Clyms Heimkehr - Thomas Hardy - E-Book

Clyms Heimkehr E-Book

Thomas Hardy.

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Beschreibung

Vor der unheimlichen Heidelandschaft Südenglands entspinnt sich eine Liebe tragischen Ausgangs: Die leidenschaftliche Eustacia Vye sehnt sich danach, der Einöde zu entfliehen, und träumt von einem Leben in den Städten. Als Clym Yeobright, der sich als Diamantenhändler in Paris niedergelassen hat, in seine Heimat zurückkehrt, um seine Mutter zu besuchen, glaubt Eustacia, endlich einen Ausweg gefunden zu haben. Zwar gelingt es ihr, Clym an sich zu binden, doch dieser hat nicht vor, seine Heimat wieder zu verlassen. Ein Wunsch, der nicht ohne Folgen bleiben wird. Eine stürmische Geschichte aus der Feder des britischen Schriftstellers Thomas Hardy, Autor des Klassikers Tess von den d'Urbervilles. – Mit einer kompakten Biographie des Autors.

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Seitenzahl: 771

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Thomas Hardy

Clyms Heimkehr

Aus dem Englischen übersetzt von Dietlinde GiloiNachwort von Willi Erzgräber

Reclam

Englischer Originaltitel: The Return of the Native

 

1989, 2021 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Covergestaltung: Anja Grimm Gestaltung

Coverabbildung: Curt Herrmann, Sophie Herz im Wiesenttal bei Pretzfeld, 1896 – akg-images

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2021

RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN978-3-15-961921-7

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-020655-3

www.reclam.de

Inhalt

Vorwort des Autors

Nachtrag

Erstes Buch: Die drei Frauen

Ein Antlitz, dem die Zeit wenig anhaben kann

Die Menschheit erscheint auf der Bühne und stört den Frieden

Ein Brauch auf dem Lande

Die Begegnung auf der Landstraße

Verwirrung unter rechtschaffenen Menschen

Die Gestalt auf der Höhe

Königin der Nacht

Jene, die dort zu finden sind, wo niemand erwartet wird

Liebe veranlasst einen scharfsichtigen Mann zur List

Ein verzweifelter Überredungsversuch

Die Unaufrichtigkeit einer aufrichtigen Frau

Zweites Buch: Die Ankunft

Neuigkeiten über den Ankömmling

Vorbereitungen in Blooms-End

Wie ein leiser Ton einen großen Traum auslöste

Eustacia ergreift die Gelegenheit zu einem Abenteuer

Im Mondschein

Die beiden stehen sich gegenüber

Ein Bund zwischen Schönheit und Seltsamkeit

Ein weiches Herz zeigt Standhaftigkeit

Drittes Buch: Die Verzauberung

»Mein Geist ist mir ein Königreich«

Der neue Kurs verursacht Enttäuschungen

Der erste Akt eines altbekannten Dramas

Einer glücklichen folgen viele traurige Stunden

Harte Worte fallen, und es folgt eine Krise

Yeobright geht, und es kommt zum Bruch

Morgen und Abend eines Tages

Eine neue Macht stört den Lauf der Dinge

Viertes Buch: Die verschlossene Tür

Das Streitgespräch am Teich

Widrigkeiten säumen seinen Weg, er jedoch singt ein Lied

Sie geht aus, um ihre Niedergeschlagenheit zu bekämpfen

Eine schwere Nötigung findet statt

Der schwere Gang über die Heide

Ein unglückliches Zusammentreffen und seine Folgen

Die tragische Begegnung zweier alter Freunde

Eustacia hört von Glück und ahnt Unheil

Fünftes Buch: Die Entdeckung

Warum gibt Gott das Licht den Mühseligen?

Grelles Licht fällt auf ein dunkles Rätsel

Eustacia kleidet sich an einem düsteren Morgen an

Die Fürsorge eines Halbvergessenen

Ein altes Spiel wird unbeabsichtigt wiederholt

Thomasin überzeugt ihren Cousin, und er schreibt einen Brief

Der Abend des 6. November

Regen, Finsternis und sorgenvolle Wanderer

Lichter und Geräusche führen die Wanderer zueinander

Sechstes Buch: Nachspiel

Der unvermeidliche Lauf der Zeit

Thomasin geht bei der Römerstraßeim Grünen spazieren

Ein ernstes Gespräch zwischen Clym und seiner Cousine

In Blooms-End kehrt wieder Fröhlichkeit ein, und Clym findet seine Berufung

Anhang

Anmerkungen

Nachwort

Zeittafel

Vorwort des Autors

Als Zeitraum für die folgenden Begebenheiten mag man die Jahre zwischen 1840 und 1850 annehmen, als das alte Seebad, das hier »Budmouth« genannt wird, sich noch so viel vom Abglanz seiner georgianischen Lebensfreude und seines Prestiges bewahrt hatte, dass es die romantische, phantasievolle Seele einer anmutigen Bewohnerin des Binnenlandes in seinen Bann zog.

Unter der allgemeinen Bezeichnung »Egdon-Heide«, die für den düsteren Schauplatz der Geschichte verwendet wird, werden wenigstens ein Dutzend Heidelandschaften verschiedenen Namens zusammengefasst. Tatsächlich sind diese in Charakter und Erscheinungsbild eins, obwohl ihre ursprüngliche Einheit heute zu einem gewissen Grad durch eingeschobene Landstreifen und -stücke, die mit mehr oder weniger Erfolg unter den Pflug gebracht oder in Waldgebiete verwandelt wurden, verborgen bleibt.

Es ist ein angenehmer Gedanke, sich vorzustellen, dass irgendeine Stelle in diesem ausgedehnten Gebiet, dessen südwestlicher Teil hier beschrieben wird, die Heide Lears, jenes legendären Königs von Wessex – King Lear – gewesen sein mag.

Juli 1895

Nachtrag

Um den nach der beschriebenen Gegend Suchenden Enttäuschungen zu ersparen, sollte hinzugefügt werden, dass, obgleich sich das Geschehen des Romans in dem mittleren, abgeschlossensten Teil der als Ganzes zusammengefassten Heidelandschaften (wie oben angemerkt) abspielt, gewisse topografische Eigenheiten, die den beschriebenen ähneln, in Wirklichkeit am Rand des Gebietes auftreten – mehrere Meilen westlich der Mitte. Es wurden aber auch noch andere charakteristische Merkmale von verschiedenen Stellen zusammengetragen.

Die erste Ausgabe dieses Romans erschien 1878 in drei Bänden.

April 1920     T. H.

  To sorrow

  I bade good morrow,

And thought to leave her far away behind;

  But cheerly, cheerly,

  She loves me dearly;

She is so constant to me, and so kind.

  I would deceive her,

  And so leave her,

But ah! she is so constant and so kind.

 

  Die Trübsal

  grüßte ich

und gedachte, sie weit hinter mir zu lassen;

  aber, Freude über Freude,

  sie liebt mich inniglich,

sie ist so beständig und freundlich zu mir.

  Ich würde sie ja überlisten

  und sie so verlassen,

aber ach! sie ist so beständig und freundlich zu mir.

Erstes Buch

Die drei Frauen

Kapitel 1

Ein Antlitz, dem die Zeit wenig anhaben kann

Ein Samstagnachmittag im November näherte sich der Stunde der Dämmerung, und das ausgedehnte Gebiet unbegrenzter Wildnis, das als die Egdon-Heide bekannt ist, fiel zusehends in tiefere Schatten. Darüber lag eine den Himmel verbergende, farblos weißliche Wolkendecke, die wie ein Zelt die ganze Heide überspannte.

Da das Firmament von diesem bleichen Schirm und die Erde von einer dunklen Vegetation bedeckt war, entstand bei ihrem Zusammentreffen am Horizont eine klare Linie. In diesem Kontrast schien die Heide die Nacht vorwegzunehmen, bevor deren astronomische Stunde gekommen war: Die Dunkelheit hatte die Heide fast völlig eingehüllt, während der Tag noch klar am Himmel stand. Nach oben blickend hätte ein Ginsterschneider seine Arbeit fortsetzen wollen, während ein Blick nach unten ihn veranlasst hätte, sein letztes Bündel zusammenzuschnüren und nach Hause zu gehen. Die fernen Ränder der Erde und des Firmaments schienen sowohl eine zeitliche als auch eine materielle Trennlinie zu bilden. Allein durch ihr charakteristisches Antlitz schien die Heide den Abend eine halbe Stunde früher eintreten zu lassen; ebenso konnte sie die Morgendämmerung verzögern, die Mittagsstunde trüben, die Finsternis der Stürme vorwegnehmen, noch bevor diese sich zusammenbrauten, und das Dunkel einer mondlosen Nacht zu furchterregendem Grauen steigern.

Tatsächlich war es genau dieser Zeitpunkt des Übergangs in die nächtliche Dunkelheit, der die großartige und eigentümliche Pracht der Egdon-Einöde sichtbar werden ließ, und man konnte von niemandem sagen, er verstehe die Heide, wenn er sie nicht zu dieser Zeit erlebt hatte. Sie war am eindringlichsten zu spüren, wenn sie nicht zu sehen war, da ihre vollständige Wirkung und Offenbarung in dieser und in den darauffolgenden Stunden bis zur nächsten Morgendämmerung beschlossen lag. Dann und nur dann erzählte sie ihre wahre Geschichte. Der Ort war in der Tat der Nacht eng verwandt, und wenn sie herannahte, konnte man zwischen ihren Schatten und seiner Szenerie eine offensichtliche Neigung zur Vereinigung wahrnehmen. Die düstere Linie der Wölbungen und Mulden schien sich zu heben, um den Abendschatten aus reiner Sympathie zu begegnen, und die Heide verströmte die Dunkelheit so geschwind, wie der Himmel sie herabgoss. So schlossen sich die Finsternis des Himmels und die des Landes zu einer schwarzen Verbrüderung zusammen, indem sich beide auf halbem Wege entgegenkamen.

