Cold Day in the Sun - Sara Biren - E-Book
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Cold Day in the Sun E-Book

Sara Biren

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Beschreibung

Eine Liebe, die das Eis zum Schmelzen bringt

Holland Delviss hat es satt, dass man sie immer nur als das Mädchen im Eishockeyteam der Jungs wahrnimmt. Doch als ein TV-Sender Teams für eine nationale Live-Übertragung sucht, wird ihre Mannschaft genau deswegen ausgewählt. Nicht alle sind von Hollands neuer Berühmtheit begeistert. Doch es gibt einen, der Holland nach Kräften unterstützt. Jemand, von dem sie es am wenigsten erwartet hätte (und in den sie sich definitiv nicht verlieben sollte): ihr rechthaberischer Teamkapitän Wes …

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Seitenzahl: 380

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Sara Biren

Cold day in the sun

Aus dem Englischenvon Doris Attwood

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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© 2019 by Sara Biren

© 2020 für die deutschsprachige Ausgabe

cbj Kinder- und Jugendbuch Verlag

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel

»Cold day in the sun« bei Amulet Books, an imprint of ABRAMS, New York

Published by arrangement with Rights People, London

Aus dem Englischen von Doris Attwood

Covergestaltung: Suse Kopp

Covermotiv © Stocksy.com / Giorgio Magini

sh · Herstellung: AS

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN 978-3-641-25274-8V002

www.cbj-verlag.de

Für Troy,

meinen Lieblingsmetalfan, meinen Lieblingsalles.

Kapitel 1 

Ich bin spät dran. Der erste Song der Aufwärm-Playlist ist schon fast vorbei.

Die Musik dröhnt laut, schwer und schnell aus den Lautsprechern in der Halle. Sie bohrt sich förmlich in mich, als ich das Eis betrete und auf die Bank zugleite, die Handschuhe unter den Arm geklemmt. Ich schüttle das steife, träge Gefühl der Erschöpfung aus meinen Gliedern – die unvermeidliche Konsequenz eines frühmorgendlichen Trainings, gefolgt von einem fesselnden Sieben-Stunden-Tag im öffentlichen Schulwesen. Mir graut jedes Mal vor dieser Stunde des intensiven Drills, aber gleichzeitig sehne ich sie auch herbei: das Dehnen und Brennen meiner Muskeln, den reinen Instinkt von Bewegung und Spiel.

Allerdings graut mir auch vor dem Anschiss, der mir dank meines Zuspätkommens sicher ist, obwohl ich einen guten Grund vorweisen kann.

Ich schnappe mir eine Flasche Wasser und spritze mir einen Strahl in den Mund, bevor ich die Schnalle an meinem Helm zumache und das Gitter herunterklappe.

»Hey, Prinzessin.« Mein Teamkamerad, Justin »Slacks« Swenson, skatet zu mir. »Du bist zu spät. Ich würde an deiner Stelle echt aufpassen – Kapitän Hot Shit hat heute mal wieder eine seiner Launen.« Justin denkt sich ungefähr jeden zweiten Tag einen neuen Spitznamen für unseren Kapitän, Wes »Hot Sauce« Millard, aus.

Ich versuche, einen Teil meiner Anspannung einfach wegzulachen. »Sag mir was, was ich noch nicht weiß«, erwidere ich, aber Justin fährt schon wieder davon.

»Dutch!« Das einsame Wort klingt scharf. Jetzt kommt’s.

Ich wirbele herum, presse die Lippen fest zusammen und schaue unserem Co-Kapitän direkt ins Gesicht. Selbst durch sein Helmgitter kann ich das gereizte Funkeln in Hot Shit – ähm, Hot Sauce – Millards Blick erkennen.

»Du bist zu spät«, knurrt er. »Inakzeptabel.«

Ich verdrehe die Augen. »Ich musste nach dem Unterricht noch länger bleiben und was mit einer meiner Lehrerinnen besprechen, okay? Ich meine, wenn ich das richtig sehe, hat die Schule immer noch Vorrang, oder?«

Ich hasse es, dass jeder meiner Sätze mit einem Fragezeichen endet, so als würde ich ständig um sein Einverständnis bitten. Was ich in gewisser Weise auch tue.

Er seufzt. »Welche Lehrerin?«, will er wissen. Aus seinen Worten spricht tiefe Frustration.

Er denkt, dass ich lüge. Blödmann.

»Rieland. Journalistik. Sie hat meine Idee für eine neue Geschichte abgelehnt. Jetzt zufrieden?«

Ich verrate ihm nicht, dass es schon die dritte Idee für eine Geschichte in der Printausgabe der Jack Pine ist, die sie in dieser Woche abgelehnt hat. Ich muss mir irgendwas Gutes einfallen lassen – und zwar schnell.

Er hält meinem Blick noch eine Sekunde lang stand und wendet sich dann ab. »Mach einfach, dass du da rauskommst, Dutch«, brummt er. Gegen die Schule kann er nichts sagen, auch wenn mich ein wenig überrascht, dass er es gar nicht erst versucht.

»Und nenn mich nicht Dutch«, blaffe ich ihn an, als ich zu meinen Teamkameraden fahre, Hot Sauce dicht auf meinen Fersen.

In all den Jahren, in denen ich nun schon Eishockey spiele – insgesamt elf, in der Lake Area Youth Ice Hockey Association und in der Highschoolmannschaft, sogar dreizehn, wenn man die Zeit mitzählt, in der ich als Kleinkind ständig auf den Hintern gefallen bin, weil ich unbedingt meinen Brüdern nachjagen musste – hatte ich noch nie einen Spitznamen.

Die meisten Jungs haben einen, und er hat fast immer etwas mit ihrer Spielweise zu tun oder ist eine verkorkste Version ihres Nachnamens. Unser Trainer in der U12-Mannschaft hat irgendwann mal angefangen, meinen älteren Bruder Carter »Six-Four« zu nennen, wie in »six foot four«, weil er damals schon fast 1,80 groß war – und was soll ich sagen? Inzwischen ist er 1,94! Die meisten kürzen aber auf »Six« ab. Wes wird anscheinend schon seit Jahren »Hot Sauce« genannt, weil er auf alles Chilisoße schüttet. Holls und Holly waren in Sachen Spitznamen für mich immer das Äußerste, bis Hot Sauce in die Stadt gezogen ist, zusammen mit seinem gigantischen Ego und seiner Meisterschaftsmedaille. Schon ein Jahr später hat er sich mit Carter die Position als Kapitän geteilt.

Eine Position, die meiner Meinung nach jemandem zugestanden hätte, der eine längere Vergangenheit in dieser Mannschaft vorweisen kann. Ganz offensichtlich teilte die Mehrheit meiner Teamkollegen meine Meinung jedoch nicht, denn sonst hätten sie ihn wohl kaum gewählt.

»Was ist dein Geheimnis?«, fragt mich Justin, als ich hinter ihm vorbeiskate. »Ich hab echt erwartet, dass er dir ’nen ordentlichen Einlauf verpasst.«

Ich zucke mit den Schultern. »Mein unwiderstehlicher Charme natürlich, Slacks. Was denn verflucht noch mal sonst?«

Er schnaubt verächtlich. »Nette Wortwahl, Prinzessin.«

Ich bin vielleicht eine Menge Dinge, aber ganz sicher keine Prinzessin.

