Comanchen Mond Band 3 - G. D. Brademann - E-Book

Comanchen Mond Band 3 E-Book

G. D. Brademann

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Beschreibung

Im dritten Teil der spannenden Saga sind Summer-Rain und Storm-Rider zurück in ihrem Dorf. Auch Erik Machel trifft dort auf der Suche nach seinem Sohn ein. Er ist erschüttert, als er vom Tode Running Fox' erfährt. Er bietet Summer-Rain an, an dessen Stelle das Erbe anzutreten – seine Ranch in Wyoming –, doch Summer-Rain lehnt ab. Sie ist mit Storm-Rider verheiratet, der niemals seinem Volk den Rücken kehren würde. Inzwischen ist die US-Armee der kleinen Antilopenbande auf den Fersen. Auch in Tuckerville wendet sich die Stimmung gegen die Comanchen. Aufgeputscht durch übertriebene Presseberichte, breitet sich der Hass gegen alle Indianer aus. Erik Machel reist nach Tuckerville und versucht, den Frieden zu erhalten. Aber er kommt zu spät … Auch der verzweifelte Storm-Rider findet nur noch schwelende Trümmer vor und versucht, seine Frau zu finden. Als sie verschwunden bleibt, folgt er voller Hass der Fährte der Armee, um sie zu rächen. Doch wie geht die Saga aus? Im Epilog findet der Leser Antworten darauf, was aus Storm-Rider und Summer-Rain geworden ist – und wie der silberne Armreif von Adele Bergmann – alias "Sun-In-The-Red-Hair" – nach Hause zurückkehrt.

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Ähnliche


Comanchen Mond

Verwehte Spuren in den Plains

Historischer Roman

von

G.D. Brademann

Impressum

Comanchen Mond Teil 3, G.D. Brademann

TraumFänger Verlag Hohenthann, 2021

1. Auflage eBook Dezember 2021

eBook ISBN 978-3-948878-00-9

Lektorat: Michael Krämer

Satz und Layout: Janis Sonnberger, merkMal Verlag

Datenkonvertierung: Bookwire

Titelbild: Frank McCarthy

Copyright by TraumFänger Verlag GmbH & Co. Buchhandels KG,

Hohenthann

Printed in Germany

Dass wir nicht wissen, was uns erwartet,hat etwas Tröstliches.

Personae-dramatis

Comanchen:

Red-Eagle, geb. 1822, Krieger der Antilopenbande

Storm-Rider, sein Sohn

Moon-Night, ehem. geraubtes weißes Kind, Ehefrau von Red-Eagle und Mutter von Storm-Rider

Comes-Through-The-Summer-Rain, gen. Summer-Rain, Ehefrau von Storm-Rider

Gray-Wolf, Jugendfreund von Storm-Rider

Mocking-Bird, seine zweite Ehefrau

Light-Cloud, Krieger

Dark-Night, seine Ehefrau

Großmutter, gehört zur Familie von Light-Cloud und Summer-Rain

Great-Mountain, Friedenshäuptling und Medizinmann der Antilopenbande

Old-Antelope, Häuptling

Weitere Personen:

Erik Machel, Ziehvater von Running-Fox, oder „Jeremiah“, Cheyenne

Jones Harper, Slim Western, Buffalo-Man – Siedler in Colorado

Pete Hartfield, Farmer in Colorado

Frank Hamilton, Schwager des verstorbenen Trappers John Black

Antonia Harper, seine Tochter und Ehefrau von Jones Harper

Bob Marcen, Bankier

Lieutenant Colonel Andy Fisher, führt die Armee gegen die Comanchen

Carl und George, seine beiden Adjutanten

Inhalt

Teil III Verwehte Spuren in den Plains

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

EPILOG

Über den Autor

Teil III

Verwehte Spuren in den Plains

Ich höre noch immer die Mustangs hinter den Hügeln, das Lachen der Kinder, das Geschwätz der Frauen. Höre noch immer die lauten Rufe der Krieger, die mit Jagdbeute beladen zurück in das Lager reiten – doch der Wind hat längst ihre Spuren verweht.

1. Kapitel

Dem zunehmenden Mond fehlte nur noch ein kleines Stück zu seiner vollen Größe. Sein Licht verblasste jetzt jedoch allmählich im Morgengrauen. Obwohl viele von der kleinen Antilopenbande noch schliefen, standen bereits erste Frühaufsteher unten am Fluss, um den neuen Tag zu begrüßen. Im heraufziehenden Morgenlicht lagen die Wälder im Osten noch in dichten Nebel gehüllt. Davor weideten ihre Pferde – etwa 800 – in den Hügeln; hier hatte sich der Nebel bereits verzogen. Pferdejungen krochen zwischen ihren Beinen hindurch; junge, übermütige Hengste – Junggesellen – kabbelten sich miteinander, und der Leithengst in Light-Clouds Herde hob den Kopf. Das große, schwere Kavalleriepferd, auf dem Summer-Rain vor acht großen Wintern halbnackt und schwerverletzt zu diesem Volk gekommen war, stand in stolzer Pose etwas abseits. Ihm schien seine bevorzugte Stellung bewusst zu sein, denn Light-Cloud setzte mit ihm die Züchtung fort, die sein Vater Three-Bears begonnen hatte und die ihm den Neid so manches Kriegers einbrachte. Der helle Beinbehang des Pferdes flatterte im Morgenwind, mutwillig und voller Tatendrang schüttelte er die hellblonde, gewellte lange Mähne. Es war ein Anblick, der jedes Kriegerherz höher schlagen ließ.

Einige Männer holten gerade ihre Lieblingstiere, um mit ihnen wie immer auf der Ebene zu arbeiten; die Ausbildung konnte den ganzen Tag über dauern. Andere, die die Nacht über bei ihren Pferden gewesen waren, grüßten verschlafen. Gray-Wolf hinkte aus Richtung Fluss herbei, also hatte er die Nacht in seinem Tipi verbracht. Auf seinem groben Gesicht mit der großen Nase erstrahlte ein Lächeln. Gerade eben kamen Storm-Rider und Summer-Rain zurück aus den Bergen, wo sie fast einen vollen Mond verbracht hatten. Gray-Wolf rief ihnen einige freche Bemerkungen zu und sparte nicht mit unmissverständlichen, deftigen Handbewegungen. Auch andere hatten ebenfalls eine reiche Fantasie, was das betraf. Storm-Rider ritt an ihnen vorüber, ohne sich etwas daraus zu machen; lediglich seine Mundwinkel zuckten belustigt. Summer-Rain neben ihm tat so, als hielte sie sich die Ohren zu, doch auch sie strahlte über das ganze Gesicht. Sie ritten um das hohe Felsgestein, das im Abstand von etwa zwölf Pferdelängen zu den Hügeln im Südosten aufragte. Dann verschwanden sie an der sich daran anschließenden Mauer aus wie Wächter aussehenden Felsen, die die Sicht zum dahinterliegenden Fluss abschirmten. Sie ritten weiter, der Biegung des Flusses folgend, an den danach bis zur Mitte reichenden Schieferplatten vorbei, die eine Überquerung dort unmöglich machten.

Noch bevor sie die ersten Tipis sehen konnten, griff Storm-Rider nach Summer-Rains Hand. „Mach dir nichts draus“, meinte er, „sie hören bald schon damit auf.“

Natürlich, wenn sie ein neues Opfer finden, dachte sie belustigt.

„Wir sollten gleich wieder umkehren“, meinte er in einem so ernsthaften Ton, dass sie es fast glaubte und für einen winzigen Moment auch hoffte. Er blickte zu ihr hinüber – wachsam, besorgt. „Du bist jetzt meine Frau, und ich bin dafür da, allen Ärger von dir abzuhalten. Wenn du es wünschst, werde ich mit denjenigen reden, die es nicht lassen können, dich zu belästigen.“

„Musst du nicht, Storm-Rider, du bist zwar mein Ehemann, doch ich kann für mich selbst sprechen.“

Da hatte er es wieder: Mit dieser hier würde er es nicht leicht haben. Seine Hand loslassend sagte sie: „Ich muss zuerst zu Großmutter. Sie wird das von mir erwarten.“ Damit wendete sie Whirl, ihre Gescheckte, und ritt einfach weiter, einen verblüfften Storm-Rider hinter sich lassend. Es blieb ihm nichts weiter übrig, als ihr nachzublicken – wohl wissend, dass er beobachtet wurde. Nun ja, sie sollten keine Ursache haben, über seine Ehefrau schlecht zu reden. Leise vor sich hin pfeifend machte er sich zum Tipi seiner Eltern auf.

Indessen kam Summer-Rain dem ihrer Großmutter näher. Das schlechte Gewissen plagte sie. Doch so langsam sie auch ritt, hinter der nächsten Flussbiegung stand ihr Zuhause. Das stimmte so nicht mehr – denn jetzt war sie die Ehefrau eines angesehenen Kriegers und würde ein eigenes Zuhause haben. Hinter dichtem Buschwerk lugten die Planen von Großmutters Tipi hindurch. Summer-Rain beugte sich tief auf den Rücken ihrer Stute und zog den Kopf ein. Es hatte sich nichts verändert; alles war noch genau so wie bei ihrem, nun ja, etwas überstürzten – oder vielleicht konnte man sagen: unüblichen – Aufbruch, und nun würde sie sich die Vorwürfe der alten Frau anhören müssen.