Der Schauplatz war nun von einer wachen Gespanntheit erfüllt, denn wenn anderes gedankenverloren in Schlaf fiel, schien die Heide allmählich zu erwachen und zu lauschen. Jede Nacht schien ihre titanenhafte Gestalt etwas zu erwarten; aber in dieser Weise hatte sie schon so viele Jahrhunderte hindurch gewartet, über die Krisen so vieler Ereignisse hinweg, dass nur die Vorstellung übrig blieb, sie erwarte die eine, letzte Krise – den endgültigen Untergang.

Es war ein Ort, der denen, die ihn liebten, als ein Bild eigentümlicher und angenehmer Ausgeglichenheit in Erinnerung blieb. Lachende Felder voller Blumen und Früchte bewirken dies kaum, denn sie bewahren ihre vollkommene Harmonie nur durch ihren Ruf, Schöneres hervorbringen zu können, als es die Gegenwart zeigt. Die Abenddämmerung verband sich mit der Szenerie der Egdon-Heide, um etwas hervorzubringen, was majestätisch war, ohne streng zu sein, eindrucksvoll, ohne zu prahlen, nachdrücklich in ihren Warnungen und großartig in ihrer Einfachheit. Jene Eigenschaften, die häufig die Fassade eines Gefängnisses mit mehr Würde ausstatten, als es bei einem Palast von doppelter Größe der Fall ist, verliehen dieser Heide eine Erhabenheit, die an Orten, welche für Schönheit der üblichen Art berühmt sind, völlig fehlt. Gute Aussichten verbinden sich gerne mit guten Zeiten, aber ach, die Zeiten sind nicht gut! Die Menschen haben oft mehr unter dem Hohn eines für ihre geistige Verfassung zu heiteren Ortes gelitten als unter der Beklemmung einer allzu traurig gefärbten Umgebung. Die karge Egdon-Heide wandte sich an einen feineren und selteneren Instinkt, an ein erst neuerdings erworbenes Gefühl, an ein anderes als das, welches auf jene Art von Schönheit reagiert, die man als bezaubernd und hübsch bezeichnet.

Es ist tatsächlich die Frage, ob für die ausschließliche Herrschaft dieses orthodoxen Schönheitsbegriffs nicht die letzte Stunde angebrochen ist. Das neue Tempetal mag vielleicht eine dürre Einöde in Thule sein: Menschliche Seelen mögen sich in immer engerer Harmonie mit äußeren Dingen fühlen, denen eine Düsterkeit zu eigen ist, die unserem Geschlecht, als es jung war, zuwider gewesen wäre. Die Zeit scheint nahe – wenn sie nicht schon gekommen ist –, wo die keusche Erhabenheit eines Moores, eines Meeres oder eines Gebirges dasjenige in der Natur sein wird, was sich vollkommen mit der Gefühlslage des nachdenklicheren Teils der Menschheit deckt. Und am Ende mögen Orte wie Island dem Allerweltstouristen das bedeuten, was für ihn heute die Weinberge und Myrtengärten Südeuropas sind, und auf seiner hastigen Reise von den Alpen zu den Sanddünen von Scheveningen wird er vielleicht an Heidelberg und Baden achtlos vorbeieilen.

Selbst der ernsthafteste Asket konnte sicher sein, ein natürliches Recht darauf zu haben, auf der Egdon-Heide umherzuwandern. Er hielt sich innerhalb der Grenzen eines legitimen Genusses auf, wenn er sich Eindrücken wie diesen hingab. Derart gedämpfte Farben und Schönheiten standen jedem zumindest von Natur aus zu. Nur an Sommertagen, in der gehobensten Stimmung, erlangte die Heide einen gewissen Grad an Fröhlichkeit. Intensität wurde mehr durch Feierlichkeit als durch Glanz erreicht, und zu einer solchen Intensität kam es oft während der Winterdunkelheit, zur Zeit der Stürme und Nebel. Dann war die Egdon-Heide zur Entgegnung bereit, denn der Sturm war ihr Geliebter und der Wind ihr Freund. Dann wurde sie zum Schauplatz seltsamer Erscheinungen, und man empfand, dass dieser Ort das bis dahin nicht erkannte Urbild jener wilden Regionen der Finsternis war, von denen man sich undeutlich in mitternächtlichen Alpträumen umgeben fühlt, an die man aber später nie mehr denkt, bis sie durch Landschaften wie diese wiedererweckt werden.

Die Heide war gegenwärtig ein Ort, der vollkommen mit der menschlichen Natur in Einklang stand – weder schaurig, hasserfüllt, noch hässlich, weder gewöhnlich, nichtssagend, noch zahm. Sie war, wie die Menschheit, voller Entsagung und Ausdauer und gleichzeitig einzigartig imposant und geheimnisvoll in ihrer dunklen Eintönigkeit. Aus ihren Zügen schien wie bei manchen Menschen, die lange voneinander getrennt leben, Einsamkeit zu sprechen. Sie hatte ein vom Alleinsein geprägtes Antlitz, das auf tragische Möglichkeiten hindeuten mochte.

Dieses unbekannte, altmodisch und überflüssig gewordene Land ist im ersten englischen Grundbuch, dem Domesday-Buch, registriert. Seine Beschaffenheit wird dort als eine mit Heidekraut, Ginster und Dornbusch bewachsene Wildnis, »Bruaria«, bezeichnet. Danach folgt die Angabe der Längen- und Breitenausdehnung des Gebietes in alten englischen Meilen; und obwohl einige Unsicherheit über die genaue Einheit dieses alten Längenmaßes besteht, scheint sich doch die Egdon-Heide, was ihre Fläche angeht, bis zum heutigen Tag nur wenig verkleinert zu haben. »Turbaria Bruaria« – das Recht, Heidetorf zu stechen – wird dem Bezirk urkundlich zugestanden. »Von Heide- und Torfmoor überzogen«, sagt Leland über denselben dunklen Landstrich.

Dies waren wenigstens klare, handfeste Fakten bezüglich der Landschaft, weitreichende Beweise, die echte Genugtuung erzeugen. Das ungezähmte, ismaelitische Stück Land, das die Heide nun war, war sie schon immer gewesen. Die Zivilisation war ihr Feind, und schon seit Anbeginn der Vegetation hatte ihr Boden immer dasselbe altmodische Kleid getragen, das natürliche und unveränderte Gewand dieses besonderen Landstrichs. In ihrem einzigen ehrwürdigen Mantel lag ein gewisser satirischer Bezug zur menschlichen Eitelkeit in Kleiderdingen. Eine Person, die sich auf der Heide in Gewändern modernen Schnitts und modischer Farben zeigt, wirkt mehr oder weniger deplaziert. Wo die Erde so primitiv ist, scheinen wir ein Bedürfnis nach der ältesten und einfachsten Kleidung zu empfinden.

Wenn man sich zu einer Zeit wie dieser zwischen Nachmittag und Nacht auf einem Dornbuschstumpf im innersten Tal der Egdon-Heide zurücklehnte, dort, wo das Auge nichts von der Welt jenseits der Gipfel und Hänge der Heide sehen konnte, und wenn man sich dann bewusst machte, dass alles im Umkreis rundum und darunter seit prähistorischen Zeiten so unverändert geblieben war wie die Sterne am Himmel, so vermochte dies einem unbeständigen und durch das Neue bedrängten Geist Halt zu gewähren. Der großartig unberührte Ort hatte eine uralte Stetigkeit, die das Meer nicht für sich in Anspruch nehmen kann. Wer kann von irgendeinem Meer behaupten, es sei alt? Von der Sonne destilliert, vom Mond durchgeknetet, hat es sich in einem Jahr, in einem Tag, in einer Stunde erneuert. Das Meer änderte sich, die Felder änderten sich, die Flüsse, die Dörfer und die Menschen änderten sich, doch die Egdon-Heide blieb sich gleich. Ihre Oberfläche war weder so steil, dass sie durch Witterungseinflüsse zerstört werden, noch so flach, dass sie das Opfer von Überschwemmungen und Ablagerungen werden konnte. Mit Ausnahme einer alten Straße und eines noch älteren Hünengrabs – von dem gleich die Rede sein wird –, die sich beide durch ihr langes Fortbestehen schon fast in natürliche Produkte verwandelt hatten, waren selbst geringfügige Unregelmäßigkeiten nicht durch Spitzhacke, Spaten oder Pflug verursacht, sondern von der letzten geologischen Veränderung als deren Abdrücke zurückgeblieben.

Die zuvor erwähnte Straße durchquerte die Niederungen der Heide von einem Horizont zum anderen. In vielen Abschnitten ihres Verlaufs folgte sie einem alten Weg, der von der großen Weststraße der Römer, der nahen Via Iceniana oder Ikenild-Straße, abzweigte. An dem fraglichen Abend hätte man bemerken können, dass, obwohl die Dunkelheit die unbedeutenderen Merkmale der Heide bereits verwischte, die weiße Oberfläche der Straße fast so klar und deutlich wie eh und je zu erkennen war.

