3,99 €
Das Netzwerk des Todes ist zerstört. Aber die Brut der Gefallenen nimmt die Fährte wieder auf und eröffnet eine Jagd, die alles verändert. Jack Barnes steckt immer noch im falschen Körper. Eine Rückkehr in sein altes Leben ist nicht möglich, da er der Staatsfeind Nr.1 ist. Das Endspiel ist eröffnet. Schon bald steht er einem hinterhältigen alten Feind gegenüber. An der Seite von neuen Freunden zieht Jack in die letzte Schlacht. Ein verstörender Thriller über Verschwörung und Verrat.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 323
Veröffentlichungsjahr: 2021
Oliver Kohl
Die fauligen Felder 2
Thriller
quaerere Justitia …
Oliver Kohl
Die fauligen Felder
2
Thriller
© 2021 Oliver Kohl
Auflage (soweit nicht erste Auflage)
Herausgeber: Oliver Kohl
Autor: Oliver Kohl
Umschlaggestaltung, Illustration:
www.rausch-gold.com
Lektorat, Korrektorat:
www.krimi-lektorat.de, Laura Stadler
Übersetzung: Vorname, Name oder Institution
weitere Mitwirkende:
Verlag & Druck:
tredition GmbH
Halenreie 40-44
22359 Hamburg
978-3-347-34729-8 (Paperback)
978-3-347-34730-4 (Hardcover)
978-3-347-34731-1 (eBook)
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des
Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Prolog
In einem Verlies
Der junge Mann war schwach und seine Kniescheiben schmerzten fürchterlich. Mit auf dem Rücken gefesselten Händen, einer Kette um den Hals und einem Sack über dem Kopf hatte er alle Hoffnung verloren. Sein Körper kribbelte und schärfte seine Sinne auf jegliches Geräusch. Er war ein Opfer und sein Schicksal schien besiegelt. Die Kette stand unter Spannung und ließ ihn aufrecht kniend verharren. Diese Position war erniedrigend, der Boden hart und kalt. Die Luft unter dem Sack roch abgestanden und war getränkt von seinem Atem. Langsam kroch der Ekel seinen Rachen empor, und er hatte Mühe, einen Würgereiz zu unterdrücken. Schweißperlen rannen ihm übers Gesicht. Die Zeit verstrich qualvoll langsam, wodurch sich die Tortur und die schreckliche Ungewissheit wie Kaugummi zogen. Welche Gräueltaten würde man an ihm verüben, bevor er ins Gras biss? Er versuchte sich zu bewegen, was ihm aber die letzte Energie raubte. Er wollte leben, war noch zu jung, hatte noch nicht richtig gelebt, geschweige denn geliebt. Tränen sammelten sich in seinen Augenwinkeln, es war schrecklich, sie nicht fortwischen zu können. Er dachte an das, was geschehen war. Sie hatten sich alle schon so lange auf den Ausflug zum See gefreut. Vier gute Freunde aus besseren Tagen. Ein bisschen ausspannen und sich erholen. Feiern, grillen, ausschlafen, chillen, Freude haben, das stand auf dem Plan. Vielleicht einen Tag mit dem Boot auf den See und angeln gehen. Doch es sollte alles anders kommen und nun waren sie fort, vielleicht schon tot oder in einer ähnlichen Lage wie er.
Jemand hatte am See auf sie gewartet und sich einen nach dem anderen geholt. Es war wie in einem dieser Filme, in denen junge Leute einem Verrückten über den Weg liefen, der sie dann alle meuchelte oder andere abscheuliche Dinge mit ihnen im Sinn hatte. Er wollte nicht darüber nachdenken, was man ihnen womöglich gerade antat. Sie waren einem typischen Klischee aufgesessen, in der Hoffnung, dass es ihnen niemals passieren würde. Doch sie hatten sich schrecklich geirrt. Wenn er heute Nacht wirklich sterben würde, dann hoffte er, nicht qualvoll enden zu müssen. Bizarre Gedanken zermarterten ihm den Geist, denn er dachte an die Inszenierung wilder Fantasien und an die Obsession eines Mörders. Er schloss die Augen und konzentrierte sich wieder auf den Moment, bis der Ruck an der Kette kam und ihn aus seiner Stille riss.
*
Die junge Frau lag auf einer alten Pritsche und roch die Überbleibsel des Chloroforms. Ihr Rücken war zerschunden und wund. Ein Blick zur Decke versprach nichts Gutes. Alte, verwitterte, vom Wurm zerfressene Holzbalken mit Spinnweben in den Ecken, aus denen sie unzählige Augen anstarrten. Ihre Füße fühlten sich kalt und taub an, wie nach einem Spaziergang durch frischen Schnee. Als sie langsam den Kopf hob, kehrten die Kopfschmerzen zurück und peinigten sie qualvoll. Ihre Nackenmuskeln brannten. An der Stirn prangte eine Platzwunde, über der das Blut bereits verkrustet war. Die Haut darunter war fiebrig und brannte wie Feuer. Ihr Körper war spärlich bekleidet; mit Hotpants, einer leichten Bluse und Flipflops hatte sie wohl kaum eine Chance, sich ernsthaft gegen andere zur Wehr setzen zu können. Kurz verharrte sie in ihrer Position und horchte in die Stille hinein. Nur langsam kehrten vage Erinnerungen zurück. Ihre Freunde, mit denen sie im Urlaub war, und an eine Frau mit einem seltsamen Anhänger um den Hals. Nun war sie allein und wusste nicht, wo sie war. Das war sicherlich nicht das Haus am See. Was war nur passiert? Vorsichtig setzte sie sich auf und begann zu frösteln. Ihr Gleichgewichtsorgan spielte ihr einen Streich und ließ sie unsicher wanken. Sie erschrak, als sie ihre zerschundene Haut sah, sich die geröteten Handgelenke rieb und die vielen blauen Flecken bemerkte. Ein seltsames, weit entferntes Geräusch holte sie aus den Gedanken und ließ sie abermals aufhorchen. Der Boden war dreckig, so dass sie froh über die Flipflops war. Ihr Schädel dröhnte wie das Horn einer Lok und ihr wurde speiübel. Vor einer senkrecht von der Decke herabhängenden Plastikplane, die als eine Art Raumtrenner fungierte, blieb sie stehen. Es war eine dieser Planen, undurchsichtig und schwer, die sie aus der Waschstraße kannte, in der sie zweimal im Monat mit dem Auto war. Mit viel Mühe gelang es ihr, sich hindurchzuschlängeln, und stolperte förmlich in einen dahinterliegenden Raum, der sie irgendwie an einen medizinischen Bereich erinnerte. Die Schränke waren alle in kaltem, monotonem Stahlgrau gehalten, ohne Griffe, Ecken oder Kanten. In der Mitte stand ein hüfthoher Metalltisch, der wie ein Obduktionstisch mit Abflussrinnen aussah und obenauf lag der regungslose Körper einer jungen Frau. Die Augen waren weit geöffnet, der Blick starr zur Decke gerichtet. Eine sehr lange Wunde zog sich vom Brustbein bis zum Ansatz ihres Intimbereichs hin. Die Wundränder zeigten bereits geronnenes Blut und waren mit Fetzen von Muskelgewebe überzogen. Die Rippen waren offenbar fachmännisch durchtrennt und nach außen gebogen worden.
