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Den jungen Elfen Sil ir zieht es hinaus aus seiner Heimat. Er tritt der Grenzwache bei, um einen Beitrag dazu zu leisten, das Land zu sichern und den Sippen ein friedliches Leben zu ermöglichen. Hat sich die Arbeit bei der Grenzwache in den letzten Jahrzehnten als ruhig und beschaulich erwiesen, so tritt Sil ir seinen Dienst in einer Zeit des Umbruches an. Die Goblins, mit denen die Elfen seit Jahrhunderten leichtes Spiel hatten, sammeln sich, schließen neue Bündnisse. Was haben sie vor? Sil ir wird gemeinsam mit einigen Gefährten losgeschickt, um nach Antworten und Verbündeten zu suchen. Das Abenteuer, das ihn erwartet, wird seine Weltsicht in Frage stellen.
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Seitenzahl: 218
Veröffentlichungsjahr: 2020
Prolog
Ein letztes Training
Aufbruch
Grenzwache
Training
Die erste Mission
Goblins
Südfeste
Feindesland
Flucht
Kriegsvorbereitungen
Der Norden
In die Berge
Zwerge
Zwergenfeste
Durch feindliche Linien
Der Hohe Rat
Bollwerk
Veränderte Pläne
Epilog
Handelnde Personen
Leise bewege ich mich durch das Dickicht des Waldes. Die Sonnenstrahlen schimmern hellgrün durch das Blätterdach und die vielfältigen Stimmen der Vögel und anderer Waldbewohner begleiten mich. Seit zwei Stunden bin ich nun auf der Pirsch, konnte jedoch bis jetzt noch keine vielversprechende Spur entdecken. Natürlich gibt es hier im Wald genug davon, jedoch bin ich nicht auf einen Hasen oder Fuchs aus. Ich suche bewusst nach der Fährte von Rehen oder Hirschen, denn ich möchte eine stattliche Beute mit nach Hause bringen. Für die Jagd nach Wildschweinen bin ich leider nicht richtig ausgerüstet. Davon habe ich natürlich jede Menge Spuren entdeckt. Wie sollte es auch anders sein?
Dabei fing der Tag sehr vielversprechend an. Ich feiere heute meinen einhundertsten Geburtstag. Das bedeutet, dass ich ab heute ein vollwertiges Mitglied meiner Sippe bin. Dies wird heute Abend mit einem großen Fest gefeiert. Zuvor muss ich jedoch für das Abendessen sorgen.
Nach der rituellen Waschzeremonie – tatsächlich kein großer Unterschied zur normalen Körperpflege, nur dass sie heute in der Öffentlichkeit stattfand – und dem anschließenden Frühstück mit der gesamten Sippe wurde mir von meinem Vater mein erster eigener Bogen aus Eibenholz überreicht. Der Kernstab ist aus Robinie gefertigt. Natürlich habe ich schon einen Bogen, jedoch habe ich mir diesen selbst gebaut und er ist aus dem Holz einer Hainbuche. Er ist mir auch nicht schlecht gelungen, aber er kann nicht mit dem Kunstwerk eines Meister-Bogenbauers konkurrieren. Der mir heute feierlich überreichte wurde eigens für mich hergestellt.
Größe, Zugkraft und Krümmung sind genau auf mich abgestimmt. Stolz habe ich den Bogen in Empfang genommen.
Kurz danach habe ich mich alleine aufgemacht, den Beweis meiner Jagdkünste zu erbringen. In meinem Hochmut war ich der Ansicht, dass Hasen oder andere kleine Tiere es nicht Wert sind, von diesem Bogen erlegt zu werden – das habe ich nun davon. Am Abend dann, wenn ich erfolgreich von der Jagd zurückkehre, wird das Fest beginnen. Ich bin jetzt einhundert Jahre alt und damit bei meinem Volk ein vollwertiges Mitglied der Sippe, mit allen Rechten und Pflichten. Dazu gehört selbstverständlich, sich an der Nahrungsbeschaffung zu beteiligen, was ich nun unter Beweis stellen muss – aber so wird das nichts.
