Cowboy: Immer nur du - Hayley Faiman - E-Book

Cowboy: Immer nur du E-Book

Hayley Faiman

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Beschreibung

FORD Einsiedler. Grübler. Frauenheld. Rau. Begriffe können uns auf Erfolg oder Misserfolg vorbereiten. Ich hasse sie, schon immer. Ich habe einen Grund dafür. Ich träume von diesem Grund morgens, mittags und abends. STEPHANIE Egozentrisch. Gierig. Grausam. Selbsthass. Begriffe prägen die einsame Frau, die ich bin. Ich hasse die Person, die ich wurde. Ich habe den einzigen Mann verletzt, den ich je geliebt habe. Ich träume jede Nacht von ihm, sobald ich meine Augen schließe. Begriffs-Etiketten werden wie ein Abzeichen getragen, entweder zu Ehren oder zur Abschreckung. Sie definieren uns nicht, denn beurteilt werden wir sowieso. Fords Jugendliebe Stephanie verließ ihn einst, um ihren großen Träumen zu folgen. Verbittert blieb Ford zurück und stürzte sich in zahllose Affären. Nun ist Stephanie zurück in der Stadt und beide stellen fest, dass die brennende Leidenschaft und ihre Liebe nie erloschen ist. Doch Stephanie ist nicht nur in großer Gefahr, es steht zudem ihre gesamte Hollywood-Karriere auf dem Spiel ... Abschlussband der Reihe um fünf außergewöhnliche Helden.

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Hayley Faiman

Außergewöhnliche Helden Teil 5: Cowboy – Immer nur du

Aus dem Amerikanischen ins Deutsche übertragen von J.M. Meyer

© 2020 by Hayley Faiman unter dem Originaltitel „Cowboy (An Unfit Hero Novel, Book 5)

© 2023 der deutschsprachigen Ausgabe und Übersetzung by Plaisir d’Amour Verlag, D-64678 Lindenfels

www.plaisirdamour.de

[email protected]

© Covergestaltung: Sabrina Dahlenburg

(www.art-for-your-book.de)

ISBN Print: 978-3-86495-630-0

ISBN eBook: 978-3-86495-631-7

Alle Rechte vorbehalten. Dies ist ein Werk der Fiktion. Namen, Darsteller, Orte und Handlung entspringen entweder der Fantasie der Autorin oder werden fiktiv eingesetzt. Jegliche Ähnlichkeit mit tatsächlichen Vorkommnissen, Schauplätzen oder Personen, lebend oder verstorben, ist rein zufällig.

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Epilog

Autorin

Prolog

Stephanie

Siebzehn Jahre zuvor

Nur noch eine Woche bis zu meinem Hochzeitstag, der Hochzeit. Ich kann es immer noch nicht glauben, dass ich tatsächlich heiraten werde. Mein Vater, der im Sessel schläft, gibt einen lauten Schnarcher von sich, woraufhin ich zusammenzucke. Gleichzeitig klopft jemand an der Haustür.

Ich erkenne an dem Klopfrhythmus, den zwei Klopfern gefolgt von einer kurzen Pause und zwei weiteren Klopfern, dass Ford auf der anderen Seite der Tür steht. Mir dreht sich der Magen um und ich spüre einen stechenden Schmerz, als ich mich auf den Weg zu besagter Haustür mache.

Schon seit Wochen ergeht es mir so. Genauer gesagt, jedes Mal, wenn jemand die Hochzeit erwähnt oder wenn ich selbst an sie denke oder etwas dafür vorbereite.

Irgendetwas stimmt mit mir nicht, doch der heutige Arztbesuch hat mich einer Antwort nicht nähergebracht. Der Arzt meinte, mit mir sei alles in Ordnung, es sei vermutlich nur das Lampenfieber wegen der Hochzeit. Aber das kann nicht sein, es muss mehr dahinterstecken.

Langsam öffne ich die Tür. Ich gehe nach draußen und neige den Kopf in Richtung der Verandaschaukel. Ohne Ford in die Augen zu blicken, schlendere ich auf die Schaukel zu und lasse mich langsam auf ihr nieder, ehe ich meine Knie bis an die Brust ziehe.

Ford, der sich neben mich setzt, hebt den Arm an und legt ihn auf der Rückenlehne der Schaukel ab. Ich drehe den Kopf zur Seite, bette meine Wange auf mein Knie und sehe ihn schließlich an. Er nimmt am meisten Platz auf der Schaukel ein, während ich mich in der Ecke ganz klein mache.

