Chateau Noir - Oliver Kohl - E-Book

Chateau Noir E-Book

Oliver Kohl

0,0
3,49 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

„Das, was blieb, war nur der Tod“ Eine Reihe grausamer Frauenmorde gibt der französischen Polizei Rätsel auf. Der erfahrene Kommissar Laurent ist schockiert von der Brutalität der Taten und glaubt schnell an einen Serienmörder. Allen Opfern wurden die Augen gewaltsam entfernt. Doch die Ermittlungen treten auf der Stelle. Der Hauptverdächtige beginnt ein makabres Katz- und Mausspiel, während das Morden ungehindert weitergeht. Welches furchtbare Geheimnis birgt das alte rußgeschwärzte Chateau einer verfluchten Familie? Um den Fall zu lösen, muss sich Laurent selbst diesem dunklen Ort ausliefern und dabei alles auf eine Karte setzen. Ein teuflisch boshafter Psychothriller als Vorgeschmack auf die „fauligen Felder“.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2023

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Ähnliche


 

 

 

 

 

 

 

 

Château Noir

 

 

 

 

 

Thriller

 

 

 

 

 

 

 

Oliver Kohl

 

 

 

Vorwort

Liebe Leserin, lieber Leser,

 

danke, dass Du meinen Thriller gekauft hast

und nun lesen möchtest.

 

Wenn Du mehr über meine kommenden Bücher

und mich erfahren willst, dann schau doch

mal auf meiner Website vorbei.

 

www.oliver-kohl.com

 

Darf ich Dich mit „Hiobsbotschaften“

2x/Monat in die Welt der Thriller entführen?

 

Dafür schenke ich Dir auch die Kurzgeschichte

 

“Die Blutkerze”

 

 

Ich würde mich auch über eine Bewertung von Dir freuen,

denn sie hilft mir, mich als Autor

weiterzuentwickeln.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

IMPRESSUM

 

© 2023 Oliver Kohl – alle Rechte vorbehalten

Adresse: Oliver Kohl, Dreifaltigkeitsstr. 7b, 40625 Düsseldorf

Herausgeber: Oliver Kohl

Website: oliver-kohl.com

Lektorat: Oliver Kohl & friends, Korrektorat: Invar Thea Eickmeyer

Covergestaltung und Buchsatz: Catrin Sommer – rausch-gold.com Unter Verwednung von:

Shutterstock.com @Pack-Shot, @Nik Merkulov veröffentlicht über Tolino Media

 

ISBN: 978-3-7579-3067-7 (E-Book)

ISBN: 978-3-7579-3068-4 (Taschenbuch)

 

Das Werk einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Herausgebers unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige (ohne Trennung), Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

 

Bibliografische Information der Deutschen

Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

 

 

 

 

 

 

 

 

Inhaltsverzeichnis

 

Prolog

 

Kapitel 1

 

Kapitel 2

 

Kapitel 3

 

Kapitel 4

 

Kapitel 5

 

Kapitel 6

 

Kapitel 7

 

Kapitel 8

 

Kapitel 9

 

Kapitel 10

 

Kapitel 11

 

Kapitel 12

 

Kapitel 13

 

Kapitel 14

 

Kapitel 15

 

Kapitel 16

 

Kapitel 17

 

Kapitel 18

 

Kapitel 19

 

Kapitel 20

 

Kapitel 21

 

Kapitel 22

 

Kapitel 23

 

Kapitel 24

 

Kapitel 25

 

Kapitel 26

 

Kapitel 27

 

Kapitel 28

 

Kapitel 29

 

Kapitel 30

 

Kapitel 31

 

Kapitel 32

 

Kapitel 33

 

Kapitel 34

 

Epilog

 

Prolog

 

Château de Chevalier

1789

 

Baron de Chevalier legte den Federhalter auf die Seite und dachte an Claudette, die Liebe seines Lebens. Ein Lächeln umspielte seine Mundwinkel. Angesichts der unruhigen Zeiten im Land war dies der glücklichste Moment seines ganzen Lebens. Aus einer Glaskaraffe goss er sich etwas Weißwein nach und nahm einen Schluck. Ein echter Trebbiano, vom Adel und dem reichen Bürgertum gleichermaßen geliebt und getrunken, meist aus Silberbechern und mit Löwenköpfen dekorierten Flaschen. 1766 hatte er die Gelegenheit gehabt, seinen Vater auf einer Reise nach Italien zu begleiten, um das authentische Italien kennenzulernen und dabei mitzuerleben, wie ein guter Kaufmann Geschäfte mit Gütern macht, die selbst im entfernten Frankreich überaus begehrt waren.

Ein energisches Klopfen an der Tür zu seinem Büro riss ihn aus seiner Träumerei. »Herein!« Einer seiner Diener stürzte ins Zimmer.

Chevalier runzelte die Stirn und sah ihn an. »Viktor, was ist los?«

»Entschuldigt die Störung, Baron, aber Ihr habt Besuch, wenn auch ganz unterschiedlicher Art, wenn ich das bemerken darf.«

Chevalier verengte die Augen. »Wie darf ich das denn verstehen?«

Von draußen kam lautes Stimmengewirr.

»Vielleicht seht Ihr selbst, Baron!« Er öffnete ein Fenster und zeigte hinaus.

Chevalier erhob sich und sah vom ersten Stock hinunter auf den Vorplatz des Châteaus. Dort standen ein Offizier und eine Gruppe von fünf Soldaten, allesamt junge Kerls mit schwarzem Dreispitz auf den gelockten Häuptern, in dunkelblauer Uniform, beigen Beinkleidern und schwarzen Stiefeln. Der Offizier trug einen kunstvoll gezwirbelten Bart und eine dreifarbige Cocarde am Dreispitz in den Farben Weiß, Rot und Blau. Die Soldaten waren mit Musketen bewaffnet, der Offizier mit einem Paradesäbel in einer Scheide an der rechten Hüfte. Sie umringten einen Mann, den Chevalier nur allzu gut kannte und ohne dessen Freundschaft er und Claudette nie zueinandergefunden hätten. Das Wortgefecht der Gruppe war mittlerweile sehr laut und vor allem hitzig geworden.

Chevalier drehte den Kopf zu Viktor. »Wo ist meine Frau?«

»Sie ist hinten im Garten, Baron.«

Chevalier nickte. »Gehen wir die Herrschaften begrüßen, bevor der Marquis de Sade noch einen Streit vom Zaune bricht, der mehr Aufmerksamkeit bringt, als uns derzeit lieb ist.«

 

* * *

 

»Werter Baron de Chevalier!« Der Marquis de Sade lächelte, drängte sich an den Soldaten vorbei und beendete seinen Vorstoß mit einer tiefen Verbeugung der Ehrerbietung.

Die Soldaten und der Offizier sahen ihm verdutzt hinterher.

»Marquis! Schön, Euch wiederzusehen«, entgegnete Chevalier und reichte seinem Freund die Hand.

Der Offizier räusperte sich. »Baron de Chevalier?«, fragte er höflich, aber bestimmend.

Chevalier nickte. »Derselbe. Was wünschen die Herren?«, fragte er höflich zurück.

Die Soldaten kamen im Gleichschritt heran und schoben den Marquis zur Seite. Der Offizier salutierte. »Ich bin Capitaine Morel. Wir sind Teil des königlichen Regiments, das nördlich von La Chaville sein Feldlager bezogen hat. Aufgrund der angespannten Lage im Land und der anhaltenden Nahrungsmittelknappheit kommt es vermehrt zu Übergriffen in der Bevölkerung und zu Plünderungen.« Er machte eine Pause. »Uns ist zu Ohren gekommen, Baron, dass erst kürzlich bei Euch eingebrochen wurde?« Chevalier nickte. »Das ist richtig. Allerdings konnte

Schlimmeres verhindert werden, da meine Angestellten die Lage schnell klären konnten.«

Der Offizier zwirbelte seinen Bart. »Habt Ihr deshalb den Zwischenfall nicht bei der Gendarmerie angezeigt?«

»Ich kannte die Männer. Sie stammen alle aus La Chaville und sie waren alle ziemlich betrunken. Das zerbrochene Geschirr werden sie mir selbstverständlich bezahlen oder abarbeiten.«

Der Offizier verzog den Mund. »Ich verstehe.« Er sah seine Soldaten an. »Also erstattet Ihr auch weiter keine Anzeige?«

Chevalier schüttelte den Kopf. »Nein.«

»Versteht mich nicht falsch, Baron. Aber Eure gutherzige Art der Landbevölkerung gegenüber wird Euch letzten Endes nicht davor bewahren, wenn diese …«

»Meine Bediensteten stammen fast alle aus La Chaville. Verrate ich diese Männer, verrate ich meine Leute. Wir regeln das untereinander und brauchen keine Männer in Uniform, die uns erklären, was Recht und Ordnung ist, Capitaine!«, unterbrach Chevalier den Offizier barsch.

Der blieb verhalten, aber angespannt. »Wie Ihr meint, Baron.« Er gab seinen Soldaten ein Zeichen. »Sollten sich Marodeure oder anderes Gesindel zukünftig Eurem Anwesen nähern, könnt Ihr selbst entscheiden, ob Ihr uns braucht oder nicht.« Damit machte der Offizier kehrt und schritt mit der Formation Soldaten davon.

Der Marquis de Sade klatschte freudig in die Hände.

»Baron de Chevalier, mein Gott, wie habt Ihr Euch verändert.« Er drehte den Kopf. »Wo ist Claudette, Eure zauberhafte Frau?«

Chevalier lächelte und deutete seinem Gast an, ihm zu folgen.