Kapitel 2

Die Menschheit erscheint auf der Bühne und stört den Frieden

Ein alter Mann ging die Straße entlang. Sein Kopf glich einem schneebedeckten Berg, seine Schultern waren gebeugt, und er machte im Ganzen einen etwas heruntergekommenen Eindruck. Er trug einen speckigen Hut, einen uralten Bootsmantel und ebensolche Schuhe. Die Messingknöpfe seines Mantels waren mit einem Anker verziert. In der Hand hatte er einen mit einem Silberknauf versehenen Spazierstock, den er regelrecht als drittes Bein benutzte, indem er in kurzen Abständen immer wieder seine Spitze in den Boden stieß. Man hätte vermuten können, dass er zu seiner Zeit so etwas wie ein Marineoffizier gewesen war.

Vor ihm erstreckte sich die lange, mühselige Straße, trocken, leer und weiß. Sie war zu beiden Seiten der Heide ziemlich offen und trennte diese unermessliche dunkle Fläche, wie ein Scheitel einen dunklen Haarschopf teilt. Gegen den fernen Horizont hin wurde sie immer schmaler, um sich dann in einer Biegung zu verlieren.

Der alte Mann schaute des Öfteren aufmerksam nach vorn, um die Strecke abzuschätzen, die er noch zu bewältigen hatte. Schließlich machte er in weiter Ferne einen sich bewegenden Punkt aus, der ein Fahrzeug zu sein schien, das sich in der gleichen Richtung wie er bewegte. Dies war der einzige Funken Leben weit und breit, und er trug lediglich dazu bei, die allgemeine Einsamkeit noch zu verstärken. Das Gefährt bewegte sich nur langsam, und der alte Mann holte den Abstand merklich auf.

Beim Näherkommen sah er, dass es sich um einen gewöhnlichen gefederten Planwagen handelte, der allerdings eine ungewöhnliche Farbe hatte: Er war von grellem Rot. Der Fuhrmann ging nebenher, und auch er war, wie sein Wagen, vollständig rot. Eine einzige Farbschicht bedeckte seine Kleidung, die Mütze auf seinem Kopf, ebenso seine Stiefel, sein Gesicht und seine Hände. Er war nicht etwa nur zeitweise mit dieser Farbe bedeckt, nein, er war von ihr durchdrungen.

Der alte Mann wusste, was dies zu bedeuten hatte. Der Fuhrmann mit seinem Wagen war ein Rötelmann, – jemand, dessen Beruf es ist, die Bauern mit Rötel zum Markieren ihrer Schafe zu versorgen. Er gehörte einer Berufsgruppe an, die in Wessex zusehends ausstarb, und nahm somit jetzt in der ländlichen Welt den Platz ein, den die Vogelart der Dronte während des letzten Jahrhunderts im Tierreich innehatte. So stellte er eine sonderbare, interessante und fast verloren gegangene Verbindung dar zwischen überholten Lebensformen und solchen, die im Allgemeinen überdauern.

Der heruntergekommene Offizier kam Schritt für Schritt näher, gesellte sich schließlich seinem Weggenossen zu und wünschte ihm einen guten Abend. Der Rötelmann wandte den Kopf und erwiderte den Gruß in traurigem, abwesendem Ton. Er war jung, und wenn man ihn auch nicht gerade als schön bezeichnen konnte, so kam er doch diesem Begriff so nahe, dass wohl niemand einer solchen Feststellung widersprochen hätte, besonders, wenn sein Gesicht in seiner natürlichen Farbe zur Beurteilung gestanden hätte. Sein Auge, das sich ob der Farbe so seltsam ausnahm, war in sich schön, kühn wie das eines Raubvogels und blau wie herbstlicher Dunst. Er trug weder einen Backenbart noch einen Schnurrbart, ein Umstand, der die sanften Formen seiner unteren Gesichtshälfte angenehm zur Geltung brachte. Seine Lippen waren schmal, und obgleich es schien, als seien sie im Nachdenken aufeinandergepresst, konnte man doch ab und zu ein gewinnendes Zucken um seine Mundwinkel beobachten. Seine Kleidung bestand aus einem eng anliegenden Kordsamtanzug von bester Qualität, der wenig getragen und für seinen Zweck gut gewählt zu sein schien, jedoch seiner ursprünglichen Farbe durch den Beruf seines Trägers beraubt war. Auch brachte er dessen ansprechende Gestalt vorteilhaft zur Geltung. Ein gewisser Anschein von Wohlhabenheit ließ ihn trotz seines Standes nicht arm wirken. Die zwangsläufige Überlegung eines Beobachters wäre wohl die gewesen, warum ein so vielversprechendes Wesen wie dieses sein einnehmendes Äußeres durch die Wahl eines solch ausgefallenen Berufs verberge.

Nachdem er den Gruß des alten Mannes erwidert hatte, war er offenbar nicht geneigt, eine Unterhaltung zu beginnen, obwohl sie nebeneinanderher gingen und der Ältere Gesellschaft zu suchen schien. Es war nichts zu vernehmen als der sanft brausende Wind, der über die Graslandschaft ringsumher strich, das Knirschen der Räder, die Schritte der beiden Männer und das Stampfen der beiden zottigen Ponys, die den Planwagen zogen. Es waren kleine, zähe Tiere, wie sie zwischen Galloway und Exmoor vorkommen und die als »Heidemäher« bekannt sind.

Während sie nun gemeinsam ihren Weg fortsetzten, entfernte sich der Rötelmann gelegentlich von der Seite seines Begleiters, um hinter den Wagen zu gehen und durch das kleine Fenster ins Innere zu schauen. Jedes Mal war seine Miene besorgt. Dann kehrte er zu dem alten Mann zurück, der darauf eine weitere Bemerkung über den Zustand des Landes machte, auf die der Rötelmann seinerseits nur unbestimmt antwortete, worauf sie wieder in Schweigen verfielen.

Dies schien keinen von beiden zu stören. In jenen einsamen Gegenden trotten Weggenossen oft meilenweit ohne ein Wort nebeneinanderher: Allein das Beisammenbleiben kommt dort einer schweigsamen Unterhaltung gleich, die, anders als in den Städten, beim geringsten Anlass beendet werden kann, wo aber das Nichtbeenden solcher Zweisamkeit in sich schon menschlichen Umgang bedeutet.

Wahrscheinlich hätten die beiden bis zu ihrer Trennung auch nicht mehr miteinander gesprochen, wäre der Rötelmann nicht immer wieder zu seinem Wagen zurückgegangen. Als er das fünfte Mal zurückkam, sagte der alte Mann:

»Habt Ihr außer Eurer Ladung noch etwas anderes da drinnen?«

»Ja.«

»Jemand, um den man sich kümmern muss?«

»Ja.«

Nicht lange danach hörte man aus dem Innern des Wagens einen unterdrückten Schrei. Der Rötelmann hastete nach hinten, schaute hinein und kam wieder zurück.

»Habt Ihr ein Kind da drinnen, guter Mann?«

»Nein, Sir, es ist eine Frau.«

»Ei, der Teufel! Warum hat sie aufgeschrien?«

»Ach, sie ist eingeschlafen, und da sie das Reisen nicht gewohnt ist, fühlt sie sich nicht wohl und hat schlechte Träume.

»Eine junge Frau?«

»Ja, eine junge Frau.«

»Das hätte mich vor vierzig Jahren interessiert. Ist sie vielleicht Eure Frau?«

»Meine Frau!«, sagte der andere bitter. »Über einen wie mich ist sie hoch erhaben. Aber es gibt keinen Grund, warum ich Euch das erzählen sollte.«

»Das ist wahr. Und es gibt auch keinen Grund, warum Ihr es nicht erzählen solltet. Wie kann ich Euch oder ihr schon schaden?«

Der Rötelmann sah dem alten Mann ins Gesicht.

»Nun«, sagte er schließlich, »ich kenne sie von früher, obwohl es vielleicht besser gewesen wäre, ich hätte sie nie gekannt. Sie bedeutet mir nichts, und ich bedeute ihr auch nichts. Außerdem wäre sie nicht in meinem Wagen gereist, hätte es dort ein besseres Gefährt zu ihrer Beförderung gegeben.«

»Wo, wenn ich fragen darf?«

»In Anglebury.«

»Ich kenne den Ort gut. Was hat sie dort gemacht?«

»Ach, nicht viel – nichts, worüber man plaudern könnte. Wie dem auch sei, sie ist jetzt todmüde, und es geht ihr gar nicht gut, und deshalb ist sie so unruhig. Vor einer Stunde ist sie eingeschlafen, das wird ihr guttun.«

»Sicher ein hübsches Mädchen?«

»Das kann man wohl sagen.«

Der andere Reisende schaute interessiert in Richtung des Fensters und sagte, ohne seine Augen abzuwenden: »Ich nehme an, ich darf sie mir mal ansehen?«

»Nein«, sagte der Rötelmann brüsk. »Es ist schon zu dunkel, um noch viel von ihr zu sehen, außerdem habe ich kein Recht, Euch dies zu erlauben. Gott sei Dank schläft sie nun so gut. Ich hoffe, sie wacht nicht auf, bevor sie zu Hause ist.«

»Wer ist sie? Ist sie hier aus der Umgebung?«

»Entschuldigt bitte, aber es spielt keine Rolle, wer sie ist.«

»Es ist doch nicht das Mädchen aus Blooms-End, über das in letzter Zeit mehr oder weniger viel geredet wurde? Wenn ja, dann kenne ich sie, und ich kann mir vorstellen, was geschehen ist.«

»Es spielt keine Rolle … Nun, mein Herr, es tut mir leid, aber ich muss mich jetzt bald von Euch trennen. Meine Ponys sind müde, und da ich noch weiter muss, lasse ich sie für eine Stunde hier an dieser Böschung ausruhen.«

Der ältere Wanderer nickte gleichmütig mit dem Kopf, und der Rötelmann lenkte Pferdchen und Wagen beiseite aufs Gras und sagte »Gute Nacht«. Der alte Mann wünschte ebenfalls eine gute Nacht und setzte seinen Weg fort.