Ich schlage einen anderen Weg ein und begebe mich zur nächsten mir bekannten Wasserstelle, um dort mein Glück zu versuchen. Als ich mich nähere, finde ich im Moos tatsächlich frische Spuren von einem Reh. Ein kleiner See, umgeben von bemoosten Felsen, schimmert im Licht der Sonne, die durch die Öffnung in den Baumwipfeln auf die glatte Oberfläche des Gewässers fällt. Die Bäume des Waldes wachsen bis an das Ufer des Sees heran und bieten den Tieren die Möglichkeit, im Schutz des Unterholzes zu trinken. Es ist ein idyllischer Platz und häufig sitze ich hier und genieße die Einsamkeit des Waldes.
Das Reh muss hier erst vor wenigen Augenblicken vorbeigekommen sein. Meine Einschätzung erweist sich als richtig, denn ein paar Schritte weiter sehe ich es. Ich stelle mich lautlos an den nächsten Baum. Ohne Hast lege ich einen Pfeil auf die Sehne und visiere das Ziel an.
Ganz ruhig atme ich ein und aus. Es ist ungewohnt, den neuen Bogen zu halten, jedoch sind Kraft und Gewicht sehr ausgewogen und er fühlt sich gut an.
Gerade will ich die Sehne loslassen, als ich eine Bewegung im Gebüsch neben dem Reh sehe.
Ich halte inne und warte mit meinem Schuss, bleibe aber in meiner Position. Langsam bewege ich nur meinen Kopf in die Richtung und schaue mir das Gebüsch näher an. Einen Augenblick später tritt ein Rehkitz aus diesem. Ich blinzle einmal, aber es ist keine Sinnestäuschung. Das irritiert mich, denn in dieser Jahreszeit sollte es keine Jungtiere geben.
Aber es ist nun einmal so und damit löst sich mein schöner Plan in Wohlgefallen auf. Ich nehme den Pfeil von der Sehne und stecke ihn in meinen Köcher zurück. Ich werde kein Muttertier erlegen. Mit einem leisen Fluch auf den Lippen ziehe ich mich in den Wald zurück.
Da es nun schon spät ist, werde ich wohl keinen Erfolg mehr haben und mit leeren Händen zurückkehren müssen. Beschämt mache ich mich auf den Rückweg zu meiner Sippe. Ich kann zwar mehrere Fährten von Hasen erkennen, habe aber zu lange gebraucht, das Reh zu finden, und nun fehlt mir die Zeit, ihnen nachzugehen. Leider habe ich auch nicht das Glück, dass mir welche direkt über den Weg laufen.
Die Dunkelheit bricht über den Wald herein, als ich zurückkehre. Durch die Bäume kann ich schon das große Feuer sehen, das meine Sippe auf einer Lichtung entfacht hat. Leider wird es von mir keinen Beitrag zu dem Festessen geben. Ich habe versagt und das nach langer und sehr guter Ausbildung. Mir graut es davor, meinen Ausbildern gegenüberzutreten.
Ich hatte nur eine einzige Aufgabe, das Abendessen für die Feier zu besorgen, und hatte dafür auch noch einen ganzen Tag Zeit – aber nein, ich komme mit leeren Händen zurück. Missmutig stapfe ich durch den Wald. Leise zu sein hat ohnehin keinen Zweck, denn ich werde heute keine Beute mehr finden.
Hätte ich mich nicht so sehr auf die Spur des Rehs konzentriert, hätte ich vielleicht auch andere Beute finden können, aber ich war von meinen Fähigkeiten so überzeugt, dass ich gar nicht auf die Idee gekommen bin, es könnte etwas schiefgehen.
Mit hängenden Schultern betrete ich die Lichtung. Shirókiel der Jagdmeister, mein Schwerttrainer Aranáreb und auch Geldarion und Teleria, meine Eltern, erwarten mich. Hinter ihnen steht die gesamte Sippe in Erwartung dessen, was nun kommt.
Shirókiel ist ein eher kleiner Elf mit langen, braunen Haaren, die er immer zu einem Pferdeschwanz gebunden trägt. Seine Lederkleidung ist mit grünen Stoffstreifen verziert, was es ihm möglich macht, mit dem Unterholz des Waldes zu verschmelzen. Das lange Jagdmesser trägt er auch heute an der linken Hüfte.
