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Die "Notizen aus der Klapse" entstanden genau dort - in der Klapse. "Connemara" ist dabei der erste Teil einer Serie sehr unterschiedlicher Geschichten. Es ist eine Gesichte eines Mordes, von Intrigen und deren Folgen. Die Geschichte wird bestimmt von komplizierten zwischenmenschlichen Beziehungen, Illegalität, Straftaten und der Hoffnung auf das Leben des eigenen Traums.
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Seitenzahl: 69
Veröffentlichungsjahr: 2019
Es war bereits Ende Oktober, doch überraschenderweise schien die Sonne heute und die Luft war frisch und würzig.
Das Haus, in dem ich wohnte, lag weit abseits der öffentlichen Wege, in der Nähe von Roundstone und, ungewöhnlich für diese Gegend, umrahmt von einem dichten Wäldchen. Von außen ließ sich schwer erahnen, dass dort jemand wohnt.
Ich war dabei, mich für meine Reise nach Venezuela vorzubereiten. Die Reise sollte am 28. Oktober 2004 beginnen.
Genau vor 30 Jahren war ich schon einmal dort…
Das Nötige für die Reise war bereits fertig und ich war dabei, mir einen Tee zu kochen, als es an der Tür klopfte. Ich schaute aus dem Fenster und sah einen jungen Mann, zwischen zwanzig und dreißig, welcher sich umschaute. Er war kräftig gebaut und gut gewachsen, sein Gesicht strahlte Vertrauen aus und seine Kleidung sprach von einem guten Geschmack.
Die Tür am Haus war links angeschlagen und mein Gewehr hing rechts griffbereit. Ich öffnete die Tür.
Ja, was wünschen Sie? – fragte ich.
Ich habe mich verlaufen. Die Gegend hier ist so wunderschön, dass ich bei meinem Spaziergang, völlig ziellos, hier gelandet bin und nicht mehr weiß, wo ich mich befinde. Dummerweise habe ich keine Karte… Als ich Ihr Haus sah, dachte ich, ich könnte Sie um Hilfe bitten…
Ich bat ihn nicht ins Haus hinein und fragte
Von welcher Richtung kamen Sie?
Der letzte Ort, an dem ich vorbei fuhr, hieß, wenn ich mich recht erinnere, Ballyconneely.
Ich zeigte in die Richtung nach Südwest:
Wenn Sie immer geradeaus in diese Richtung gehen, kommen sie in ca. 4 km zu einer Straße, gehen Sie dann nach rechts, dort ist dann Ballyconneely. Und kommen Sie nie wieder her…
Der junge Mann schaute mich verwundert an, drehte sich um und ging fort. Ich schaute ihm einige Zeit hinterher und als ich seine kräftige Figur in die von mir angezeigte Richtung gehen sah, ging ich ins Haus und schließe die Tür ab.
Die Erinnerungen kriechen aus ihren Ecken heraus und mein Herz beginnt zu rasen.
Ja. Genau vor 30 Jahren war ich schon einmal auch vor dieser Tür.
Im Sommer 1973 besuchte ich zum ersten Mal Irland. Ich war gerade 22 Jahre alt und studierte im fünften Semester Medizin im K*. Ich war fest mit Maria Santes leiert und wir machten uns gemeinsame Pläne. Heiraten war nicht ausgeschlossen. Maria studierte auch Medizin und war drei Jahre jünger als ich. In ihrer Familie waren alle Mediziner und Wohlstand begleitet ihr bisheriges Leben. Ich dagegen, stamme aus einer zerrütteten Ehe, mein Vater verließ uns, als ich gerade 6 Jahre alt war und kümmerte sich nicht um meine Mutter und auch nicht um mich. Mein Studium habe ich durch das Austragen von Zeitungen und Nachtdienste in Krankenhäusern finanziert. Oft ging ich zum Unterricht, müde und nicht ausgeschlafen. Doch irgendwie hatte ich das Zeug zum Arzt werden und habe mein Studium nicht geschmissen. Nächstes Jahr stand mir das Praktikum bevor und dann die Abschlussprüfung und somit eine helle Zukunft. Wir machten uns Pläne über eine gemeinsame Praxis, welche uns ein sorgloses Leben bescheren sollte.
Aber dieses Jahr entschlossen wir uns, einen Teil unseren Ferien in Irland zu verbringen. Wir mieteten uns ein kleines Auto und fuhren los. Die Route legten wir jeden Tag neu fest und schliefen in einem kleinen Zelt in mitgenommenen Schlafsäcken. Eines Tages entschlossen wir uns, nach Connemara zu fahren.
Als wir Galway verließen, tauchten wir in eine Gegend ein, wo wenige Ortschaften ganz verträumt versprenkelt, weit voneinander entfernt lagen und eine unwahrscheinliche Ruhe verbreiteten. Die Zeit blieb stehen und die manchmal karge Landschaft war zerklüftet durch zahllose Seen und Wasserläufe. Vom Norden schützten mehrere sanfte Berge die Gegend und der Atlantik lag voraus. Die Hügel waren spärlich bewachsen, doch hier und da schafften es die Menschen, welche hier wohnten, einige Bäume um ihre Häuser zu gruppieren, um sowohl Schutz vor Wind aber auch vor neugierigen Blicken zu haben. Man musste schon genau hinsehen um darin versteckte Häuser zu entdecken.
Wir hielten am Ufer eines schwarzen Flusses an und waren fasziniert vom dem sich uns öffnenden Anblick. Am anderen Ufer, in der mittelhohen Lage des Hügels, lag in einem Wäldchen versteckt ein kleines Haus. Die Idylle und Gemütlichkeit verbunden mit einem tiefen Geheimnis flossen uns entgegen.