Der Rötelmann folgte der Gestalt mit den Augen, bis sie sich zu einem Fleck auf der Straße verkleinert hatte und von dem sich verdichtenden Schleier der Nacht aufgesogen wurde. Dann nahm er etwas Heu von einem Bündel, das unter dem Wagen befestigt war, und machte, nachdem er den Pferden etwas davon vorgeworfen hatte, mit dem übrigen Heu ein Lager auf dem Boden neben seinem Gefährt zurecht. Dann setzte er sich nieder und lehnte sich mit dem Rücken gegen das Rad. Vom Innern des Wagens drang ein sanftes Atmen an sein Ohr. Dies schien ihn zu befriedigen, und er blickte nachdenklich über die Landschaft, als überlegte er, was als Nächstes zu unternehmen sei.

Dinge bedächtig und in kleinen Schritten zu tun, schien in der Tat zu dieser Dämmerstunde in den Egdon-Tälern angebracht, denn die Heide selbst war von dieser zögernden und unsicher schwankenden Beschaffenheit. Dem Ort war eine Ruhe eigen, die jedoch nicht die Ruhe des Stillstands, sondern anscheinend die einer unglaublichen Langsamkeit war. Ein Ausdruck gesunden Lebens, die der Starre des Todes so sehr ähnelt, ist in sich ein auffallendes Phänomen. Ein Zustand, der die Trägheit der Wüste und zugleich eine lebendige Kraft verkörpert, die der grünen Flur, ja selbst dem Wald verwandt ist, rief in jenen, die sich dies bewusst machten, eine Aufmerksamkeit wach, wie sie gewöhnlich durch Zurückhaltung und Verschlossenheit erzeugt wird.

Die Szenerie, die sich dem Rötelmann darbot, bestand aus einer Folge von langsam ansteigenden Erhebungen, die sich von der Straße aus ins Innere der Heide erstreckten. Sie umfasste kleine Hügel und Täler, hintereinander gelagerte Anhöhen und Hänge, bis zuletzt ein hoher Berg, der sich deutlich gegen den noch lichten Himmel abhob, allem ein Ende setzte. Das Auge des Reisenden schweifte für eine Weile über all dies hin und blieb schließlich an etwas Bemerkenswertem dort oben hängen. Es war ein Hünengrab. Dieser sich gewichtig über die natürliche Bodenfläche erhebende Erdhügel beherrschte die höchste Stelle der einsamsten Höhe in der ganzen Heide. Obgleich er vom Tal aus nur wie eine Warze auf der Stirn des Atlas aussah, war er in Wirklichkeit von erheblichem Umfang. Er bildete den Pol und die Achse dieser Heidewelt.

Beim eingehenderen Betrachten des Erdhügels wurde der ruhende Mann gewahr, dass dessen Spitze, die bislang rundum die höchste Erhebung gewesen war, von etwas noch Höherem überragt wurde. Es war etwas, das wie die Spitze einer Pickelhaube das Halbrund des Hügels überragte. Ein phantasiebegabter Fremder hätte wohl instinktiv angenommen, dies sei einer der Kelten, die jene Hügel einst errichtet hatten, so weit entrückt von der heutigen Zeit schien die Szenerie zu sein. Es mochte einer ihrer letzten sein, der nach einem gedankenversunkenen Blick mit den übrigen seines Geschlechts in die ewige Nacht entschwand.

Da stand sie, die Gestalt, bewegungslos wie der Hügel unter ihr. Über der Ebene erhob sich der Berg, über dem Berg erhob sich das Hünengrab, und über dem Erdhügel erhob sich die Gestalt. Über ihr befand sich nichts als das weite Himmelsrund.

Die Gestalt gab der dunklen Ansammlung von Hügeln eine solch makellose, feine und folgerichtige Vollendung, dass sie den Umrissen ihre einzig erkennbare Rechtfertigung zu verleihen schien. Ohne sie war da nur eine Kuppel ohne Türmchen, mit ihr wurden die architektonischen Erfordernisse des Ganzen befriedigt. Es war ein seltsam homogener Anblick: Das Tal, die Hügel und das Grab bildeten zusammen mit der Gestalt eine vollkommene Einheit. Betrachtete man diesen oder jenen Teil der Szene, sah man nicht das vollkommene Ganze, sondern nur ein Stück davon.

Die Gestalt war so sehr ein organischer Bestandteil des gesamten bewegungslosen Gebildes, dass es einem seltsam erschienen wäre, hätte sie sich bewegt. Da Bewegungslosigkeit das Hauptmerkmal jenes Ganzen darstellte, von dem die Person ein Teil war, hätte es Unordnung bedeutet, auch nur einem Teil von ihm seine Bewegungslosigkeit zu nehmen.

Doch eben dies geschah. Die Gestalt gab deutlich sichtbar ihre starre Haltung auf, tat ein, zwei Schritte und drehte sich dann um. Als sei sie durch etwas erschreckt, glitt sie, wie wenn ein Wassertropfen in eine Blütenknospe rinnt, auf der rechten Seite des Hügels hinunter und verschwand. Die Bewegung ließ hinreichend erkennen, dass es sich um eine Frau handelte.

Nun wurde auch der Grund für ihre plötzliche Vertreibung offenbar. Indem sie zur rechten Seite hin den Augen entschwand, hob sich auf der linken ein mit einem Bündel beladener Neuankömmling gegen den Himmel ab, bestieg das Hünengrab und legte sein Bündel darauf nieder. Ein zweiter folgte, danach ein dritter, vierter und fünfter, und schließlich war der ganze Hügel mit beladenen Gestalten bevölkert.

Das Einzige, was man dieser sich vor dem Horizont abspielenden Pantomime von Silhouetten entnehmen konnte, war, dass die Frau zu den Gestalten, die ihre Stelle eingenommen hatten, in keinerlei Beziehung stand, ja, dass sie sie bewusst mied und aus anderen Gründen als diese hierhergekommen war. Die Phantasie des Beobachters beschäftigte sich vorzugsweise mit jener entschwundenen, einzelnen, einsamen Gestalt, die ihm fesselnder, wichtiger, eher mit einer wissenswerten Vergangenheit ausgestattet zu sein schien als die Neuankömmlinge, die er nun unbewusst als Störenfriede betrachtete. Aber sie blieben und richteten sich dort ein, und es schien unwahrscheinlich, dass die einsame Person, die zuvor Königin der Einöde gewesen war, alsbald wieder zurückkehren würde.

Kapitel 3

Ein Brauch auf dem Lande

Ein Beobachter in unmittelbarer Nähe des Hünengrabes hätte indessen feststellen können, dass es sich bei diesen Gestalten um Knaben und Männer der umliegenden Ortschaften handelte. Jeder von ihnen war bei seinem Aufstieg zum Hügel mit Ginsterreisig schwer beladen, welches er mittels eines an beiden Enden zugespitzten Steckens, der sich somit zum Aufspießen gut eignete, über der Schulter trug. Jeweils zwei von ihnen gingen vorn, und zwei folgten nach. Sie kamen aus einem etwa eine Viertelmeile entfernten Teil der Heide, wo fast ausschließlich Ginster wuchs.

Jeder von ihnen war durch diese Art des Ginstertragens von dem Reisig derart eingehüllt, dass er, bevor er seine Last abgeworfen hatte, einem Busch mit Beinen glich. Die Gesellschaft war in einem Aufmarsch herangezogen, der dem einer Schafherde nicht unähnlich war, und wie dort kamen die Stärksten zuerst, und die Schwachen und Jungen folgten hinterdrein.

Man legte die Reisigbündel alle zusammen auf einen Haufen, und nun wurde die Spitze der Erhebung, welche in der Gegend als »Regenhügel« bekannt war, von einer Ginsterpyramide mit einem Umfang von etwa dreißig Fuß eingenommen. Einige hantierten mit Streichhölzern herum und suchten die trockensten Ginsterbüschel heraus, andere lösten die Dornbuschruten, mit denen der Ginster zusammengehalten war. Wieder andere ließen unterdessen von hoch oben herab ihren Blick über die unendliche Weite des Landes schweifen, das nun fast gänzlich vom Dunkel ausgelöscht schien. Von den Tälern der Heide aus war zu jeder Tageszeit nichts anderes als ihre eigene wilde Landschaft sichtbar; diese Höhe jedoch gab den Blick auf einen vielfach über die eigentliche Heide hinausreichenden, weit entfernteren Horizont frei. Nichts davon war jetzt mehr zu sehen, aber das Ganze erweckte das Gefühl einer undeutlichen, ausgedehnten Ferne.