Tief luftholend hielt sie ihre Gescheckte an. Noch bevor sie absteigen konnte, wurde die Klappe des Tipis zurückgeschlagen – ziemlich heftig sogar – und ihre Großmutter schlüpfte heraus. Zwei Herzschläge lang blickten sie einander in die Augen, dann siegte die Wiedersehensfreude bei Großmutter und sie stand neben der Stute, die Arme zu ihrem Liebling hochgereckt. Summer-Rain ließ sich von ihrem kleinen Mustang gleiten, beide Hände um Großmutter geschlungen. Tränen kullerten über die Wangen der alten Frau, während sie sie an sich drückte. Sie ließ sie unbeachtet und tätschelte ihrer Enkelin – nun ja, eigentlich ja ihrer Nichte – den Rücken. Dann trat sie plötzlich einen Schritt zurück, Summer-Rain forschend betrachtend. Ihr einstiger kleiner Blue-Butterfly war jetzt eine verheiratete Frau. Sie trug ihr Hochzeitskleid – natürlich – ihr Aufbruch war ja so eilig gewesen, dass sie nichts anderes mitnehmen konnte. Doch es sah ganz danach aus, als hätte sie es kaum getragen. Großmutter fragte sich insgeheim, ob sie überhaupt Kleidung gebraucht hatte. „Du solltest dich umziehen“, brachte sie heraus; es klang nicht streng und doch irgendwie vorwurfsvoll.

Wortlos drehte sich Summer-Rain zu ihrer Gescheckten um, löste einen Lederbeutel vom Hals des Mustangs und reichte ihn Großmutter. „Dort drin sind mein Schmuck und alles, was mich an den Tag meiner Hochzeit erinnern wird. Verwahre es für mich, bis ich ein eigenes Tipi habe.“ Ihr Ton war sachlich, sie war etwas enttäuscht über die ersten Worte der alten Frau nach so langer Trennung. Zwischen ihnen entstand eine gedrückte Stimmung. Sie würden reden müssen, dachten beide gleichzeitig.

Summer-Rain war nicht mehr das kleine Mädchen, das ihres Schutzes bedurfte. Jetzt war sie eine verheiratete Frau und traf ihre eigenen Entscheidungen. Großmutter seufzte – hatte sie das nicht schon immer getan? Doch sie war doch noch ihr kleines Mädchen, ihr kleiner Blue-Butterfly – das würde sich auch nie ändern; Summer-Rain würde immer zu ihr kommen können, egal, was auch passierte. Diese Erkenntnis kam ihr jetzt, genau in diesem Augenblick – und da war der alten Frau, als hätte ihr jemand den schweren Stein, der auf ihrem Herzen lag, hinweggerollt.

Summer-Rain würde immer ihre Summer-Rain bleiben – ihr kleiner Liebling.

„Mein Tipi war immer dein Zuhause“, sagte Großmutter deshalb jetzt sanft, den Beutel entgegennehmend. „Für dich ist dort auch in Zukunft ein Platz. Doch ich weiß, dass ihr ein eigenes Zuhause braucht.“ Bevor sie noch weiterreden konnte – denn sie hatte längst dafür gesorgt – erschien wie herbeigezaubert Dark-Night. Großmutter ließ die beiden jungen Frauen allein und verschwand in ihrem Tipi.

Die kleine Mexikanerin begrüßte Summer-Rain überschwänglich, dann lächelte sie sie an und deutete mit der Hand flussabwärts. „Großmutter hat gemeint, wenn du schon einen so angesehenen Krieger wie Storm-Rider heiratest, dann musst du auch mit ihm in ein Tipi einziehen, das seiner Stellung entspricht. Sie hat keine Mühe gescheut und für alles gesorgt.“

Kaum hatte sie das ausgesprochen, da erschien Großmutter auch schon wieder. „Es sollte eine Überraschung werden, Dark-Night, du Plappermaul“, kam es leicht verärgert von ihr. „Ich habe nur das Nötigste getan. Da du es ja nicht abwarten konntest, bis die Geschenke vor deinem Tipi liegen, hat sich niemand die Mühe gemacht, welche zu bringen. Jetzt musst du selbst sehen, woher du die Töpfe für euer Essen nimmst, Comes-Through-The-Summer-Rain.“

Dark-Night wechselte einen vieldeutigen Blick mit Summer-Rain. Doch Großmutter konnte es nicht lassen, hinzuzufügen: „Aber ich kann dafür sorgen, dass sich das ändert, ich leihe dir gern einen von mir.“

Summer-Rain verbiss sich eine Antwort. Oh ja, Großmutter hielt noch immer die Zügel in der Hand, und das würde sich auch in hundert Wintern nicht ändern. Die alte Frau machte ein Zeichen, ihr zu folgen, und Summer-Rain ging mit Dark-Night hinter ihr her, die Stute mit sich führend. Flussabwärts, kurz vor der nächsten Biegung, hatte Großmutter mit Hilfe von Dark-Night und Moon-Night, Storm-Riders Mutter, ein prächtiges Tipi aufgebaut. Storm-Riders Kriegszeichen waren aufgemalt worden – ein steigendes Pferd, und vor dem Eingang stand ein dreibeiniges Holzgestell, auf den er seinen Schild stellen konnte. Mit großen Augen betrachtete Summer-Rain ihr neues Zuhause. Es hatte zwölf Stangen, wie sie sehr wohl bemerkte, und war perfekt eingerichtet. Sie stand noch voller Staunen davor, da erschienen bereits einige ihrer Leute, um ihr doch noch Geschenke zu bringen. Als wäre überhaupt nichts geschehen und heute ihr Hochzeitstag, kamen sie von allen Seiten herbei. Bald schon türmten sich die Reichtümer ihres zukünftigen Haushalts vor dem Tipi auf. Sie würde Großmutters Topf nicht brauchen, dachte sie, während sie das alles betrachtete. Es verging nur kurze Zeit, da erschienen ihre Freundinnen, beladen mit Geschenken – die meisten zwar nur mit Kleinigkeiten, doch am Ende häufte sich all das vor dem Eingang ihres Tipis. Es gab ein herzliches Willkommen, dann zogen sie sich wieder zurück. Jemand lud ein Bündel Feuerholz ab, eine alte, fast zahnlose Frau machte Feuer. Dann, als es brannte, nickte sie Summer-Rain ehrerbietig zu und war weg. Bevor sie es sich richtig versah, war ihr Zuhause ein Zuhause.

Jeder zeigte auf seine ganz eigene Weise und mit seinen Möglichkeiten, wie sehr er sich über die Hochzeit von Storm-Rider und Summer-Rain freute. Auf die, die es nicht taten, konnten die beiden ganz gut verzichten. Großmutter und Dark-Night legten letzte Hand an, dann verschwanden auch sie.

Inzwischen hatte sich Storm-Rider kurz bei seinen Eltern gemeldet. Danach war er weitergeritten, um Gray-Wolf zu suchen. Unterwegs kam ihm Light-Cloud entgegen, der ihn freundlich begrüßte – was nicht unbedingt selbstverständlich war. Erleichtert darüber, dass er ihm nichts mehr nachtrug, wollte er den Schwager schon zum Abendessen einladen, doch da fiel ihm ein, dass er nicht mal wusste, wo das stattfinden sollte. Weiterreitend machte er sich wieder auf die Suche nach Gray-Wolf. Erst nach der Begegnung mit Light-Cloud wurde ihm so richtig bewusst, dass es für ihn und seine Frau noch kein eigenes Zuhause gab. Diese Sorge schob er erst einmal weit von sich, denn eigentlich war das die Sache der Familie von Summer-Rain. Sollte er umkehren, um sich bei Moon-Night danach zu erkundigen? Nein, das konnte warten; zuerst musste er mit seinem Freund reden, musste von ihm erfahren, wie alles an diesem bestimmten Tag abgelaufen war und ritt auf Summer-Wind weiter zur Pferdeherde. Er brauchte lange, dann fand er Gray-Wolf endlich weitab davon. Summer-Wind näherte sich ihm offen genug, doch Gray-Wolf war so in seine Arbeit mit einem seiner besten Kriegsponys vertieft, dass er ihn nicht bemerkte. Storm-Rider glitt von seinem Mustang, gab ihm einen leichten Klaps auf die Flanken und ließ ihn laufen. Der Hengst würde sich nie weiter als einige Schritte von ihm entfernen – es sei denn, er erlaubte es ihm ausdrücklich.

Gray-Wolf blickte kurz auf, nickte ihm flüchtig zu, ließ sich jedoch nicht stören. Er stand vor seinem Pferd, in einer Hand ein Stück roten Stoffes, in der anderen die lange Leine aus Rohleder, die an einen einfachen, geflochtenen Halfter geknotet war. Der Stofffetzen diente nur dazu, dem Pferd zu signalisieren, dass es etwas zu lernen gab. Gray-Wolf ließ die Leine und den Stofffetzen fallen und blickte auf ein Wiegenbrett, das nur einige Schritte von ihm entfernt gegen einen Stein lehnte. Seine ganze Aufmerksamkeit galt jetzt dem kleinen Wesen, das darin zusammengeschnürt lag. Storm-Rider trat näher heran. Sein Kindskopf von Freund beugte sich mit einem so besorgt-fürsorglichen Blick zu seiner Tochter hinunter, dass er ihm nur erstaunt zusehen konnte. Andererseits wiederum, wenn er genauer darüber nachdachte, kannte er Gray-Wolf als einen durchaus feinfühligen Mann.

Trotz seiner vielen Späße und der Leichtigkeit, mit der er bisher sein Leben gelebt hatte, wusste er jetzt, nach all dem erfahrenen Leid, wo sein Platz war. Gray-Wolf hatte Verantwortung übernommen, so viel stand fest.