Aranáreb ist das genaue Gegenteil. Groß gewachsen und breitschultrig hält er sein ebenholzschwarzes Haar kurz bis gerade zur Schulter. Er trägt seine Lederrüstung, hat seine Waffen aber nicht dabei.
Mein Vater Geldarion und meine Mutter Teleria haben ihre Festgewänder angelegt und schauen mich freudestrahlend an.
Sie haben ihre Haare, beide haselnussbraun, ebenfalls zu langen Pferdeschwänzen gebunden.
Langsam trete ich vor. Seit Jahrzehnten bin ich der erste aus meinem Volk, der die Weihe der Volljährigkeit erhält und dann versage ich bei einer simplen Jagdaufgabe. Betreten schaue auf meine Füße. Leise beschreibe ich, warum ich mit leeren Händen zurückkomme. Dass ich zwar mit der Spurensuche Erfolg hatte, aber nicht schießen mochte, da ich das kleine Reh hilflos hätte zurücklassen müssen.
Ich entschuldige mich für mein Versagen und für meine Unfähigkeit, das Muttertier zu erlegen.
Lange Zeit spricht niemand, dann treten der Jagdmeister und der Schwerttrainer auf mich zu. Shirókiel legt mir seine Hand auf die Schulter. „Sil’ir, wir haben dir die Jagd beigebracht, das Spurenlesen, den Umgang mit Pfeil und Bogen und auch den Kampf mit Schwert und Speer. Wir haben versucht, dir die Unterschiede zwischen richtigem und falschem Handeln zu erklären. Das war nicht immer einfach und es gibt einiges, was wir dir nicht beibringen können. Einige Dinge musst du ganz alleine herausfinden. Dazu gehört auch, deinem Gewissen und deiner Intuition zu folgen. Du hast das Reh verschont, damit das Kitz eine Überlebenschance hat. Du bist nach deinem Gefühl gegangen. Deine Sippe hungert nicht, sie ist auf das zusätzliche Fleisch nicht angewiesen. Somit hast du die Prüfung, die wir dir auferlegt haben, mit Bravour bestanden. Denn du hast dich richtig verhalten. Im Gegenteil, hättest du den Pfeil verschossen, wären wir sehr enttäuscht gewesen. Herzlichen Glückwunsch und willkommen in der Welt der Erwachsenen, Sil’ir!“
Im ersten Moment bin ich sprachlos, dann schleicht sich ein breites Grinsen auf mein Gesicht. Mein Gewissen hat dafür gesorgt, dass ich richtig gehandelt habe. Die ganze Sippe bricht bei diesen Worten in Jubel aus. Meine Eltern treten näher und reichen mir die Hände. Auch sie haben ein warmes Lächeln im Gesicht und sie freuen sich sichtlich für mich.
So endet meine Ausbildung und das Leben als vollwertiges Mitglied der Sippe beginnt. Die anschließende Feier wird mit einem Festmahl eröffnet. Ich muss immer wieder von meiner Pirsch erzählen und wie ich auf das Kitz aufmerksam geworden bin. Auch werde ich natürlich gefragt, warum ich nicht auf kleinere, leichtere Beute gegangen bin.
Ich tue mich schwer damit, berichte jedoch offen von meinen Gedanken und Gefühlen.
Nach dem Essen beginnt der Tanz, den ich mit meiner Mutter eröffnen muss. Da ich kein sehr guter Tänzer bin, versuche ich mich nach dem Eröffnungstanz an meinen Tisch zurückzuziehen. Leider erfolglos, denn sobald ich mich dem Tisch nähere, kommen weitere Elfen auf mich zu, die mich nacheinander zum Tanz auffordern. Das geht bestimmt bis Mitternacht so und ich spüre meine Füße bald nicht mehr. Anschließend geben die Geschichtenerzähler und die Dichter ihre Darbietungen und die Nacht vergeht wie im Fluge.
