Cookies – Ausgekrümelt zu Weihnachten - Melanie Amélie Opalka - E-Book

Cookies – Ausgekrümelt zu Weihnachten E-Book

Melanie Amelie Opalka

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Beschreibung

Ein Wohlfühlroman mit weihnachtlichem Plätzchenduft und einer Prise Nordsee. Melanie Amélie Opalka lässt ausgerechnet in der Vorweihnachtszeit für Melina – genannt Cookie – den Traum vom eigenen Café platzen. Doch die lässt sich nicht unterkriegen: Stattdessen macht sie sich auf an die Nordsee – und wird am Ende mit viel mehr belohnt, als sie sich zu wünschen gewagt hätte. Eine zuckersüße Liebesgeschichte nicht nur für die Weihnachtszeit. Dieser Liebesroman ist ein wunderschönes Weihnachtsgeschenk für alle Weihnachtsfans und solche, die an wahre Liebe und echte Freundschaft glauben, die alles übersteht. Klappentext: Wenn das Leben dir Bitterschokolade gibt, back Kekse! Noch vor Weihnachten will Melina eine schmerzhafte Trennung hinter sich lassen und wieder mehr Süße in ihr Leben bringen. Der perfekte Zeitpunkt, ihren Kindheitstraum vom eigenen Café zu verwirklichen. Mit Feuereifer stürzt sie sich in die Vorbereitungen und lernt dabei den süßen Zuckerjunkie Robin kennen. Doch plötzlich läuft alles schief und nur ein Weihnachtswunder kann das „Cookies-Café“ noch retten – oder die frische Seeluft in St. Peter-Ording? Hier liegt nicht nur köstlicher Plätzchenduft in der Luft – ein zuckersüßer Weihnachtsroman für alle Romantiker.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Cookies

– ausgekrümelt zu Weihnachten

Melanie Amélie Opalka

Inhalt

Über den Autor

Beschwipste Vorsätze

Fast Food mit Folgen

Männer sind wie Puderzucker

Die schneeweiße Sünde

Hochstapeln erwünscht

Jetzt kommt‘s dick

Das hält das beste Band nicht aus

Ent- nicht erwachsen

Keksduft allein macht noch keine Weihnachtsstimmung

Dezent gruselig

Prost, ich kündige

Verkaterte Katastrophe

Fluchtplan

Nicht das erwartete Wiedersehen

Immer für eine Überraschung gut

Gast im eigenen Haus

Weihnachtliche Beichte

Abschied und Neuanfang

Verspätetes Weihnachtswunder

Danksagung

Bücher von Melanie Amélie Opalka

Dieses Buch ist auch als Taschenbuch und Hörbuch erschienen.

ISBN: 9783-98595-894-8

© 2023 – Melanie Amélie Pump

Cover & Korrektorat: Sabine Albrecht – Benisa Werbung

Herausgeberin im Selfpublishing

Melanie Amélie Opalka

c/o Block Services

Stuttgarter Str. 106

70736 Fellbach

[email protected]

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Formatiert mit Vellum

Über den Autor

Über die Autorin

Moin, mein Name ist Amélie und ich bin eine Hamburger Deern. Mein persönliches Motto lautet:

Schreib das Buch deines Lebens, so wie du es willst – und nicht mit möglichst wenig Fehlern.

Sprich, ich bin Autorin, Buchmentorin und Speakerin – ich liebe Vereinbarkeit und feiere Fehler.

Seit 2013 schreibe ich als Melanie Amélie Opalka Frauenromane für mehr Selbstvertrauen und zum Wohlfühlen und seit 2023 als Marley Alexis Owen Thriller mit einer starken weiblichen Protagonistin.

Wenn du mehr über mich lesen und regelmäßig über Neuerscheinungen und Gewinnspiele informiert werden willst, dann abonniere meine mao-News unter:

www.melanieamelieopalka.de/mao-news

Und bitte vergiss nicht: Als Autorin lebe ich von Sternen und Rezensionen, also freue ich mich auch von dir über eine Bewertung. Ich danke dir sehr. Bis zum nächsten Buch!

Deine Amélie

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„Lass mich in dein Leben

– ich bringe Chaos und Kekse mit.“

(Robin)

Beschwipste Vorsätze

»Auf ein bescheidenes Jahr, das in wenigen Wochen einem viiiel besseren weichen wird.«

Melina erhob so schwungvoll ihren Prosecco, dass ein paar Tropfen überschwappten.

»Upsi.« Sie kicherte und lehnte sich seitlich gegen ihre Mitbewohnerin Lara.

Die gluckste ebenfalls vergnügt und hob statt ihres Glases gleich die restliche Proseccoflasche hoch.

»Auf unser Keksimperium, das einschlagen wird wie eine Bombe!«

Die Frauen stießen an und tranken. Melina leerte ihr tulpenförmiges Glas in einem Zug und ließ sich mit ihm in der Hand zurück in die Kissen sinken. Ihr Kopf war leicht und es war ihr einen Hauch schwindelig. Sie war eindeutig bereits beschwipst. Kein Wunder, sie, die sonst nie Alkohol trank, hatte gerade hintereinander zwei Gläser quasi gestürzt. Das bemerkte auch Lara.

»Langsam, Cookie, sonst ist der Abend in fünfzehn Minuten vorbei.« Die Freundinnen giggelten und kuschelten sich aneinander.

»Die Tradition des Monatsanfangs. Auf den Ersten«, bestätigte Melina und bemühte sich, deutlich zu sprechen. Lara goss ihr neu ein und schob einen weiteren Toast nach: »Auf die Freundschaft – wer braucht schon Männer.«

Melina erhob ihr Glas, nahm dann übermütig einen großen Schluck und bekam ihn prompt in den falschen Hals. Weil sie die Lippen geschlossen hielt, suchte sich das sprudelnde Getränk den einzigen Ausweg, der ihm blieb – nach oben. Sie hustete stumm und der Prosecco schoss ihr aus der Nase. Blitzartig setzte sie sich auf, keuchte, suchte hektisch nach den Küchentüchern und tupfte sich und die Kissen der alten Couch ab so gut es ging.

