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In diesen warmherzigen Romanen der beliebten, erfolgreichen Sophienlust-Serie ist Denise überall im Einsatz. Denise hat inzwischen aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle geformt, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Doch auf Denise ist Verlass. In der Reihe Sophienlust Extra werden die schönsten Romane dieser wundervollen Erfolgsserie veröffentlicht. Warmherzig, zu Tränen rührend erzählt von der großen Schriftstellerin Patricia Vandenberg. Wer an dem großen Landhaus am Stadtrand von Crailsheim vorbeiging, der war überzeugt, dass darin eine glückliche Familie wohne. So war es aber nicht. Der vierzigjährige Fabrikant Richard Bosch hatte vor vier Jahren seine Frau verloren. Seitdem war es in diesem Haus still geworden – es sei denn, dass die Erzieherin laut wurde, weil sie mit der sechsjährigen Corinna nicht zurechtkam. Das mit Liebe nicht verwöhnte Kind war aufsässig. Niemand verstand, dass es sich damit das erzwingen wollte, was man ihm vorenthielt. Die kleine Corinna gehörte zu jenen Kindern wohlhabender Eltern, die aus Zeitmangel und Verständnislosigkeit vernachlässigt wurden. Die meiste Zeit war sie auf fremde Hilfe angewiesen. Das Personal und besonders die Erzieherinnen wechselten oft, obwohl Richard Bosch gute Gehälter zahlte. Corinnas Vater war den ganzen Tag in seinem Werk. Oft versprach er seinem Töchterchen, früher nach Hause zu kommen, aber ein solches Versprechen konnte er nur selten halten. Nicht weit von dem Landhaus entfernt stand ein großer alter Bau, das Waisenhaus der Stadt. Dorthin schlich sich Corinna oft. Seit über einem Jahr war sie mit dem neunjährigen Detlef Werner befreundet. Der Junge war Vollwaise und konnte sich nicht erinnern, jemals in einer Familie gelebt zu haben. Das Waisenhaus war sein Zuhause. Corinna fand nicht, dass ihr Freund Detlef ärmer sei als sie. Er hatte wenigstens Spielgefährten und brauchte nicht allein zu sein. Zu Beginn der Freundschaft der beiden hatte Detlef die kleine Corinna beneidet. Für ihn war es wie ein Märchen, dass sie ein eigenes Zimmer hatte, viele Spielsachen besaß und wenigstens einen Vater hatte.
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Seitenzahl: 134
Veröffentlichungsjahr: 2023
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Wer an dem großen Landhaus am Stadtrand von Crailsheim vorbeiging, der war überzeugt, dass darin eine glückliche Familie wohne.
So war es aber nicht. Der vierzigjährige Fabrikant Richard Bosch hatte vor vier Jahren seine Frau verloren. Seitdem war es in diesem Haus still geworden – es sei denn, dass die Erzieherin laut wurde, weil sie mit der sechsjährigen Corinna nicht zurechtkam. Das mit Liebe nicht verwöhnte Kind war aufsässig. Niemand verstand, dass es sich damit das erzwingen wollte, was man ihm vorenthielt.
Die kleine Corinna gehörte zu jenen Kindern wohlhabender Eltern, die aus Zeitmangel und Verständnislosigkeit vernachlässigt wurden. Die meiste Zeit war sie auf fremde Hilfe angewiesen. Das Personal und besonders die Erzieherinnen wechselten oft, obwohl Richard Bosch gute Gehälter zahlte.
Corinnas Vater war den ganzen Tag in seinem Werk. Oft versprach er seinem Töchterchen, früher nach Hause zu kommen, aber ein solches Versprechen konnte er nur selten halten.
Nicht weit von dem Landhaus entfernt stand ein großer alter Bau, das Waisenhaus der Stadt. Dorthin schlich sich Corinna oft. Seit über einem Jahr war sie mit dem neunjährigen Detlef Werner befreundet. Der Junge war Vollwaise und konnte sich nicht erinnern, jemals in einer Familie gelebt zu haben. Das Waisenhaus war sein Zuhause.
Corinna fand nicht, dass ihr Freund Detlef ärmer sei als sie. Er hatte wenigstens Spielgefährten und brauchte nicht allein zu sein.
