrich auf der Treppe liegen.«

»Nur Ihnen zuliebe, Felix.«

»Die Sache gefällt mir gar nicht«, sagte Felix. »Wenn Sie dem Mädchen etwas tun, ist das Wissen verloren.«

Zurück bei seinem Auto, das er an der Marina geparkt hatte, holte Felix ein Prepaid-Handy aus dem Kofferraum, wo er es unter der Matte neben Wagenheber und Werkzeug deponiert hatte. Er wählte die Nummer eines Tanzstudios in Barranquilla, Kolumbien.

»No, Señor«, sagte er ins Telefon und flüsterte dabei, obwohl er im Freien stand. »Ich habe ihn mit der Genehmigung so lange hingehalten, wie es ging. Er hat einen eigenen Anwalt für diese Dinge – er wird mir auf die Schliche kommen. Er will nur das Haus. Sonst nichts. Er weiß nicht mehr als wir … Ja, ich habe die Anzahlung. Danke, Señor, Sie können sich auf mich verlassen.«

3

Cari Mora hatte tagsüber mehrere Jobs. Am besten gefiel ihr der bei der Pelican Harbor Seabird Station, wo Tierärzte und weitere Ehrenamtliche Vögel und andere Kleintiere gesund pflegten. Sie kümmerte sich um das Behandlungszimmer und sterilisierte am Ende des Arbeitstags die Instrumente. Manchmal übernahm sie zusammen mit ihrer Cousine das Catering für die von der Station organisierten Bootsfahrten.

Cari kam immer früh, um noch mit den Tieren arbeiten zu können. Die Station stellte ihr OP-Bekleidung, die sie gerne trug, weil sie sich damit zum medizinischen Personal gehörig fühlte.

Die Tierärzte verließen sich zunehmend auf Cari, weil sie im Umgang mit den Vögeln geschickt und achtsam war. Heute vernähte sie unter den Augen von Dr. Blanco den Kehlsack unter dem Schnabel eines weißen Pelikans, der sich an einem Angelhaken verletzt hatte. Der Kehlsack ist besonders heikel, weil die verschiedenen Schichten getrennt vernäht werden müssen, während der Vogel mit Gas betäubt ist.

Es war eine friedliche Arbeit, die ihre ganze Aufmerksamkeit erforderte. Ganz anders als die Erfahrungen, die sie als Kind gemacht hatte, wenn sie die Verletzungen der Soldaten im Feld mit einem raschen Matratzenstich oder mit einem Tourniquet versorgte, einen Poncho auf eine klaffende Brustwunde presste oder mit der Hand Druck ausübte, während sie mit den Zähnen einen Kompressionsverband öffnete.

Am Ende des Tages schlief der Pelikan in einem Erholungskäfig, und Dr. Blanco und die anderen waren nach Hause gegangen.

Cari nahm eine der Ratten, die aus kontrollierter Aufzucht stammten, aus der Gefriertruhe und ließ sie auftauen, während sie das Behandlungszimmer in Ordnung brachte und das Wasser in den Außen-Volieren und Gehegen wechselte.

Als sie mit dem Raum fertig war und die Instrumente sterilisiert hatte, öffnete sie eine Tamarindencola für sich selbst und brachte die aufgetaute Ratte nach draußen in die vergitterten Gehege und Volieren.

Die große Horneule saß auf einer Stange hoch oben in der hinteren Ecke ihrer Voliere. Cari legte den Rattenkadaver durch das Gitter auf ein schmales Brett. Sie schloss die Augen und versuchte, die Eule zu hören, bevor der durch die großen Schwingen verursachte Luftzug über sie hinwegrauschte. Der große Vogel landete nicht, sondern griff sich das Futter mit einem der x-förmigen Füße und glitt lautlos zurück auf die Stange, wo er Schnabel und Kehle verblüffend weit aufriss und die Ratte auf einen Sitz verschlang.