»Hot Flash glaubt, seine Scheiße würde nicht stinken, weil er einmal einen gottverdammten Siegtreffer in der Nachspielzeit erzielt hat«, fügt Justin hinzu. »Und dann zieht er hierher, kriecht dem Coach in den Hintern und ist schneller Kapitän, als wir uns umgucken können.« Er kommt langsam in Fahrt, kann sich für den Moment aber gerade noch beherrschen. Er skatet davon und nimmt einen Pass an.

Justin und ich kennen uns schon ewig. Wir spielen seit dem Kindergarten auf denselben Positionen nebeneinander, und ich vertraue ihm fast so blind wie meinen Brüdern. Und das beruht auf Gegenseitigkeit. Vor zwei Monaten war ich der erste Mensch, dem er erzählt hat, dass er in Joseph Lincoln verknallt ist, seines Zeichens Schülersprecher und Leichtathletikstar. »Slacks & Tracks«, wie ich die beiden gern nenne – na ja, jedenfalls jetzt, wo sie sich geoutet haben und zusammen sind.

Ich verfolge das Geschehen auf dem Eis, halte mich bereit und warte darauf, dass Justin wieder umdreht und mir den Puck zupasst.

»Dutch! Du bist dran!«, brüllt Hot Sauce hinter mir. Danke, Kapitän Offensichtlich.

Ich erwische den Puck voll und schieße ihn Richtung Netz, geschickt an der rechten Schulter des Torhüters vorbei.

Jaaaa!

»Netter Schuss«, lobt mich Carter, der hinter dem Tor steht.

Ich skate wieder zurück ans Ende der Schlange, aber Hot Sauce sagt kein einziges Wort.

Fünf Minuten vor dem planmäßigen Trainingsende bläst Coach Giles in seine Trillerpfeife und ruft uns alle auf der Bank zusammen. Seine normalerweise so stoische Miene verzieht sich zu so etwas wie einem Lächeln. »Großartige Neuigkeiten«, verkündet er. »Ich habe es eben aus dem Sekretariat gehört. Halcyon Lake wurde für das diesjährige HockeyFest als eine der Gastgeberstädte ausgewählt.«

Carter stößt einen Jubelschrei aus, und Justin reißt mich von den Schlittschuhen und wirbelt mich herum, während die anderen vor lauter Aufregung durcheinanderrufen.

»Heilige Scheiße«, sagt Showbiz Schroeder. »Hei-li-ge Schei-ße.«

Schlimmer hat Showbiz vermutlich noch nie geflucht, was echt bewundernswert ist, wenn man sich die ganzen dreckigen Mundwerke in unserem Team so anschaut. Ein weiterer Beweis dafür, dass diese Ankündigung wirklich eine Riesensache ist.

Minnesota ist auch als der »Eishockey-Staat« bekannt, und das HockeyFest-Wochenende gehört alljährlich zu den am sehnlichsten erwarteten Ereignissen. Es werden jedes Mal fünf Städte ausgewählt, die verschiedene Regionen des Bundesstaats repräsentieren. Für das Event reisen Talentscouts aus dem ganzen Land an, manchmal sogar ein paar von der NHL, der National Hockey League. Manche Leute betrachten das HockeyFest auch als Beliebtheitswettbewerb, und obwohl nirgendwo offiziell steht, dass man in der aktuellen Saison eine ansprechende Leistung vorweisen muss, wissen alle, dass dies als Grundvoraussetzung gilt, um überhaupt als Austragungsort in Betracht gezogen zu werden.

Das Team kriegt sich langsam wieder ein und Coach fährt fort: »Außerdem wird eine Stadt ausgewählt, deren Spiel im Fernsehen übertragen wird – im ganzen Bundesstaat. Letztes Jahr wurde die Partie sogar von einem landesweiten Sender ausgestrahlt. Das könnte eine Riesenchance für uns sein. Ich bin mir sicher, dass ihr alle wisst, wie der Auswahlprozess abläuft.«

Ein paar der Jungs nicken, und ich beiße mir auf die Unterlippe. Jason Fink, ein ziemlich exzentrischer Sportreporter von einem Nachrichtensender der »Twin Cities« – Minneapolis und St. Paul – reist durch den ganzen Bundesstaat und interviewt Spieler aus sämtlichen Mannschaften dazu, was ihre Stadt so besonders macht. Am Ende stimmen die Zuschauer dann für ihren Favoriten ab. Das Highschoolteam, dessen Spiel im letzten Jahr im Fernsehen übertragen wurde? Mondale-Petersburg im Nordwesten von Minnesota, bekannt für sieben olympische Goldmedaillengewinner, fünf regionale Meisterschaften und ein wie ein gigantischer Eishockeypuck geformtes Stadion.

Und Halcyon Lake? Nun, wir haben eine kürzlich renovierte Freiluft-Eisbahn vorzuweisen, die 1930 erbaut wurde und den Namen »Hole in the Moon« trägt. Sie verfügt über steinerne Mauern und ein Steinhäuschen zum Aufwärmen, und außerdem ist sie als »historisches Bauwerk« denkmalgeschützt.

Und wir haben mich.

Das Mädchen.

Ich zucke zusammen, als sich der Blick des Coaches auf mich richtet. »Fink wird Spieler verschiedener Teams interviewen – ein paar aus der Mädchenmannschaft, ein paar aus der U12 – und Holland.«

Sämtliche Jungs drehen sich zu mir um und starren mich an, als hätten sie sich die Choreografie aus High School Musical abgeguckt. Ich schaue betreten zu meinen Schlittschuhen hinunter.

»Holland«, sagt Carter. Ich hebe den Blick und er nickt mir zu. »Tief atmen«, beruhigt er mich stumm.

Ich atme vier Herzschläge lang ein, halte die Luft an und stoße sie dann sechs Herzschläge lang durch den Mund wieder aus. Diese neue Technik hat Coach uns am Anfang der Saison beigebracht. Ich habe sie für totalen Schwachsinn gehalten, bis mir klar wurde, dass sie tatsächlich funktioniert. Ich hole noch einmal tief Luft.

»Holland hasst es, im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen«, bemerkt Luke Abbott, der Center in meiner Reihe, nicht ohne Mitgefühl.

Damit hat er nicht unrecht. Ich musste mir nie Gedanken darüber machen, das Mädchen zu sein, bevor ich es in der neunten Klasse in die Juniorenschulmannschaft geschafft habe – ein Mädchen, das in der Jungenmannschaft spielt, war ein gefundenes Fressen für die Presse. Trotzdem habe ich alles getan, was ich konnte, um mich aus dem Rampenlicht fernzuhalten. Ich schreibe Artikel – ich spiele darin nicht die Hauptperson.

Hmm. Vielleicht könnte ich ja auch einen Artikel über das HockeyFest schreiben. Ich bezweifle, dass Ms Rieland etwas gegen diese Idee hätte.

»Tja«, sagt Hot Sauce, skatet zu mir rüber und klopft mir auf die Schulter, »ich schätze, da wird sich Dutch wohl für das Team opfern müssen.«

Ich schüttle seine Hand ab und bedenke ihn mit einem verärgerten Funkeln. Auf seinem Gesicht blitzt etwas auf, das man nur als unendlich entnervte Frustration bezeichnen kann.

Danke gleichfalls, Kumpel. Im Moment kann ich ihm noch nicht mal sagen, dass er mich nicht Dutch nennen soll, weil ich Angst habe, dass sonst noch ein paar andere, boshaftere Worte aus mir heraussprudeln. Oder dass ich anfange zu heulen, was noch viel, viel schlimmer wäre.

