Clemens Brentanos Frühlingskranz - Bettina von Arnim - E-Book

Clemens Brentanos Frühlingskranz E-Book

Bettina von Arnim

0,0

Beschreibung

Dieses eBook: "Clemens Brentanos Frühlingskranz" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Bettina von Arnim (1785/1859) war eine deutsche Schriftstellerin und bedeutende Vertreterin der deutschen Romantik. Aus dem Buch: "Lieber Prinz Waldemar! So weit ist's gekommen zwischen uns beiden, daß ich diese letzte Anrede wage und lieber und naturgemäßer sie finde als die auf der ersten Seite. Ich stehe auf einmal da vor Ihnen, und alle Leute auf dem Markt vernehmen, was ich Ihnen zu sagen habe. Vor soviel Leuten ist man aber nicht aufrichtig, man ist da nur schicklich; folglich ist's wohl nicht schicklich, aufrichtig zu sein. Da man aber einem Prinzen gegenüber durchaus schicklich sein muß, Aufrichtigkeit aber Unschicklichkeit ist, so machen sich Euer Hoheit gefaßt, entweder was Unschickliches zu hören oder was Unaufrichtiges..."

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 478

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Bettina von Arnim

Clemens Brentanos Frühlingskranz

e-artnow, 2014
ISBN 978-80-268-0560-1

Inhaltsverzeichnis

Cover
Titelblatt
Text

Und liebes Kind bewahre meine Briefe, lasse sie nicht verlorengehen, sie sind das Frömmste, Liebevollste, was ich in meinem Leben geschrieben, ich will sie einstens wieder lesen und in ihnen in ein verschloßnes Paradies zurückkehren. Die Deinigen sind mir heilig! – Heidelberg 1805

Verliere keinen meiner Briefe, halte sie heilig, sie sollen mich einst an mein besseres Selbst erinnern, wenn mich Gespenster verfolgen, und wenn ich tot bin, so flechte sie mir in einen Kranz. – Holland 1808

Lieber Prinz Waldemar!

So weit ist's gekommen zwischen uns beiden, daß ich diese letzte Anrede wage und lieber und naturgemäßer sie finde als die auf der ersten Seite. Ich stehe auf einmal da vor Ihnen, und alle Leute auf dem Markt vernehmen, was ich Ihnen zu sagen habe. Vor soviel Leuten ist man aber nicht aufrichtig, man ist da nur schicklich; folglich ist's wohl nicht schicklich, aufrichtig zu sein. Da man aber einem Prinzen gegenüber durchaus schicklich sein muß, Aufrichtigkeit aber Unschicklichkeit ist, so machen sich Euer Hoheit gefaßt, entweder was Unschickliches zu hören oder was Unaufrichtiges.

Wenn ich nun meine Zueignung so begönne:

Es ist das aufrichtigste Gefühl der Verehrung und Liebe, was mich bewogen hat, Euer Hoheit dies Buch zu widmen, so würden Sie denken: die Freifrau von Arnim redet dies um der Schicklichkeit willen, denn aus welchen Gründen könnte sie mich so stark verehren? Daraus müßte ich auf die Bescheidenheit schließen und auf die Einfachheit Ihrer edlen Natur, die größere Forderungen an sich macht. Fahre ich nun fort und sage: In diesem Buch werden Euer Hoheit viel Analoges mit sich finden! so könnten die Schicklichkeitsmenschen behaupten, dies sei sehr unschicklich, einem Prinzen zu sagen, er habe Ähnlichkeit mit einer Volksseele. Ich darf Ihnen daher gar nichts sagen, denn meine Aufrichtigkeit würde entweder von Ihrer Bescheidenheit verneint oder von dem Schicklichkeitsgefühl der Aristokraten mir verwiesen.

Dem Publikum, in welchem ich mich heimisch fühle, das mich angeregt durch seinen Beifall und durch sein Einverständnis mich inspiriert, zu dem kann ich doch wohl reden ohne Einwendung, da Aufrichtigkeit bei diesem auch Schicklichkeit ist. Nun also: Ihr Leute auf dem Markt! – Ich hab dies frühlingsduftende Buch nur dem darbieten können, gegen den ich keinen Zweifel hege, der Feldblumenkranz könne ihm zu gering sein.

Ich sage Euch aber, Ihr Leute auf dem Markt, Ihr, deren Gewissen Zeugnis gibt von jenen gefürsteten Fürsten, denen der Lorbeer und die Eiche und die Raute Ehrenkränze tragen, daß gleich in der Brust jener großen Männer, auch Ihm, der die Huldigung im Feldblumenkranz willkommen heißt, das vaterländisch Edle, der Eifer für Wahrheit, der Glaube an göttliche Dinge, die Würdigung der Volkseigentümlichkeit innewohnen, die sein eigenes Streben mit den Kräften des Gemeingeistes zu allen erhabnen Opfern zusammenschmelzen.

Bettine.

Liebe Bettine.

Noch einmal leb wohl. Ich habe wie immer auf meinem Rückweg noch recht mit Liebe an Dich gedacht und bitte Dich innig, indem Du stets Dich selbst veredelst, diese Liebe zu veredlen und zu erhöhen, von der der größte Teil meines Glückes abhängt; ich habe jetzt außer Dir für keinen Menschen ein ganz lebendiges Interesse, das mir selbst Mut geben kann, mich in die Höhe zu arbeiten. Du gibst mir Kraft und Mut und Aussicht, wenn Du in allem Guten gedeihest, wenn Du gedeihest meinem wärmeren Anteil an Dir. Suche Dich über das, was man Dir als Pflicht zumutet, zu erheben, mache, daß alles um Dich zufrieden ist. Was Du mehr in Dir fühlst als das gewöhnliche Bravsein, dafür hat die arme Welt ja doch keine Ordnung, das mußt Du still in Dir bilden und Gott selbst dafür Rechnung stehen und mit der ganzen Harmonie der Gefühle dafür dankbar sein. Es ist dem vorzüglichen Menschen gewiß sehr leicht, alle gewöhnlichen Forderungen zufriedenzustellen, bequeme Dich ein wenig nach der Alltäglichkeit, und sie wird mit ihren Klagen Dir nicht mehr zur Last fallen. Sei fleißig in der Musik und Zeichnung, es sind die unschuldigsten Organe der Güte und Schönheit. Sei Deinen Geschwistern duldsam und verschließe, was Du mir bist, still in Deinem Herzen, denn die meisten Menschen verstehen das nicht und ehren es daher nicht. Du kannst so nur Dir und auch mir großen Schmerz ersparen, weil es weh tut, wenn das Beßre in uns mißhandelt wird durch den Unverstand. Lebe wohl! Sei recht fleißig am Ofenschirm, damit er bald fertig wird, ich freue mich drauf, daß die Flamme durch sein Gewebe schimmert, und ich klimpere dann auf der Gitarre dazu Lieder und Melodien, die Dein sind.

Dein Clemens.

Lieber Clemens.

Dein freundlich Abschiedsblättchen hat mir die Großmama nicht gegeben, ich hätte es vielleicht nie erhalten, wär ich nicht durch Zufall an den Ort gekommen, wo es lag und schon eröffnet war.

Sieh, ich hab Dich so lieb – Du bist so gut – ich möchte Dir alles sagen, um daß Du mir lehrtest, was mich gut und Dir lieb machen kann.

Der Anfang Deines Briefchens sagt mir zum letztenmal noch einmal Lebewohl! – Werde ich Dich denn lange, lange nicht wiedersehen? und stehe weit zurück von allem, was ich liebe? – Und andre gehen dazwischen hin und her, die gleichgültig sind für dich und mich! – Die Frankfurter Allee hat allen Glanz verloren, sie ist ganz öde in der Nebelluft, denn weil Du jetzt nicht mit dem Abend dort mir entgegenkommst! – So war doch der Morgen immer auch noch schön, wenn Du am Abend dagewesen warst. Weil Du willst, ich soll früh aufstehen wegen dem Gold der Morgenstunde, so wollt ich es ihr aus dem Mund nehmen und lief früh mit der Dämmerung schon durch die Allee, wo all Deine Tritte in den Kies geprägt und schön bereift waren; wär ich später gegangen, so hätten die Marktleute drauf herumgetrampelt. Ach, die langen Winterwege, die Du gemacht hast mir zulieb alle! – Aus dem lustigen Haus, wo die Geschwister und Hausfreunde zusammen Witze machten, heraus über die Schneefelder, auf der kalten einsamen Hoftreppe, wo wir die Winde zusammen flüstern hörten. Und im Schneegestöber bist Du wieder allein in der Nacht den langen Weg nach Haus gewandert! – Ja, Du willst, daß ich Dich immer so liebe, wie Du mich liebst. Und wärst Du doch ganz nah bei mir und könnt Dich ans Herz drücken dafür, daß ich in Dir finde, was ich vergebens in andern suchte, ein Gespräch, wo die Seele in der Pforte steht in ruhender Stellung zwar, aber so hingebeugt zum Nachbar, so sanft lockend, daß der auch sich ausspreche. – Ich war in Sorgen um Deinen langen einsamen Weg in der Nacht, die Sterne haben wohl noch mit Dir fortgeplaudert! – Adieu mein Clemens, leide immer, daß ich ein wenig an Dich schreibe, und wenn meine Briefe auch unbedeutend sind, es macht mich doch so froh! – Kann ich Dir auch abgebrochene Gedanken schreiben, wie wenn ich mit Dir schwätzte, wo Du mir immer Antwort gabst, eh ich's ausgesagt hatte? – Ach, wie willst Du mir Deine Briefe schicken, die Großmama gibt sie mir vielleicht gar nicht!