Die große Horneule lebte ständig in der Seevogelstation. Sie konnte nicht mehr freigelassen werden, weil sie bei einem Unfall mit einer Stromleitung ein Auge verloren hatte und nicht mehr zu jagen imstande war, obwohl sie sehr gut flog. Die Eule war ein beliebter Besucher im Naturkundeunterricht der Schulen der Stadt, wo sie sich geduldig die eingehende Musterung durch Hunderte von Schulkindern gefallen ließ. Manchmal schloss sie das verbliebene große Auge und döste während der Stunde.

Cari setzte sich auf ihren umgedrehten Eimer und lehnte sich mit dem Rücken an den Käfig, während sie der Tölpel, der sich im Käfig gegenüber von einer Schnittwunde zwischen den Zehen erholte, genau im Auge behielt. Cari hatte den Schnitt mit einer sauberen Flaschenzugnaht verschlossen, die ihr die Tierärzte gezeigt hatten.

In der nahen Marina gingen auf den Booten die Lichter an, und verliebte Paare bereiteten in den Kombüsen das Abendessen zu.

Caridad Mora, ein Kind des Krieges, wollte Tierärztin werden. Sie lebte seit neun Jahren mit einer Aufenthaltsgestattung – einem unsicheren vorläufigen Schutzstatus – in den Vereinigten Staaten, die durch eine Laune der Regierung in der gegenwärtigen vergifteten Atmosphäre jederzeit aufgehoben werden konnte.

In den Jahren vor der Verschärfung der Einwanderungspolitik hatte sie durch eine externe Prüfung einen Highschoolabschluss erworben. In einem kurzen sechswöchigen Kurs – und mit ihrer beträchtlichen Lebenserfahrung – hatte sie sich in aller Stille als ambulante Pflegehelferin qualifiziert. Für eine weitere Ausbildung hätte sie bessere Papiere gebraucht. Die migra – die Einwanderungsbehörde ICE – behielt sie genau im Auge.

In der kurzen tropischen Dämmerung fuhr sie mit dem Bus zurück zum großen Haus an der Bucht. Es war schon fast dunkel, als sie dort eintraf, die Palmen schwarz im letzten Licht.

Sie setzte sich kurz ans Wasser. Der Wind über der Bucht war heute Nacht voller Geister – junge Männer und Frauen, Kinder, die in ihren Armen überlebt hatten oder gestorben waren, während sie versuchte, ihre Blutungen zu stillen, die um jeden Atemzug gekämpft hatten und lebten oder mit einem Zucken ihr Leben aushauchten und schlaff wurden.

In anderen Nächten zupfte der Wind zärtlich an ihr, wie die Erinnerung an einen Kuss, an Wimpern, die ihr Gesicht streiften, an süßen Atem an ihrem Hals.

Manchmal dies, manchmal das, doch immer sprach der Wind zu ihr.

Cari saß draußen und lauschte den Fröschen, und der vieläugige Lotus im Teich beobachtete sie. Sie musterte das Einflugloch eines Eulenhauses, das sie aus einer Holzkiste gebaut hatte. Noch kein Gesicht zu sehen. Die Baumfrösche quakten.

Sie pfiff das Lied des Andenvogels. Kein Tier antwortete. Sie fühlte sich ein wenig leer, als sie ins Haus ging, eine schwere Zeit des Tages für die, die alleine essen.

Pablo Escobar hatte dieses Haus besessen, dort aber nie gelebt. Leute, die ihn kannten, meinten, er habe es für seine Familie gekauft, falls er je in die Vereinigten Staaten ausgeliefert wurde.

Die Justiz hatte sich seit Escobars Tod immer wieder mit dem Haus beschäftigt. Im Lauf der Jahre hatte es einer ganzen Reihe von Playboys, Schwachköpfen und Immobilienspekulanten gehört – Zockern, die es vom Gericht gekauft und eine Weile behalten hatten, bis sich ihr wechselhaftes Glück endgültig zum Schlechteren wendete. Das Haus war noch voll von ihren Verrücktheiten: Filmausstattung, Monsterfiguren, die zum Sprung ansetzten oder drohend die Arme reckten. Es gab lebensgroße Filmpuppen, Aushangfotos, Jukeboxen, Horrorfilmrequisiten, ein paar Erotikmöbel. Im Wohnzimmer stand ein früher elektrischer Stuhl aus Sing Sing, dem nur drei Menschen zum Opfer gefallen waren. Seine Stromstärke war zuletzt von Thomas Edison eingestellt worden.