Das einst so hübsche Gesicht war von Hämatomen und anderen Verletzungen verunstaltet worden. Ihr Tod war ohne Zweifel gewaltsam eingetreten. Die junge Frau starrte einen Moment fassungslos auf die ihr dargebotene Szenerie. Am liebsten hätte sie losgeschrien, aber ihre Stimme versagte. Plötzlich wurde irgendwo eine Tür aufgerissen, und schwere Schritte stampften über den Boden. Panisch sah sie sich um, fand aber kein Versteck. Bevor die Schritte sie erreichten, kroch die junge Frau unter den Metalltisch und kauerte dort, ohne auch nur einen Laut von sich zugeben. Eine Tür wurde aufgestoßen und zwei Männer traten ein. Einer grunzte, der andere hatte eine raue, kratzige Stimme. Sie konnte die beiden genau hören, fürchtete sich aber davor, entdeckt zu werden. Einer der beiden ging durch die Plane und begann augenblicklich zu fluchen. Der andere stand bei der Leiche. Der Mann, der durch die Plane gegangen war, kam zurück und stampfte umher. Die junge Frau zitterte und sah sich nach etwas um, das sie als Waffe verwenden konnte. Da wurde sie gepackt und wieder auf die Beine gezerrt. Erschrocken sah sie in die Augen von zwei Gestalten, die mit
Ledermasken ihre Gesichter verdeckt hatten. Die junge Frau kreischte und biss dem Mann, der sie festhielt, in die Hand. Brüllend ließ er sie los, und schon rannte die junge Frau durch die Tür nach draußen in einen schmalen Gang. Die Männer waren ihr dicht auf den Fersen. Sie rannte so schnell sie konnte, bis sie kaum noch Luft bekam. Da erreichte sie eine zweite Tür und stieß sie auf. Im selben Moment stand sie in einem fauligen Feld und ein dritter Mann drehte sich gerade zu ihr um. Er fletschte die Zähne und grinste sie diabolisch an. Dann hob er ein rostiges Beil in die Höhe und flüsterte: "Willkommen im Todesspiel!"
Die junge Frau schrie …
Kapitel 1
Das 1. Scheusal
Sein Name war Keys.
Ein Kind von Awful.
Er streckte sich, bis die Gelenke knackten, und vergrub sich dann wieder zwischen den zerknüllten Laken. Genussvoll dachte er an die vielen gemeinsamen Nächte mit Helen, seiner Gefährtin. Keine Frau vor ihr hatte ihn so sehr inspiriert, Grenzen auszuloten und Dinge zu tun, die jenseits menschlicher Vorstellungskraft lagen. Eins mit ihr zu sein, brachte sein Adrenalin zum Kochen. Ein schiefes Grinsen umspielte seine Mundwinkel, und er leckte sich über die trockenen Lippen. Keys erinnerte sich gerne an die harten, spitzen Nippel ihrer zarten Brüste, ihren Zwang zur Haarlosigkeit und an das kunstvolle, aber dezente Tattoo, das ihre rechte Hüfte zierte. Er schloss die Augen und genoss den Moment, als der Wecker surrte. Mit der rechten Hand fegte er den Ruhestörer vom Nachtisch und kehrte augenblicklich wieder in die Rückenlage zurück. Dabei fiel sein Blick zur Decke, wo er einen Spiegel angebracht hatte, der so manches Mal ihr Liebesspiel angeheizt hatte. Keys schob das Laken beiseite und betrachtete seinen Körper im Spiegelbild. Früher hatte er sich immer vor Spiegeln gefürchtet, da er glaubte, sein verzerrtes Ebenbild darin zu erkennen. Dass die Dinge in einem Spiegel nicht so waren, wie sie schienen, erkannte er erst später. Heute wusste er, dass der Teufel im Spiegel saß. Plötzlich war sein Ebenbild verschwommen, und eine hässliche Grimasse zierte sein makellos hübsches Gesicht. Auch sein Körper veränderte sich zu einem albtraumhaften Wesen aus der Unterwelt, welches die Zähne fletschte und nach den Lebenden gierte.
Das rhythmische Hämmern an seiner Tür holte ihn aus seinen Träumen und hieß ihn mit quälenden Kopfschmerzen willkommen. Als er sich nun endlich erhob, bemerkte er den säuerlichen Geschmack des Pilzpulvers auf seinen Lippen, mit dem er sich so gerne betäubte und der auch der Grund für die vielen Halluzinationen war. Mit den Fingern der linken Hand schnippte er eine leere Tablettendose vom Bettrand, die ihn so unsanft auf seinem Seidenlaken ruhen ließ. Tiraporinol war ein starkes Schmerzmittel, das er über einen Kumpel bezog, der in einer Apotheke arbeitete. Zudem sagte man Tiraporinol nach, zu einer gewissen Abhängigkeit zu führen, wenn man es zu häufig nahm. Doch Keys war das egal. Er liebte die Annehmlichkeiten, die das Leben bot.