»Sie hat eine großartige Geschichte zu erzählen«, erwidert Coach. »Und das wisst ihr alle. Mir sind zwar noch keine genaueren Einzelheiten bekannt, aber ich kann euch immerhin schon sagen, dass Hollands Interview für Samstag in einer Woche geplant ist. Außerdem schicken sie diese Woche irgendwann ein Kamerateam her, das uns beim Training filmen wird. Morgen weiß ich mehr, aber für den Moment ist das alles.«

Und das ist schon eine ganze Menge. Ich drehe mich um, skate davon und bin als Erste vom Eis.

Kapitel 2 

Das einzige Mädchen in der Eishockeymannschaft der Jungs zu sein bringt exakt einen Vorteil mit sich: meine ganz persönliche Umkleidekabine. Natürlich gehört sie nicht wirklich mir. Es ist die Mädchenumkleide in der Sporthalle, aber wenn unser Team trainiert, sind sonst keine anderen Mädchen da. Na ja, abgesehen von Darla, die den Imbiss schmeißt, und hin und wieder ihrer Tochter Molly. Sie ist ein Jahr jünger als ich und hilft aus, wenn ein Spiel stattfindet.

In der Umkleide ist es völlig ruhig, vor allem nach der lautstarken Reaktion auf Coachs Neuigkeiten. Ich genieße den Frieden, verschwende jedoch keine Zeit, ziehe schnell meine stinkende, durchgeschwitzte Ausrüstung aus und schlüpfe in meine Jeans und ein sauberes T-Shirt. Heute ist es ein langärmliges Foo-Fighters-Shirt in hellem, verwaschenem Grau mit dem Doppel-F-Logo, das von einem kreisförmigen Schriftzug aus dem Namen der Band und WASTING LIGHT eingerahmt wird. Meine Lieblingsband, mein Lieblingsalbum und meine Zuflucht, wenn ich den Stress und den Druck mal wieder zu deutlich spüre. Ich habe sogar meinen Blog nach dem Album benannt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Wasting Light auch in meiner allernächsten Zukunft eine Hauptrolle spielen wird.

Ich werfe mir meine Sporttasche über die Schulter und gehe in die Eingangshalle hinaus, um auf Carter zu warten. Das Spiel der U14 muss bald anfangen, denn ein paar der freiwilligen Elternhelfer haben vor dem Haupteingang einen Tisch aufgestellt, um die drei Dollar Eintritt zu kassieren und Flyer mit den Mannschaftslisten zu verteilen. Ich postiere mich neben einem Pfeiler in der Nähe des Imbissstands, um den aufkommenden Publikumsverkehr zu meiden.

Zwei Männer um die fünfzig oder sechzig zahlen am Eingang mit frisch gedruckten Ein-Dollar-Scheinen und stellen sich dann an der kurzen Schlange am Imbiss an.

»Es ist peinlich, schlicht und ergreifend«, höre ich einen der Alten sagen. Ich kenne ihn: George von Third Street Rental, dem DVD- und Videospielverleih. Nicht, dass ich mir oft Filme ausleihe, aber trotzdem war ich ein oder zwei Mal da, weil der Laden noch was viel Besseres zu bieten hat: hausgemachtes Popcorn in allen erdenklichen Geschmacksrichtungen. George ist allerdings nicht unbedingt der freundlichste Typ der Stadt, zumindest nicht mir gegenüber.

Sein Kumpel, der Besitzer von Petes Eisenwarenladen in der Main Street, nickt zustimmend. »Peinlich«, wiederholt er. »Mir ist egal, ob sie glauben, sie hätten dadurch bessere Chancen auf die Fernsehübertragung. Dass dieses Mädchen in der Jungenmannschaft spielt, ist peinlich und eine Schande für die Integrität dieses Sports.«

Mir dreht sich erst der Magen um und schnürt sich dann zusammen.

Peinlich und eine Schande für die Integrität dieses Sports.

Das habe ich schon ein- oder eher zweihundert Mal gehört.

»Ganz davon zu schweigen, dass sie ein echtes Risiko ist. Eishockey ist zu hart für Mädchen«, fährt Pete fort. »Meine Enkeltochter wollte auch spielen, aber ihr Vater hat es ihr strikt untersagt. Stattdessen macht sie jetzt Eiskunstlauf. Was hat sich Marcus Delviss nur dabei gedacht, seine einzige Tochter mit den Jungs spielen zu lassen?«

Ich verdrehe die Augen. Was Marcus sich dabei denkt? Wie verdammt großartig seine Tochter ist, zum Beispiel, das denkt er.

»Außerdem nimmt sie diesen Platz jemandem weg, dem er rechtmäßig zusteht. Es ist eine Jungen-Eishockeymannschaft.«

»Sie hätten sie zumindest nicht aus der Juniorenmannschaft aufsteigen lassen dürfen. Irgendwo da draußen ist ein Junge, der nie eine Chance hatte, es in die Schulmannschaft zu schaffen, weil sie ihm den Platz weggenommen hat.«

Ich habe mir diesen Platz verdient.

Ganz egal, wie oft ich es höre, so was wie das tut immer noch weh. Ich schließe die Augen, lehne den Kopf gegen den Pfeiler und presse die Lippen ganz fest zusammen, um mich davon abzuhalten, etwas zu erwidern. Damit würde ich ohnehin nur Öl ins Feuer gießen.

Pete kauft für die beiden zwei kleine Kaffee und wirft das Wechselgeld in die Trinkgeldkasse. Mit dem Trinkgeld von heute Abend wird das Turnier der U14-Mannschaft in St. Paul unterstützt. Ich würde sämtliches Geld in dieser Kasse darauf verwetten, dass Pete und George ihr schwer verdientes Geld für ein Mädchenteam nicht lockermachen würden.

An unserer Highschool gibt es auch eine Mädchenmannschaft, und es ist nicht so, dass ich nicht mit ihnen spielen wollte oder glaube, ich wäre zu gut für sie. Aber ich spiele schon mit Jungs, seitdem ich klein war: mit meinen Brüdern. Ich mag diese zusätzliche Herausforderung. Ich mag es, an meine Grenzen zu gehen. Genau wie mein Dad und meine Brüder mich immer an meine Grenzen gebracht haben. Sie haben mich nie anders behandelt, nur weil ich ein Mädchen bin. Ich habe sehr hart dafür gearbeitet, dorthin zu kommen, wo ich heute bin. Ich gehöre hierher. Ende der Geschichte.

Ich setze einen finsteren Blick auf, als George und Pete durch die Flügeltür in die Eishalle verschwinden. Sie können mich mal.

Mein Blick wird noch finsterer, als ich Hot Sauce an einen Pfeiler gelehnt am anderen Ende der Eingangshalle stehen und auf seinem Smartphone scrollen sehe. Scheiße. Ich klammere mich an die winzige Hoffnung, dass er die beiden Alten nicht gehört hat. Wer weiß schon, ob er ihnen nicht sogar zustimmt?

Ich tue einfach so, als stünde er gar nicht da, und hole mir einen Kaffee für die Fahrt nach Hause.

»Hi, Darla«, sage ich, lasse die schwere Sporttasche vor meine Füße plumpsen und lehne mich gegen die Imbisstheke. »Frisch gebrüht?«

»Hab Pete und George gerade den Rest eingeschenkt, aber der frische sollte in einer Minute durch sein«, antwortet sie.