Ein Licht nach dem anderen ging an und wieder aus, als Cari zu ihrem Schlafzimmer im oberen Stock ging – vorbei an den Puppen, den lauernden Filmungeheuern und der über fünf Meter hohen Alien-Mutter. Ein letztes Licht in ihrem Zimmer erlosch.

4

Mit dem Schlüssel von Felix stand das Haus in Miami Beach Hans-Peter Schneider offen. Er brannte darauf, es heimzusuchen, während das Mädchen, Cari Mora, in ihrer ganzen erotischen Pracht oben schlief.

Hans-Peter befand sich in seinem Wohnquartier in einem anonymen Lagerhaus an der Biscayne Bay, in der Nähe der früheren Thunder Alley in North Miami Beach. Die schwarze Jacht lag im angrenzenden Bootshaus vertäut. Nackt saß er auf einem Hocker in der Mitte des gefliesten Duschraums und ließ sich von dem Wasserstrahl aus den vielen Düsen an den Wänden von allen Seiten peitschen. »… just singing in se rain. What a glorious feeling, I am häääppy again«, sang er mit seinem deutschen Akzent.

Er sah sein Spiegelbild in der gläsernen Seitenwand der Resomationsanlage, in der er Karla auflöste, ein Mädchen, das sich als geschäftlicher Fehlschlag erwiesen hatte.

Im aufsteigenden Nebel wirkte Hans-Peters Bild auf dem Glas wie eine Daguerreotypie. Er nahm die Pose von Rodins »Denker« ein und beobachtete sich aus dem Augenwinkel. Ein schwacher Laugengeruch ging von dem Dampf aus.

Interessant, sich selbst als »Denker« in der Glasscheibe zu spiegeln, während hinter dem Glas, im Tank, Karlas Knochen zunehmend aus der Paste hervorstachen, in die die ätzende Lauge den Rest ihres Körpers verwandelt hatte. Die Bewegung der Maschine ließ die Flüssigkeit hin- und herschwappen. Das Gerät rülpste, und Blasen stiegen auf.

Hans-Peter war sehr stolz auf seine Resomationsvorrichtung. Er hatte teuer dafür bezahlt, weil Flüssigbestattungen immer beliebter wurden, da Umweltschützer Feuerbestattungen wegen der CO2-Emissionen für unverantwortlich hielten. Die Flüssigmethode hinterließ keinerlei CO2-Fußabdruck und auch sonst keine Spuren. Wenn es mit einem Mädchen nicht klappte, konnte Hans-Peter es einfach in flüssiger Form ins Klo kippen – ohne schädliche Auswirkungen auf das Grundwasser.

»Hans-Peter räumt auf! Hans-Peter spült die Sorgen fort!«, lautete sein Motto.

Karla war kein Totalverlust gewesen. Hans-Peter hatte seinen Spaß mit ihr gehabt, und er hatte ihre beiden Nieren verkaufen können.

Hans-Peter konnte die angenehme Hitze der Resomationsvorrichtung durch den Duschraum spüren, obwohl er die Temperatur der Lauge nur auf siebzig Grad Celsius hielt, um den Prozess zu verlängern. Er genoss es zu sehen, wie Karlas Skelett langsam aus ihrem Fleisch erschien. Wie ein Reptil liebte er die Wärme.

Er überlegte, was er tragen sollte, um im Haus sein Unwesen zu treiben. Den weißen Latexanzug hatte er erst kürzlich auf einer Fantasy-Messe gestohlen und war verrückt danach, aber er quietschte, wenn seine Oberschenkel aneinanderrieben. Nein. Irgendetwas Schwarzes, Bequemes, ohne laute Klettverschlüsse, falls er beschloss, sich im Haus auszuziehen, während er Cari Mora beim Schlafen zusah. Und Kleidung zum Wechseln in einer Plastiktüte, falls es nass oder klebrig wurde, sowie eine dekorative Feldflasche mit Chlorlauge, um DNA zu vernichten, falls es so weit kam. Und den Metalldetektor.