Das Hämmern an der Tür wurde energischer, und jemand meckerte unzufrieden.
„KEYS! Mach sofort die Tür auf!“ Das war die Stimme seiner Mutter, der alten Nervensäge. Unverkennbar. „Keys? Junge?“ Eine kurze Pause entstand. „Bist du da?“
Keys schüttelte verächtlich den Kopf, da er diese Art von Störung überhaupt nicht leiden konnte, und zog sich das Laken wieder über den Kopf. „Geh weg!“ Seine Stimme war jetzt sehr gereizt. Warum konnte ihn die Alte nicht einfach in Ruhe lassen?
„Keys?“ Sie gab nicht auf.
Er verdrehte die Augen und schwang sich aus dem Bett. Als seine nackten Füße den kalten Boden berührten, zuckte er kurz zusammen. Dann ging er, ohne sich etwas anzuziehen, zur Tür.
Seit er die Dachgeschosswohnung bezogen hatte, sah er seine Mutter fast gar nicht mehr. Nach der Abschlussfeier an der High-School war er mehreren kleinen Jobs nachgegangen, da er weder Lust aufs College noch auf die Uni hatte. Seine Noten waren stets passabel und die Lehrer zufrieden mit ihm gewesen, hätten sie nicht so eine Angst vor ihm gehabt. Mann, waren das noch Zeiten gewesen, als Helen, Rhys und er Macht über Schüler und Lehrer gehabt und sie wie Lämmer zur Schlachtbank getrieben hatten. Doch die Zeit der Lämmer würde schon bald wiederkehren. Dann hatte ihm Mr Walkins eine Absage für die Lehrstelle in der Schreinerei erteilt, was er so nicht auf sich sitzen lassen konnte. Diesen Fehler bezahlte der gute Mann wenig später an der Kreissäge mit seiner rechten Hand. Der dadurch entstandene Blutverlust war immens gewesen und hatte Mr Walkins in seiner eigenen Schreinerei verbluten lassen. Keys dachte an die schrecklichen Schreie des Mannes und an das viele Blut in der Werkstatt. Keys hatte ihn bestraft und erniedrigt. Was es doch für eine Freude gewesen war, ihm beim Sterben zuzusehen. Die Polizei hatte später nichts auf die Reihe bekommen, denn die gute Helen hatte Keys ein handfestes Alibi verschafft. Sie hatte den Polizisten erklärt, dass sie zur Tatzeit mit ihren beiden Freunden Keys und Rhys einen geilen Dreier gehabt hätte und sie gerne die vorhandenen Spuren dafür untersuchen lassen könnten. Damit konnten diese Spießer nichts anfangen und hatten sie fortan in Ruhe gelassen.
Diese Lebensweise führte irgendwann zu Zerwürfnissen innerhalb der Familie, denn zu Lebzeiten seines Vaters, einem ehemaligen Stahlarbeiter, der über die Jahre die Familie gut ernährt hatte, gab es Streit und zu wenig Aussprache zwischen Vater und Sohn. Als die Stahlbranche einige Jahre später dann ins Straucheln geriet und damit auch der Vater seinen Job verlor, wurde dieser plötzlich krank. Noch bevor das Werk für immer schloss, verstarb der Vater. Dies war Keys erster richtiger Verlust, da sich Vater und Sohn im Grunde meist gut verstanden hatten. In den Jahren darauf hatte er viel darüber nachgedacht, ob die harte Erziehung gut oder schlecht für seine Entwicklung gewesen war, denn irgendetwas hatte sich in ihm verändert. Diese Veränderung war schleichend und im Laufe der Zeit wie eine Obsession für ihn geworden. Irgendwann hatte seine Mutter ihm erzählt, dass er eigentlich eine Zwillingsschwester hätte haben sollen, die aber tot zur Welt gekommen wäre. So gab es weder Fotos noch eine richtige Geschichte über sie. Nur die Gewissheit der Vergänglichkeit. Doch eines Tages war dann Helen in sein trübes Leben getreten, und er hatte sofort die Seelenverwandtschaft gespürt. Leider fiel die Mutter irgendwann in Ungnade, weil sie das Vermächtnis seines Vaters mit Füßen trat und sich diesen neuen Typen ins Haus geholt hatte. Keys zog sich daraufhin immer mehr zurück, da ihm dieser „Neue“ am Arsch vorbeiging. Umso mehr zogen neue Probleme am Horizont herauf, da der „Neue“, sein Name war Bill, Herrgott was für ein beschissener Name, immer öfter den Stiefvater mimte und Keys Vorschriften machte. Zudem keimte in Keys der Verdacht, dass dieser Saukerl ein Auge auf seine Helen geworfen hatte, was ihr auch nicht zu entgehen schien. Denn Helen hatte so ein Faible für fremde Lust, und Keys beschloss an diesem Tage, Bill zu bestrafen.
Das Klopfen an seiner Tür hörte nicht auf, und Keys war kurz davor, zu platzen. Er drehte den Schlüssel im Schloss herum und zog die Tür mit beherztem Schwung auf, so dass seine Mutter zusammenfuhr. Als sie ihren Sohn entblößt vor sich stehen sah, drehte sie sich erschrocken um.
„Keys, verdammt nochmal, zieh dir doch bitte etwas an!“
Keys grinste schief. „Was ist dein Scheißproblem, Mum? Als ich aus dir rausgezogen wurde, hat sich auch keiner gegrämt!“
Seine Mutter schüttelte den Kopf. „Du bist wieder mal unverbesserlich!“ Ihre Stimme hatte einen gekränkten Unterton, doch Keys grinste sie nur an. Seine Verachtung ihr gegenüber war offensichtlich. „Was willst du?“
Seine Mutter war immer noch abgewandt. „Dein Stiefvater will sich mit dir unterhalten!“
Keys lehnte sich an den Türrahmen und verschränkte die Arme vor der nackten Brust. „Ach ja? Und da schickt er dich, um mir das zu sagen?“ Er zeigte kein Mitleid. „Warum kommt der edle Herr denn nicht selbst zu mir?“
Keys‘ Mutter schüttelte wieder den Kopf und fasste sich verzweifelt an die Schläfen. Dann fuhr sie herum, in ihren Augen sammelten sich Tränen. „Nenn ihn nicht so, hörst du? Wir ertragen deine herablassende Art nicht mehr!“
Keys hob eine Augenbraue. „Du oder Bill?“ Ihr Blick war trotzig, doch die Fassade bröckelte langsam. Sie begann zu schluchzen.