Als seine Hand mein Haar berührt und seine Fingerspitzen mit einer Strähne spielen, schließe ich für einen Moment die Augen.

„Es ist schon spät“, flüstere ich und öffne die Lider wieder, um ihn ansehen zu können.

Er nickt, sein Blick ist geradeaus gerichtet, während seine Finger weiterhin mit meinen Haaren spielen. „Das stimmt“, erwidert er nach einer Weile.

Ich bemerke, dass er mich mittlerweile anschaut. Bei diesen blauen Augen stockt mir der Atem. Sie sind so intensiv, sie spiegeln die Emotionen wider, die ihn durchströmen. Er sieht friedlich und glücklich aus. Doch ich fühle nichts weiter als eine innere Unruhe.

Er atmet durch die Nase ein und ich kann sehen, wie sich seine Nasenlöcher weiten.

Ford Matthews ist wahrscheinlich der sexyste Mann, den ich je gesehen habe. Nicht, dass ich in meinen gerade einmal achtzehn Lebensjahren schon viele Kerle gesehen hätte, aber er hat einfach etwas Besonderes an sich. Seine gebräunte Haut, seine blauen Augen, sein hellbraunes Haar, die Intensität, mit der er mich anschaut und die meine Haut zum Glühen bringt.

Allerdings stimmt etwas nicht mit mir. Ich bekomme mit, wie andere Mädchen ihn ansehen, wie sie ihn schon immer angeschmachtet haben. Schaue ich ihn genauso an? Ich weiß es gerade nicht. Ist es wirklich das, was ich für den Rest meines Lebens möchte?

Will ich hier in Gallup bleiben, mit dem einzigen Mann, den ich je geküsst habe? Ich habe immer davon geträumt, als Stephanie LaRue groß rauszukommen, anstatt als Stephanie Matthews.

„Was würdest du davon halten, wenn wir von hier wegziehen?“, frage ich ihn zum millionsten Mal.

Ford stößt einen langen Seufzer aus. „Wenn ich von hier weggehe, wer hilft dann meinem Dad dabei, die Ranch zu führen?“

Ich zucke mit einer Schulter. „Einer deiner Cousins?“

Er schnaubt. „Stevie, du weißt, dass diese Trottel ihm mehr Kopfschmerzen bereiten würden, als dass sie ihm eine Hilfe wären. Diese Rinderfarm ist in Familienbesitz, seit mein Großvater sie aufgebaut hat. Sein Vater hat den Grund und Boden gekauft und sein Leben lang dort gelebt. Es ist mein Erbe. Ich liebe es, dort zu sein. Ich habe nie darüber nachgedacht, wegzugehen. Nicht ein einziges Mal.“

Ich presse die Lippen aufeinander und kneife die Augen zusammen, während sich mir erneut der Magen umdreht. Ist das wirklich das, was ich will? Ich liebe Ford mehr, als ich je für möglich gehalten hätte. Könnte ich einen anderen Menschen genauso lieben?

Es gibt keinen anderen für mich, und ich weiß, dass er mich glücklich machen würde, aber trotzdem frage ich mich, was ich verpassen oder bereuen werde, wenn ich bleibe. Werde ich irgendwann verbittert sein, weil ich nicht versucht habe, mir meine Träume zu erfüllen?

Was verpasse ich da draußen in der großen, weiten Welt?

***

Ford

Eine Woche später

Während ich nervös umherlaufe, lacht Wyatt. Ich balle meine Finger zu einer Faust und schlage sie ihm gegen den Arm. Diese Aktion bringt ihn nur noch mehr zum Lachen. Wyatt ist mein bester Freund. Er und Beaumont. Die einzigen beiden Jungs, die ich heute an meiner Seite haben will, die einzigen, die ich hier haben möchte.

„Ist deine Mama glücklich?“, will Beau wissen.

Ich zucke mit der Schulter. „Auf gar keinen Fall.“

Meine Mutter kann Stevie nicht ausstehen, das konnte sie noch nie. Sie findet, dass Stevie hochnäsig ist, dass sie sich für etwas Besseres hält. Außerdem meint sie, wir wären zu jung zum Heiraten. Aber ich weiß, dass dem nicht so ist. Ich habe Stevie mein ganzes Leben lang geliebt, und sie ist das süßeste Mädchen, das ich je getroffen habe.

