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Die Hauptkämpfe zwischen Nord und Süd konzentrieren sich jetzt auf die Stadt Petersburg in Virginia. Die Unionsarmee belagert die Stadt schon seit Monaten, und General Lee leistet mit seinen ihm noch verbleibenden Truppen erheblichen Widerstand. Larry Calhoun ist seitdem wieder bei General Grant, während sein Bruder Will auf dem Weg nach Washington ist, um Allan Pinkerton Bericht über seine erfolglose Mission zu erstatten. Auch Sergeant Sean McCafferty ist immer noch auf der Suche nach dem Mörder von Neil Vance. Der Wunsch nach Rache lässt ihn jedes Risiko eingehen. In Petersburg selbst spitzt sich die Lage dramatisch zu. Auch wenn die Kanonen auf den Befestigungsanlagen den Feind noch zurückhalten, so ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis Lee aufgeben muss – vor allem, als er durch einen Kurier von der Eroberung Savannahs erfährt. Lieutenant Jay Durango ist dieser Kurier – und auch er ist auf der Suche nach Sergeant McCafferty. Dieser hat nur eine Chance, einer Verurteilung wegen Desertion zu entgehen. Aber dazu muss ihn Durango erst finden. In den Kämpfen um Petersburg schließt sich dieser Kreis.
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Seitenzahl: 283
Veröffentlichungsjahr: 2025
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In dieser Reihe bisher erschienen
Civil War Chronicles
Buch Zehn
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Copyright © 2025 Blitz Verlag, eine Marke der Silberscore Beteiligungs GmbH, Andreas-Hofer-Straße 44 • 6020 Innsbruck - Österreich
Redaktion: Alfred Wallon, Danny Winter
Titelbild: Mario Heyer unter Verwendung der KI Software Midjourney
Umschlaggestaltung: Mario Heyer
Satz: Gero Reimer
Alle Rechte vorbehalten
ISBN: 978-3-68984-628-2
4810 vom 04.10.2025
Vorwort
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Historische Anmerkungen zum vorliegenden Roman
Alfred Wallon
Gegen Ende des Jahres 1864 war der Untergang der Konföderierten Staaten und dessen Armee längst dem Untergang geweiht. Eine wichtige Rolle dabei spielte der Atlanta-Feldzug von General William T. Sherman, der nach der Eroberung dieser Stadt seinen Marsch durch Georgia fortsetzte und dabei alles zerstörte und niederbrannte, was seine Armee vorfand. Der Vorstoß gegen die strategisch wichtige Hafenstadt Savannah bildete den letzten Akt eines grausamen Schauspiels, das dem Süden endgültig zeigte, dass dieser Krieg nicht gewonnen werden konnte, da der Norden immer noch über eine weitaus größere Truppenstärke verfügte und der Süden erkennen musste, dass es nur noch eine Frage von wenigen Monaten war, bis sich das traurige Schicksal erfüllen und die Konföderation zerstört sein würde.
Aber selbst mit diesem Wissen kämpften die konföderierten Truppen weiter, auch wenn sich der Ring immer stärker um sie herum zuzog. General Ulyssses S. Grant stieß mit einer großen Armee immer weiter in Richtung Petersburg und Richmond vor, und die Gefahr wurde immer deutlicher, dass die Hauptstadt der konföderierten Staaten in die Hände der Union fallen würde.
Eine wichtige Lebensader für die Existenz von Richmond – wenn nicht sogar die wichtigste – war die Stadt Petersburg südöstlich von Richmond. Hier kreuzten sich mehrere Bahnlinien, somit war Petersburg ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt, um Richmond regelmäßig mit Waren und Lebensmitteln aller Art zu versorgen. Grant wusste, dass auch Richmond fallen würde, wenn es ihm und seinen Truppen gelang, Petersburg in die Zange zu nehmen und dann der Stadt einen solch entscheidenden Schlag zu versetzen, dass die Konföderation dadurch ihrer wichtigsten Lebensader beraubt werden würde – und dann war das Ende absehbar.
General Robert E. Lee ahnte, was Grant vorhatte. Deshalb schrieb er einen Brief an einen seiner Generäle mit folgendem Wortlaut: „Wir müssen Grants Armeen vernichten, bevor diese den James River erreichen. Wenn es ihm gelingt, bis dahin vorzustoßen, dann wird er Petersburg belagern, und was dies bedeutet, weiß jeder von uns. Dann ist alles andere nur noch eine Frage der Zeit.“
Lee wusste zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht, dass Grant bereits gefährlich nahe mit seiner Armee in Richtung James River marschiert war und bereits geplant hatte, die Stadt von mehreren Seiten anzugreifen.
Warum ausgerechnet Petersburg? Die Fakten sprechen eine eindeutige Sprache. Petersburg hatte im Sommer des Jahres 1864 um die 18.000 Einwohner. In der Stadt hatten sich zahlreiche Industrien angesiedelt, die ihre Erzeugnisse mithilfe der fünf Eisenbahnen sehr rasch abtransportieren konnten. Einige dieser Eisenbahnlinien wurden wenig später von Grants Armee zerstört, so dass Petersburg vom Schienennetz praktisch isoliert war. Petersburg war die letzte bedeutende strategische Stadt nach dem Fall von Atlanta und Savannah, und wenn Petersburg in die Hände der Union fallen würde, dann bedeutete dies das Ende der Konföderation.
