2,99 €
Die Mithilfe Artouste Goelands beim Verschwinden seiner Tochter Rafale bleibt nicht unbemerkt. Jedoch trotzt er allen Versuchen seiner Festnahme und stellt sich offen gegen das Imperium. Die Kolonieweltler verehren ihn dafür und stilisieren ihn damit zum – ungewollten – Revolutionsführer. Rafale hingegen schlägt sich nach Banda III durch, um nach Beweisen für ihre Unschuld zu suchen. Doch die Kartellwelten haben Truppen zum Planeten entsandt. Und auch der Colerianische Herbst ist nicht untätig. Während Artouste und seine treuen Kameraden den Werftmond CN-0197 zur Verteidigung rüsten, muss sich Rafale auf Banda III den Überresten ihrer Vergangenheit stellen – und ganz persönlichen Feinden.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2021
HYBRID VERLAG
Vollständige elektronische Ausgabe
05/2021
Colerianischer Herbst – Schattenseiten
© by Sylvia van Wijhe
© by Hybrid Verlag
Westring 1
66424 Homburg
Umschlaggestaltung: © 2020 by DeadRabbit/Paul Lung
Lektorat: Paul Lung
Korrektorat: Birgit van Troyen, Petra Schütze
Buchsatz: Paul Lung
Coverbild ›Planet Centronos‹
© 2019 by Creativ Work Design
Coverbild ›Das Eden-Projekt‹
© 2016 by Creativ Work Design
Coverbild ›Predyl – eine neue Welt‹
© 2017 by Creativ Work Design
Coverbild ›Limes – fremde Bedrohung‹
© 2020 by Creativ Work Design
ISBN 978-3-96741-103-4
www.hybridverlag.de
www.hybridverlagshop.de
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar.
Printed in Germany
Sylvia van Wijhe
Colerianischer Herbst
Schattenseiten
Science-Fiction
Gewidmet Annelie, die einfach davongeflogen ist.
Colerianischer Herbst
Sei der Winter auch die Totenzeit
doch schon im Herbst ist es soweit
zeigt sich schleichender Verfall
Tag für Tag und überall
so fällt Welkes, Blatt für Blatt
vom trockenen Geäst hinab
bis sich dann der Frost erbarmt
Coleria – Du bist gewarnt!
Blatt 51: Widerstand gegen die Staatsgewalt
»Verhaftet? Was soll das denn heißen?«
Artouste Goeland starrte den Leutnant 1. Ranges unter seinen buschigen, rötlichen Brauen hinweg an. Es war ein Blick, der in einem dünnen Blech Beulen hinterlassen hätte. Ein Blick, der schon angesichts der unterschiedlichen Körpergrößen eine gewisse Fallhöhe besaß, bevor er mit Wucht sein Ziel erreichte.
»Naja, verhaftet eben. Ich verhafte Sie hiermit im Namen des Imperators«, versuchte es Lieutenant Chient erneut.
»Ach ja? Im Namen des Imperators? Wissen Sie Strichlatte überhaupt, wie der Typ heißt? Na? Ich warte! Oder brauchen Sie da diese nasse Primel hinter Ihnen zum Vorsagen?«
Chient seufzte innerlich, ohne seine äußerst gewichtige und ernste Mimik damit zu trüben. Ein Talent, das die meisten imperialen Offiziersgrade irgendwann erwarben. Warum nur bekam immer er solche undankbaren Aufträge? Corporal Grandgalet, sein Adjutant, hatte sich standhaft geweigert, dem ungehobelten Direktor von CN-0197 abermals allein gegenüberzutreten, und als Vorgesetzter konnte er sich ihm schlecht anschließen. Auch wenn ihm gerade dämmerte, dass es möglicherweise eine gute Idee gewesen wäre. Grandgalet würde ihm jedenfalls erneut keine Hilfe in dieser Sache sein, er hatte sich bereits halb hinter seinem Rücken versteckt.
»Sir! Jetzt beleidigen Sie imperiale Offiziere!«, brachte er mit möglichst autoritärer Stimme hervor, während er seinen dünnen Oberlippenbart zwischen Daumen und Zeigefinger zwirbelte.
»Oh, ist das ein Befehl? Na gut, wenn Sie es so wollen, bitte sehr: Vollidiot! Na, jetzt zufrieden?«, knurrte Goeland und es klang wie das Reiben schwerer Steine aufeinander.
Chient presste seine Lippen zu einem dünnen Doppelstrich zusammen und bemühte sich, damit seinem Oberlippenbärtchen einen Eindruck von Dominanz zu verleihen.
»Sir, jetzt lassen Sie bitte diese Späße und lassen Sie uns einfach wie erwachsene Menschen nach dem Protokoll weiterverfahren, ja?«
»Ich mache keine Späße, du kleines Häufchen Elend in Uniform«, brummte es ihm entgegen und Goelands Worten folgte dessen hünenhafter Körper, bis dieser direkt vor Chient stand. Er war jetzt gezwungen, seinen Kopf in den Nacken zu legen und überließ es Grandgalet, seine Offiziersmütze dabei in Position zu halten.
»Wo sind denn die anderen beiden Verdächtigen?«, herrschte Chient in einer Art Ersatzhandlung den Truppführer an, der in gebührendem Abstand von den dreien stand und demonstrativ die Eingangstür absicherte. Chient kam es mehr so vor, als wollte er sich möglichst nah am Fluchtweg befinden.
»Meine Leute haben sie aufgetrieben, Sir!«, versicherte der in braun-schwarze Schutzausrüstung gekleidete Mann. »Sie müssten in wenigen Minuten hier sein, Sir!«
Die Arbeit für die Imperiale Militärpolizei – Chasseurs Militaires oder kurz CM – war nicht der schlechteste Job, so sagte sich Lieutenant Chient wieder und wieder. Gerade in Kriegszeiten – und es war ja schließlich fast immer Krieg – war es von Vorteil, nicht an der galaktischen Front zu stehen. Auch in der Etappe konnte man wertvolle Dienste für den Imperator leisten. Im Gegenteil, es machte ihm sogar ausgesprochene Freude, Fahnenflüchtige, subversive Elemente, umtriebige Journalisten und anarchistische Chaoten aller Art aus der ruhmreichen colerianischen Gesellschaft zu entfernen und sie einer gerechten Justiz zuzuführen. Aber es gab auch Tage wie diesen, und er spürte mehr als deutlich, dass er mit einem einzigen Feierabendbier heute nicht auskommen würde. Immer, wenn er Goelands diamantbohrerhartem Blick auszuweichen suchte, sah er hinab und erblickte stattdessen Goelands Fäuste, die gefühlt ungefähr so groß waren wie sein eigener Adjutant.
»Ich würde vorschlagen, wir warten die Ankunft der beiden Herren ab und dann bereden wir die Sache nochmals. Wollen wir uns vielleicht solange setzen?«, begann er gezwungen charmant und machte einen Schritt rückwärts, um sich dann der einladenden altmodischen Besucherlounge zuzuwenden.
Goeland blieb stehen.
»Ehm … na gut, wir können ja auch hier warten«, entschied Chient mit resignierendem Unterton.
Für einige Minuten flüsterte nur das leise Lied der Luftaufbereiter durch den Raum. Ganz gelegentlich unterbrach ein bassiger Schlag, mehr zu spüren denn zu hören, die Ruhe, wenn irgendwo in einer der unzähligen Ebenen des gewaltigen Werftmondes schwere Bauteile aufeinander prallten.
Adjutant Grandgalet schaffte es irgendwie, bei jeder Bewegung seines Vorgesetzten in dessen Rücken zu bleiben und er war vermutlich sehr dankbar, dass dieser Goeland immer die Front zuwandte.
Artouste Goeland verschränkte seine Arme vor der Brust. Die Geste wirkte nicht nur ungehalten, sondern ließ seinen mächtigen Brustkorb noch ein wenig breiter erscheinen. Unangenehm breiter.