»Shit.« Lara stellte die Flasche neben dem Sofa ab und lehnte sich ebenfalls vor. Sie hatte den Arm um Melina gelegt und hielt ihr ihre langen dunklen Haare aus dem Gesicht.

Unwillkürlich musste Melina lachen.

»Geht schon.« Sie tauchte wieder auf und stellte ihr noch halb volles Glas auf den kleinen Tisch vor sich.

»Ich hol mir schnell ein frisches Shirt.« Sie stand auf, stabilisierte ihr Gleichgewicht und machte sich auf in ihr Zimmer. »Bin gleich wieder da – nicht weggehen.«

Sie hörte Laras glockenhelles Lachen hinter sich. Wie immer, wenn ihre Freundin lachte, fühlte sich Melina unwillkürlich an die Fee Tinkerbell aus dem Disneyklassiker Peter Pan erinnert. In ihrem Zimmer war es dunkel und weil sie beim Hereinkommen den Lichtschalter verfehlte, stieß sie zwei Schritte weiter mit dem Fuß gegen ihr Bett.

»Autsch«, fluchte sie leise und schaltete die Lichterkette über ihrem Bett ein.

Das nasse T-Shirt zog sie aus und warf es gezielt mit einem professionellen 3-Punkte-Wurf in ihren offenen Wäschekorb.

»Yes«, sagte sie und drehte sich bestens gelaunt um. Im Kleiderschrank waren kaum saubere T-Shirts. Sie hatte die Wahl zwischen einem ausgeleierten und mehr grauen als schwarzen und einem pinken mit dem Aufdruck einer weißen Schleife. Es war von einem Spendenlauf zugunsten der Brustkrebshilfe, an dem sie vor Jahren teilgenommen hatte, als ihre Mutter krank gewesen war. Irgendwie fühlte sie sich nach ihrem letzten Jahr auch ein wenig wie eine Überlebende, auch wenn selbst sie zugeben musste, dass es nicht lebensbedrohlich gewesen war. Die unvorhergesehene Trennung, Job weg, Wohnung weg. Phasenweise hatte sie sich dennoch intensiv gewünscht, die Erde würde sich unter ihr auftun.

Melina schüttelte das aufkommende Gefühl von Enge in ihrem Hals ab und streifte rasch das pinke Shirt über ihren Kopf. Sie schloss den Schrank und ging zurück ins Wohnzimmer.

»Wow«, konstatierte Lara lachend und wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel, »da ist wohl morgen mal Waschtag angesagt.«

Auch Melina lachte und zuckte mit den Schultern. Mittlerweile machte es ihr nichts mehr aus, dass Lara sie mit ihrer Waschphobie aufzog. Sie hasste es einfach, Wäsche zu waschen und das nasse Zeug dann aufhängen zu müssen. Entsprechend wartete sie im wahrsten Sinne des Wortes immer bis zum letzten Hemd, ehe sie ihren Wäschesack hinunter in den Keller schleppte.

Sie ergriff ihr Glas und ließ sich zu Lara auf die Couch fallen.

»Kaum zu glauben, dass ich das schon wieder muss. Wie lange wohne ich jetzt hier?«

»Sechs Monate«, kam es wie aus der Pistole geschossen. »Ein weiterer Grund, miteinander anzustoßen.«

Es war der erste Dezember und tatsächlich feierten sie ihren Einzug in die Wohngemeinschaft heute schon zum sechsten Mal. Und wie am ersten Abend hatte Lara sich vorgenommen, sie abzufüllen, um sie auf andere Gedanken zu bringen. Die Tradition war geboren worden, als Melina im Frühsommer plötzlich verheult mit ihrem Rucksack bei ihr vor der Tür gestanden und um Asyl gebeten hatte. Ihr Freund Fabian hatte eine Neue … und da ihm das irgendwie sehr spontan eingefallen war zu dem Zeitpunkt, wo Melina tatsächlich mit einem Antrag gerechnet hätte, war sie aus allen Wolken gefallen und der Aufschlag auf dem Boden der Tatsachen mehr als heftig gewesen.

Gott sei Dank war im Sommer gerade bei Lara das dritte Zimmer freigeworden und so hatte sich die damals komplett am Boden zerstörte und besoffene Melina dort auf einer Yogamatte zusammengerollt und seither war es ihr Zimmer.

Natürlich hatten sie ihre Sachen noch bei Fabian abgeholt – zuvorkommend, wie er war, hatte er ihr sogar alles zusammengepackt.

»Was für ein Arschloch«, entwich es Melina. Lara wurde sofort hellhörig.

»Melina«, sagte sie gespielt streng und setzte sich aufrecht hin. »Jetzt muss aber wirklich Schluss sein. Kein Kerl ist es wert, dass man ihm sechs Monate nachheult.«

Und sie musste es wissen, denn sie erinnerte sich wahrscheinlich nicht einmal mehr an die Namen all ihrer Liebeleien im letzten halben Jahr, dachte Melina unwillkürlich und biss sich gleichzeitig innerlich auf die Zunge für ihren gemeinen Gedanken. Ihre Freundin machte es sich nun einmal etwas leichter, wenn es darum ging, sich von einem Typen zu trennen. Manchmal wünschte Melina sich auch, dass sie ihr Herz nicht immer so entsetzlich an Dinge und vor allem die falschen Männer hängen würde.

»Heute in einem Monat feiern wir die Eröffnung unseres Ladens, das ist ein Grund zu feiern – guck gefälligst nach vorn, hör auf Trübsal zu blasen und trink. Cheers, Cookie!«

»Auf das Cookies!« Melina lächelte unwillkürlich und erhob ebenfalls ihr Glas. Sie konnte es noch gar nicht so richtig fassen, dass in wenigen Wochen ihr Kindheitstraum von einem eigenen kleinen Café Realität würde – noch dazu mit ihrem Spitznamen über der Tür.