 

* * *

 

Claudette kniete in einem der Beete ihres eigens gebauten Kräutergartens hinter dem Château, im Schatten hoch aufragender alter Bäume, und wischte sich mit einem Tuch den Schweiß aus dem Gesicht. Als sie Chevalier erblickte, umspielte ein Lächeln ihre zarten Lippen.

»Claudette!«, rief Chevalier und winkte ihr zu. »Wir haben Besuch!«

Die Mägde um sie herum hoben die Köpfe.

Claudette erkannte den Mann neben Chevalier sofort und erhob sich. In einem mit klarem, kaltem Wasser gefüllten Eimer wusch sie sich die Hände und rieb diese an der Schürze trocken, die sie um die Taille trug. Dann kam sie den beiden Männern freudig entgegengelaufen.

»Marquis!« Sie drückten einander.

»Claudette, es ist so schön, Euch wiederzusehen. Lasst Euch anschauen. Wie hübsch Ihr immer noch seid!«

Chevalier nahm Claudette in die Arme und küsste sie. Sie schmiegte sich an ihn.

Der Marquis de Sade stützte sich auf seinen Gehstock und sah sich auf dem Grundstück um. »Ich hatte schon fast vergessen, wie traumhaft schön es hier ist.« Er sog die Luft tief durch die Nase ein. »Das Landleben tut mir einfach gut. Ich sollte Euch öfter besuchen. Paris ist auch nicht mehr das, was es einmal war. Die vielen Menschen und…« Er machte eine abwehrende Handbewegung.

»Gibt es Neuigkeiten aus Paris?«, wollte Chevalier wissen und drückte Claudette wieder an sich.

Das Gesicht des Marquis de Sade wurde ernst. Er nickte.

»In der Tat. Wir sollten reden.«

Claudette sah Chevalier fragend an. »Was ist los, Chevalier?«

Er küsste sie auf die Stirn und gab einem der Diener ein Zeichen. »Claudette hat mich kürzlich mit einem erfrischenden Eistee überrascht, Ihr solltet ihn probieren«, wechselte Chevalier das Thema.

Der Marquis nickte. »Das, mein lieber Freund, lasse ich mir bei Gott nicht zweimal sagen. Sehr gerne!« Er lächelte wieder.

Chevalier wies den Diener an und der kehrte wenig später mit einer Glaskaraffe und drei Gläsern auf einem Silbertablett zurück.

Dann nahmen die drei Platz auf einer großen Terrasse mit einem Blick über die Gärten und das dahinterliegende Land.

Der Marquis sah die beiden Liebenden an. »Ich habe schlechte Nachrichten. Paris befindet sich im Ausnahmezustand, denn das Volk erhebt sich gegen seine Obrigkeit. Vor zwei Tagen haben Aufständische die Bastille gestürmt und angezündet. Sie haben alle Gefangenen befreit und sind dann raubend und plündernd durch die Stadt gezogen. Bei Notre-Dame kam es zu Gefechten mit königstreuen Soldaten. Es hat viele Tote gegeben. Überall herrscht Chaos und alles zerbricht im Kugelhagel feindlicher Lager. In den Straßen wehen die Fahnen der Trikolore und die Listen der Verhaftungen steigern sich ins Unvorstellbare. Alle Anstalten der Stadt wurden geöffnet und die Insassen ihrem Schicksal überlassen.« Er nahm wieder ein Schluck von seinem Getränk.

Claudette sah zwischen Chevalier und dem Marquis de Sade hin und her. »Gibt es Neuigkeiten von meinem Vater und…« Sie stockte, wollte sie sich das Geschehene doch nicht wieder ins Gedächtnis rufen.

Der Marquis nickte und spielte am Griff seines Gehstocks herum. »Euer Vater, Monsieur Roussel, hat sich mit Olivier Hugo auf die Seite der Jakobiner und Revolutionäre geschlagen, um den Politiker Robespierre zu unterstützen und mit weitreichenden Vollmachten auszustatten.«

»Olivier Hugo?«, hakte Chevalier nach und drückte unmerklich die Hand seiner Frau.

Der Marquis nickte.

Claudette sah Chevalier beunruhigt an. Sie hatte nicht gedacht, den Namen ihres einstigen Verlobten jemals wieder zu hören.

»Dieser Schuft hat den König verraten!«, erwiderte Chevalier und drückte Claudette noch inniger an sich.

Der Marquis de Sade nickte. »Nicht nur er, Baron. Er führte das Glas wieder an seinen Mund.

»Glaubt Ihr, sie suchen noch nach mir?«, fragte Claudette mit zitternder Stimme.

Der Marquis zuckte mit den Schultern. »Ihr wart einst Hugo versprochen. Es war auch für Euren Vater eine Schande, die ungesühnt blieb.«

Chevalier rieb sich die Stirn. »Wir sind hier in Sicherheit, Claudette. Paris ist weit weg. Sie wissen nicht, wo du bist!«

Sie drückte wieder Chevaliers Hand. »Ich mache mir Sorgen. Sie sind jetzt auf der Seite einflussreicher Leute. Spitzel gibt es überall, Liebster. Was machen wir …«

»Claudette!« Er nahm ihr Gesicht in seine Hände und küsste sie erneut lang und innig.

Das beruhigte sie fürs Erste.

»Ich könnte die beiden für Euch im Auge behalten. Auch ich habe Ohren in ganz Paris«, bemerkte der Marquis.

Chevalier fand diesen Vorschlag gut. »Hugo und dein Vater werden uns nicht finden. Wir werden dich beschützen, die Menschen auf dem Anwesen werden für dich da sein und wir werden kämpfen, wenn es sein muss!«

Claudette lief eine Träne über ihre linke Wange. Dann schmiegte sie sich wieder an Chevalier und schloss die Augen …

Vier Tage später …

 

Der Geruch von Feuer und Rauch brannte Claudette in der Nase und raubte ihr die Luft zum Atmen, ließ sie mitten in der Nacht aufschrecken. Die Hitze war spürbar und unerträglich. Sie brauchte einen Moment, um sich an die Umgebung zu gewöhnen, und tastete instinktiv das Bett neben sich ab. Chevalier war nicht dort. Angsterfüllt riss sie die Augen auf, als sie plötzlich und unerwartet von jemandem gepackt wurde. Sie schrie und blickte in die gehetzte Miene ihres Liebsten, Chevalier, der mit einer Muskete bewaffnet neben dem Bett stand. Seine Haare waren zerzaust und stanken nach Rauch. Sein Gesicht war dreckig und seine Miene war überaus besorgt.

Einer der Diener stürmte ins Zimmer und wies die beiden an, ihm zu folgen. Auch er trug eine Muskete und war im Grunde nicht wiederzuerkennen. Claudette hob den Kopf. Sie wusste nicht, was geschehen war, doch fühlte sie in ihrem Inneren, dass Gefahr im Verzug war. Als ihre Sinne wiederkehrten, vernahm sie Schreie von Menschen, das Wiehern der Pferde in den Ställen, Schüsse in der Nacht und sah züngelnde Flammen hinter den Fenstern, die die Nacht zum Tag machten.

»Claudette! CLAUDETTE!«, schrie Chevalier sie an und zerrte sie vom Bett herunter.

Sie sah ihn immer noch benommen an. »Was ist denn los, Liebster?«, fragte sie ihn.

»Baron! Wir müssen gehen, schnell!«, brüllte der Diener, der ängstlich in der Tür zum Schlafzimmer stand.

»Claudette, du musst aufstehen, sofort!«

»Aber warum?«, wollte sie wieder wissen.

»Sie haben uns gefunden!«

 

* * *

 

Es waren viele unbekannte Männer und sie kamen in Scharen, schossen auf alles und jeden, der ihnen vor Kimme und Korn kam. Die Stallungen brannten bereits und die Pferde rannten in wilder Panik nach draußen, wo einige von ihnen einfach erschossen wurden. Einige der Stallburschen hatten sich zusammengetan und gingen auf die Eindringlinge mit Mistgabeln, Sicheln, Hämmern und Messern los. Viele von ihnen wurden bereits im Ansatz erschossen oder niedergestochen. Doch sie erschlugen auch einige der Unbekannten. Die Stallmeister versuchten eine Ablenkung für die Frauen, indem sie sich im ersten Stock verschanzten und auf die Reiter schossen, die ihre Fackeln auf alle Gebäude und die angrenzenden Felder warfen. Der Landsitz brannte bereits lichterloh, als das Gesinde sich auf in den Wald machte.

Schnell war Claudette auf den Beinen, schlüpfte in Hose, Bluse und Schuhe und wurde von Chevalier aus dem Schlafzimmer nach draußen geführt.

Die Luft roch abgestanden und schmerzte in den Augen. Die Hitze wurde immer unerträglicher und der Rauch immer dichter. Da erschienen mehrere Fremde und brachten Panik unter die Frauen. Claudette und einige der Diener hörten das und rannten zu den Gesindehäusern. Auf dem Weg dorthin ging das Töten und Morden munter weiter. Claudette warf sich zur Seite, als einer der Reiter einen der Diener einfach umritt. Der andere rannte panisch ins Haus zurück, als er von einer Kugel in den Rücken getroffen wurde. Tot brach er auf der Türschwelle zusammen. Der Reiter funkelte Claudette an und stieg aus dem Sattel. Er packte die junge Frau an den Haaren und riss sie hinter sich her. Da erschien Viktor mit einer Muskete und erschoss den Mann. Er fasste Claudette bei den Händen, als hinter ihm zwei weitere Männer auftauchten. Die Mägde stoben in Panik auseinander und hinter die Gesindehäuser in Richtung Wald. Die beiden Männer grinsten und zogen ein Messer und eine Axt aus ihren Gürteln.

