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Hier trifft Satire auf Gaukelei und Fiktion auf Fabulierlust. Skurrile Gestalten gibt es allerorts. Auf und unter der Erde, in dieser wie in anderen Welten, im wahren Leben und in der Phantasie. Egal, ob nun Conrad von Birkenfelde rund um den Schwarzwald-Pavillon für Ordnung sorgt oder der Zwerg von Monte Christo in einer Buchhandlung einen Raum der Stille für ihre Veranstaltungen erschafft. Erleben Sie was geschehen kann, wenn zwei Geschäftsleute in einem sehr besonderen Wartezimmer an ihre Grenzen stoßen oder ein Energievampir sein Unwesen treibt. In diesem Band versammelt Fred Keller sieben Geschichten zum Gruseln, Lachen oder Seufzen. Spannung garantiert.
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Seitenzahl: 153
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Manchmal fällt’s dir schwer
Manchmal fällt’s dir leicht
Manches braucht Geduld
Manches gelingt gleich
Lass dir Zeit
Sei dir ein guter Freund
Ich geh mit dir ein Stück
Erzählen uns was war und ist
Ich hör dir zu vertrau auf dich
Wir hören uns zu von Zeit zu Zeit
Ich geh mit dir wenn du es willst
An meiner Hand
Simon Hartfelder & Hannes Liewald
Quiet Lane
Fred Keller
wurde 1971 in Pforzheim geboren, wo er auch heute noch lebt. Als gieriger Leser verschlang er Altes, Neues, Krimis, Biografien und Sachbücher.
Schon immer sagte er:
„Irgendwann schreibe ich selbst.“
Mit vierzig fing er damit an. Seither sind Fabeln, Kinder- und Fantasy-Kurzgeschichten entstanden, aber auch solche aus dem ganz „normalen“ Leben. Er liebt schwarzen Humor, der oft auch in seine Storys mit einfließt und ist Mitglied im Goldstadt-Autoren e.V. Pforzheim.
Kontakt: [email protected]
www.goldstadt-autoren.de
Vorwort
Conrad von Birkenfelde
Eli und Fanti
Wissen schützt vor Bosheit nicht
Im Wartezimmer des Todes
Der Zwerg von Monte Christo
Melli
Die Ballade von Thomas Vinariam
Anmerkungen
Dank
Weitere Werke
Leseprobe aus
Quickies
Herzlich Willkommen in meinem sechsten Buch. Meine Oma war gebürtige Birkenfelderin, die anderen drei Großeltern „nur“ Zugezogene, oder Reigschmeckte. Doch als ich geboren wurde, lebten bereits alle vier in diesem Ort, blieben bis zu ihrem jeweiligen Ende und fanden hier ihre letzte Ruhestätte. Dadurch fühle ich mich als halber Birkenfelder, auch wenn ich nicht hier wohne. Ich fand es an der Zeit, eine Geschichte zu schreiben, die in der Gemeinde angesiedelt ist. Möge sie allen Einwohnern Spaß machen und bei den anderen Lesern die Neugier wecken, diesen Ort am Rande des Schwarzwaldes einmal zu besuchen.
Viel Vergnügen,
Ihr Fred Keller
Es war einmal, oder vielleicht auch nicht, ein Waldzwerg mit Namen Conrad. Er lebte allein oberhalb des Birkenfelder Friedhofs, unter dem Wilhelmsberg. Seine Bekleidung bestand aus einem roten offenen Hemd, das von einem breiten Gürtel zusammengehalten wurde, einer abgetragenen Hose, deren ursprüngliche Farbe sich nur noch erahnen ließ, und braunen robusten Schuhen. Auf seinem Haupt thronte ein spitzer grüner Hut. Die saphirblauen Augen strahlten aus ihren von tiefen Falten umgebenen Höhlen, blonde Haare fielen locker über seine Schultern, und der rötliche Bart, in dem das erste Grau zu erahnen war, reichte nahezu bis zum Bauchnabel.