Während die Männer und jungen Burschen den Ginster zu einem Stoß aufschichteten, ging mit den dunklen Schatten, die die entferntere Landschaft andeuteten, eine Veränderung vor sich. Rote Sonnen und Feuerscheine leuchteten hier und da auf und sprenkelten nach und nach das ganze Land. Es waren die Feuer anderer Gemeinden und Ortschaften, die sich anschickten, dieselbe Feier zu begehen. Einige waren weit entfernt und standen wie in Nebel gehüllt, so dass blasse, strohähnliche Strahlenbündel sie wie ein Fächer umgaben. Andere waren groß und nah und glühten inmitten der Dunkelheit scharlachrot wie Wunden auf einem schwarzen Fell. Einige sahen aus wie Mänaden mit vom Wein geröteten Gesichtern und wehendem Haar. All dies gab dem schweigenden Wolkenmeer über ihnen einen sanften Schimmer und ließ seine flüchtigen Buchten aufleuchten, welche dadurch brühheiße Kessel zu werden schienen. Man konnte etwa dreißig Feuer innerhalb der Grenzen des Bezirks zählen, und so, wie man auf dem Zifferblatt einer Uhr die Stunde angeben kann, auch wenn die Zahlen selbst nicht erkennbar sind, so konnten die Männer den Standort jeden Feuers durch Winkel und Richtung ausmachen, obwohl nichts von der Landschaft zu sehen war.

Als vom Regenhügel die erste große Flamme gen Himmel sprang, wurden die Augen aller, die zuvor auf die entfernten Feuer gerichtet waren, vom eigenen Versuch in derselben Sache in Bann geschlagen. Die muntere Flamme erleuchtete blitzartig den inneren Teil des Menschenkreises, der nun durch weitere sowohl männliche als auch weibliche Schaulustige vergrößert wurde, und hüllte die Anwesenden in ihre eigene goldene Tracht. Selbst das Erdreich ringsum bekam einen lebendigen Schimmer, der sich erst dort verlor, wo der Grabhügel nach den Seiten hin abfiel. Dadurch erschien er als ein Kugelsegment, so vollkommen wie am Tage seiner Entstehung. Sogar die kleine Vertiefung, wo die Erde ausgehoben worden war, wurde sichtbar. Kein Pflug hatte jemals auch nur ein Körnchen dieser spröden Erde berührt. In der Unfruchtbarkeit der Heide für den Bauern bestand ihre Ergiebigkeit für den Historiker. Nichts war verloren gegangen, weil nichts kultiviert worden war.

Es schien, als stünden diejenigen, die das Feuer entzündet hatten, in einem leuchtenden oberen Stockwerk der Welt, als seien sie von der dunklen Fläche darunter völlig losgelöst. Die Heidelandschaft war jetzt ein unendlicher Abgrund, nicht mehr das, worauf sie standen, denn die Augen, die sich an die strahlende Helle gewöhnt hatten, konnten nichts jenseits ihrer Reichweite wahrnehmen. Zwar kam es auch hin und wieder vor, dass ein kräftigeres Aufflackern der Reiser einen gezielten Strahl wie einen Adjutanten die Abhänge hinunter und zu dem einen oder anderen Busch, Sumpf oder weißen Sandflecken aussandte und jene in einem Widerschein derselben Farbe erglühen ließ – danach aber fiel alles wieder ins Dunkel zurück. Dann stellte sich die gesamte schwarze Erscheinung als Vorhölle dar, wie sie der erhabene Florentiner in seiner Vision vom Rande aus erblickt hatte, und die unterdrückten Laute des Windes in den Schluchten klangen wie die Klagen und Bitten der »Seelen der Mächtigen«, die darin schwebend gefangen waren.

Es schien, als seien die Männer und Burschen plötzlich in vergangene Jahrhunderte getaucht und holten von dort eine einst mit diesem Ort verbundene Stunde und Handlung herauf. Die Asche des ursprünglichen britischen Scheiterhaufens, der auf diesem Gipfel brannte, lag frisch und unangetastet in dem Grab zu ihren Füßen. Die Flammen früherer Scheiterhaufen, die einst hier züngelten, hatten weit hinunter ins Tal geleuchtet, genau so, wie diese Feuer es heute taten. Freudenfeuer zu Ehren Thors und Wotans hatten zu ihrer Zeit an derselben Stelle stattgefunden. Tatsächlich ist sehr wohl bekannt, dass solche Feuer, an denen die Männer der Heide jetzt ihre Freude hatten, unmittelbar auf Druidenriten und auch angelsächsische Zeremonien zurückgehen und nicht erst als Erinnerung an die »Pulververschwörung« volkstümlich geworden sind.

Überdies ist das Anzünden eines Feuers ein instinktiver und Widerstand leistender Akt des Menschen, wenn mit dem Einbruch des Winters die Sperrstunde der Natur ausgerufen wird. Es kündigt eine spontane, prometheische Rebellion gegen den Urteilsspruch an, dass diese nun wiederkehrende Jahreszeit widerwärtige Stunden, kalte Dunkelheit, Elend und Tod bringen wird. Das schwarze Chaos naht, und die gefesselten Götter der Erde sagen: »Es werde Licht.«

Das grelle Licht und die rußig schwarzen Schatten, die auf den Gesichtern und Kleidern der Menschen ringsum einander abwechselten, ließen ihre Gesichtszüge und Umrisse wie mit dem kraftvollen Schwung Dürers gezeichnet erscheinen. Doch war es unmöglich, den Ausdruck des Charakters in den einzelnen Gesichtern zu erkennen, denn so wie die flinken Flammen emporschlugen, sich wieder neigten und durch die Luft ringsum wieder abstürzten, so wechselten sich Schattenflecken und Lichtreflexe fortwährend auf den Gesichtern ab. Alles war gleitend, zitternd wie Espenlaub und rasch dahinfahrend wie ein Blitz. Umschattete Augenhöhlen, tiefliegend wie bei einem Totenkopf, erstrahlten in plötzlichem Glanz, eben noch hohle Wangen leuchteten auf; Runzeln im Gesicht wurden zu Gräben oder verschwanden völlig durch einen sich ändernden Strahl. Nasenlöcher wurden zu dunklen Brunnen, Sehnenstränge eines alten Halses leuchteten auf wie Goldleisten, Dinge ohne jeden Glanz erstrahlten. Helle Gegenstände, wie zum Beispiel die Spitze eines Ginsterhakens, den einer der Männer bei sich trug, schienen wie aus Glas, und Augäpfel schimmerten wie kleine Laternen. Diejenigen, denen die Natur nur eine bescheidene Erscheinung zugedacht hatte, wurden zu grotesken Gestalten, und die grotesken wurden zu unnatürlichen Wesen, denn alles wuchs ins Übermaß.

Daher mag es auch sein, dass das Gesicht eines alten Mannes, der wie andere von den auflodernden Flammen zu den Höhen gelockt worden war, in Wirklichkeit nicht nur, wie es schien, aus Nase und Kinn bestand, sondern ein gutes Maß menschlicher Züge trug. Er stand da, mit sich und der Welt zufrieden, und sonnte sich in der Hitze. Mit einem Stock scharrte er die außerhalb liegenden Teile des Brennmaterials wieder ins Feuer zurück, schaute in den Holzstoß hinein und schätzte gelegentlich die Höhe der Flammen ab oder verfolgte mit den Augen die großen Funken, die hier und da aufstoben und im Dunkel verschwanden. Das strahlende Licht und die durchdringende Wärme schienen ihn mit wachsender Freude zu erfüllen, die sich bald zu einem Ergötzen steigerte. Mit dem Stock in der Hand begann er ganz für sich ein Menuett zu tanzen, wobei etliche glänzende Kupfersiegel, die wie Pendel hin und her schwangen, unter seinem Rock sichtbar wurden. Und er begann mit einer Stimme, die der einer Biene im Rauchfang glich, zu singen:

The King called down his nobles all,

 By one, by two, by three;

Earl Marshal, I’ll go shrive the queen,

 And thou shalt wend with me.

 

A boon, a boon, quoth Earl Marshal,

 And fell on his bendded knee,

That whatsoever the queen shall say,

 No harm thereof may be.

Eine plötzliche Atemnot verhinderte die Fortsetzung des Gesangs, und das Verstummen zog die Aufmerksamkeit eines stattlichen Mittvierzigers auf sich, der die Winkel seines halbmondförmigen Mundes fest in die Wangen einsog, so als wolle er jeden Verdacht einer Heiterkeit, die versehentlich über ihn gekommen sei, vermeiden.

»Ein schöner Vers, Großpapa Cantle, aber ich fürchte, das ist zu viel für den rostigen Kehlkopf eines alten Mannes wie Ihr«, sagte er zu dem runzligen Nachtschwärmer. »Wär’s nicht schön, wieder dreimal sechse zu sein, so wie Ihr’s wart, als Ihr das Lied gelernt habt?«

»Was?«, sagte Großpapa Cantle und hörte auf zu tanzen.

»Möcht’ Ihr nicht wieder jung sein, hab ich gesagt. Ihr habt wohl inzwischen ein Loch in Eurem alten Blasebalg, scheint mir.«

»Aber es steckt doch noch was in mir? Wenn ich das bisschen Luft nicht mehr so kräftig aus mir herausbrächt, würd ich auch nicht jünger wirken als die meisten alten Männer, was, Timothy?«

»Und was ist denn mit den jung verheirateten Leuten unten im Gasthof ›Zur Stillen Frau‹?«, fragte der andere und zeigte auf ein schwaches Licht in Richtung der fernen Landstraße, welches aber ziemlich weit entfernt war von der Stelle, wo der Rötelmann zur gleichen Zeit ausruhte. »Wie steht’s denn nun mit denen? Ihr müsstet das doch wissen, wo Ihr ein so verständiger Mann seid.«

»Aber ein bisschen wüst, was? Das geb ich zu. Master Cantle ist so, oder er wär nicht Master Cantle. Aber das ist eine Lebenslust, die das Alter kuriert, Nachbar Fairway.«

»Ich hab gehört, dass sie heute Abend heimkommen. Sie müssten jetzt schon zurück sein. Was gibt’s sonst?«

»Dann sollten wir wohl als Nächstes hingehen und ihnen Glück wünschen?«

»Hm – nein.«

»Nicht? Ich hab gedacht, das müssten wir. Ich jedenfalls muss hingehen, das bin ich mir schuldig – wo ich bei jedem Spaß doch der Erste bin!«

Do thou put on a friar’s coat,

 And I’ll put on another,

And we will to Queen Eleanor go,

 Like Friar and his brother.