Alles an ihr ist die absolute Perfektion.

Ich liebe sie.

Ich habe mich in sie verliebt, als sie fünf Jahre alt war, und habe nie damit aufgehört, sie zu lieben. Sie ist das einzige Mädchen, das ich je wahrgenommen habe, die Einzige, die je für mich existiert hat. Mein erster Kuss, alle ersten Male. Nie wollte ich eine andere Frau auch nur berühren. Nur sie. Und schon bald wird sie meine Frau sein.

Mein.

Sie weiß es noch nicht, aber mein Vater hat mir ein kleines Häuschen auf dem hinteren Teil des Grundstücks geschenkt. Es steht seit etwa fünf Jahren leer. Allerdings habe ich nachts an dem Haus gearbeitet und bin jeden Morgen extra früh aufgestanden, um es für uns herzurichten.

Es ist nicht groß, aber es reicht für uns beide aus.

Ich habe die ganze verdammte Bude entrümpelt, neuen Teppich und Linoleum verlegt, die Waschbecken und die eingebaute Einrichtung ersetzt. Ich habe sogar alle Wände des Hauses hellgelb gestrichen, weil das die Lieblingsfarbe meiner Freundin ist. Die Außenfassade besteht aus texanischem Kalksandstein mit hölzernen Fensterläden. Der Kalkstein war noch in einem guten Zustand, doch die Fensterläden musste ich überarbeiten und beizen lassen.

Ein Schlafzimmer, ein Badezimmer, ein kleines Esszimmer und ein kleiner Wohnbereich mit einem Couchtisch – das ist alles, was wir unser Eigen nennen werden. Ich habe die Wochenenden damit zugebracht, einen Teil der Möbel selbst zu bauen: einen kleinen Holztisch, einen Couchtisch, ein Bett mit Kopfteil und einen Nachttischschrank. Ich habe eine gebrauchte Kommode erstanden, die ich abgeschliffen und weiß angestrichen habe.

Eine Matratze, ein Sofa und Esszimmerstühle muss ich noch besorgen, aber ich schätze, dass wir zur Hochzeit Geldgeschenke bekommen werden, sodass wir uns einen Teil dieser Dinge gebraucht kaufen können.

Stevie hat mir erzählt, dass sie bei ihrer Brautparty tonnenweise Küchenkram bekommen hat. Damals hat sie darüber gelacht, weil sie nicht weiß, dass wir bereits ein Haus haben. Wir werden es uns in unserem neuen Leben in dem kleinen Ranchhaus gut gehen lassen, und ich kann es kaum erwarten. Es ist nicht viel, aber es ist weitaus mehr, als manch andere Leute haben, und von hier an kann es nur besser werden.

„Bist du bereit?“, fragt mich eine Stimme.

Als ich den Kopf drehe, sehe ich meinen Vater in der Tür stehen. Wir befinden uns in meinem Schlafzimmer; die Hochzeit findet hier auf der Ranch statt. Ein einfacher Tag mit Freunden und der Familie. Ein Grillfest mit gutem Essen und Kuchen. Es ist perfekt und schlicht.

„Mehr als bereit“, antworte ich ihm.

Als ich meinem Vater, der soeben gegangen ist, folgen möchte, halten Beau und Wyatt mich zurück. Ich drehe mich zu ihnen um und runzle die Stirn. „Was ist los?“

„Das ist verrückt. Wir wollten dich nur wissen lassen, dass wir uns wirklich verdammt für dich freuen“, sagt Beau grinsend.

Ich schüttle den Kopf und lächle. „Danke, ihr zwei. Ihr werdet die Nächsten sein. Wartet es nur ab.“

Beide schnauben und schütteln ebenfalls die Köpfe. „Nicht in naher Zukunft“, murmelt Wyatt.

Seine Augen verdunkeln sich, woraufhin ich meine Worte sofort bereue. Ich erinnere mich nämlich daran, wie die Dinge zwischen ihm und Sammie gelaufen sind. Er dachte, sie würden heiraten und eine Familie gründen. Um mich bei ihm zu entschuldigen, öffne ich den Mund, doch Wyatt hebt seine Hand, legt sie auf meine Schulter und drückt zu.

„Das ist dein Tag, Ford. Ich freue mich für dich“, flüstert er mir zu.