Wie er seiner Tochter mit einem Finger an der Wange entlang strich, das berührte Storm-Rider zutiefst. „Du hast die Kleine bei dir, wie ich sehe“, stellte er überflüssigerweise fest.

Ohne den Finger von der Wange zu nehmen, wandte sich Gray-Wolf zu ihm um. „Sie soll rechtzeitig lernen, wie man Kriegsponys trainiert“, sagte er und meinte es durchaus ernst.

Das Baby gluckste und griff nach seinem kleinen Finger. Gray-Wolf sah seine Tochter an, als wäre sie das schönste Kind auf der Welt. Voller Stolz erwartete er anscheinend, dass der Freund das ebenfalls bemerkte. Allerdings hatte der anderes im Sinn, als die Schönheit eines Babys zu bewundern. Enttäuscht, da nichts von ihm kam, erhob sich Gray-Wolf und holte den Stofffetzen.

„Wie hat Light-Cloud reagiert, als du ihm meine Mustangs so einfach vor sein Tipi statt vor das von Summer-Rain gestellt hast?“

Gray-Wolf, erst einen Blick auf seine Tochter werfend, die zufrieden vor sich hin krähte, drehte sich zu ihm um. „Oh, mach sowas nie wieder, Storm-Rider. Ich habe so viele Ängste ausgestanden wie schon lange nicht mehr. Du hast dir da etwas erlaubt, das hier so schnell keiner vergisst.“

„Ich hab auch nicht vor, so etwas noch einmal zu tun, mein Freund. Summer-Rain wird die einzige Frau bleiben, die ich jemals will.“ Gray-Wolf schnaufte unwillig. „Old-Antelope war ziemlich aufgebracht“, stieß er heftig hervor.

„Great-Mountain musste ihn beschwichtigen. Die beiden sind anschließend bei Großmutter gewesen, um sich von ihr mit einem Festmahl milde stimmen zu lassen. Du bist ihr also mindestens eine Antilope schuldig, wenn nicht gar einen zarten Büffelbullen. Dein Vater und deine Mutter waren auch dort; jeder hat so getan, als wäre nichts Besonderes passiert. Dass ich nicht lache, der Kuckuck legt manchmal die Eier in ein fremdes Nest, und nun tut man so, als hätte die kleine Vogelmutter dem zugestimmt.“

Storm-Rider schaute ihn mit gerunzelter Stirn an. „Dein Vergleich macht mich klein. Ich bin ein Falke, Gray-Wolf – ein Falke, und Light-Cloud ist keine kleine Vogelmutter.“

Gray-Wolfs Gesicht verzog sich, und er konnte sich das Lachen, das tief aus seiner Kehle hervorbrach, nicht verkneifen. Ja, wenn er an diesen Tag zurückdachte, wurde ihm noch immer das Herz weit. Acht Pferde hatte Storm-Rider für Summer-Rain hergegeben, und er hatte sich zu etwas hinreißen lassen, was er niemals selbst gewagt hätte. An diesen Streich würde er sich noch lange erinnern.

Anstatt sich für sein eigenmächtiges Handeln die Verachtung seiner Leute einzuhandeln, war Storm-Riders Ansehen womöglich noch gestiegen.

Die meisten konnten nur fassungslos den Kopf schütteln; ältere Mitglieder der Antilopenbande waren anfangs zwar schockiert gewesen, dann aber, die Zahl der Pferde bedenkend, hatten sie das Ganze als eine der vielen mutwilligen Aktionen Storm-Riders abgetan. Ihm, einem ihrer besten Krieger, wurde so manches verziehen. Am Lagerfeuer sprach man noch lange darüber, lachte, malte sich Light-Clouds Gesicht aus und schmückte alles mit allerhand Fantasie. Schließlich wurde das zu einer dieser Geschichten, die man bei Festlichkeiten zum Besten gab.

„Sei beruhigt, mein Freund“, strahlte Gray-Wolf ihn an. „Light-Cloud hat zuerst getan, als müsste er dir folgen und dich auf der Stelle umbringen, doch dann hat er die Pferde genommen und alles war gut – du hast ihn ja selbst noch gesehen.“

Während sich Gray-Wolf die Lachtränen mit der Handkante wegwischte, musterte er den Freund. Oh ja, Storm-Rider sah glücklich aus – glücklich und zufrieden. Dann wurde er wieder ernst, und ein Gedanke, der ihm eben durch den Kopf schoss, trübte seine Freude. Dream-In-The-Day – wie glücklich wäre er auch mit ihr geworden! Jetzt war alles anders, doch dafür konnte er Storm-Rider nicht verantwortlich machen. „Du hättest Light-Cloud sehen sollen. Während er deine Pferde zu seiner Herde brachte, ist er erst einmal den Hauptweg auf- und abgeritten. Beinahe wäre er vor Stolz geplatzt“, erinnerte er sich, die anderen Gedanken verdrängend – es nutzte ja doch nichts, der Vergangenheit nachzutrauern. Sein Lächeln war offen, und herzlich umarmte er den Freund. „Willkommen zurück, Bruder“, raunte er ihm zu, ihn an sich pressend.

Storm-Rider erwiderte die Umarmung ebenso herzlich, froh, dass er ihm keine nachträglichen Vorwürfe machte – die ganze Sache hätte auch für den Freund schlecht ausgehen können. Von dieser Seite her hatte er das gar nicht bedacht.

Erst jetzt betrachtete er das Kriegspony seines Freundes genauer. Sachkundig umkreiste er es, griff mal nach seinen Beinen, mal betastete er das Maul, bog ihm den Kopf zur Seite, erfühlte seinen Widerstand. „Du wiederholst die Übungen, die du schon seit einigen Monden mit ihm machst“, stellte er am Ende seiner Untersuchungen fest. Der Mustang, ein tief rotbrauner Hengst mit dunkler Mähne, stampfte mit der Vorderhand den Boden direkt neben seinen Füßen; es gefiel ihm anscheinend nicht, was man hier mit ihm machte.

„Er will noch mehr lernen – siehst du, er ist ungeduldig“, rief Storm-Rider und fasste nach dem Kopf des Tieres, das sich gegen diese Berührung jetzt wehrte. „Du liebst braune Augen bei deinen Mustangs, Gray-Wolf“, meinte er, den Hengst anblickend. Er ließ den Kopf des Mustangs los und lachte, während der sich rückwärts aus seiner Reichweite entfernte. Dann machte er sich den Spaß und ging ihm nach, während er weiterredete. „Ich halte davon nichts; ich finde, diese Pferde sind verschlagen. Wenn du nicht aufpasst, hast du ein Loch im Hintern, sobald du ihnen den Rücken kehrst.“ Als er sich zu Gray-Wolf umdrehte, strafte sein breites Grinsen seine Worte Lügen. Es war nicht ernst gemeint – nur ein Spruch unter Pferdekennern, denn er liebte auch Pferde mit braunen Augen.

Jetzt blieb der Hengst stehen, die seinen auf Gray-Wolf gerichtet und seine Ohren bewegten sich lebhaft. Er ist unsicher, wussten beide Männer – er zögert. Soll er weglaufen oder bleiben? Aber die Arbeit mit Gray-Wolf liebte er. Ja, er liebte diesen Mann dort, der schon lange sein Bruder war.

Storm-Rider erkannte es nach einem letzten Blick auf ihn. Dem Mustang den Rücken kehrend, kam er zu Gray-Wolf zurück.

„Deine Pferde haben nicht alle blaue Augen“, meinte der, seinen Hengst mit einem leisen Ruf zurückholend. „Einige von ihnen sind auch nicht so zuverlässig, wie du es gerne hättest, und so viel ich weiß hat dich das eine oder andere auch schon mal in den Hintern getreten oder noch viel Schlimmeres.“

„Weil ich nicht so viel Zeit mit ihrer Ausbildung verbringen kann, mein Freund, wie du oder wie Light-Cloud. Summer-Wind ist mein liebstes Kriegspony; er ist für mich wie ein Bruder. Vielleicht sollte ich es ja so machen wie Old-Antelope manchmal und meine besten Pferde abwechselnd zu mir ins Tipi holen. Ich glaube aber nicht, dass das meiner Frau gefallen würde!“

Beide grinsten sich wie zwei Jungen an, die eben über einen Streich nachdachten. Es war ein befreiendes Gefühl, so unbeschwert und sorglos hierzustehen und miteinander über belanglose Dinge zu reden. „Mocking-Bird würde mich zusammen mit dem Pferd aus dem Tipi werfen, wenn ich das auch nur in Erwägung zöge.“ Gray-Wolf musste lachen. Dann, kurz zögernd, sprach er aus, was ihn belastete; schließlich waren sie seit ihrer Kindheit schon die besten Freunde. „Es ist nicht immer leicht, mit ihr auszukommen, doch langsam wird es besser. Sie sieht es nicht gern, wenn ich mich selbst um meine Tochter kümmere; sie meint, dass das ihre Aufgabe sei.“ Mit dem Kinn deutete er auf das Wiegenbrett. „Ich muss das tun, denn es drängt mich danach. Dieses Kind ist wie ein unsichtbarer Faden, der sie und mich verbindet.“

Storm-Rider wusste, wen er meinte, und schaute zu dem Wiegenbrett. Die Kleine schlief, an ihrer Faust nuckelnd. „Mocking-Bird wird das wissen, sie ist ja nicht dumm. Ich weiß, dass sie dir fehlt, doch jetzt ist Mocking-Bird deine Ehefrau, und du solltest ihr das zeigen. Lass die Vergangenheit endlich Vergangenheit sein, denn Mocking-Bird leidet darunter, nicht die erste Frau in eurem Tipi zu sein. Solange du den Schatten der anderen nicht hinausgehen lässt, wird sie nicht glücklich sein.“

„Ja, ja, ja – ich weiß.“ Gray-Wolf seufzte. Er wusste, dass das stimmte, wusste, dass er das ändern sollte – aber es war schwer.