Viktor sah zu Claudette. »Lauft, schnell!«

Doch Claudette hielt seine Hand fest. Da erschien eine der Köchinnen und schlug einen der Männer mit einer gusseisernen Bratpfanne nieder. Der andere drehte sich erschrocken um, als ihm Viktor mit dem Kolben gegen die Schläfe schlug. Ächzend ging er in die Knie. Viktor deutete der Köchin an, zu verschwinden, als ihm der Getroffene sein Messer in den Unterleib rammte. Viktors Augen traten ihm fast aus den Höhlen, als der Mann erneut zustieß. Sein Kamerad kam ebenfalls wieder auf die Beine. Viktor ging zu Boden. Als sie ihm mit der Axt den Garaus machen wollten, kam Chevalier mit zwei Pistolen aus dem Haus gestürmt und tötete die beiden fast gleichzeitig.

Claudette kroch zu Viktor und wollte ihm helfen, doch er starb in ihren Armen. Chevalier packte Claudette an der Schulter. Es herrschte das reinste Chaos.

»Claudette, los, komm schon, du kannst ihm nicht mehr helfen!«, schrie er, als im nächsten Moment weitere Reiter und Männer zu Fuß um die Ecke gerannt kamen. Chevalier und Claudette rannten zurück ins Haus und verschlossen die Tür, doch die Gegner hämmerten wie wild von draußen dagegen. Durch die Schlitze der Tür mussten sie mitansehen, wie auch die Gesindehäuser ein Opfer der Flammen wurden. Da zersplitterten bereits die ersten Fenster und Fackeln flogen herein. Claudette riss sich los und löschte die wenigen Flammen mit Wasser, als die Angreifer durch die Tür brachen. Schüsse fielen und drei von ihnen waren tot. Chevalier riss den Kopf herum und sah einen der Stallmeister auf der Treppe stehen und die Muskete laden. Ein weiterer Fremder warf sich auf Chevalier. Er hatte ein Messer und wollte Chevaliers Herz durchbohren. Claudette nahm eine am Boden liegende Axt und rammte sie dem Mann in den Rücken. Der schrie auf und sackte zusammen. Chevalier drehte den Toten von sich herunter. Dann verbarrikadierten sie erneut die Tür zum Hof.

»Was machen wir denn jetzt, Liebster?«, rief sie verzweifelt und seit langer Zeit standen ihr wieder die Tränen in den Augen.

»Ich werde lieber sterben, als dich ihnen noch einmal zu überantworten.«

Sie schluchzte und drückte ihn fest an sich, als weitere Fackeln durch die Fenster flogen.

Die Reiter schrien und die Fremden tobten sich so richtig aus. Chevalier musste tatenlos mitansehen, wie sie sich an seinem Land vergingen und seine Leute töteten. Allein zwei der Stallmeister waren geblieben und verlangten den Fremden viele Opfer ab. Vom zweiten Stock aus hatten sie sich zu den Seiten verteilt und reichlich Munition dabei. Chevalier hoffte, dass dieser Albtraum bald vorbei sein würde, doch er wurde enttäuscht, als mehrere Fremde die Haustür aufbrachen und nach oben gestürmt kamen. Die Männer waren gut bewaffnet und erschossen einen der Stallmeister, als er Chevalier zu Hilfe kommen wollte. Ein anderer warf eine Axt nach dem Baron, verfehlte ihn aber. Wieder ein anderer zielte mit seiner Pistole auf ihn, wurde aber von Claudette auf der Treppe niedergestochen. Die zwei anderen fuhren erschrocken herum, als Chevalier einem den Schädel einschlug und dem anderen sein Messer in den Hals rammte. Dabei wurde er von einer feindlichen Kugel in die Brust getroffen. Immer mehr Fackeln flogen durch die Fenster und entzündeten das Inventar. Claudette half Chevalier auf die Beine, als weitere Männer die Treppe heraufgestürmt kamen. Der andere Stallmeister tötete zwei von ihnen mit einer Mistgabel, als auch er tödlich getroffen zu Boden ging. Claudette hob die Mistgabel auf und stellte sich schreiend und drohend vor Chevalier. Die fremden Männer, alles mordgierige Halsabschneider und Gesindel, lachten, schrien und kreischten aus Leibeskräften. Gerade als sie sich auf sie stürzen wollten, schoss Chevalier seine letzten Kugeln auf sie und brachte alle zu Fall.

Draußen ebbte das Geschrei langsam ab und der Himmel brannte. Vor ihnen auf den Stufen lagen Dutzende der Fremden. Erschlagen, erschossen, erstochen oder auf andere Weise gemeuchelt. Chevalier ächzte und Claudette half ihm aufzustehen. Er hatte starke Schmerzen.

»Wie schlimm ist es?«, fragte sie ihn ängstlich.

Er sah in ihr Gesicht, das verdreckt und blutbeschmiert war.

Chevalier war schwer verwundet. Eine Kugel steckte in seiner Brust und ein Messer in einer seiner Nieren. Er hustete und spuckte Blut, aber er lebte noch.

Claudette wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und strich Chevalier über die Stirn.

»Wir werden im Tod vereint sein, wie im Leben«, flüsterte sie, küsste ihn und verarztete seine Wunden so gut es ging, als sie wiederum Pferdegetrappel und Stimmen vernahm. Sie holte ein Kissen und legte es unter Chevaliers Kopf, dem das Haar verschwitzt am Kopf klebte. Dann erhob sie sich, sah durch das Fenster im zweiten Stock nach draußen und erschrak, als sie ihren einstigen Verlobten Olivier Hugo erkannte. Er war nicht allein und hatte mehrere Männer dabei. Die Hitze der Nacht war kaum auszuhalten.

 

* * *

»Jetzt sieh mal einer an, wen wir hier haben, Claudette, meine Verlobte!«, sagte jemand plötzlich hinter ihr. Als sie sich umdrehte, stand Hugo auf dem Treppenabsatz zwischen all den Toten und stützte sich auf seinen Gehstock. Er hielt sich ein Taschentuch vor den Mund und machte ein verächtliches Gesicht, als sein Blick auf den schwer verwundeten Baron de Chevalier fiel. Hinter und neben ihm standen vier Männer, hinter deren Hochstehkrägen Claudette kaltblütige Augen anstarrten. Sie trugen Musketen und Pistolen. Hugo selbst trug einen Degen in einer Scheide.

»Was machst du hier, Weib?«, blaffte er sie an. Der Unterton in seiner Stimme triefte vor Verachtung. »Hier hast du dich also verkrochen, hm? War ich dir wohl nicht gut genug, was?«

»FAHR ZUR HÖLLE!«, schrie sie ihn an.

Hugo amüsierte sich darüber. »Du solltest dir deine Kräfte lieber einteilen, Liebste.« Er sah wieder Chevalier an, der sich vor Schmerzen krümmte.

Dann gab er seinen Männern ein Zeichen. »Auf die Beine mit dem Lumpen!«, befahl er ihnen.

Claudette hob die Mistgabel auf. »Lasst ihn in Ruhe, ihr Dreckschweine!«, schrie sie sie an. »Kommt nur her und ich spieße eure Leiber nacheinander auf!«

Die Männer hielten inne, was bei Hugo ein Kopfschütteln auslöste. Er griff in die Innenseite seines Rocks und holte eine kleine Pistole hervor. Er entsicherte sie und zielte damit auf Claudette. »Lass die Mistgabel fallen, Liebste, oder ich schwöre dir, ich schieße dir ins Gesicht!« Er fletschte die Zähne.

Claudette gab nach und schon waren sie bei ihr, entwaffneten sie und zerrten an Chevalier herum.

»Auf die Beine, sagte ich!«, schrie Hugo und die Männer gehorchten. Dann steckte er die Pistole zurück in den Rock und beugte sich vor. »Warum stirbst du nicht einfach, Chevalier!«

Der ächzte nur. Es fiel ihm immer schwerer, die Augen offenzuhalten.

Hugo hob den Gehstock und rammte diesen in die Brustwunde seines Widersachers. Der brüllte laut auf und Claudette begann zu toben.

Hugo lächelte. »Das macht dich wütend, was, Liebste?« Er kam auf sie zu. »Wie siehst du überhaupt aus? Erbärmlich bist du!«

Sie spuckte ihn an und er schlug ihr mit voller Wucht ins Gesicht. »Du HURE!«, kreischte er. Dann wandte er sich wieder Chevalier zu.

Der hustete und spuckte Blut.

»Wir beide haben noch eine Rechnung offen, du mieser Bastard!«

Hinter ihm war Claudette wie von Sinnen.

»Wie wäre es mit einem Duell? Nur du und ich, und deine Braut schaut zu, na, wie wäre das?« Sein Grinsen war hämisch.

»Er ist verletzt und zu schwach dafür, Olivier!«, schrie Claudette wieder.

»Halt dein Maul!«, blaffte er sie abermals an.

»Wenn du ihm auch nur ein Haar krümmst, werde ich dir zeigen, was Schmerzen wirklich sind!«, brüllte sie zurück.

Hugo war stehen geblieben und schüttelte den Kopf. »Du kannst einfach nicht den Mund halten, was, Claudette? Ich denke, dass es Zeit wird, dass wir euch dem Tod überantworten, damit ich zeitig wieder in Paris bin.« Ein Lächeln stahl sich auf seine Lippen. »Ach ja, dein Vater hat mich übrigens gebeten, ein Andenken von dir mitzubringen.«

Sie keuchte und machte es den Männern schwer, sie weiter festzuhalten. »Was wollt ihr mir jetzt noch antun?«, erwiderte sie resigniert.