Wie eine Fanfare der allgemeinen Erleichterung seufzte schließlich die pneumatische Tür des Großraumbüros, um sich dienstbar zu öffnen. Herein kamen zuerst zwei CMs, danach betraten zwei ältere Männer das Büro, gefolgt von mehreren watschelnden Intelli-Bots. Zwei weitere Bewacher bildeten die Nachhut. Die kleine Gruppe lief fast ineinander, als die vorderen CMs stehenbleiben wollten, um ihrem Truppführer zu salutieren, die beiden Verdächtigen jedoch schnurstracks in Richtung der Couch weitergingen. Schließlich einigte man sich intuitiv auf eine eher gelockerte Party-Aufstellung mitten im Raum, sehr zu Chients Verdruss.
»Meine Herrschaften«, begann er mit offiziellem Tonfall. »Darf ich annehmen, dass Sie Jean-Baptiste Vigreux und Benoit Costa sind?«
»Also, ich muss Sie enttäuschen, mein Bester«, begann Vigreux mit ausladender Gestik und einer leicht angedeuteten Verbeugung. »Leider vermag ich nicht, beide Identitäten auszuüben. Ich beschränke mich auf meine Funktion als Vigreux. Ben, würdest du den anderen Part übernehmen? Sei doch so gut, ja?«
»Das hier ist eine Verhaftung und keine Komödie, meine Herrschaften!«, rief Chient aufgebracht. »Ich bitte um den gebührenden imperialen Ernst!«
»Er wollte damit ausdrücken, dass du beleibt genug für zwei Personen bist, mein lieber Joba«, erklärte Costa mit belehrendem Tonfall, während sich die Intelli-Bots weiter im Raum verteilten.
»So? Das muss ich mir von diesen zwei halben Portionen doch sicher nicht gefallen lassen, oder? Kann man sie dafür verklagen, Ben? Was meinst du?«
»Ruhe jetzt!«, schrie Chient mit dem schrillen Unterton beginnender Hysterie los. »Ich beginne nochmals!«
»Es muss gut gewesen sein, Artouste ist schweigsam. Das ist er nur, wenn man ihn wirklich gut unterhalten hat«, nuschelte Vigreux.
»Also: Meine Herrschaften, ich verhafte Sie hiermit im Namen des Imperators!«
Goeland und seine beiden Freunde sahen Chient ausdruckslos an.
Die Chasseurs erhoben zögernd ihre Waffen, um der Erklärung den passenden Nachdruck zu verleihen. Dennoch wirkte es, als liefe etwas ganz anders als sonst üblich.
Chient schnappte nach Luft und fuhr nach kurzer Pause fort. »Ihnen werden folgende Vergehen wider das colerianische Imperium zur Last gelegt: Bildung einer subversiven Gruppe, Verstoß gegen das Pflicht-Treue-Gesetz, Unterschlagung imperialen Eigentums, nicht genehmigte Verbreitung von Kriegswaffen, diverse Verstöße gegen die Registrierungsverordnung von Raumschiffsantrieben, Sabotage imperialer Verteidigungsanstrengungen und … ehm.«
Grandgalet flüsterte ihm etwas zu.
»Ja ja, und natürlich Beleidigung imperialer Offiziere im Dienst, das weiß ich selbst, Adjutant!«, blaffte Chient zurück.
Die drei Männer sahen ihn noch immer ausdruckslos an.
»Möchten Sie sich dazu äußern?«, half Chient rhetorisch nach, in der Annahme, sie wären sprachlos angesichts der massiven Taten, derer sie überführt worden waren.
»Hätten wir denn bis nach Dienstschluss mit dem Beleidigen warten sollen? Wir dürfen keine Überstunden machen«, fragte Costa nüchtern nach.
»Sie haben die illegale Verwendung von Transponderkennungen vergessen«, ergänzte Vigreux hilfreich, indem er betonend mit seinem Repulsor-Gehstock winkte.
»Mein lieber Joba, du vergreist tatsächlich, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf. Du vergisst ja die Behinderung imperialer Ermittlungsverfahren, so was ist doch keine Kleinigkeit«, sagte Costa mahnend.
Er sah dabei jedoch nicht zu Vigreux oder Chient, sondern musterte seine sechs Intelli-Bots, die mittlerweile dezent in einem leichten Bogen um die Gruppe aufgestellt waren. Sie rührten sich nicht weiter, von der rhythmischen Bewegung der kleinen Intra-Antennen auf ihren Kopfstücken abgesehen.
»Adjutant, notieren Sie das!«, wies Chient Grandgalet an.
Wieder kehrte Stille ein. Endlich rührte sich Artouste Goeland, der Patriarch der Werft. »Und was kommt jetzt?«, schnappte er.
»Jetzt? Jetzt kommen Sie mit uns, Sie sind vorläufig unter Arrest gestellt.«
»Wir denken ja gar nicht daran.«
»Was?«
»So, und jetzt hörst du Nufa-Furz mir mal zu! Erstens sind wir die leitenden Großmeister dieser kriegswichtigen Werft. Wenn dieses verfrellte Imperium eines braucht, dann sind das Kriegsschiffe, mit denen es kämpfen kann und wir stellen deren Produktion sicher, kapiert? Und zweitens versucht ihr unfähigen Arschkrampen dauernd, euer Versagen auf Banda III meiner Tochter in die Schuhe zu schieben, weil ihr zu feige seid, euch wie echte Soldaten zu Fehlschlägen zu bekennen. Zu meinen Zeiten hätte es so was nicht gegeben und deswegen helfen wir ihr, ihre Weste wieder reinzuwaschen. Verdient habt ihr es nicht, dass wir die Sache richtigstellen, aber sie hat es verdient! Das hab ich auch deinem kleinen Kofferträger schon zu erklären versucht, aber der kann ja nicht mal seinen Angstschweiß bei sich behalten, geschweige denn eine Erklärung aus dem Mund gestandener Imperialer!«
»Jetzt reicht es mir aber«, rief Grandgalet schrill aus. »Dieser Mensch ist einfach eine Zumutung für -«
»Ruhe, Adjutant, das besprechen wir später!«, wies Chient ihn zurecht. »Also: Wenn die Herrschaften mir dann bitte zum Shuttle folgen wollen?«
»Hörst du schlecht? Ich habe eben gesagt, wir denken ja gar nicht daran!«, knurrte Artouste Goeland und schloss wieder zu dem Leutnant auf.
Chients Mund klappte auf und zu. Die Dinge liefen nicht gut und er begann, sich nach einem Posten an der galaktischen Front zu sehnen. »A-Aber … das ist Widerstand gegen die Staatsgewalt!«
»Quatsch. Noch lange nicht. Das hier ist Widerstand gegen die Staatsgewalt!«, bellte Goeland los und holte Chient mit einem einzigen Kinnhaken von den Füßen. Der Leutnant flog nach hinten und riss Grandgalet dabei gleich mit zu Boden.
Während Chient getroffen am Boden liegenblieb und sich vor Schmerzen wand, versuchte Grandgalet, sich aufzurappeln und den verdutzten Chasseurs einen Befehl zuzurufen. Er wurde jedoch sogleich von Vigreux’ Gehstock am Kopf getroffen und sackte dann direkt neben Chient zusammen.
Die Soldaten blieben für einen Herzschlag lang überrascht stehen, dann hob der Truppführer eine Hand und sie legten mit ihren Plasmagewehren an. Noch während die Hand niederging, um den Feuerbefehl zu signalisieren, fiepten Costas Intelli-Bots los und eine schimmernde Barriere baute sich vor ihnen auf. Die Salve der Chasseurs verpuffte in dem Energieschild.
Kurzentschlossen griff Goeland mit seinen prankenartigen Händen den Leutnant und warf ihn in hohem Bogen über den Energieschild. Mit einem lauten Schmerzensschrei landete Chient genau zwischen den Schützen und riss diese um.