»Gestern Abend hab ich Mrs Yeobright, die Tante der jungen Braut, getroffen, und sie erzählte mir, dass ihr Sohn Clym zu Weihnachten nach Hause kommt. Ein kluger Kopf, glaub ich. Ich wollt, ich hätt all das, was unter seinem Schopf steckt. Na ja, jedenfalls sprach ich mit ihr in meiner bekannten fröhlichen Manier, und da sagte sie doch: ›Dass jemand von so edlem Wuchs wie ein Dummkopf reden muss!‹ – das hat sie zu mir gesagt. Ich mach mir nichts aus ihr, ich wär ja blöd, wenn’s anders wär, und das hab ich ihr dann gesagt. ›Ich wär ja blöd, wenn ich mich für Euch interessieren würd‹, sagte ich. Damit hab ich ihr’s aber gegeben, was?«

»Ich meine eher, sie hat’s Euch gegeben«, sagte Fairway.

»Nein«, sagte Großpapa Cantle und verzog etwas seine Miene. »So schlecht steht’s doch nicht mit mir?«

»Es scheint aber so. Wie auch immer – kommt Clym wegen der Hochzeit an Weihnachten nach Hause? Vielleicht um die Dinge neu zu regeln, da seine Mutter jetzt im Haus allein zurückbleibt?«

»Ja, ja – das wird’s wohl sein. Aber Timothy, hör doch mal«, sagte Großpapa Cantle ernsthaft, »wenn ich auch als Spaßvogel bekannt bin, kann ich doch ein vernünftiger Mann sein, wenn ich will, und jetzt bin ich ernst. Ich kann dir ne Menge über das Hochzeitspaar erzählen. Ja, heute Morgen um sechs zogen sie los, um die Sache zu erledigen, und seitdem hat man keine Spur mehr von ihnen gesehen, obwohl ich glaube, dass sie am Nachmittag wieder zurückgekommen sind – als Mann und Weib, vielmehr als Eheweib. Hab ich nicht wie ein Mann gesprochen, Timothy, und hat mich Mrs Yeobright nicht doch falsch eingeschätzt?«

»Ja, ist ja gut. Ich wusste gar nicht, dass die beiden zusammen gingen, bis vergangenen Herbst, als ihre Tante bei der Hochzeit Einspruch erhoben hat. Wie lange geht das denn schon wieder? Weißt du’s, Humphrey?«

»Ja, wie lange«, sagte Großpapa Cantle geschickt, indem er sich ebenfalls Humphrey zuwandte, »das ist meine Frage.«

»Seit die Tante ihre Meinung geändert hat und sagte, Thomasin könnte den Mann in Gottes Namen haben«, sagte Humphrey, ohne seine Augen vom Feuer abzuwenden. Er war ein etwas ernster junger Bursche und hatte das Gerät und die Lederhandschuhe des Ginsterschneiders bei sich; seine Beine steckten, wie es diese Beschäftigung erfordert, in ausladenden Beinschützern, die so steif wie Goliaths Beinschienen aus Messing waren. »Deshalb gingen sie fort, um zu heiraten, nehm ich an. Nachdem sie ein solches Theater gemacht und gegen das Heiratsaufgebot Einspruch erhoben hatte, hätt’s doch für Mrs Yeobright ziemlich dumm ausgesehen, wenn man jetzt in derselben Gemeinde eine fröhliche Hochzeit halten würd, so als ob sie nie dagegen gesprochen hätt.«

»Genau – das hätt recht dumm ausgesehen; und es ist schlimm für die armen Dinger, dass es so ist, obwohl ich mir das nur so denke, jedenfalls …«, sagte Großpapa Cantle, während er weiter angestrengt versuchte, einen vernünftigen Eindruck zu machen.

»Ach ja, ich war an dem Tag damals in der Kirche«, sagte Fairway, »und das war an sich schon sehr ungewöhnlich.«

»Wenn es das nicht war, dann will ich Simpel heißen«, sagte Großpapa Cantle nachdrücklich, »ich war das ganze Jahr noch nicht dort, und jetzt, wo der Winter kommt, wird es damit wohl erst recht nichts mehr werden.«

»Ich bin die letzten drei Jahr nit dort g’wesen«, sagte Humphrey, »weil ich auf’n Sonntag todmüd bin. Und es ist schrecklich weit dorthin, und auch wenn man hingeht, ist die Chance für unsereinen, in den Himmel zu kommen, so armselig, wo’s doch nur so wenige schaffen, dass ich zu Haus bleib und erst gar nicht geh.«

»Nicht nur, dass ich zufällig dort war«, sagte Fairway mit neugewonnenem Eifer, »sondern ich hab auch in der selben Reih mit Mrs Yeobright gesessen. Und ob ihr’s glaubt oder nicht, mir ist das Blut in den Adern geronnen, als ich sie gehört hab. Ja, es ist schon merkwürdig genug, aber mir ist das Blut in den Adern geronnen, denn ich hab direkt neben ihr gesessen.« Der Sprecher schaute in die Runde, die sich jetzt enger um ihn schloss, um ihn besser zu hören. Seine Lippen zogen sich fester zusammen, so sehr bemühte er sich um eine maßvolle Schilderung.

»Dort kann einem so allerhand passieren«, sagte eine Frau von weiter hinten.

»›… der stehe auf und spreche‹, waren die Worte des Pfarrers«, fuhr Fairway fort, »und dann stand eine Frau neben mir auf – direkt neben mir. ›Ich will verdammt sein, wenn das nicht Mrs Yeobright ist, die da aufsteht‹, sagte ich zu mir. Ja, Nachbarn, obwohl ich im Gotteshaus war, sagte ich das. Es ist gegen meine Überzeugung, öffentlich zu fluchen, und ich hoffe, dass die Frauen hier es überhören. Trotzdem, was ich gesagt hab, hab ich gesagt, und es wär eine Lüge, wenn ich’s nicht zugäb.«

»Das ist wohl wahr, Nachbar Fairway.«

»›Ich will verdammt sein, wenn das nicht Mrs Yeobright ist, die da aufsteht‹, sagte ich zu mir«, wiederholte der Erzähler die Lästerung mit derselben leidenschaftslosen Ernsthaftigkeit im Ausdruck wie zuvor, was bewies, wie sehr reine Notwendigkeit und nicht etwa Lust und Laune der Grund für die Wiederholung war.

»Und das Nächste, was ich von ihr hörte, war: ›Ich erhebe Einspruch gegen diese Ehe.‹ ›Ich werde nach dem Gottesdienst mit Euch sprechen‹, sagte der Pfarrer ganz einfach – ja, er wurde plötzlich ein ganz gewöhnlicher Mensch, nicht heiliger als du und ich. Oh, war ihr Gesicht blass! Könnt ihr euch an das Denkmal in der Kirche von Weatherbury erinnern – der x-beinige Soldat, dem die Schulkinder den Arm abgeschlagen hatten? Ja, so ungefähr sah die Frau aus, als sie sagte: ›Ich erhebe Einspruch gegen diese Ehe!‹«

Die Zuhörer räusperten sich und warfen einige Holzstücke ins Feuer, nicht so sehr deshalb, weil dies notwendig gewesen wäre, sondern um Zeit zu gewinnen, die Moral der Geschichte abzuwägen.

»Ich jedenfalls habe mich so sehr über den Einspruch gefreut, als ob mir einer Geld geschenkt hätt«, sagte eine ernsthafte Stimme. Es war Olly Dowden, eine Frau, die von der Anfertigung von Ginsterbesen lebte. Es war ihre Natur, zu Feind und Freund höflich und aller Welt dankbar zu sein, wenn man sie in Frieden ließ.

»Und jetzt hat ihn das Mädchen doch geheiratet«, sagte Humphrey.

»Danach gab Mrs Yeobright nach und war mit allem einverstanden«, fuhr Fairway leichthin fort, um zu zeigen, dass seine Worte kein Anhängsel an Humphreys Bemerkung, sondern das Ergebnis eines unabhängigen Gedankengangs waren.

»Auch wenn’s ihnen peinlich war, seh ich nicht ein, warum sie’s nicht hier gemacht haben«, sagte eine üppige Frau, deren Korsett bei jeder Bewegung laut hörbar knarrte. »Ist doch gut, wenn die Nachbarn ab und zu mal zusammenkommen und ein bisschen Trubel machen. Das kann genauso gut bei ner Hochzeit wie bei anderen Festen sein. Ich mag’s nicht, wenn man sich so abkapselt.«

»Nun, ihr werdet’s kaum glauben, aber ich mach mir nichts aus lustigen Hochzeiten«, sagte Timothy Fairway, indem er seine Augen wieder in die Runde schweifen ließ. »Ich mach Thomasin Yeobright und Nachbar Wildeve keinen Vorwurf, dass sie es im Stillen abgemacht haben, wenn ich’s sagen darf. Bei ner Hochzeit zu Hause musst du stündlich fünf- und sechshändige Tänze hinlegen, und die tun den Beinen eines Mannes über vierzig nicht besonders gut.«

»Das stimmt. Wenn du erst mal im Hause der Frau bist, kannst du schlecht einen Tanz ablehnen. Man muss sich schließlich für das Essen erkenntlich zeigen.«

»Zu Weihnachten muss man tanzen, weil’s eben die Zeit des Jahres ist; auf Hochzeiten tanzt man, weil’s die Zeit des Lebens ist. Selbst bei einer Taufe schmuggeln die Leute ein oder zwei Tänzchen dazwischen, wenn’s nicht mehr als das erste oder zweite Kind ist. Ganz zu schweigen von den Liedern, die man singen muss … Ich für meinen Teil mag eine gute, handfeste Beerdigung am liebsten. Man hat dasselbe gute Essen und Trinken wie bei anderen Festen, ja, sogar besser. Und man wetzt sich nicht die Beine zu Stumpen ab, wenn man sich über einen armen Dahingegangenen unterhält, so wie’s passiert, wenn man im Seemannstanz seinen Mann stehen will.«

»Neun von zehn Leuten würden meinen, dass es zu weit geht, dabei zu tanzen, nehm ich an?«, warf Großpapa Cantle ein.