Ihre Gedanken wanderten zu dem Bild, das sie als kleines Mädchen gemalt hatte, nachdem ihre Großmutter mit ihr ein Wochenende in Paris verbracht hatte. Es zeigte ein Bistro mit kleinen Tischen auf dem Bürgersteig, der typischen roten Markise und einer über das ganze Gesicht grinsenden Sonne darüber. Es hatte viele Jahre gerahmt in Wohnzimmer ihrer Großmutter gehangen und als sie letztes Jahr verstorben war, hatte Melina es mitgenommen. In Fabians Wohnung war dafür natürlich kein Platz gewesen. Jetzt in ihrem neuen Zimmer hatte es jedoch einen Ehrenplatz bekommen.

Wehmütig wurden ihre Augen schon wieder feucht. Wie sehr hätte ihre Großmutter es geliebt zu sehen, dass sich ihr Traum bald erfüllte. Sie wäre mit Sicherheit ihr bester Gast gewesen. Unauffällig wischte sie sich über die Augen.

»Och, komm«, schmollte Lara, »nun hör auf zu heulen. Das ist doch nun nicht mehr wegen dieses Spinners, oder?«

»Nein, nein.« Schnell wischte sich ihre Freundin über die Augen. »Ich hab nur gerade gedacht, wie Omi sich über das Cookies gefreut hätte.«

Laras Blick wurde weicher. Sie ließ sich zu Melina in die Kissen fallen und strich ihr zärtlich eine Strähne hinter das Ohr.

»Deine Omi sieht dich, Süße, und sie ist so stolz auf dich, war sie immer.« Der Schalk trat in ihre Augen. »Ich bin nur nicht so sicher, was deine butteranbetende Großmutter zu deinem Clean-Baking gesagt hätte … ihre schönen Rezepte …«

»… sind mit weniger Zucker, Fett und weißem Mehl noch viel leckerer«, unterbrach Melina sie und blitzte spielerisch zurück, »und ein paar konnte sie ja tatsächlich noch probieren, weil sie so viel diabetikerfreundlich waren.«

Oma Marlies hatte der kleinen Melina ihre Leidenschaft fürs Backen vermacht – ebenso wie ihre Geheimrezepte.

Als ihre ältere Schwester Katharina mit neun Jahren für längere Zeit ins Krankenhaus gemusst hatte, weil sie bei einem Unfall mit dem Fahrrad einen komplizierten Oberschenkelbruch erlitten hatte, waren die kleineren Schwestern auf die weitere Familie verteilt worden. Mama war täglich auf der Kinderstation gewesen und Papa hätte das nicht mit den beiden Kleinen zu Haus allein hinbekommen. Deshalb war Melina mit ihren sieben Jahren bei ihrer Großmutter untergekommen, die um die Ecke gewohnt hatte, um so weiter zur Schule gehen zu können. Das Nesthäkchen Emma war damals gerade mal zwei gewesen und bei der Schwester ihrer Mutter untergebracht worden. Tante Eva war älter als ihre Mutter und hatte selbst drei Mädchen, und die Kleine war auf dem Hof in Buxtehude gar nicht aufgefallen.

Es waren fantastische Wochen gewesen und Melina erinnerte sich nur zu gern daran, wie sie jeden Tag nach der Schule mit ihrer Omi gekocht und vor allem gebacken hatte. Ihre Großmutter war es auch gewesen, die ihr ihren Spitznamen Cookie gegeben hatte. Als dann ein knappes Jahrzehnt später Diabetes bei ihr diagnostiziert worden war, hatte sich das Essen zwar stark verändert, aber ihre Liebe war ungebrochen gewesen.

Je schlimmer der Zucker bei ihrer Großmutter wurde, umso mehr fand Melina zum Clean Eating. Sie fing an, sich vegetarisch zu ernähren und versuchte immer neue Rezepte, die sogar vegan funktionierten. Sie experimentierte mit alternativen Mehlsorten und Eiersatz und entwickelte so eine ansehnliche Sammlung gesunder Gaumenschmeichlern. Als sie sich als Teenager komplett dem Zucker verweigerte, hatten ihre Eltern zunächst nur die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen – Omi Marlies jedoch hatte gelacht.

Melina schmunzelte. Ja, auf ihr Café wäre ihre Großmutter sicher stolz – auf die Nummer mit Fabian wahrscheinlich eher nicht. Sie war nie so für Herzschmerz gewesen, schon gar nicht, wenn er außerhalb eines Romans von Rosamunde Pilcher vorkam.

Nein, ihrem Liebeskummer hätte sie ebenso wie Lara den Kampf angesagt. Also hob Melina ihr Glas.

»Auf Omi.«

»Auf Omi«, wiederholte Lara und strahlte, »und auf nie wieder Liebeskummer.« Melina lachte freudlos auf.

»Wie soll denn das funktionieren?«

»Na ja, indem wir uns einfach nicht mehr mit solchen dummen Jungs einlassen. Mensch, wir sind jetzt siebenundzwanzig. Wir gründen unser eigenes Café. Jetzt ist Schluss mit so ’nem Kinderkram.«

»Darauf trinke ich«, bestätigte Melina und hob ihr Glas. Erst jetzt stellte sie fest, dass es bereits wieder leer war. »Upsi, aber nicht so.«

Lara kicherte, auch sie war mittlerweile angetrunken, und wollte ihr nachschenken, doch auch aus der Flasche kam nur noch ein dünnes Rinnsal, ehe es in wenigen Tropfen versiegte.

»O nein, das geht doch nicht, nicht jetzt, wo wir auf sowas Wichtiges anstoßen müssen.«

Sie sprang auf, schwankte kurz, ließ wieder das glockenhelle Lachen erklingen und machte sich auf den Weg in Richtung Küche.

Melina sah ihr nach, griff sich zur Abwechslung ein paar Erdnüsse und fiel genüsslich zurück in die Polster.