Artouste Goeland verschwendete keine Zeit. »Sofa umwerfen!«, orderte er. Vigreux und Costa legten keuchend das Möbelstück auf die Lehne.
»Oh, Artouste, deine Methoden mögen zwar hemdsärmelig sein, aber es ist schön, dass du an Waffen gedacht hast!«, lobte Vigreux, während er ein Plasmagewehr aus der Unterseite des Sofas zog und an sich nahm. »Ich hätte dir ungern deine verbliebenen Wurfobjekte streitig gemacht!«
»Ich schlage vor, wir behalten diesen jungen Mann hier, aus erzieherischen Gründen«, sagte Costa, während er bereits eine Salve aus seinem Plasmagewehr in Richtung der Chasseurs abgab. Die Phalanx der schnatternden, kleinen Bots modifizierte das Energiefeld sofort, um es für die Schüsse aus Costas Richtung durchlässig zu machen.
»Gerade, wo ich mich warm geworfen habe!«, brummte Goeland und ließ den bewusstlosen Adjutanten vor seinen Füßen liegen, um sich dann auch ein Gewehr zu greifen.
Nach dem Austauschen einiger Salven sahen die Soldaten offenbar ein, dass der Energieschild zu stark für ihre Waffen war und ließen sich langsam in Richtung der Bürotür zurückfallen. Der Truppführer packte den wimmernden Chient am Kragen und zerrte ihn unter dem Feuerschutz seiner Leute mit sich.
Die verstärkte Tür schloss sich hinter ihnen und ließ Goeland und seine Freunde allein im Büro, von dem reglosen Grandgalet abgesehen.
»Artouste, mein Alter«, mahnte Vigreux. »Du brauchst nicht so dicht vor dem jungen Mann zu stehen, nachher strauchelst du und wirst ein Opfer deiner Osteoporose! Außerdem scheint der Junge unsere Gastfreundschaft zu akzeptieren.«
»Er sieht irgendwie blass aus, wir sollten ihm einen Kräuterbitter gönnen«, schlug Costa vor, während er seine Intelli-Bots näher zur Tür schickte.
Goeland hastete zu seinem wuchtigen Schreibtisch und tippte einige Kommandoschalter. Eine Alarmhupe tönte laut los und entlang der Wandverkleidung flackerten die Kontrollmonitore diverser Überwachungskameras des Hauptgebäudes auf. Werftpersonal und Bots liefen auf den Bildern umher, Leute des Werksschutzes stiegen in ihre wartenden Gleiter. Andere Monitore zeigten Schaltbilder, die nur Experten wie Goeland und Costa über die programmierten Verteidigungssysteme unterrichteten.
Schnaufend setzte sich Vigreux auf die Kante der umgekippten Couch, das rauchende Gewehr in einer Hand, den Gehstock in der anderen. »Ein wirklich interessanter Tag heute, muss ich zugeben. Sollten wir jetzt dein Fräulein Tochter informieren, dass sie ihrerseits eine kleine Kommandoaktion starten muss, weil wir in Schwierigkeiten stecken?«
Blatt 52: Kurs Banda III
»Sprungpunkt-Koordinaten sind berechnet.«
»Gut. Objekte in der Nähe? Raumschiffe? Sagen die Hyperraumscanner etwas über Masseschatten?«
»Negativ. Der Subsektor ist so friedlich, wie er nur sein kann. Und sein sollte.«
Rafale Goeland nickte. Es war fast zu einfach. Andererseits war es nur das aufsummierte Ergebnis von colerianischer Ordnung, ihrer astrogatorischen Ausbildung und der Teamarbeit an Bord des kleinen, zusammengewürfelten Raumschiffes, einer Seifenkiste mit Hyperdrive. Einer professionell gebauten Seifenkiste allerdings. Der Subsektor CP128, einer der Coleria Prime sternförmig umgebenden Nahbereichssektoren, war behördlich kontrolliert und frei von nicht erfassten beweglichen Objekten. Hier lag der Sprungpunkt in den Hyperraum, der direkt auf die gut navigierbare, von Masseschatten freie Lanth-Route führte. Sogar Schiffe, die nicht das dort positionierte imperiale Sprungtor nutzten, sondern einen eigenen Hyperdrive besaßen, starteten ihre Reise von Subsektor CP-128 aus, wenn sie spinwärts durch die Galaxis reisten. Die Aussicht, beim Beschleunigen über Lichtgeschwindigkeit hinaus am Masseschatten eines nur wenige Mikrogramm schweren Staubteilchens atomisiert zu werden, war eben doch ein starkes Argument.
»Abfrage Reaktor?«
»Elah, was soll der schon tun? Er wackelt mit dem Hintern vor Kraft und würde diese gern in den Hyperantrieb pumpen.«
»Vielen Dank für die bildhafte Darstellung, Mister Nour«, erwiderte Rafale grinsend. »Dann schalte ich jetzt den Gegenfeld-Emitter zu, es sei denn, Sie legen Wert darauf, von der Beschleunigung zerquetscht zu werden.«
»Zum Disha nein, mon Capitaine! Meine kümmerlichen Überreste würden sicherlich Miss d’Oustracs perfekte Frisur entweihen.«
Schräg hinter Rafale ertönte ein leises, eingeschnapptes Schnaufen. Rafale entschied, die Spitze einfach zu ignorieren. So kurz vor dem Sprung in den Hyperraum wollte sie keine Eskalation des bröckeligen Burgfriedens und begnügte sich deswegen mit einem giftigen Blick zu Nour, in der Hoffnung, dass er ihn zu deuten wusste.
Sie schloss die Augen. So viele Jahre, so viele Sprünge. Das Verlassen des herkömmlichen dreidimensionalen Raumes in dieses fast jenseitige Chaos aus wirbelnden, die Sinne verwirrenden Mustern hinein hatte auch nach so langer Zeit noch eine tiefe Wirkung auf sie. Der Raum jenseits des Raumes war mit gewohnten mathematischen Modellen nur schwer fassbar und hatte etwas Archaisches, Bedrohliches in sich. Die Naturkraft hinter dem, was man gewohnheitsmäßig als Naturkraft bezeichnete. Ein Raum, der einem das Reisen jenseits der Unmöglichkeit überlichtschneller Bewegung erlaubte. Aber auch ein unberechenbarer Hund, den man von der Kette ließ. Niemand in der bekannten Galaxis hätte sich noch eine Existenz ohne die Nutzung des Hyperraums vorstellen mögen, aber einmal darin unterwegs, mischte sich unter das Gefühl grenzenloser Befreiung von den herkömmlichen Naturgesetzen immer wieder die Frage Wo bin ich hier eigentlich. Auf die Dauer erfolgreich war nur derjenige, der diese Frage bestmöglich unterdrücken konnte und einfach weiterflog. So mancher Sternenreisende war für immer im Hyperraum verschwunden, und allein die Unfähigkeit, sein Verschwinden auch nur mathematisch zu belegen, konnte einem immer wieder kalte Schauer über den Rücken jagen.