Er sang ein deutsches Lied, ein Volkslied, das Bach in den Goldberg-Variationen verwendet hatte: »›Kraut und Rüben haben mich vertrieben.‹«

Es war ein schönes Gefühl, erregt zu sein. Immer noch so pervers zu sein. Sich an Pablo im Höllenschlaf zu rächen …

Um ein Uhr morgens kauerte Hans-Peter Schneider in der Hecke neben dem großen Haus. Der Mond schien hell, die Palmen warfen Schatten schwarz wie Blut auf den vom Mondlicht erleuchteten Boden. Wenn der Wind die großen Wedel in Bewegung setzt, kann ihr Schatten auf dem Boden aussehen wie der eines Menschen. Manchmal ist es der eines Menschen. Hans-Peter wartete auf eine Brise und glitt mit den Schatten über den Rasen.

Das Haus strahlte immer noch die Hitze des Tages ab. Es kam ihm vor wie ein großes warmes Tier, als er dicht neben der Wand stand. Er drückte sich an die Seite des Hauses und fühlte, wie die Wärme durch seinen Körper wanderte. Das Mondlicht kribbelte auf seinem Kopf. Er dachte an ein neugeborenes Känguru, das sich über den Bauch seiner Mutter den Weg zum warmen Beutel sucht.

Das Haus war dunkel. Durch das getönte Glas des Wintergartens konnte er nichts erkennen. Einige der Metall-Sturmschutzläden waren geschlossen. Hans-Peter steckte den Dietrich ins Schloss und fuhr damit zweimal über die Zuhaltungen, um sie zu verkratzen.

Anschließend schob er Felix’ Schlüssel ins Schloss. Er hatte dieses angenehm eisige Gefühl. Es war so intim, sich an das warme Haus zu drücken und den Schlüssel ins Schloss zu schieben. Er hörte, wie die Zuhaltungen mit einer Reihe leiser Klicks einrasteten, dem Rascheln der Insekten gleich, wenn er eine Frau noch einmal besuchte, die seit Tagen tot im Busch lag und wundersam warm geworden war – durch die Larvenbesiedlung wärmer als im Leben.

Der ovale Kopf des Schlüssels lag nun an der Rosette des Schlosses an. So wie er an ihr liegen würde, falls er beschloss, nach oben zu gehen. Dicht an dicht, bis sie zu kalt wurde.

Schade nur, dass sie schneller kalt werden würde, als das Haus die Sonnenwärme abgab. In der klimatisierten Luft würde sie nicht lange warm bleiben, nicht einmal wenn er die Decke über sie beide zog und mit ihr kuschelte. Sie blieben nie warm. So schnell klamm, so schnell kalt.

Er musste das nicht jetzt entscheiden. Vielleicht folgte er einfach seinem Herzen. Er war gespannt, ob er es schaffte, seinem Herzen nicht zu folgen … Herz – KOPF, Kopf – HERZ, Stoß – STICH. Hoffentlich roch sie gut. Kraut und Rüben haben mich vertrieben.

Er drehte den Türknopf. Die Türdichtung gab ein zischendes Geräusch von sich, als er die Tür aufstieß. Der Metalldetektor, den er mit Klebeband an der Kappe seines Schuhs befestigt hatte, würde anschlagen, wenn unter einem Teppich eine Alarmtrittmatte aus Metall versteckt war. Er ließ den Fuß über den Boden des Wintergartens gleiten, bevor er ihn belastete. Dann trat er in die kühle Dunkelheit, weg von den Schatten, die auf dem Rasen spielten, und dem Mond, der ihm auf den Schädel brannte.

Ein näselnder Laut, ein Rascheln in der Ecke hinter ihm.

»Was soll der Scheiß, Carmen?«, sagte ein Vogel.