Nach meinem Geburtstag habe ich noch einige Wochen Zeit, mich auf meine zukünftige Aufgabe vorzubereiten. Die nächsten Jahre werde ich an den Grenzen unseres Landes die Wachen und Patrouillen unterstützen. Ich sehe meiner neuen Aufgabe mit einer gewissen Vorfreude, aber auch mit großer Erwartung entgegen. Ich habe in den letzten Jahrzehnten viel gelernt, auch die Kampfkunst stand die letzten fünfzig Jahre lang auf dem Lehrplan. Trolle, Oger, Goblins und Kobolde habe ich bis heute noch nicht gesehen. Ich kenne sie nur aus den Erzählungen von Aranáreb und ich bin schon neugierig, wie es sein wird, diesen Kreaturen real zu begegnen. Aranáreb wird mich auch begleiten, wenn ich zu der Grenzwache aufbreche.
Ich kann es kaum erwarten und habe mein Bündel schon lange gepackt. Viel ist es nicht, denn außer meiner persönlichen Ausrüstung besitze ich nicht viel. Jedoch muss ich mich noch in Geduld üben, was mir zugegebenermaßen schwerfällt. Wir werden erst aufbrechen, wenn Aranáreb die Zeit für gekommen hält. Er gibt mir auch nach mehrfacher Nachfrage nicht den kleinsten Anhaltspunkt, zu welchem Zeitpunkt ich mit dem Aufbruch rechnen kann. Habe ich zuerst gedacht, vor meinem Aufbruch habe ich Zeit zur Muße, so habe ich mich geirrt, denn meine Ausbildung ist doch noch nicht zu Ende. Da ich mich für die Grenzwache entschieden habe, endet mein Training nicht einfach. Genau das Gegenteil passiert. Super, vielleicht sollte ich mich doch als Maler oder Kunsthandwerker in der Sippe verdingen. Das ist nicht so anstrengend. Dieser Gedanke kommt mir jedoch nur sehr, sehr kurz.
Nicht nur mein Kampftraining hat noch einmal an Intensität zugenommen. Zusätzlich kommt Shirókiel zu mir.
„Guten Morgen Sil’ir. Ich habe für dich heute eine besondere Aufgabe herausgesucht. Du sollst eine Spur finden.“ Seine Stimme klingt, als ob er mir nur ein Glas Wein anbietet.
„Kinderspiel. Welche Spur soll ich denn finden?“
„Was für eine Spur ich für dich vorbereitet habe, werde ich dir nicht verraten. Du solltest es selber wissen, wenn du die richtige gefunden hast.“ Er schaut mich mit unbewegtem Gesichtsausdruck an.
Das ist für mich neu. „Nicht mal einen Anhaltspunkt? Wenigstens ein Tipp, ob ich nach der Spur eines Tieres oder einer anderen Kreatur suche?“
„Nein, ich will dir ja nicht den Spaß verderben!“ Aus seiner Miene ist nicht der kleinste Hinweis herauszulesen. Als ich mich auf den Weg machen will, hält er mich noch zurück, teilt mir mit, dass ich jetzt schon tot wäre, und reicht mir ein Schwert. Endlich ändert sich sein Mienenspiel. Leider sehe ich nur eine gerunzelte Stirn, die leichtes Missfallen ausdrückt. „Du solltest dein Schwert mitnehmen. Denk daran, in welchen Dienst du dich stellen willst.“
Zuerst will ich ihn fragen, wozu ich es bräuchte, denn hier im Kernland wird mir keine Gefahr drohen. Ich verkneife mir die Frage aber lieber, denn tatsächlich weiß ich gar nicht, was für eine Fährte ich finden werde. Auch sagt mir seine Miene, dass er nicht darauf antworten wird.
„Tut mir leid, daran habe ich gar nicht gedacht. Noch bin ich ja nicht dort.“
Shirókiel schüttelt den Kopf. „Du sollst zwar nur eine Fährte finden und ihr folgen, aber denke bitte immer daran, du begibst dich in das Grenzland. Du darfst dich niemals von deinen Waffen trennen, denn der Feind könnte überall auftauchen. Am besten fängst du damit jetzt schon an, damit du dort nicht eine böse Überraschung erlebst.“
Er hat natürlich recht, betreten nehme ich die Waffe, schnalle sie mir um und breche auf. Wieder bin ich alleine unterwegs, denn ich soll die Aufgabe selbst bewältigen. Die Spur finde ich recht schnell. Sie ist deutlich sichtbar und bedeutet keine große Herausforderung für mich. Es ist die Spur eines Goblins. Natürlich weiß ich, dass Shirókiel die Spur in der Nacht gelegt hat, denn im Vocaru, unserem Kernland, gibt es keine Goblins.