Vermutlich erging es den meisten Berufsreisenden ganz ähnlich, aber niemand redete darüber, so wie es erwachsene Menschen oft taten. Ob man sich nun während eines Films im Gleiterkino gegruselt hatte oder sich vor Schatten in der Nacht fürchtete, man überspielte es. Besser noch: Man verschwieg es gleich, und in den meisten Fällen fand man in den anderen stille Komplizen. Auch unausgesprochene Scham konnte ein verbindendes Element sein. Rafale war gerne Kind gewesen, denn Erwachsenwerden bedeutete für sie, vieles in sich verleugnen zu müssen. Dieses Leugnen schien ihr nur die eigene Seele unter Druck zu setzen und lediglich kurzfristig Linderung zu verschaffen. Erst in späteren Jahren hatte sie dann begriffen, dass man aus den eigenen Schwächen sogar eine Stärke gewinnen konnte: Sie hatte mit der Zeit entdeckt, dass das Eingeständnis der Ängste ihr einen faszinierenden Charme verlieh, eine Authentizität, die andere magisch anzog, obwohl alle den Schlüssel dazu selbst in der Hand hielten. Wie ironisch. Ihre Laufbahn, ihr Ruf als bekannte Pilotin und Astrogatorin hatte erst wirklich begonnen, als sie dieses Werkzeug für sich zu nutzen begonnen hatte. Für jeden Kollegen, der sie belächelte, kamen zehn Bewunderer dazu, die ihre Natürlichkeit und Offenheit respektierten. Und wie in jeder Schlacht zählte auch in der Schlacht des Lebens die zahlenmäßige Überlegenheit einiges.
»Miss Goeland? Sind Sie eingeschlafen?«
»H-Huh? Ich … habe nur kurz über einiges nachgedacht«, gab sie kleinlaut zu. »Was haben Sie gesagt?«
Nour wies mit dem Daumen in Richtung von H7-25. Der kleine, pinguinartige Intelli-Bot stand neben Emmys Sitz in seiner Verankerung, über ein dickes Datenkabel mit dem Schiffscomputer verbunden.
»Dieser watschelnde Mülleimer sagt, wir haben noch ein Problem mit dem Transpondersignal.«
»Funktioniert es nicht?« Es schien ihr kaum glaubhaft, dass die Elektronik aus der Hand von Ben Costa nicht funktionieren könnte.
»Das nicht, aber neben dem gefälschten Kennungssignal verlangt das System beim ersten Start einen Schiffsnamen. Miss Goeland, Sie sind die Kommandantin.«
Erst nach einigen Momenten irritierten Nachdenkens fiel der Ducat: Sie sollte das Schiff taufen!
»Oh, ich habe eine Idee!«, rief sie aus, froh, die trüben Gedanken über die Gefahren des Hyperraums beiseiteschieben zu können.
»Elah, ich bin gespannt, und Miss d’Oustrac sicher ebenso. Ich bitte aus sozialpolitischen Motiven heraus nur darum, es nicht Imperator zu nennen.«
»Nein, es liegt doch auf der Hand: Ich nenne es nach dem zusätzlichen Stern, den mein Vater in die Leier gezeichnet hat: Nene.«
Nour und Emmy sahen einander fragend an, dann nickten beide synchron.
»Bei den sagenhaften Gärten von Chashta und Ashas wohlgerundetem Hintern! Lang möge die Laufbahn der Nene sein! Zu schade, dass wir keinen tyneranischen Sekt an Bord haben. Natürlich nur zur Taufe, versteht sich.«
»Selbst wenn, wir sollten uns solche Exzesse sparen. Alkohol verträgt sich nicht mit den Medikamenten gegen die Hyperraum-Depolarisation«, merkte Emmy mit gewohnt nüchternem Tonfall an. »Auch wenn Mister Nour mich jetzt Spaßbremse nennen wird.«
»Spaßbremse.«
»Schon gut, sie hat ja recht. Es ist Zeit für die Injektionen, Partys können wir immer noch veranstalten.«
»Miss d’Oustrac sieht sicherlich umwerfend aus mit einem kleinen Partyhütchen auf dem Kopf«, stichelte Nour weiter, während er sich aus dem Gurt befreite, um nach dem Medikit zu greifen.
»Mister Nour, das Gleiche denke ich von Ihnen, wenn Sie einen Knebel im Mund hätten. Ist vielleicht genug Verbandsmaterial dafür vorhanden? Wo Sie doch gerade den Koffer geöffnet haben.«
»Ich fürchte, wir müssen damit so sparsam umgehen wie Sie mit Ihrem Charme. Aber ich halte die Augen offen, versprochen. Nehmen Sie mir bitte mal die Injektoren ab, ja?«
Emmy und Rafale nahmen je einen und legten dessen Dosiermanschette um ihr linkes Handgelenk. In Militärschiffen, die häufig und auch überraschend springen mussten, waren solche Einrichtungen fest installiert und mussten nur noch mit der entsprechend ausgerüsteten Pilotenkombi verbunden werden. In sehr großen Raumschiffen mussten dafür vor dem Sprung die Krankenstationen aufgesucht werden. Der Zweck war jedoch immer der gleiche: Sobald der Hyperdrive das Schiff mit seiner lichtschnellen Faust packen würde, wurde es nötig, einer Depolarisation der Nervenbahnen vorzubeugen. Dafür spritzte der Injektor einen passenden Medikamentencocktail in die Blutbahn. Ergänzt wurden die Wirkstoffe durch Mittel zur Stabilisierung des Herz-Kreislauf-Systems, gegen Übelkeit und Kopfschmerzen. Bei Frauen konnten Regelblutungen frühzeitig ausgelöst werden, bei Männern Haarausfall. Und auch dieser Medikamentenschub war nicht ohne Belastung für die Biologie eines dreidimensionalen Raumes. Es gab Studien, die langjährigen Raumreisenden durchschnittlich mindestens sechs Jahre weniger Lebenszeit versprachen, bevor diese kritisiert, verworfen und durch andere Studien ersetzt wurden. Ob nun sechs, sieben oder vier Jahre, es war der Preis, den man zahlte für dieses Erheben jenseits der naturgegebenen Beschränkungen und die Astrogatoren, Forscher, Piloten und Reisenden zahlten ihn gern. Es sprach ohnehin niemand darüber, weil Krieg, Unfälle, Leichtsinn und tausend andere Unfallgründe das Raumfahrerleben meist noch viel deutlicher abkürzten als jedes Medikament. Kein Volk der Galaxis war traditionell so sprungverrückt wie die Colerianer und so war es für die gestandene Astrogatorin Rafale Goeland genau die richtige Art, zu leben. Es war ganz Coleria.
»Hyperdrive startklar in 20 Sekunden. Gegenfeld-Emitter aufgeschaltet und synchronisiert. Automatische Startsequenz?«
Rafale schüttelte den Kopf. »Nein, ich starte manuell.«
»Aye, mon Capitaine.«
Die drei ungleichen Kameraden starrten durch die Cockpitverglasung nach vorn, auf die gewohnten Sterne des colerianischen Systems, dann abwechselnd auf den herunterzählenden Sekundenmesser. sie würden von der Bühne dieser Galaxis verschwinden und erst sieben Tage, achtzehn Stunden, vierunddreißig Minuten und fünf Sekunden später im Orbit von Banda III wieder auftauchen.
Rafale biss die Zähne zusammen. Der Step-In würde ihr wie immer Schmerzen bereiten, wenn sich die Strahlungsrückkopplungen in den metallenen Knochenimplantaten ihres rechten Beins fingen. Wie immer würde sie sich diese Schmerzen verbeißen müssen und wie immer mit den Fingernägeln über die Armlehne ihres Pilotensitzes kratzen, bis es vorbei war.
Dann erwachte der Hyperdrive zum Leben. Trotz des sich parallel verstärkenden Gegenfeldes zerrte und rüttelte die Beschleunigung an ihren Körpern. Rafales Sicht verschwamm, dann wurde es dunkler und dunkler um sie. Irgendwo klapperte eine Verkleidung. Das Schnattern des Intelli-Bots drang unwirklich schrill an ihr Gehör, vielleicht war es auch nur eine der gefürchteten Rückkopplungen mit einer Dimensionstasche auf dem Weg in den Hyperraum. Sie zwang sich zur Ruhe, vertraute dem Schiff, das ihr alter Herr mit allem Sachverstand für sie hatte bauen lassen. Ihr Bein jedoch schmerzte wie von tausend glühenden Nadeln getroffen, kaum weniger intensiv als jener Schuss, der es damals in einen Klumpen veraschter Knochen und gebratenen Gewebes verwandelt hatte. Jeder Sprung fühlte sich wie eine Zeitschleife an und jedes Mal hatte sie den reflexhaften Wunsch, nach ihrer Pistole zu greifen und sich gegen die Schützen zu wehren, die in ihren Hyperraumträumen noch immer auf sie schossen.