Ich empfinde ein überproportionales Gefühl der Befriedigung darüber, dass Pete und George den letzten Rest aus der alten Kanne abgekriegt haben.

Ich plaudere mit Darla und ignoriere Hot Sauce weiter – warum ist der überhaupt noch hier? –, bis das Licht an der Kaffeemaschine mit einem Klicken erlischt und sie Molly meine Bestellung für einen großen Kaffee zuruft. »Zwei Päckchen Zucker und eine Kaffeesahne. Und vergiss den Trinkhalm für unsere Kleine nicht.«

Molly schenkt den Kaffee ein, schüttet zwei Päckchen Zucker und eine kleine Packung Sahne in den Becher, drückt den Deckel drauf, schnappt sich einen Trinkhalm und kommt an die Theke. Sie zeigt mit dem Trinkhalm auf mich. Ich greife danach, aber sie zieht ihn zurück.

»Wusstest du, dass wir in Amerika jeden Tag fünfhundert Millionen Plastiktrinkhalme verbrauchen? Was glaubst du, wo diese Trinkhalme am Ende landen?«

Molly leitet schon so lange ich zurückdenken kann die »Tag der Erde«-AG an unserer Schule. Sie ist Vegetarierin, seit sie zwölf ist. Mit vierzehn hat sie sich mit einer lokalen Umweltschutzorganisation zusammengetan – mit dem Ziel, jeden einzelnen Haushalt in Halcyon Lake mit zwei wiederverwendbaren Einkaufstaschen auszustatten – und den örtlichen Supermarkt davon überzeugt, keine Plastiktüten mehr zu verwenden. Sie ist eine wahre Naturgewalt.

»Auf einer Müllkippe?«, vermute ich.

»Wenn wir Glück haben!«, entgegnet sie. »Wahrscheinlicher aber in der Nase irgendeiner armen Meeresschildkröte! Plastikverschmutzung tötet jedes Jahr Millionen von Seevögeln. Und Trinkhalme sind ein Teil des Problems.«

»Dann können wir ja von Glück sagen, dass wir so weit vom Meer entfernt wohnen«, murmelt Darla.

»Und was ist mit unseren Seen, Mom?«, kontert Molly. »Unseren Vögeln? Unseren Fischen?«

Darla rollt mit den Augen.

»Nein, schon okay«, werfe ich ein. »Ich will es wissen.« Molly streckt mir daraufhin zögernd den Trinkhalm hin und ich schnappe ihn mir schnell, bevor sie es sich doch wieder anders überlegen kann, reiße die dünne Papierhülle mit den Zähnen auf und schiebe ihn durch das Loch im Deckel. »Ich würde echt gerne einen Artikel über dich für die Jack Pine schreiben. Zum Tag der Erde, vielleicht?«

Sie nickt begeistert.

Ich greife mir in den Nacken und massiere meine angespannten Muskeln. Vor ein paar Jahren habe ich nach einem üblen Foul, das mit einer Kopf-voraus-Landung in der Bande und einer leichten Gehirnerschütterung endete, angefangen, alles nur noch durch einen Halm zu trinken. Sobald ich damals beim Trinken den Kopf in den Nacken gelegt habe, wurde mir immer richtig schwindlig. Von der Gehirnerschütterung habe ich mich zwar wieder völlig erholt, die Angewohnheit mit dem Trinkhalm aber nie wieder abgelegt.

Und wenn ich ehrlich bin: Im Augenblick gibt’s – zumindest für mich – wirklich wichtigere Dinge, über die ich mir Sorgen machen muss als einen in der Nase einer Meeresschildkröte steckenden Trinkhalm.

Molly ist inzwischen längst bei ihrem Vortrag über Einkaufstüten aus Plastik angekommen, als die Tür zwischen der Eingangshalle und der Eisbahn schwungvoll gegen die Wand knallt und die Jungs den eben noch leeren Raum mit ihren mächtigen Egos, dröhnendem Lärm und muffigem Geruch erfüllen.

»Hey, Holland.«

Ich drehe mich um und sehe Jack »Lumberjack« Lewis an die Theke gelehnt stehen. Jack ist ein Jahr jünger als ich und ein Kumpel von meinem jüngeren Bruder, Jesse. Er ist der Center in der Startaufstellung der Juniorenmannschaft, Torschützenkönig seines Teams und spielt ab und zu in der ersten Mannschaft mit. Eingebildet. Unausstehlich. Vor allem, wenn er sich sein langes Haar aus dem Gesicht wirft. Heute Nachmittag hat er mit uns trainiert.

»Oh, hi, Jack«, erwidere ich und wende meine Aufmerksamkeit wieder Molly zu. »Danke für den Tipp.«

Sie seufzt. »Holland, ich erzähle dir das schon seit Monaten. Ich konnte neulich endlich den Supermarkt und die Drogerie davon überzeugen, Trinkhalme aus Edelstahl in ihr Sortiment aufzunehmen, also besorg dir endlich welche, okay?«

»Oh, okay, geht klar«, versichere ich ihr und drehe mich dann wieder zu Lumberjack um, der aus irgendeinem Grund an meinem Ärmel zieht. »Was?«

»Ziemlich aufregend, die Sache mit dem HockeyFest, oder?«, fragt er.

»Jap.« Ich lasse das p schön laut ploppen.

»Und so cool, dass du interviewt wirst.«

Ich blinzle genervt. Jack wohnt seit ungefähr drei Jahren in der Stadt und ich kenne ihn nicht so gut wie einige der anderen Jungs. Ich bin mir nicht sicher, worauf er hinauswill. »Und?«

»Und«, beginnt er zwinkernd, »ich dachte, wir könnten Freitagabend nach dem Pasta-Essen zusammen ausgehen.«

Darauf wollte er also hinaus. »Was?«

»Wir könnten ausgehen? Ins Kino vielleicht, oder –«

Ich verziehe die Lippen zu etwas, das einem angespannten Lächeln gleichen dürfte. »Wow, danke, Jack, aber ich kann nicht.«

Ich sage absichtlich nicht ausdrücklich, dass ich nicht am Freitag mit ihm ausgehen kann, weil ich damit die Tür zu anderen Abenden offenstehen lassen würde. Und diese Tür steht definitiv nicht offen.

»Schon okay«, erwidert er. »Wie wär’s dann am Samstag nach dem Spiel?«

Mein Lächeln verblasst. »Nein, danke.«

Jack legt die Stirn in Falten. »Nächstes Wochenende?«

Selbst wenn ich tatsächlich darüber nachdenken würde, mit einem Teamkameraden auszugehen – was ich nicht tue –, liegt meine Toleranzschwelle für Lumberjacks Selbstverliebtheit praktisch bei null. »Ich weiß dein Angebot zu schätzen. Aber die Antwort ist Nein.«

Er macht einen Schritt auf mich zu und ich weiche einen Schritt zurück. »Warum denn nicht?«

Er ist hartnäckig, das muss ich ihm lassen. Ich versuche, nicht zu seufzen. »Ich gehe nicht mit Eishockeyspielern aus.«

Er grinst. »Das hab ich schon gehört. Vielleicht hast du ja nur noch nicht den richtigen Spieler getroffen.«

Arrogantes Arschloch. »Du bist ein toller Mitspieler, Jack, aber alles andere könnte eine ziemlich unbehagliche Atmosphäre im Team schaffen, weißt du? Wie sagt man so schön? Man soll nicht am eigenen Pier angeln.«

»Oh, komm schon, Babe.«

Babe? Babe?