„Die Kanonen von Petersburg“ schildert die entscheidenden Tage zwischen Sieg und Niederlage. Dieser Roman ist der erste neue Roman in der CIVIL WAR CHRONICLES-Serie. Nach so vielen Jahren ist es ein besonderes Feeling für mich, die Serie auf einen weiteren Höhepunkt zuzusteuern und mit Band 12 zu beenden. Ein Kreis wird sich dann schließen – freuen Sie sich darauf!
Augsburg, im Oktober 2025
Alfred Wallon
Kapitel 1
Auf dem Friedhof außerhalb von Savannah
Am Morgen gegen 9:15 Uhr
Der Himmel war grau und wolkenverhangen. Wind kam auf, der die ersten Regentropfen mit sich brachte. Bis jetzt zwar nur vereinzelt, aber schon bald würde starker Regen einsetzen und die Bewohner der Stadt dazu bringen, ihre Häuser aufzusuchen und dort das Ende des Regens abzuwarten.
Draußen vor der Stadt fielen jedoch weitere Kanonenschüsse und hielten den Bewohnern ihre ausweglose Lage sehr deutlich vor Augen. Es hielten sich nur noch wenige Menschen in der Stadt auf. Menschen, die sich an ihren Besitz klammerten und irgendwie darauf hofften, von den Unionstruppen nach deren Einmarsch in der Stadt verschont zu werden. Aber ob dem wirklich so war, wusste niemand. Grants Armee hatte bisher eine gnadenlose Politik der Zerstörung durchgesetzt und nur verbrannte Erde hinter sich gelassen, seit er mit seinem Soldaten den Marsch durch Georgia begonnen hatte und der nun jeden Tag in Savannah ein siegreiches Ende finden würde.
Lieutenant Jay Durango wusste das alles, und ihm war auch klar, dass er sich beeilen musste, diesen Ort zu verlassen. Aber er konnte es nicht, ohne sich vorher von Neil Vance zu verabschieden, der auf dem Friedhof seine letzte Ruhe gefunden hatte.
Nieselregen setzte ein, und Durango zog sich den breitkrempigen Hut tiefer in die Stirn, während er die Hände zum Gebet gefaltet hatte und auf den Erdhügel blickte, unter dem Neil Vance ruhte. Ein weiterer seiner Kameraden war gestorben, und schuld daran war erneut dieser verdammte Larry Calhoun, dem es völlig unerwartet gelungen war, kurz vor seiner Hinrichtung aus der Lagerhalle zu entkommen, in der man ihn nicht nur eingesperrt, sondern auch rund um die Uhr bewacht hatte.
Weder Durango, noch seine Kameraden Neil Vance und Sean McCafferty hatten damit gerechnet. McCafferty und Vance hatten versucht, die Flucht des Yankee-Spions zu verhindern, und dabei war Vance erschossen worden. McCafferty selbst hatte jeden Befehl seines Lieutenants ignoriert und sich auf die Fährte der Flüchtenden gesetzt. Durango war es nicht gelungen, ihn daran zu hindern. Was das bedeutete, war McCafferty offensichtlich nicht klar gewesen, denn er hatte gegen jeglichen militärischen Gehorsam verstoßen. In der jetzigen Lage bedeutete dies nichts Anderes, als dass McCafferty ohne Erlaubnis seine Einheit verlassen hatte und somit desertiert war. Das bedeutete den Tod durch ein Erschießungskommando, wenn man ihn zu fassen bekam!
An all das musste der Lieutenant jetzt denken, als er vor dem schlichten Grab stand, während in der Ferne erneut das Echo mehrerer Kanonenschüsse zu hören war. Durango hatte den Eindruck, als wenn dieses Donnern jetzt nähergekommen war, und das war ein untrügliches Zeichen dafür, dass sich die Lage in und um Savannah weiter zuzuspitzen begann. Er wusste, dass er nicht mehr länger hierbleiben konnte, obwohl er es gerne noch gewollt hätte.
„Ich werde diesen Sturkopf finden und zur Vernunft bringen, Neil“, murmelte er und schaute dabei nach oben in dem Himmel. Als wenn er darauf hoffte, dass dieser Schwur gehört wurde. Dann wandte er sich ab und ging zurück zu seinem Pferd, das er draußen an der Friedhofsmauer zurückgelassen hatte.
Gerade als er die Zügel lösen und in den Sattel steigen wollte, hörte er Schritte in unmittelbarer Nähe. Hastig drehte er sich um und griff gleichzeitig mit der rechten Hand nach dem Revolver. Dann entspannte er sich wieder, als er erkannte, dass es Matthew Morgan und sein Sohn Jacob waren.
„Man hat uns gesagt, dass Sie hier sind“, sagte Morgan, der seinen Sohn Daniel in den Wirren des Krieges verloren hatte – an dem Tag, als ein Trupp Unionssoldaten auf seine Farm gekommen war und alles geplündert hatte, was irgendwie von Wert gewesen war. Morgans ältester Sohn Daniel hatte versucht, das zu verhindern und war dabei erschossen worden. Sein Vater und sein Bruder Jacob hatten tatenlos zusehen müssen. Bei diesem Trupp war auch ein Zivilist gewesen: Larry Calhoun. Und seitdem wollte auch Morgan Gerechtigkeit, wie sie die Bibel verlangte: Auge um Auge, Zahn um Zahn!