Zu Beginn der Freundschaft der beiden hatte Detlef die kleine Corinna beneidet. Für ihn war es wie ein Märchen, dass sie ein eigenes Zimmer hatte, viele Spielsachen besaß und wenigstens einen Vater hatte. Bald aber hatte er gemerkt, dass Corinna nicht zu beneiden war. Mit seinen neun Jahren hatte Detlef schon erkannt, wie vereinsamt sie war. Er wusste, was es für sie bedeutete, wenn er von der Leitung des Waisenhauses die Erlaubnis bekam, sie zu besuchen. Bei diesen Besuchen hatte er allerdings von Corinnas jeweiligen Erzieherinnen meistens Demütigungen einstecken müssen. Sie hatten ihn stets von oben herab behandelt und ihn spüren lassen, dass er als Waisenjunge nicht in das vornehme Haus des Fabrikanten Bosch passte. Meistens hatte sich Detlef für diese Behandlung gerächt, indem er Corinnas Komplice geworden war, wenn sie wieder einmal eine Erzieherin hatte hinausekeln wollen.
Auch jetzt war es wieder so weit. Die achtunddreißigjährige Erzieherin Alice Schöner hatte bis jetzt nur eines im Sinn gehabt, Frau Bosch zu werden. Um Corinna kümmerte sie sich kaum. Wichtiger war ihr, am Abend, wenn Richard Bosch nach Hause kam, besonders herausgeputzt zu sein. Sie sorgte stets dafür, dass Corinna dann schon im Bett war, sodass diese ihren Vati kaum noch sah. Am Morgen frühstückte er allein und fuhr dann gleich zum Werk.
Das alles klagte Corinna ihrem Freund Detlef.
Der blonde sommersprossige und etwas untersetzte Junge war der Typ eines guten Kumpels. Er konnte Corinna nicht leiden sehen und schmiedete mit ihr schon Pläne, wie Alice Schöner zu vertreiben sei. Alle Praktiken, mit denen die Kinder bisher gute Erfahrungen gemacht hatten, waren bei dieser Erzieherin fehlgeschlagen. Sie schien bessere Nerven zu haben als ihre Vorgängerinnen.
Detlef ahnte, weshalb Alice Schöner ein solches Ausharrungsvermögen besaß. Er hatte gelegentlich spitze Reden des Personals aufgefangen, dass es der Erzieherin wohl doch glücken würde, Richard Bosch für sich zu gewinnen.
Als er Corinna das nun sagte, sah sie ihn entsetzt an. »Frau Schöner soll meine Mutti werden? Die mag ich nicht.«
»Ich möchte sie auch nicht als Mutti haben, Corinna. Ich sage dir, wenn dein Vati Frau Schöner heiratet, dann wird es dir erst richtig schlecht gehen.«
»Fällt dir denn nichts ein, womit wir sie vertreiben können, Detlef?« Corinna sah ihren Freund hilfeflehend an. Dass er einmal keinen Rat wusste, das kannte sie nicht.
Es ging gegen seinen Stolz, dass ihm diesmal keine gute Idee kam. Deshalb vertröstete er Corinna, mit der er sich an der Hecke des Waisenhauses getroffen hatte. »Lass mich nur nachdenken«, bat er. »Über Nacht wird mir schon etwas einfallen. Morgen nach der Schule komme ich zu dir.«
»Aber Frau Schöner hat doch verboten, dass du mich besuchst.«
»Diese Gewitterziege«, erwiderte Detlef ingrimmig. »Geh nach dem Mittagessen in den Park. Ich komme zu der Trauerweide. Dort können wir uns in den Sträuchern verstecken und beraten.«
Damit war Corinna einverstanden. Vorsichtshalber fragte sie jedoch noch: »Wird dir bestimmt bis morgen etwas einfallen?«
»Ganz bestimmt«, versprach Detlef.
Corinna lief in den Park zurück. Sie hatte sich heimlich fortgeschlichen und wollte jetzt von ihrer Erzieherin nicht erwischt werden.
Doch kaum war sie durch eine Lücke in der Hecke geschlüpft, hörte sie die schrille Stimme von Alice Schöner. »Corinna! So antworte doch! Komm sofort ins Haus!«
Die Kleine strich sich das etwas wirre braune Haar aus der Stirn. In ihren dunklen Augen stand die Schadenfreude darüber, dass die Erzieherin vielleicht schon längere Zeit nach ihr rief. Corinna hatte nicht vor, sich jetzt zu melden.
Da rief Alice Schöner von Neuem. Sie musste auf der Terrasse stehen.
Plötzlich horchte Corinna auf. Was hatte Frau Schöner eben von ihrem Vater gesagt? War er heute vielleicht doch einmal früher nach Hause gekommen?
Diese Aussicht verlockte Corinna dazu, gegen ihren Vorsatz doch auf das Haus zuzugehen.