Hinter mir schnappt Molly hörbar nach Luft.

»O-oh«, murmelt Darla.

»Babe, Lumberjack? Ernsthaft? Ich bin nicht dein Babe. Hast du irgendeine Ahnung, wie abwertend und erniedrigend das ist?«

Lumberjack hebt die Hände vor der Brust und geht ein paar Schritte zurück. »Entspann dich mal wieder«, sagt er. »Sonst wirkst du doch auch immer so gechillt, Holland.«

Er dreht sich um, wirft sich seine Sporttasche über die Schulter und ist zur Tür raus, bevor mir irgendeine andere Erwiderung einfällt als »Leck mich«. Ich starre ihm fassungslos hinterher, meine Hand so fest um den heißen Kaffeebecher geklammert, dass sie beinahe verbrennt.

Jemand nimmt mir den Becher aus der Hand und stellt ihn auf der Theke ab. Hot Sauce. Natürlich. Genau der hat mir jetzt noch gefehlt. Ehrlich gesagt hatte ich ihn inzwischen völlig vergessen.

»Du zerquetschst den Becher noch, wenn du nicht aufpasst, Dutch«, warnt er. Sein Blick bleibt für ein paar Sekunden an meinem T-Shirt hängen, bevor er den Kopf urplötzlich wieder hochschnellen lässt. »Was ist denn los? Gefällt es dir nicht, mit einem großen blauen Ochsen verglichen zu werden?«

»Wovon redest du da?«

»Babe? Der große blaue Ochse? Von Lumberjack Paul Bunyan? Dem sagenhaften Holzfäller? Schon mal gehört? Da muss es doch bei dir klingeln, oder? Du hast schließlich dein ganzes Leben hier oben im Norden verbracht.«

»Ja, ja, schon kapiert.«

Carter rauscht in die Eingangshalle und winkt mit seinem Schlüsselbund in meine Richtung. »Holls, wir fahren«, ruft er mir zu, und ich bin mehr als glücklich darüber, dass ich Hot Sauce Millard und seine dämliche Paul-Bunyan-Geschichte einfach stehen lassen kann.

Nur, dass er mir durch die Eingangshalle folgt, zur Tür hinaus, in die frostige Januarnacht und über den Parkplatz.

Bis zu Carters Chevrolet Suburban.

Ich wirbele herum. »Was machst du denn da?«, spucke ich aus. »Warum folgst du mir?«

»Ich sitz vorne!« Er lacht, schnappt sich meine Tasche und wirft sie in den Kofferraum. »Mein Truck ist in der Werkstatt. Ich fahre bei euch mit.«

Das Schicksal gönnt mir aber auch gar keine Pause.

Kapitel 3 

Ich grummle leise vor mich hin, als ich die Hintertür aufreiße und auf den arschkalten Sitz gleite. Im Wagen ist es ungefähr genauso kalt wie draußen. Carter und Hot Sauce unterhalten sich vorne, als wäre ich überhaupt nicht da.

»HockeyFest. Scheiße«, sagt Carter. »Ich kann’s noch gar nicht glauben.«

Er stellt das Radio auf seinen Lieblingssender ein – Power Loon, für den BESTEN Klassikrock in Brainerd Lakes – und der Song, der gerade läuft, ist »Babe« von Styx. Das kann doch wohl nur ein Witz sein!

»Ja, oder?«, erwidert Hot Sauce. Offensichtlich hat er den Song noch nicht bemerkt, sonst würde er mich garantiert wieder mit irgendeinem Mist zu diesem blauen Ochsen nerven.

»Das ist so cool«, findet Carter. »Abschlussklasse, vielleicht eine Chance auf den Meistertitel – und jetzt sogar noch auf eine Übertragung im ganzen Bundesstaat beim HockeyFest.«

»Im ganzen Land, wenn Holland ein vernünftiges Interview abliefert und wir genügend Stimmen kriegen«, fügt Hot Sauce hinzu.

Oh, ich werde garantiert mehr als nur ein vernünftiges Interview abliefern. Ich werde das beste Interview aller Zeiten abliefern und uns die Fernsehübertragung sichern.

»Hallo«, sage ich, »ich bin übrigens hier.«

Die Jungs ignorieren mich. Der Song im Radio klingt aus und ein neuer beginnt: Poison, »Every Rose Has its Thorn«. Ah, einer meiner Lieblingssongs aller Zeiten, genreübergreifend. Ich lehne mich nach vorne.

»Kannst du das lauter machen?«, frage ich.

Carter stöhnt. »Du und deine Glamrock-Bands«, sagt er. Er stand schon immer mehr auf Klassikrock der späten 70er und frühen 80er. Journey, Boston, Supertramp, The Eagles. Oh, Mann, wie sehr er die Eagles liebt.

Hot Sauce dreht sich zu mir um und glotzt mich ungläubig an. »Du magst Poison?«

Carter bricht in schallendes Gelächter aus. »Sie liebt Poison. Sie versucht ganz allein, die Hair-Metal-Bewegung wieder aufleben zu lassen.«

»Man kann nicht wieder aufleben lassen, was nie tot war«, blaffe ich ihn an. »Ja, ich liebe Poison. Ist das vielleicht ein Problem?«

Hot Sauce lacht. »Oh, nein, Dutch, das ist überhaupt kein Problem.«

Er wendet sich wieder ab und ich will ihm gerade sagen – zum ungefähr neunhundertsten Mal –, dass er mich nicht Dutch nennen soll, als er anfängt zu singen.

Zu singen.

Hot Sauce Millard singt »Every Rose Has its Thorn« mit.

Seine Stimme klingt gleichzeitig rau und weich und – ich will nicht lügen – ein kleines bisschen sexy, und das nervt mich wahnsinnig.

Er ruiniert diesen Song für mich mit seiner wunderschönen Stimme und arroganten, unerträglichen Persönlichkeit gerade für immer. Eine Persönlichkeit, die wir, offen gesagt, in unserem Team nicht brauchen.

Ich spiele schon mein Leben lang mit denselben Jungs zusammen: mit meinen Brüdern, Showbiz, Luke, T. J. MacMillan, Slacks und seinen Brüdern. Wenn sich dann irgendwann einfach ein Neuer dazwischendrängt – noch dazu von einem Meisterschaftsteam –, geraten die Dinge ein wenig aus dem Gleichgewicht. Vor allem, wenn er nach nur einem Jahr in der Mannschaft zum Co-Kapitän gewählt wird. Niemand war überrascht, dass Carter die Position gekriegt hat, aber wir dachten alle, der andere wäre entweder T. J. oder Showbiz. Nicht der Neue.

Ich habe Hot Sauce in der Woche kennengelernt, bevor die Schule wieder losging und ich in die zehnte Klasse kam, direkt nachdem er nach Halcyon Lake gezogen war. Ich bin mit dem Fahrrad in die Stadt gefahren, um mich mit Morgan und unserer besten Freundin Cora im Little Dipper’s zu treffen, der Eisdiele, in der Morgan arbeitet. Hot Sauce war auch da, mit T. J.