„Was haben Sie vor, Lieutenant?“, fragte nun Jacob Morgan mit besorgter Stimme.
„Ich muss meinen Sergeant davon abhalten, vors Militärgericht zu kommen, Junge“, antwortete Durango. „Und das wird zweifellos passieren, wenn ich ihn nicht bald finde.“
„Sergeant McCafferty ist ein tapferer Soldat, Lieutenant“, meinte Morgan. „Ich verstehe sehr gut, was ihn antreibt. Mein Sohn und ich würden gerne mit Ihnen kommen, wenn Sie …“
„Auf gar keinen Fall!“, schnitt ihm Durango das Wort ab. „Das ist viel zu gefährlich. Sie haben bereits einen Sohn verloren, Morgan. Seien Sie froh darüber, dass Sie und Jacob noch am Leben sind, und riskieren Sie nicht, dass Sie beide in den Tod reiten. Sie sollten Savannah verlassen – lieber heute als morgen. Oder haben Sie die Kanonen und die Schüsse nicht gehört?“
„Natürlich haben wir das“, erwiderte Matthew Morgan mit gepresster Stimme. „Trotzdem ändert es nichts daran, dass dieser Yankee seine verdiente Strafe erhalten muss. Wenigstens sorgen entschlossene Männer wie Ihr Sergeant dafür, dass die Hoffnung nicht ganz verloren ist.“
„Entschlossenheit kann manchmal in eine Sackgasse führen, Mr. Morgan“, erwiderte Durango. „Gehen Sie weg mit Ihrem Sohn. Bringen Sie sich in Sicherheit. Jetzt – nicht erst in ein paar Stunden.“
„Was werden Sie tun, wenn Sie Ihren Sergeant gefunden haben, Lieutenant?“, fragte Jacob.
„Das kann ich dir noch nicht sagen“, erwiderte Durango mit einem kurzen Schulterzucken. „Ich habe auch noch eine Mission zu erfüllen, und die ist mindestens genauso wichtig wie die Suche nach McCafferty.“ Er bemerkte die fragenden Blicke der beiden und fuhr dann rasch fort. „General Lee muss wissen, was hier geschieht. Und er sollte ernsthaft darüber nachdenken, nicht noch mehr Leben zu opfern, wenn es keine Chance mehr gibt.“
„Sie haben schon aufgegeben, oder?“, fragte Morgan, und in seiner Stimme klang ein kritischer Unterton mit an.
„Ich bin Realist und kein Narr, Mr. Morgan“, lautete Durangos Antwort, während er aufsaß. „Gott schütze Sie und Ihren Sohn. Vielleicht werden wir uns eines Tages wiedersehen.“
Morgan erwiderte nichts darauf. Schweigend sahen sie zu, wie Durango sein Pferd wendete und dann in den Nieselregen hineinritt. Am Horizont war erneut grollender Donner zu hören. Aber das war nicht das Echo von abgefeuerten Kanonen, sondern die ersten Vorboten eines aufziehenden Gewitters, das genau auf Savannah zusteuerte. Vielleicht war dies auch ein Zeichen des bevorstehenden Untergangs der Stadt. Aber das konnten weder Durango noch der Farmer und sein Sohn sagen.
* * *
Fünfzehn Meilen nordwestlich von Savannah
Am späten Vormittag gegen 11:15 Uhr
Will Calhoun bemerkte, dass sich Conrad Mullins noch immer im Sattel umdrehte und zurück in die Richtung blickte, aus der sie gekommen waren. Aber seine größte Sorge galt seinem Bruder Larry, der immer noch ziemlich mitgenommen aussah und des Öfteren immer wieder im Sattel wankte. Immer in dem Moment, wenn ihm die Augen vor lauter Erschöpfung zufielen und er dann fast vom Rücken des Pferdes gefallen wäre. Deshalb musste Will darauf achten, dass Larry nicht stürzte und sich dabei womöglich noch verletzte, denn eine weitere Verzögerung konnten sie sich nicht mehr erlauben.
„Was ist, Conrad?“, rief ihm Will zu. „Siehst du etwas?“
„Nein“, erwiderte Mullins. „Aber ich traue dem Frieden nicht. Ich fühle mich erst wieder sicher, wenn wir den Süden hinter uns gelassen haben.“
„McCafferty wird so schnell nicht aufgeben“, ergriff nun Larry Calhoun mit krächzender Stimme das Wort. Ein kurzer Blick in sein Gesicht sagte mehr als viele unnötige Worte. Die Schläge und die Folter hatten ihn immer noch gezeichnet, und es würden einige Tage vergehen, bis die Schwellungen und Abschürfungen abgeklungen waren. Wer ihn allerdings jetzt sah, der würde unter Umständen einige unbequeme Fragen stellen, und das konnten Larry, Will und Mullins ganz und gar nicht gebrauchen. Deshalb hatten sie ihre Flucht abseits der bekannten Straßen und Schienenwege fortgesetzt und versuchten, irgendwie noch Norden zu kommen und zu General Grants Truppen zu stoßen.
„Soll er nur kommen!“, erwiderte Mullins mit wütender Stimme. „Er hat Yates auf dem Gewissen. Allein dafür hat er den Tod verdient. Und ich glaube, das wäre dir auch recht, Larry!“
Larry kannte Mullins noch nicht lange, aber er konnte ihm ansehen, wie aufgewühlt dieser war.