Deine Bettine.

Liebe Bettine.

Daß die Großmutter Dir den kleinen Brief nicht gab, ist mir sehr leid, es wäre schön von ihr gewesen, hätte sie Dich gebeten, daß Du ihr ihn lesen lassest, das hättest Du denn auch mit Freuden getan; übrigens verzeih es ihr in Deinem Herzen, denn sie hat es gewiß gut gemeint. Diesen Brief schicke ich Dir nun frei mit der Post, es tut mir zwar leid, daß ich Deinen lieben Namen muß so offen auf die Post geben, allein es ist besser als ein andrer Weg, er würde ein Winkelweg sein, da doch sich an Dir zu freuen und Dich zu hüten und verstehen zu lernen dem Bruder ganz naturgemäß ist! –

Schreibe mir auch nicht zu heftig, es ist nicht gut, wenn man sich dran gewöhnt, und man tut's so leicht, weil es einem wohltut; aber ein solcher Brief ist zu sehr Stimmung, und ein Wort gibt zu sehr das andre, da eigentlich die Seele allein jedes Wort geben soll. Schreibe mir von Euern Scherzen und kindischen Einfällen und kleinen Naseweisheiten. Liebe, Deine Geschwister und besonders die um Dich sind, mach Dich ihnen unentbehrlich, mache Dich allen geliebt und geehrt, dann ist Dein Inneres ungestört und Deine äußeren Verhältnisse recht angenehm in der Welt. Spiele brav Klavier, singe, zeichne und lerne, wo Du kannst, nur damit kannst Du Dir Deinen Lebenskreis erweitern. Ich sehe Dich bald wieder, zu Ostern komme ich gewiß, ich bin gar sehr vergnügt hier, und nächstens schreibe ich Dir alles, wie ich hier lebe. Freude, das ist das Höchste, es ist Gesundheit an Leib und Seele, die man gibt und empfängt.

Dein Clemens.

Ob Du mir abgebrochene Gedanken schreiben kannst, wie wenn wir zusammen sprechen? – Liebes Kind, so gut ich von hier aus Dir nicht ins Wort fallen kann, noch ehe Du's gefunden hast, würde ich Dich wohl auch nicht so gut verstehen von so weit. Und dann ist's ja auch ein Kunstinteresse, sich voll und bündig ausdrücken zu lernen. Der Schreiber muß zugleich an sich selber schreiben, denn er selbst muß durch den Brief mit sich bekannt werden; Du sagtest mir ja, daß Dir die Welt so unendlich weit vorkomme und Du Dir selber wie verloren darin seist. Und dann sei Dir Dein Lebenskreis wieder so enge, daß Du nur ganz kleine Schritte vorwärts tun könnest. Dies alles kommt daher, daß Du mit Deinem inneren Menschen noch nicht bekannt bist, Du begreifst Dich noch nicht, aber in den Briefen schaust Du in den Spiegel Deiner Seele; darum tut die tiefste Wahrheit Dir selber gegenüber so not, um auf keinen Irrtum zu geraten über Dich selbst. Denn die edle Seele hat eine höchste Bestimmung! Dieser nachzukommen ist ihre ganze Aufgabe, die Welt ist so voller Ereignisse, ist ein Gewebe, in dem jedes Menschen harmonische Bildung ein notwendiger und haltbarer Faden sein muß. Nicht jeder Faden braucht als sichtbare Figur eingewebt zu sein, aber zur Tüchtigkeit und Festigkeit des Gespinstes trägt jeder bei, der die Wahrheit in sich begründet, ja es ist nicht anders möglich so, als daß er eines, Hauptvermittelung aller wesentlichen Entwickelung, werde. Doch was ich Dir hier sage, was Deinem Alter und Deinem Gedächtnis nicht angemessen ist, vergiß es wieder, Liebe, und lasse Dir ins Herz geschrieben sein, daß selbst Jugendspiele und Scherze – kurz alles, was Dir hier dem Gesagten gegenüber vielleicht unbedeutend erscheint, nie unbedeutend sein kann, solange es die in überquellender Lebenslust unverwirrten, unverwickelten Gedanken hervorsprudlen.

An Clemens.

Clemente! Zu Ostern willst Du kommen? Heute haben wir den 22. März! – Nein, es sind beinah noch vier Wochen. Aber es wird dann schon sehr schön im Garten sein. Ich habe unsre Rasenbank erhöht, das muß früh geschehen, das kurze Gras muß recht dicht wachsen. Unsre Katze hat Junge, sie sind so allerliebst, Clemens, der Frühling ist nicht mehr zu leugnen, die Reben weinen. Es ist ja auch in wenig Zeit schon Mai, aber doch in vier Wochen erst, denn dann ist gewiß das schönste Wetter.

Ich soll von meinem Tagewerk Dir schreiben und was wir Geschwister zusammen treiben. Heut war ich den ganzen Tag im Garten, ich hab ja am Tag, wo Du fort bist, am Abend noch ein Beet umgegraben und hab Salat hineingesäet, er ist schon heraus, ich mußte eine Strohdecke drauflegen gegen unzeitigen Frost. Ich will mir doch nichts mehr von den Menschen weismachen lassen! Und statt am Abend mir Vorwürfe zu machen, daß ich alles besser wissen will, bin ich am frühsten Morgen schon auf, wo die ganze Welt noch schläft, und beobachte sie; erst kommen die Tauben, sie baden sich und trinken am Brunnen zwischen den Steinen das Wasser, ich hab sie gelockt auf der Haustreppe mit gestohlenem Futter! Morgenstund hat Gold im Mund, darum soll ich früh aufstehen, meinst Du. – Es war noch ganz nebelig und verschlafen, doch bald fiel das Gold der Morgenstunde schräg in die Straße, in den Hausgiebeln gingen die Fenster auf, da wohnen die jungen Mädchen, die wollen auch Morgenluft schlucken; ich ging um die Ecke am Kanal längs den Gärten, da sind so viel Veilchen, man steckt sie in den Busen, sie duften Dir ein Weilchen, es ist ihre Sprache. Als ich vom frühen Spaziergang heimging, sah ich den Bäckerjungen laufen, er schellte am Haus, wo die Emigranten wohnen, der Duc de Choiseul guckte aus dem Fenster und kaufte Milchbrot, ich wollte ihn nicht beschämen und kehrte wieder um; als ich zum zweitenmal zurückkam, trat die Milchfrau ans Fenster, die ihm die Milch abmaß. Da kamen noch viele Milchtöpfchen zu allen Fenstern heraus; einer, der sich von Spitzbuben umringt sieht, kann sich nicht ängstlicher durchschleichen als ich zwischen dem Milchhandel dieser vornehmen Emigranten; ehemals waren sie von einer großen Valetaille umringt, die sich wieder bedienen ließ von allerlei Gesindel, und nun sind sie eingerichtet in eigner Person, wie kompendiöse englische Reisenecessaire, wo man alles beisammen hat, selbst das Überflüssige. Ist's möglich, daß man ein Heer von Müßiggängern beschäftige mit Angelegenheiten, die nur der Müßiggang notwendig macht. Sie malen, sie schleifen in Glas, sie sticken Blumen auf Bandschleifen, sie drechslen, sie überschwemmen das Land mit närrischen Künsten, und die Großmama wundert sich, daß unter allen keine Gelehrten sich finden.

Deine Bettine.

Liebe Bettine.