Dann war es vorbei. Der Schmerz im Bein ließ nach, die Geräusche um sie herum klangen wieder realer, schärfer und greifbarer. Der vertraute Geruch von Ozon drang in ihre Nase, sie hörte das gewohnte Rauschen der Luftaufbereiter, die sich pflichtgemäß um die Neutralisierung des schwebenden Fallouts kümmerten. Um die Nene herum waberten die bekannten und doch jedes Mal unheimlichen rot-violetten Wolkenmuster, von denen jeder wusste, dass es keine Wolken, sondern Raum-Zeit-Verschiebungen waren. Oder besser gesagt: Die Art, in der das Gehirn versuchte, diese unbegreiflichen Dinge in eine begreifliche Form zu verwandeln. Niemand wusste, ob und wie solche Verwerfungen jenseits des rationalen Verstandes aussahen. Vermutlich hätte man nur einen Wahnsinnigen danach befragen können, und Rafale hatte in den letzten Wochen schon eindeutig genug Wahnsinn erlebt.
»Sieht so aus, als wären wir glatt gesprungen, mh?«, stellte sie mehr rhetorisch fest.
»Ich habe mich nicht in meine Atome zerlegt, Miss d’Oustrac schaut mich noch immer verliebt an und H7-25 hat sich eben geweigert, ein Kaugummipapier zu schlucken. Ich denke, alles ist wie immer.«
Rafale schaltete die Gurte ab. Die eben noch fest zupackenden Gurtstreifen lockerten den Griff um ihre sportlichen Schulterpartien und sie erhob sich etwas ungelenk. Ihre graue Pilotenkombi war unter den Achseln, zwischen den Brüsten und an den Schenkeln schweißgetränkt, ihr Haar fühlte sich so feucht an, als sei sie eben gerade einer Echtwasser-Dusche entstiegen. Ein prüfender Blick zeigte, dass es Nour und Emmy nicht besser erging, eher noch schlechter, auch wenn beide bemüht waren, das durch ein erleichtertes Lächeln zu kaschieren.
»Gut, das Schiff ist auf seinem Weg. Ich ordne Bordfreizeit bis zum Abendessen in vier Stunden an, keine Brückenwache. Jeder kann jetzt tun, was ihm in den Sinn kommt.« Sie reckte ihren Körper, es knackte leise in den Gelenken. Dann ging sie nach hinten, in Richtung der winzigen Messe. Am Brückenschott, drehte sie sich nochmal um. »Ach übrigens, an Bord herrscht permanentes Rauchverbot, Nour.«
Blatt 53: El-Bessah
Vormann El-Bessah staunte nicht schlecht, als er mit seinem Trupp Sicherheitsleute in die große Lobby des Hauptverwaltungsgebäudes stürmte. Der Alarm besagte lediglich, dass es unerwünschte Eindringlinge mit Schusswaffengebrauch gab. Zu seinem Erstaunen waren die einzigen werftfremden Personen mit Waffen in den Händen ein Trupp Imperialer Chasseurs Militaires, die sich ratlos vor den Turboliften versammelten. Seine feine Nase verriet ihm auch sogleich, dass diese Personen tatsächlich die Verursacher des Alarms sein mussten, von ihren Waffen wehte ein scharfer Ozongeruch herüber.
»Aufschließen und mir folgen«, befahl der dunkelhäutige Mann von Sunetin IV, als er in Richtung der Imperialen ging. »Waffen entsichern, aber nicht ziehen, bevor ich den Befehl dazu gebe. Oder jemand von denen das Feuer eröffnet.«
El-Bessah ging auf den vermuteten Anführer der Soldaten zu, einen Leutnant, der sich stöhnend den Kiefer hielt. Aus der Erfahrung heraus schätzte der Kolonieweltler, dass etwas gebrochen war. Ein weiteres Indiz, dass diese Leute Ärger brachten. Der Leutnant stützte sich auf die gepanzerte Schulter eines seiner Leute und ersparte sich dabei den formalen Salut.
»Name und Anliegen, bitte. Sie stehen im Verdacht, einen Sicherheitsalarm ausgelöst zu haben«, sprach El-Bessah mit betont souveränem Tonfall.
Ein wenig mulmig war ihm schon zumute. Er mochte zwar der Anführer des Sicherheitsdienstes in diesem Bereich der Werft sein, hatte aber noch niemals in seiner Laufbahn imperiales Militär kontrolliert. Das Personal der Werft CN-0197 bestand zu großen Teilen aus dienstverpflichteten Kolonieweltlern und die meisten von ihnen verstanden sich als bessere Kriegsgefangene oder gar Sklaven. Es galt als ungeschriebenes Gesetz, dass die Imperialen hier den Ton angaben. Vielen war sehr deutlich bewusst, dass sie es mit dieser Werft sogar noch recht gut getroffen hatten, denn die Führungsebene, obwohl komplett imperial, behandelte sie ausgesprochen fair. Leute wie El-Bessah, die pragmatisch dachten und sich nach der Decke streckten, konnten sogar mit einer Karriere ungeachtet ihrer Herkunft rechnen, was allgemein als Ding der Unmöglichkeit im colerianischen Imperium galt. Umso beklommener machte es ihn, die üblichen Imperialen anzugehen. Aber Befehl war Befehl.
»Lieutenant 1. Ranges Chient, Imperiale Chasseurs Militaires. Und mein Anliegen geht dich rein gar nichts an, dreckiger Koloniebastard!« Das ungehaltene Nuscheln des Offiziers klang weniger beeindruckend als es wohl geplant war, aber mit einem gebrochenen Kiefer waren die Spielräume der Intonation begrenzt.
»Ich bin Vormann El-Bessah, Werftsicherheit von CN-0197. Ich wiederhole die Frage: Was ist Ihr Anliegen?«
»Jetzt hör mir mal zu, du kleiner brauner Wüstenkriecher«, begann Chient und griff nach dem Hemdkragen des athletisch gebauten Vormanns. »Ich habe dir gesagt, mein Anliegen geht dich einen feuchten Nufamist an. Du entsperrst mir jetzt diesen Turbolift, damit wir -«
Und weiter kam er nicht. El-Bessahs Leute zogen befehlsgemäß ihre Waffen und legten auf den Leutnant an. Das absolut synchrone und blitzschnelle Ziehen sprach von einem Drill, der dem imperialer Soldaten zumindest gleichkam. Zwölf Läufe schwerer Plasmapistolen richteten sich auf die kleine Gruppe der CMs.
Chient ließ El-Bessahs Kragen los, der hasserfüllte Blick blieb jedoch an dem Kolonieweltler haften.
»Lieutenant, bevor wir fortfahren, fordere ich Sie dringendst auf, mich weder zu duzen noch meine Herkunft zu beleidigen, ansonsten mache ich von meinem Hausrecht Gebrauch und setze Sie fest.«
Mit jedem Wort, das El-Bessah sprach, fühlte es sich für ihn besser an, diesen Imp zu maßregeln. Sich der Deckung seiner Leute sicher, drehte er sich kurz um und betrachtete sie. Die zwölf Mann in ihren schwarzen Schutzausrüstungen über der dunkelroten Uniform der Werftsicherheit standen perfekt da. Sie waren allesamt gut ausgebildete Männer und Frauen der Koloniewelten und in fast allen Gesichtern schimmerte unter der professionellen und pflichtbewussten Miene ein Anflug von Schadenfreude hervor.