»Hallo, Ladies«, hat T. J. uns auf seine schleimige Art begrüßt. Er ist groß, mit blonden Surferhaaren und blauen Augen, die so dunkel sind, dass sie beinahe schwarz wirken. Er riecht nach Ralph Lauren Polo Blue und Unaufrichtigkeit. »Darf ich euch unseren neuen Sniper vorstellen?«

Neuer Sniper? So nennen wir besonders treffsichere Torjäger: Scharfschützen. Ich habe den Kopf zur Seite geneigt und den Jungen betrachtet, der in der Sitznische saß. Größer als T. J., mit dunkelbraunen, in alle Richtungen abstehenden Haaren. Er kam mir bekannt vor, aber ich konnte ihn nicht richtig einordnen und habe deshalb angenommen, dass ich im Laufe der Jahre schon mal irgendwann gegen ihn gespielt hatte.

»Darf ich vorstellen? Die Ladies«, fuhr T. J. unbeirrt fort. »Cora Delmar und Holland Delviss.«

»Delviss?«, fragte Hot Sauce. »Das ist das Mädchen?«

Cora stemmte die Hände in die Hüften und öffnete den Mund, aber er redete sofort weiter, bevor sie ihre Tirade loslassen konnte. »Wie ich höre, bist du gar nicht mal schlecht. Vielleicht glaubst du ja sogar, dass du gut genug für eine Collegemannschaft bist, aber bilde dir bloß nicht ein, dass dir irgendjemand einen Freifahrtschein gibt, nur, weil du ein Mädchen bist. Das musst du dir schon verdienen.«

T. J. stieß ein Schnauben aus.

Mir klappte die Kinnlade herunter. »Und wer zur Hölle bist du?«

»Er«, antwortete T. J. und versuchte, ein Lachen zu unterdrücken, »ist Wes Millard. Er hat als Zehntklässler im Halbfinale in der Nachspielzeit das entscheidende Tor geschossen und Great River Thunder damit den Einzug ins Meisterschaftsfinale gesichert – das sie übrigens gewonnen haben – und jetzt spielt er für uns. Also zeig ein bisschen Respekt, Holland.«

»Ich zeige Respekt, wenn er es auch tut«, gab ich zurück und deutete mit dem Daumen auf ihn. »Bilde dir bloß nicht ein, dass dir irgendjemand einen Freifahrtschein gibt, nur, weil du ein … ein … Thunder bist. Nein, streich das wieder: ein ehemaliger Thunder. Jetzt bist du ein Hawk. Du musst dir meinen Respekt erst verdienen.«

»You go, Girl!«, rief Cora aus und klatschte mich ab.

Seitdem hat Hot Sauce einen neuen Schulrekord für die meisten in einer Saison erzielten Tore aufgestellt, wurde zum Co-Kapitän gewählt und hat es die ganze Zeit auf mich abgesehen.

Gott sei Dank wohnt er so nah an der Eishalle. Der Song endet, als wir in die Einfahrt eines blauen Einfamilienhauses in der Third Street abbiegen, das vom Stadtzentrum aus ein Stück bergauf liegt. Das Haus wirkt irgendwie langweilig, aber immerhin verfügt es über einen Zaun mit einem Gemälde der vier Jahreszeiten in Halcyon Lake, das auch eine Gruppe von Kindern zeigt, die auf einem zugefrorenen Teich Eishockey spielen.

»Danke fürs Mitnehmen, Six«, sagt er zu Carter und öffnet die Beifahrertür. »Hey, Dutch.«

Ich reiße den Kopf hoch. »Nenn mich nicht …«

Er winkt ab und unterbricht mich. »Ja, ja, schon klar. Ich hab gehört, was diese Typen vorhin über dich gesagt haben.«

»Was für Typen?«

»Pete und George. Nimm dir diesen Scheiß bloß nicht zu Herzen.«

Er hat es also gehört. Wenigstens muss ich mich das jetzt nicht mehr fragen. »Tue ich nicht …«

»George ist ein Freund von mir. Ich rede mit ihm. Er sollte sich nicht so das Maul zerreißen.«

»George ist ein Freund von dir? Er ist ungefähr sechzig.«

»Nimm es dir nicht zu Herzen«, wiederholt er. »Du bist gut. Du skatest irrsinnig schnell. Du behauptest dich gegen einen Haufen Kerle, die größer und stärker sind als du. Also lass dich von zwei alten Knackern nicht davon abhalten, da rauszugehen und auf dem Eis alles zu geben.«

Na, das ist doch mal ungewöhnlich. Ist er etwa nett zu mir?

»Ich gebe auf dem Eis immer alles«, erwidere ich mit leiser, ruhiger Stimme.

Er zuckt mit den Schultern. »Ja, na ja, ich meine aber nicht nur bei den Spielen. Ich meine auch beim Training. Und das fängt damit an, dass du pünktlich bist. Keinen Mist mehr, dass du länger bleiben und mit irgendeiner Lehrerin quatschen musstest.«

Nein. War wohl nichts mit nett.

»Das war kein Mist«, zische ich.

Er hebt eine Augenbraue, die mit der kleinen Narbe und der immer noch rosafarbenen, halbmondförmigen Einkerbung, die er sich geholt hat, als er in den Winterferien bei einem kleinen Spielchen mit ein paar der Jungs T. J.s Schläger abgekriegt hat. Ein Spiel, zu dem man mich nicht eingeladen hat.

»Gute Nacht, Dutch«, sagt er und wartet noch kurz darauf, dass ich mich ebenfalls verabschiede. Ich tue es nicht.

Dann dreht er sich endlich wieder um und steigt ohne ein weiteres Wort aus dem Auto.

Kapitel 4 

Mom ist über die HockeyFest-Neuigkeiten außer sich vor Begeisterung und kann anscheinend über nichts anderes mehr sprechen. Sie ruft Dad sogar per Videoanruf an, während wir beim Abendessen sitzen. Er ist Landschaftsarchitekt, arbeitet für eine große Landschaftsgärtnerei und Baumschule und ist gerade bei einer großen Fachmesse in Minneapolis. Er strahlt so vor Stolz, als hätten wir mindestens die regionale Meisterschaft gewonnen. Jesse und Carter reden vor Aufregung die ganze Zeit durcheinander.

»Der Vorsitzende des HockeyFest-Komitees hat mich heute angerufen und mich gefragt, ob ich das Catering bei einem Abendessen für Sponsoren übernehmen könnte«, erzählt Mom.

»Das Catering?«, fragt Dad aus Moms Smartphone. »Stand die Idee denn überhaupt mal zur Debatte?«

Mom ist eine bekannte Food-Bloggerin mit ganz besonderem Schwerpunktthema: Wie kriegt man heranwachsende, hungrige Eishockeyspieler satt? Sie schreibt ihren Blog, Top Shelf Cooking – »Top Shelf« ist eine doppeldeutige Anspielung und bezeichnet im Eishockeyfachjargon einen Treffer in der oberen Ecke des Tors – seit ungefähr zehn Jahren. Sie musste irgendwie das Kunststück bewältigen, vier heranwachsende Eishockeyspieler satt zu bekommen – und das für möglichst wenig Geld – und gleichzeitig dafür zu sorgen, dass wir trotzdem gesund und zufrieden waren, während sie uns ganz nebenbei zum Training und zu Spielen chauffierte. Sie hat mit dem Blog angefangen, um den Überblick zu behalten. Er schlug in der Internetgemeinde der Eishockeymütter ein wie eine Granate. Alles begann damals mit einem Rezept für Hühnerfrikassee mit Käsesauce, Brokkoli und Reis. Schongarer- und Dampfkochtopf-Hersteller lieben meine Mom und schicken ihr ständig neue Produkte, damit sie sie in ihrem Blog vorstellt, und außerdem verdient sie nebenbei eine ordentliche Stange Geld durch Werbeeinnahmen.