Ich komme in ein paar Wochen wenigstens auf einige Tage nach Frankfurt, und Du bist eigentlich die Ursache, freue Dich darauf und habe mir recht viel zu sagen. – Was Du einmal in Offenbach schriebst, lese ich noch oft mit vielem Genuß, es ist mir wie ein ewiger Brief von Dir. Ich bitte Dich, bring alle jene Gedanken, die Dir selbst auffallen, zu Papier, es ist eine schöne Gewohnheit, und wenn man einstens in ganz andern Verhältnissen ist, so sind solche Blätter liebliche Andenken verfloßner Frühlinge. Ich kannte ein recht liebes Mädchen, die arm und von geringen Eltern war, sie konnte nicht schreiben und bezeichnete alles, was ihr am meisten auffiel, mit Blumenblättern, die sie zu solchen Zeiten gebrochen hatte; diese Blätter hätte sie nachher um vieles nicht gegeben, als sie schreiben konnte und für eine gescheute Frau galt, ja diese Blumenblätter sind mir lieber als das, was sie nachher schrieb, denn an denen kann sie ihre Fortschritte sehen, an dem Folgenden nur, wie sie stehenblieb. Dies letztere wird nun nie bei Dir der Fall sein, Du wirst nie stehenbleiben, Du wirst ewig fortfahren, Deine Seele zu bilden. Diese Bildung besteht nicht sowohl in Kenntnissen, die man uns lehrt, als in der eigentlichen Erkenntnis. Eine gebildete Seele ist die, die alle Kenntnisse, die sie hat, wie der bloße Mensch seine Sinne, anwendet, alles um sich herum zu vernehmen und zu beurteilen. Der bloße gesunde Mensch hört, sieht, fühlt, spricht; dem Gebildeten aber wird das Gehör zur Musik, das Gesicht zur Malerei, das Gefühl zur Gestalt und die Sprache zur schönen gebildeten Sprache, alle seine Bildung und seine Liebe zu verkündigen. Drum sei hübsch fleißig und fröhlich, treibe alles recht so von selbst, ohne irgend gleich darauf zu denken, wie das und jenes, was das eigentliche Ende davon ist, dabei herauskomme; das Ende einer jeden Kenntnis sind wir selbst, die Menschen und unser erhöhtes Talent, sie zu lieben, zu begreifen und uns ihnen verständlich zu machen. Lebe wohl.

Dein Clemens.

Lieber Clemens.

Clemens, Du hast mich mit Deinem Brief übereilt; ich wollte Dir ja noch mehr schreiben, letzt am Donnerstag gab ich den Brief so schnell auf die Post, weil ich's nicht erwarten kann, daß Du meinen Brief hast, er ist ja bloß eine Liebkosung meiner Seele, von der Du willst, daß sie durch ihre harmonische Bildung in das Gewebe der Weltereignisse sich mit als ein notwendiger Faden einwirke, und Du meinst, es ist zu schwer für mich, das zu verstehen? – Lieber Clemens, dies alles spricht ja laut genug und täglich und stündlich zu mir! – Aber! – Freilich, ein großes Aber fährt aus blauer Luft ein Blitz auf mich ein! Und ich schäme mich, meine Gedanken vor Dir auszusprechen. Wie soll ich denn anfangen? – Ja ich müßte Dir von meiner Verwundrung sprechen über alles, was ich sehe und höre in der Welt! über die Lehren, die jene Leute mir geben, die mich zu einem angenehmen und liebenswürdigen Mädchen erziehen wollen. Das kommt mir aber gar nicht angenehm, sondern sehr horribel vor, was andre Leute wohlerzogen oder gebildet nennen. Ach und Du meinst, ich könnte diesen Anstandsforderungen genugtun? – Ach Clemens, weißt Du, daß mich dies alles ganz dumm macht? – Ich verstehe entweder Deine Briefe nicht, oder alles, was Du willst, läuft stracks dem zuwider, was jene heischen! – Und ist das nicht eine sklavische Art des Seins, vor andern Menschen sich zu benehmen, und wird die Seele sich nicht an das Knechtische gewöhnen, die den Konvenienzen auf Kosten ihrer reineren Gefühle nachgibt! – Ich bin so ärgerlich, es hat mich was gekränkt. Das junge Mädchen, was uns sticken lehrt, ist eine Jüdin, sie heißt Veilchen, es ist ein recht liebkosender Name, und ich fand letzt das erste Sträußchen ihrer Namensvettern zusammen, da ging ich ganz früh zu ihr, um sie damit zu überraschen, ich fand sie auf der Treppe mit dem Besen in der Hand, sie war beschämt, ich aber gleich nahm ihr den aus der Hand und sagte, ach lassen Sie mich auch ein bißchen kehren. Da kam so früh schon, denn es war noch nicht sieben Uhr, der Hofmeister vom Eduard Bethmann vorbei, der mußte es der Tante gesagt haben, daß er mich vor der Haustür eines Juden auf offner Straße kehrend fand – ich muß jetzt lachen, denn es ist auch recht lächerlich – ich will Dir die derbsten Ausdrücke von der Tante ihrer Mercuriale ersparen, sie meinte nur, ich sei verloren, für ein besseres Dasein verloren, ich habe mich gänzlich weggeworfen! Vous navez point de pudeur, point de respect humain, on vous trouve balayer la rue main en main avec une juive! Ich mußte lachen! Nein ich konnte nicht anders. Du weißt, ich fürchte die Tante und mag sie nicht gerne beleidigen oder reizen! Cachez vous devant le monde, qu'on ne lise point sur votre front les deshonorants signes de votre effronterie. Ach ich mußte noch einmal lachen, die Tante ging hinaus! Ich hätte sie gern wieder gut gemacht, keine Möglichkeit, ich fühlte, daß ich mich nicht ernsthaft stimmen konnte. Die Bahn war plötzlich gebrochen, ich glaube, ich werde nie wieder dazu kommen, ihre Anstandsregeln zu respektieren. – Ach und wenn Du wüßtest, wie hübsch es bei dem lieben Veilchen war! – da war alles schon so sauber im Stübchen, ein kleiner Kaminherd, auf dem brannte ein Feuerchen, dabei kochte das Frühstück für den Großvater, der saß dabei und strich seinen langen weißen Bart durch die Finger, Veilchen stickt ein Goldmuster sehr schön in einen rosinfarbenen Sammet, so nennt sie ein sanftes Braunrot in ihrer Judensprache. Die Arbeit ist bestellt, und sie bekommt dann viel Geld, wenn es fertig sein wird. Sie ernährt ihren Großvater und zwei seiner Urenkel, die Waisen von dem gestorbnen Bruder, denen ist die Veilchen ganz wie eine Mutter, ich half ihr sticken, es ward recht gut, denn ich hab Augenmaß und mache die Stiche sehr egal. Alles, was mit dem Geld angefangen werden soll! – 20 Louisdor! – Da ist so viel zu bestreiten in der Haushaltung, vom Hemd bis auf die Schuhe und Schüsselchen und Töpfchen, und der Herd, der eingefallen ist, und die Ofenplatte geplatzt; das muß geflickt werden und das Wohnzimmerchen frisch geweißt, wo die Leute eintreten, um die Arbeit zu bestellen. Veilchen ist von der Gattung Mädchen, die einen Nelkentopf vor ihrem Fenster pflegen und Absenker machen und endlich einen ganzen Flor daraus ziehen, die auch wohl ein Myrtenbäumchen zur Blüte bringen, aber kein Kränzchen daraus winden. Es wär auch schade, meinte sie heut morgen und lächelte. – Wir waren so vergnügt zusammen beim Sticken, ich fädelte die Flittern und Goldbouillon auf einen langen Faden, da ging die Arbeit viel geschwinder; wenn sie solche Hülfe hätte, meinte sie, dann würden die Sorgen ihr nicht so leicht über den Kopf wachsen; ich bat sie, daß sie mich alle Frühmorgen mit soll sticken lassen, dann wird's gewiß acht Tage früher fertig. Früh um vier Uhr geht schon die Sonne auf, da kann ich sticken bis acht Uhr, dann muß ich zur Großmama zum Frühstück – jetzt wird's aber die Tante nicht erlauben, denn weil ich die Gaß gekehrt hab – und sollt ich's heimlich tun, das wirst Du mir nicht erlauben, und sollt ich's gar unterlassen? Das will ich nicht. Mein Wort brechen, einem Mädchen, was seinen Großvater ernährt und seine Geschwisterkinder? – Sie weiß nichts davon, zum Tanze zu gehen oder schön geputzt in Kleidern auf den Freier zu warten. Und ich wollte da ein kleines unschuldiges Fädchen anspinnen ins Gewebe der Welt, ein einzig klein Fädchen, und – nein, ich soll's abreißen, weil sich's nicht schickt. Ach! wo soll ich in der ereignisvollen Welt meinen Faden anknüpfen, wenn das Einfachste gegen den Anstand ist! – Wer hat diese Lügen gemacht? – Denn das sind wirkliche Lügen, nach denen ich mich niemals richten werde! Ach wenn Du hier wärst Clemens, Du würdest vielleicht es der Tante so vernünftig darstellen, daß sie nichts dagegen haben könnte. Ich hab noch viel zu erzählen, aber nicht heut, jetzt lauf ich in den Garten mit dem Spitz, es ist schon Nacht, ich fürcht mich nicht, wenn der Hund bei mir ist. –