-Hier möchte ich leben! – sagte Maria, ganz von der Begeisterung umfasst. – Das ist so schön!
Ja, das hier könnte mir auch gefallen. - antwortete ich, - Schau, - und ich zeigte auf die Strommaste, welche zum Haus führten, - Strom gibt es hier auch, man muss also nicht auf alle Gewohnheiten verzichten.
Ich wusste, wie wichtig für Maria das liebgewonnene komfortable Leben war und der Strom war die Quelle jeden Komforts.
Wir standen noch eine Weile am Ufer, schauten hinüber und spannten einen Berg von Träumen.
Als wir aus dem Urlaub nach Hause zurückkehrten, trat der Alltag wieder an uns heran und Maria sprach nie wieder von dieser Schwärmerei. Mich aber ließen diese Gedanken nicht mehr aus ihrem Bann. Als dann die Zeit für das Praktikum nahte, suchte ich mir eine Stelle in Irland in einer Klinik in der Nähe von Galway.
Ich kehrte öfter zu der Stelle zurück, aus der wir das Haus entdeckt hatten und fing an es zu beobachten. Meine Gedanken waren noch wirr, das Ziel kristallisierte sich sehr langsam heraus. Ich fing an, ganz unbemerkt, mir alle Informationen über den Bewohner des Hauses sammeln: das war ein Herr von 58 Jahren, er war alleinstehend und pflegte keinen Freundeskreis. Post bekam er fast gar keine und seine Einkäufe erledigte er alle 14 Tage in Galway. Das passte gut zu meinen langsam aus einem wirren Nebel heraustretenden Plänen.
Der Anstoß gab mir einen Zufall.
Im Juli 1974 ging ich zu einem Reisebüro, um meinen Flug nach Hause zu buchen, denn das Praktikum endete im August. Das war ein kleines Büro in Galway und der Verkäufer beschäftigte sich bereits mit einem Kunden, welcher sich für eine Reise nach Venezuela interessierte. Als der Verkäufer mir einen Kaffee anbot und mich um etwas Geduld bat, drehte sich der ihm gegenüber sitzende Herr kurz um, und ich sah, dass das der Bewohner des Hauses war.
Mein Herz fing an zu rasen und ich lauschte jedem Wort. Der Herr war sehr gesprächig, und so erfuhr ich, dass Marti Head, so hieß der Herr, plante, am 28. Oktober 1974 für einige Zeit zu verreisen, das Rückticket war mit offenem Datum. Er buchte kein Hotel, da er durch die Wildnis wandern und auf den Flüssen das Land durchqueren wollte. Das passte gut zu seinem Charakter eines einsamen Waldschrats.
Bevor jedoch alle Reiseunterlagen zusammengestellt wurden, musste der Verkäufer eine Kopie seines Ausweises machen. Das Kopiergerät war, der damaligen Zeit entsprechend, nicht besonderes tüchtig, und der junge Mann musste mehrere Versuche unternehmen, um eine gut lesbare Kopie zu bekommen. Die verpfuschten Exemplare warf er in einen Papiereimer, welcher in unmittelbarer Nähe zu mir stand.
Als er mit der Buchung fertig war, fragte der Verkäufer, wie er seine Reise bezahlen würde, bar oder mit einem Check. Marti lachte und antwortete:
Natürlich bar, so einen neumodischen Kram wie ein Konto brauche ich nicht, ich zahle immer alles bar!
Er zahlte und ging aus dem Büro hinaus. Ich nutzte dabei die Zeit um ihn mir genau einzuprägen: seine Größe, Gesichtszüge, die Art sich zu bewegen und zu sprechen. Auch seine Kleidung blieb nicht ohne meine Aufmerksamkeit.
Als Marti hinausging, bat der junge Mann, sich zu mir wendend, um die Erlaubnis zuerst die Toilette aufzusuchen und fragte, ob ich noch einen Kaffee möchte. Der Kaffee war vorzüglich und ich habe es dankend angenommen. Sobald er in das Nebenzimmer verschwand, holte ich, mit einer lässigen Bewegung, aus dem Papierkorb die verunglückten Kopien und suchte mir die Beste heraus. Diese steckte ich in meine Tasche und trank genüsslich meinen Kaffee weiter. So gelang ich in den Besitz seines Porträts.
Die schwachen unklaren Gedanken bekamen plötzlich eine Richtung und ein Ziel. Nur das Szenario war noch nicht ganz klar.
Der 28. Oktober wurde auf einmal der Punkt, der meinem ganzen Leben die Wende bringen sollte.
Was habe ich zu beachten? - schoss mir durch den Kopf.
Vor mir lag ein halbes Jahr, um mich für die Prüfung an der Uni vorzubereiten: keine weiteren Verpflichtungen. Also stand mir dieser Zeitraum zur Verfügung, um alles zu erledigen. Danach hatte ich meinen Arzt „in der Tasche“ und konnte mich niederlassen wo ich wollte. Es passte alles zusammen.
Die Vorbereitung beschränkte sich vor allem auf die Suche nach einem unauffälligen Rückweg aus Venezuela nach Irland, ohne Spuren zu hinterlassen und eine Veränderung meiner Person in die Person Martis. Maria teilte ich mit, dass das Klinikum mich bat über die Zeit des Praktikums hinaus noch weitere 3 Monate wegen akuten Personalmangels zu bleiben und da ihr meine finanzielle Situation bekannt war, klang das sehr plausibel.