Trotz allem versuche ich zu tun, als wäre ich schon im Grenzland und jederzeit könnte ein echtes Exemplar dieser Kreaturen hinter den Bäumen hervorspringen. Anfangs fällt mir diese Vorstellung sehr schwer, denn mein Verstand sagt mir, dass ich mich mitten im Kernland befinde. Nach einiger Zeit helfen mir die dunkelgrünen Schatten, welche die Sonne auf den Waldboden wirft, aber tatsächlich, mich ganz in die Vorstellung hineinzuversetzen, ich würde mich in einem unbekannten und gefährlichen Gebiet befinden. Die Lichtstrahlen, die zwischen dem schummerigen Grün des Unterholzes tanzen, gaukeln mir Gefahr und Bewegung vor.
Allerdings hat das Licht nach einiger Zeit eine beruhigende, beinahe schon einschläfernde Wirkung auf mich.
Nach einigen Stunden, denen ich der Spur gefolgt bin, springt tatsächlich eine Gestalt aus dem Gebüsch.
Meine Aufmerksamkeit hat im Lauf der Zeit nachgelassen und es gelingt mir gerade noch rechtzeitig, meinen Schreck zu überwinden, mein Schwert zu ziehen und es zur Verteidigung hoch zu reißen. Ein funkensprühendes Klirren hallt durch den Wald.
Es ist Aranáreb, der dort aus dem Gebüsch auf mich zustürzt und mit dem Schwert auf mich losgeht. Er hat sich mit dunkler Farbe das Gesicht angemalt, sodass er im Unterholz nicht zu sehen gewesen ist.
Erleichtert lasse ich mein Schwert sinken. „Oh Mann, die Überraschung ist dir gelu...“ Ich komme nicht dazu, mehr zu sagen, denn er greift mich sofort mit voller Wucht an.
Ganz knapp bekomme ich mein Schwert wieder hoch, finde so schnell und noch immer den Schreck in den Knochen keinen sicheren Stand, um seine Attacken vernünftig zu parieren, und muss einen unschönen Hopser zur Seite machen. Schon bei diesem ersten Schlagabtausch wird mir bewusst, dass unsere Schwerter, anders als in den Übungskämpfen, echt und sehr scharf sind. Entgeistert versuche ich etwas Abstand zwischen ihn und mich zu bringen.
„Was soll das? Willst du mich umbringen? Shirókiel hat uns versehentlich scharfe Waffen mitgegeben.“
Jedoch gibt mir Aranáreb immer noch keine Antwort und mir wird klar, dass es kein Versehen gewesen ist. Aranárebs Gesichtsausdruck ist starr und mir fällt auf, dass er mir nicht in die Augen schaut. Als Shirókiel mir das Schwert vorhin in die Hand gedrückt hat, habe ich es mir gar nicht genau angesehen. Ich komme mir sehr dumm und wie ein blutiger Anfänger vor.
Ich will Grenzwächter werden und weiß nicht einmal, was ich für ein Schwert dabei habe. Zum weiteren Protestieren bleibt mir keine Zeit. Ich habe alle Hände voll zu tun, am Leben zu bleiben. Ich weiß nicht, was in Aranáreb gefahren ist, und hoffe, dass es sich nur um eine weitere Prüfung handelt. Ich benötige meine gesamte Aufmerksamkeit, um die Attacken abzuwehren, und mehr als einmal kann ich nur knapp ausweichen.
Vor einem gemeinen Schnitt in der Schulter rettet mich nur meine Lederrüstung, die ich glücklicherweise anhabe. Auch wenn diese nun dort geflickt werden muss. Nachdem ich mich von meiner Überraschung einigermaßen erholt habe, finde ich meinen Rhythmus und kann die Schläge etwas genauer parieren. Was allerdings nicht bedeutet, dass ich dadurch keine Probleme mehr habe.
Als Aranáreb zu einem Stich ansetzt, drehe ich mich an seiner Klinge vorbei und steche mit meiner Klinge, die ich hinter dem Rücken führe, in Richtung seiner Leber.