„Er wird nicht aufgeben“, meinte Larry. „Entweder wir schaffen es, unsere Spuren zu verwischen und endgültig unterzutauchen, oder wir müssen uns diesem Kampf stellen. Dieser verdammte Hundesohn hätte mich fast zerbrochen!“
Die letzten Worte klangen gehässig und spiegelten das wider, was Larry alles hatte durchstehen müssen. Als man ihn gefangen nahm, hatte Larry geschworen, nichts über seine Mission zu verraten und eisern zu schweigen, aber McCafferty hatte es geschafft, ihm alles zu entlocken, was er wissen wollte. Der Sergeant hatte ihn zusammengeschlagen und gequält, und er hatte das mit sichtlicher Genugtuung getan, weil er Larry für schuldig am Tod seiner anderen Kameraden hielt.
„Denk nicht daran, Larry“, versuchte Will seinen aufgebrachten Bruder zu beruhigen. „Wir reiten einfach weiter. Es müsste schon ein Wunder geschehen, wenn er uns überhaupt noch auf den Fersen ist. Bestimmt hat er schon längst aufgegeben, und wir wissen es nur noch nicht.“
„Ich glaube, das Wunder geschieht gerade“, meinte Mullins, nachdem er sein Fernrohr aus der Satteltasche gezogen und es an die Augen gesetzt hatte, während Larry seine Wut in Worte zu fassen versuchte. „Ich sehe einen Reiter. Und er trägt eine graue Uniform.“
„Gib her!“, verlangte Larry und streckte verlangend und ungeduldig zugleich seine rechte Hand aus, die immer noch leicht zitterte. Mullins nickte nur und gab Larry das Fernrohr. Dieser spähte hindurch und stieß dann einen Fluch aus, der einem Priester die Schamröte ins Gesicht getrieben hätte. „McCafferty!“, fuhr er mit gepresster Stimme fort. „Er ist es tatsächlich!“
„Ich wusste es die ganze Zeit“, sagte Mullins. „Und was machen wir jetzt?“
„Wir schicken ihn zur Hölle. Was denn sonst?“, antwortete Larry mit grimmigem Blick. „Los, bringt die Pferde ins Gebüsch. Und dann warten wir, bis er so nahe ist, dass wir ihn auch treffen. Beeilt euch!“
Will und Mullins taten, was Larry ihnen gesagt hatte. Sie versteckten sich in den Büschen, hielten ihre Waffen bereit und warteten darauf, dass der verhasste Gegner sich ihnen näherte, ohne zu wissen, dass er sich damit in Todesgefahr begab.
* * *
Sergeant Sean McCafferty spürte die wachsende Ungeduld, die sein Denken und Handeln schon seit einigen Stunden bestimmte. Es waren zwar erst fünf oder sechs Stunden vergangen, seit er die Spur des Yankee-Spions aufgenommen und seinem Lieutenant den Gehorsam verweigert hatte. Aber die Gedanken in McCaffertys Kopf wurden ausschließlich von dem Wunsch nach Rache und Vergeltung gesteuert.
Er hatte versucht, den Spuren zu folgen, die die drei Pferde hinterlassen hatten, aber es wurde zunehmend schwieriger. Am Himmel hatten sich mittlerweile dichte Wolken zusammengeballt, und der Wind war stärker geworden. Er trieb diese Wolken genau in die Richtung, die McCafferty eingeschlagen hatte, und das bedeutete, dass ein heftiger Regenguss die Spurensuche unmöglich machen würde.
Allein die Vorstellung, dass es ihm nicht gelingen würde, Larry Calhoun einzuholen und ihn für den Tod seiner Kameraden zur Verantwortung zu ziehen, ließ ihn immer nervöser und verbitterter werden. Porter, Fisher, Higgins und Vance waren gute Kameraden gewesen, mit denen er Seite an Seite seit Beginn des Bürgerkrieges gekämpft hatte. Es waren gute Männer gewesen, viel mehr als nur Kameraden. Im Lauf der dramatischen Ereignisse, die sie erlebt hatten, war daraus eine Freundschaft geworden. Und genau diese Freundschaft hatte ihm der verfluchte Spion Larry Calhoun nach und nach genommen.
McCafferty hatte Lieutenant Durango nicht verstehen können, warum er diesen Wunsch nach Rache mit ihm nicht teilte. Stattdessen hatte er sich mit ihm sogar einmal geprügelt, um McCafferty zur Vernunft zu bringen. So hatte er das jedenfalls formuliert, und allein das hatte für den irischen Sergeant schon ausgereicht, um zu begreifen, dass Durango einen anderen Weg gehen wollte als er. Seit diesem Moment hatte sich eine unsichtbare Mauer zwischen ihnen aufgebaut, die unüberwindbar schien.
Diese Gedanken beschäftigten McCafferty mehr, als er sich selbst jemals eingestanden hätte. Weil Durango einmal ein guter Freund gewesen war, der sich nun von ihm abgewendet hatte. Sollte er ihm jemals wieder begegnen, dann würde es kein angenehmes Zusammentreffen sein, denn in den Augen des Lieutenants war McCafferty ein Deserteur, der unerlaubt seine Truppe verlassen hatte, um persönliche Rache an einem Mann zu üben, der höchstwahrscheinlich schon über alle Berge war und dessen Fährte er ohnehin nicht mehr finden würde.