Am 25. März. Jeden Nachmittag kommt der Herzog, der blinde Herzog von Aremberg, mit einem großen Pack Revolutionsblättern, Sieyes, Mercier, Pétion, noch andre, die mit großem Ernst am Weltgeschick weben. Das klingt ein in meine verneinende Seele gegen alles, was ich in der Welt gewahr werde, sie beweisen und heben den Schleier von aller Verkehrtheit. Abends, wenn alles fort ist, spricht die Großmama mit mir, Mirabeau sei ein Komet, der alles entzündet, was sich ihm nähert. Das Große in ihm verstehen lernen adle die Seele, sie macht Auszüge aus seinen Briefen, sie gibt mir eine Nadel, damit soll ich ins Heft stechen, welchen Satz ich treffe, den soll ich als Gedenkspruch bewahren, sie hatte diese Sätze selbst alle gesammelt und war überzeugt, ich werde mit der Nadel nicht unrecht stechen, aber ich stach in: »Die Macht der Gewohnheit ist eine Kette, die selbst das größte Genie nur mit vieler Mühe bricht«, und die Großmama stutzt, ob ich den Satz nicht gar selbst erfunden hab. Nein liebe Großmama, hier steht er, ich bin nicht Mirabeau, aber sein Geist ist mir ins Blut gegangen, er wird mich ewig mahnen, nicht von der Gewohnheit abzuhängen. Die liebe Großmama! Adieu mein Clemens, und schreib, daß Du kommst.

Deine Bettine.

Liebe Bettine.

Ich kann für Deinen lieben Brief Dir nicht besser danken, als wenn ich Dir sage, daß ich die Woche nach Ostern bei Dir in Offenbach bin, Du kannst Dich insgeheim für Dich drauf freuen, denn Du weißt nur mit mir allein, daß ich komme. Ich habe heute einen Brief von der Großmama erhalten, sie hält viel von Dir und möchte alles auf Dich übertragen, was ihr wünschenswert scheint, sie hat mir wieder ihren Wunsch geäußert, Du möchtest Latein lernen. Du kannst es ja ihr zur Liebe eine Zeitlang lernen. Obschon die Sprache nichts enthält für Menschen und Vieh, sie ist hölzern und eingebildet, mit einer Wohlbeleibtheit, die in ihrer langen Toga sich auf den Bauch schlägt, um auf ihre Würde anzuspielen, und der Klang, der dabei herauskommt, ist ihre ganze Wohlredenheit; die Großmutter läßt von dem Gedanken nicht los, Deine Sprachfähigkeit durch Latein auszubilden, ich hab ihr vorgeschlagen, sie soll Dich lieber die Derwisch-, Fakiren-, Bonzen- und Braminensprache lassen lernen, wo soviel grillenhafte Superfeinheit drin ist, die an die mehrere hundert und zwei und neunzigsilbige Wörter grenzt und eine Rangordnung eingeführt hat der Konsonanten als Aristokraten, die den bürgerlichen Vokalen gar den Eintritt nicht gestatten nd lssn ns s ws hnn gfllt xpngrn ns brll, s dß mnchml n wrrwrr ntstht dß kn Tfl drs klg wrdn knn. Gib Dir Mühe, der Großmama das Leben soviel als möglich zu versüßen, und lieber als ein bißchen Latein gelernt, ihre Begeisterung dafür kann unmöglich lang dauern, doch ist's schön, daß ihre Seele immer nur im Gewand des Erhabnen sich wohl fühlt, und wir können beide uns drüber freuen. Denn in welcher Luft könntest Du besser atmen als da, wo der Gemeinheit Dorn und die Nessel böser verleumdrischer Zungen nicht wachsen kann. Die Großmutter schreibt mir auch von Mirabeau, gegenüber stellt sie den Grandison als Ideal eines sittlich moralischen Charakters, das grenzt ans Komische. Sie läßt sich von Dir die Abhandlung Mirabeaus über Staatsgefängnisse übersetzen und schreibt, daß es Dich sehr interessiere. Das hab ich nicht von Dir geahnt. Aber Kind, ist es nicht etwas Einbildung oder Eitelkeit von Dir? – So oft haben wir in vertrauten Gesprächen alles vom Herzen weggeplaudert, was uns lieb und leid war; – und meine Seligkeit war abends auf dem Heimweg, daß ich mich besann über Dich! – – wie auf dem Grund eines Sees die Fische mutwillig durcheinander spielen, so konnt ich Deine Gedanken spielen sehen auf dem klaren Grund Deiner Seele! und war mein einzig Glück, und nun klingt's anders. Und ich lausche in die Nacht hinein, und ich höre Mirabeau, Pétion, Mercier; das lautet ja wie die dumpfe Sturmglocke, nein das ist ja nicht das sanfte Läuten meiner Abendglocke, wo Du die Gedanken ausfliegen ließest wie Bienen nach den Feldblumen? – Bedenke liebstes Kind, daß Denken die Heimat der Seele ist, und suche nicht nach fremden Regionen, wo Dein Schutzengel Dich nicht zu finden ausging. Ein sich Daheimfühlen im innersten Dasein ist die Region, in der wir in schuldlosem Bewußtsein am Quell des Vertrauens und der Weisheit schöpfen, das heißt: Denken.

Es ist Nacht geworden während dem Schreiben, da ging ich noch weit ins Feld, da liegen noch einzelne Schneedecken über der Saat, das Hessenland ist ein rauhes Land. Bei Dir ist alles wohl schon viel frühlingsmäßiger, ich freu mich doch auf Dich recht herzlich und hab auch keine Angst, daß Du nicht dieselbe sein könntest, die Du immer warst. Es ist ein so heller Morgen heute, da sitz ich am Schreibtisch, und der Hahn kräht schon zum drittenmal, das flößt mir ein recht Vertrauen ein in die Zukunft. Ich werde recht oft nach Offenbach kommen und alles tun, um die Zeit recht innig mit Dir zu verbringen. Es wird doch wohl eine Zeit kommen, wo ich selten von Dir entfernt bin und wo wir alles zusammen denken. Denken, was heißt das, es ist die einzige Vermittlung mit dem Göttlichen. Es stellt sich gleich eine Säulenreihe um Dich auf, und ein Tempel wölbt sich über Dir, und Dein Gedanke durchduftet ihn. Das ist Denkseligkeit – Gedankenlosigkeit ist Unseligkeit. Aber Du wirst gewiß noch recht glücklich werden und ich auch, aber das wird nur dann sein, wenn wir dem Bedürfnis genügen unserer Seele, das können wir alleine durch Bildung. Wenn ich was weiß und so in mir gerüstet bin, daß ich auch von jedem Punkte aus, ich mag sein, wo ich will, und vom Schicksal eine Aufgabe habe, sie zu lösen verstehe und darin mir selber genüge und der Kunst. Das ist Bildung! – Der Mensch ist auf Erden, sich zu bilden und dann wieder die Welt.

Jetzt kommt der Frühling, da sitze ich abends oft am Fenster, ich wohne in einem Garten, klimpere ein wenig auf der Gitarre und singe auch wohl das Lied »Vien qua Bettina bella« etc.; in den Garten kommen oft einige Kinder, mit denen ich spiele, die zwar ein bißchen dumm sind, aber doch gesund und treu. – Ehe ich weggehe, werde ich den Kindern ein Fest geben, auch eine Schwägerin von Rossi hat drei artige kleine Mädchen, die gegen die schwarzen Rossibuben wie Engelchen gegen Teufelchen aussehen, so schwarz sind diese kleine Italiener, besonders ist das älteste Mädchen, etwas jünger als Loulou, sehr sanft und hold; sie hat den seltsamen Namen Anonciata, Verkündigung. Namen sind oft recht einladend, der Deinige zum Beispiel. Diese Kinder nun, die in einem traurigen schmutzigen Hause wohnen und mit ebensolchen Menschen, haben doch ein kleines Fleckchen rein- und schönzumachen gewußt. In dem kleinen Hof steht ein Baum, um den herum haben sie sich ein äußerst niedliches Gärtchen gebaut, so groß wie ein großer Tisch, in diesem Garten nun stehen Butterblumen, Veilchen, Buchs und dergleichen, gleich daneben haben sie sich Tisch und Bank errichtet und sitzen beisammen, wenn die Sonne scheint unter einer Art Laube, die sie durch in die Mauer gesteckte Tannenzweige zusammengeflochten haben. Ich habe gestern lang mit ihnen gesessen, ihnen erzählt und während sie allerlei bunte Perlen und Schmelz in Schnüre fädelten, womit sie ein kleines Handelspiel treiben, ihnen Klostereier gemalt. – Das ist so mein Zeitvertreib, und sie wird mir jetzt lange, bis ich bei Dir bin. Nimm dies als eine kleine Gegenerzählung für Deinen Bericht von dem Veilchen, der ist aber schöner, und ich finde es auch ganz natürlich, daß Du gern mit dem Veilchen das Kleid fertigsticken willst, aber ich meine doch, es wird besser sein, wenn Du nicht am Morgen so früh Dich vom Haus entfernst. Hast Du nicht zufällig den Herrn Hofmeister begegnet, der Dir den Verdruß machte bei der Tante, böse über Dich zu reden? – Nun könnten doch noch andre Leute Dir begegnen, die auch darüber reden könnten.