Richtig, wer brauchte schon einen Kerl, wenn man so eine Freundin und eine Mission hatte.

Fast Food mit Folgen

Der nächste Morgen war, wie nicht anders zu erwarten, furchtbar. Entsetzlich. Unterirdisch. Und überaus schmerzhaft.

»O Gott, in meinem Mund ist ein Tier gestorben«, stöhnte Lara.

Melina öffnete mit der Hilfe ihrer Finger die Lider und sah buddhistische Gebetsflaggen über sich. Sie stöhnte nur als Antwort und schloss die Augen wieder. Sie wollte sich einrollen und weiterschlafen. Dass sie im Bett ihrer Mitbewohnerin lag, war ihr wirklich herzlich egal. Es war nicht das erste Mal, dass die Freundinnen nach einem besonders ätzenden Zombiefilm oder einer Nacht wie der gestrigen zusammen und sich gegenseitig stützend in ein Bett gekrochen waren. Im Gegenteil, auch das hatte, ähnlich wie das Besäufnis am Abend des Ersten, eine gewisse Tradition entwickelt. Melina kicherte und zog an der bunten Bettdecke, um sich darunter vor dem plötzlich einfallenden Licht zu verstecken. Lara hingegen war hektisch aufgesprungen, hatte erst das Licht eingeschaltet und dann auch noch die Gardinen aufgezogen. Ein klarer Dezembermorgen versprach zwar einen herrlichen Tag, sorgte jedoch im ersten Moment nur für stechende Kopfschmerzen.

»Nicht!«, protestierte Melina erstickt in den Kissen.

Doch nun begann Lara auch noch kopflos hin und her zu rennen.

»O Gott, wir müssen los. Hast du meine Lieblingsjeans gesehen?«

Melina antwortete wahrheitsgetreu von unter der Decke.

»Nein.« Dann hob sie allerdings doch Kopf, schob das Patchwork beiseite und setzte sich blinzelnd auf.

»Was ist denn los, wieso bist du so hektisch drauf?«

Lara unterbrach ihre Suche für eine Sekunde, stemmte die Hände in die Hüfte und nahm sich noch die Zeit, ihr einen empörten Blick zuzuwerfen. Dann tippte sie auf eine imaginäre Armbanduhr.

»Samstagmittag, 13 Uhr, klingelt’s da?«

»Das Essen bei deinen Eltern.« Mit einem Schlag war auch Melina hellwach. Clustermanns aßen regelmäßig am Wochenende mit ihrer Tochter. Da sie sich jedoch kürzlich zudem entschieden hatten, den Freundinnen zur Seite zu stehen und als Bürgen für die Anmietung der Räumlichkeiten des Cafés im Stadtteil Winterhude zu fungieren ebenso wie ihnen die Kaution vorzustrecken, hatten sie dieses Mal auch Melina zum vorweihnachtlichen Mittagessen eingeladen.

Melina sprang auf und stellte fest, dass sie nur noch das pinke T-Shirt und ihren Slip trug. Doch sie machte sich gar nicht erst die Mühe, nach ihrer Jeans zu suchen. In Laras Zimmer würde die wahrscheinlich erst von Forschern nach der nächsten Eiszeit entdeckt werden. Sie machte sich staksend auf den Weg hinüber in ihr Schlafzimmer.

In der ganzen Wohnung roch es nach Alkohol … was hatten sie denn nur nach dem dritten Prosecco noch alles getrunken? Ihre Erinnerung glich einem Schweizer Käse. Im Vorbeigehen stellte sie das Fenster der Küche auf Kipp.

Kurz vor ihrer Zimmertür drehte sie ab und steuerte einer Eingebung folgend das Bad an – gewisse Dinge sollte man nicht aufhalten.

Sie saß noch auf der Kloschüssel, als ihre Freundin ins Bad stürzte.

Die blonden langen Haare standen verfilzt in alle Himmelsrichtungen ab, ihr sonst so makelloses Make-up sah aus, als hätte sie ihr Gesicht in den Wassermalkasten eines Grundschülers getunkt. Melina musste grinsen, ahnte sie doch, dass auch ihr Mascara vermutlich hübsche Waschbärenaugen gezaubert hatte. Lara jedenfalls hätte ohne Probleme bei einem Zombielauf teilnehmen können.

Sie ließ kurz den Kopf hängen und schüttelte ihr langes braunes Haar wie einen Vorhang vor ihr Gesicht.

»Hör auf zu trödeln, wir müssen los, es ist 11.15 Uhr. Wenn wir den Zug um 11.38 Uhr in Hasselbrook nicht kriegen, müssen wir den Umweg über den Hauptbahnhof fahren, du weißt, die anderen Regionalbahnen nach Oldesloe halten nicht bei uns.«

Sie begann sich fahrig das Gesicht zu reinigen, wusch und schrubbte, bis sie krebsrot war. Dann begann sie ihre Haare zu bürsten.

Melina stand auf, zog ihr Höschen hoch, spülte und stellte sich zu ihrer Freundin vors Waschbecken. Während die eine sich die Zähne putzte, kämpfte die andere mit ihren verwirrten Haaren, bis Melina Mitleid bekam.

»Komm her«, nuschelte sie, die Zahnbürste noch im Mund, und nahm ihr die Bürste aus der Hand. Rasch ließ Melina ihre Rumpelstilzchenmagie wirken und verwandelte Stroh in Gold, indem sie mit geübten Schwüngen das lange Haar auszubürsten, bis es sich wieder in sanften Wellen tief in Laras Rücken ergoss. Anschließend reichte sie die Haarbürste zurück. Lara lächelte sie sichtlich zufrieden an. Ihre Freundin drückte ihr einen Kuss auf die Wange und begann Make-up aufzulegen.