Er mochte die Menschen auf seine Weise. Je weiter weg sie sich befanden, umso lieber waren sie ihm. Als Höhlenbewohner fühlte sich Conrad für den Schutz der Erde, ihrer Pflanzen und Tiere verantwortlich, und seit er sich vom Rest seiner Familie zurückgezogen hatte, war er mit sich und der Welt im Reinen.
Der Umzug hatte ihn an diesen idyllischen Ort geführt. Dort verbreiterte sich der Weg von der Gängerebene in Richtung Neuenbürg an einer Stelle für ein kurzes Stück, sodass hier ein runder Platz mit ungefähr fünfzehn Metern Durchmesser entstanden war. Darunter lag Conrads Höhle, weitläufig verzweigten sich die Räume tief in den Berg hinein. Der Schatz, den er wie jeder anständige Zwerg sein eigen nannte, lagerte im hinteren Bereich. Er bestand aus Gold- und Silbermünzen und einer herrlichen Edelsteinsammlung, auf die Könige stolz gewesen wären. Blutrote Rubine, grünschimmernde Smaragde, rote, blaue und schwarze Turmaline, klare Bergkristalle, Diamanten, Erze, Quarze und viele andere Mineralien ließen die Höhle von einer einzigen Kerze regenbogengleich funkeln.
Kein Streit trübte mehr Conrads Dasein.
Dann allerdings hatten sich die Menschen sechs Jahre lang aufs Schlimmste bekriegt. Kurz bevor eine der Parteien aufgab, donnerten Bomben werfende Flugzeuge über die Baumwipfel um Conrads Höhle, um die nahegelegene Stadt Pforzheim in Schutt und Asche zu legen. Wären sie zumindest auf ihrer Höhe geblieben, aber nein, nicht die Menschen. Tausende Bomben rissen Krater in den Erdboden. Und worüber sich die wenigsten Menschen Gedanken machen: Ihr Boden ist die Decke des Zwergenreichs. Wochenlang befreite Conrad seine Wohnung vom Staub, bis sie wieder in altem Glanz erstrahlte.
Nach einigen letzten Gefechten herrschte endlich eine Stille in den Nächten, an die sich die Menschen und auch der Waldzwerg erst wieder gewöhnen mussten.
Conrad genoss die Ruhe. Natürlich waren auch Menschen im Wald unterwegs. Sie sammelten, was die Natur zu bieten hatte, denn kaufen konnte man nur wenig und das Geld war ohnehin knapp. Die Männer und Frauen arbeiteten fleißig, und die Kinder klaubten Brennholz für die heimischen Öfen auf. Eine Selbstverständlichkeit, dass sie mithalfen. Es wurde gerne gelacht und gescherzt, doch spätestens am Abend befiel die Waldbesucher eine Müdigkeit, die sie immer ruhiger werden ließ. Sonntags wanderten Spaziergänger über Conrads Höhlendecke, manche sangen, andere neckten sich lautstark. Doch der Platz war schnell überquert und die Geräusche verklangen rasch wieder. Dann gab es noch einige Leute, die alleine unterwegs waren, von ihnen kam kein Laut, die waren Conrad am liebsten. Bei Anbruch der Nacht hörte er nichts mehr über sich. Willkommene Ruhe.
Plötzlich und völlig unerwartet, es war im Frühsommer 1951, der Krieg seit sechs Jahren vorbei, riss ein Hämmern und Sägen direkt über ihm Conrad aus dem Schlaf. Sonst sah er zu dieser Jahreszeit den leuchtend roten Sonnenaufgang, in den sich als leise Hintergrundmusik sanfte Vogelstimmen einwebten, sobald er hinter dem Holunderbusch, der den Höhleneingang verdeckte, ins Freie trat. Doch heute glaubte der Zwerg seinen Ohren nicht zu trauen, fühlte sich in die Kriegstage zurückgeworfen, befürchtete, dass Sprengkörper auf seine Höhle fallen und die Decke zum Einsturz bringen könnten. Wütend schlich er nach oben, sah vorsichtig hinaus, um zu erfahren, was da vor sich ging.