Dein Clemens.

Weil ich die Ostern nicht komme, sondern erst acht Tage später, so erwarte ich noch einen Brief von Dir, Du wirst ja doch wohl die zwei Sonntage recht still zubringen. Die Leute werden alle spazierengehen, und Du wirst aus dem Fenster sehen und sie in ihrem Putz die Straße hinab-, dem Tor hinauswandern und dann auch wieder heimkommen sehen. Aber in der Zwischenzeit kannst Du schreiben bei Deinem Strauß, den Du doch gewiß im Glas zu stehen hast.

Lieber Clemens.

Wenn man aber auf den Barbara-Tag Reiser von den Obstbäumen abschneidet und die ins Wasser stellt, dann blühen sie im März, und das hab ich getan, und sie blühen auch alleweil. Apfelblüten sind zu schön! – Wär ich als Mädchen, was die Apfelblüte ist, ich wär doch wohl alles Liebe und herzlich Schöne. Was Du von mir denkst, dann könnt ich Dir verzeihen, was Du mir und Dir weismachen willst. Ja es ist recht schön, denn ich hab das Pläsier davon, und Dir schadet's nichts. Aber sei nur nicht ängstlich, daß ich keine Apfelblüte bin, weiß und rot und goldner Same darin, sondern daß ich vielleicht gar so eine Nessel bin oder Distel oder Dorn, wie Du meinst, vor denen ich mich soll hüten.

Ich hab am Feiertag nicht können schreiben, die drei kleine Katzen auf dem Schoß so kommod aneinandergelegt, alle drei eingeschlafen unter der großmächtigen Pappel im Eckelchen auf der Bank. Soviel Blüten tanzten herunter, soviel braune klebrigte Schalen platzten los von den Knospen, ich dachte, was knistert doch im Baum; und später, wie die Katzen so sanft schliefen, da hatte ich auch ein bißchen geschlafen. – Ach Clemens, wir wollen recht vertrauend einander schreiben und nichts weismachen einander! – Und wenn Du aber frägst, ob das Einbildung sei oder Eitelkeit mit dem Mirabeau, so kann das ja möglich sein und doch auch wahr, ich wehr mich dagegen nicht! Aber der Mirabeau! Ich wollt, ich stünd vor ihm; weißt Du? Denk ich an ihn, ich fühl mein Gesicht brennen. Liebster Clemens, mit aller Sehnsucht meiner Arme, meiner Augen, ja mit allem, was umfassend ist in mir, möchte ich seine Knie umschlingen! Des großen Helden, der auf seine Lippe nimmt das Geschick des Volkes und entzündet es, mit seines Mundes Hauch facht er es an.

Auf meiner Seele klarem Grund die Fischchen herumspielen sehen, das freut Dich? – Nun so guck! Wie sie da fahren wie der Blitz hin und her, sie prallen ans Ufer der allbekannten todbringenden Langenweile, sie stoßen sich den Kopf ein; und soll ich keine Leuchte anzünden, zwischen diesen klippigten Grund einen Ausweg zu finden aus der Pfütze – ins Weltenmeer? – Wohin sonst? – Glaub nicht, daß ich im angenehmen häuslichen Kreis mich gefangen gebe und auch nicht der Bildungsanstalt schöner edler Ideen. Auch nicht Latein kann ich ein Jahr oder ein halb Jahr der Großmama zu Gefallen lernen, denn mir kann ich's nicht zuleid tun. Ich habe ja nicht eine Vernunft, der ich folge, ich bin ja ein elektrischer Funke, und ins Latein kann ich nicht hineinfahren, es stößt ab, sagst Du selbst.

Es ist nichts, du Welt, wonach ich die Hand strecke. Wär's etwas! – Auf dem Dach vom Taubenschlag die Sonne sinken sehen, das ist meines ganzen Lebens Aussicht. Sie geht dort unter so blutrot, und mein Blut – wallt mit im roten Meer der Sonne, und dort wird's röter, und mein Gesicht wird blässer. Ja ich glaub, daß der Geist des Blutes mit fortgezogen wird, wenn dort die Sonne ihre letzte Strahlen hineintaucht. Dann denk ich feurig, daß mir's Herz klopft, dann werd ich blaß, lange war's nicht so schön hier in Offenbach als heute abend, und lange hat mich ein schöner Abend nicht so froh gemacht und so traurig zugleich. Es war da gar niemand, der auch nur den geringsten Anspruch hätte gemacht an meine Seligkeit. Ich wundre mich, daß andre nicht sind wie ich! Und Du? – Vielleicht in demselben Augenblick dachtest Du ganz was anders, das geht mir zu Herzen. Die Sonne sank eben in den Main. Ist es Dir nicht auch so, wenn die Sonne sich im Wasser spiegelt, man möchte sich gar zu gerne hineinstürzen und so in dem Glanz untergehen. Aber es wiegte sich noch eine schöne Harmonie von blasenden Instrumenten auf den Wellen; ein leichtes Schiffchen trug alle die Seligkeit auf seinem Verdeck, still bedachtsam zog's den Strom hinauf.

Das Abendrot am Strand hinzieht, Ergibt den Wellen sich mit Lust, Da schwellet die beklemmte Brust Der unbewußten Sehnsucht Lied, So kühn gewaltig zwingt das Lied Die Trauer der beklemmten Brust. In Lebensmut erstrebt sie Lust, In Liebesflut sie Wolken zieht Und weckt in der beklemmten Brust Der hohen Freiheit kühnes Lied. Sein voller Klang Das Herz durchdrang, Das Lied sich schwang In Liebesdrang. Zu ihm, zu dem ich hin verlang, Dort über die Berge mit der Lerche, Ihm nach der Hymne zu singen dem Volk, Dem von seinen Lippen sie sollte erklingen.