»Abflug in fünf Minuten.«

»Mift.« Melina spuckte den Zahnpastaschaum aus und machte eine schnelle, aber gründliche Katzenwäsche. Dann bürstete auch sie rasch ihr glattes braunes Haar aus, das fast genauso lang war wie das ihrer Mitbewohnerin. Mit einem Blick auf die Uhr verzichtete sie auf Mascara. Ihre von Natur aus langen Wimpern umrahmten dicht ihre haselnussbraunen Augen, und schließlich wollte sie zu einem Familienessen und nicht zu einem Date.

»Passt schon«, lautete das pragmatische Fazit.

Das weit größere Problem war, was sie anziehen sollte.

Ratlos stand sie vor ihrem fast leeren Kleiderschrank.

Da war noch die Cordhose, die sie seit ewigen Zeiten nicht mehr trug, weil sie so breite Hüften machte oder ihre schwarze Wollhose. Die war etwas formal, aber für den Anlass vielleicht okay. Bei den T-Shirts hatte sie keine Wahl und griff das ausgewaschene schwarze.

»Pulli, Pulli, Pulli«, murmelte sie, während sie sich hektisch im Raum umblickte und schließlich ihren Wäschesack über Kopf stülpte und damit ihr Zimmer in das gleiche Chaos verwandelte, wie es drüben bei Lara herrschte. Doch ihr schwarzer Rollkragenpullover tauchte trotzdem nicht auf.

»Laraaaa«, schrie sie, »hast du meinen schwarzen …« Der Rest des Satzes erübrigte sich, als ihre Freundin in die Tür trat: mit Jeans und ihrem schwarzen Pulli bekleidet.

»O nein, das ist mein letzter sauberer Pullover gewesen«, protestierte Melina und ließ die Arme resigniert fallen.

»Du kannst einen von meinen haben«, offerierte Lara und zuckte nur mit den Achseln. Zu einem anderen Zeitpunkt hätte Melina vielleicht noch einmal nachgesetzt, doch im Grunde war jeder Widerstand ohnehin zwecklos. Lara schenkte ihr ein entwaffnendes Lächeln und sie gab auf. Mit hängenden Schultern trabte sie hinüber in das Chaoszimmer und versuchte, zum Kleiderschrank zu gelangen.

Der war im Gegensatz zu ihrem eigenen immer noch gut gefüllt, obwohl überall im Raum Klamotten herumlagen. Sie scannte die Berge und erblickte etwas leuchtend Rotes. Es war ein Kaschmirpullover mit V-Ausschnitt. Sie zog ihn aus dem Stapel, schüttelte ihn aus und unterzog ihn einer kurzen Sicht- und Riechprobe. Ja, das würde gehen. Sie warf ihn über und zupfte ihn über ihrem zum Unterziehen etwas zu weiten T-Shirt zurecht. Auch wenn Lara und sie fast gleich groß waren, war Lara noch zarter gebaut als sie selbst und damit saßen ihre Pullis meist etwas knapp. Aber es half nichts. Denn alle anderen Sachen von Lara wären entweder sehr viel pinklastiger oder mit Strass versehen. Für beides hatte ihre Freundin im Gegensatz zu ihr ein echtes Faible, also war dieser Pulli nicht nur ihre beste, sondern auch ihre einzige Wahl.

»Wir müssen gehen!«, ertönte es aus dem Flur und Melina beeilte sich, hinterherzukommen.

Das Mittagessen war lecker und die Unterhaltung gut gewesen. Clustermanns hatten eine nette und entspannte Art und lasen ihrem einzigen Kind jeden Wunsch von den Lippen ab. Sie freuten sich, Melina zu sehen, auch wenn die neben der schnatternden Lara kaum ein Wort zum Tischgespräch beisteuern konnte. Mit glänzenden Augen erzählte Letztere von den Fortschritten der Renovierung im Laden und wie schön es erst wäre, wenn es losginge mit dem Cookies.

Melina hatte diesen Zug an ihrer Freundin schon immer bewundert. Seit sie in der fünften Klasse nebeneinandergesetzt worden waren, waren die beiden ungleichen Mädchen unzertrennlich gewesen.

Während die stille und ehrgeizige Melina sich immer fleißig bemühte und hart arbeitete, schienen ihrer Freundin Sympathien ebenso wie gute Noten einfach zuzufliegen. Und während Melina von ihrem eigenen Laden geträumt hatte, wollte Lara schon immer nur Prinzessin sein – oder bleiben. Sprich, obwohl sie ein hervorragendes Abitur und auch eine gute Abschlussprüfung zur Groß- und Außenhandelskauffrau absolviert hatte, hatte sie keinerlei Ambitionen, selbst Karriere zu machen. Ihr Job als Abwicklerin in der Getreidesparte eines internationalen Konzerns reichte ihr völlig. Sie hatte es gerade so weit gebracht, dass sie ihren Chef zu jeder Warenbörse rund um die Welt begleiten durfte und immer wieder neuen Menschen begegnete. Also Männern. Denn im Grunde suchte sie nur nach einem Ehemann, der ihr fortan alle Wünsche von den Augen ablesen würde – so wie sie es eben von zu Hause kannte.

Melina beobachtete sie neidlos und lächelte. Sie liebte diesen Paradiesvogel wie eine Schwester … na ja, vielleicht nicht wie ihre eigene große Schwester Katharina, sondern eher wie ihre kleine, Emma, aber ja, sie würde für Lara durchs Feuer gehen. Auch wenn sie zugeben musste, dass Lara nicht immer das gleiche Maß an Commitment ihr gegenüber bewies.

Innerlich schmunzelnd erinnerte sie sich an die vielen Male, die sie allein hatte von einer Party nach Hause fahren müssen, weil Lara mit irgendwem angebandelt hatte. Einmal hatte sie sogar kurzfristig einen Urlaub abgesagt und Melina war notgedrungen allein nach Mallorca geflogen. Aber sie hatte sie aufgenommen, als Fabian sie so unvorhergesehen vor die Tür gesetzt hatte und jetzt zog sie das Cookies mit ihr durch. Ohne die finanzielle Unterstützung ihrer Eltern wäre das viel komplizierter gewesen. Melina war sehr dankbar, dass sie so ihren Lebenstraum erfüllen konnte – und außerdem stand sie ohnehin gar nicht so gern im Mittelpunkt.