Von der Sonne geblendet kniff er die Augen zusammen. So viele Männer hatte er lange nicht mehr auf einem Platz gesehen. Die Arbeiter türmten aus Sandsteinen eine Stützmauer auf, um das Abrutschen des Hangs zu verhindern und die ebene Fläche noch zu vergrößern. Ein Geländer wurde am Abgrund befestigt, damit die Gefahr eines Absturzes gebannt war.
Mehrere Zimmermänner, was Conrad an der schwarzen Tracht mit den silbernen Knöpfen erkannte, schleppten gutgelaunt Balken um Balken herbei, die sie am Rande des Plateaus zu einem großen Haufen aufstapelten. Zu den Cordhosen trugen sie karierte Hemden, Halstücher dienten zum Aufsaugen des Schweißes. Ihre Kollegen sägten das Holz auf die benötigte Länge, und von Zeit zu Zeit stimmte einer ein Liedchen an, in das die anderen lautstark einfielen.
Conrad fragte sich, wie man so früh dermaßen gut gelaunt sein konnte. Sie mussten freiwillig hier sein, anders war der Eifer nicht zu erklären.
Was machen die hier? Was soll der Radau?, überlegte er.
Aus seinem Versteck heraus sah er zu, wie das Gelände geebnet, vermessen, ein Fundament ausgehoben und schließlich ein Holzkonstrukt hochgezogen wurde. Ungefähr ein Dutzend Männer arbeitete schnell und konzentriert; nur zu zwei Pausen, am Morgen und am Mittag, unterbrachen sie ihr Tun. Am Feierabend stand das Grundgerüst eines Pavillons.
„Toni, ich hoffe, du hast deinen Verstand heute mal bei der Sache gehabt. Schließlich bist du seit Kurzem Geselle“, murrte einer, der wohl der Architekt war und einen großen Bogen Papier prüfend in den Händen hielt.
Der Angesprochene suchte gerade sein Werkzeug zusammen. „Ja, das hab ich.“ Leiser, sodass der andere es nicht hören konnte, setzte der Mann namens Toni hinzu: „Du bist doch nur ein Studierter, der von der Praxis keine Ahnung hat, hättest schon ein Problem damit, einen Nagel gerade ins Holz zu hauen.“
Nach und nach zogen alle Arbeiter ab. Toni ging als Letzter, sah sich nochmal um, hoffte nichts vergessen zu haben. Conrad blieb in seinem Versteck, bis keiner mehr zu sehen war. Dann, endlich, ließ er seiner seit Tagesbeginn aufgestauten Wut freien Lauf. Er tobte, wie es nur alte Zwerge können, die eine Veränderung ihrer Routine befürchten. Um das Tagewerk von mehr als zwölf Männern kurz und klein zu schlagen, benötigte Conrad lediglich fünf Minuten. Er steigerte sich dermaßen in seinen Zerstörungswahn hinein, dass er erst aufhörte, als kein Balken mehr auf dem anderen stand. Der Holzstaub sank träge zu Boden. Conrad atmete aus, hob den gesenkten Kopf und blickte überrascht direkt in Tonis weit aufgerissene, ungläubige Augen. Normalerweise hätte kein Mensch die Lichtung betreten können, ohne Conrads Aufmerksamkeit zu erregen, doch in seinem Wutanfall hatte er ihn nicht bemerkt.
„Wer? … Was?“ Der zurückgekehrte Zimmermann konnte sein Erstaunen anscheinend in keinen vernünftigen Satz packen. „Ich sehe keinen Zwerg, die gibt es nur im Märchen.“ Er murmelte leise vor sich hin, doch Conrad verstand jedes Wort, denn er hörte ausgesprochen gut.
„Irgendwo muss es doch sein.“ Mit den Augen suchte der Handwerker den Boden am Rand der Baustelle ab, wo vor kurzer Zeit noch seine Tasche gelegen hatte, und ignorierte Conrad völlig.
„Was willst du hier? Das ist mein Platz, ihr habt hier nichts zu suchen. Ich bin Conrad von und zu Birkenfelde, Herr über und unter dem Bergwald, Beschützer des Wilhelmsbergs.“ Conrad tobte noch immer, schrie den verdutzten Mann an, ballte die Hand zur Faust und streckte sie dessen Gesicht entgegen, was lächerlich hätte wirken können, weil er nur halb so groß war, doch der grantige Gesichtsausdruck ließ keinen Zweifel am Ernst der Lage.