Diesen Stich wehrt er mit einem Parierdolch ab und wir gehen auf Abstand. Lauernd umkreisen wir uns. Reden hat jetzt keinen Zweck, das ist mir inzwischen klar. Aus seinem Gesicht ist noch immer nicht die geringste Regung abzulesen und mein Mund ist trocken. Gerne würde ich einen Schluck Wasser trinken. Ich muss diesen Kampf gewinnen, denn ich bin nicht sicher, ob ich sonst mit heiler Haut davonkomme.
Ein weiteres Mal gehen wir aufeinander los. Die Klingen wirbeln um uns herum, sodass sie nur verschwommen zu sehen sind, und ich gerate bald außer Atem.
Aranáreb hat noch immer keinen Ton von sich gegeben und atmet nicht einmal schwer. Dass ich trotz der fünfzig Jahre Training bei ihm keine Chance gegen den Schwertmeister habe, ist mir von Anfang an klar gewesen. Ich muss mir etwas einfallen lassen, um aus dieser Situation heil herauszukommen.
Nach einer weiteren Angriffsserie sehe ich eine überhängende Wurzel am Boden zwischen den Bäumen und ein Plan nimmt in meinem Kopf Gestalt an. Auch wenn ich gegen den Schwertmeister keine wirkliche Chance habe, bin ich kein schlechter Kämpfer und Aranáreb weiß das, also ist es meine Aufgabe, seine Schläge abzuwehren und ihn dahin zu treiben, wo ich ihn haben will, ohne dass er Verdacht schöpft. Glücklicherweise habe ich eine gute Konstitution und so kann ich ihn, auch wenn ich nach Luft ringe, langsam in Richtung der Baumwurzel führen.
Um keinen Verdacht zu erregen, wechsele ich immer wieder die Richtung. Ich brauche sehr lange, um ihn in die richtige Richtung zu treiben. Beinahe zu lange.
Nach einer gefühlten Ewigkeit habe ich ihn da, wo ich ihn haben möchte. Es wird auch Zeit, denn mein Atem geht stoßweise und ich bin am Ende meiner Kräfte. Ich sammle die letzten Reste an Energie zusammen, die ich noch habe. Mit einem wilden Aufschrei schwinge ich mein Schwert in barbarischer Art von oben nach unten. Kein Schlag, den der Schwertmeister nicht mit Leichtigkeit abwehren könnte, aber um vernünftig kontern zu können, muss er einen Schritt nach hinten machen, was er auch macht.
Dabei bleibt er mit seinem linken Fuß an der Wurzel hängen und stürzt rücklings in das Unterholz.
Augenblicklich bin ich bei ihm und halte ihm meine Schwertspitze an die Kehle. Er hat keine Zeit, das Schwert dazwischen zu bringen und bleibt still liegen. Natürlich werde ich meinen Ausbilder und Freund nicht töten, aber ich will hier auch nicht sterben.
Er lässt das Schwert los, das er auch im Sturz noch festgehalten hat, hebt beide Arme und grinst mich an. „Das hat ja vielleicht lange gedauert.“ Keuchend versucht er aufzustehen.
Ich stecke mein Schwert ein und helfe ihm auf.
Als er meinen irritierten Gesichtsausdruck bemerkt, geht sein Grinsen in ein befreiendes Lachen über. „Herzlichen Glückwunsch! Du hast die letzte Prüfung bestanden. Jetzt bist du bereit, dich ins Grenzland zu begeben.“
Ich ringe noch nach Luft, bin aber auch so sprachlos.
Meinem Blick entnimmt er die offensichtliche Frage. „Ob ich dich wirklich getötet hätte? Nein, natürlich nicht. Zumindest nicht absichtlich, auch wenn du es mir nicht gerade einfach gemacht hast. Aber du hast einen guten Kampf geliefert und das ist in diesem Fall die Hauptsache. Du hast einen Weg gefunden, einen überlegenen Gegner zu bezwingen. Das war die Prüfung.
Deine Kameraden im Grenzland müssen sich zu jeder Zeit auf dich verlassen können. Wir beide haben soeben zum letzten Mal die Klingen gekreuzt. Die Ungeheuer im Grenzland sollten sich in Acht nehmen.“
Ich kann immer noch nicht glauben, was passiert ist. „Du hättest … mir schon irgendein Zeichen … geben können.