»Nun, wie wäre es, wenn wir dir die Augen ausstechen und dich hier verrecken lassen? Niemand wird dich je wieder ansehen und man wird dich meiden bis ans Ende deiner Tage.«

Ihre Augen weiteten sich vor Entsetzen. »Was?«, flüsterte sie.

Hugo lachte schallend und deutete seinen Männern an, es zu tun. Claudette schrie aus Leibeskräften und versuchte, sich dem Griff der Männer zu entziehen, was leider misslang.

»Bringt den Baron jetzt nach draußen. Soll sein Tod das Letzte sein, was ihre Augen sehen!«

Die Männer nickten und zerrten Claudette und Chevalier nach draußen, wo sie die Einzigen waren, die noch lebten, denn alle anderen waren tot.

Hugo übte bereits mit dem Degen. Chevalier stand ihm auf wankenden Beinen gegenüber. Die Wunde in seiner Brust färbte das Hemd darüber weiter rot.

Claudette wehrte sich immer noch gegen ihre Bewacher. Kurz verzog Hugo den Mund, dann wandte er sich Chevalier zu. »Gebt ihm einen Degen! Es wird Zeit, dieses Schauspiel zu beenden.«

Chevaliers Hände zitterten und vermochten den Griff des Degens nicht zu halten.

Hugo stemmte eine Hand in die Hüften und verdrehte die Augen. »Meine Güte, nun helft ihm gefälligst! Ich will jetzt meine Rache und seinen Tod!«

Die Männer sahen ihn fragend an.

»Nehmt ein Seil und bindet den Degen an seine Hand!«, befahl er.

Genau in diesem Moment hörten sie einen Schuss und einer der Männer ging tödlich getroffen zu Boden. Hugo drehte den Kopf. Ein weiterer Schuss ertönte und ein zweiter Mann fiel um. Hugo war kurz abgelenkt, als Chevalier den Kopf hob und mit letzter Kraft Hugo seine Degenklinge in den Hals stach.

Der schrie nicht einmal, sondern zuckte kurz zusammen und sackte auf die Knie. Die beiden Männer bei Claudette warfen die Köpfe ratlos hin und her. Dann riss sie sich los. Einer der Männer zog eine Pistole aus dem Gürtel und war dabei, den Abzug zu drücken, als eine dritte Kugel sein Leben beendete. Der letzte verbliebene Häscher Hugos rannte hinter Claudette her und hielt sie schützend vor sich. Die Angst stand ihm förmlich ins Gesicht geschrieben, denn er schien keine Ahnung zu haben, wo die Schüsse hergekommen waren, die seine Begleiter getötet hatten. Claudette wehrte sich und schrie, doch der Mann kannte kein Mitleid, hielt sie weiter in seinem eisernen Griff gefangen.

Chevalier röchelte und fiel immer wieder um. Claudette schlug nach dem Mann, dessen Absicht, sie als Zielscheibe zu benutzen, eindeutig war. Langsam bewegte sich der Häscher mit Claudette zur Seite, bedacht darauf, eine ausreichende Deckung zu finden. Plötzlich zog der Mann ein Messer aus dem Gürtel und grinste sie an.

»Am besten schneide ich dir jetzt schon mal die hübschen Äuglein raus!«, zischte er sie an.

Hugo kniete noch immer auf dem Weg vor dem brennenden Château und hielt den Kopf gesenkt.

Chevalier war dem Tode nah. Mit letzter Kraft schleppte er sich zu Hugo, nahm dessen Pistole und schoss dem Peiniger seiner Frau in den Hinterkopf. Der Mann verdrehte die Augen und fiel nach vorn.

Hugo röchelte. Blut lief ihm aus dem Mund. Erst jetzt hob er den Kopf. Als er aufsah, stand Claudette vor ihm. Sie packte ihn mit ihren Händen. Hinter ihr schleppte sich Chevalier bis zum Eingang des Châteaus, als in der Ferne weitere Reiter schnell näherkamen. Es waren Roussel und ein zweiter Mann. Ein anderer erhob sich gerade auf dem Feld. Er schulterte eine Muskete und war wohl der tödliche Heckenschütze gewesen.

Claudettes Gesicht glich einer Fratze. »So schnell kann sich das Blatt also wenden, was, Hugo?« Ihre Kleider waren blutverschmiert und verdreckt.

Hugo röchelte. Die Wunde in seinem Hals blutete stark. Er sah sie aus leeren Augen an, als Claudette mit einem Messer auf ihn einstach und ihm seine Augen aus dem Gesicht schnitt.

Hugo entfuhr ein markerschütternder Schrei und er bäumte sich unter ihr ein letztes Mal auf, bevor er zusammensackte und starb.

Roussel war erschüttert und hielt sich eine Hand vor den Mund. Er stockte und sah auf seine Tochter hinab, die wie eine Furie das Gesicht ihres einstigen Verlobten zerfetzte. Das in ihr aufgestaute Leid hatte sie in ein tollwütiges Tier verwandelt. Mit Abscheu stand er einfach da und wusste nicht, wie er reagieren sollte.

Ihr Kopf fuhr herum. »VATER!«, zischte sie unheilvoll.

Roussel erschrak. »Was hast du getan, Tochter?«, fragte er. Seine beiden Begleiter standen neben ihm und konnten es ebenso nicht fassen.

Claudette sah kurz zu Chevalier, der kaum noch atmete. Hoch oben brannte der Dachstuhl derweil lichterloh und das Glas der Fenster im zweiten Stock platzte unter der Hitze des Feuers aus den Rahmen heraus.

Sie war wie von Sinnen und sah kurz auf ihr Werk und die blutigen Hände hinab. Roussel erkannte plötzlich seine eigene Tochter nicht mehr. Überall lagen Leichen herum. Was hatten sie nur getan? Sie hatten diesen Ort in einen Hort des Todes verwandelt. Doch nun gab es kein Zurück mehr. »Claudette!« Seine Stimme war wieder lauter geworden.

Ihr Gehabe war wie bei einem in die Enge getriebenen Tier. Ihre Hände hatten sich zu Krallen geformt und ihr Gesichtsausdruck war dem Wahnsinn nahe. Bei jeder Bewegung fuhr sie erschrocken zusammen und drehte den Kopf so schnell hin und her, dass einem das Blut in den Adern gefror. Sie warf den Kopf in den Nacken und schrie ihre Verzweiflung in die Nacht hinaus. Dann neigte sie den Kopf und ihre Augen begannen zu lodern.

Roussel war von seinem Pferd abgestiegen und kam in Abwehrhaltung auf seine Tochter zu.

»Claudette, bitte! Es wird alles wieder gut.«

Sie stierte ihn immer noch an und ihr Blick wurde von Sekunde zu Sekunde immer düsterer. Dann verfiel sie in ein irres Lachen und Roussel bekam eine Gänsehaut. Unvermittelt griff sie an. Sie war schnell, trotz der vielen Strapazen. Doch der Kolben einer Muskete stoppte ihren Angriff und brach ihr die Nase. Röchelnd und schniefend lag sie am Boden und wand sich vor Schmerzen. Roussel sah den Mann, der das getan hatte, scharf an, zog seine Pistole und erschoss ihn. Der andere drehte sich indes herum und wurde in den Rücken getroffen. Als er fiel, sah Roussel, dass es Chevalier gewesen war, der am Eingang zu seinem brennenden Château lag, bevor er zur Seite kippte und endlich starb.

Genau in diesem Moment packte Claudette ihren Vater, der gerade im Begriff war, wieder auf sein Pferd zu steigen. Sie riss ihn herunter und boxte ihm gegen den Kehlkopf. Roussel spuckte Blut und hielt sich den Hals, als seine Tochter schon mit ihren Krallen auf ihn losging. Roussel hatte Mühe, sich ihrer zu erwehren, und schrie aus Leibeskräften. Doch sie wollte einfach nicht aufhören zu toben.

»Claudette, bitte, Kind! Ich wollte dir nicht wehtun. Ich wollte auch deiner Mutter das niemals antun«, flehte er sie an, doch Claudette war wie von Sinnen und riss an ihren Haaren. Als sie sah, dass Chevalier tot war, drehte sie völlig durch. Er war ihre große Liebe gewesen und nun war sie allein. »DU HAST MEIN LEBEN ZERSTÖRT! DU HAST MEINE MUTTER UMGEBRACHT! DU HAST MEINE LIEBE ZERSTÖRT!« Sie brüllte nur noch und jedes Wort war unheiliger als das davor. »DU HAST HUGO ERLAUBT, MICH ZU SCHÄNDEN! IHR HABT VORGEHABT, MICH ZUM KRÜPPEL WERDEN ZU LASSEN!« Sie rollte mit den Augen, was ihr ein teuflisches Aussehen verlieh. Dann stürzte sie sich abermals auf ihren Vater, riss an seinen Haaren und dann eines seiner Augen heraus. Blut spritzte ihr ins Gesicht und Roussel gab ein unmenschliches Gekreisch von sich, während das Blut in Strömen aus der Wunde schoss.

»Ich kann dich sehen, VATER!« Sie hielt sein Auge hoch.

»Du wolltest mich hier zurücklassen und dafür sorgen, dass mich niemand mehr je ansehen würde?« Ihre Stimme wurde immer schriller.

Roussel lag am Boden und krümmte sich vor Schmerzen. Mit zittrigen Händen versuchte er, sich ein Taschentuch in die leere Augenhöhle zu stopfen. Er wimmerte und versuchte aufzustehen, doch seine Kräfte verließen ihn.