Toni traute sich jetzt erst, ihn anzusehen. „Bist du echt?“
„Blöde Frage? Bist du blind? Das wäre gar nicht gut, wenn du mit gefährlichem Werkzeug arbeitest. Natürlich bin ich echt.
Wer bist du und was willst du noch hier? Warum bist du zurückgekommen?“
Der Zimmermann schien viel zu überrumpelt, vergaß demnach seine Verwirrung und antwortete, als ob er seinesgleichen vor sich hätte.
„Ich bin Anton Schubert, aber alle nennen mich Toni. Ich habe auf dem Heimweg bemerkt, dass ich mein Taschenmesser nicht dabeihabe, muss es wohl verloren haben. Und weil es ein Geschenk meiner Eltern zur Gesellenprüfung war, wollte ich es nicht bis morgen hierlassen, sondern gleich danach suchen. Wer bist du?“
„Ich bin ein Waldzwerg und außerdem stinksauer.“ Conrad atmete heftig ein und aus.
„Bist du fertig?“, traute Toni sich nach ein paar Augenblicken zu fragen. Er musterte ihn gründlich, schien abzuschätzen, wie gefährlich der Gnom war.
Conrad beruhigte sich, überlegte, dass Toben selten eine Situation verbessert hatte. „Ja, glaub schon“, gab er kurz angebunden zurück. „Setz dich, ich erzähl dir von früher.“
„Das wollen doch alle“, stöhnte der zum Zuhören Aufgeforderte.
„Von später können die Wenigsten erzählen, also höre.“ Beide nahmen auf den Holztrümmern Platz und machten es sich so gemütlich, wie die Sitzgelegenheiten es zuließen. „Ich wurde vor langer Zeit geboren, und wenn ich ‚von früher erzählen‘ sage, dann meine ich viel früher. Ich hatte auch mal ein glattes Gesicht und kein einziges graues Haar, ich konnte meine Mähne kaum bändigen, kann ich dir sagen. Als junger Zwerg von fünfzig Jahren war ich voller Optimismus, Hoffnung und Vertrauen in die Menschheit. Meine Familie besaß einen riesigen Schatz, sodass selbst mein kleiner Anteil größer war als das, was ein Mensch sich auch nur vorstellen konnte. Von Zwergen wird oft behauptet, sie seien listig und böse, wollten nicht teilen und wenn, dann nur mit einer Gegenleistung. Und ich sage dir, das stimmt. Ich selbst war anders, wollte wie jeder junge den Alten nicht glauben und neue Wege beschreiten. Doch die Menschen waren immer nur auf das Gold aus, die Edelsteine, sprich den ganzen Schatz. Und die Zwerge hätten gerne am Anfang der Zeit geteilt, denn es waren unerschöpfliche Reichtümer, viel mehr als man in einem Zwergenleben, das natürlich sehr lange sein kann, verbrauchen könnte. Wenn, ja, wenn nur der Empfänger sinnvoll damit umgegangen wäre. Denn ein Zwergengeschenk bringt den Menschen nur dann Glück, wenn sie etwas Sinnvolles damit anfangen. Ich probierte es wieder und wieder, suchte mir Menschen aus, die ich beschenkte. Aber sie entwickelten die schlechtesten Charaktereigenschaften am besten, die da wären Gier, Geiz, Neid und dergleichen. Ich denke, du weißt schon, was ich meine. Je mehr sie besaßen, umso überzeugter waren sie, dass ihnen noch mehr zustand. Enttäuscht von der Menschheit zog ich mich hierher zurück und wurde zum Einsiedler.“
„Nun, ich verstehe dich, Menschen sind so. Aber was du hier zerstört hast, wird morgen wieder aufgebaut werden. Es gibt eine Baugenehmigung …“
„Von wem denn bitte? Ich wurde nicht gefragt.“ Conrads Adrenalinspiegel stieg von Neuem. „Wer kann es wagen, hier etwas zu genehmigen? Das ist mein Heim, mein Bergwald, mein Wilhelmsberg, meine Höhle.“
„Ja, und es ist wunderschön. Kannst du dir nicht vorstellen, anstatt deines Schatzes diesen ruhigen Platz mit den Menschen zu teilen, wie du es in deiner Jugend vorgehabt hast? Sicher hast du etwas vom zweiten Weltkrieg mitbekommen.“
„Der Krach war nicht zu überhören.“
„Es war eine schlimme Zeit. Die Menschen brauchen einen Ort der Stille, an dem sie sich erholen können. Dieser Wald ist herrlich und sollte allen zugänglich sein, die Luft stärkt uns. Es wird Bänke geben, und ein Dach als Schutz vor Sonne und Regen. Bestimmt werden alle diesen Ort pflegen und sauber halten.“
„Denkst du das wirklich? Ach, wie gerne würde ich an das Gute im Menschen glauben.“
„Wage es“, forderte Anton ihn auf.