Ich hätte weiter … mein Bestes gegeben.“ Nur stoßweise kommen die Worte. Ich tue mein möglichstes, meine Lungen mit ausreichend Sauerstoff zu füllen. Allerdings bin ich doch etwas eingeschnappt. „Ich habe gedacht, du hast den Verstand verloren. Mach’ so etwas niemals wieder!“
Verärgert stecke ich mein Schwert in die Scheide zurück und wende mich schnaubend von ihm ab. Ich weiß, dass ich mich kindisch benehme, aber das brauche ich jetzt. So kann ich außerdem mein Zittern besser verbergen. Ebenso gibt es mir Zeit, wieder einigermaßen zu Atem zu kommen.
Unbeeindruckt von meinem Verhalten bestimmt Aranáreb unser weiteres Vorgehen. „Wir werden die Nacht auf der Lichtung dort hinten verbringen. Denn da wir beide vom Kampf erschöpft sind, werden wir heute nicht mehr zurückgehen. Und du hast etwas Zeit, dich wieder zu beruhigen!“
Er hat ja recht. „Ich bin nur erschrocken. Ich habe nicht damit gerechnet, dass wir uns mal einen solchen Kampf liefern müssen“, lenke ich ein. Ich kann schon wieder normal atmen. „Außerdem bin ich der Meinung, dass wir es genauso gut mit Trainingsschwertern hätten machen können. Ich werde mich mal um das Abendessen kümmern.“
„Du hast im Grenzland auch nicht die Chance, dich zu beschweren, dass du nicht mit einem Angriff gerechnet hast. Ebenso wenig darüber, dass deine Gegner echte Waffen nutzen. Die wollen dich nicht nur prüfen, sondern töten.“
Immer noch etwas eingeschnappt wende ich mich ab, nehme meinen Bogen und gehe in das Unterholz, um nach einer vielversprechenden Spur für unser Abendessen zu suchen. Vielleicht finde ich auch ein paar Beeren oder Zwiebeln, die das Essen etwas verfeinern.
Aranáreb baut einen Unterstand, ich jage uns derweil zwei kleine Kaninchen. Die Jagd nutze ich dazu, mich abzureagieren. Mit Shirókiel habe ich häufig solche Nächte in der Wildnis verbracht und ich freue mich schon ein wenig auf eine ruhige Nacht im Wald. Jedoch bin ich nun etwas misstrauisch, ob Aranáreb nicht noch eine weitere Hinterhältigkeit auf Lager hat. Als ich nach zwei Stunden mit meiner Beute und ein paar wilden Zwiebeln unseren Lagerplatz erreiche, hat er schon das Feuer angefacht und einen Kessel mit Wasser darüber gehängt. Es duftet aromatisch nach Holunderblütentee. Ich behalte das Schwert bei mir, als ich mich setze.
Der Schwertmeister ist nicht gesprächiger als unser Jagdmeister und der Abend und unsere Nacht vergehen in entspannter Stille. Keiner von uns hat das Bedürfnis, sich zu unterhalten, und es ist auch gar nicht nötig. Nur das Knistern des Feuers und die Geräusche des nächtlichen Waldes sind zu hören.
Ich erlaube mir, ein wenig zu träumen. Wenn ich in der Grenzwache eingesetzt bin und mich auf einem Patrouillengang befinde, werde ich wohl viele solche Nächte erleben. Als ein panischer Schrei eines Waldbewohners und dessen abruptes Ende mich aufschreckt, rufe ich mich in Gedanken zur Ordnung. Mir wurde gerade heute bewiesen, dass es bei uns im Grenzgebiet nicht so friedlich zugeht, wie in den Nächten, die wir hier so häufig im Vocaru verbracht haben.
Ich muss Tag und Nacht aufmerksam sein, wenn ich die zehn Jahre Grenzdienst überleben will.
Am Morgen gehen wir zur Sippe zurück. Dichte Wolken bedecken den Himmel und die Sonne hat keine Chance, mit ihren wärmenden Strahlen zu uns durchzudringen. Dieses Mal muss ich nicht aufpassen, sondern kann die Wanderung als entspannten Spaziergang betrachten.