„Hör auf zu flennen, Mum, das zieht schon länger nicht mehr bei mir!“
Ihr Blick hielt der Beleidigung stand. „Wäre dein Vater noch am Leben, würdest du so nicht mit mir reden!“
Keys‘ Lächeln gefror. „Das stimmt, nur hätte mein Vater dich nicht so herumgeschubst wie Bill!“
Immer noch trotzte sie seinem Blick.
Keys hingegen richtete sich auf. Und gerade als er seine Mutter so stehen lassen wollte, sagte er: „ICH habe Vater nicht verraten.“
Sie packte ihn am Arm und zog ihn ruckartig herum. „ICH habe deinen Vater geliebt!“
Keys verengte die Augen. „Und jetzt bumst du diesen Bill, danke, Mum!“
Blitzschnell holte seine Mutter aus und gab ihrem Sohn eine schallende Ohrfeige, dass die Wangen glühten. Sie verharrte einen Moment, dann wischte sie sich die Tränen aus den Augen und verschwand aus seinem Blickfeld.
Keys kochte innerlich.
Derweil schrie Bill im Erdgeschoss nach seiner Mutter, und er hörte, wie sie sich zankten.
In dem Moment beschloss Keys, diesem Treiben ein für alle Mal ein Ende zu setzen.
*
Gegen Mittag gesellte er sich zu den beiden Streithähnen ins Erdgeschoss. Bill stand in der Küche und las die Tageszeitung, die er wie jeden Tag beim Nachbarn aus dem Briefkasten stahl. Keys‘ Mutter war damit beschäftigt, das Mittagessen auf den Tisch im Esszimmer zu stellen. Als Bill Keys bemerkte, drehte er den Kopf und faltete die Zeitung zusammen. „Ah, der feine Herr lässt sich also endlich mal blicken.“ Er sah fast beiläufig auf die Uhr an seinem Handgelenk. „13.30 Uhr, ich hoffe klar und munter!“ Sein Sarkasmus war nicht zu überhören und tropfte schwerfällig von seinen Lippen.
Bill ignorierend holte er sich einen Karton Milch aus dem Kühlschrank, nahm einen langen Schluck und wischte sich dann mit der Hand den Mund ab.
„Hey, Junge, ich rede mit dir!“, mahnte Bill und führte sich dabei auf wie ein Preisboxer vor einem wichtigen Kampf.
Ohne Bill anzuschauen, erwiderte er: „Ich aber nicht mit dir!“
„Solange du in unserem Haus wohnst …“ Bill ballte die Hände zu Fäusten.
„Unser Haus? Das ist immer noch das Haus meiner Eltern und mir. Du kommst da gar nicht drin vor, Bill!“ Keys funkelte ihn an.
Bills Hände wurden hart wie Stahl und seine Miene verfinsterte sich. Indes sah seine Mutter wieder auf, was den Streithähnen nicht entging. Der Kopf ihres Lebensgefährten wackelte wie der einer Puppe. „Mach nur so weiter, Junge!“
Keys grinste ihn provozierend an und nahm dann Platz am Esstisch. Bill saß rechts von ihm, seine Mutter links. Dann plötzlich klingelte es an der Haustür. Bill und Keys‘ Mutter sahen auf. „Wer ist das denn jetzt?“ Bills Unterton war gereizt.
„Das ist sicher für mich!“, sagte Keys schnell. „Erwartest du noch jemanden?“, fragte seine Mutter überrascht nach und ihr Sohn nickte kauend.
„Ich habe vorhin mit Helen telefoniert, sie wollte kurz rüberkommen.“ Er sah seiner Mutter in die Augen. „Du hast doch sicherlich nichts dagegen, oder?“
Der Gesichtsausdruck seiner Mutter sprach Bände. Dann schüttelte sie fast zaghaft den Kopf. „Geh schon.“
Als Keys sich erhob, um seiner Freundin die Tür zu öffnen, funkelte Bill seine Mutter böse an. Einen Moment später stand Helen im Esszimmer. Sie sah wieder einmal zum Anbeißen aus, schlang sofort ihre Arme um Keys und küsste ihn auf die Wange. Er erwiderte ihre Zärtlichkeit und streichelte sie am Hals. Dann nahm er sie bei der Hand und ihrer beiden Augen glänzten wie Diamanten. Als sie so dastand und Bill ihre Brüste anstierte, gab sie Keys‘ Mutter die Hand und bedankte sich für die Erlaubnis, am Essen teilnehmen zu dürfen. Bills Miene hellte sich indes wieder auf, und Keys grinste insgeheim darüber, wie ihn die Spinne in ihr Netz lockte. Bestimmt hatte der Saukerl schon einen mächtigen Ständer in der Hose, da er ja wusste, wie er nach seiner Helen lechzte. Keys‘ Mutter erwiderte Helens freundliche Geste. „Hallo Helen, schön, dass du zum Essen kommst. Es ist genug für alle da.“
Helen neigte den Kopf. Dabei warf sie Bill einen flüchtigen, aber lüsternen Blick zu und zog sofort wieder seine Blicke auf die geöffneten Knöpfe ihrer leichten Sommerbluse, unter der die harten Nippel ihrer Brüste hervorstachen. Eine feine silberne Kette umwand ihren zarten, schwanengleichen Hals und endete in einem kleinen Anhänger über ihrem Dekolleté. Keys‘ Mutter holte einen weiteren Teller aus der Küche und stellte diesen Keys‘ Platz direkt gegenüber hin. Die Blicke der beiden Teenager waren verstohlen, denn sie wollten einander. Aber vorher musste noch etwas sehr Wichtiges erledigt werden.