Hans-Peter hielt die Pistole in der Hand und konnte sich nicht erinnern, sie gezogen zu haben. Er stand still. Der Vogel raschelte erneut in seinem Käfig, trippelte auf seiner Stange hin und her und grummelte vor sich hin.

Silhouetten von Filmpuppen vor den mondhellen Fenstern. Hatte sich eine von ihnen bewegt? Hans-Peter schlängelte sich in der Dunkelheit zwischen ihnen hindurch. Eine ausgestreckte Gipshand berührte ihn im Vorübergehen.

Es ist hier. Das Gold ist hier! Er wusste es. Wenn das Gold Ohren hatte, konnte es ihn rufen hören, hier in dem Wohnzimmer, wo er jetzt stand. Verhüllte Möbel, ein abgedecktes Klavier. Er ging in die Bar, wo der Billardtisch bis zum Boden mit Laken verhängt war. Die Eiswürfelmaschine spuckte eine Ladung Eis aus. Er ging in Verteidigungshaltung, wartete, lauschte, überlegte.

Das Mädchen wusste viel über das Haus. Zuallererst musste er diese Informationen an sich bringen. Kassieren konnte er für die Frau auch später noch. Mehr als ein paar Tausend würde sie tot nicht wert sein, und selbst um das zu bekommen, würde er sie in Trockeneis verschicken müssen.

Es war unsinnig, sie zu stören, aber sie war so bezaubernd, so herzerwärmend gewesen auf der Terrasse, und er wollte sie im Schlaf sehen. Er hatte auch ein Recht auf Spaß. Vielleicht konnte er ein wenig auf die Bettwäsche tropfen, auf ihre vernarbten Arme, mehr nicht. Oh, ein Tropfen oder zwei auf ihre schlafende Wange, eine kleine Gesichtspflege, wieso nicht? Vielleicht lief etwas davon in ihren Augenwinkel. Hallo. Ein Vorgeschmack auf die Tränen, die noch kommen würden.

Das Telefon in seiner Tasche summte an seinem Oberschenkel. Er schob es an die richtige Stelle, bis es sich gut anfühlte. Als er die SMS von Felix sah, fühlte er sich gleich noch besser. Sie lautete:

Erledigt. Für zehntausend auf die Hand und die Aussicht auf guten Stoff hat er auf seine Genehmigung verzichtet. Unsere Genehmigung geht morgen durch. Wir können einziehen!

Hans-Peter legte sich auf den Teppich unter den verhängten Billardtisch und gab mit seinem Zinkfinger, wie er ihn immer nannte, mehrere SMS ein. Der Nagel am Vorderfinger war verkrüppelt; dieselbe genetische Erkrankung, die ihn haarlos gemacht hatte. Was ein Zinkfinger war, hatte er im Medizinstudium gelernt, bevor er aus moralischen Gründen von der Uni geflogen war. Glücklicherweise war sein Vater zu alt gewesen, um ihn wegen dieses Versagens allzu hart zu schlagen. Der Nagel war scharf und hervorragend geeignet, seine haarlosen Nasengänge zu reinigen, die so anfällig waren für Schimmel und Sporen und die Pollen von Dornigem Fuchsschwanz und Raps.

Cari erwachte in der Dunkelheit und wusste nicht, warum. Ihr erster Reflex war, auf die warnenden Laute des Waldes zu lauschen. Dann kam sie zu sich und sah sich in dem großen Schlafzimmer um, ohne den Kopf zu bewegen. All die kleinen Leuchten brannten – Fernseher, Kabelanschluss, Thermostat, Uhr –, aber das Licht auf der Tastatur für die Alarmanlage war grün statt rot.

Ein einzelnes Piepsen hatte sie geweckt, als unten jemand die Alarmanlage deaktivierte. Jetzt blinkte die Warnleuchte: Ein Bewegungssensor im Eingangsbereich unten war ausgelöst worden.

Cari Mora zog einen Jogginganzug über und holte ihren Baseballschläger unter dem Bett hervor. Mobiltelefon, Messer und Bärenabwehrspray steckten in ihren Taschen. Sie ging in den Flur und rief die Wendeltreppe hinunter.