Trotzdem hatte McCafferty nicht aufgegeben und war weiterhin in Richtung Nordwesten geritten. Unterwegs hatte er Glück gehabt und einen fahrenden Händler getroffen, der ihm gesagt hatte, dass er in der Ferne drei Reiter gesehen hatte. Keine Soldaten, sondern Zivilisten. Ein vager Hinweis, aber es war der einzige, den McCafferty überhaupt bekommen hatte und aus dem er schließen konnte, dass die grobe Richtung, die er eingeschlagen hatte, immer noch die richtige war.
Es war jetzt immer trüber geworden, und jetzt fielen auch schon die ersten vereinzelten Regentropfen. McCafferty seufzte, als ihm bewusst wurde, dass dieser Wetterumschwung die Suche noch mehr beinträchtigen würde, als es ohnehin schon der Fall war. Wenige Augenblicke später öffnete der trübe Himmel seine Schleusen, und es begann zu regnen. McCafferty murmelte einen leisen Fluch, ritt aber weiter, weil er fest entschlossen war, sich selbst durch einen plötzlichen Regenguss von seiner ursprünglichen Planung nicht abbringen zu lassen.
In diesem Augenblick fiel plötzlich ein Schuss. McCafferty spürte einen heftigen Schlag an seinem Kopf, während sich alles um ihn herum zu drehen begann. Er spürte nur noch, wie er das Gleichgewicht verlor und seine Sinne zu schwinden begann, während der Schmerz in seinem Kopf immer stärker wurde. Aber dann erlosch auch diese Empfindung. Als er seitwärts aus dem Sattel fiel und hart auf dem Boden aufschlug, spürte er das schon nicht mehr.
* * *
„Ich habe ihn erwischt!“, rief Conrad Mullins voller Triumph und schaute zu den Calhoun-Brüdern. „Jetzt haben wir endlich Ruhe vor diesem verdammten Hundesohn. Lasst uns weiterreiten, bevor …“
„Nein!“, fiel ihm Larry Calhoun ins Wort. „Der Bursche ist zäh, Mullins. Wir müssen uns davon unbedingt überzeugen, dass er auch wirklich tot ist.“
„Larry hat Recht“, pflichtete ihm nun auch sein Bruder Will bei. „Wir sollten auf Nummer Sicher gehen. Auch wenn ich sicher bin, dass ich ihn ebenfalls erwischt habe. Aber selbst mit zwei Kugeln haben wir noch keine Gewissheit. Wenn der Kerl immer noch nicht tot ist, dann sollte ein Schuss aus nächster Nähe dieses Problem ein für alle Mal bereinigt haben.“
Mullins zuckte nur mit den Schultern. Für ihn war die Sache eigentlich erledigt. Selbst wenn McCafferty noch nicht tot, sondern nur schwer verletzt war, dann würde er dennoch keine Kraft mehr haben, um die Verfolgung fortzusetzen. Und ohne fremde Hilfe war er ohnehin schon am Ende!
Die Männer banden die Zügel ihrer Pferde los, stiegen in die Sättel und verließen das Gebüsch. Das Pferd, auf dem McCafferty gesessen hatte, befand sich nicht weit entfernt von der Stelle, wo der Sergeant reglos am Boden lag. Es scharrte nervös mit dem rechten Vorderhuf im immer feuchter werdenden Boden, als die drei Reiter näherkamen. Dann aber ergriff das Tier einfach die Flucht und verschwand nur wenige Augenblicke später im Nieselregen.
Larry Calhoun zügelte als erster sein Pferd und wollte gerade absteigen, um sich ganz genau davon überzeugen, dass McCafferty wirklich tot war. Sein Kopf war an der linken Seite blutig, und die zweite Kugel hatte ihn in die rechte Schulter getroffen.
Aber selbst das konnte Larry Calhoun immer noch nicht überzeugen. Deshalb zog er seinen Revolver aus dem Holster und blickte voller Genugtuung auf den Sergeant, der sich nicht mehr rührte und anscheinend auch nicht mehr atmete. Larry wollte aber Gewissheit haben, und deshalb zielte er erneut auf ihn. Seine Miene war ein Spiegel seiner Gedanken, als er abdrücken wollte.
Allerdings kam es nicht mehr dazu, denn genau in diesem Moment erklang plötzlich eine laute Stimme, der ein Warnschuss folgte. Verwirrt drehte sich Larry im Sattel um und erkannte in den stärker werdenden Regenschleiern die Konturen von mehreren Reitern, hinter denen zwei Wagen folgten.
Conrad Mullins gingen in diesen entscheidenden Sekunden die Nerven durch. Er zielte auf einen der Reiter, drückte ab und sah, wie der Mann aufschrie, im Sattel seines Pferdes zu wanken begann, sich zur Seite neigte und dann zu Boden stürzte.
Mullins kam jedoch nicht mehr dazu, sich über seinen Schuss zu freuen, denn in diesem Moment eröffneten auch die näherkommenden Reiter das Feuer, und Mullins hatte das Nachsehen. Eine Kugel traf ihn in den Kopf und tötete ihn von einer Sekunde zur anderen. Das Pferd, auf dem er saß, bäumte sich auf und warf Mullins ab.