Es gab Steak mit Reis und Bohnen, dazu einen gemischten Salat mit hausgemachtem Dressing und einem Dessert. Das volle Programm mütterlicher Fürsorge also. Helen setzte das Wasserglas an den Mund und nahm einen Schluck. Dabei achtete sie penibel darauf, dass das Wasser ihr seitlich aus dem Mundwinkel lief. Einzelne Tropfen perlten an ihrem Hals hinab und liefen über ihr Dekolleté bis zu dem Grübchen oberhalb ihrer Brüste. Bill entging auch das nicht. Unruhig rutschte er auf seinem Stuhl hin und her und kaute auf seinem Steak herum, als wäre es aus Gummi.
„Was habt ihr denn heute noch so vor?“, fragte Keys‘ Mutter.
Helen sah zu Keys und holte sich seine Erlaubnis ein. „Wir wollen runter zum See, baden!“
Keys nickte. „Aber vorher treffen wir uns noch mit Rhys.“
Bill sah auf und verzog den Mund zu einem hämischen Grinsen. „Ist der Junge nicht schwachsinnig?“ Die Köpfe der drei anderen fuhren hoch.
„Bill!“ Keys‘ Mutter war entsetzt und funkelte ihren Lebensgefährten streng an.
Keys grinste in sich hinein. „Da kennst du dich ja aus, was, Bill?“
Bill ließ geräuschvoll das Besteck fallen und glotzte Keys wütend an. Bevor er allerdings etwas entgegnen konnte, legte Helen ihre zarte Hand behutsam auf die seine und sah ihm tief in die Augen. Sofort entspannte sich Bills Mimik wieder. Das entging auch Keys’ Mutter nicht, allerdings ließ sie sich dieses Mal nichts anmerken. Nach dem Essen lenkte Keys seine Mutter vom eigentlichen Geschehen ab, indem er ihr half, das schmutzige Geschirr in die Küche zu tragen und beim Servieren des Desserts zu helfen. Bill blieb, wie erwartet, bei Helen sitzen, nicht weil er ein Gentleman war, vielmehr rührte dieses Gehabe aus seinem Paschadasein. Mit vor der Brust verschränkten Armen lehnte er sich in seinem Stuhl zurück und blickte sich verstohlen im Raum um. Ab und an wanderten seine gierigen Blicke aber doch über den Körper der Göttin und verharrten in ihrem Ausschnitt. Um nun die Konversation wenigstens ein bisschen anzukurbeln und von seiner Triebhaftigkeit abzulenken, fragte er: „Nun, äh, Helen, wie läuft´s am College?“
Helen schnalzte mit der Zunge. „Alles super.“ Eine Pause entstand und schon war die kurze Unterhaltung wieder beendet. Helen reckte sich und streckte mal zur Abwechslung die Arme weit von sich, dabei rutschte die eh schon viel zu kurze Bluse am unteren Ansatz über ihre Hüftknochen und gab kurz den Blick auf ihren Bauchnabel preis. Dabei kam auch ein Teil ihres Tattoos zum Vorschein. Bills linke Augenbraue zuckte, wollte er doch mehr davon sehen oder ihren ganzen Körper vor sich liegend, die Beine weit gespreizt, zu seiner Ankunft bereit.
Doch Keys‘ Mutter riss ihn aus seinen feuchten Gedanken. Er sah auf. „Willst du auch Nachtisch?“ Bill glotzte sie fragend an, als verstünde er plötzlich ihre Sprache nicht mehr. Kurz wagte er wieder einen Blick zu Helen, die den Pudding dankend entgegennahm und sich mit der linken Hand über den Bauch strich.
„Mmh, so etwas Leckeres lass ich mir doch nicht entgehen, vielen Dank!“ Wieder warf sie ihrem Keys einen lüsternen Blick zu. Dann lächelte sie hintergründig. Alles lief genau nach Plan.
Bill nahm einen Kaffee, wollte er doch sein Gemüt und Verlangen, die sonst überzukochen drohten, mit den schwarzen Bohnen beruhigen. Die Welt um ihn herum verging und wurde unbedeutend, denn nur eins allein zählte und das war Helen. Er beobachtete sie, wie sie genüsslich den Löffel ableckte und wie sich die Reste der Süßspeise auf ihren zarten Lippen verteilten. Ab und an schien sie sich in seinen Blicken zu aalen. Er verschluckte sich, und Keys‘ Mutter sah auf.
„Alles in Ordnung, Bill?“ Er machte eine abwehrende Handbewegung, nickte aber dann. „Ich habe mich nur verschluckt!“
Keys und Helen blickten einander verschwörerisch an. Die Schlinge zog sich langsam zu. Als das Essen beendet war, räumten sie gemeinsam den Tisch ab, alle außer Bill. Dieser hatte sich eine kurze Auszeit an der frischen Luft genommen, angeblich um eine Zigarette zu rauchen, da seine Lebensgefährtin ihm das Rauchen im Haus strikt untersagt hatte.
Während sich also Keys und seine Mutter um den lästigen Abwasch kümmerten und seit langer Zeit mal wieder eine Unterhaltung führten, suchte Helen Bill auf der Veranda vor dem Haus auf, der gerade dabei war, seine Zigarette in nur wenigen hastigen Zügen aufzurauchen. Helen setzte sich auf die Hollywoodschaukel, zog ihre Schuhe aus und lehnte sich entspannt zurück. Sie wusste, dass Bill zwar im Rücken keine Augen hatte, trotzdem war ihr klar, dass er wusste, dass sie da war.
„Willst du eigentlich nachher mitkommen?“, fragte sie ganz beiläufig und provozierte damit eine Reaktion.
Bill drehte sich zu ihr um. Seine Augen waren gerötet. „An den See?“
Sie nickte und hauchte ein „Ja“.