»Wer ist da? Antworten Sie, aber sofort.«

Fünfzehn Sekunden lang nichts. Dann kam von unten eine Stimme. »Felix.«

Cari verdrehte die Augen zur Decke und zischte etwas zwischen den Zähnen.

Sie schaltete das Licht ein und ging die Wendeltreppe hinunter. Den Baseballschläger nahm sie mit.

Felix stand am Fuß der Treppe unter einer Filmfigur, dem zahnbewehrten Weltraum-Raptor vom Planeten Zorn.

Felix sah nicht aus, als wäre er betrunken. Er hielt keine Waffe in der Hand. Und er hatte im Haus den Hut auf.

Auf der viertuntersten Stufe blieb Cari stehen. Sie konnte seine Schweinsäuglein nicht auf ihrem Körper spüren. Gut so.

»Rufen Sie an, bevor Sie mitten in der Nacht hier auftauchen«, sagte sie.

»Ich habe einen Mieter, ganz kurzfristig«, erwiderte Felix. »Leute vom Film. Das heißt gutes Geld. Sie werden übernommen, weil Sie sich auskennen. Möglicherweise sollen Sie auch kochen, das weiß ich noch nicht. Ich habe dafür gesorgt, dass Sie einen Job bekommen, Sie können sich also bei mir bedanken. Eigentlich steht mir ein Anteil zu, wenn das dicke Filmgeld kommt.«

»Was für ein Film?«

»Weiß ich nicht. Ist mir egal.«

»Das müssen Sie mir um fünf Uhr morgens mitteilen?«

»Wer zahlt, schafft an«, sagte Felix. »Sie wollen noch vor Tagesanbruch einziehen.«

»Felix, sehen Sie mich an. Wenn es Porno ist, kennen Sie meine Antwort. Dann bin ich weg.«

Viele Pornoproduktionen wurden nach Miami verlegt, nachdem in Los Angeles County das sogenannte Measure B verabschiedet worden war, ein Gesetz, das die Verwendung von Kondomen bei Filmaufnahmen vorschrieb und damit die freie Entfaltung behinderte.

Bei diesem Thema hatte sie sich schon früher Ärger mit Felix eingehandelt.

»Keine Schmuddelfilme. Irgendwas mit Reality. Sie wollen Zweihundertzwanzig-Volt-Anschlüsse und Feuerlöscher. Sie wissen doch, wo das Zeug ist.« Er holte eine verknitterte Filmgenehmigung für das Stadtgebiet von Miami Beach aus der Jackentasche und schickte sie los, um Klebeband zu holen.

Fünfzehn Minuten später hörte Cari, wie sich auf der Biscayne Bay eine Jacht näherte.

»Lassen Sie die Beleuchtung am Anleger aus«, sagte Felix.

Hans-Peter war meistens extrem sauber, wenn er sich in der Öffentlichkeit bewegte, und roch für zufällige Bekannte angenehm. Doch als Cari ihm in der Küche die Hand schüttelte, stieg ihr der Geruch von Schwefel in die Nase. Wie der Gestank eines brennenden Dorfes, in dessen Häusern die Toten liegen.

Hans-Peter fiel ihr fester Händedruck auf, und er setzte sein Wolfsgrinsen auf. »Sollen wir Englisch oder Spanisch sprechen?«

»Was Ihnen lieber ist.«

Monster wissen, wenn sie erkannt sind, genau wie Langweiler. Hans-Peter war an Abscheu und Angst gewöhnt, wenn er sich durch sein Verhalten zu erkennen gab. Bei ganz besonderen Anlässen war die Reaktion ein qualvolles Flehen um einen schnelleren Tod. Manche durchschauten ihn schneller als andere.

Cari sah Hans-Peter nur an. Sie blinzelte nicht. In ihren schwarzen Pupillen brannte das Feuer der Intelligenz.

Er versuchte, sein Spiegelbild in ihren Augen zu sehen, leider gelang es ihm nicht. Was für eine Schönheit! Und sie wusste es offenbar gar nicht.