»Also gut, was werden Sie also jetzt tun, Vormann?«, sprach der Truppführer, auf den Chient sich noch immer stützte. Seine Stimme klang ruhig und kühl. Er schien die Lage realistischer einzuschätzen als sein Vorgesetzter.
»Ich werte die Aufforderung des Lieutenants als Auskunft über sein Anliegen. Dazu kann ich sagen, dass es abgelehnt ist. Ich werde niemandem die Turbolifte zugänglich machen, der nicht autorisiert ist und Sie sind es nicht. Die Werft befindet sich im Alarmzustand und ich bin befugt, Eindringlinge jedweder Art zu den Docks zu begleiten, um sie der Werft zu verweisen.«
»Das wagst du nicht, du -«, weiter kam Chient nicht, weil der Fuß des Truppführers sein ungeschütztes Schienbein traf.
»Bitte?«, hakte El-Bessah nach, den Kopf fragend zur Seite geneigt.
»Er meinte, das würde Konsequenzen haben«, erklärte der Truppführer geduldig, während dessen Leute mit gesenkten Waffen eher ratlos herumstanden. Er wusste offensichtlich, wer gerade am längeren Hebel saß.
»Das vermute ich auch, aber ich habe meine Anordnungen. Wir begleiten Sie nun zu Ihrem Shuttle. Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass wir Abwehrwaffen mit orbitaler Reichweite besitzen und rate zu einem friedlichen Abflug.«
Der Truppführer erwiderte lediglich ein Nicken und setzte sich mitsamt dem angeschlagenen Leutnant und seinen Leuten in Bewegung. El-Bessahs Sicherheitskräfte bildeten eine perfekt marschierende Formation um die festgesetzte Gruppe herum, die Waffen locker im Anschlag. Dezenter, aber hörbarer Jubel der neugierigen Zuschauer folgte ihnen.
»Etappensieg, mh?«, sagte Vigreux, den Blick steif auf den Monitor gerichtet.
»Bestenfalls«, brummte Artouste Goeland zurück. »Die kommen wieder und dann wird es ungemütlich.«
»Sollen wir uns verhaften lassen? Ich würde ungern sehen, wenn Unschuldige zu Schaden kämen«, wandte Costa ein, während er mit dem Scanner seine Intelli-Bots prüfte.
»Keinesfalls«, antworteten beide. Costa grinste, was seinen kahlen Schädel noch knochiger wirken ließ.
»Seht ihr, wie die Leute johlend hinter den CMs herlaufen? Die wissen nichts von der Sache mit meiner Rafja und Banda III und trotzdem freuen die sich ein Loch in den Bauch, weil diese Leute mit eingezogenen Schwänzen abziehen müssen.«
»Wundert dich das, mein Alter? Die meisten von denen werden auch nicht besser behandelt als Hunde. Und von denen wird von vornherein erwartet, dass sie ihre Schwänze einziehen. Denen ist sicher fast egal, worum es geht, Hauptsache die Imps kriegen einen auf die Nase«, erklärte Vigreux.
»Trotzdem ist es nicht richtig, wenn wir sie für unsere Sache einspannen, nur um unsere Hälse zu retten. Ich habe mich immer bemüht, sie wie jeden anderen hier zu behandeln, und ich habe nicht vor, das jetzt zu ändern.«
Ben Costa schloss von hinten zu seinen beiden Freunden auf und legte seine dürren Arme um deren Schultern. Es sah aus wie ein Mini-Ballsportteam in der Mannschaftsbesprechung. Er folgte nicht ihren Blicken auf die Monitore, sondern sah sie abwechselnd und mit munterem Grinsen an. »Artouste, du bist wie immer dickköpfig, aber gerecht. Ich hätte einen Vorschlag: Wie wäre es denn, wenn der Patriarch selbst ihnen erklärt, was Sache ist und sie dann entscheiden lässt?«
Artouste wandte seinen Kopf in Costas Richtung.
»Du bist hier der Zahlenakrobat. Kennst du dich auch mit der Mentalität von Kolonieweltlern aus? Wenn ja: Für wie wahrscheinlich hältst du es, dass sie Gemeinsamkeiten in unserer Sache entdecken und mitmachen?«
»Es sind keine Imperialen und ich bin auch kein Xenopsychologe. Wenn beides so wäre, würde ich eine Zahl zwischen 55 und 68 % ansetzen. Bei diesen Leuten könnte die Dunkelziffer höher liegen, aber verbürgen würde ich mich dafür nicht.«
»Mein lieber Ben. Ich glaube zu ahnen, was Artouste denkt, während du noch in den Katakomben der Zahlen nach Grundwasser gräbst. Wenn ich das Wort Gemeinsamkeiten entdecken mit ich bleibe hier, wenn die Imps Ärger machen gleichsetze, haben wir eine gewisse Zahl an Mitstreitern. Ich schätze, diese ungestümen Jungfüchse werden mit einer kleinen Flotte und einem Enterkommando zurückkehren. Wie groß ist wohl die Chance, mit dieser Zahl an Leuten so einen Angriff abzuwehren?«
Ben Costa überlegte lange, während Artouste Goeland mit gefurchter Stirn die johlende Menge auf dem Monitor betrachtete. Es wurden immer mehr Leute, immer mehr dunkelhäutige Fäuste reckten sich in den von künstlicher Schwerkraft gehaltenen Himmel.
»Joba, du verlangst jetzt die Ableitung einer Ableitung von mir. Das ist nicht seriös«, beschwerte sich Costa.
»Das sind deine Haarwuchsmittel auch nicht.«
»Die wirken ja auch nicht. Übrigens ebenso wenig wie deine Diätpillen. Aber ich vermute doch, du verlangst eine wirkungsvolle Berechnung, ja?«
»Natürlich, mein Freund. Und du kannst es.«
»Etwa 77 %«, sagte Costa mit dem Stoßseufzer einer schweren Geburt.
»Langt mir. Wenn wir es schaffen, möglichst niemanden ernsthaft zu verletzen, werden wir mit mathematischer Sicherheit eine Menge Spaß haben«, schloss Vigreux.
»Und ich dachte immer, meine Tochter hätte sie nicht mehr alle. Ihr beiden überrascht mich immer wieder. Und das schon seit Jahren!«
Artouste Goeland wandte sich endgültig von den Wandmonitoren ab und grinste seine beiden Freunde äquatorial breit an. Dann nahm er seinen Kommunikator. »Virginie? Wir bräuchten eine neue Flasche Kräuterbitter und einen Satz Handfesseln. Ach, und die Instandhaltung soll einen Trupp vorbeischicken.«
Blatt 54: Alarm!
Der Step-Out kam ihr nicht minder schmerzhaft vor. Neben den üblichen Torturen des hyperraumreisenden Körpers brannte wieder die Rückkoppelung durch ihr rechtes Bein, bis sich ihr gesamter Körper so anfühlte, als müsste er sich umstülpen. Reflexhaft kratzten ihre Fingernägel über die Armlehnen des Pilotensitzes, sie versuchte, sich abzulenken von diesem Geburtsschmerz der Dreidimensionalität. Ozon machte sich abermals breit wie ein alter Bekannter, der sich nicht ausladen ließ. Ihre Zunge fühlte sich wie üblich pelzig an, immerhin ein Zeichen, dass der Injektor wie vorgesehen arbeitete. Die automatischen Gurte summten wie ein böser Insektenschwarm, als sie Rafales Körper auffingen, sie hörte ihre eigenen Knochen und Knorpel knacken. Und selbst das stählerne Skelett der Nene schien zu rebellieren: Es kreischte und stöhnte, als wollte es protestieren, weil es nicht im Hyperraum bleiben durfte, sondern in die profane Welt der Galaxis zurückgeworfen wurde. Ihrer Galaxis.