Dieses Käsehühnchen gehört immer noch zu meinen Lieblingsgerichten.

»Könnte Spaß machen, es einfach mal zu probieren«, antwortet Mom. »Das Dinner ist für ungefähr fünfzig Personen, am Abend vor dem Spiel. Ich dachte an irgendein Gratin oder so. Aber ich bräuchte Freiwillige, die mir beim Servieren helfen.« Sie deutet auf uns drei.

Die beiden unterhalten sich noch ein paar Minuten weiter, bevor Dad uns Gute Nacht sagt.

»Du bist ja so still, Holland«, bemerkt Mom und lädt noch mehr Kartoffelgratin auf meinen Teller. Immerhin haben mir die heutigen Neuigkeiten nicht den Appetit verschlagen. »Freust du dich denn nicht wegen des HockeyFests?«

»Doch, klar freu ich mich«, antworte ich und schaufle mir eine Gabel voll Kartoffeln in den Mund. Bei Mom herrscht striktes Verbot, mit vollem Mund zu sprechen, deshalb hoffe ich, dass sie sich mit dieser Antwort zufriedengibt.

»Sie ist nervös«, wirft Carter sehr hilfreich ein. »Wegen des Interviews.«

Super, Carter, danke.

»Außerdem haben Pete und George sich heute Abend in der Eishalle das Maul über sie zerrissen«, fährt er fort.

»Carter!« Ich schlucke den Mundvoll Kartoffeln hinunter.

»Warum kümmert es dich, was diese beiden Typen denken?«, will er wissen.

»Woher weißt du das überhaupt? Du warst doch noch in der Kabine.«

Er zuckt mit den Schultern. »Ich hab gehört, was Wes im Auto zu dir gesagt hat, und ihn angerufen, als wir nach Hause gekommen sind.«

Ich starre ihn mit weit aufgerissenen Augen an und schüttle den Kopf. Neugieriger Mistkerl.

Carter kratzt mit der Gabel über seinen Teller und steckt sich den letzten Happen seines Abendessens in den Mund. »Du bist mit Abwaschen dran, Holls.« Er schiebt seinen Stuhl vom Tisch zurück und steht auf. »Jess und ich müssen uns unten um eine wichtige Angelegenheit in Sachen Football-Playoffs kümmern.«

Jesse schiebt seinen Teller weg. »Dein Untergang naht, Six.«

»Hausaufgaben!«, ruft Mom ihnen nach, als sie die Treppe nach unten trampeln. Jesse grunzt nur zur Antwort. »Die zwei würden rund um die Uhr Videospiele spielen, wenn man sie ließe.« Sie seufzt.

Ich stehe auf, um den Tisch abzuräumen. »Ich glaube, es hilft ihnen, Stress abzubauen.« Zu dumm nur, dass ich nicht auf Videospiele stehe.

»Es tut mir leid, dass du wegen des Interviews gestresst bist«, sagt Mom. »Selbst als du noch ein kleines Mädchen warst, hast du nie gern im Mittelpunkt gestanden.«

»Das ist es nur zum Teil«, erwidere ich zögernd. Ich behalte eine Menge Dinge für mich, aber Mom besitzt dieses ganz besondere Talent, sie mir trotzdem zu entlocken.

»Und was ist der andere Teil?«

Ich staple die Teller und das Besteck übereinander und trage sie zum Spülbecken. »Es verlassen sich so viele Leute auf mich. Praktisch die ganze Stadt.«

»Hmm«, brummt sie und bringt die restlichen Kartoffeln mit. »Jetzt, wo wir wissen, dass wir zu den HockeyFest-Städten gehören, geht es darum, dass wir alle an einem Strang ziehen. Die Fernsehübertragung ist nur ein Puzzleteil. Vergiss nicht: Genau wie auf dem Eis ist auch das eine Sache des ganzen Teams. Du bist nicht die Einzige, die sie interviewen.«

»Ja, aber ich bin schließlich der Grund, oder nicht? Dass wir überhaupt ausgewählt wurden?«

»Vielleicht. Grandpa Delviss ist da vielleicht anderer Meinung.«

Mein Großvater ist Gründungsmitglied und ehemaliger Präsident des Rotary Clubs. Die Organisation hat Geld für die Renovierung der Eisbahn und des steinernen Aufwärmhäuschens im Hole in the Moon gespendet. Ja, die Restaurierung hat historische Bedeutung und nein, ich bin nicht das einzige Mädchen im ganzen Eishockey-Staat, das in einer Jungenmannschaft spielt, aber seien wir doch mal ehrlich: Ich bin der Grund.

»Trotzdem. Warum kann ich nicht einfach ein ganz normaler Eishockeyspieler sein anstatt immer nur das Mädchen?«

»Ich weiß, Schatz«, tröstet mich Mom. »Sei einfach nur du selbst, dann kann nichts schiefgehen.«

Klingt supereinfach.

Ich fülle die Spülmaschine, schalte sie an und schnappe mir ein paar von Moms berühmten klebrigen Bio-Kokos-Haferkeksen. Ernsthaft, sie sind berühmt. Sie hat sie im Oktober in der Sendung »Katy Bakes Live!« gebacken und der Post hat ungefähr zwei Millionen Klicks gesammelt. Keine Übertreibung. Ich stapfe die Stufen zu meinem Zimmer hinauf und ziehe die Schulbücher und den Notizblock aus meinem Rucksack. Ich lege sie in einem ordentlichen Stapel auf meinen Schreibtisch, schlage aber keins von ihnen auf. Stattdessen starre ich auf die Sachen, die an der Pinnwand neben meinem Fenster hängen. Erinnerungen und Meilensteine. Die Mannschaftsaufstellung von meinem ersten Spiel in der Schulmannschaft. Eine laminierte signierte Sammelkarte von Zack Parise, die mein Bruder Hunter bei einem Garagenflohmarkt für unfassbare zehn Dollar ergattert hat. Ein Foto von mir, meinen Brüdern und meinem Dad, alle in Eishockeyausrüstung, wie wir auf dem zugefrorenen See hinter unserem Haus vor dem Tor posieren. Ein Bild von mir, Morgan und Cora im Little Dipper’s.

Und ein Zeitungsausschnitt, der sich an der einen Ecke aufrollt, an der er nicht festgepinnt ist.

Es ist ein Leserbrief. Ein Brief, den ich inzwischen auswendig kann, geschrieben von Don O’Rourke, einem Einwohner von Halcyon Lake. Big Donnie, wie ich ihn nenne. Ein alter Herr, dessen Enkelin für die Mädchenmannschaft gespielt und letztes Jahr ihren Abschluss gemacht hat. Don hatte eine Menge zu sagen, nachdem ich mein erstes Spiel in der Schulmannschaft absolviert hatte. Unter anderem eine Menge Schwachsinn von wegen angeblicher Bedenken wegen meiner Sicherheit und Gesundheit. Die alte Leier, was für eine Farce es doch sei, es einem Mädchen zu erlauben, in der Jungenmannschaft mitzuspielen und dass man damit mir und demjenigen, dem ich den Platz im Team wegnehme, einen schlechten Dienst erweist. Peinlich und eine Schande für die Integrität des Sports, bla, bla, bla. Und dann das:

Es Miss Delviss zu erlauben, in diesem fortgeschrittenen Alter mit den Jungen zu spielen, erschafft für die Trainer Schwierigkeiten, über die sie sich nicht den Kopf zerbrechen müssen, solange die Spieler noch jünger sind: Eine junge Frau auf dem Eis und in der Umkleidekabine stellt für Jungs im Teenageralter eine erhebliche Ablenkung dar und wirkt sich zumindest auf die Qualität ihres Spiels aus. So gerne ich auch etwas anderes behaupten würde, aber Jungs sind und bleiben nun mal Jungs. Und ich persönlich werde keinerlei Mitgefühl für Miss Delviss empfinden, sollte sich aufgrund ihrer Anwesenheit in der Mannschaft etwas Unglückliches ereignen.