Amüsiert schaut mich mein Lehrer an. „Mach dir keine Sorgen. Ich werde dich nicht wieder angreifen.“ Aranáreb versichert mir, dass keine bösen Überraschungen mehr auf mich warten.
„Diesmal kannst du dich zumindest nicht an mich heranschleichen“, erwidere ich mit einem Grinsen.
Die Zeit der Ausbildung ist für mich nun endgültig zu Ende – zumindest denke ich das. Ein neuer Abschnitt in meinem Leben beginnt. Die ersten einhundert Jahre meines Lebens habe ich die wilden Wälder um das Vocaru nicht verlassen. Die Zeit war geprägt von Ausbildung und dem Erlernen der Grundkenntnisse, um in unserer Heimat überleben zu können. Ich will mich nicht selber loben, aber es fiel mir von Anfang an leicht, mich in der Wildnis zu behaupten. Unsere Heimat ist zwar wunderschön, aber dennoch wild und gefährlich, auch wenn es hier dank der Grenzwächter keine Goblins gibt. Ich denke, ich bin inzwischen genauso gut wie unser Jagdmeister. Der gestrige Kampf hat gezeigt, dass ich auch den Waffenmeister bezwingen kann.
Unsere Alten haben erzählt, dass wir erst nach dem Großen Krieg, der auch als Krieg der Rassen bezeichnet wird, hier ansässig geworden sind. Ich nehme mir fest vor, nach meinen zehn Jahren Grenzdienst in unsere alte Heimat zu reisen.
Wir haben seit unserer Ankunft hier vor all diesen Jahren die Wälder kaum verlassen.
Ich bin neugierig, was es jenseits der Grenzen gibt. Unsere frühere Heimat – ebenfalls ein Wald, weit westlich von unserem jetzigen Kernland – war um einiges friedlicher und wir haben angeblich sogar mit den Menschen zusammengelebt und mit Zwergen Handel getrieben. Die Künste des Malens, des Singens und des Dichtens hatten zu dieser Zeit ihren Höhepunkt.
Dann kam der Krieg und mein Volk wanderte danach aus, in unsere jetzige Heimat. Den Kontakt zu den Menschen und den Zwergen haben wir abgebrochen. Seitdem hat es keine Begegnungen mehr zwischen unseren Völkern gegeben.
Warum wir unsere alte Heimat verlassen haben, kann keiner mehr so genau sagen. Irgendetwas soll den Wald vergiftet haben. Keiner kann jedoch genaueres erzählen und es bleibt ein ungelöstes Rätsel aus der Vergangenheit. Das Wissen um unseren Auszug ist in den Jahrhunderten verloren gegangen und nur die Mitglieder des Hohen Rates haben Kenntnisse aus der Vergangenheit.
In die Grenzlande zu den Wächtern zu gehen, ist eine Ehre für mich. Trotzdem möchte ich diese Zeit auch als Vorbereitung für meine Reise in die unbekannte Welt nutzen. Die meisten aus meinem Volk verlassen das Vocaru niemals und sind durch die Sicherheit träge geworden. Durch mein Geschick mit der Waffe und mein scharfes Auge, habe ich mich sehr schnell für die Aufgabe des Grenzwächters qualifiziert.
Eine Begabung, wenn es darum geht, Kunstwerke herzustellen, wie die meisten aus meiner Sippe, habe ich nicht. Das Töpfern, Malen oder auch das Musizieren liegen mir gar nicht und ich könnte keinen wirklichen Beitrag zur Gemeinschaft damit leisten.
Die paar Lieder, die ich mit meiner Hirschknochenflöte zustande bringe, können sich nicht mit denen unserer Sänger messen. Lediglich das Bogenbauen beherrsche ich hinlänglich.
Mit unserem Meisterhandwerker, meinem Vater, kann ich es natürlich nicht aufnehmen. Er schafft es, den jeweiligen Bogen für den zukünftigen Besitzer perfekt anzupassen. Er sieht mit einem Blick, welcher Baum ihm das beste Material bietet und wie er es am besten verarbeitet.
Am frühen Vormittag erreichen wir die Lichtung. Ich begebe mich zu meinen Eltern und bereite mich für die morgige Abreise vor.