Sie packte seinen Kopf und sah ihn einen Moment an. Dann blickte sie zurück zum Château de Chevalier, das jetzt vollends in Flammen stand. Zu guter Letzt küsste sie ihren Vater auf den Mund und grinste ihn an. »Komm, Vater, lass uns gehen. Ich möchte, dass du bei mir bleibst und mir Gesellschaft leistest.« Roussels Augen weiteten sich vor Entsetzen und er flehte seine Tochter an, doch die reagierte nicht mehr. Sie legte ihm einen Arm um die Hüften und schleppte ihn durch den Eingang in das brennende Château hinein und von dort aus in den Keller. Bevor sie die Gittertür hinter sich schloss, fing sie wieder an zu lachen, lauter als jemals zuvor. Dann erreichten die Flammen auch den Rest des Gemäuers, hüllten es ein und verzehrten alle, die sich noch darin befanden, bevor der Dachstuhl nachgab und das alte Gemäuer vollends in sich zusammenstürzte.

Das, was blieb, war nur der Tod …

 

Kapitel 1

 

Forêt De Brotonne, Normandie

1996

 

Die Leiche der jungen Frau lag im Unterholz, versteckt zwischen Moosen, Laub und Pilzbeständen. Sie war nackt – der Körper mit zahlreichen Hämatomen und anderen Wunden übersät. Am häufigsten aber fanden sich Hautabschürfungen, vor allem an den Hand- und Fußgelenken sowie im Gesicht, das besonders bizarr in Szene gesetzt worden war. Es fehlten die Augen!

Kommissar René Laurent stand am Rande des Waldwegs zwischen den Fahrzeugen der Polizei von Rouen und dem Forstamt und rauchte eine Zigarette, um warm zu werden. Mit der anderen Hand zog er sich dabei den Kragen seiner Jacke tiefer ins Gesicht. Es war ein besonders kalter Morgen im Februar und der Winter hielt das Land in seinem eisigen Würgegriff. Nebelschwaden hingen zwischen den Baumwipfeln und Krähen krächzten in der Ferne. Raureif überzog den Boden zu seinen Füßen und auf den Dächern der Autos zeigten sich glänzende Eiskristalle. Laurent nickte einigen Polizisten zu, die zusammenstanden und sich über den neuesten Leichenfund zu unterhalten schienen, als ein Mitarbeiter des Forstamts Kaffeebecher an die Beamten verteilte. Auch Laurent freute sich über so viel Zuwendung, hatten sie ihn doch heute Morgen zu einer gar unchristlichen Zeit aus dem Bett gescheucht und hierher bestellt.

»Kommissar Laurent!« Ein junger Polizist hob eine Hand und machte damit auf sich aufmerksam.

Laurent nahm einen Schluck vom Kaffee, zog ein letztes Mal an seiner Zigarette und ging dann auf den Polizisten zu, der einen Notizblock in der Hand hielt. »Guten Morgen, Martin. Wer ist es dieses Mal?«, fragte er und schaffte es gerade noch, ein Gähnen zu unterdrücken.

»Die Tote heißt Marie Moreau. Wir haben ihre Fingerabdrücke überprüft. Sie wird seit einer Woche vermisst und stammt hier aus der Gegend.«

Laurent warf einen Blick auf die Leiche und schüttelte den Kopf, dabei fasste er sich an die Stirn.

Der Gerichtsmediziner stand gerade auf und zog sich die Handschuhe aus. »Das ist jetzt die fünfte Tote in nur 14 Monaten. Wer auch immer dafür verantwortlich ist, hält uns ordentlich auf Trab.«

Die beiden Männer gaben sich zur Begrüßung die Hände.

»Was ist das da neben den Augenhöhlen?«

»Kratzspuren, Kommissar«, antwortete der Mediziner.

»Kratzspuren?«, wiederholte Laurent fragend und rieb sich die müden Augen.

»Schlecht geschlafen, Kommissar?«, fragte ihn der Mediziner.

Laurent nickte. »Eigentlich zu wenig, aber das bringt der Job ja so mit sich.«

Der Mediziner lächelte und zeigte vom Nikotin verfärbte Zähne.

»Haben Sie eine Ahnung, wo diese Kratzspuren hergekommen sind?«

Der Mediziner kaute an der Lippe. »Es könnten sich Tiere an der Leiche zu schaffen gemacht haben. Oder sie stammen von ihrem Mörder.«

Laurent stemmte die Hände in die Hüften. »Vom Täter?« Der Mediziner nickte. »Den Verletzungen in den Augenhöhlen nach zu urteilen, wurden die Augäpfel gewaltsam entfernt.«

Laurent verzog das Gesicht. »Oh mon dieu. War das dann auch die Todesursache?«

Der Mediziner starrte ihn an. »Wir haben hier einen völlig verunstalteten Körper, der mit Blutergüssen und anderen Wunden regelrecht überzogen ist. Das mit den Augen ist, nun ja, der Gipfel der Perversion, aber ich muss erst eine Obduktion machen, bevor ich Ihnen mehr sagen kann, Kommissar.«

Laurent nickte wieder und hielt sich ein Taschentuch vor den Mund. »Wer in Gottes Namen tut einem Menschen nur so etwas an?«

Der Mediziner zuckte mit den Schultern. »Das ist Ihre Arbeit, Kommissar.«

Laurent stimmte dem zu und sah zwischen dem Gerichtsmediziner und dem Polizisten Martin hin und her. »Wer hat die Leiche gefunden und wie lange ist sie schon tot?«

Martin zückte wieder seinen Notizblock und zeigte auf die beiden Mitarbeiter vom Forstamt, die etwas abseitsstanden und denen die Fassungslosigkeit regelrecht ins Gesicht geschrieben stand.

Der Mediziner räusperte sich. »Der Körper weist keine Leichenstarre auf, was bedeutet, dass sie zwischen vierundzwanzig und achtundvierzig Stunden tot ist.«

Laurent bedankte sich bei dem Mediziner und ging mit Martin auf die beiden Mitarbeiter vom Forstamt zu.

»Messieurs Gerad und Morel?«, fragte Laurent.

Die beiden Männer nickten. Im Hintergrund luden zwei Männer der Gerichtsmedizin die Tote in einen Zinksarg und brachten ihn zu einem Leichenwagen. Neben Gerad saß ein Hund.

»Wer von Ihnen hat die Leiche gefunden?«, wollte Laurent wissen und Martin zückte einen Kugelschreiber.

Gerad zeigte auf den Hund. »Petit hat sie gefunden.«

»Sie beide sind vom Forstamt?«

Die beiden Männer bejahten dies. Ihre Gesichter waren sehr blass.

»Wir kartographieren Trüffelbestände und der Hund hat eine ausgezeichnete Nase dafür.«

Laurent beäugte den Hund. »Ich wusste nicht, dass es hier bei uns Trüffel gibt«, gab er zurück.

Morel nickte. »Das stimmt. Das schwarze Gold kommt hauptsächlich aus der Provence, aber vor einigen Jahren wurden auch in dieser Gegend Trüffel gefunden.«

»Morel und ich haben den Auftrag bekommen, das Gebiet abzustecken und zu markieren. Heute Morgen hat der Hund plötzlich angeschlagen und laut zu bellen angefangen«, ergänzte Gerad.

»Was war daran ungewöhnlich?«, hakte Laurent nach.

»Morel sah zu Gerad und der ergriff das Wort. »Der Hund war ganz aufgeregt – das Bellen schrill und laut.«

»Und da haben Sie nachgesehen?«

»Genau. Manchmal finden wir tote Tiere im Wald, das ist ganz normal, aber heute Morgen hat sich der Hund nicht mehr beruhigen lassen.« Gerad streichelte das Tier am Kopf.

»Es war furchtbar, Kommissar. Ich bekomme jetzt noch eine Gänsehaut, wenn ich daran denke. Die Tote hatte keine Augen, mein Gott! Sie sah fürchterlich aus«, fuhr Morel weiter fort und es schien fast so, als habe er das Bild des Schreckens gerade wieder vor Augen.

Laurent bedankte sich bei den beiden Männern, bat aber um Stillschweigen.

»Ich bin dann mal weg, Kommissar!«, rief der Gerichtsmediziner ihm zu. »Ich melde mich bei Ihnen, wenn ich was Neues habe.«

»In Ordnung.«

Dann nahm die Spurensicherung ihre Arbeit auf.

»Martin!«

»Kommissar?«

»Sie haben gesagt, dass Marie Moreau hier aus der Gegend kam?«

Der Polizist nickte. »Ja, richtig. Aus Vatteville-la-Roue im Nordwesten.«

 

Kapitel 2

 

Vatteville-la-Roue

1996

 

Kommissar Laurent las akribisch den vorläufigen Bericht des Gerichtsmediziners. Marie Moreau war zweiundzwanzig Jahre alt geworden, als irgendjemand der Meinung gewesen war, ihr das Leben nehmen zu müssen. Den Verletzungen nach zu urteilen, war sie mehrfach misshandelt worden, ohne dass sich Hinweise auf eine Vergewaltigung fanden. Am Ende waren ihr noch die Augen gewaltsam entfernt worden. Die Spurensicherung war der Meinung, dass der Wald nicht der Tatort war. Sie musste also dort abgelegt worden sein. Laurent hielt einen Moment inne und rieb sich die Augen. Aus der Innenseite seiner Jacke holte er eine Schachtel mit Kopfschmerztabletten heraus und nahm zwei davon ein. Das Haus der Familie Moreau lag am Stadtrand von Vatteville-la-Roue, einer französischen Gemeinde mit gerade mal 1136 Einwohnern im Department Seine-Maritime, und gehörte zum Arrondissement Rouen. Kommissar Laurent schloss den Aktendeckel und stieg aus seinem Wagen aus. Der Tag war sonnig, aber kalt, und er rieb sich die Hände. Gerne wäre er im Auto sitzen geblieben, wo es angenehm warm war, aber er brauchte Antworten. Der mysteriöse Tod und die Umstände, die sich darum rankten, mussten enträtselt werden, denn immerhin war Marie bereits das fünfte Opfer eines unbekannten Mörders, der unbedingt gestellt werden musste. Bestimmt, so dachte Laurent mit Schrecken an die übel zugerichtete Leiche, würde das Morden ungehindert weitergehen.