Er lehnte sich gegen das Geländer der Veranda. „Ich glaube, das würde Keys nicht gefallen!“
Sie grinste ihn an. „Wieso glaubst du das?“
Er verzog den Mund. „Wir sind wie Hund und Katze. Außerdem will ich euch nicht stören!“
Sie beugte sich nach vorn, und Bill hatte wieder den direkten Blick in ihren Ausschnitt. „Stören? Wobei denn, Bill?“
Er gluckste.
Helen war aufgestanden und kam auf nackten Füßen langsam auf ihn zu. Jede ihrer Bewegungen war geschmeidig und zielsicher, wie die einer Raubkatze, die sich im hohen Gras ihrem Opfer nähert. Als sie vor ihm stehen blieb, strich sie sich eine Strähne aus dem Gesicht. „Glaubst du etwa, wir tun etwas Verbotenes unten am See?“
Genau in diesem Moment verlor er sich in ihren Augen; sie jedoch hob ruckartig den Kopf.
„Oder bist du auch nur so ein Spießer?“
Bill schüttelte den Kopf wie ein ihr höriger Sklave.
Helen lächelte. „Dachte ich mir! Du geiler Bock hast mich heute wieder mit deinen Augen ausgezogen. Gefalle ich dir denn so sehr?“
Bill stockte der Atem, seine Miene aber blieb unergründlich. Sie hatte ihn jetzt genau da, wo sie ihn haben wollte, nämlich an den Eiern. Also kam sie ihm noch ein Stück näher und berührte seinen Arm. Sie wusste um den Ständer in seiner Hose und dass dieser kurz vor dem Platzen stand.
„Du bist schärfer als jede Peperoni, Helen!“ Helen fasste sich an den Mund und lachte auf. „Mehr hast du nicht zu bieten, Bill?“
Bill wurde rot wie eine Tomate. Dann kam Gemurmel aus dem Wohnzimmer, und ihre Blicke trafen sich wieder.
„Wir gehen heute Nacht nackt baden, Bill. Das Wasser ist schön warm, und es gibt kleine Strudel, die so schön zwischen den Beinen blubbern.“ Sie schmachtete ihn an. „Nun komm schon, was ist jetzt?“ Sie war ungeduldig, und Bill musste die Gelegenheit beim Schopfe packen, um sie nicht zu enttäuschen.
Er zögerte kurz, dann willigte er ein. „Okay, ich bin dabei. Aber wie wollen wir das nachher machen?“
Helen verfiel in Vorfreude. „Komm später vorbei, so gegen 23 Uhr, wenn die anderen dann betrunken sind und ihren Spaß hatten, werde ich am Nordufer auf dich warten.“
Bill lächelte verzückt. „Und was machen wir dann?“
Sie grinste wieder und warf ihm einen lüsternen Blick zu. „Dann, mein lieber Bill, darfst du alles mit mir machen, was du willst!“
*
Die helle Sichel des Mondes glänzte auf der schwarzen Oberfläche des Sees, als Bill den Motor endlich abstellte und aus dem Auto stieg. Er hielt kurz inne und horchte in die rabenschwarze Nacht, hörte aber nur das entfernte Zirpen der Grillen und den sanften Hauch des Windes, der vom See herüberwehte. Aus der Hosentasche holte er eine Schachtel Zigaretten und spürte dabei seinen harten Riemen, der schon bald belohnt werden sollte, vorausgesetzt Helen hielt sich an die Abmachung. Es hatte einiges an Überzeugungskraft gekostet, Keys‘ Mutter zu erklären, warum er um diese späte Stunde nochmal zu Richies Laden musste. Kurz flammte das Feuerzeug auf und der Glimmstängel schickte seine Glut in die Nacht hinaus. Ein Zug genügte, und er fühlte sich wieder frei, wie damals in den Siebzigern, als die Musik noch schrill und die Klamotten ziemlich schräg waren. An einem Holzschild bog er nach rechts ab, kam dann über einen flachen Hügel mit kleinen Büschen und näherte sich nun langsam seinem eigentlichen Ziel, dem nördlichen Ufer des Sees, wo tagsüber meist die Angler und abends ab und an Camper und Liebespärchen verweilten. Insgeheim hoffte er aber, dass sie diese Nacht ungestört blieben, dann konnte Helen ihre Lust hinausschreien und niemand würde sie hören. Hinter einer kleinen Baumgruppe aus Nadelhölzern blieb er stehen und nahm den Duft der Tannenzapfen in sich auf. Die Rinde der Stämme war klebrig vom Harz, und kleine Insekten rannten hin und her. Aus dieser sicheren Distanz entdeckte er vier im Kreis verteilte Fackeln, in deren Mitte mehrere Decken, Kissen und ein Picknickkorb standen. Bill verengte die Augen, um eventuell Einzelheiten erkennen zu können. Zwei Gläser und eine Flasche mit Korken rundeten das Bild ab. Er grinste und Speichel sammelte sich in seinem Mund, lockerte seine Anspannung und erhöhte die Vorfreude auf das kommende Ereignis. Doch es war niemand da. Er runzelte die Stirn. Wo war Helen? Er sah sich um, konnte aber niemanden entdecken. Sie zeigte Geschmack, wenn es um besondere Momente oder Inszenierungen ging, aber dieser Platz war schon echt eine Überraschung. Der Sex würde die Nacht zum Tag machen. Dann knackte es plötzlich im Unterholz und die schöne Helen erschien. Sie war barfuß, trug eine Art von Wickelrock um die Hüften, der ihre zauberhaften Beine gerade genug bedeckte und eine leichte Sommerbluse, die nur in der Mitte geknotet war. Zudem trug sie ihr Haar offen und eine Flut von Locken umspielte ihr verheißungsvolles Gesicht. Bill rieb sich die Hände und genoss es, ein Voyeur zu sein. Helen setzte sich auf die Decken und machte sich an dem Korken der Flasche zu schaffen. Dann sah sie auf die Uhr und fuhr sich mit einer Hand durch ihr Haar. Bill war jetzt bereit, zog ein letztes Mal an der Zigarette und warf sie weg. Auf den letzten Metern zum Ziel sprühte er sich Minze in den Mund, die den Nikotingeruch neutralisieren sollte. Gerade als er in das Licht der Fackeln trat, hob Helen den Kopf und sah ihn amüsiert an.