Ja, die Erzieherin stand auf der Terrasse. Jetzt rief sie: »Endlich! Wo treibst du dich nur herum? Komm sofort ins Haus. Ich muss zum Krankenhaus fahren. Dein Vater ist schwer verunglückt.«
Corinna blieb stehen. Sie wurde blass und begann zu zittern. Obwohl sie gewöhnt war, dass man sehr rücksichtslos mit ihr umging, war sie jetzt vor Schreck wie erstarrt. Sie liebte ihren Vater, auch wenn er so wenig Zeit für sie hatte.
Das etwas fahle Gesicht der Erzieherin war gerötet. »Was trödelst du denn?«, rief sie vorwurfsvoll.
Plötzlich begann Corinna zu laufen, bis sie auf der Terrasse war. »Was ist meinem Vati passiert?«, fragte sie mit hoher Stimme. Um ihren Mund zuckte es, als wolle sie gleich in Tränen ausbrechen.
»Was weiß ich? Meinst du, das sagt man mir am Telefon?« Alice Schöner lief schon in das Terrassenzimmer. »Sicher ist es sehr schlimm. Das Auto soll nicht mehr zu gebrauchen sein. Der schöne Wagen! Dein Vater hat ihn erst vor vierzehn Tagen gekauft.«
Corinna hielt die Erzieherin am Arm fest. »Muss mein Vati sterben?«, fragte sie. Jetzt liefen die Tränen über ihr Gesicht.
»Stell dich nicht so an.« Alice Schöner schüttelte Corinnas Hand ab. »Geh in dein Zimmer, und bleibe dort, bis ich zurückkomme. Ich habe ein Taxi bestellt.«
»Ich will mit zu meinem Vati fahren.« Das war nicht Corinnas Eigensinn, wie er so oft zu hören war, sondern ein einziges Bitten.
Alice Schöner schob das Mädchen auf den Flur. »Unsinn! Du wirst im Krankenhaus nicht gebraucht.«
Corinna blieb stehen. Nun stieg in ihren Augen Trotz auf. »Sie auch nicht. Sie überhaupt nicht«, sagte sie mit böser Stimme. »Mein Vati braucht Sie überhaupt nicht. Auch dann nicht, wenn er sehr krank ist. Bestimmt will er nicht, dass Sie zu ihm kommen, aber auf mich wird er warten.«
Alice Schöner atmete schwer. Es war ihr anzumerken, dass sie am liebsten zugeschlagen hätte. Nur die Erinnerung daran, dass Richard Bosch ihr das verboten hatte, hielt sie davon ab. »Diese Frechheiten werde ich dir noch austreiben. Glaube nur nicht, dass ich mir das ein zweites Mal bieten lasse. Los, geh in dein Zimmer.« Sie stieß Corinna weiter und trieb sie so die Treppe hinauf, bis sie in ihrem Zimmer war. Dort schloss sie das Kind ein.
Corinna stand am Fenster, als das Taxi kam und Alice Schöner wegfuhr. Wieder einmal war die Kinderseele zutiefst verletzt worden. Es war für die Kleine unbegreiflich, dass eine fremde Frau zu ihrem verunglückten Vater fahren durfte, während sie wie ein lästiges Möbelstück beiseitegeschoben wurde. Sie hatte nur den einen Wunsch, zu Detlef zu dürfen. Er würde sicher dafür sorgen, dass sie ebenfalls zu ihrem Vater fahren durfte.
Detlef war für die kleine Corinna der Retter aus der Not. Sie traute ihm wesentlich mehr zu, als er bewältigen konnte. Schon begann sie mit dem Gedanken zu spielen, den Weg in die Freiheit durch das Fenster zu suchen. Sie öffnete es und beugte sich hinaus. Zunächst erschauerte sie, als sie in den Park hinabsah. Dann aber blieben ihre Blicke an dem Rosenspalier haften. Es müsste doch gar nicht so schwer sein, sich daran hinabzulassen, dachte sie. Ihre Füße würden auf den Querleisten immer Halt finden, und außerdem würde sie sich auch daran festhalten können.
In ihrer Aufregung erkannte Corinna nicht die Gefahr, in die sie sich begeben würde. Sie sah noch einmal zum Waisenhaus hinüber und stellte sich dabei vor, dass sie bald bei Detlef sein würde. Vorsichtig legte sie sich auf den Bauch und schob die Beine zum Fenster hinaus. Noch hielt sie sich am Fensterbrett fest, als ihre Füße nach einem Halt angelten. Als sie nicht gleich eine Querleiste des Rosenspaliers fand, wurde sie zum ersten Mal ängstlich. Aber jetzt hatte sie auch nicht mehr die Kraft, sich wieder auf das Fensterbrett hinaufzuziehen. Es gab für sie nur mehr den Weg nach unten.