René Laurent war ein erfahrener Polizist und Ermittler, der seit vielen Jahren in den Diensten des Gesetzes stand. Er hatte schon viele Fälle aufklären und die Schuldigen ihrer gerechten Strafe zuführen können. Nach seinem Militärdienst war er zunächst zur Sûreté versetzt worden, die 1966 dann offiziell und endgültig in die heutige Form der Polizei umorganisiert worden war. Am Anfang war er in Paris stationiert gewesen, bevor er vor fünfzehn Jahren nach Rouen gewechselt hatte. Dort hatte er auch seine spätere Frau Madeleine kennengelernt, mit der er einen Sohn und eine Tochter hatte. Auch von Madeleine lebte er mittlerweile getrennt, ein Schicksal, das viele Polizisten mit ihm teilten. Seit dieser Zeit wohnte er in einer einfachen Stadtwohnung, ging in seiner Arbeit aber regelrecht auf. Jetzt war er Mitte fünfzig und müde geworden. Die vielen Nachtdienste und die unzählbaren Zigaretten hatten beträchtliche Lebensenergie geraubt und es fiel ihm immer schwerer, morgens aus dem Bett zu kommen. Seit etwa einem halben Jahr litt er immer häufiger unter quälenden Kopfschmerzen, die er nur mit starken Schmerzmitteln betäuben konnte. Dadurch sah er oft blass und ausgelaugt aus. Schon mehrere seiner Kollegen hatten ihn darauf angesprochen und ihm geraten, einen Arzt aufzusuchen, doch Laurent hatte dies immer ignoriert.

Millie Maurice, Carmen Croix, Cecile Petrol, Inès Mathis und Marie Moreau waren fünf junge Frauen, die in den letzten vierzehn Monaten einem Serienmörder zum Opfer gefallen waren. Alle waren auf ähnliche Weise zugerichtet und in den Wäldern der Normandie verscharrt worden. Bei den ersten beiden Toten war das Gesicht völlig verunstaltet worden – bei Ines Mathis war ein Auge milchig gewesen. Bei Marie fanden sich Kratzspuren seitlich der Augenhöhlen und auch ihre Augen waren entfernt worden. Laurent schluckte, als er an die dunklen Höhlen dachte, die Fetzen von Muskel- und Sehnensträngen, die sich darin fanden. Außerdem das Getier, das zwischenzeitlich dort hineingekrochen war.

Als die Presse Wind davon bekommen hatte, war es mit der Ruhe ein für alle Mal vorbei gewesen, und mittlerweile betitelte man den Mörder als eine Art »Augenreißer«. Die Polizei tappte völlig im Dunkeln, da bei allen fünf Leichen weder Fingerabdrücke noch fremde Gewebespuren gefun- den werden konnten. Laurent hoffte nun, mehr von Maries Eltern und Freunden zu erfahren.

Das Haus der Familie Moreau war aus Naturstein gebaut und hatte ein windschiefes Dach. Es fügte sich perfekt in die traditionelle Bauweise der ländlichen Gemeinden ein und trotzte beständig den rauen Wettereskapaden, die ganzjährig vom Atlantik herüberwehten. Der Winter war kalt und dunkel, Frühling und Herbst nass und neblig und der Sommer kurz, aber angenehm warm.

Auf dem Weg zur Gartenpforte fielen ihm die hübschen und gepflegten Vorgärten in der Nachbarschaft auf. Bevor er eintrat, blieb er noch mal stehen und zog ein letztes Mal an seiner Zigarette. Dann sprühte er sich Minze in den Mund, um den Nikotingeruch zu dämpfen, und ging durch die Pforte zur Haustür, die rot gestrichen und mit Messingbeschlägen verziert worden war.

Seine Hände kribbelten, doch bevor er den Klingelknopf drücken konnte, öffnete ihm ein verhaltenes Ehepaar die Tür. Laurent schätzte die beiden auf Ende vierzig. Die Frau trug eine Schürze und hatte eine Strickjacke aus dichter Wolle an. Der Mann trug eine Weste und Hausschuhe. Irgendwo bellte ein Hund und es roch nach Essen. Laurent stellte sich vor und zeigte ihnen seine Polizeimarke. Die Frau machte ein trauriges Gesicht und ihr Mann drückte sie an sich. Im Hintergrund kam gerade ein kleiner Junge die Treppe herunter. Laurent wusste nun, was er tun musste.

Die Nachricht vom Tod ihrer Tochter traf die kleine Familie hart. Marie und Mateo waren ihre einzigen Kinder gewesen, denen es an nichts mangeln sollte. Vor zwei Jahren erst hatte Marie ihr Abitur gemacht und war dann zum Studieren nach Lyon gegangen.

Kommissar Laurent saß in einem Sessel und hatte sein Notizbuch vor sich ausgebreitet. »Warum wollte Ihre Tochter eigentlich in Lyon studieren und nicht in Paris?«, fragte er den Vater, der seine Frau noch immer im Arm hielt.

»Marie interessierte sich sehr für Geschichte. Es war eines ihrer Hauptfächer im Abitur.« Ein Lächeln stahl sich um seine Mundwinkel, als er sich an die Momente erinnerte. »An ihrer alten Schule galt sie als historisches Wunderkind, denn sie wusste so ziemlich alles, was sich in dieser Gegend jemals zugetragen hatte.« Er machte eine Pause und strich seiner Frau übers Haar. Dabei schluchzte er. »Aus Lyon kam ihr erster Freund und historisch gesehen hatte die Stadt ebenfalls viel zu bieten.«

Laurent runzelte die Stirn. »Hat dieser Freund auch einen Namen?«, hakte er interessiert nach, während er sich weiter Notizen machte.

Die Eltern schüttelten den Kopf.

»Also wollte Ihre Tochter in Lyon Geschichte studieren?«

»Kunstgeschichte. An der Universität.«

»Wissen Sie zufällig, ob Ihre Tochter mit diesem Freund noch zusammen war?«

Der Vater sah auf und seine Frau hörte auf zu weinen.

»Sie hat mit uns wenig über ihr Privatleben gesprochen.« Laurent merkte schnell, dass diese Unterhaltung in einer Sackgasse münden würde.

Die Mutter wischte sich die Tränen aus dem Gesicht.

»Wir sind Ihnen unendlich dankbar, dass Sie uns die Nachricht vom Tod unserer Tochter persönlich überbracht haben, Kommissar.« Sie hielt kurz inne, aber die Tränen übermannten sie erneut. »Unsere Tochter war ein so liebenswertes Mädchen. Als sie zum Studium nach Lyon ging, wussten wir, dass sie erwachsen war. Ein schneller Besuch, mal eben so, war aufgrund der Entfernung nicht immer möglich. Die wenigen Tage, die sie im Jahr zu Hause war, gehörten ganz der Familie. Schon als Kind war sie oft sehr verschlossen gewesen und das zeigte sich auch später. Vielleicht wollte sie deshalb nicht so viel von ihrem privaten Leben erzählen.«

Der Vater nickte und drückte seinen Sohn an sich.

»Wenn sie früher Sorgen oder Probleme in der Schule hatte, kam sie stets zu mir und wir haben darüber geredet. Doch seit sie in Lyon war, hatte ich nie mehr den Eindruck, dass sie traurig war.« Er atmete kurz durch und rieb sich die Tränen aus den Augenwinkeln. »Können Sie uns sagen, wie unser Mädchen zu Tode gekommen ist?«

Laurent war nicht wohl zumute. »Die Umstände ihres Todes sind uns noch nicht bekannt.« Er setzte kurz aus.

»Ihre Tochter ist …« Er stockte wieder. »Ich will ehrlich mit Ihnen sein. Ihre Tochter ist wahrscheinlich nicht das erste Opfer dieses Täters.«

Die Eltern sahen sich erschrocken an.

»Was soll das denn heißen?«, fragte der Vater bestürzt.

»Die Untersuchung ist noch am Anfang. Jeder Hinweis, jede Notiz, jeder noch so kleine Aspekt könnte wichtig und hilfreich sein. Trotzdem weisen die Zeichen ihres Todes eindeutig in die Richtung eines Serienmörders.«

Die Mutter fasste sich an die Stirn. Sie war entsetzt und sah wieder ihren Mann an. Der schrieb eine Nummer auf einen Zettel und reichte diesen dem Kommissar.

»Was ist das?«, fragte Laurent.

»Das ist die Telefonnummer ihrer besten Freundin und Kommilitonin, Lily Dubois.«

Laurent bedankte sich dafür und stand auf. »Ich werde dafür Sorge tragen, dass Sie Ihre Tochter schnellstens sehen können, falls Sie das wollen.« Bevor er ging, hob er noch einmal den Zettel hoch und bedankte sich dafür.