Ein Augenblick der Verträumtheit, während er sich einen kleinen Vers überlegte. Ich kann mein Bild nicht sehen in der Tiefe deiner schwarzen Augen, du wirst nicht leicht zu brechen sein, doch gebrochen umso mehr taugen … Er würde sich eine englische und eine deutsche Version zurechtlegen, mit Melodie, wenn er die Zeit dafür fand. Für »gebrochen« würde er »hörig« nehmen, das klang mehr nach »versklavt«. Nach der Melodie von »Kraut und Rüben«. Das würde er dann unter der Dusche singen. Vielleicht für sie, wenn sie sich zufällig gerade in einer Erholungsphase befand und ihn anflehte, sie zu säubern.

Im Augenblick brauchte er ihren guten Willen. Showtime.

»Sie arbeiten schon lange hier«, sagte er. »Felix sagt, Sie sind eine gute Arbeitskraft, Sie kennen das Haus.«

»Ich passe seit fünf Jahren immer wieder auf das Haus auf. Ich habe bei mehreren Reparaturen mitgeholfen.«

»Ist das Poolhaus undicht?«

»Nein, da ist alles in Ordnung. Es ist sogar klimatisiert, wenn Sie darauf Wert legen. Die Klimaanlage hat einen eigenen Stromkreislauf mit Sicherungskasten an der Gartenmauer.«

Hans-Peters Begleiter Bobby Joe stand in der Ecke und glotzte Cari an. Selbst in Kulturen, in denen es erlaubt ist, Menschen anzustarren, wäre Bobby Joes Gaffen unhöflich gewesen. Seine Augen waren orangegelb, wie bei manchen Schildkröten. Hans-Peter winkte ihn zu sich.

Bobby Joe stellte sich zu dicht neben Cari.

Unter dem herausgewachsenen Sträflingshaarschnitt konnte sie das Tattoo Balls and All! in Kursivschrift seitlich an seinem Hals sehen. Auf den Fingern prangten die Buchstaben für Love und Hate. In seine Handfläche war »Manuela« eintätowiert. Das Ende des Riemens hinten an seiner Kappe stand seitlich zu weit ab, weil sein Schädel so klein war. Eine böse Erinnerung traf sie wie ein Messerstich und war schon wieder verflogen.

»Bobby Joe, bring das schwere Zeug erst mal ins Poolhaus«, sagte Hans-Peter.

Als Bobby Joe hinter Cari vorbeiging, streiften seine Knöchel ihren Hintern. Sie griff nach dem umgekehrten Petruskreuz, das sie an einer Holzperlenkette um den Hals trug.

»Funktionieren Strom und Wasser überall im Haus?«, fragte Hans-Peter.

»Ja«, sagte Cari.

»Haben Sie Zweihundertzwanzig-Volt-Anschlüsse?«

»Ja. In der Waschküche und hinter dem Herd in der Küche. In der Garage gibt es eine Ladevorrichtung für Golfcarts mit einer Zweihundertzwanzig-Volt-Steckdose und auf den Haken darüber zwei lange Verlängerungskabel. Nehmen Sie das rote, nicht das schwarze. Irgendwer hat bei dem schwarzen den Erdungsstift abgeschnitten. Daneben sind zwei Zwanzig-Ampere-Schutzschalter. Im Poolhaus gibt es nur Fehlerstromschutzschalter.«

»Haben Sie den Grundriss?«

»In der Bücherei liegen Architektenzeichnungen und elektrische Schaltpläne, in dem Schrank ohne Füße.«

»Ist die Alarmanlage an eine Zentrale oder Polizeistation angeschlossen?«

»Nein, die ist rein manuell, mit einer Sirene an der Straße. Vier Zonen, Türen und Bewegungsmelder.«