Rafale Goelands Augen waren fest geschlossen – eine Übung, die sie längst verinnerlicht hatte, um die Verformung ihrer Augäpfel durch den enormen Bremsschub zu verringern – und so ließ sie ihre ganze Aufmerksamkeit durch die Eingeweide und Nervenstränge des Schiffes wandern. Astrogatoren waren im Laufe ihres Raumfahrerlebens meist eins mit ihren Schiffen geworden, kannten deren Funktionen ebenso gut wie ihre eigene Verdauung, ihren Blutzuckerspiegel und Muskeltätigkeiten. Der Nene schien es den Umständen entsprechend gut zu gehen. Vermutlich waren ihre sorgfältig von Ben Costa und Joba Vigreux vorprogrammierten Reflexe in vollem Gange, ebenso tat sicherlich H7-25 seine binäre Arbeit, denn ein Bot litt nicht sonderlich unter den Beschwerlichkeiten des Hyperraums. Rafale kam nicht umhin, ihn dafür zu beneiden. Immerhin konnte sie sich aber so voll und ganz der eigenen Erholung widmen, wenn man denn einen solchen Euphemismus für das Aufatmen nach einer Folter verwenden wollte. Die Nene bremste automatisch auf eine angemessene orbitale Geschwindigkeit von 40 Kilometern pro Sekunde ab, aktivierte die bis dahin geblendeten Sensoren, kümmerte sich um die Kühlung des nun arbeitslosen Reaktors und tausend ähnliche Dinge. Wenn ein Schiff aus dem Hyperraum austrat und sich am neuen Standort in der konventionellen dreidimensionalen Welt einfand, war es für eine Weile regelrecht geblendet wie jemand, der aus dem Dunkel ins Licht tritt. Ein verwundbarer Moment. In der taktischen Kriegsführung der Raummarine war es durchaus üblich, diese Momente auszunutzen, ja sie sogar künstlich herbeizuführen. Sogenannte Masseschattenwerfer simulierten ein Hindernis in der Hyperraumroute oder in deren Nähe, welches wie ein gekippter Baum in einen Fluss ragte und die Flusskähne behinderte. Die übliche Reaktion der automatischen Kollisionswarner bestand darin, den Hyperraum fluchtartig zu verlassen, um einen Schiffbruch im physikalischen Nirgendwo zu vermeiden. Der Moment für die Fallensteller, ein wehrloses Schiff im Handumdrehen und risikolos zu vernichten. Natürlich warnte die Navigationsanlage, dass der anstehende Austritt nicht am Zielort stattfinden würde, sondern irgendwo mittendrin, aber nur die tollkühnsten Kommandanten riskierten es, einfach ungerührt weiterzufliegen. Das Erzeugen von Masseschatten galt als heimtückisches Kriegsverbrechen, aber um so etwas scherte man sich schon vor Banda III kaum. Jetzt, nachdem die Galaxis ihre Unschuld endgültig verloren hatte, erst recht nicht mehr.
Ein kleiner, schmutzig-brauner Planet lag nun vor dem kurznasigen Bug der Nene. Wenn alles glattgegangen war, musste es Banda III sein. Start, Etappe und Ziel einer Odyssee. Und vielleicht der Beginn der nächsten. Aber so weit waren sie noch nicht.
»Emmy, sind wir im Banda-Sektor? Die Navigation funktioniert noch nicht, nimm bitte eine Sternpeilung mit dem Periskopvisier«, sagte sie mit rauer Stimme. Das Ozon schürfte noch immer an ihrer Kehle. In einem kleineren Schiff, zum Beispiel einem sprungfähigen Sternenjäger, hätte sie eine Atemmaske gebraucht. In der Nene würde das giftige Sauerstoffderivat sich hoffentlich zügig verflüchtigen. In Großkampfschiffen war der Ozongehalt dagegen kaum zu spüren. Aber das All selbst auch nicht, und das war es doch, was Rafale so liebte. Auch das grenzenlose Nichts konnte man indirekt spüren, wenn die Sinne über die Jahre nur genug geschärft waren.
»Elah, Auspec, Außensensoren und Zielerfassung sind auch noch mit sich selbst beschäftigt. Neukalibrierung läuft. Für den Moment können wir wohl nur die schöne Aussicht genießen.«
Mit unwohlem Gefühl sah sie zu Nour auf dem Kopilotensitz hinüber. Es war erst drei Wochen her, als sie in einer ähnlichen Konstellation mit ihrer Dienstpistole auf ihn angelegt hatte. Ob er wohl noch immer daran dachte? Damals, im Cockpit der Duquesne, unter dem tödlichen Beschuss, hatte sie das Gefühl, er würde ihr das niemals vergeben. Und jetzt betete sie zu den Sternen, dass sie sich irrte.
Mit steifen Fingern betätigte sie ein kleines Stellrad und lockerte damit die Stärke der automatischen Gurte. Sie räkelte sich. Wie üblich fühlten sich die Muskeln an wie aus jungem Holz, die Gelenke schmerzten, als wäre Sand zwischen ihnen und das Blut schwemmte wie zäher Kleister durch ihre Adern. Vermutlich war es das auch. Die kurzfristige Strahlung forcierte immer ein wenig die Blutgerinnung, ganz gleich, wie viel Gerinnungshemmer der Injektor dosierte.
»Alarm!«, rief Emmy plötzlich mit gehetztem Tonfall. »Ich registriere Auspec-Echos, vermutlich Raumschiffe!«
»Tarngenerator aktivieren! Keine Transponderabfrage! Aktive Sensoren auf kurze Distanz herunterfahren und nur langsam Reichweite erhöhen, bis wir die Echos wiederhaben! Nour, Bordwaffen und Feuerleitsysteme inaktiv belassen, wir wollen möglichst wenig Energiesignatur liefern!«
»Aye, mon Capitaine, ich lasse die Hände vom Kochlöffel!«
Rafale brachte das Sicherheitsmanagement auf den Hauptmonitor in der Mitte zwischen den beiden Pilotensitzen und setzte mit einem Fingerdruck den Alarm auf Stufe zwei: Gefechtsbereitschaft. Die Sternenlandschaft vor ihren Augen verdunkelte sich wie ein böses Omen, aber es war nur die Filterautomatik der Verglasung, die auf mögliche Blendgefahr durch Mündungsfeuer der Geschütze reagieren wollte. Ein hauchzarter, bläulicher Schleier umgab nun das Schiff, sicheres Zeichen für die Störinterferenzen des Tarngenerators. In den Grenzen seiner Leistungsfähigkeit würde man sie jetzt nicht als solides Objekt erkennen, geschweige denn, in die Zielerfassung nehmen können. Jedoch blieb die schiffstypische Energiesignatur erhalten und sichtbar, also war es klug, sich so bedeckt wie nur möglich zu halten. Wer auch immer da draußen unterwegs war, würde ihr Kommen ohnehin bemerkt haben. Der Energieauswurf beim Austritt aus dem Hyperraum war wie üblich ein Leuchtfeuer für Strahlenmessgeräte.
»Auspec hat Kontakt, eine ganze Flotte!«, rief Emmy besorgt, während die dreidimensionale Projektion unterhalb des Hauptmonitors ein erstes, undeutliches Signal des Kontaktes zeichnete. Ein verschwommener Haufen blau schimmernder Punkte waberte über dem leuchtenden Auge des Holoprojektors.
»Zum Rodder! Konntest du die Sternpeilung noch durchführen?«
»Ja! Wir sind im Trümmergürtel zwischen Banda II und Banda III, knapp fünf Grad Versatz positiv zur Bahnebene. Banda III liegt fast im Perihel, eine zehntel galaktische Einheit Entfernung.«
Vorsichtig drehte sie das Schiff mit der Nase in Richtung des Trümmergürtels, dann schob sie den Leistungsregler der Stardrives hoch, bis die Anzeige magere 10 % meldete. Wie ein Dieb in der Nacht schlich sich die Nene in Richtung der Asteroidensammlung des Banda-Systems.
»Die Kommandantin möchte mit Felsbrocken schmusen«, stellte Nour fest.