„Aber was ist, wenn sie überall ihren Müll herumliegen lassen und ich jeden Tag sauber machen muss? Das würde mir gar nicht behagen. Wir Zwerge sind ein sehr ordentliches Volk. Nur Menschen meinen, die Erde besteht aus Dreck. In unseren Höhlen herrscht stets Sauberkeit, und seit ich hier unter dem Berg lebe, ist jeden Samstag Kehrwoche angesagt.“ Bei dem Gedanken an fremde Hinterlassenschaften stand er auf und begann aufgeregt hin und her zu laufen.
„Dann schwöre ich dir“, Anton hob feierlich die Hand, „dass ich persönlich für Ordnung sorgen werde. Ich könnte am Wochenende herkommen, die aufgestellten Papierkörbe leeren und mal nass durchwischen.“ Auch er erhob sich und streckte dem Zwerg seine Rechte entgegen.
„Das hört sich alles gut durchdacht an. Doch du bist ein Mensch, wirst nachlässig werden, mal keine Zeit haben, dann wird dir zu kalt oder zu warm sein.“
„Ich habe dir mein Wort gegeben. Du kannst mir vertrauen. Ein Mann, ein Wort.“
„Den Satz kenne ich.“
„Wie könnte ich dich umstimmen?“ Anton legte bittend die Hände zusammen.
Conrad merkte, wie wichtig die Sache für ihn war. Der Pavillon schien ihm wirklich am Herzen zu liegen.
„Ich fürchte, nur ganz schwer.“ Doch ein Zwergenherz ist nicht aus Stein. Er schwankte schon in seinem Entschluss, wollte es jedoch noch nicht zeigen.
„Ich mach dir einen Vorschlag“, änderte Anton den Angriffswinkel. „Lass den Bau zu, beobachte, was passiert. Ich sorge, falls nötig, für Ordnung. Und das Ganze machen wir mit einem Jahr Probezeit.“
„Wie meinst du das?“ Conrad hob fragend eine Augenbraue. „Darf ich ihn danach wieder abreißen, wenn mir die Leute auf den Geist gehen?“
„Genau“, traute sich Anton zu versprechen. „Wie du eben gezeigt hast, kannst du alles ruck, zuck dem Erdboden gleichmachen.“
Conrad überlegte, schließlich bückte er sich, langte ins Kleinholz, auf dem er stand, und zog Antons Taschenmesser heraus. „Gut, probieren wir es. Hier, der Grund deiner Rückkehr.“
„Ohne das Messer hätte ich dich nicht kennengelernt.“
„Ich lebe hier seit mindestens hundert Jahren allein und habe nichts vermisst, dachte ich. Doch eine Unterhaltung von Zwerg zu Zwerg, oder auch von Zwerg zu Mensch, tut gut. Abends kannst du mich gerne besuchen. Ich zeige dir einen Platz im Wald, wo ich gerne sitze. Er ist oberhalb dieser Lichtung und weder vom unteren noch vom oberen Weg zu sehen. Komm mit.“ Mit kleinen Schritten lief er voraus, sicher, dass Anton ihm folgen würde.