„Lass uns dich verheiraten, dann kann ich mir nämlich endlich die Brautjungfern näher ansehen.“ Beau lacht und zwinkert uns zu. Vermutlich hat er das Thema gewechselt, um die Stimmung aufzulockern.

Ein paar Minuten später stehe ich neben dem Pastor, einem Mann, den ich schon mein ganzes Leben lang kenne. Meine besten Freunde sind an meiner Seite. Ich lasse den Blick über meine gesamte Familie und die von Stevie gleiten. Das ist er nun. Dies ist der Anfang von allem.

Der Hochzeitsmarsch setzt ein und ich sehe sie am Arm ihres Vaters auf mich zuschreiten. Sie ist ganz in Weiß gekleidet, in einem Kleid, das komplett aus Spitze besteht und ihr bis zu den Knien reicht. Sie sieht perfekt aus. Noch besser als bei unserem Abschlussball vor einem Monat.

Als ihr Blick dem meinen begegnet, lächle ich. Plötzlich stolpert sie, dann bleibt sie stehen. Ich gehe auf sie zu, da ich denke, dass sie sich den Knöchel verdreht oder verstaucht hat, weil sich ihre Augen weiten. Sie löst die Hand aus der ihres Vaters und dreht sich um.

„Stevie?“, rufe ich ihr zu.

Ehe ich auch nur einen Schritt auf sie zugehen kann, hat sie sich auch schon ihre Schuhe ausgezogen und ist losgerannt. Ich höre, wie die Leute um mich herum nach Luft schnappen. Meine Mutter schluchzt und mein Vater streckt seine Hand aus, legt sie auf meine Schulter und hält mich zurück, sodass ich ihr nicht hinterherlaufen kann.

„Lass sie gehen, mein Sohn“, knurrt er.

Ich drehe mich zu ihm um und sehe ihn an. Meine Augen füllen sich mit Tränen. „Dad?“

Er schüttelt leicht den Kopf. „Ihr seid noch so jung. Vielleicht ist sie einfach noch nicht so weit. Morgen wird die Welt ganz anders aussehen. Klarer.“

Ich kann hier nicht stehen bleiben, während mich alle anstarren. Total verlegen, ohne auch nur ein Wort zu irgendwem zu sagen, laufe ich davon. Ich renne in die ihr entgegengesetzte Richtung, auf das kleine Haus zu, das ich für uns hergerichtet habe.

Ich öffne die Tür, schlage sie hinter mir zu und begebe mich in unser zukünftiges Schlafzimmer. Ich lasse mich in dem Zimmer, das wir miteinander teilen sollten, auf den Hintern fallen und weine. Wie eine Pussy heule ich los.

Am nächsten Tag sieht die Welt keinen Deut besser aus, denn Stevie ist weg. Ich stehe auf ihrer Veranda, direkt neben der verdammten Schaukel, und flehe ihre Eltern an, mir zu sagen, wo sie ist. Doch sie weigern sich, mit der Sprache herauszurücken. Genauso wie ihre Freunde. Niemand will mir irgendetwas sagen.

Ich sehe sie nicht wieder, zumindest nicht in den kommenden zehn Jahren.

Kapitel 1

Stephanie

Gallup, Texas.

Der Name steht nicht einmal auf einer Landkarte. Es ist nur ein kleiner Punkt. So winzig ist meine Heimatstadt. Ich war seit siebzehn Jahren nicht mehr dort. Ich habe der Stadt den Rücken gekehrt und bin so schnell, wie es mir möglich war, von dort ihr geflohen.

Ich habe alles und jeden, den ich je gekannt habe, hinter mir gelassen. Einschließlich eines Jungen. Des Jungen. Ich habe diesen Jungen verletzt. Er liebte mich von ganzem Herzen und ich habe es ihm gebrochen. Das ist wahrscheinlich der Grund, wieso ich nie wieder hierher zurückgekehrt bin.

Ihn wiederzusehen, wäre unvermeidbar gewesen und hätte mich vermutlich gebrochen. Zu sehen, wie er mit einer anderen glücklich ist, würde mich zerstören.

Ford Buchannan Matthews.

Gott, allein der Gedanke an seinen Namen jagt mir einen Schauer über den ganzen Körper. Er ist ein waschechter Texaner, geboren und aufgewachsen auf demselben Grundstück, auf dem auch sein Daddy das Licht der Welt erblickt hat und groß geworden ist. Wenn man nach einem modernen texanischen Cowboy suchen würde, würde man vermutlich ein Bild von Ford als Definition finden.