O Clemens, was ist mir doch heute geschehen Sonderbares, da bringt die Großmama heute einen alten Brief vor vom Lavater, der schon drei Jahre alt ist, kurz vor seinem Tod geschrieben, der malt den Mirabeau und recht unglimpflich, und die Großmama holt die Silhouette aus dem Brief hervor, die er mitgeschickt hatte. »Beschatten Sie die Nase«, schreibt er, »diese Nase ist eine Bauernnase, die bezeichnet nicht den Helden, der die kühnsten Entwürfe beharrlich ausführt. Seine Freunde glauben, daß er die Tugend liebte, dies kann aber unmöglich mit so schwülstigen Lippen, deren Winkel so matt herabhängen, übereinstimmen, sein Auge ist zwar feurig, aber von finsterer Vermessenheit und hat einen verachtenden Blick, eine schamvergeßne Gewaltsamkeit thront auf seiner Stirne, aber keinen Heldenmut, ein Zug geht durch die ganze Physiognomie, der zwar die Karikatur des Genies markant ausspricht, nämlich Exaltation, die an Narrheit grenzt.« Und siehst Du, so hat mich die Großmama gequält, ich soll's herausfinden, worin es liege, vergeblich wollt ich sie erinnern, daß sie ja so verleumderische Ansichten über den erhabnen Charakter nicht könne gelten lassen, aber sie wollte ihres Lavaters Schwanengesang (so nannte sie diesen letzten Brief Lavaters an sie) nicht als verleumderisch gelten lassen. – Und Du predigst mir immer Pietät gegen die Großmutter! – Wo und wie soll sich das alles zusammenfinden, ohne daß heuchlerische und kleinliche Furcht sich dreinmische! Ach Clemens! vertrauend – und das heißt ganz wahr und offen sein, das verlangt, daß ich stets auch aus der Tiefe meines Herzens mich an den Tag gebe, nicht umsonst will ich alles verstanden haben, nicht umsonst hab ich meine französische Aufsätze für Herrn Lendroit als geheime Antworten, Fragen und Begeisterungen für diesen Mirabeau geschrieben, habe er meintwegen Pockengruben, die ihn bis zur Häßlichkeit entstellen, mich geht's nichts an; nicht tief genug kann ich mich in die Gruben seines tiefen Denkens alles Reinen und Hohen hineinbetten, ja in diesen Gruben möcht ich begraben sein. Du wirst antworten, daß ich ihn ja nicht verstehe – ich versteh ihn freilich nicht, wie könnt ich all die großen Beziehungen auffassen, die er durch diese grausame Revolution hindurch mit der größeren Zukunft des Volkes anknüpfte. – Aller Jammer, der seitdem hereingebrochen ist, den würde er mit starker Faust zurückgewiesen haben, soviel versteh ich doch, daß er liebte nämlich: und daher keine gehässige Gewaltsamkeit geduldet hätte. Und ich will lieber schweigen, ich bin noch so jung – und mit jedem Schritt meines Daseins stoß ich auf lauter widerwärtige Ungereimtheiten, ganz in der Stille schlag ich die Hände zusammen über alle Narrheit – ganz in der Stille bete ich zu dem, der in seinem schmerzvollen Tod noch mit allen Kräften seiner Sinne sich dem Volk zuwendete, für es zu sorgen, ja ich bete zu ihm, daß er bei mir, mit mir sein möge und mich lehren sprechen zu seiner Zeit. Denn ich auch möchte die Welt umfassen. O ich weiß, was Du sagst, Du tadelst mich. – Du sagst, ich sei überspannt, ich wolle affektieren. – Ich beweise schon darin meinen Heldenmut, auf einmal so aufrichtig meine Seele vor Dir auszusprechen? – Ja, wenn Du von offnem Vertrauen sprichst – damals auf der Hoftreppe war ich ja gar nicht aufrichtig! – ich schwieg mit meiner tieferen Seele. – Denn Du hättest sie getadelt. – Aber doppelt kann ich nicht die Wahrheit verleugnen. Wenn Du sagst, ich soll recht vertrauend gegen Dich sein, da muß der tiefste Quell meines Herzens hervorsprudeln.  –

Gestern hab ich bei Arenswald eine ganze Stunde Lektion gehabt über Elektrizität, mir flimmert's vor den Augen wie tausend elektrische Funken. Wenn Du ein Stück Papier verbrennst, dann laufen diese Funken alle durcheinander wie bei einer Revolution, als wenn sie allesamt die wichtigsten Geschäfte hätten, so geht's in meinem Kopf; wenn's nur nicht so traurig ausging, zuletzt bleibt einer nur übrig, oder zwei, das ist noch melancholischer – der läuft ganz allein durch die schwarzen verlaßnen Finsternissen; – flipps ist er weg! – Der andre dort, weg ist er. Gestern abend hab ich immer wieder ein Papier angezündet, um diesen beiden Fünkchen auf ihrem Aschenweg nachzusehen. Die alte Cordel war auf ihrem ledernen Sessel eingeschlafen, sie mußte husten vom Qualm und erwachte mit sehr schlimmem Humor, sie sperrte Laden und Fenster auf, da schien der Mond herein, mir was ganz Neues, ich hatte nicht gedacht, daß der scheinen sollte; ich lief in den Garten, der Spitz, der ist mein Geisterbanner, oder vielmehr bewacht er meine Zusammenkünfte mit den Geistern, denn weil ich die Geister nicht fürchte, wenn er bei mir ist, so ruf ich mir sie herbei und rede mit ihnen, ich würde das allein nicht wagen ohne den Spitz.

Lieber Clemens, ich hab Dir alles geschrieben, ich weiß, Du würdest zanken, wenn Du schriebst – aber Du schreibst ja nicht, du kommst ja selbst, da kannst Du nicht, mit meinem Mund geh ich Dir einen Kuß auf Deinen, in welcher Sprache kann ich gebieterischer ausrufen, halt's Maul, geliebter Bruder! O mein lieber Clemens, wie freu ich mich darauf. – Die Sonne scheint mir eben ins Bett und läßt mich nicht länger träumen von Dir. Ich kann mich mit dem Kritzlen nicht aufhalten, sieh wie das schöne Wetter mich schnöde macht.

Lieber Clemens, die Sonne ist eben wieder weg, da wollt ich gern weiterschreiben. Aber adieu Clemens, sie ist schon wieder da, es geht gleich in den Wald, da wollen wir frühstücken, ich will sehen, ob ich ein Veilchen für Dich finde, komm bald, daß es noch blüht, ich bewahr Dir's am Herzen, und wenn ich dann so redselig mit Dir bin, dann duftet Dir's aus meiner Brust.

Deine Bettine.

An Bettine.

Frankfurt.

Sei nicht traurig, liebe Bettine, daß ich nicht mehr hinauskomme, es ist besser so, mir selbst tut's leid, und es ist wahrlich keine Trägheit von mir, denn laufe ich doch gern viele Meilen um Deinetwegen, da mich nichts hier herzieht als Du, ja alles andre mich vertreibt. Es würde uns beide traurig gemacht haben, wenn ich noch zu Dir gekommen wär und hätte nichts genützt. Du bist mir immer nah, und alle meinen frohen und guten Stunden wohnst Du bei, so soll Dir auch sein, drum freue Dich und sei gut. Die Freundschaft heißt nicht zusammenhängen und zusammensitzen, Freundschaft ist groß und frei und liegt im Gedanken, für den jeder Raum gleich nah ist. Je mehr Du mir ähnlich fühlst, wo ich gut fühle, je mehr Du mir ähnlich denkst, wo ich groß und edel denke, je mehr bist Du mein Freund, je näher bist Du mir, auch liebe ich nicht Dich hier in Frankfurt noch in Offenbach zu sehen, denn wir sind dann beide durch unsre Umgebung gedrückt, und wir müßten, wenn wir nebeneinanderstehen, immer so stolz, so glücklich und so edel sein, als wir es können. Wenn ich nicht hier bin, bin ich viel besser und kann viel reiner und freudiger mit Dir umgehen.