So lehnte sie sich nach dem Essen zufrieden zurück, schleckte ihren kleinen Löffel bis auf den letzten Rest Mousse au Chocolat ab und zupfte an dem nun noch engeren Pulli herum.

Sie musste dringend Wäsche waschen, denn sonst hatte sie morgen nichts zum Anziehen für die Arbeit. Bei dem Gedanken an ihren Job erschauerte sie. Da hatte sie auch noch was zu erledigen …

Bereits auf dem Heimweg stellte sich heraus, dass Lara sie nicht begleiten würde.

»Du, ich bin noch verabredet heute Abend, da lohnt es sich gar nicht, erst wieder in die Wohnung zu fahren. Ich fahre gleich durch. Du bist doch nicht böse, wenn du allein nach Hause fährst, oder?«

Melina winkte ab. Sie hatten nur eine der Regionalbahnen bekommen, die über den Hauptbahnhof fuhr, und so ging sie allein über den an einem verkaufsoffenen Samstag bis zum Bersten überbevölkerten Bahnhof zum S-Bahngleis Richtung Wandsbek.

Sie war in Gedanken schon ganz bei dem Wäscheberg, dem sie sich jetzt die nächsten Tage widmen musste, und bemerkte daher zu spät, was um sie herum passierte.

An der Ecke vom Zeitungsladen sprang plötzlich ein großer schwarzer Hund neben seinem Besitzer auf und kläffte, was Melina überrascht nach links ausweichen ließ. Dabei geriet sie in die Einflugschneise eines weiteren Reisenden, der mit hohem Tempo versuchte, sich durch die anderen Fahrgäste auf der Brücke zu schlängeln. Da Melina unvorhergesehen aus ihrer Flugbahn geraten war, rannte er sie nun ungebremst über den Haufen. Ein noch warmes Stück Pizza und ein Jumbobecher Cola ergossen sich über sie, während sie verzweifelt versuchte, wieder auf die Füße zu kommen.

Der Typ auf ihr fluchte und rappelte sich blitzschnell wieder auf.

»O Mann, Scheiße, alles okay? Ich hab dich nicht gesehen.«

»Wie wäre es damit, besser aufzupassen und weniger zu rennen?«, brummelte Melina und kam auch ohne die angebotene Hand wieder auf die Füße. Sie sah an sich hinunter und stellte fest, dass nicht nur ihre offene Wollwinterjacke aussah wie das geschlachtete Buffet eines Kindergeburtstags, sondern auch Laras Pulli einiges abbekommen hatte.

»Nein, nein, nein, nicht doch, das ist nicht meiner.« Die Pizzareste klebten noch in ihrem Dekolleté. Sie nahm sie samt Unterlegpappe ab und warf sie in einen Mülleimer, der neben ihr stand. Hektisch suchte sie nach einem Taschentuch in ihrer Tasche und begann, auf dem sich ausbreitenden Colafleck herumzureiben.

Als der Typ mit einer Serviette behutsam ihren Hals berührte, zuckte sie zusammen und hob zum ersten Mal den Blick.

Island war das Erste, was ihr durch den Kopf schoss, als sie in die tiefblauen Augen sah. Das Gesicht war gebräunt und umrandet von einem feinen Kranz weißblonder Löckchen, die unter einer Wollmütze hervorlugten. Der Typ war mindestens einen Kopf größer als sie und breit gebaut. Melina schluckte und machte instinktiv noch einen halben Schritt zurück.

»Sorry, Mann, das tut mir echt voll leid. Ich hab keine Ahnung, wie das passieren konnte. Wo bist du denn so plötzlich hergekommen, Mädel?«

Melina funkelte ihn böse an.

»Ich musste dem Hund ausweichen und wenn du hier nicht auf dem Bahnhof herumrennen würdest wie ein Irrer, dann wäre das wohl nicht passiert.«

Statt auf ihren Vorwurf zu reagieren, grinste er sie jetzt nur mit einem unglaublich charmanten Lächeln an. Melina erschauerte und musste sich daran erinnern, dass sie guten Grund hatte, sauer zu sein.

»Jetzt siehst du jedenfalls zum Anbeißen aus – im wahrsten Sinne des Wortes.« Wieder streckte er die Hand nach ihr aus.

»Nicht«, machte Melina fassungslos und kochte sofort wieder, »du hast schon genug angerichtet, fass mich ja nicht an.«

»Fein.« Er hob abwehrend eine Hand. Erst jetzt bemerkte sie, dass er unter dem anderen Arm ein Skateboard klemmen hatte. Sie musterte ihn mit zusammengekniffenen Augen: Er trug trotz der Temperaturen Sneaker und Baggyjeans zu einer grobkarierten Flanelljacke, darunter erkannte sie einen Hoodie von Thrasher. Der Typ war mindestens so alt wie sie, hatte einen frisch gestutzten Dreitagebart und machte hier auf Teenie, das waren ihr ja die Liebsten.

»Du hast da Peperoni im Haar.« Um seine Augen bildeten sich zauberhafte Lachfältchen.

Wütend über ihre eigene Beobachtung, die so gar nicht der Situation angemessen war, fauchte sie ihn an: »Toll, dass ich jetzt auch noch dein ekliges Fastfood überall hab. Und hör endlich auf zu lachen.« Erbost puhlte sie die Peperoni von ihrem Hals und eine Salamischeibe aus ihrem Haar.

»O Gott, ist das widerlich, wie kann man so etwas bloß essen?«

Nun war es an ihm, in gespielter Empörung die Augenbrauen zu heben.