„Hey, Bill, schön dich zu sehen und schön, dass du es einrichten konntest!“ Ihre Worte waren pure Süße in seinen Ohren und wirkten wie ein unbekanntes Lockmittel. Zudem schien sie ihm erstaunlich entspannt.
Bill grinste und sah sich um. „Na, wer könnte denn deinen Reizen widerstehen, Süße?“
Helen lächelte verführerisch und lutschte genussvoll an einem ihrer Finger. Langsam wie eine Schlange wand sie sich zur Seite und räkelte sich vor ihm auf den Decken, als Bill schon den ersten gezielten Blick zwischen ihre Beine erhaschen konnte. Helen trug kein Höschen, was die ganze Sache noch aufregender machte.
„Ich war gerade dabei, den Schampus zu öffnen.“ Sie nahm die Flasche zwischen ihre Beine und rieb mit den Fingern über den oberen Flaschenhals.
Bill wurde blass. Das kleine Luder meinte es ernst.
Dann klopfte sie neben sich auf die Decke. „Willst du dich nicht zu mir setzen? Oder da stehenbleiben und mich weiter begaffen, wie du es ja schon seit einer Weile gemacht hast!“
Bills Augen zwinkerten, und Unsicherheit überkam ihn. Er drehte den Kopf und sah sich um. „Wo sind denn Keys und sein schwachsinniger Freund Rhys?“
Helen ließ ihn nicht mehr aus den Augen und lächelte immer noch. „Um die musst du dir keine Sorgen machen. Die sitzen betrunken am Lagerfeuer auf der anderen Seite des Sees!“ Sie machte eine kurze Pause und zog an dem Korken, der aber nicht mitspielte. „Warum fragst du?“
Bill hatte die Hände in den Hosentaschen vergraben, damit sie nicht sehen konnte, wie feucht sie waren. „Nun, ich will keine ungebetenen Besucher!“
Helen nickte und zog weiter an dem Korken. „Wir sind hier ganz allein, versprochen …“ Sie sah auf die Beule in seiner Hose und die unruhigen Finger seiner Hände in den Hosentaschen. „Jetzt komm endlich zu mir und hilf mir mit dieser widerspenstigen Flasche. Ich würde gerne mit dir anstoßen, wenn du verstehst, was ich meine!“ Ihre Augen wirkten auf einmal feurig und wild.
Bill bekam eine Gänsehaut, trat von einem Bein auf das andere, und mit einem Mal hatte er das eigenartige Gefühl, beobachtet zu werden. „Mit diesem Fleckchen hast du wirklich Fantasie bewiesen, Helen.“
Sie bedankte sich lächelnd dafür und klopfte wieder auf die Decke neben sich.
„Aber zwei Dinge musst du mir vorher noch erklären, Helen.“
Sie stoppte ihre Bemühungen um den leidigen Korken und sah zu ihm auf.
„Bitte versteh mich nicht falsch, aber warum ausgerechnet ich und warum hier am See? Wäre es nicht schärfer gewesen, wir hätten uns ein Zimmer in irgendeinem Motel genommen?“
Augenblicklich legte sie die Flasche beiseite und sah ihn mit verächtlicher Miene an. „Echt jetzt, Bill? Willst du quatschen oder vögeln?“
Er wollte etwas erwidern, doch sie fiel ihm ins Wort und der Unterton in ihrer Stimme gefiel ihm plötzlich überhaupt nicht mehr.
„Ich dachte wirklich, dass du anders wärst, Bill. Aber wie ich sehe, hast du keine Ahnung von Romantik oder weißt, wie wir Frauen wirklich ticken.“ Sie lehnte sich wieder nach vorn und machte ein verächtliches Gesicht. Ihre Pupillen waren geweitet. Irgendetwas stimmte nicht mit ihr.
„Ist alles in Ordnung mit dir?“, fragte Bill, der sich nun äußerst unwohl fühlte.
„Du spielst gerne Spielchen, was?“ Sie funkelte ihn an.
Bill erschrak innerlich und hob die Hände abwehrend vor sich.
Im selben Moment kroch sie auf ihn zu und das sehr schnell.
Bill wich zurück und prallte plötzlich gegen etwas hinter ihm. Perplex über die Furie Helen fuhr er herum und sah in die dunklen Augen von Keys, der wie aus dem Nichts vor ihm stand und ihn angrinste.
„Hey, Süße.“ Er nickte Helen zu und diese schickte ihm einen imaginären Kuss.
Bill verengte die Augen und schubste Keys von sich. Da zuckte er zusammen und sah unter sich Helen, die eine Spritze mit einer leeren Glasampulle in der Hand hielt. Ihr schmales Grinsen wirkte teuflisch. Bill versuchte sich zu bewegen, doch seine Beine gehorchten nicht. Er fiel auf die Knie und spürte feine Rinnsale von Blut, die zwischen seinen Beinen herunterliefen. Er funkelte Helen an, die sich nun neben Keys gesellte und ihn küsste.
„Was hast du getan, du Miststück!“, fuhr Bill sie an.
„Sie hat dir gerade Medrosal gespritzt. Das ist ein Medikament zur Muskellähmung. Tja, Billy Boy, damit wird es dir unmöglich sein, die Party vorzeitig zu verlassen“, klärte Keys ihn auf.
Da trat eine weitere Gestalt aus der Dunkelheit auf den mit Fackeln gesäumten Platz. Es war Rhys.
Bills Augen trübten sich bereits, und er versuchte mit aller Kraft, aufzustehen, was aber misslang.
Keys drehte sich zu Rhys um und die drei umarmten sich brüderlich. „Hey, Rhys, da bist du ja. Super, dann können wir ja anfangen!“ Keys rieb sich die Hände.
Rhys grinste schief, wodurch er von anderen oft für schwachsinnig gehalten wurde.