Ich kann Dir nichts zurücklassen, und Dir nichts mehr sagen, Du weißt, was schön und gut ist, ich hab es oft in Dir gefunden, wolle es eifrig und mit Ernst; und wo Dich die Menschen drücken, so hasse sie nicht, sehe sie an wie Pflanzen, die vielleicht auch in einem Boden stehen, der ihnen nicht gerecht ist. Menschen, die sich selbst nicht kennen und nicht wissen, wo hinaus sie sollen, sind wie Pflanzen, die nicht zum Blühen kommen. Das Blühen des Menschen ist das innere Bewußtsein; dieses aber ist zugleich auch der Begriff der ganzen Menschheit, wie sie in ihren Irrungen umherschwankt, wie sie in ihrer Blindheit und krüppelhaften Verbildung oft das Beßre zurückweist oder zerstört, aber der bewußte Mensch, das heißt der Liebende, muß diese Störungen umgehen können, er muß das Zurückweisen überwinden und muß grade diese Menschen pflegen, denen so vieles mangelt, deren innerem geistigem Lebenskeim so unendlich vieles im Wege steht; er muß ihnen sein wie Dein Gärtner aus dem Boskett, den Du so liebhast, weil er ein so gesellschaftliches Leben führt mit den Blumen; vom frühen Tag an ist er in fortwährendem Verkehr mit ihnen, und noch spät in die Nacht hinein macht er sich mit ihnen zu schaffen und bringt sie alle zum Blühen, die einen durch Kühle und Schatten, die andren durch Licht und Wärme. Immer geht er um sie her und läßt sie doch in ihrer Freiheit gedeihen, sie empfinden keinen Zuchtmeister in ihm, sie schmiegen sich willig am Stab, an dem er sie in die Höhe richtet. Nun aber ist jenen Menschen, die uns oft mißverstanden haben und haben geglaubt, sie müßten unsern Umgang stören, eine solche Pflege nie geworden, wie der Gärtner Deinem Nelkenstock schenkt, der ihn begießt, wenn er Durst hat, und läßt ihn von der heißen Sonne nicht versengen, nur am Abend darf sie mit ihm spielen. – Die Tante weiß zum Beispiel von solcher Pflege nichts. Ihr hartes Schicksal bei einem ganz verwilderten Mann hat ihr das Heimliche im Lebensumgang ganz versagt, sie ist dadurch selbst weniger gefühlig geworden für das, was die Seele angeht, sie hat eine lange Zeit in ihren Jugendjahren zwar sich müssen stählen gegen diesen Mann, der wie ein grobes Ungeheuer vor der Pforte aller Lebensgenüsse lag, und hätte sie auch nur selbst im bestem Willen gewagt, ihm nahzutreten, so war das Ungeheuer gleich wach; das heißt: mit Bosheit beschlich und mit Wut überwältigte er sie, ich hab in meinen Kinderjahren oft ihn sehen halbtrunken hinter der Tür lauern mit einem Messer in der Hand. Die Tante hat damals sich so ernst zusammengenommen, daß jeder in Koblenz die größte Ehrfurcht vor ihr hegte, obschon man von der Grausamkeit des Herrn von Möhn sich leicht eine Idee machen konnte, der mit lauter Postillionen von morgens bis abends im Wirtshaus lag, ohne der Frau je zu gedenken, ein Vermögen verzettelte und verschleuderte von mehreren Millionen. Das Herz durfte dieser Tante nie aufgehen – sie mußte mit der Form alles bekämpfen, und so ist ihr auch nur die Form im Umgang mit Menschen geblieben. Hätte sie je mit sich selber Mitleid gefühlt, so wär die Festung der Konvenienz, in der sie sich verschanzt hielt, wie Schnee geschmolzen, dann war sie dem Mitleid ausgesetzt oder auch der Verachtung, beides ist gleich in gewissem Sinn und soll in allen Lagen des Lebens gemieden werden. Man soll Mitleid mit niemand haben, man soll sich vielmehr schämen, daß es so werden konnte. Der Unglückliche steht immer groß dem gegenüber, der sich im Hafen des Glückes wähnt und wohl befindet, da doch wahrscheinlich ihm die bessere Tendenz ganz ermangelt, also den Unglücklichen bemitleiden heißt dumm sein, nein, vielmehr soll man vor dem Unglücklichen sich schämen, glücklich sein zu können auf eigne Faust; sich irgendeinen Lebensgenuß aneignen zu können oder zu wollen, der nur Beraubung dessen ist, der nicht mitgenießt. Hat der Mensch irgendein Weh, so fühlt er sich krank, ist aber ein Teil der Menschheit gedrückt und bedürftig, so tanzt der übrige Teil mit einer Art Wollust ihm auf dem Kopf herum, solang er's zu tragen vermag, hat er ihn gänzlich zusammengetreten, dann fällt's ihm wohl ein, durch Mitleid die arme Seele zu kitzeln, die aber gar nicht mehr wirklich, sondern schon lange zum Gespenst geworden ist. Gespenster fühlen ein Behagen an solchem Tugendgekitzel, sie schmeicheln sich selbst, sie tragen sich auf Händen, sie haben einen faktischen Verkehr mit Gott, der aber nur Götzendienerei ist, sie belämmern alle Menschen mit ihren Anstalten der Menschenliebe; es fällt ihnen gar nicht ein, daß sie selber die bösen Schicksalsdämonen sind, deren Grausamkeit sie gerührt beweinen und der sie steuern wollen mit einem Stück englisch Pflaster, von dem sie mit der feinen englischen Schere der Mildtätigkeit Schnippelchen abschneiden, um damit den aufgesperrten Rachen der entsetzlichen Wunden zu verkleben, aus denen das warme Blut an die Erde quillt. – Ich möchte wohl aufhören, noch weiter darüber zu sagen, denn Du fühlst alles, und besser. Mitleid ist aus Verachtung geboren, und ist auch eigentlich Verachtung, und edelgeborne Menschen werden durch Mitleid sich entwürdigt fühlen, sie wollen lieber die eignen Kräfte dransetzen als vom Mitleid sich betauen lassen, und so kommt es oft, daß diese große Helden werden, die dem Mitleid ausweichen; denn natürlich liegt der Keim des Helden in ihnen. Jene andern aber, die dem Mitleid erlauben, mit Schmarotzerliebe sich an ihnen zu mästen, die werden verkümmern und menschlicher Würde untauglich sein. Gewiß ist dies eine, daß Mitleid, welches aus Verachtung entspringt, auch wieder die Quelle der Verachtung wird. Der Mildtätige hält sich hoch über dem Bedürftigen. Der Habende dünkt sich in Bildung und Streben weit über dem Nehmenden, und doch sollte er vielmehr ihn über sich stellen. Wie die Indianer, die einen Menschen, der nichts Irdisches sein nennt, für göttlich halten, dem sie ihre Gaben als Opfer darbringen und ihn bitten, ihnen nicht zu zürnen, daß sie nicht so heilig sind wie er. Was machst Du mit Deinem Gelde? – Die Geschwister sagen, Du habest nie welches, und doch wissen sie nicht, wohin es kommt.

Sei fleißig und mache, daß Dir das bürgerliche Mechanische im Leben nicht verächtlich wird, es ist die Quelle von viel Geistigem, und bestrebe Dich einer schönen Sparsamkeit. Du glaubst nicht, wie glücklich es Dich machen wird, wenn Du fortfährst den Luxus und die augenblickliche Mode zu verachten, und bloße Reinlichkeit und das Gefällige Dich reizt, Du kannst mit allem, was Du ersparst, einstens vieles Schöne und Vortreffliche erschaffen. So sollte Dir auch die Zeit sein geteilt in unschuldigem Genuß und in ernstem seelenvollem Geschäft! – Um was ich Dich aber noch bitte, sosehr ich Dich liebe, lerne schweigen, für Dich selbst bestehen, und sei in der Würdigung eines jeden gerecht. Nur was ewig gefallen oder mißfallen kann, dem ergib Dich, von dem wende Dich. Sei fleißig in Deinen Gedanken, das heißt sei lebendig im Geist, sehne Dich nach keiner andern Welt als nach jener andern, die in dieser schon lebt, für den, der sie findet, und Du wirst sie finden, denn allen Wesen, die mit einem edlen Durst nach dem Ewigen um sich blicken, denen gestaltet sich das Unsichtbare; der Geist aller Dinge erblühet in schöner Form um sie, und das ist jene bessere Welt, nach der man sich sehnt, sie ist um uns. – Die Kunst und ihr stiller einziger Tempel! ein reines unschuldiges und stolzes Herz.

Ich schicke Dir hier Moritzens »Götterlehre« und wünsche, daß Du sie mit Ruhe, ohne Mühe und mit Genuß durchlesest. Du mußt nicht drin herumhüpfen und ein Anekdotenbuch draus machen, denn diese »Götterlehre« ist eine solche andre Welt, die sich das gebildetste Volk, die Griechen, erschaffen hatten, und kann Dir selbst und Deinem Geiste nur wohltätig werden, wenn sie in Dir, in ihrer großen edlen Folge, gleichsam während dem Lesen entsteht. Du sollst besonders suchen, den Gesichtspunkt für die mythologischen Dichtungen zu begreifen, das wird Dich aus Deinem Emigrantenverhängnis hoffentlich ein bißchen ablösen. Ich will Dich in Deinen Begeisterungen ja nicht tadlen für alles, was Dein Verstand zu fassen und in Dir selber zu verdauen versucht. Weltgeschicke liegen jedem gleich nah und wirken in ihm, so wie er dadurch auch berufen ist, in ihnen zu wirken. Also studiere in Gottes Namen mit der Großmama alle fliegenden Blätter und Reden der Nationalversammlung durch, wähle Dir Deinen Helden unter ihnen, bete zu ihm und für ihn und vergiß Deinen Clemens, er wird doch Dich nicht aus den Augen lassen. Aber bedenke, daß Reife, Sachkenntnis und Neuheit ein Berg sind, der oft nur eine Maus gebärt; Du aber bist diese kleine Maus und wirst nicht ein Fädenchen an den Weltgeschicken zernagen, obschon es Dein Auge schärft zu überblicken, zu durchschauen und vielleicht auch manches zu durchdringen; und vergiß die Muse nicht über der Tonleiter der Revolutionshelden.

Schreibe mir öfter und schicke mir Deine Aufsätze dabei, auch die über die Revolution. Der letzte »Sur la Volonté de la France« war schön, und ich finde mich hinein, weil er das Allgemeine in sich enthält. Lebe wohl, und nochmals herzlich bitte ich Deine besondre Aufmerksamkeit auf Schweigen – auf für Dich selbst bestehen und innere Kraft zu wenden und recht froh und gesund zu bleiben.

Dein Clemens.

An Clemens.