Das Herz des kleinen Mädchens klopfte ungestüm. Schon wollte Corinna laut um Hilfe schreien, da hatte sie einen Halt gefunden. Aber kaum war das geschehen, merkte sie, dass sich die Leiste unter ihren Füßen durchbog und das ganze Spalier schwankte. Nun hatte sie nur das eine Bestreben, so schnell wie möglich weiter hinunter zu kommen. Es gelang ihr auch, noch zwei Leisten hinabzuklettern, ohne dass diese brachen, doch die dritte splitterte. Mit einem lauten Aufschrei stürzte das kleine Mädchen auf dem halben Weg nach unten auf den Boden.
Diesen Schrei hörte das Hausmädchen.
Gerda kam auf die Terrasse gelaufen und schlug entsetzt die Hände zusammen, als sie Corinna auf dem Boden liegen sah. »Was ist dir eingefallen? Du bist doch nicht etwa …« Das Mädchen sah fassungslos zu dem geöffneten Fenster im ersten Stock empor.
»Mein Fuß«, klagte Corinna. »Er tut mir so sehr weh.«
Jetzt war Gerda bei ihr. Es erleichterte sie schon etwas, dass Corinna sprach. »Komm, versuche, ob du stehen kannst.«
Corinna ließ sich helfen, aber sie knickte gleich zusammen, als sie sich auf beide Füße stellen wollte.
»Dein rechter Knöchel ist schon angeschwollen. Was mache ich denn jetzt mit dir?« Gerda sah sich hilflos um. »Nun wird man mir die Schuld dafür zuschieben, dass du aus dem Fenster gestiegen bist.«
»Aber Frau Schöner hat mich doch eingesperrt. Bitte, Gerda, bringe mich zu Detlef«, bat Corinna. Tränen liefen ihr dabei über die Wangen.
»Gar nichts werde ich tun, als dich ins Krankenhaus zu bringen. Ich rufe jetzt ein Taxi.« Das sagte Gerda sehr entschieden.
»Ja, bringe mich ins Krankenhaus zu meinem Vati.« Obwohl Corinna große Schmerzen hatte, leuchteten ihre Augen auf. »Ich bin doch nur deshalb aus dem Fenster gestiegen, weil ich zu meinem Vati wollte. Du hättest mich ja auch nicht zu ihm gebracht. Du wärst nicht einmal gekommen, wenn ich an die Tür geklopft hätte.«
»Nein, ich wäre nicht gekommen. Meinst du, ich lade mir Kummer mit deiner Erzieherin auf den Hals? Die schikaniert uns alle doch genug. Nächsten Monat bin ich nicht mehr hier. Lieber lasse ich mich von einer Frau herumkommandieren, die wirklich die Frau des Hauses ist. Diese Schöner will es doch nur werden.«
Nach diesen Worten lief Gerda ins Haus. Corinna sah ihr nach und dachte an das, was Gerda zuletzt gesagt hatte. Auch wenn es etwas umschrieben gewesen war, besagte es doch, dass Alice Schöner ihre Mutti werden wollte. Alle wussten das schon.
»Ich will aber nicht, dass sie meine Mutti wird«, sagte Corinna laut. »Das werde ich auch Vati sagen. Er muss wieder gesund werden.« Sie krümmte sich auf dem Boden zusammen. Ihr ganzer Körper schmerzte von dem Sturz auf den Boden.
Erst der Taxifahrer half Gerda, die kleine Corinna aufzuheben. Er trug sie zum Wagen.
»Fahren Sie mich auch bestimmt zu dem Krankenhaus, in dem mein Vati ist?«, fragte Corinna, als sie mit Gerda im Fond saß.