„Was stellst du eigentlich mit ihrem Sohn an, nimmst du ihn auch mit zu deinen Pferden?“

„Das tue ich“, beantwortete Gray-Wolf seine Frage, froh, diesmal das Richtige getan zu haben. „Er ist mein Sohn!“

„Und wo, bitte schön, ist er jetzt? Ich sehe ihn nicht.“

„Versetz dich in meine Lage“, suchte Gray-Wolf nach einer Erklärung. „Die alten Männer können gute Ratschläge geben und die Frauen halten sich ja damit auch nicht zurück. Mocking-Bird leidet, ich weiß; doch es ist alles nicht so einfach. Eigentlich hatte ich nur für meine Tochter eine Mutter gesucht, und Mocking-Bird erschien mir dafür geeignet. Du weißt das, wir haben lange genug darüber gesprochen. Was das alles für Folgen für mich haben würde, dass hab ich nicht bedacht.

Ich habe nicht nur die Verantwortung für eine neue Frau, sondern auch für ihren Sohn. Ich bin nicht rücksichtslos oder ungeduldig, wie manch ein anderer Mann es mit einer zweiten Frau vielleicht wäre, aber ich brauche Zeit. Versteh doch, warum ich da manchmal mit meiner Tochter allein sein möchte. Ich liebe Mocking-Birds Sohn auch – das ist es nicht. Aber diese Kleine hier ist einfach mehr für mich. Es ist nicht richtig, ich weiß, aber es ist nun einmal so.“

Seine ehrlichen Worte berührten Storm-Riders Herz. Wie würde er selbst sich denn an seiner Stelle fühlen? Vielleicht war es doch nicht so klug gewesen, so kurz nach dem Tod von Dream-In-The-Day sich eine neue Frau – aus der Not heraus, nicht aus Liebe – zu nehmen. „Mach ihr ein Kind, Gray-Wolf“, platzte es aus ihm heraus. Ja, dachte er, das ist die Lösung.

Gray-Wolf musste schlucken. Dann jedoch sagte er leise: „Sie meint das auch.“

Storm-Rider war erleichtert. Sie sprechen also miteinander, dachte er – das konnte ein Anfang sein.

„Dein Pferd langweilt sich“, wechselte er das Thema. „Du solltest ihm neue Tricks beibringen. Sieh dir an, wie er die Oberlippe hochzieht. Er will dir zu verstehen geben, dass das hier endlich weitergehen soll. Tu dich mit Light-Cloud zusammen – ihr beide seid wahre Pferdekenner.“

„Du weißt es noch nicht?“ Die etwas gedrungene Gestalt seines Freundes straffte sich.

„Was weiß ich noch nicht?“

„Er kümmert sich um den Fremden, einen Weißen. Er ist einen halben Mond nach dem Tag, an dem ich acht Pferde vor das falsche Tipi stellen musste, hergekommen. Großmutter wollte, dass er in ihrem Tipi wohnt – sie wäre so lange zu Dark-Night und Light-Cloud gezogen. Aber das hat er abgelehnt und sich in der Nähe der Pferdeherde – dort, wo die Felsengruppe ist – ein Lager eingerichtet. Er kommt und geht, wie es ihm gefällt; niemand stört sich daran. Wenn er Wild bringt, verteilt es Great-Mountain, ansonsten beschäftigt er sich mit seinen beiden Pferden.“

„Was will ein weißer Mann denn hier?“ Auf Storm-Riders Stirn erschienen zwei tiefe Falten. Ein fremder weißer Mann also! Das konnte nichts Gutes bedeuten, vielleicht sogar Ärger. Warum hatte ihm Light-Cloud, dem er ja vorhin erst begegnet war, nichts davon gesagt? Oder seine Eltern?

Das erschien ihm seltsam.

„Er spricht unsere Sprache“, unterbrach Gray-Wolf seine Gedanken.

„Er ist auf der Suche nach seinem Sohn hierher gekommen und hat auch nach Summer-Rain gefragt. Doch zuerst solltest du mit ihm sprechen.“ Als hätte er über nichts Wichtiges geredet, bückte er sich nach der Leine. Sein Pferd schenkte ihm sofort die volle Aufmerksamkeit. Auch das rote Tuch, das er wieder in der Hand hielt, tat seine Wirkung.

„Sein Sohn?“ Ein eisiger Schauer lief Storm-Rider den Rücken hinunter, während es ihm dämmerte.

„Du meinst, er sucht Running-Fox?“ Kaum hatte er den Namen ausgesprochen, da hielt er sich auch schon die Hand vor den Mund; die Namen von Toten benutzte man nicht leichtfertig.

Gray-Wolf nickte bedächtig. Ernst sagte er: „Besser, du reitest gleich zu ihm.“ Überflüssigerweise deutete er in die Richtung, in der die Felsen von hier aus zu sehen waren.

„Nein!“ Storm-Rider blickte hinüber zum Fluss, wo er Summer-Rain vermutete. Nein, das ging nicht. Er konnte das nicht tun, denn sie würde ihm das niemals verzeihen. „Zuerst sollte meine Ehefrau mit ihm reden“, beschloss er deshalb. Auf einmal hatte er es eilig, fortzukommen.

Gray-Wolf wollte ihn halten, doch dann ließ er es bleiben. Ich sollte ihm da nicht reinreden, dachte er. Der Freund musste selbst wissen, was er tun sollte. Ein leiser Pfiff, und Summer-Wind stand neben Storm-Rider.

„Aber du weißt schon, dass Summer-Rain dann mit ihm allein sein wird“, konnte es sich Gray-Wolf dann doch nicht verkneifen, zu sagen.

„Und wenn schon, wir haben schon lange keine Geheimnisse mehr. Ich vertraue ihr, sie wird niemals etwas tun, das ich nicht auch gutheißen würde.“

Von Summer-Winds Rücken herunter rief er dem Freund noch einen Ratschlag zu: „Lass deine beiden Kinder zusammen aufwachsen. Dein Herz ist groß genug für zwei – was sage ich, auch für drei Kinder und deine neue Frau. Wo ist das Problem? Mach aus deinem ersten Sohn einen guten Mann und einen würdigen Krieger. Nimm ihn das nächste Mal mit auf die Jagd, damit machst du auch Mocking-Bird eine Freude.“

Gray-Wolf musterte ihn belustigt. „Machst du Witze? Der Junge ist kaum zwei Winter alt!“

„Ich weiß.“ Storm-Rider lachte. Dann wurde er wieder ernst: „Reich mir deine Tochter mal hoch, ich bringe sie zu ihrer Mutter; so gehst du für heute allem Ärger aus dem Weg, denn mir wird sie wohl kaum böse Blicke zuwerfen. Du darfst deine Tochter nicht deinem Sohn vorziehen; das geht so nicht. Bring ihm ein Geschenk mit, wenn du hier fertig bist.“

„Ein Geschenk? Woher soll ich das denn nehmen?“ Mit einer hilflosen Geste zeigte er auf die Ebene vor ihnen.

Doch Storm-Rider hatte sich das schon längst überlegt. „Meine Black-Cloud hat ein Fohlen. Das kannst du dir als kleine Entschädigung für all den Ärger, den du durch mich gehabt hast, holen. Es wird Mocking-Birds Herz erfreuen, wenn sie sieht, dass es für euren Sohn ist.“

Gray-Wolfs Augen weiteten sich ungläubig. „Du bist wahrhaftig ein großzüger Mann, Storm-Rider!“

Der machte lediglich ein belustigtes Gesicht – er war heute in Geberlaune. „Nun reich mir schon das Wiegenbrett hoch“, rief er aus, ihm die Hand entgegenstreckend.

Gray-Wolf bückte sich und gab es ihm. Erstaunt beobachtete er, wie fürsorglich Storm-Rider damit umging. Im Gegensatz dazu konnte dieser Mann ohne jegliche Empfindung töten und hatte so manchen Kriegszug gegen die Texaner angeführt. Bei jedem dieser blutigen Einsätze musste man sich aufeinander verlassen können; die unzähligen Narben auf ihrer beider Körper zeugten davon. Dabei war das Risiko immer ein Leben gegen ein Leben gewesen, und er hatte seines nicht nur einmal ihm zu verdanken. So jemanden wie diesen Mann dort auf seinem wunderschönen Kriegspony Freund nennen zu dürfen, machte Gray-Wolf stolz.

Doch das war es nicht allein, was ihm jetzt durch den Kopf schoss. Wieder dachte er an seine erste Frau Dream-In-The-Day. Ihr Vertrauen zu ihm war auch grenzenlos gewesen. Dann wurde ihm klar, dass er damit aufhören musste. Heute war ein neuer Tag, eine andere Zeit angebrochen. Dieser Freund dort hatte recht, denn er musste endlich Dream-In-The-Day loslassen. Einen letzten Blick auf seine Kleine werfend, die sanft in ihrem Wiegenbrett schlief, in Storm-Riders Armbeuge gebettet, sagte er zu ihm hoch: „Das steht dir außerordentlich gut, mein Freund.“

„Ah, du hast wohl gedacht, ich wüsste nicht, wie man ein Baby hält?“ Storm-Rider lachte.

„Na ja, irgendwie schon, aber da brauche ich mir jetzt ja keine Gedanken mehr darüber zu machen, denn du machst das richtig gut“, rief er ihm nach, denn Storm-Rider ritt bereits auf Summer-Wind mit seinem Kind in den Armen zurück zum Fluss.