Tiefer als alles andere trafen mich diese Worte – seine unbegründeten Annahmen.

Ich habe Don O’Rourkes Sätze wie Steine eingesammelt. Ich trage sie jeden Tag mit mir herum. Ich hole sie immer wieder hervor und drehe sie hin und her, Andenken an all das, wogegen ich kämpfen muss. Andenken daran, was ich schaffen kann.

Eine Farce und ein schlecht erwiesener Dienst.

Peinlich und eine Schande für die Integrität des Sports.

Eine erhebliche Ablenkung.

Jungs sind und bleiben nun mal Jungs.

Ich strecke eine Hand aus und berühre die Worte, erinnere mich an die Wut, die sich in meinen Magen krallte, als ich sie zum ersten Mal gelesen habe. Eine Wut, die mich an den meisten Tagen antreibt und mich motiviert, ihm das Gegenteil zu beweisen. Ihm und Pete und George und allen anderen, die diese Dinge glauben.

Aber heute Abend erschöpft mich die Last dieser Steine nur.

Wasting Light: Ein Blog über Musik, Eishockey und das Leben

11. Januar, 00:04 Uhr.

von HardRock_Hockey

Die Power der Power-Ballade

Es läuft: Poison, Open Up and Say … Ahh!

Hallo Hardrocker,

ich gehöre nicht zu den Mädchen, die auf schnulzige Liebeslieder stehen. Ich bin weder romantisch noch schwärmerisch veranlagt. Ich weine nicht bei Happy Ends, genauso wenig wie bei traurigen Enden, wenn wir schon dabei sind. Ich brauche noch nicht mal ein Happy End. Ich ziehe einen Korb voller ausgedienter Pucks für ein Schusstraining einem Strauß Rosen und Pralinen jederzeit vor.

Aber es gibt eine Sache, der ich einfach nicht widerstehen kann – und das sind romantische Power-Balladen. Power-Balladen gibt’s schon ewig, aber, Leute, die aus den 80ern … Das ist definitiv meine Lieblingsära der Power-Balladen: Hair-Metal-Bands und Glamrock.

Natürlich sind nicht alle Power-Balladen Liebeslieder, aber sie können es sein; »Love Song« von Tesla, zum Beispiel. Sie können vom Ende einer Beziehung erzählen – »Time for Change« von Mötley Crüe – oder eine Antikriegs-Hymne sein, wie »When the Children Cry« von White Lion.

Manchmal geht es im Text um Hoffnung, manchmal um brodelnde Wut. Aber so oder so, eine Power-Ballade gibt dir etwas. Etwas, woran du glauben kannst (ja, ganz genau, wie »Something to Believe In« von Poison).

Und wo wir schon mal bei Poison sind: Heute Abend hat mein Bruder behauptet, dass ich versuche, ganz allein die Hair-Metal-Bewegung der späten 80er wieder aufleben zu lassen. Ich habe ihm kurz und knapp klargemacht, dass man etwas nicht wieder aufleben lassen kann, das nie tot war. Der durchschlagende Beweis dafür ist die Power-Ballade unter den Power-Balladen: »Every Rose Has its Thorn« von, natürlich, Poison. Ein Song, den Bret Michaels mit gebrochenem Herzen mitten in der Nacht in einem Waschsalon geschrieben hat, nachdem er erfahren hatte, dass seine Freundin ihn betrügt! Ein Song, den die Plattenfirma noch nicht mal als Single veröffentlichen wollte! Ein zeitloser Klassiker!

Power-Balladen üben eine beruhigende Wirkung aus. Sie mildern den Schmerz, egal, ob man unter einem gebrochenen Herzen leidet oder erst begreift, was man hat, wenn man es verloren hat, um andere große Songs zu zitieren. Power-Balladen ermöglichen es dir, deinen Gefühlen freien Lauf zu lassen und sie gleichzeitig zu verstecken, damit niemand sie sieht.

Es ist doch so: Ich bin ein Mädchen in einer Welt voller Kerle. Einer Welt, in der es als Zeichen der Schwäche gilt, andere Gefühle zu zeigen als Wut – oder Begeisterung nach einer grandiosen Parade oder einem sensationellen Tor. Ich habe noch nie – nicht ein einziges Mal – auf dem Eis geweint. Allein in der Umkleidekabine nach dem Spiel? Klar, schon öfter. So lange ich zurückdenken kann, habe ich meine Gefühle mithilfe von Musik verarbeitet. Sicher, der Text spricht mich an, aber manchmal sind es auch ein Gitarrenriff oder ein Schlagzeugbeat, die mich mitten ins Herz treffen und sich ganz tief hineingraben.

Oder dieses tiefe Luftholen am Anfang von »Every Rose Has its Thorn«. Ihr wisst, wovon ich spreche. Falls nicht, schaltet Power Loon im Radio ein – wahrscheinlich spielen sie den Song sogar gerade.

Ich kann mich glücklich schätzen. Mir wurde in meinem jungen Leben noch nie wirklich das Herz gebrochen. Natürlich war ich schon mal verknallt (Zach Parise zählt doch, oder?). Aber ich bin nicht naiv. Ich weiß, dass es eines Tages passieren könnte. Das ist nun mal ein Teil des Lebens, richtig?

Aber hier ist der eigentliche Grund, warum ich heute Nacht diesen Eintrag schreibe und mir Poison in Endlosschleife anhöre: Power-Balladen – und Musik im Allgemeinen – besitzen auch die Macht, dich von dem ganzen Scheiß abzulenken, über den du dir Sorgen machst. Von dem Kummer, dem ganzen Druck, dem Stress. Ihr wisst schon. Manche Leute hören vielleicht klassische Musik oder New Age oder was auch immer, wenn sie gestresst sind. Ich tendiere eher zu etwas Härterem, Rauerem. Und manchmal ist das eben eine Power-Ballade.

Und auch wenn ich vielleicht noch nie denselben Herzschmerz empfunden habe wie Bret Michaels, als er diesen Song in diesem Waschsalon schrieb, ich weiß, wie sich Enttäuschung anfühlt. Ich kenne überwältigenden Druck. Ich kenne Stress. Und heute Nacht werde ich diesen Stress mit Poison und Power Loon abbauen – und mit dieser grandiosen Playlist zum Chillen, die ich gerade zusammengestellt habe.

HARD ROCK_HOCKEY TOP 10: ANTI-STRESS

10. »Planet Caravan« – Pantera (Black Sabbath Cover)

9. »Black Book of Fear« – Mad Season

8. »Vulgar Before Me« – Candlebox

7. »The Rain Song« – Led Zeppelin

6. »Big Empty« – Stone Temple Pilots

5. »I am the Highway« – Audioslave

4. »Fall to Pieces« – Velvet Revolver