„Weg hier, Larry!“, rief Will seinem Bruder zu, weil er spürte, dass sich auf einmal alles verändert hatte. Er riss sein Pferd an den Zügeln herum und trieb es an. Das Tier trabte sofort los und fiel rasch in einen schnellen Galopp. Larry Calhoun fluchte, als ihm bewusst wurde, dass das Schicksal erneut eine Entscheidung gegen ihn getroffen hatte. Er ergriff nun ebenfalls die Flucht und entfernte sich so schnell wie er nur konnte. Dabei duckte er sich im Sattel, weil man ihm und Will noch einige Kugeln hinterherjagte. Aber in dem strömenden Regen war ein genaues Zielen ohnehin möglich, und so kam es, dass Larry und Will entkommen konnten, und Conrad Mullins hatte bei dieser Aktion sein Leben verloren!
Kapitel 2
Fünfzehn Meilen nordwestlich von Savannah
Gegen Mittag um 12:15 Uhr
Colin Murray hob unwillkürlich den Kopf und lauschte in das Prasseln des Regens hinein. Stirnrunzelnd blickte er in die Richtung, aus der er ein Geräusch vernommen hatte, das wie das Echo von zwei Schüssen klang, die kurz hintereinander gefallen waren.
Verwirrt blickte er zu Donald Greyson und Jonathan Bauer, die neben ihm ritten. Aus den überraschten Blicken der beiden Männer schloss er, dass er sich nicht getäuscht hatte.
„Das waren doch Schüsse!“, rief Abraham Colter, der auf dem Bock des ersten Wagens hockte, der mit zwei Pferden im Gespann den drei Reitern folgte und dazu noch von zwei weiteren Reitern flankiert wurde. Victor Buckman und sein Schwager Alex Forster sorgten dafür, dass sich die beiden Frauen und ihre drei Kinder unter der Plane des Wagens halbwegs sicher fühlen konnten. Zumindest so lange, bis sie nicht von einem Soldatentrupp der Union überrascht wurden. Ein Wagen, auf dem Möbel, Kleidung in Truhen und andere Gerätschaften verstaut und transportiert wurden, bildete den Schluss. Den Wagen und die beiden Pferde im Gespann lenkte Buck Crenshaw, dem die Schmiede in Savannah gehört hatte und der sich den anderen Menschen angeschlossen hatte, als er erfahren hatte, dass sie Savannah verlassen wollten. Bis jetzt hatten sie Glück gehabt, und niemand hatte die kleine Gruppe und den Wagen bemerkt.
„Donald, Jonathan und ich sehen nach“, entschied Murray nach kurzem Überlegen. „Ihr wartet solange hier, bis wir wieder zurück sind. Haltet in der Zwischenzeit die Augen offen!“
„Was ist, wenn es Yankee-Soldaten sind, Donald?“, fragte Buckman mit gepresster Stimme. „Wir könnten Ärger mit ihnen bekommen, und dann …“
„Wir müssen wissen, was um uns herum passiert, Victor!“, fiel ihm der fünfundvierzigjährige Colin Murray ins Wort, dem in Savannah mal ein Hardware-Store gehört hatte, der ihm ein bescheidenes, aber dennoch dauerhaftes Auskommen verschafft hatte. „Haltet eure Waffen bereit – verstanden?“
Der breitschultrige Buckman begriff, dass er Murray nicht umstimmen konnte. Deshalb nickte er nur und versuchte stattdessen die Frauen und die Kinder zu beruhigen, die im Wagen hockten und wenigstens vor dem Regen geschützt waren. Sie saßen zwischen einigen Kisten und Packen, die das enthielten, was sie in der Eile noch hatten mitnehmen können. Die anderen größeren Möbelstücke und das, wovon sie sich nur schwer trennen konnten, befanden sich auf dem zweiten Wagen. Viel Zeit hatten sie nicht gehabt und deshalb vieles zurücklassen müssen. Aber seitdem feststand, dass niemand Grant und seiner Unionsarmee etwas entgegenzusetzen hatte, hatte die Flucht der Bewohner begonnen. Sie wollten nur noch sich selbst und ihre Familien in Sicherheit bringen, bevor sich der Ring des Feindes um die gesamte Stadt schloss.
Murray, Greyson und der deutschstämmige Bauer ritten los in die Richtung, aus der sie die Schüsse vernommen hatten. Für einen kurzen Moment trieb der Wind die Regenschleier in eine andere Richtung, so dass sie sehen konnten, was nur knapp zwanzig Yards von ihnen entfernt geschah.
Ein Mann war gerade vom Pferd gestürzt, während aus den Büschen nun drei Reiter hervorkamen und sich der Stelle näherten, wo der reglose Gegner lag, auf den sie es abgesehen hatten. Die Männer trugen keine graue Uniform, sondern Zivilkleidung, der Mann am Boden jedoch eine graue Uniform.
Mehr musste Colin Murray nicht wissen, um sofort zu handeln. Er zielte mit seinem Revolver auf einen der drei Reiter und drückte ab. Das kam so überraschend, dass dieser nicht damit gerechnet hatte. Eine unsichtbare Faust packte ihn, stieß ihn nach hinten, und nur zwei Sekunden später fiel er auf den feuchten Boden und blieb dort reglos liegen.
„Das ist einer von unseren Soldaten, auf den es diese Hundesöhne abgesehen haben!“, rief Murray seinen beiden Freunden zu. „Los, wir müssen ihm helfen!“
Auch Greyson und Bauer hatten den Ernst der Lage sofort erkannt und eröffneten nun ebenfalls das Feuer auf die anderen beiden Männer. Die hatten mittlerweile begriffen, dass sie in der Unterzahl waren und suchten ihr Heil in der Flucht. Murray, Greyson und Bauer schickten ihnen noch einige Kugeln hinterher, aber keine davon traf ins Ziel, weil der Nieselregen wieder stärker wurde.