»Es ist das einzige Fest, bei dem sich ein gesetzter Mann auch noch fest auf den Beinen fühlen kann, wenn der Bierkrug ein paarmal die Runde gemacht hat.«

»Ich kann nicht glauben, dass ein kleines damenhaftes Persönchen wie Thomasin Yeobright gern auf diese Weise Hochzeit feiert«, sagte Susan Nonsuch, die füllige Frau, die das ursprüngliche Thema vorzog. »Das ist ja schlimmer als bei den ärmsten Leuten. Und den Mann hätt ich auch nicht genommen, obwohl manche sagen, dass er gut aussieht.«

»Um gerecht zu sein, muss man zugeben, dass er auf seine Art ein geschickter und gebildeter Bursche ist – fast so gescheit, wie’s Clym Yeobright immer war. Er hatte mal was Besseres als Gastwirt werden sollen. Der Mann war mal Ingenieur, das wissen wir ja, aber er hat seine Chance vertan. Um zu leben, hat er dann das Wirtshaus übernommen. Und all sein Studiern hat ihm nichts genützt.«

»Das ist oft so«, sagte Olly, die Besenbinderin. »Aber wie doch die Leut sich dafür anstrengen und es auch schaffen! Die Sorte von Leuten, die früher kein rundes O zustande brachte, auch wenn sie der Teufel geholt hätte, können heutzutag ihren Namen schreiben, ohne einen Klecks zu machen – was sag ich? Oft brauchen sie nicht mal ein Pult, um ihre Bäuche und Ellbogen drauf zu stützen.«

»Stimmt. Es ist erstaunlich, wie man die Welt auf Politur gebracht hat«, sagte Humphrey.

»Ja, bevor ich als Soldat bei den Rowdys (wie man uns genannt hat) verkehrte, das war Anno vier«, stimmte Großpapa Cantle fröhlich ein, »wusste ich auch nicht mehr von der Welt als der Gewöhnlichste unter euch. Und jetzt würd ich allemal nicht grad sagen, dass ich ihr nicht gewachsen wär, was?«

»Aber sicher, Ihr könntet den Ehevertrag unterschreiben«, sagte Fairway, »wenn Ihr jung genug wärt, Euch noch mal eine Frau zu nehmen, so wie Wildeve und Miss Tamsin, und das ist mehr, als was Humphrey tun könnte. Ach ja, Humphrey, ich kann mich noch gut erinnern, als ich geheiratet hab, wie mir das Zeichen deines Vaters ins Auge sprang, als ich meinen Namen schreiben musste. Er und deine Mutter waren das Paar, das vor uns geheiratet hatte, und da stand das Kreuz deines Vaters da und sah aus wie eine riesige klapprige Vogelscheuche mit gekreuzten Armen. Was war das für ein schreckliches schwarzes Kreuz – sah deinem Vater direkt ähnlich! Ich konnt mich bei meiner Seel vor Lachen nicht halten, als ich’s gesehen hab, obwohl mir gleichzeitig höllisch heiß war von wegen dem Heiraten und so, und wegen der Frau, die da an mir hing, und weil Jack Changley und ne Menge anderer Kerle durchs Kirchenfenster nach mir guckten und grinsten. Aber im nächsten Moment hätte mich ein Strohhalm umschmeißen können, als ich dran gedacht hab, dass sich dein Vater und deine Mutter, auch wenn sie mal große Worte gemacht hatten, sich doch zwanzigmal in die Haare gekriegt hatten, seit sie Mann und Frau waren, und ich hab mich als den nächsten Dummen gesehen, der in dieselbe Klemme gerät … Ach ja, was war das für ein Tag!«

»Wildeve ist ein gutes Stück älter als Tamsin Yeobright, und recht hübsch ist sie auch. Eine junge Frau, die ein Zuhause hat, muss ganz schön verrückt sein, sich von so einem den Schleier zerreißen zu lassen.«

Der Sprecher, der neu zu der Gruppe hinzugekommen war und ein Torfstecher war, trug über seiner Schulter den für diese Art von Arbeit typischen herzförmigen, großen Spaten, dessen scharf gewetzte Kante im Feuerschein wie ein Silberbogen glänzte.

»Hundert Mädchen hätten ihn genommen, wenn er sie gefragt hätte«, sagte die breitgebaute Frau.

»Habt Ihr je einen Mann gekannt, Nachbar, den keine Frau haben wollte?«, erkundigte sich Humphrey.

»Ich hab das noch nie gehört«, sagte der Torfstecher.

»Ich auch nicht«, sagte ein anderer.

»Ich auch nicht«, sagte Großpapa Cantle.

»Na ja, ich kannte mal einen«, sagte Timothy Fairway, indem er mit einem Bein fester auftrat. »Ich hab mal so einen Mann gekannt. Aber das kam nur einmal vor, bitteschön.« Er räusperte sich ausgiebig, als wolle er jedem bedeuten, sich nicht durch eine belegte Stimme irreführen zu lassen. »Ja, ich hab mal so einen Mann gekannt«, sagte er.

»Was für ein Schreckgespenst war denn dieser arme Bursche, Mr Fairway?«, fragte der Torfstecher.

»Nun, er war weder taub noch stumm und auch nicht blind. Mehr sag ich nicht.«

»Ist er denn in dieser Gegend bekannt?«, fragte Olly Dowden.

»Nicht sehr«, sagte Timothy, »aber ich nenne keinen Namen … kommt, sorgt fürs Feuer, ihr Burschen.«

»Warum klappern denn dem Christian Cantle so die Zähne?«, fragte ein Junge durch den Rauch und die Schatten hindurch von der anderen Seite des Feuers her. »Ist dir kalt, Christian?«

Eine leise, schüchterne Stimme gab kaum hörbar Antwort: »Nein, gar nicht.«

»Komm her, Christian, und zeig dich. Ich wusste gar nicht, dass du da bist«, sagte Fairway und warf einen wohlwollenden Blick zur Ecke hinüber.

Der so Gerufene stolperte ein, zwei Schritte aus eigenem Antrieb vorwärts und wurde von den anderen noch ein halbes Dutzend Schritte weiter geschoben. Er hatte Haare wie Stroh, keine Schultern, und aus seiner Kleidung schauten überlange Hand- und Fußgelenke hervor. Es war Großpapa Cantles jüngster Sohn.

»Was zitterst du denn, mein Sohn?«, fragte der Torfstecher freundlich.

»Ich bin der Mann.«

»Was für ein Mann?«

»Der Mann, den keine Frau heiraten will.«

»Zum Teufel, das bist du nicht!«, sagte Timothy Fairway und fasste dabei Christians Gestalt noch genauer ins Auge. Währenddessen starrte Großpapa Cantle seinen Sohn an wie eine Henne, die eine Ente ausgebrütet hat.

»Ja, der bin ich, und ich hab Angst deswegen«, sagte Christian.

»Glaubt ihr, dass es mir schadet? Ich werd immer sagen, es ist mir egal und werd’s auch beschwören, auch wenn mir’s ganz und gar nicht egal ist.«

»Ich will verdammt sein, wenn das nicht der komischste Auftritt ist, der mir je vorgekommen ist«, sagte Fairway. »Ich hab dich ja überhaupt nicht gemeint. Es gibt dann eben noch einen anderen in der Gegend. Warum hast du denn dein Missgeschick ausgeplaudert, Christian?«

»Hat wohl so sein sollen, denk ich. Ich kann ja nichts dafür, oder?«

Er wandte sich an die Umstehenden mit runden, schmerzlich aufgerissenen Augen und sah von allen Seiten Blicke wie Pfeile auf sich gerichtet.

»Nein, das ist wahr. Aber das ist eine traurige Geschichte, und mir hat der Atem gestockt, als du’s gesagt hast, weil mir klar geworden ist, dass es dann zwei so arme Burschen geben muss, wo ich doch nur an einen gedacht hab. Das ist traurig für dich, Christian. Woher weißt du denn, dass die Frauen dich nicht mögen?«

»Ich hab sie gefragt.«

»Ich hätt nicht gedacht, dass du den Mut dazu hast. Na, und was hat die letzte zu dir gesagt? Doch wohl nichts, was sich nicht verschmerzen lässt, oder?«

»›Geh mir aus den Augen, du Schlappschwanz, du klappriger, verrückter Zwitter du‹, hat die Frau zu mir gesagt.«

»Nicht sehr ermutigend, das geb ich zu«, sagte Fairway. »›Geh mir aus den Augen, du Schlappschwanz, du klappriger, verrückter Zwitter du‹, das ist ja auch ziemlich direkt und grob. Nein. Aber selbst über so was kommt man mit Geduld und mit der Zeit hinweg; lass dem Frauenzimmer nur erst mal die ersten grauen Haare kommen. Wie alt bist du denn, Christian?«

»Einunddreißig bei der letzten Kartoffelernte, Mister Fairway.«

»Kein Junge mehr, kein Junge mehr. Aber es gibt noch Hoffnung für dich.«

»So alt bin ich meiner Taufe nach. Es steht so im großen Buch des Jüngsten Gerichts aufgeschrieben, das sie in der Sakristei haben. Aber meine Mutter hat mir gesagt, dass ich einige Zeit vor meiner Taufe geboren worden bin.«

»Ah.«

»Aber sie wusste nicht wann, nicht bei ihrer Seel, außer, dass Neumond war.«

»Neumond, das ist schlecht. He, Nachbarn, das ist schlecht für ihn!«

»Ja, es ist schlecht«, sagte Großpapa Cantle und schüttelte den Kopf.