Bill röchelte.
Keys kniete sich zu ihm hinunter und sah ihm tief in die Augen. „Was für ein seltener Anblick. Bill vor uns auf den Knien, dass ich das noch erleben darf!“ Der Sarkasmus in seiner Stimme war nicht zu überhören.
Helen legte Keys eine Hand auf die Schulter, blieb aber stehen, wohl auch, um ihre Macht über Bill zu demonstrieren. „Endlich hat er akzeptiert, wo er hingehört. Du bist jetzt unser Sklave, Bill!“ Sie kicherte, weshalb Bill ihr am liebsten an die Gurgel gegangen wäre.
Keys nickte und liebkoste ihre Hand. „Du hast recht, Süße, er sollte uns zu Diensten sein.“ Keys wiegte den Kopf hin und her.
Bill ballte zuckend seine Fäuste.
„Das wirkt aber schnell“, warf Rhys mit wohliger Stimme ein. „Sieh nur, wie er sich wehrt!“
Keys küsste wieder Helen.
Bill fiel es zunehmend schwerer, sich zu konzentrieren. Er wusste, dass er ihnen hilflos ausgeliefert war. „Ihr verdammten Bastarde! Glaubt ihr wirklich, dass ihr damit durchkommt?“ Seine Stimme hörte sich dumpf, fast kehlig an, denn die Zunge war ihm beim Reden ständig im Weg. Er spürte, wie die Lähmung seinen Körper emporkroch, trotzdem wollte er nicht kampflos untergehen.
Keys grinste breit. „Natürlich kommen wir damit durch, Billy Boy. Und weißt du auch, warum?“ Seine Augen waren wild. „Weil niemand je davon erfahren wird!“ Keys breitete die Arme aus. „Durch das Medrosal bist du in deinem eigenen Körper gefangen. Es wird dich an all den Dingen, die wir mit dir anstellen werden, teilhaben lassen. Wir freuen uns schon lange darauf, dich endlich fertigzumachen.“
Bill schluckte schwer, dann röchelte er wieder und spie den Speichel von sich. „Ich hätte euch beizeiten …“ Seine Stimme versagte wieder.
Helen und Rhys kicherten. „Ist er nicht süß?“, fragte Helen ihre Gefährten.
„Hast du gehört, wie er uns genannt hat, Keys? Bastarde, nett!“, mischte sich Rhys wieder ein.
Keys legte seinem Freund eine Hand auf die Schulter. „Ach, Rhys, Bill hält dich übrigens immer noch für schwachsinnig!“
Rhys Lächeln gefror. „Können wir bitte endlich anfangen!“
Keys sah zu Helen.
„Ich will mich an ihm austoben.“ Sie fletschte die Zähne.
Rhys kicherte, zog Helen zu sich und küsste sie leidenschaftlich.
Bills Augen füllten sich mit Tränen. Er wollte schreien, doch die Lähmung ließ den Ausbruch nicht zu. „Ihr kranken Schweine!“ Seine Stimme wurde immer undeutlicher.
„Wird er leiden?“, fragte Helen hoffnungsvoll.
Keys zuckte mit den Schultern. „Ich hoffe, er vergeht in Schmerzen!“
Da zog Helen ein langes Messer unter einer der Decken hervor.
Bills Augen traten aus den Höhlen. „Verdammt sollst du sein, du Schlampe!“ Er brabbelte nur noch unverständliches Zeug und fiel nach vorne in den Dreck. Keys packte seinen Schopf und hob ihn hoch. Dreckreste klebten an Bills Lippen.
„Ihr werdet eure Deckchen dreckig machen!“ Er hustete und schnappte nach Luft.
„Das ist ein Opferplatz, Billy Boy. Dein Opferplatz!“ Keys Augen loderten.
Helen kicherte. „Wir machen dich ihr zum Geschenk, Bill.“ Sie kam seinem Gesicht jetzt sehr nah, küsste seine dreckigen Lippen und schmeckte die Angst. Dann trieb sie ihm die Klinge langsam durch den Kehlkopf. Bill zitterte am ganzen Körper. Der Knorpel machte hässliche Geräusche. Er wollte schreien, doch sein Mund war voll von Blut. Erst jetzt, als sie die Klinge drehte, kamen die unbeschreiblichen Schmerzen. Helen leckte über seine Lippen und sog das Blut in sich auf. Keys und Rhys gesellten sich zu ihr, genossen die gemeinsame Blutdusche, die ihre Gesichter und Körper besudelte. Bills tote Augen waren weit aufgerissen und verblassten, als die drei in wilder Gier übereinander herfielen, schrien und jaulten.
In der Dunkelheit, nicht weit vom Opferplatz entfernt, stand eine einsame Gestalt zwischen den Bäumen und lächelte teuflisch. Sie nahm die Ehrerbietung an und verneigte sich, denn der blutige Feldzug hatte in dieser Nacht seinen Anfang genommen …
Kapitel 2
In einem Motel Vier Tage nach der Rückkehr aus Awful
Jack öffnete die Augen und erwachte aus einem dieser Albträume, die ihn seit Awful jede Nacht heimsuchten. Seine Stirn glänzte vom Schweiß wie nach einem Marathonlauf. Jede Nacht suchten die fauligen Felder ihn heim und jagten ihn durch die Finsternis. Doch der Sieg hatte einen faden Beigeschmack und fühlte sich am Ende nicht wie ein solcher an. Solange er unter der Haut dieses Scheusals steckte, war der Kampf zwar gewonnen, jedoch nicht der Krieg. Er hatte Awful, die geheime Stadt, über die die fauligen Felder geherrscht hatten, mit all seinen Schrecken überlebt. Er hatte das Todesspiel überlebt und war wieder zurück und plötzlich geriet seine Welt abermals ins Wanken, denn sie hatte sich verdreht und das ganze Land gegen ihn aufgebracht. Was war hier los? Er verlor sich in Fragen und grübelte darüber nach, nicht ahnend, dass unweit dieses Rückzugorts die Staatsmacht bereits im Anmarsch war …
*