Während Greyson und Bauer das Gelände sicherten, stieg Murray hastig ab und beugte sich zu dem Mann in der grauen Uniform herunter. Sein Kopf sah schlimm aus. Blut bedeckte auch einen Teil des Gesichtes, und er hatte eine zweite Kugel abbekommen, die in der linken Schulter steckte. Aber er atmete noch!
„Reite zurück zu den anderen, Jonathan!“, rief Murray. „Der Mann hier lebt noch. Keine Ahnung, wie lange das noch der Fall sein wird, aber wir können ihn nicht einfach liegenlassen.“
„Wir wollten uns doch nicht einmischen, Colin“, gab Bauer zu bedenken. „Denk an unsere Frauen und an die Kinder. Es wäre am besten, wenn …“
„Es reicht jetzt!“, unterbrach ihn Murray. „Dieser Mann dort hat für den Süden gekämpft und würde sterben, wenn wir ihm jetzt nicht helfen. Er hat vermutlich auch für uns gekämpft, Jonathan. Also reite endlich!“
Bauer murmelte etwas Unverständliches vor sich hin, befolgte dann aber doch Murrays Anweisungen.
„Der andere ist tot!“, rief Greyson, der inzwischen nach dem zweiten Mann geschaut hatte. „Du hast gut getroffen, Colin!“
Murray erwiderte nichts darauf. Es gab Zeiten, in denen man nicht tatenlos zusehen konnte, wenn jemand Gefahr drohte. In diesem Fall war es ein konföderierter Soldat. Genauer gesagt ein Sergeant. Erst jetzt sah Murray die Winkel an der grauen Uniformjacke.
„Was hast du vor?“, wollte Greyson wissen. „Wenn wir ihn mitnehmen, werden wir nicht schnell genug nach Petersburg kommen. Vergiss das nicht.“
„Wir können ihn nicht einfach hier liegenlassen und so tun, als wäre nichts gewesen, Donald“, entgegnete Murray. „Ich werde das jedenfalls nicht tun!“
Seine Stimme klang so endgültig, dass Greyson entschied, lieber zu schweigen. Stattdessen schaute er in die Richtung, wohin Bauer geritten war und hoffte, dass er bald wieder mit den anderen Menschen und den beiden Wagen zurückkommen würde.
Wenige Minuten später tauchten die beiden Wagen im Regen auf, flankiert von den Reitern.
„Hilf mir, Donald!“, sagte Murray. „Wir legen ihn in den Wagen und sorgen erst einmal dafür, dass er die nasse Kleidung loswird. Sonst bekommt er noch eine Lungenentzündung, und dann hat er wirklich keine Chance mehr.“
„Okay“, sagte Greyson, bückte sich und griff nach den Beinen des bewusstlosen Sergeants. Murray hob seinen Oberkörper vorsichtig hoch und bemühte sich, nicht mit der verletzten Schulter in Berührung zu kommen. Allerdings gelang ihm das nicht vollständig. Der Schwerverletzte stöhnte leise, erlangte aber zum Glück nicht das Bewusstsein.
„Doris!“, rief Murray seiner Frau zu. „Kümmere dich bitte mit Elizabeth um ihn. Er hat eine Kugel in der Schulter. Die muss so schnell wie möglich raus, bevor sich die Wunde entzündet. Schaffst du das?“
„Nur wenn der Wagen zum Stehen kommt“, entgegnete die brünette Frau. „Es wäre sonst zu riskant.“
„Gut“, meinte Murray. „Das wird wohl das Vernünftigste sein. Victor“, wandte er sich dann an Buckman. „Du und Alex reitet ein Stück voraus und sucht nach einer geeigneten Stelle, wo wir eine kurze Pause einlegen können. Zumindest ein oder zwei Stunden.“
Er bemerkte auch an Buckmans Blicken, dass dieser sehr skeptisch war, was den bewusstlosen Sergeant anging. Auch er wollte so schnell wie möglich nach Petersburg und dort Schutz vor der Unionsarmee suchen. Aber weder er noch die anderen Menschen dieser Gruppe wussteninzu diesem Zeitpunkt, dass sie in Petersburg vom Regen in die Traufe geraten würden.
* * *
Am frühen Nachmittag gegen 13:30 Uhr
Irgendwo nordwestlich von Savannah
Die beiden Wagen befanden sich hinter einigen schützenden Felsen. Die Pferde hatten die Männer ausgespannt und erst einmal versorgt. Buck Crenshaw und Abraham Colter hatten sich in einiger Entfernung am Rande des Weges postiert und achteten so darauf, dass sie herankommende Reiter rechtzeitig erkennen konnten.
Elizabeth Bauer und Doris Murray kümmerten sich inzwischen um den immer noch bewusstlosen Sergeant. Er atmete regelmäßig, aber auf seiner Stirn hatte sich mittlerweile ein feiner Schweißfilm gebildet, und er zitterte immer wieder am ganzen Körper, obwohl die beiden Frauen ihm jetzt die nasse Kleidung ausgezogen und ihn in eine Decke gewickelt hatten.