»Mutter hat gewusst, dass Neumond war, weil sie eine andere Frau gefragt hat, die einen Kalender hat. Sie machte das immer, wenn sie einen Jungen geboren hatte, weil es heißt: ›Kein Mond, kein Mann.‹ Deswegen hat sie bei jedem Jungen Angst gehabt. Glaubt Ihr wirklich, Mr Fairway, dass es schlimm ist, dass Neumond war?«

»Ja. ›Kein Mond, kein Mann.‹ Das ist einer der wahrsten Sprüche, die man je losgelassen hat. Aus einem Jungen, der bei Neumond geboren ist, wird nie was. Dein Pech, Christian, dass du deine Nase ausgerechnet zu dieser Zeit des Monats rausgestreckt hast.«

»Ich glaube, der Mond war schrecklich voll, als Ihr auf die Welt kamt, Mr Fairway?«, sagte Christian und sah ihn mit einem Blick voll hoffnungsloser Bewunderung an.

»Na ja, es war nicht gerade Neumond«, sagte Fairway in gleichgültig abwesendem Ton.

»Ich würde lieber beim Lammas-Fest nichts zu trinken bekommen als ein Neumondmann sein«, fuhr Christian im gleichen gebrochenen Ton fort. »Sie sagen, ich wär nur ein schwaches Abbild von einem Mann und würd meinem Geschlecht nur Schande bringen. Ich glaub, es wird wohl deshalb sein.«

»Ach ja«, sagte Großpapa Cantle etwas niedergeschlagen, »und trotzdem hat seine Mutter, als er ein Junge war, stundenlang aus lauter Angst geweint, es könnte doch noch was aus ihm werden, und er würde zu den Soldaten gehen.«

»Na ja, es gibt viele, die genauso schlecht dran sind wie er«, sagte Fairway. »Hammel müssen ihr Leben genau so leben wie andere Böcke. Arme Seelen!«

»Meint Ihr also, ich soll durchhalten? Muss ich mich nachts in Acht nehmen, Mr Fairway?«

»Du wirst dein ganzes Leben lang allein schlafen müssen, und ein Gespenst zeigt sich nicht den Verheirateten, sondern denen, die allein schlafen. Eins hat man auch kürzlich hier gesehen, ein sehr sonderbares.«

»Nein, sprecht nicht davon, wenn’s Euch recht ist. Ich werd eine Gänsehaut kriegen, wenn ich nachts allein im Bett daran denke. Aber Ihr sagt’s ja doch, das weiß ich, Ihr sagt es doch, Timothy, und ich werd die ganze Nacht davon träumen. Ein sehr sonderbares? Was für ein Gespenst meint Ihr, wenn Ihr sagt, ein sehr sonderbares, Timothy? – nein – nein – sagt lieber nichts.«

»Ich selbst glaub ja nur so halb und halb an Gespenster, aber ich find es ganz schön gruselig, was man mir erzählt hat. Ein kleiner Junge hat es mir gesagt.«

»Wie sah es denn aus? – nein – lieber nicht!«

»Es war rot. Die meisten Gespenster sollen ja weiß sein, aber dieses sah aus, als hätt man es in Blut getunkt.«

Christian holte tief Luft und hielt dann den Atem an, während Humphrey sagte: »Wo ist es denn gesehen worden?«

»Nicht direkt hier. Aber in dieser Heide. Doch darüber spricht man nicht«, fuhr Fairway in lebhafterem Ton fort und sagte dann, als ob dies nicht Großpapa Cantles Idee gewesen wäre – »Was haltet Ihr davon, wenn wir dem jungen Ehemann und seiner Frau ein Ständchen bringen, bevor wir schlafen gehen; es ist ja schließlich ihr Hochzeitstag. Bei Leuten, die gerade geheiratet haben, darf man doch lustig sein, denn traurig auszusehen, das trennt sie ja auch nicht mehr. Ich trinke nicht, wie ihr wisst, aber wenn das Weibervolk und die Jugend heimgegangen sind, können wir zum Gasthaus hinuntergehen und vor der Tür dem Hochzeitspaar ein Ständchen bringen. Das wird die junge Frau freuen, und das möcht ich gern, denn wie oft hat sie mir tüchtig zu futtern gegeben, als sie bei ihrer Tante in Blooms-End gewohnt hat.«

»He, was sagt ihr? Das machen wir!«, sagte Großpapa Cantle und wandte sich so rasch um, dass seine Kupfersiegel heftig hin- und herschwangen. »Meine Kehle ist so trocken wie Stroh von dem Wind hier oben, und ich hab seit heute Nachmittag keinen Schnaps mehr gesehen. Ich hab gehört, dass der letzte Ausschank in der ›Stillen Frau‹ unten besonders gut sein soll. Und was macht’s, Nachbarn, wenn’s dabei ein bisschen spät wird? Morgen ist Sonntag, und wir können unsern Rausch ausschlafen.«

»Großpapa Cantle, für einen alten Mann nehmt Ihr die Dinge aber sehr leicht«, sagte die dicke Frau.

»Ich nehme die Dinge leicht; das stimmt – zu leicht, um den Frauen zu gefallen! Pah, ich singe das Lied von der ›Jovial Crew‹, oder irgendein anderes, wo sich irgendein schwacher, alter Mann die Augen ausweinen tät. Glaubt’s nur, ich mach noch alles mit.«

The King looked over his left shoulder,

 And a grim look looked hee,

Earl Marshal, he said, but for my oath

 Or hanged thou shouldst bee.

»Gut, das machen wir«, sagte Fairway. »Wir bringen ihnen ein Ständchen, das ist auch gottgefällig. Warum kommt denn eigentlich Thomasins Cousin Clym erst, wenn alles schon vorbei ist? Er hätte eher kommen müssen, wenn es stimmt, dass er das Ganze verhindern wollte, um sie selbst zu heiraten.«

»Vielleicht kommt er, um ein wenig bei seiner Mutter zu bleiben, die sich doch jetzt, wo das Mädchen weg ist, einsam fühlen muss.«

»Das ist aber sehr sonderbar – ich jedenfalls fühl mich nie einsam, nein, ganz und gar nicht«, sagte Großpapa Cantle. »Ich bin in der Nacht so tapfer wie ein Admiral!«

Das Feuer begann zu diesem Zeitpunkt langsam niederzubrennen, denn das Holz war nicht kräftig genug, um es lange in Gang zu halten. Die meisten anderen Feuer in der weiten Runde schwanden ebenfalls dahin. Ein genaueres Beobachten von Helligkeit, Farbe und Brenndauer der einzelnen Feuer hätte Rückschlüsse auf die Beschaffenheit des Brennmaterials zugelassen, und bis zu einem gewissen Grad dadurch auch auf das Naturerzeugnis eines jeden Bezirks ringsum, wo die Feuer stattfanden. Der klare, königlich strahlende Glanz, der für die meisten Feuer charakteristisch war, deutete auf Heide- und Torfland wie das ihre hin, das sich in der einen Richtung viele Meilen weit unbegrenzt erstreckte. Das kurze Aufleuchten und Verglühen an anderen Stellen deutete auf das leichteste Brennmaterial hin, wie Stroh, Bohnenranken und den üblichen Abfall der Felder. Die am längsten leuchtenden – ruhige, unveränderliche Augen wie Planeten – wiesen auf Holz hin, wie etwa Haselnusszweige, Dornreisig und kräftige Holzscheite. Feuer mit den letztgenannten Materialen waren selten, wurden aber nun, obwohl sie im Vergleich zu den kurzlebigeren Bränden kleiner waren, durch ihre Ausdauer die besten. Die großartigen waren dahin, aber diese blieben bestehen. Sie waren in weitester Ferne auf den sich gegen den Himmel abzeichnenden Höhen sichtbar, die sich gen Norden aus üppigem Unterholz und bebautem Land erhoben, dort, wo das Erdreich anders war und die Heide fremd und sonderbar erschien.

Bis auf eines, und das war das nächste von allen, sozusagen der Mond der ganzen leuchtenden Schar. Es lag in einer Richtung, die der des kleinen Fensters unten im Tal genau entgegengesetzt war. Es war so nahe, dass es trotz seiner Winzigkeit die Helligkeit der anderen Feuer bei weitem übertraf.

Dieses ruhige Auge hatte von Zeit zu Zeit die Aufmerksamkeit auf sich gezogen, und als die übrigen Feuer nunmehr in sich zusammengefallen und schwach geworden waren, zog es noch mehr die Blicke auf sich. Selbst einige der Holzfeuer, die erst kürzlich entzündet worden waren, hatten ihren Höhepunkt überschritten, aber jenes brannte unverändert weiter.