»Ist was zu essen im Haus?«

»Nein. Wollen Sie hier essen?«

»Ja. Einige von uns.«

»Hier übernachten?«

»Bis wir mit der Arbeit fertig sind. Manche von uns übernachten und essen hier.«

»Es gibt Foodtrucks. Sie bedienen die Baustellen in der Straße. Die Qualität ist ziemlich gut. Anfang der Woche besser. Sie werden die Hupe hören. Ich finde Comidas Distinguidas am besten, und die Salazar-Brüder sind gut. Die letzte Filmcrew hat sie engagiert. Ihr Wagen hat die Aufschrift HOTEATS auf der Seite. Ich habe eine Telefonnummer, falls Sie sie für das Catering möchten.«

»Ich will, dass Sie das Catering übernehmen«, sagte Hans-Peter. »Sie können doch einkaufen und einmal am Tag eine richtige Mahlzeit kochen? Sie müssen das Essen nicht servieren, stellen Sie es einfach hin, wie ein Buffet. Ich zahle gut.«

Cari brauchte das Geld. Und sie war extrem schnell und gründlich in der Küche, wie viele Frauen, die sich in Miami ihr Geld hart verdienen, indem sie bei den Reichen im Haushalt arbeiten. »Kann ich. Okay, ich kümmere mich um das Essen.«

Cari hatte für Bauarbeiterteams gearbeitet. Als Teenager hatte sie um Mitternacht mit dem Kochen angefangen und die Mahlzeiten in abgeschnittenen Jeans am Essenswagen ausgeteilt, was die Zimmerleute in Scharen anzog und das Geschäft kräftig belebte. Ihrer Erfahrung nach hatten die meisten Männer, die harte körperliche Arbeit leisteten, gute Absichten und waren erstaunlich höflich. Sie hungerten nur nach allem.

Doch was Cari bei Hans-Peters dreiköpfiger Crew sah, gefiel ihr gar nicht. Knastbrüder mit Sträflingstattoos, die mit aufgelöstem Streichholzruß und einer elektrischen Zahnbürste gestochen waren. Sie schleppten eine schwere Magnet-Ständerbohrmaschine und zwei Presslufthämmer, aber nur eine einzige Filmkamera ins Poolhaus.

Frauen, die Baustellen versorgen, kennen die Faustregel, dass die Bedrohung an einem abgeschiedenen Ort geringer ist, wenn es sich um eine größere Gruppe handelt. Sobald mehr als zwei Männer zusammen sind, verhalten sich die Trupps meistens zivilisiert und lassen die Frauen in Ruhe – sofern sie nicht gerade betrunken sind. Aber die hier waren ein anderes Kaliber. Sie gafften Cari an, als sie Hans-Peter zu den Sicherungskästen führte, die in dem engen Durchgang zwischen der hohen Hecke und der Grenzmauer um das Grundstück montiert waren. Sie spürte, dass sie es ihr gern einer nach dem anderen besorgt hätten. Noch deutlicher als ihre blöden Blicke nahm sie jedoch Hans-Peters Anwesenheit wahr.

Hinter der Hecke standen sie sich gegenüber. Mit seinem runden Gesicht sah er aus wie ein weißes Hermelin, wenn er lächelte.

»Felix hat gesagt, er hat es mit vier anderen Haushütern probiert, bevor er Sie gefunden hat. Die anderen hatten Angst vor dem Haus, vor dem ganzen unheimlichen Zeug. Sie fürchten sich nicht? Ich wüsste gern, warum.«

Lass dich nicht darauf ein, antworte nicht, sagte ihr Instinkt.

Cari zuckte die Achseln. »Für die Einkäufe müssen Sie im Voraus zahlen.«

»Ich erstatte Ihnen das Geld«, sagte er.

»Nein, ich brauche das Geld im Voraus.«

»Sie sind ein ernsthafter Mensch. Sie klingen, als wären Sie Kolumbianerin – so ein schönes Spanisch. Wie haben Sie es geschafft, in den USA zu bleiben, haben Sie sich auf ›begründete Furcht‹ berufen? Hat Ihnen die Einwanderungsbehörde das durchgehen lassen?«

»Ich schätze, zweihundertfünfzig Dollar reichen fürs Erste für die Einkäufe«, sagte Cari.