„Das sieht gar nicht gut aus“, meinte Doris Murray, nachdem sie einen Blick auf die Schulterwunde geworfen hatte. „Wenigstens ist die Verletzung am Kopf nicht ganz so schlimm wie sie aussieht. Wir haben sie gereinigt und notdürftig verbunden. Das muss ausreichen, bis sich ein Arzt das näher ansehen kann.“
„Aber die Kugel in der Schulter muss trotzdem raus“, fügte Elizabeth Bauer hinzu. „Und zwar so schnell wie möglich.“
„Eigentlich bräuchten wir heißes Wasser und saubere Tücher“, gab Doris Murray zu bedenken. „Aber die haben wir nicht. Hast du noch was von dem Whiskey da?“
„Eine halbe Flasche. Willst du, dass er das trinkt?“
„Wir flößen ihm das ein“, entschied Doris nach kurzem Überlegen. „Bring mir die Flasche, Elizabeth.“
Die Deutsche ging weiter nach hinten, öffnete eine Kiste und holte eine Flasche hervor, die sie dann Doris reichte. Die öffnete die Flasche und deutete Elizabeth an, den Kopf des Sergeants vorsichtig anzuheben, damit ihm Doris den Whiskey leichter einflößen konnte. Als sie ihm die Flasche an den Mund setzte, stöhnte er leise, öffnete kurz die Augen und schaute sich verwirrt um. Er murmelte etwas, was die beiden Frauen aber nicht verstehen konnten.
„Sie sind in Sicherheit, Sergeant“, redete Doris Murray auf ihn ein. „Bleiben Sie ganz ruhig und trinken Sie, Ein guter Whiskey hilft immer.“
Während sie das sagte, verabreichte sie ihm auch schon den ersten Schluck. Dem Sergeant blieb nichts anderes übrig, als zu trinken, wenn er nicht ersticken wollte. Doris setzte die Flasche erst wieder ab, als sie schon fast leer war. Dann blickte sie zufrieden auf den Verletzten, der schon wieder bewusstlos geworden war. Umso besser, dachte sie. Dann bekommt er von all dem gar nichts mit.
„Kinder, geht mal raus“, forderte Doris ihre beiden Söhne Ted und Billy auf. „Ich rufe euch, wenn ihr wieder reinkommen könnt. Das gilt auch für dich, Joseph“, richtete sie das Wort an Elizabeths Sohn. Die drei Kinder hatten beobachtet, wie man den verletzten Sergeant in den Wagen gebracht und kurz versorgt hatte. Aber was jetzt geschah, sollten sie besser nicht sehen.
„Doris hat recht“, sagte nun auch Elizabeth, als sie bemerkte, dass Joseph das nicht einsehen wollte. „Also raus jetzt – keine Widerrede!“ Ihre Worte klangen so streng, dass der zehnjährige Joseph begriff, was die Stunde geschlagen hatte. Zusammen mit Ted und Billy stieg er rasch aus dem Wagen und wurde dort von seinem Vater bereits in Empfang genommen. Auch Colin Murray nahm seine Söhne zu sich, und als Doris das sah, nickte sie Elizabeth zu.
„Wir können anfangen“, sagte sie.
„Traust du dir das wirklich zu?“, fragte Elizabeth Bauer, die nicht ganz so optimistisch war.
„Ich habe schon einmal zugesehen, als einer unserer Soldaten bei Doc Miller operiert wurde“, sagte Doris. „Wie du weißt, habe ich ihm ab und zu geholfen. Das muss jetzt reichen. Eine andere Möglichkeit haben wir nicht. Halte du nur ein Tuch bereit. Wir müssen den Blutfluss stoppen, wenn ich die Kugel raushole. Hoffentlich sitzt sie nicht zu tief, sonst …“
Sie sprach nicht zu Ende, was ihr jetzt durch den Kopf ging, sondern öffnete erneut die Flasche und goss den Alkohol direkt in die Schulterwunde. Wieder begann der Sergeant laut zu stöhnen, aber er wachte nicht aus der Bewusstlosigkeit auf. Somit waren es die besten Voraussetzungen, um das zu tun, was getan werden musste.
„Ich glaube, ihr braucht Hilfe“, hörte Doris auf einmal die Stimme des graubärtigen Abraham Colter. „Jemand muss ihn festhalten. Er darf sich nicht bewegen.“
„Danke, Abraham“, erwiderte Doris, die sich auch schon darüber Gedanken gemacht, aber keine Lösung gefunden hatte. Sie wollte nur die Kugel herausholen und hoffte, dass das ohne Probleme vonstattenging. Colter verlor deshalb keine weiteren Worte mehr, sondern hielt sich einfach bereit und sah zu, was Doris Murray jetzt unternahm. Sie reinigte ein Messer mit dem Whiskey und tastete damit in der Schulterwunde herum. Auch wenn der Sergeant bewusstlos war, so spürte er dennoch die Schmerzen, denn sein Körper schien sich dagegen zu wehren, was jetzt mit ihm geschah.
„So tief sitzt die Kugel nicht“, murmelte Doris, während Elizabeth mit einem Tuch den Blutfluss kontrollierte. „Gleich habe ich sie draußen.“
Trotzdem vergingen noch einige lange Augenblicke, bis die Kugel schließlich aus der Wunde kam. Jetzt strömte noch mehr Blut hervor, und Elizabeth Bauer musste schnell handeln. Sie legte ihm einen Verband an und hoffte, dass dadurch der Blutfluss zum Stoppen kam.