Als ich durch die winzige Stadt fahre, frage ich mich, warum so ziemlich alles noch genauso aussieht wie vor zwanzig Jahren. Wieso hat sich nichts verändert? Ich kenne jeden einzelnen Grenzstein. Sie sehen mittlerweile etwas älter aus, aber es sind noch dieselben. 

Nachdem ich in die Straße eingebogen bin, in der einst meine Familie gewohnt hat, bleibe ich auf der gegenüberliegenden Seite unseres ehemaligen Hauses stehen und betrachte es. Es könnte einen neuen Anstrich vertragen und ein paar Fensterläden hängen schief, doch die Verandaschaukel ist immer noch da und wiegt sich im Wind.

Während ich das Lenkrad fest umklammert halte, sollte ich mich fragen, wer heute dort wohnt. Schläft vielleicht ein kleines Mädchen in dem Zimmer, das einst mir gehörte? Wird die Decke noch immer von hellrosa Stuck umrahmt? Kleben noch Leuchtsterne an der Decke?

Stattdessen weiß ich genau, was sich hinter den Mauern des alten Hauses verbirgt. Leere und eine ganze Menge an Erinnerungen, die ich seit fast zwei Jahrzehnten zu vergessen versuche.

Ich öffne die Autotür und trete hinaus auf den Schmutz und den Schotter. Das wird vermutlich meine High Heels ruinieren, aber das ist mir egal, denn ich habe noch etliche weitere Paare. Es scheint sich wie eine Routine durch mein Leben zu ziehen: Irgendetwas geht kaputt, ich habe Ersatz oder kaufe mir etwas Neues. Aber es macht mich nicht glücklich.

 Ich umrunde das Auto und bleibe auf der Beifahrerseite wie angewurzelt stehen, scheinbar nicht in der Lage mich zu bewegen.  Seufzend lehne ich mich gegen die Tür des Mietwagens und betrachte das Haus.

Ich kann nicht fassen, dass ich wieder hier bin.

Ich hätte nie gedacht, dass ich die Stadtgrenze noch einmal überschreiten würde. Es gab Zeiten, in denen ich mir nichts sehnlicher gewünscht habe, als zu meinen Wurzeln zurückzukehren. Zurückzukommen an den Ort, an dem ich mich wohlgefühlt und Frieden verspürt habe.

Hier zu sein, ruft Erinnerungen in mir wach, von denen ich nie gedacht hätte, dass ich sie noch einmal durchleben möchte. Erinnerungen, die so verdammt wehtun. Es gibt Dinge, die ich getan habe. Dinge, die zweifelsohne mehr Schmerzen verursacht haben, als ich es je für möglich gehalten hätte. Allein wenn ich nur durch die Gegend fahre, kriecht mir die Schuld meine Kehle hoch und droht, mich zu ersticken.

Ich höre das Knirschen des Kieses neben mir und drehe daraufhin den Kopf zur Seite. Ich kann nicht anders, als wegen des kleinen Mädchens zu lächeln, das auf seinem Fahrrad sitzt. Dass Kinder überhaupt noch Fahrrad fahren, wusste ich nicht. Sie hat sogar Plastikquasten an ihrem Lenker hängen. Solche hatte ich auch einst, nur waren meine orange und neongrün.

„Warum beobachtest du das alte LaRue-Haus?“, fragt sie mich.

Stirnrunzelnd schaue ich vom Haus zu ihr. „Das alte LaRue-Haus?“

Sie nickt, ihr zahnloses Grinsen verblasst. „Nun, das Haus gehörte dem alten LaRue, bevor seine schicke Tochter ihn verließ und nach Kalifornien zog. Jetzt steht es leer. Die meisten Leute sagen, dass es dort spukt.“

Meine Lippen verziehen sich zu einem kleinen Lächeln. „Es spukt nicht.“

Aber verdammt, vielleicht tut es das doch. Eventuell ist es ja genau das. Ein Spuk der Erinnerungen aus der Vergangenheit, ein altes Leben, das zurückgelassen wurde, um in Vergessenheit zu geraten.

„Du bist sehr hübsch. Wie heißt du?“, erkundigt sie sich.