Gray-Wolf bedachte noch einmal Storm-Riders Worte. So viel Einfühlungsvermögen hätte er ihm gar nicht zugetraut. Bisher war er ihm immer nur oberflächlich, was Frauen oder Kinder betraf, vorgekommen. Oh ja, der Freund hatte sich verändert. Oder vielleicht war er ja schon immer so gewesen und hatte es nur nicht gezeigt? Er ist wie ein Fels, sagte sich Gray-Wolf – wie ein harter Fels, den der Blitz erst spalten muss, um sein inneres Glänzen zum Vorschein zu bringen.

Eine Weile stand er noch, in tiefes Nachdenken versunken, und genoss das Gefühl der Freude über das Glück seines besten Freundes. Er würde sich das Gesagte zu Herzen nehmen – Mocking-Bird sollte keinen Grund mehr haben, sich zu beklagen, und ein Fohlen für unseren Sohn würde das Übrige tun. So mit sich im Reinen wandte er sich wieder der Ausbildung seines Mustangs zu. Das rote Tuch in der Hand schwenkend signalisierte er ihm, dass es etwas Neues zu erlernen gab. Mit Neugier und unbändiger Freude, die so charakteristisch für diese Mustangs ist, nahm der kleine Hengst die Herausforderung an. Eines seiner Ohren drehte sich voller Interesse dem seitlich von ihm stehenden Mann zu. Seine Augenbrauen hoben sich, Muskeln und Sehnen spannten sich an – man hätte tausend Gedanken in seinem Gesicht lesen können.

Aufmerksame Augen, denen nicht die kleinste Bewegung entging, beobachteten, was als Nächstes kam. Gray-Wolf gab ihm Sicherheit bei sämtlichen Übungen, denn Sicherheit war alles, was der Mustang jetzt brauchte. So arbeitete der junge Krieger mit ihm weiter, bis die Sonne genau über ihnen stand – wiederholte wieder und wieder, was zuvor bereits geklappt hatte. Gray-Wolf sparte dabei nicht mit Lob und Anerkennung, denn auch das war wichtig. Jede neue Übung, jede neue Herausforderung wurde mit einem Eifer angenommen, der sie beide immer enger zusammenbrachte. Bis sie sich bei dem, was sie taten, gegenseitig zu übertreffen versuchten. Sein Mustang bekam ein Gespür für ihn und ahnte bereits jeden weiteren Schritt einen winzigen Augenblick vorher. Sie waren auf dem besten Weg, eins zu werden – eins im Denken und im Handeln. Es war nicht ihr erster Ausbildungstag, oh nein, das hier dauerte nun schon viele Monde.

Nun aber war der Zeitpunkt gekommen, an dem Gray-Wolf eine Entscheidung traf. Sanft strich er seinem Pferd über den Kopf und lehnte sein Gesicht dagegen. So standen sie lange, bis sich ihre Gedanken miteinander verbanden, und das würden sie von jetzt an immer. Ein Pulsschlag, ein Atem würden sie zukünftig sein. Als er das Seil aus dem aus Pferdehaaren geflochtenen Halfter löste und dann auch diesen noch entfernte, entspannte sich der Mustang. Mit einem geschmeidigen Satz, seine Flanke dabei leicht berührend, nur das Haarbüschel am Widerrist erfassend, glitt Gray-Wolf auf seinen bloßen Rücken. Sofort suchten seine Knie die Kuhle unter den Schultermuskeln, wo er seine Schenkel bequem hineinschmiegen konnte. Gray-Wolf saß sehr aufrecht – ohne Zügel, ohne Sattel, hatte kein anderes Hilfsmittel als die Bindung zwischen ihm und seinem Pferd.

Würde das reichen? Oder war es noch zu früh?

Den Oberkörper leicht nach rechts neigend, verlagerte er so ihren gemeinsamen Schwerpunkt. Seine Augen visierten fest einen Punkt weit im Westen an – dort, wo die Ausläufer der Berge begannen – und band sich das rote Tuch um die Augen. Routinemäßig balancierte er den Schwerpunkt aufs Neue aus, seine Schultern bewegten sich nicht, nur sein Oberkörper zog sich ein winziges Stück nach vorn. Der kleine Mustang machte, frei von jedweder Aufforderung, die ersten Schritte – zuerst nur zögerlich, mit seinem Empfinden in den Gedanken seines Reiters, dann setzte er sicher ein Bein vor das andere.

Gray-Wolf sagte kein einziges Wort – brauchte es auch nicht. Ohne die Hände als Hilfe zu benutzen, blind, nur mit der Kraft seiner Gedanken und dem aufgebauten Vertrauen zwischen ihnen, tat das Pferd genau das, was er von ihm erwartete. Über die Ebene auf den Fluss zu galoppierend, fand es ohne zu zögern den Übergang an einer seichten Stelle und preschte, die Entscheidung seines Reiters bereits vorausahnend, auf die andere Seite, dann weiter auf das Ziel zu, das Gray-Wolf mit sehenden Augen zuvor angepeilt hatte. Ihre Gestalten verschmolzen zu einer, während sie im flimmernden Licht der Sonne verschwanden. Der wunderbar in all seinen Bewegungen dahingleitende Mustang wandte sich mit traumwandlerischer Sicherheit den Bergen zu. Ein nicht enden wollender Jubelruf von Gray-Wolf, der ein Pferd unter sich hatte, dem er sein Leben anvertrauen konnte, drückte all das aus, was er in diesem Moment fühlte – was Comanchen fühlten, wenn sie auf ihren Mustangs in die Weite ihrer Plains hinausritten. Es ist unmöglich, das nachzuempfinden – für uns Weiße jedenfalls.

Der Wind zauste Gray-Wolfs von ihm selbst aus Trauer um seine geliebte Dream-In-The-Day abgeschnittenen Haare, wehte ihm die seines Mustangs gegen die Schenkel und ließ ihn den Luftzug spüren, der über ihn und das Land dahinstrich. Noch einmal schrie er seine Lebensfreude hinaus, sein Glück, diesen Mustang unter sich spüren zu dürfen, seine ganze Sehnsucht.

Gras stob hinter dem Mustang hoch, der dahingaloppierte, als gelte es, bis ans Ende der Zeit zu laufen. Der Krieger Gray-Wolf hätte in dem, was er jetzt empfand, diese Welt umarmen können.

2. Kapitel

Auf ihrem Platz vor dem Tipi hatte Großmutter nur kurz in ihrer Arbeit innegehalten, um ihren Rücken durchzudrücken und ein wenig zu verschnaufen. Seit dem frühen Morgen war sie nun schon damit beschäftigt, Büffelhäute zu gerben. Sie stammten noch von der letzten Jagd und sollten ältere Exemplare auf dem Boden ihres Tipis ersetzen, deshalb mussten sie besonders weich und anschmiegsam werden. Müde wischte sie sich den Schweiß von der Stirn, dann machte sie weiter. Whirl, wie Summer-Rain ihre Gescheckte nannte, stand grasend in der Nähe. Wo sich ihre Reiterin aufhielt, konnte sie nur erahnen. Seit sie zurück war, musste sie einen Besuch nach dem anderen machen. Für sie und ihren Ehemann war inzwischen in dem kleineren Tipi alles bereit – wenn sie denn irgendwann einmal kommen würden. Egal, wie viele Verpflichtungen die beiden auch hatten, Großmutter fand es unmöglich, dass sie sich hier nicht sehen ließen. Noch lagen alle Hochzeitsgeschenke vor dem Tipi, das man von hier aus gerade noch sehen konnte, wenn man sich auf die Zehenspitzen stellte. Storm-Rider und Summer-Rain würden sie zusammen begutachten und dann weiterverteilen. Großmutter seufzte – sie hatte es noch nicht übers Herz gebracht, ihr von dem Fremden zu erzählen, denn das konnte sie noch früh genug. Sollte jemand anderes den Mund nicht halten können, dann ersparte er ihr damit die unangenehme Aufgabe, ihr diesen Tag zu verderben. Sie wischte den Gedanken an den toten Cheyenne mit einem Kopfschütteln weg, sah hoch und entdeckte Magic-Flower, die vom Fluss heraufkam, einen Wassersack unter dem Arm.

Unwillkürlich zog sich Großmutters Stirn in Falten. Der Hass der jungen Frau auf Summer-Rain war allgemein bekannt – spätestens seit der Sache mit Icy-Wind. Wenn man ihr auch nichts nachweisen konnte – allein der Verdacht, dass sie daran nicht ganz unschuldig war, genügte. Seitdem konnte ihre Schönheit niemanden mehr über ihren Charakter hinwegtäuschen. Nachdem Storm-Rider Icy-Wind getötet hatte, kam heraus – Light-Cloud hielt die Wahrheit nicht zurück – dass sie es gewesen war, die ihm vom Angriff auf Summer-Rain berichtet und ihn so zu Icy-Wind gelockt hatte. Zu dumm für Icy-Wind, dass Running-Fox in das Kampfgeschehen eingegriffen hatte und so seinen Tod verhindern konnte. Großmutter wollte nichts mehr mit ihr zu tun haben. Doch anstatt sich reumütig zurückzuziehen, spielte sich das junge Mädchen weiter in den Vordergrund. Das war ihre Art, mit all dem Geschehen umzugehen. Ihr triumphierendes Auftreten hatte aber nicht mehr die Wirkung wie früher und kehrte sich in das Gegenteil, denn immer mehr ihrer Freundinnen trennten sich von ihr. An Magic-Flower jedoch prallte das alles ab. Sie wollte es nicht wahrhaben; nur so konnte man sich ihr Verhalten erklären.