»Ja«, beruhigte das Hausmädchen sie. »Ich habe gehört, in welchem Krankenhaus dein Vati liegt. Es ist ein Jammer, dass so viel Unglück an einem Tag passieren kann. Diese Schöner ist wirklich ein Unmensch. Sie hätte dich mitnehmen müssen, aber sie spielte sich auf, als ob sie die wichtigste Person hier wäre.«
Das waren Worte, die Corinna gefielen. »Ich habe Frau Schöner gesagt, dass Vati bestimmt nicht will, dass sie ihn besucht, aber dass er auf mich warten wird.« Sie presste die Hand auf ihren rechten Knöchel. »Gerda, wenn du mich führst und ich nur auf einem Fuß auftreten brauche, dann kann ich ganz bestimmt hopsen.«
»Wozu willst du hopsen?«, fragte Gerda. »Du siehst gar nicht so aus, als könntest du dir heute noch übermütige Dinge zutrauen. Wahrscheinlich wirst du froh sein, wenn du im Bett liegen kannst.«
»Ich will aber zuerst zu meinem Vati.« Corinna schmeichelte sich an Gerda, obwohl das sonst gar nicht ihre Art war. »Bitte, Gerda, bringe mich zuerst zu meinem Vati. Du bekommst dafür auch etwas von mir. Alles, was in meinem Sparschwein ist. Dafür kannst du dir bestimmt das neue Kleid kaufen, das wir gestern im Schaufenster gesehen haben. Du wolltest es doch so gernhaben.«
Gerda machte sich keine Gedanken darüber, wie arm dieses Kind war, dass es Dienstboten bestechen musste und auch die Mittel dazu kannte, um zu etwas ganz Selbstverständlichem zu kommen – zu einem Besuch bei seinem Vater.
»Aber du musst auch Wort halten, Corinna«, sagte Gerda.
»Ich gebe dir mein Sparschwein gleich, wenn wir nach Hause zurückkommen«, versprach Corinna.
»Ich glaube aber, du wirst im Krankenhaus bleiben müssen.«
»Oh, das wäre fein. Dann könnte ich den ganzen Tag bei Vati sein oder wenigstens nicht weit von ihm entfernt. Gerda, du kannst dir mein Sparschwein selbst nehmen. Du weißt doch, wo es steht.«
»Aber das wird die Schöner nicht zulassen«, meinte Gerda zweifelnd.
»Es ist mein Sparschwein. Deshalb kann ich es auch verschenken.« Jetzt war wieder der alte Trotz aus Corinnas Stimme herauszuhören.
»Also gut, ich bringe dich zuerst zu deinem Vater. Aber wenn ich dann ein Donnerwetter dafür höre, dass ich dich nicht zuerst zum Arzt gebracht habe, musst du mir beistehen, Corinna. Dir ist dein Vater ja nicht böse.«
»Ich werde ihm sagen, dass du nur das getan hast, worum ich dich gebeten habe, Gerda. Sind wir jetzt da?«
Gerda sah hinaus. »Ja.«
Der Taxifahrer hob das kleine Mädchen aus dem Wagen. Aber schon sagte Corinna: »Ich will gehen. Ich kann das. Ganz bestimmt.«
Gerda entlohnte den Chauffeur und fasste die Verletzte dann unter. Corinna verbiss den Schmerz, den sie spürte, sobald sie auf den verletzten Fuß auftreten musste. Jetzt dachte sie nur daran, dass sie gleich bei ihrem Vater sein würde.
An der Pförtnerloge fragte Gerda, in welchem Zimmer Richard Bosch liege.
Der Pförtner zuckte die Schultern. »Ich weiß nicht, ob Sie Herrn Bosch schon besuchen dürfen. So viel ich weiß, hat man ihn erst aus dem Operationssaal in das Zimmer Nummer achtundzwanzig gebracht. Gehen Sie auf die Männerstation. Am Ende des Flurs sind die Privatzimmer. Sicher werden Sie dort eine Schwester vorfinden.«
Gerda führte die kleine Corinna zum Lift und fuhr dann mit ihr in den ersten Stock hinauf. Die beiden kamen jedoch bis zum Zimmer achtundzwanzig, ohne dass sie einer Schwester begegneten.
»Ist es dieses Zimmer, das wir suchen?«, fragte Corinna und zeigte auf eine Tür. »Ich kann die Nummern doch noch nicht lesen.«
»Ja, das ist das richtige Zimmer«, antwortete Gerda.
Schon drückte Corinna auf die Klinke und öffnete die Tür.
»So warte doch!« Es war Gerda nun doch etwas mulmig zumute. Vor allem deshalb, weil sie Alice Schöner in dem Zimmer vermutete.
Corinna hatte sich selbstständig gemacht und humpelte mühsam in das Zimmer. Niemand hätte sie jetzt zurückhalten können.
Ein lauter Schrei erklang. Schon sprang Alice Schöner von ihrem Stuhl vor dem Krankenbett auf und keifte: »Was fällt dir ein? Wie kommst du überhaupt hierher?«
Corinna wollte in ihrer Angst, wieder hinausbugsiert zu werden, zu ihrem Vater laufen. Doch mitten im Zimmer stürzte sie.
Richard Bosch wollte sich aufrichten, sank aber mit einem unterdrückten Schmerzensschrei zurück.