Es war ein heimeliges, hinter Büschen verborgenes Plätzchen. Ein niederer Baumstumpf diente als Tisch, neben ihm lag ein Sandsteinquader, der für Conrad die richtige Höhe hatte, was er sogleich demonstrierte, indem er sich darauf setzte. „Ich werde einen Stein für dich dazustellen, aufrecht, damit du bequem sitzen kannst. Wenn keine Menschen da sind, setzen wir uns in dieses Holzmonstrum, an das ich mich erst noch gewöhnen muss, und bei schlechtem Wetter bietet meine Höhle Schutz. Sieh es als meinen guten Willen an, dir zu glauben. Bis jetzt war kein Mensch in meinem Heim. Los, ich zeig es dir.“ Munter sprang Conrad auf, pfiff, während er den Berg hinunterlief, La donna è mobile von Verdi.
„Du kennst Rigoletto?“, wunderte sich Anton.
„Aber ja, ich bin mal in meiner Jugend nach Italien gewandert und natürlich auch wieder zurück. Das Stück war ein regelrechter Gassenhauer, wie man zu der Zeit so schön sagte.“
„In deiner Jugend? Die Arie ist aus den 1850ern, das hab ich erst vor ein paar Tagen im Radio gehört.“
„Sag ich doch“, antwortete Conrad trocken. Er ließ den Trümmerhaufen links liegen und verschwand unter der Erde. Anton musste am Eingang den Kopf einziehen, doch in der Zwergenbehausung konnte er nahezu aufrecht stehen. Sobald er auf einem Hocker saß, sah er sich neugierig um. Eine Junggesellenwohnung, zweckmäßig eingerichtet, ohne unnötigen Schnickschnack, dennoch sauber. Gleich bewies Conrad seine Gastfreundschaft, indem er zwei Gläser und einen Blutwurzschnaps auf den Tisch stellte.
„Was ist das?“, fragte Anton, der das dunkle Getränk noch nicht kannte, welches der Gastgeber eingeschenkt hatte.
„Trink, das ist unter der Erde gewachsen.“ Conrad nahm ein Glas, wartete, bis Anton das seine in der Hand hielt, und stieß dagegen. „Wurzeln sind wichtig.“
Anton Schubert tat wie ihm geheißen. Der von Conrad erwartete Hustenanfall ließ nicht lange auf sich warten. Dann war Toni fähig zu antworten. „Ja, ich bin hier auch schon seit Generationen verwurzelt.“
Dieses erste gemeinsam getrunkene Glas besiegelte die neuentstandene ungewöhnliche Freundschaft.
Conrad begleitete den jungen Mann nach oben, der nun etwas wackelig auf den Beinen war.
„Komm wohlbehalten heim, ich wünsch dir eine erholsame Nacht, mein Freund. Ich denke, wir werden Spaß miteinander haben. Bis bald.“
„Das glaube ich auch. Ich freue mich auf die Gespräche. Dir ebenfalls eine gute Nacht, Conrad.“ Anton Schubert wanderte im letzten Abendlicht den Weg links des Friedhofs entlang und die Heergasse hinunter.
„Ich werde euer Treiben beobachten“, rief Conrad ihm noch hinterher.
Und das tat er. Früh am nächsten Morgen bezog der muntere Waldzwerg einen Platz im Unterholz, von dem er alles sehen, aber selbst nicht gesehen werden konnte.
Das Dutzend Männer, welches am Vortag ganze Arbeit geleistet hatte und zu Recht mit der Erwartung, den Bau wie beim Verlassen vorzufinden, um die Wegbiegung kam, schrie wie aus einem Munde auf. Der Architekt fand seine Sprache als Erster. „Wer von euch war das? Seid ihr bescheuert? Wer ist nochmal zurück und hat das Projekt sabotiert?“ Wütend funkelte er Anton an, der anscheinend ganz oben auf seiner Abschussliste stand.
„Ich bestimmt nicht. Warum sollte ich? Und selbst, wenn ich eine Schraube rausgedreht hätte, wäre das Ding dadurch nicht zu einem Haufen Kleinholz geworden.“