Clemente! Die Sonne hat Kräuter und Sträucher in sich verliebt gemacht, sie schwellen vor Verlangen und werden ehestens in Blüte ausbrechen, eine Knospe strebt der andern vor, doch sind sie nicht eifersüchtig, so viel ihrer sind. Clemens, wenn's die Blumen tun, so will ich auch meine Liebeserklärung machen, aber wem? – Ich lege sie in Dein Herz nieder, bewahre mir sie, und wenn Du einmal auf einen hohen Berg kommst, wo man eine weite Aussicht hat, geliebter Clemens, so kannst Du sie als Denkmal unserer Eintracht stiften, aber eine weite Aussicht muß meine Liebe haben, dann übersehen wir beide alles zugleich und fühlen Übereinstimmung in allem, wenn wir auch in manchem verschieden denken, und Deine griechischen Götter und meine französischen Helden bilden eine Welt.

Du frägst mich so viel in Deinem Abschiedsschreiben, Du belehrst mich, Du zankst mich verborgen unter heimlicher Decke, und noch so viel Fragen weckst Du mir im Gewissen; – und voll ist die Brust von der Fülle, die Du mir all in Deinem Brief spendest, daß ich auch wie die Rosenknospen angeschwellt bin und möchte aufbrechen dem Licht und gar keine andre Rechenschaft mehr geben als den Duft, den gleich der Rose meine Seele aushaucht, weil Du sie wie die Sonne wärmst und reizest. – Aber doch wend ich zur einfachsten Frage mich, »was ich mit meinem Geld anfange« und gebe Dir die dummste Antwort, wo Du gleich meinen wirst, ich wär närrisch. Ich habe das Geld verschatzgräbert! – Ja Clemente, ich hab's in ein klein leinenes Beutelchen gesteckt, worauf ich mit Goldfaden und roter Seide meinen Namen gestickt hab und noch allerlei kabbalistische Zeichen; ich hab's zugesiegelt mit einem schwarzen Siegel, einem grünen und einem roten, dann hab ich ein Loch gegraben zwischen den zwei starken Wurzeln der Pappel an der Rosenwand, da hab ich's in einem ledernen Schuh hineingeschoben und einen Topf mit einem Basilikumstrauch draufgestellt, und allemal, wenn ich Geld kriegte, wechselte ich davon in Gold um, und allemal, wenn der Mond schien, ging ich mit dem Spitz hin und legte es dazu, und dabei hab ich das Gelübde getan, ich wolle es verschweigen, und weil Du mir das Schweigen so sehr anempfiehlst, so erzähle ich Dir das einzige Geheimnis, was ich hätte verschweigen können, und nun ist alles leer an Geheimnis, und ich kann also nichts mehr verschweigen! – Denn sonst – mit dem Mund bloß nicht reden, das ist's doch nicht, was Du meinst, da die Tante sich alle Mühe gibt, mir abzugewöhnen, daß ich nicht wie ein stummer Ölgötze den Leuten in den Mund gucke, die mich etwas fragen. – Ja mit meiner Schatzvergrabung, davon will ich Dir noch forterzählen, weil ich's nun doch schon gesagt hab. Ich habe dies Geld der Selene gewidmet, der Himmelsschwester des Hesperus, diese beiden sind unsre Schutzpatrone, der Stern ist der meinige als Bruder, der mich abends immer besuchte, der Mond ist der Deine, der Dein Andenken oft mit seinem Schein in mir erhellt. Nun hab ich aber dieses Opfer doch der Selene wieder geraubt, mit Zagen zwar – ich habe das Geld eilig am Abend ausgegraben und hab's über die Gartenmauer geworfen in den Garten vom Magnetiseur nebenan, ich hörte es klingeln, wie's hinabfiel, und ich rief dazu so laut, als ich konnte, ohne daß man's im Haus hätte hören können: »Da ist Reisegeld!« und dann war mir auch, als hörte ich das Geld rappeln beim Aufheben, aber ich lief fort. – Denn die Tante hatte am Tag vorher bei Tisch erzählt, der Magnetiseur möchte gern abreisen, aber es fehle ihm am Reisegeld. Aber er ist doch noch da, denn ich seh ihn alle Abend noch im Garten gehen und beobacht ihn vom Hoffenster, ich schäme mich so sehr und traue mich gar nicht mehr in den Garten, wo wir sonst als über die Wand allerlei Merkwürdiges verhandeln. Aber nun kommt was Schreckliches, was da passiert ist, mir ist's passiert. – Denk Dir, der alte Schuh, in den ich mein Geld hineingesteckt hatte, um den schönen Beutel zu schützen, war eigentlich ein neuer Schuh, sein Kompagnon stand ganz vergnügt in dem kleinen Kasten bei den andern Schuhen; ich soll abgeholt werden nach Frankfurt morgen früh, die Tante frägt, »wo ist denn der andre neue Schuh? das ist große Schlamperei von Dir, einen Schuh zu verlieren, ich muß Dich sehr bitten, strenge Dich an ihn zu finden«; ich lief in den Garten, ich holte meinen Schuh unter der Pappel hervor, ich wollte ihn ein bißchen reinigen an der Pumpe und versuchte ihm ein Ansehen zu geben, da fällt was Heraus, das glänzt in der Dämmerung, ein Ring, ich laß den Schuh stehen, ein dunkler Stein, der funkelt so nächtlich schwarz wie der Blitz des Räubers, oder wie Mirabeaus Auge vielleicht, und inwendig im Schild steht ein schwarzes M.

Wir gehen morgen auf die grüne Burg zu den Geschwistern, acht Tage bleiben wir dort, die »Götterlehre« nehm ich mit und den Ring, wo soll ich ihn lassen, ich glaub, er ist ein Talisman, ich hab schon allerlei Fragen und Befehle um Mitternacht an ihn ergehen lassen, aber der Geist ist nicht erschienen, der mir vielleicht beistehen wollte, dumme Streiche zu machen. Adieu Clemens, ich hab Melodie gemacht auf ein Lied aus dem »Sänger«.

Deine Bettine.

Liebe Schwester.

Göttingen.

Ich öffne wie eine Pflanze mein Herz und rolle alle Blätter auseinander, wenn Du herüberscheinst; Dein Brief ist mir von Marburg aus zuvorgeeilt und hat mich hier empfangen.

Ich will, daß Du so vernünftig werdest, daß alle Welt einst ihre Zuflucht zu Dir nehme und Dich hochstelle, und dann will ich Dir's wieder ablernen. Hast Du Lust, dumme Streiche zu machen, so warte, bis ich komme, und mache sie ganz heimlich mir alleine, ich kann mich an Deinem ganzen Leben ergötzen, lese brav, schreibe viel, alles was Du empfindest schreibe nieder, denn das Ausgesprochne ist lebendig wie meine Liebe zu Dir.

Weil Du nun einmal mein guter Engel bist, so mußt Du auch Dein Amt mit Treue verwalten, mein guter Engel muß immer heiter sein und meiner mit Hoffnung und Segen gedenken und auch mich strafen mit Worten und mich anmahnen in Deinen Briefen, daß ich mein Ziel nicht aus den Augen lasse, Du mußt mit Deiner Lebensfreude die meine anfachen, Du mußt meinem Enthusiasmus die Flügel lösen mit Deinem Ernst, mit Deiner Güte und Wahrheit. Willst Du das? – Sei recht fleißig und fröhlich, und ehre und achte, was Du tust. – Den Herbst besuch ich Dich, am End werd ich Dich kaum noch kennen, so wirst Du gewachsen sein, an Geist und Leib; und fröhlich, und so schön wirst Du zeichnen. – Ach Du weißt nicht, was Du mir bist? Was ich liebe, das bist Du, Du hast es also in Händen, kannst es mir hegen und pflegen. Wirst Du das? – O fasse ein recht lebendiges Interesse an allem und dringe tief ein in das, was Du lernst, nicht oberflächlich, lieb Kind, Du glaubst nicht, wie unendlich wohl es Dir tun wird, wenn Du in ein paar Jahren etwas besitzest, dem Du Dich ganz hingeben kannst; lasse Dir's daher recht angelegen sein, zeichne recht mutig, mach Dir nichts daraus, ein Bildchen fertig zu haben, sondern eine Gewalt zu haben im Geist, die Du mit Deinem Talent auszusprechen vermagst, wenn Du über das Gewöhnliche hinauskämst, ich würde glücklicher werden als Du, schicke mir Deine Melodie, schreibe mir und halte Wort und – fasle nicht mit Ring und Talisman und Mirabeau etc.

Dein Clemens.

An Clemens.

Clemente! Hättest Du das letzte nicht geschrieben, so hätte ich Dir das erste nachgesehen, daß Du mich vernünftig machen willst für die Welt – und denn am Rand, daß ich nicht faslen soll mit dem Mirabeau