»Genau das. Unsere beste Chance, die Spur ein wenig zu zerstreuen«, erwiderte Rafale. Sie bemühte sich um einen möglichst gutgelaunten Ton, aber es schien die Spannung nicht wirklich zu lockern. Hart wie ein Fels drückte die eine quälende Frage: Wem oder was war man hier begegnet?
»Ein kleiner kompakter Kreuzer. Drei Korvetten. Ein Flottenversorger mit Stardrives an Auslegern und ein größerer Frachter oder Mehrzweckschiff!«, meldete Emmy, als die empfindlichen Sensoren endlich genauere Zieldaten lieferten.
Die Darstellung aktualisierte sich in dem Moment, als Emmy ihre Zielansprache hielt. Mit dem bloßen Auge war der Verband nicht zu sehen, aber die räumliche Darstellung des Holoprojektors zeigte, dass die Schiffe beunruhigend nah waren. Vermutlich hatten sie einen ganz ähnlichen Austrittspunkt gewählt und ließen sich jetzt langsam mit dem Sonnenumlauf treiben.
»Sots, zum Disha!«
»Korrekt, Nour.«
»Die können doch unmöglich auf der Suche nach uns sein, oder?«
»Nein, das wäre dermaßen an den Haaren herbeigezogen, dass man es nicht mal in einer Holonovela bringen könnte. Ich denke, es ist eine Expeditionsflotte, oder ein Nachschubverband mit Geleitschutz.«
»Wenn diese komischen Typen vom colerianischen Herbst noch hier sein sollten, unser ehemaliger Chef mit seiner 8. Flotte irgendwo in der Nähe herumkreuzt und jetzt auch noch echte Sots hier auftauchen, haben wir ja wirklich alle zusammen. Jetzt fehlen nur noch ein paar Dämonen aus den infernalischen Unterwelten von Nusha und wir können einen tollen Showdown machen.«
»Ob sie uns bemerkt haben?«
»Mit Sicherheit, Emmy. Immerhin müssen die Sots mit einem Gegenangriff rechnen, nachdem sie angeblich unsere Staffel aufgerieben und die Flottenbasis eingenommen haben. Wenn die nicht total lebensmüde sind, haben sie ihre Ortungssysteme bis zum Anschlag hochgefahren. Und unser Gammastrahlenfeuerwerk beim Step-Out hätten sie auch gesehen, wenn sie den Flottillenältesten mit einem Campinghocker und Fernglas auf die Außenhülle gesetzt hätten.«
»Aber danach haben sie uns doch verloren, als wir den Tarngenerator eingeschaltet haben, ja?«
»Für den Moment. Das ist, wie wenn man die Frachtraumluke öffnet und noch schnell einen Zhorfschwanz in der Ecke verschwinden sieht. Lohnt es sich, dem Vieh nachzugehen? Oder lässt man es gut sein, weil es keine ernste Gefahr darstellt? Die Sot-Kriegsschiffe haben immerhin einen anderen Auftrag und werden vielleicht nicht optieren -«
»Eine der Korvetten schert aus der Formation aus und hält in unsere Richtung, kommt schnell auf!«, unterbrach Emmy mit einem hastigen Ausruf.
»Soviel dazu!«, knurrte Rafale und schob den Stardrive-Regler noch weiter von sich weg. 15 %.
Die Nene kroch verstohlen auf den Trümmergürtel zu. Rafale trommelte ungeduldig mit den Fingern auf den Sitzlehnen, es ging langsam, viel zu langsam! Der Holoprojektor warf jetzt seitlich neben der planetaren Sicht ein zweites Bild auf, in dem ihr Verfolger relativ zur rückwärtigen Schiffsachse abgebildet war. Das Schiff hatte von direkt vorn ein insektenartiges, glotzäugiges Kopfteil, wie eine Heuschrecke. Unverkennbar eine Geleitkorvette der Flower-Klasse. Hässliches Ding. So wenig sie das wuchtige Schiffsdesign moderner colerianischer Kampfschiffe auch schätzte, das beinahe gezielt geschmacklose Äußere der Kartellwelten-Marine stieß sie noch mehr ab. Momentan jedoch stieß jedes Schiff sie ab, das an ihrem Heck hing. Angespannt starrte sie den Verfolger an, als könnte sie ihn beschwören, einen anderen Kurs anzulegen. Ihr Pilotensitz wirkte plötzlich unbequem, jede Naht des Bezuges schien sie zu drücken.
»Kommt auf, das verfrellte Ding, mh?«, fragte sie, mehr um die gedrückte Stimmung ein wenig aufzuhellen.
»Neuneinhalb Lichtsekunden, nimmt ab«, bestätigte Emmy, das Gesicht fast an die grünlich schimmernde Anzeige gedrückt. Ihre Stimme war nun leise, als hätte sie Angst, dem Feind einen Hinweis zu geben.
»Wie weit müssen wir aufdrehen, um mit drei Lichtsekunden Abstand zu dem Ungetüm in den Gürtel zu tauchen?«
Emmy tippte die Abfrage in den Bordrechner ein, aber Rafale hatte die Berechnung schon im Kopf überschlagen.
»30 %. Ich bin keine Astrogatorin … wie gut sind denn die Ortungssysteme der Sots?«
»Schlechter als unser Auspec, aber sehr unterschiedlich. Je nach Modernisierungsgrad des jeweiligen Schiffes.«
»Gepriesen sei die imperiale Aufklärungsarbeit«, nörgelte Nour. »Ich wusste gar nicht, dass man bei der glorreichen Marine auf das könnte-sein-könnte-nicht-sein-Spiel steht.«
»Tut man nicht, aber die Sots haben leider vergessen, ihre neuesten avionischen Fortschritte in der Imperium Heute zu veröffentlichen.«
»Nachlässiges Pack, zum Disha!«
»Spaß beiseite, Nour: Die sogenannte kombinierte Flotte der sechzehn Kartellwelten ist nicht homogen ausgerüstet. Die Schlachtflotten bestehen überwiegend aus gleich alten und gleich ausgerüsteten Schiffen von Datch, Brinat und Andlir, aber kleinere Flottillen und Einzelfahrer können aus allen möglichen Typen bestehen.«
Der Schubregler wanderte auf die 30%-Markierung. Die Beschleunigung machte sich jetzt schon deutlicher bemerkbar.Drei Augenpaare bohrten sich in die holografische Projektion des Verfolgers.
»Korvette kommt auf, Abstand verringert sich aber langsamer«, informierte Emmy.
»Gut so. Sehr gut so.«
»Sehen die uns oder fliegen sie einfach nur auf Verdacht in unsere Richtung, Raf?«
»Die Sots sind nicht ganz blöd. Ich glaube nicht, dass sie uns geortet haben, nicht bei unserer Energiesignatur. Aber die ahnen bestimmt, dass wir entweder aus der Tarnung heraus angreifen wollen oder getarnt ins nächste Versteck abhauen. Deswegen bleiben die anderen Schiffe bei den Transportern und eines fliegt den Fluchtweg ab.«
»Einer sucht die Ratte und die anderen passen auf die Kornsäcke auf, ja?«
»Ganz recht, Nour. Sollen die ruhig glauben, dass wir hungrig sind.«
»Was machen wir, wenn wir den Gürtel erreicht haben?«
»Tote Ratte spielen, bis die Sots die Lust verlieren.«
»Um von da aus zurück in den Hyperraum zu springen, fehlt vermutlich der Anlauf, ja?«
Sie sah verstohlen zu Nour herüber, um in seinem Gesicht zu lesen. Sie hatte diesen Gedanken auch schon gehabt. Natürlich. Aber in einem Abstand von unter acht Lichtsekunden zu einem gefechtsbereiten Feindschiff einen Anlauf über Lichtgeschwindigkeit zu unternehmen, war gelinde gesagt tollkühn.