»Also, ich muss doch sehr bitten, ich hab mich doch entschuldigt. Und außerdem ist es sehr unhöflich, das Essen eines Mannes zu beleidigen. Auch eine Pizza hat schließlich Gefühle.« Mühsam beherrschte er sich, um nicht laut loszulachen.

Auch Melina war sich durchaus der Komik der Situation bewusst, aber da hier eindeutig sie diejenige war, auf deren Kosten der Scherz ging, konnte sie nicht lockerlassen.

»Pizza hat nicht nur keine Gefühle, sondern auch so gut wie keinen Nährwert. Sie macht einfach fett und blöd.«

Sie widerstand dem Reflex, ihm auch noch die Zunge herauszustrecken. Der Typ brachte sie auf die Palme, und dass er dabei so unverschämt gut aussah, half gar nicht.

»Komm schon, vielleicht kann ich es ja irgendwie wieder gutmachen? Kaffee? Gegen den kannst du ja wohl nichts einzuwenden haben, oder?«

»Nein … ich meine, ja … also nein, der Kaffee ist okay, aber du glaubst doch nicht, dass ich mit dir Kaffee trinke … jetzt … und so … und überhaupt … ich muss los.«

Je mehr sie vor sich hin stotterte, umso heißer wurden ihre Wangen, und dass er nicht aufhörte, sie amüsiert zu beobachten, machte alles nur noch schlimmer.

Mit gesenktem Kopf schob sie sich an ihm vorbei und eilte Richtung S-Bahn.

Er machte demonstrativ noch einen Extraschritt beiseite und rief ihr mit theatralischer Übertreibung nach: »Wie, erst wirfst du mich hier aus der Bahn und jetzt lässt du mich einfach stehen – und das auch noch ohne Snack? Du brichst mir das Herz …«

Weil ihr nichts Schlagfertiges darauf einfiel, zog sie nur den Kopf zwischen die Schultern und lief rasch weiter.

Es war tatsächlich ein herrlicher Tag geworden und obwohl es jetzt schon wieder dunkel und für Hamburg typisch feuchtkalt war, genoss Melina die frische Luft auf dem kurzen Spaziergang von der Bahn zurück zu ihrer Wohnung.

Den Geruch von Pizza und Cola omnipräsent in der Nase, konnte sie nicht anders, als immer noch an diese seltsame Begegnung zu denken. Was für ein dämlicher Fastfoodjunkie und Ewigteenie. Laras Pulli war mit Sicherheit hin, denn Melina hatte keine Ahnung, wie sie aus der empfindlichen Wolle die fettigen Tomaten- und Colaflecken bekommen sollte. Und auch ihre einzige Winterjacke sah übel aus. Sie würde sie morgen in die Reinigung bringen müssen und stattdessen ihren Mantel in die Firma anziehen. Sie seufzte. Ja, morgen musste sie wieder arbeiten. Schlimmer noch, vorher musste sie Wäsche waschen. Wieder tauchten diese unglaublich blauen Augen vor ihr auf und ein Schauer lief ihr den Rücken hinunter. Rücksichtsloser Idiot – aber süß. Sie zuckte mit den Schultern und bog in ihre Straße ein.

Im Gegensatz zu den meisten Gebäuden im Viertel war ihr Wohnhaus kein Rotklinker aus der Nachkriegszeit, sondern ein weißverputztes Gebäude mit grauem Stuck an der Fassade. Das Erdgeschoss bewohnte die ältere Dame, der das Haus gehörte und die jeden Tag mit ihrem Pudel einen Spaziergang machte. Im ersten Stock wohnte eine junge Familie, von der Melina nicht viel mitbekam. Es sei denn, sie beschwerten sich über zu lauten Besuch bei Lara. Ihre Wohnung lag ganz oben und Melina schlich auf Socken die Treppe hoch. Da sie sie erst Freitag – wie alle vierzehn Tage – sauber gemacht hatte, bemühte sie sich, sie möglichst wenig schmutzig zu machen.

Oben angekommen, gönnte sie sich als Erstes eine heiße Dusche. Hinterher zog sie ihren Lieblingspyjama an und stellte sich mit in die Hüften gestemmten Händen mitten ins Zimmer, um eine optische Bestandsaufnahme zu machen. Ja, so übel war es lange nicht gewesen. Sie sortierte in Windeseile die Wäsche und stellte zu ihrer Bestürzung fest, dass es mehr als sechs Maschinen werden würden. Hoffentlich würde der Platz auf der Leine im Wäschekeller reichen. Denn hier oben konnte sie nur das Nötigste aufhängen, was sie direkt für Montag brauchte. Der Rest hatte Zeit zu trocknen, entschied sie.

Zunächst legte sie den Kaschmirpullover in ein Wasserbad. Erst jetzt ging ihr auf, dass sie eigentlich diesem Fast-Food-Renner die Reinigung hätte in Rechnung stellen sollen. Spontan zu sein, war noch nie ihre Stärke gewesen. Frustriert schnappte sie sich dann den ersten Wäschestapel und trat den Weg in den Keller an. Der stand ihr dieses Wochenende noch öfter bevor. Wie ein Kind erschauerte sie bei dem Gedanken an den schlecht beleuchteten Treppenabgang. Es half nichts. Sie biss die Zähne zusammen und ging los.

Männer sind wie Puderzucker

Als Melina Montag ins Büro kam, ging es schon wieder zu wie in einem Taubenschlag. Man sollte meinen, dass es in der Adventszeit hier endlich etwas ruhiger würde, doch weit gefehlt.

Da sie wie immer kurz vor knapp durch die Tür gefallen war, schlich sie hinüber zu ihrem Arbeitsplatz in dem Großraumbüro und versuchte vergeblich, ihren langen, dunkelblauen Mantel ordentlich über die Lehne ihres Stuhls zu hängen. Zwecklos, sie nahm ihn also über den Arm und ging zurück in den Flur, der das Marketingbüro mit dem Vertrieb verband, und hängte ihn hier an einem der Garderobenhaken auf. Als sie zu ihrem Schreibtisch zurückkehrte, stand Sabrina bereits mit erwartungsvoll gelüfteten Augenbrauen dort.