Das alles ging Großmutter jetzt durch den Kopf, während sie sich wieder über die Büffelhäute hermachte. Aus heiterem Himmel erinnerte sie sich an ihre eigene Jugend. Einmal hatte sie sich die Schwäche erlaubt, sich in einen jungen Kiowa zu verlieben. Daraus war nichts geworden, denn die Kiowa heirateten nur innerhalb ihres eigenen Volkes. Das war so nicht ganz richtig, es gab natürlich auch Ausnahmen. Sie hatte nicht um ihre Liebe gekämpft und den einfacheren Weg gewählt.

Großmutter seufzte – danach war sie eine Zweckehe eingegangen. Nun ja, sie konnte sich wahrlich nicht beklagen. Ihr Mann war immer bemüht gewesen, ihr alles rechtzumachen, und hatte sie gut behandelt. Trotz all der vielen Fehlgeburten, der Kinder, die nur ein, zwei Tage überlebten, war er bei ihr geblieben. Er hätte sich auch anders entscheiden können. Nein, murmelte sie leise vor sich hin, ich kann mich nicht beklagen. Er war bei einem Jagdunfall ums Leben gekommen; seitdem war sie allein. Sie wollte keine Ehe mehr eingehen, obwohl Great-Mountain ihr das immer wieder nahegelegt hatte, und genügend Bewerber hatte es gegeben. Am aufdringlichsten war Antelope-Son gewesen. Er hatte ihr schon vor der Geschichte mit dem Kiowa nachgestellt.

Sie erinnerte sich wieder an den Tag, als Sun-In-The-Red-Hair mit den Kriegern ins Lager gekommen war. Bei ihr und ihren beiden Kindern hatte sie ihr Glück gefunden. Später, als ihr kleiner Schmetterling in ihr Tipi flatterte, hätte sie mit niemandem mehr tauschen mögen. Wieder fiel ihr Antelope-Son ein. Er war damals über ihre Ablehnung nicht hinweggekommen. Nur um sich abzulenken, hatte er an diesem Kriegszug teilgenommen, von dem die Männer Sun-In-The-Red-Hair und drei Kinder mit zurückbrachten – Moon-Night und diese beiden Jungen, Raven-Feather, der einer ihrer besten Pferdemänner wurde, und sein jüngerer Bruder Arrow-Head.

Als käme die Vergangenheit auf sie zu, sah sie Antelope-Son plötzlich leibhaftig vor sich. Ungläubig kniff sie die Augen zusammen. Was machte er denn hier? Gerade eben hatte sie an ihn gedacht. Leicht amüsiert verbiss sie sich ein Lachen. Der stolze Krieger von damals kam jetzt auf einen gebogenen Stock gestützt, schlurfenden Schrittes näher. Alt und gebrechlich, mit zerfurchtem Narbengesicht, hielt er direkt vor ihr. Den Kopf mit den weißen Haaren, ordentlich zu zwei langen Zöpfen geflochten, schief gelegt, überlegte er, wo er war. Endlich hob er den Zeigefinger und tippte ihr damit an die Schulter. Großmutter ließ ihn gewähren, denn sie wusste um seine Vergesslichkeit.

Dieser Zustand hatte sich erst in den letzten sechs Monden so sehr verschlechtert, dass man ihn eigentlich niemals mehr allein umhergehen lassen konnte. Immer war jemand schnell zur Stelle, um ihn wieder zu seinem Zuhause zu bringen. Noch einmal tippte er sie an. Auf einmal huschte es wie ein Erkennen über sein eingefallenes Gesicht. Die fast nicht mehr sichtbaren Lippen kräuselten sich in tausend Fältchen, verschwanden in seinem zahnlosen Mund. Dann öffnete er ihn und erstrahlte in einem wissenden Lächeln. Es erreichte die Augen, die wie kleine runde Kieselsteine in dunklen Höhlen wohnten. „Ich gehe jetzt in die Berge, meine Liebste“, murmelte er geheimnisvoll. „So weit weg, wie ich kann, doch das darfst du niemandem sagen. Ich will nicht, dass man mir folgt und mich wieder zurückbringt.“

Seine Handflächen strichen sanft über ihre Schultern. Unverkennbar war er bei völlig klarem Verstand. „Wenn du mich damals nur gewollt hättest, meine Schöne, dann wäre manches anders gekommen. Der, der den Bruder deiner Nichte getötet hat, diesen Cheyenne – er stand mir damals nahe. Ich bin mit ihm auf diesen Kriegszug geritten, du weißt schon, um zu sterben oder dich zu vergessen – hat beides nicht geklappt.“

Den Kopf hochgereckt, lauschte er in den Wind – kicherte und sagte: „Sun-In-The-Red-Hair hat ihm damals, genau wie du mir einmal, das Herz herausgerissen. Danach ist er unempfindlich geworden gegen alle Freuden des Lebens. Dein Bruder hätte sich heraushalten sollen. So viel ist deshalb passiert – vor 34 Wintern – ich hab sie alle gezählt. Du und ich, wir sind keine jungen Leute mehr, wir sind mit dem Wind alt geworden. So ist das eben, und nun werde ich heimgehen, heim zu dem Schöpfer, der uns gemacht hat. Es wird endlich Zeit.“

Großmutter, die ihm bis jetzt nur stumm zugehört hatte, blickte ihn mit weit aufgerissenen Augen an. Wäre in diesem Moment ein Blitz neben ihr eingeschlagen, sie hätte sich nicht gerührt. Was wusste Antelope-Son von Icy-Wind und Sun-In-The-Red-Hair? Dann wurde sie wütend. „Du sprichst von Dingen, die lange vorbei sind; lass sie endlich ruhen.“ Sie meinte das mit ihm und ihr.

„Oh, Feet-That-Sing-When-They-Walk kann ja reden“, nannte er sie bei ihrem Mädchennamen. Verwegen blinzelte er mit einem Auge. Großmutter löste sich von seiner Berührung, indem sie einen Schritt nach hinten machte. „Es ist erstaunlich, an was du dich noch alles erinnerst, Antelope-Son“, erwiderte sie scharf. „Du solltest deine Erinnerungen in die Berge mitnehmen, anstatt sie hier vor mir auszubreiten. Du verschwendest nur meine Zeit!“

„Du hast recht, meine Liebste“, sagte er, bedauernd die Hände betrachtend, die nun nicht mehr auf ihrer Schulter lagen. „Es ist ohnehin schon zu lange her. Die Zeit hat dich und mich in verschiedene Richtungen gehen lassen. Dabei hätte ich deinen Weg leichter machen können, es hätte mich nur ein einziges Wort gekostet.“ Die in seinen Worten mitschwingende Drohung erkannte Großmutter wohl. Sein Gesichtsausdruck veränderte sich jäh. In seinen Augen erschien ein seltsamer Glanz, und sie wurden groß und rund – so, als ob sich dort etwas hervordrängen wollte, was nicht aus seinem Mund kommen durfte.

Großmutter aber musste es wissen. Entgegen ihrer vorangegangenen Worte überwand sie ihren Abscheu und sagte in mildem, versöhnlichen Ton: „Ich sehe doch, dass dich etwas bedrückt, du solltest das, was dir auf dem Herzen liegt, nicht weiter mit dir herumschleppen.“

„Meine Zeit ist vorbei“, meinte er leichthin, den Blick in die Ferne gerichtet.

Sie wartete, ebenfalls ihre Augen nach dort gerichtet, nicht auf etwas Bestimmtes, nur irgendwohin; sie konnte ihn nicht einmal ansehen.

Den Kopf wieder der Frau zuwendend, die er einst so sehr begehrt hatte, sprühte es förmlich aus ihm heraus. „Siehst du, ich habe mich an deinen Namen erinnert, als du ein junges Mädchen gewesen bist:

Feet-That-Sing-When-They-Walk. Ich weiß noch genau, dass du deinen Bruder damals zu ihr geschickt hattest“, erinnerte er sich wieder an seine Worte von eben. Oh ja, ein einziges Wort von ihm hätte genügt – doch es nicht zu auszusprechen, war seine Rache gewesen, seine Rache wegen ihrer Abfuhr. Soll sie doch jetzt erkennen, welchen Fehler sie damals gemacht hatte! Antelope-Son wischte sich mit der Zunge über die welken Lippen. „Ja“, stieß er hervor und ihm war durchaus klar, was er da sagte. „Sie haben Sun-In-The-Red-Hair verfolgt – damals, als wir Männer sie ins Lager brachten, und Crow-Wing war die Schlimmste von allen. Du dagegen hast ihr Essen gegeben und eine Decke. Ich weiß das, denn ich habe es gesehen; ich wusste immer, wo du warst, auch in jener Nacht.“

Zufrieden betrachtete er das entsetzte Gesicht von Großmutter. Ja, das hatte sie nicht gewusst – und das war noch lange nicht alles. Beinahe triumphierend sprach er weiter. „In dieser Nacht wollte Crow-Wing dafür sorgen, dass sie stirbt. Das wäre sie auch, wenn Icy-Wind sie nicht aus dem Wasser gezogen und das verhindert hätte, denn jetzt wollte er Sun-In-The-Red-Hair, obwohl er vorher etwas anderes behauptet hatte. Dieser Mann war sich mit seiner Arroganz immer schon selbst im Wege. Als dein Bruder und er dann aufeinandertrafen, konnte er die entscheidenden Worte doch nicht sagen; er brachte es einfach nicht fertig, stattdessen gingen sie im Unfrieden auseinander.“