 

Kapitel 3

 

Büro von Kommissar Laurent

1996

 

Der Fall von Marie Moreau war rätselhaft und hatte bisher keine greifbaren Erkenntnisse gebracht. Der Besuch bei den Eltern war nötig gewesen, hatte Laurent aber auch gezeigt, dass die Eltern erschreckend wenig über das Leben ihrer Tochter im fernen Lyon informiert waren. Deshalb erhoffte sich Laurent weitreichendere Erkenntnisse bei Lily Dubois, Maries Freundin. Um sich den weiten Weg nach Lyon zu sparen, entschied sich Laurent kurzerhand dafür, sie anzurufen.

»Mademoiselle Dubois?«

»Am Apparat, mit wem spreche ich?«, fragte sie.

»Ich bin Kommissar Laurent von der Polizei in Rouen. Haben Sie kurz Zeit?«

»Von der Polizei? Um was geht es denn?«, fragte sie erschrocken.

Für Laurent war es nie einfach, anderen den Tod geliebter Menschen oder Freunde mitzuteilen, aber anscheinend wusste sie nicht, dass Marie tot war. »Es geht um Ihre Freundin, Marie Moreau.«

»Marie? Ich hoffe, es ist alles in Ordnung mit ihr?«, fragte sie zurück. Ihre Stimme klang aufgeregt.

»Marie ist tot.«

Lily Dubois blieb stumm.

»Mademoiselle Dubois? Sind Sie noch da?«, fragte Laurent besorgt.

Er hörte sie bitterlich schluchzen.

»Es tut mir leid, mein aufrichtiges Beileid.« Er ließ seine Worte einen Moment im Raum stehen.

Sie schluchzte weiter.

»Ich habe Ihre Nummer von Maries Eltern bekommen.«

»Seit wann ist sie tot?«, fragte sie wimmernd.

»Sie wurde vor ein paar Tagen in einem Waldstück nahe ihrem Heimatort gefunden.«

Lily Dubois schniefte in ein Taschentuch, aber die Traurigkeit hing wie ein Damoklesschwert über dem Telefonat.

»Die arme Marie, ich kann nicht glauben, dass sie nicht mehr da ist. Sie war doch noch so jung!«

Laurent musste dem beipflichten. »Das stimmt.«

»Wie ist sie gestorben, Kommissar?«, hakte sie fassungslos nach.

»Wir glauben, dass sie ermordet wurde.«

»Ermordet?«, fragte sie erschrocken zurück.

»Sehr richtig, aber die Untersuchungen sind noch am Anfang.«

»Wie meinen Sie das?«

»Wir glauben, dass sie einem Serienmörder zum Opfer gefallen ist.«

»Wie bitte? Einem Serienmörder?«

»Genau. Es gibt bereits mehrere Opfer, die die gleichen Merkmale zeigen.«

»Was denn für Merkmale?«, fragte sie zurück.

»Bitte verstehen Sie mich nicht falsch, Mademoiselle Dubois, aber ich darf Ihnen derzeit nicht mehr sagen.«

»Warum denn nicht?« Diese Frau hatte nur Fragen.

»Weil wir Sie nicht unnötig in Gefahr bringen wollen.«

»Mich, in Gefahr bringen? Ich verstehe nicht. Ist es so schlimm?«

»Nun, das kommt darauf an, inwieweit Sie mir weiterhelfen können.«

»Wie sollte ich Ihnen weiterhelfen?«

»Erzählen Sie mir bitte alles, was Sie über Marie Moreau wissen und natürlich wollen.«

Sie machte eine Pause und er hörte, wie sie etwas trank.

»Was wollen Sie denn wissen, Kommissar?« Sie räusperte sich.

»Mit wem war sie bekannt, hatte sie einen Freund oder gar einen Feind, Hobbys, Freizeit, Uni, was Sie wollen.«

»Das sind aber eine Menge Informationen, Kommissar.«

»Hören Sie, Mademoiselle Dubois, ich weiß es wirklich zu schätzen, wenn Sie sich einen Moment Zeit nehmen und mir alles erzählen. Es könnte wichtig für den Fall und die Ermittlungen sein.«

»Ich muss gleich zur Uni, aber … für Marie, oh mein Gott!« Sie fing wieder an zu weinen.

Es dauerte einen Moment, bis sie sich wieder gefangen hatte. »Marie und ich waren im gleichen Semester. Wir studieren Kunstgeschichte an der Universität. Wir wohnen zusammen und haben gemeinsame Freunde. Sie ist bei vielen echt beliebt, weil sie so ein gutes Herz hat … hatte«, korrigierte sie sich selbst.

»Wie sah die Zeit außerhalb der Uni aus?«, wollte Laurent wissen und machte sich weitere Notizen.

»Wir haben viel zusammen gekocht und uns mit Freunden getroffen, vor allem an den Wochenenden. Unter der Woche mussten wir viel lernen. Da lief außer Haus nichts.«

»Hatte Marie einen Freund?«

»Hm … in letzter Zeit …. nicht, aber sie kannte da diesen Typen.«

»Welchen Typen?«, fragte er interessiert zurück.

»Wie hieß der noch …«

»War er ein Kommilitone?«

»Nein.«

»Erinnern Sie sich an einen Namen?«

»Richard oder Robert, oder so.«

»Nachname?«

»Den kann ich Ihnen nicht sagen.«

»Können Sie mir den Mann beschreiben?«

»Mein Typ war er nicht, aber Marie fand ihn irgendwie charmant.«

»Warum war er nicht Ihr Typ?«

»Hat nicht viel geredet, wenn andere dabei waren. Aber bei Marie hat er gesprudelt wie ein italienischer Brunnen.«

»Wie sah er denn aus?«

»Er war dunkelhaarig, groß, ich schätze mal 1,80, schlank und wohnte wohl früher auf dem Land. Er hatte schöne Zähne, aber merkwürdige Augen.«

Laurent runzelte die Stirn. »Merkwürdige Augen?«

»Wie soll ich das erklären?«

»Mit Ihren eigenen Worten.«

»Sein Blick war stechend und er rieb sie sich ständig, so als versuchte er, etwas zu verbergen.«

»Haben Sie eine Idee, was das gewesen sein könnte?«

»Nee. Ich sag doch, der Typ war einfach unheimlich. Aber ich mische mich da nicht ein.«

»Waren Marie und er nur befreundet oder schon ein Paar?«

»Marie war nicht leicht zu haben, müssen Sie wissen. Sie kannte ihren Marktwert und wollte später groß durchstarten, aber sie war auch ein bisschen naiv.«

»Haben Sie mit ihr darüber gesprochen?«

»Über den Typen? Ja klar. Das machen wir Frauen doch immer.«

»Und?«

»Und was?«

»Wie hat sie reagiert?«

»Sie ließ sich nicht in die Karten gucken. Als sie gemerkt hat, dass ich ihn nicht so toll fand, war sie oft beleidigt.«

»Also sollten Sie ihn auch gut finden?«

»Ich weiß nicht. Aber Marie war oft sehr harmoniebedürftig. Sie ist selten nach Hause zu ihren Eltern gefahren.«

»Das haben mir ihre Eltern auch bestätigt. Wissen Sie, warum?«

»Ich denke, dass es die weite Reise war. Sie sitzen ungefähr fünf Stunden im Zug. Da kann man schon mal die Lust verlieren.«

»Ihre Eltern haben sie nicht besucht?«

»Nein.«

»Also gut, kommen wir noch einmal auf diesen Typen zurück.« Er blätterte durch seine Notizen. »Sie wissen also nicht, ob er auch an der Universität studiert hat?«

»Genau.«

»Wo haben sich die beiden denn kennengelernt?«

»In einer Ausstellung.«

»Waren Sie mit dabei?«

»Wir hatten einen Exkurs in einer Galerie.«

»Wissen Sie noch welche Galerie das war?«

»Musée des Beaux-Arts.«

Laurent schrieb fleißig mit. »War Ihr Semester die einzige Gruppe dort?«

»Das Beaux-Arts ist eine beliebte Galerie für Gruppen aus aller Welt. Es ist immer voll und viele Studierende halten sich dort auf.«

»Vielleicht hat er dort gearbeitet?«, mutmaßte der Kommissar.

»Wie gesagt, ich weiß es nicht.«

»Wann hat sie Ihnen denn von ihm erzählt?«

»Ich habe sie mit dem Typen in der Ausstellung gesehen.«

»Wie war Ihr Eindruck?«

»Von dem Moment?«

»Ja.«

»Also, hm … sie waren irgendwie ins Gespräch gekommen und schienen sich gut zu unterhalten.«

»Wie alt schätzen Sie den Typen?«

»Der war schwer einschätzbar. Aber ich denke, dass er älter war als Marie.« Sie machte wieder eine Pause.

»Vielleicht fragen Sie dort mal nach, Kommissar.«

»Das werde ich tun. Also gut. Ich habe noch ein paar Fragen.«

»Schießen Sie los.«

»Wie war der Typ denn so gekleidet?«

»An dem Tag in der Ausstellung?«

»Ja. Sportlich, leger oder elegant?«

»Normal, würde ich sagen. Also er lief nicht wie ein Obdachloser rum.«

»Hat er jemals erwähnt, wo er herkommt?«

»Also er war eindeutig Franzose.«

»Wie kommen Sie darauf?«

»Hat nicht viel von sich erzählt, hatte aber keinen Akzent oder so. Ich glaube, dass Marie einmal zu mir gesagt hat, dass seine Familie aus dem Norden Frankreichs stammt.« Laurent legte den Stift beiseite. »Vielen Dank, Mademoiselle Dubois.«

»Sagen Sie Lily, Kommissar. Mademoiselle macht mich so alt.«

Laurent lächelte. »Ich danke Ihnen sehr und ich will Sie nicht weiter aufhalten. Nochmal, es tut mir sehr leid wegen Ihrer Freundin.«

»Finden Sie das Schwein, das ihr das angetan hat!«

»Machen wir. Passen Sie gut auf sich auf.«

»Geht klar, Kommissar.«

»Wenn Ihnen noch etwas einfallen sollte, können Sie mich unter der Nummer der Polizei von Rouen erreichen.«

»Vielen Dank.«

Laurent starrte wieder auf seinen Notizblock, der vor Informationen nur so überquoll. Es gab also Hinweise auf einen Unbekannten. Vielleicht war es eine Spur, vielleicht auch nicht, aber er musste sich dahinterklemmen und versuchen, mehr herauszufinden. Er griff wieder zum Hörer und wählte die Auskunft. Er brauchte die Nummer dieser Galerie.