»Schön, dass du auch mal kommst«, sagte sie anstelle einer Begrüßung. Melina zog unwillkürlich den Kopf ein.

»Ich hab nur meinen Mantel …«

Doch wie immer hatte ihre Vorgesetzte keine Zeit für unnötige Erklärungen und wimmelt sie ab, als würde sie ein lästiges Insekt vertreiben. Obwohl ihre Chefin einen halben Kopf kleiner war als sie, untersetzt und aus ihrer Sicht alt – also mindestens die hässlichere Hälfte von vierzig, war sie ein Powerweib, das auch morgens um 8 Uhr bereits herumhüpfte wie ein Duracell-Häschen auf Ecstasy. Ihre roten Locken standen heute in alle Himmelsrichtungen von ihrem Kopf ab, ungebändigt von dem violett-grünen Seidentuch, das sie als Haarband eigentlich in Form halten sollte.

»Nachdem wir mit Sommer fertig sind, steht Herbst an. Patty und Lisa übernehmen das und du …«, sie machte eine theatralische Pause und Melina fürchtete das Schlimmste, »du übernimmst Halloween.«

Unter normalen Umständen hätte Melina sich ein Loch in den Bauch gefreut, dass die Marketingleiterin ihr nach einem knappen halben Jahr bereits ihre erste eigene Kollektion anvertraute … doch jetzt zog sich ihr Magen wie nach einem fiesen Tiefschlag zusammen.

»Wow, super«, murmelte sie mit dem Mindestmaß an Enthusiasmus, zu dem sie eben nur fähig war, um die strahlende Sabrina nicht ganz im Regen stehen zu lassen. Die zog ihre sorgfältig gezupften Brauen zusammen und verstand offensichtlich die Welt nicht mehr.

»Also, ein bisschen mehr Begeisterung, bitte. Auch wenn man es nicht für möglich hält, aber neben Weihnachten und den Zitronellakerzen im Sommer ist Halloween ein nicht zu unterschätzender Faktor im Saisongeschäft.«

Melina beeilte sich, eifrig zu nicken. »Natürlich, es ist nur …«

Wieder gebot ihr die schlanke Hand mit dem großen Amethystring Einhalt.

»Nicht jetzt. Du hast später noch Gelegenheit, mir zu danken, Herbstmeeting in fünfundvierzig Minuten im Teamraum.« Damit wehte sie wie ein Hernststrum wieder hinüber in ihr Goldfischglas, denn größer war ihr separiertes Büro nicht.

Melina ließ sich seufzend auf ihren Stuhl fallen und fuhr ihren Rechner hoch. Das schlechte Gewissen zerriss sie fast, aber ihre Feigheit war eben noch größer.

Sie war froh gewesen, dass, nachdem mit Fabian alles zu Ende gewesen und sie so überstürzt aus ihrem letzten Job geflohen war, sich diese Chance bei Chandelles, einem Anbieter für Premiumkerzen, ergeben hatte. Sie hätte keinen Tag länger im Marketing der Always Fitness arbeiten können, immer fürchtend, dass sie bei jedem Gang zur Toilette dem Verkaufsleiter und damit ihrem Ex über den Weg laufen könnte. Nein, der Wechsel war das Beste gewesen, was ihr hatte passieren können. Und doch hatte sie sich nie so richtig dafür begeistern können, alle paar Wochen eine ganz neue und ach wie trendige Serie Kerzen zu entwerfen. Immer ganz eng am Puls der Modeindustrie, um die Farben und Accessoires der Saison richtig zu erkennen und einzusetzen. Sie hörte förmlich Sabrinas zu schrille Stimme in ihren Ohren. Melina schüttelte den Kopf und öffnete ihren Posteingang.

Seit das Cookies angefangen hatte, konkrete Formen anzunehmen, war sie noch einmal weniger bei der Sache. Eigentlich hätte sie Sabrina längst sagen müssen, dass sie nicht mehr vorhatte, nach Weihnachten wiederzukommen. Auch wenn das hart war, aber es war ihr Recht, innerhalb der Probezeit so kurzfristig zu kündigen. Melina hatte das jetzt allerdings auch fast bis zur letzten Minute ausgereizt. Und nun bekam sie auch noch die Chance mit dem eigenen Projekt. Sie schluckte hart. Nein, sie musste Sabrina sofort reinen Wein einschenken. Sie hatte gerade ihren Mut zusammen und wollte aufstehen, als ihre Chefin schon wieder mit wehenden Fahnen und wild wippendem, überdimensionalem Ohrschmuck an ihr vorbeieilte. Ein »Bin im Vertrieb« schwebte durch den Raum in bester Begleitung ihres wie immer etwas zu blumigen, teuren Parfums.

Auch während des Teammeetings war natürlich nicht der richtige Zeitpunkt, um mit ihr zu sprechen. Während Patty und Lisa mit leuchtenden Augen Farbpaletten und passende Muster dazu auf den Tisch legten und den kommenden Herbst in die gemütlichste Zeit des Jahres verwandelten, wurden Melinas halbherzige Vorschläge zu Halloween rasch damit abgehakt, dass man sie ans Reißbrett zurückschickte. Im Anschluss war Sabrina sofort weitergeeilt zur Geschäftsführung für irgendein Strategiemeeting und so hatte Melina das Gespräch gedanklich wieder verschoben.

Zurück am Rechner befasste sie sich also schnell so gründlich wie möglich damit, was die letzten Jahre Teil der Halloweenkollektion gewesen war. Mit ein paar neuen Accessoires sollte das für eine Präsentation bei Sabrina reichen. Sie tippte alles in eine Exceltabelle und hinterlegte eine schnelle Kostenkalkulation, die größtenteils ebenfalls einfach zusammenkopiert war. Für mehr hatte sie einfach nicht den Kopf im Moment.

---ENDE DER LESEPROBE---