Antelope-Son hielt inne; seine alten Augen sahen nicht mehr so gut wie früher. Was sich jetzt jedoch vor seiner Nase abspielte, das bemerkte er in lichten Momenten wie diesen noch gut: Großmutters gequälter Ausdruck entging ihm nicht, doch es war ihm immer noch nicht genug. „Dein Bruder, der von den Gefühlen Icy-Winds nichts ahnte, machte sich ihn dort bei diesem Zusammentreffen für immer zum Feind“, fuhr er fort, sie zu quälen. „Dieser Mann, der jetzt tot ist, umgekommen in einem fairen Kampf, hat das Erlebnis von damals nie verwunden, und der Hass hat ihn aufgefressen. Eure ganze Familie musste dafür büßen; nur dafür hat er noch gelebt. Ich habe es gesehen, mit eigenen Augen, in dieser Nacht. Damals entschied sich das Schicksal von Sun-In-The-Red-Hair und Icy-Wind. Dieser Mann hat gelitten, unendlich gelitten und es nicht ertragen können, dass dein Bruder über ihn triumphiert hat. Der Schmerz, den auch ich einst gefühlt habe, hat ihn Wege gehen lassen, die er sonst niemals gegangen wäre. Begreifst du, wie leicht es gewesen wäre, all das kommende Unglück, all den Kummer von deiner Familie abzuwehren? Ein Wort von mir an deinen Bruder hätte genügt.“

Großmutter starrte ihn an, als wäre er ein Dämon. Er wollte ihr wehtun, erkannte sie in diesem Moment. Sie hatte es einmal getan, aber auf andere Weise, doch das war jetzt egal; sie konnte nicht zulassen, dass er zuletzt noch triumphierte. „Wenn du dir einbildest“, fuhr sie ihn an, „mein Bruder hätte diese Frau, von der du sprichst, zurückgewiesen, nur um allem Ärger aus dem Weg zu gehen, dann irrst du dich gewaltig, alter Mann – nie im Leben! Wenn du damals zu mir gekommen wärest, um mir all das zu sagen, was du heute hier hergetragen hast, um mir weh zu tun, so muss ich dich enttäuschen. Dieses Wissen hätte uns nur stärker gemacht – es hätte nichts, überhaupt nichts, geändert.“

Ihr Herz schlug schneller. Dieser alte, boshafte Mann hier sprach doch tatsächlich von Unglück und Kummer! Was wusste er denn schon! Eines aber wurde ihr klar: Wenn Three-Bears davon etwas gewusst hätte, wäre er sicher auf Icy-Wind zugegangen, um mit ihm Auge in Auge darüber zu reden. Wie das ausgegangen wäre, konnte niemand im Nachhinein wissen; zumindest hätte er es versucht. Schon wollte sie Antelope-Son das vorwerfen, da besann sie sich. Welch ein Irrsinn, denn eigentlich sollte man doch wohl mit dem Alter klüger werden; der hier jedenfalls nicht.

Verletzter Stolz nagte noch immer an seinen Knochen. Sein Groll auf sie hatte ihn damals daran gehindert, mit ihr darüber zu sprechen. Egal, ob es etwas genützt hätte oder nicht – er hätte es einfach nur tun sollen.

Sie sah ihn an und fragte sich, ob sie an all dem Unglück die Schuld trug. Dark-Night, Light-Cloud, Summer- Rain, Running-Fox, zählte sie in Gedanken auf. Zuletzt hätte es auch Storm-Rider beinahe das Leben gekostet. Nein, wusste sie plötzlich, nein, das alles war nicht meine Schuld. Mit diesem Mann hier hätte sie nie ihr Leben teilen können, auch nicht um den Preis seines Geständnisses. „Vielleicht hättest du mir tatsächlich viel Kummer und Leid ersparen können, Antelope-Son“, wies sie ihn mit fester Stimme zurecht.

„Hätte ich, hab ich aber nicht“, unterbrach er sie, freudig erregt. Ein schlaues Lächeln ließ seine Mundwinkel zucken. Sein Kopf wackelte belustigt hin und her; er schien sich an dieser Vorstellung zu weiden.

Großmutter hatte noch nicht zu Ende gesprochen. „Aber“, fuhr sie fort, ihn mit hochgerecktem Kinn betrachtend, „heute bin ich fest davon überzeugt, dass aus unserer Verbindung ein viel größeres Unglück hervorgegangen wäre. Ich muss dir daher dankbar dafür sein, dass du mir das alles nicht erzählt hast. Vielleicht hätte ich ja den Fehler begangen und meine Entscheidung gegen dich damals noch einmal überdacht.“

Oh? Antelope-Sons Gesicht, alt und runzlig, fiel in sich zusammen. Großmutter konnte regelrecht sehen, welche Gedanken ihm im Kopf herumsprangen. Umständlich verlagerte er sein Gewicht; kurz schwankte er, doch dann umklammerte er mit seinen Fingern, die voller Gichtknoten waren, den Stock nur fester. Großmutter sah, wie er vor Schmerzen das Gesicht verzog; seine Arthritis machte ihm zu schaffen – oder waren es ihre Worte? Es tat ihr nicht einmal leid, ihn so zu sehen. Die Jahre hatten alte Leute aus ihnen beiden gemacht. So viel Zeit war seit damals vergangen. Was geschehen war, konnte niemand mehr rückgängig machen. Den Entscheidungen, die man einmal getroffen hatte, folgten andere; wer konnte da schon vorher wissen, wohin sie führten?

Ob sie gut oder schlecht waren, richtig oder falsch? Dieser alte Mann bildete sich ein, die Geschichte beeinflusst zu haben und damit auch ihre Zukunft und die ihrer Lieben. Lachhaft, sagte sie sich, einfach nur lachhaft – diese Macht besaß kein Mensch; genauso wenig hätte er den Wind beeinflussen können. Kurz war sie versucht, ihn ins Gras zu stoßen. So sieht deine Macht aus, alter Mann, wollte sie ihm damit zeigen, so schwach bist du damals gewesen und bist es auch heute noch.

Was war aus ihm geworden? Antelope-Son, einst ungebührlich arrogant und anmaßend – jemand, der sich einbildete, anderer Leute Schicksal bestimmt zu haben – stand jetzt am Rande des Todes. Die letzten Worte von Großmutter trafen diesen ehemals starken und tapferen Krieger zutiefst. Heute war er nichts mehr von beidem, heute war er einfach nur seines Lebens überdrüssig. Jetzt aber hatte er sich unbewusst etwas aufgeladen, worüber er auf seiner letzten Wanderung nachgrübeln konnte – wenn er denn klar im Kopf sein würde. Sein Blick glitt über Großmutters Gestalt, als wollte er sich jede Einzelheit für den kurzen Rest seines Lebens einprägen – obwohl er es ja doch schon bald wieder vergessen würde. Vielleicht sah er sie ja in diesen Augenblicken der Erinnerung, wie sie als junges Mädchen gewesen war – als die, deren Füße sangen, wenn sie ging.

Ohne sich von ihr zu verabschieden, drehte er sich um. Sein letzter Weg würde ihn in die Berge führen, so weit ihn die alten, müden Beine trugen.

Gerade schlurfte er einen langgezogenen Hügel hinauf, da tauchte Great-Mountain atemlos auf einem kleinen Mustang auf, und Großmutter rief ihn an. Mit ihrer bestimmten, keinen Widerspruch duldenden Art machte sie ihm begreiflich, dass es sinnlos war, Antelope-Son aufzuhalten.

Great-Mountain stand lange neben ihr. Beide blickten sie dem alten Mann nach – jeder für sich allein.

„Hat er noch etwas gesagt?“

Großmutter wandte dem Friedenshäuptling langsam den Kopf zu. In ihren Augen war keinerlei Regung. „Nein“, log sie mit fester Stimme. „Nur Belangloses, nichts von Bedeutung. Er ist froh, diesen Weg noch allein gehen zu können – lassen wir ihn sein Leben zu Ende bringen.“ Und mögest du niemals Ruhe finden – nach dem, was du angerichtet hast. Aber das sprach Großmutter nicht aus.

Great-Mountain nickte. Die Gestalt des alten Mannes war längst verschwunden. Großmutter schloss die Augen. Ich bin alt, dachte sie, so alt und ebenfalls müde.

Summer-Rain holte Whirl, ihre Gescheckte, und warf ihrer Großmutter einen prüfenden Blick zu. Die stand noch immer neben den Büffelhäuten, aber Great-Mountain war nicht mehr bei ihr. „Warum hast du mir nicht erzählt, dass da ein weißer Mann ist, der mich sprechen will?“ Ein leiser Vorwurf schwang in ihrer Stimme mit. Sie griff nach dem Widerrist ihres Ponys und schwang sich auf seinen Rücken.

„Das hat keine Eile – lass ihn warten.“ Unwillig schob Großmutter die Unterlippe vor. Irgendjemand musste geplaudert haben. Doch nun wusste sie ja Bescheid, anscheinend aber nicht über alles.