 

Kapitel 4

 

Die Galerie Beaux-Arts

1996

 

Das Sicherheitsbüro der Galerie war ein kleiner Raum mit unzähligen Monitoren. Ein Mann saß an einem Computer und spielte gerade die Aufnahmen ab. Kommissar Laurent stand hinter ihm und versuchte, sich auf einen der Monitore zu konzentrieren. Neben ihm stand die Kuratorin der Galerie, Madame Pobertou, und hatte die Arme vor der Brust verschränkt. »Welcher Monitor ist es, Clément?«, fragte sie den Mann am Computer.

»Monitor Nr. 8, Madame«, antwortete der und zeigte darauf.

Laurent hatte seine Brille aufgesetzt, um die Einzelheiten besser erkennen zu können. »Spulen Sie bitte vor«, bat er Clément und der sah die Kuratorin an.

»Tun Sie es.« Sie drehte den Kopf zum Kommissar.

»Wonach suchen Sie eigentlich?«, fragte sie ihn.

»Nach einem Mann, mit dem Marie Moreau hier gesprochen haben soll.«

Die Kuratorin nickte. »Das ist ein bisschen dünn, finden Sie nicht?«

Laurent beobachtete weiter den Monitor. Ohne die Kuratorin anzusehen, erwiderte er: »Da haben Sie recht, aber diese Begegnung könnte einen Durchbruch in den Ermittlungen bedeuten, für den Fall, dass wir heute Glück haben.«

Die Kuratorin hielt den Blick starr auf den Monitor gerichtet.

Es dauerte einen Moment, dann hob Laurent eine Hand und signalisierte Clément, mit dem Vorspulen aufzuhören. »Lassen Sie es ab hier normal weiterlaufen.«

Clément tat wie ihm aufgetragen.

Das Bild zeigte Marie Moreau, wie sie an den Gemälden entlangschlenderte. Die Galerie war gut besucht. Einen Moment später blieb sie stehen und betrachtete eines der riesigen Wandbilder, als sich ein Mann näherte und neben sie stellte.

Laurent verengte die Augen.

Das Gesicht des Mannes war durch eine Schirmmütze verdeckt und er stand mit dem Rücken zur Kamera.

»Können Sie das Bild vergrößern?«

Clément nickte und drückte ein paar Tasten. »Soll ich die Aufnahme anhalten, Kommissar?«, fragte er zurück.

Laurent schüttelte den Kopf. »Nein, lassen Sie weiterlaufen, vielleicht bekommen wir ja mehr zu sehen.«

»Ist das der Mann, nach dem Sie suchen, Kommissar?«, wollte die Kuratorin wissen.

»Könnte sein. Leider steht er sehr ungünstig zur Kamera.« Laurent sah genauer hin. »Stehen noch andere Kameras zur Verfügung?«

»Ja, zwei«, beantwortete Clément die Frage.

»Gut, dann versuchen Sie es mal aus einer anderen Perspektive!«

Clément schüttelte den Kopf. »Das geht leider nicht.« Laurent sah die beiden an. »Wieso nicht?«

»Letzte Woche sind bei Reparaturarbeiten Kabel beschädigt worden, die zu jenen Kameras gehören. Das ist sehr ärgerlich, denn wir konnten bisher nur eine einzige Kamera wieder in Betrieb nehmen«, erwiderte Clément und sah die Kuratorin an, die das nickend bestätigte.

»So, wie der da steht, könnte man meinen, er wisse darüber Bescheid.«

Die Kuratorin beugte sich vor. »Das ist definitiv keiner der Angestellten.«

Laurent drehte den Kopf. »Sind Sie sicher?«

Sie nickte. »Ganz sicher. Keiner aus unserer Mannschaft trägt eine solche Mütze.«

»Was ist das denn für eine Mütze?«, erkundigte sich Laurent.

»Die Mütze ist aus dem Shop der Galerie«, entgegnete Clément.

Der Mann drehte den Kopf zu Marie und schnell kamen sie ins Gespräch. Marie war amüsiert und lächelte. Der Mann zeigte auf das Wandbild und gestikulierte mit seinen Händen.

»Was ist das für ein Bild, vor dem die beiden so lange stehen?«

»Sturm auf die Bastille von Jean-Baptiste Lallemand, Öl auf Leinwand«, entgegnete die Kuratorin und räusperte sich.

Laurent kratzte sich am Hinterkopf. »Danke für die Geschichtsstunde.«

Die Kuratorin lächelte. Anscheinend hörte sie sich gerne reden.

Es dauerte etwas, dann gingen die beiden weiter zum nächsten Bild, wo sie erneut verharrten. Die Unterhaltung wurde intensiver, doch der Unbekannte hielt sich auch weiter bedeckt. Ein Mann in einer Uniform ging an ihnen vorbei, doch der Unbekannte sah nicht auf. Dann notierte er sich etwas auf einem Zettel und wirkte kurz abgelenkt.

»Welche Funktion hat der Mann in der Uniform?«

»Das ist die Saalaufsicht. Diese Leute stehen bei Besucherfragen Rede und Antwort und achten darauf, dass die Hausordnung eingehalten wird.«

»Ist es möglich, dass ich die Aufsicht später befragen könnte?«

Die Kuratorin schien nicht begeistert darüber zu sein, willigte aber schließlich ein. »Natürlich, wenn es der Aufklärung dienlich ist, Kommissar?«

Er nickte. Dann wanderte sein Blick zurück zum Monitor. Eine andere junge Frau erschien und redete mit Marie.

Der unbekannte Mann beachtete sie kaum.

»Wer ist das denn jetzt?«, fragte die Kuratorin und rieb sich am Kinn.

»Das muss Lily Dubois sein, eine Freundin von Marie.«

»Haben Sie mit ihr über diese Begegnung gesprochen?« Die Kuratorin war sehr neugierig.

»Ja, habe ich. Doch sie konnte mir auch nicht mehr sagen.«

Der Mann gab Marie den Zettel und hielt den Kopf gesenkt, so als wüsste er tatsächlich von den Kameras im Raum.

»Der Typ verhält sich echt komisch«, sagte Clément und drückte ein paar Tasten.

Laurent runzelte die Stirn. »Wie meinen Sie das?«

»Ich glaube, dass er nicht gefilmt werden möchte.« Laurent stimmte dem zu. »Das glaube ich auch.«

Marie gab dem Mann die Hand und ging mit Lily Dubois davon. Der Mann blieb zurück und hob eine Hand zum Gruß. Marie sah noch einmal zurück. Dann verschwand der Mann in der Menge.

»Halten Sie bitte an.«

Clément stoppte das Band und schaltete den Monitor aus.

Die Kuratorin zupfte sich an der Lippe. »Ich hoffe, das war hilfreich für Sie, Kommissar?«

Laurent dachte darüber nach. »Ich würde noch gerne mit ihren Mitarbeitern aus dem Shop sprechen. Vielleicht erinnert sich jemand an diesen Mann.«

»Es kommen jeden Tag Tausende Besucher in die Galerie.

Da wird es schwierig, sich einzelne Gesichter zu merken, meinen Sie nicht?« Die Kuratorin sah ihn wieder an.

»Einen Versuch ist es trotzdem wert. Danke für Ihre Hilfe.« Er gab ihr und Clément die Hand und verließ das Sicherheitsbüro. Er fragte sich, ob der Mann vielleicht auch ihr Mörder gewesen war. Warum hatte er sich ausgerechnet Marie ausgesucht? Er schien viel über das Wandgemälde zu wissen. Vielleicht war er ein Kunstkenner. Laurent nahm seine Tasche zur Hand und ging noch einmal seine Notizen durch.

Die Angestellten aus dem Shop hatten ihm nicht weiterhelfen können, denn zu viele Menschen kauften in dem Shop ein. Auch die Mützen gingen reichlich über den Ladentisch, denn vor allem Männer und ihre Kinder griffen gerne danach. Die Spur drohte allmählich kalt zu werden, daher entschied sich Laurent dafür, noch einmal in die Galerie zu gehen. Dem Kassierer am Eingang reichte er seinen Dienstausweis und trat ein.

Die Kunstgalerie war ein weitläufiger Bau, der den Besuchern viel Platz bot. Die Räume hatten hohe Decken, wodurch die großen Gemälde viel Platz hatten und dadurch gut zur Geltung kamen. Von einem Kartenständer nahm er sich einen Gemäldeplan und blätterte diesen durch. Auf der vorletzten Seite fand er das gesuchte Gemälde, Sturm auf die Bastille, und machte sich auf den Weg. Er brauchte fünf Minuten und sah das Gemälde bereits aus der Entfernung. Die Details waren erschlagend und die ausgewählten Farben passend zur Stimmung der Szenerie.

Laurent setzte sich auf eine Bank und sah sich um. Es gab drei Kameras, die den Raum perfekt abschirmten. Wieder kam ihm die Frage in den Sinn, warum an dem besagten Tag nur eine von ihnen wirklich funktioniert hatte. Zufall oder gar Absicht?