„Wir haben uns um ihn gekümmert“, meinte sie dann doch. „Mach dir keine Sorgen; ich wollte, dass er in meinem Tipi auf dich warten soll – er zog aber die Nähe der Pferdeherde vor.“ Das stimmte zwar, und doch war sie erleichtert gewesen, als er sich so entschieden hatte. Summer-Rain verlagerte ihren Oberkörper leicht nach vorn, und Whirl setzte sich in Bewegung. „Ich reite zu ihm.“ Mehr sagte sie nicht, unzufrieden die Stirn runzelnd. Warum glaubte Großmutter noch immer, besser zu wissen, was für sie gut war? Oder was sie tun sollte? Ihr Pony wurde hinter dem dichten Gesträuch, das zwischen dem Fluss und der Ebene lag, schneller, preschte weiter bis hin zu den Hügeln im Osten, vor denen die ersten Pferde der riesigen Herde grasten. Einige Stuten, deren im Frühjahr geborene Fohlen miteinander spielten, hoben die Köpfe. Summer-Rain ritt mitten durch sie hindurch, überquerte einen Hügel und grüßte laut die Pferdejungen – überwiegend mexikanische Kriegsbeute, die schon seit langem bei ihnen lebten. Ein hellblonder älterer Mann saß auf einem der Pferde, die ihrem Bruder Light-Cloud gehörten. Er kam heran und hielt neben ihr. Aus seinem braungebrannten Gesicht stachen die hellen Augen besonders deutlich hervor. Ansonsten erinnerte nichts mehr an den kleinen Jungen, der einst so verängstigt auf Red-Eagles Pferd gesessen hatte. Seine Muttersprache kannte er schon lange nicht mehr – er war zu einem vollwertigen Comanchen geworden. Auch sein Bruder musste irgendwo in der Nähe sein; beide blieben nie lange voneinander getrennt.

„Du suchst sicher den weißen Mann, Summer-Rain“, redete er sie freundlich an. Dass sie mit Storm-Rider zurück war, hatte sich bereits bis hier herumgesprochen.

„Wo ist er?“ Mit einer Hand die Augen gegen die Sonne abschirmend, blickte sie sich suchend um.

Über das Gesicht des Mannes glitt ein wissendes Lächeln. Wenn der Fremde seit seiner Ankunft hier draußen lebte, dann war es wahrscheinlich, dass er wusste, wo er steckte. „Hinter den großen Felsen“, kam es prompt. Sich eine ergrauende Haarsträhne aus der Stirn streichend, zeigte er ihr die Richtung. „Manchmal denke ich, er traut uns nicht. Glaubt wahrscheinlich, wir stehlen seine beiden Pferde. Dabei müsste er doch wissen, dass sie hier in unserem Lager sicherer sind als irgendwo sonst.“ Tief luftholend grinste er jetzt. „Obwohl“, sagte er, bevor er weitersprach, vor sich hin kichernd, „das eine Pferd, dass da bei ihm ist, dass wäre es schon wert, gestohlen zu werden.“ Jetzt strahlte er über das ganze Gesicht, in dem man die Falten schon nicht mehr zählen konnte. „So eines hast du noch nie gesehen, Summer-Rain, es ist irgendwie“, um Worte verlegen formte er mit den Händen einen viereckigen Rahmen. „Etwa so!“

Sie hörte schon nicht mehr hin. Wenn sie sich auch sonst brennend für Pferde interessierte – auf einmal hatte sie es eilig. Sie wollte endlich wissen, wer der Fremde war, denn eine Ahnung kam ihr, die ihr Angst machte.

Je näher sie der kleinen Felsengruppe kam, desto mehr verstärkte sich dieses Gefühl. Der Gedanke, dass dieser Mann etwas mit Running-Fox zu tun haben könnte, ließ ihr Herz schneller schlagen. Warum sonst fragte er ausgerechnet nach ihr? Nein, nein, sie wollte nicht an diesen schrecklichen Tag erinnert werden. Nicht jetzt, nicht heute – nicht an diesem wunderschönen Tag.

Whirl stob dahin, als gelte es, ein Wettrennen zu gewinnen. Sie bemerkte gar nicht, dass sie sie zur Eile antrieb. Schon hatten sie die Felsengruppe fast erreicht. Mit ungewohnt harter Hand stoppte sie ihre Gescheckte, glitt von ihrem Rücken und ließ den kleinen Mustang frei laufen.

Ein Wiehern kam von der anderen Seite der Felsengruppe. Zuerst zögernd, dann schneller gehend, erreichte Summer-Rain sie. Das Erste, was sie dann sah, war ein Pferd, nicht viel größer als ihr eigenes, jedoch mit einer sehr kräftigen Statur, einem kleinen, geraden Kopf, wachem Ohrenspiel und Augen, die sie mit einem fast menschlichen Ausdruck neugierig musterten. Der vordere Teil bis zum Widerrist war tief dunkelbraun, fast schwarz – sogar die Beine. Dann sah es so aus, als hätte jemand eine Decke über sie ausgebreitet – eine weiße Decke mit dunklen, unregelmäßig großen Punkten und Flecken. Der Schweif wiederum hatte die gleiche Farbe wie der vordere Teil des Pferdes. Dort, wo man kein Fell sehen konnte – an den Nüstern und unter dem Bauch – war auch die Haut gefleckt. Ihr geübter Blick erkannte sofort seine Stärken. Der kurze, mit Muskelsträngen durchzogene Rücken und die schräg abfallende ebenfalls kräftig ausgebildete Kruppe zeichneten die Stute als einen sehr wendigen, schnellen Renner aus.

Summer-Rain konnte kaum den Blick von ihr abwenden. Für einen langen Augenblick vergaß sie, warum sie eigentlich hergekommen war. Eine Palouse, konnte sie nur noch denken, eine Palouse! Sie hatte den Atem angehalten, ihr ganzer Körper kribbelte bis in die Zehenspitzen. Der Blick des schönen Tieres wandte sich von ihr ab, und der Zauber verging in dem Moment, als sie den Weißen sah. Ihre Ahnung hatte sie nicht getrogen. Nach allem, was sie über ihn wusste, konnte das nur Erik Machel sein – Erik Machel, Running-Fox´ weißer Ziehvater. Sie zwang all ihre Empfindungen zurück, und ihr Herz fand allmählich wieder in seinen normalen Rhythmus. Tief luftholend stellte sie sich ihm und seinen Fragen.

Er saß vor einem kleinen Feuer, die langen Beine ausgestreckt. Seine schlanken Finger hantierten an einem Stück Leder, das sie als Zaumzeug erkannte. Es sah seltsam aus – ganz anders, als das, das sie selbst benutzte; doch darum ging es jetzt nicht. Ihr Blick glitt über ihn, musterte ihn unverhohlen, da sie sah, dass er das jetzt auch mit ihr machte.

Erik Machel sah jünger aus als 36. Sein längliches, von der Sonne dunkel verbranntes Gesicht mit den eingefallenen Wangenpartien hatte etwas männlich Herbes, das von einem harten Leben zeugte. Sein schmaler, ausdrucksvoller Mund öffnete sich leicht, als wollte er etwas zu ihr sagen, doch nach einem kurzen Zögern stand er nur auf. Irgendwie wirkte das unbeholfen, fast plump, aber das lag sicher nur an dieser Situation, denn er wusste sofort, wer sie war. Man konnte es ihm ansehen: Seine ganze aufgestaute Wut stand ihm ins Gesicht geschrieben, und Summer-Rain erschrak. In seinen eisgrauen Augen erkannte sie all den Schmerz, all die Trauer, die sie selbst noch immer empfand – das hatte sie nicht erwartet. Stumm streckte sie ihm eine Hand entgegen, die er aber nicht beachtete – ja, sein Mund zuckte nur verächtlich; auch das hatte sie nicht erwartet. Dann kam ihr eine Ahnung. Oh nein, woher sollte er es denn wissen? Sie ließ ihren Gefühlen freien Lauf, ihr Gesicht verzerrte sich – und plötzlich, ohne dass sie es verhindern konnte, brach sie in Schluchzen aus. So stand sie vor ihm, beide Hände, unter denen Tränen hervorquollen, vor dem Gesicht. Endlich wurde sie ruhiger – und er auf einmal unsicher. Seine Gedanken flatterten durcheinander, er wusste nicht, was er von ihrem Verhalten denken sollte – wusste gar nichts mehr. Nachdem er hier erfahren hatte, was mit Running-Fox passiert war, hatte ihn tiefe Verzweiflung ergriffen und grenzenlose Trauer. Dann hatte sich das in Unverständnis gekehrt, danach in Wut über dieses Mädchen.

Summer-Rain wischte ihre Tränen nicht fort – der Wind würde sie trocknen.

„Setz dich“, kam es unfreundlich, harsch aus Erik Machels Mund in der Sprache der Comanchen.

Summer-Rain hatte sich zwar gefasst, kam der Aufforderung jedoch nicht nach. Unschlüssig glitt ihr Blick hinüber zu der Palouse, dann wieder zu dem weißen Mann.

„Ich hab gesagt, du sollst dich setzen“, sagte der jetzt in einem scharfen Ton.

Noch immer stand sie unschlüssig neben dem Feuer. Jetzt setzte er sich wieder, das Zaumzeug noch immer in der Hand. Es diente ihm wie ein Rettungsanker, an dem er sich festhalten konnte. „Ich bin Erik Machel, wie du dir vielleicht schon denken kannst“, kam es von ihm, noch immer unfreundlich.

Bevor er sie noch mehr anherrschen würde, setzte sie sich schnell – auch, damit er nicht zu ihr aufsehen musste, denn das wäre eine schreckliche Zumutung gewesen. Erst in diesem Moment begriff sie, dass er Comanche sprach, und zuckte zusammen. Was wusste sie denn schon über ihren Bruder Running-Fox? Gar nichts, durchfuhr es sie, überhaupt nichts – genauso wenig wie über seinen Ziehvater. Nichts, nichts, nichts, hämmerte es in ihrem Kopf. „Er hat viel von dir gesprochen“, begann sie zögernd, bemüht, die richtigen Worte zu finden.

„Verflucht, was soll das? Du hast ihn doch schon vergessen – tu doch nicht so, als würdest du groß um ihn trauern!“ Jetzt sprach er englisch;