Ich lecke mir über die Lippen und öffne den Mund, um ihr meinen Künstlernamen zu nennen, den ich seit siebzehn Jahren benutze. Mittlerweile fühlt er sich wie mein echter Name an. Allerdings zögere ich aus irgendeinem Grund.

„Stephanie“, sage ich stattdessen. Der Name kommt mir schneller als beabsichtigt über die Lippen.

Nickend tritt sie wieder in die Pedale. „Bis dann“, ruft sie mir zu, bevor sie mit ihrem Fahrrad die Straße hinunter radelt.

Ich schaue ihr einen Moment lang hinterher, ehe ich den Blick wieder auf das alte Haus richte.

Mein altes Haus.

Unfähig, auch nur einen weiteren Schritt auf das Gebäude zuzugehen, umrunde ich abermals das Auto und lasse mich auf dem Fahrersitz nieder. Ich starte den Motor und stoße einen schweren Seufzer aus, als ich anfahre und in Richtung Hotel aufbreche.

Ich schnaube. Hotel. Na klar. Es ist bestenfalls ein Motel. Das einzige in der Stadt, und unter einer Suite verstehen sie ein Zimmer mit einem winzigen Kühlschrank. Ich kann von Glück sprechen, wenn ich ein Nichtraucherzimmer und heißes Wasser bekomme. Ich fahre über den Marktplatz, um zu sehen, was sich hier verändert hat.

Absolut nichts.

Die Schaufenster sind zwar nicht mehr so dekoriert wie vor zwanzig Jahren, aber alles andere scheint genauso zu sein wie damals. Dieser Ort ist wie eine Zeitschleife. Nichts verändert sich. Nicht einmal der Kleidungsstil der Menschen, die hier herumlaufen.

Ich beschließe, dass ich eine kurze Pause und etwas zu essen nötig habe. Deshalb parke ich den Wagen direkt vor dem Diner, von dem ich nicht glaube, dass es jemals schließen wird. Mein Blick gleitet über die Menschen, die auf dem Bürgersteig flanieren. Nicht, dass es viele wären.

Die Männer tragen Wrangler-Jeans, Cowboystiefel, Strohhüte und Flanellhemden. Die Frauen sind ebenfalls mit Jeanshosen, Stiefeln und Baumwollblusen bekleidet. Der Stil ist noch genauso wie vor zwanzig Jahren, und ich kann mir einfach nicht erklären, wie das möglich ist. Haben sie kein Fernsehen? Keine Zeitschriften?

Mein Magen knurrt, und ich frage mich, ob es eine gute Idee ist, hier anzuhalten. Ich habe keinen Zweifel daran, dass dieser Laden noch genauso schmierig ist, wie er es war, bevor ich gegangen bin. Mit einem lauten Seufzer schnappe ich mir meine Handtasche, die auf dem Beifahrersitz liegt, und steige aus dem Auto.

Ich richte mir den Rock und hänge mir die Tasche über die Schulter, dann betrete ich den Bürgersteig. Auf dem Weg ins Lokal krampft sich mein Magen aufgrund des Geruchs von frittiertem Essen zusammen.

„Setz dich einfach irgendwohin, Süße“, ruft mir eine Frau zu.

Ich hebe den Blick und blinzle, da ich sie erkenne. Es ist Lulamae. Ich kann nicht glauben, dass sie noch immer hier kellnert, denn sie ist älter als mein Daddy. Ohne ein Wort zu ihr zu sagen, begebe ich mich in den hinteren Teil des Restaurants, setze mich auf einen klebrigen Stuhl und nehme meine Sonnenbrille ab.

„Was möchtest du trinken?“, erkundigt sie sich, während sie eine in Plastik laminierte Speisekarte vor mich hinlegt.

Ich mache mir nicht die Mühe, einen Blick in die Karte zu werfen, denn sie werden garantiert kein Wasser mit Kohlensäure oder Wasser in Flaschen servieren. Sie schenken nur Leitungswasser aus, und das wird wahrscheinlich nach Chlor schmecken.

„Ich nehme einen ungesüßten Tee“, murmle ich.

Sie schnaubt.

Ich hebe den Blick, um sie anzusehen, und blinzle. „Stimmt etwas nicht?“, frage ich sie.

Sie schüttelt den Kopf. „Ich hätte nie gedacht, dass die kleine Stevie LaRue hier hereinspaziert und sich einen ungesüßten Tee bestellt“, erwidert sie beinahe spöttisch. „Eigentlich hätte ich nie damit gerechnet, dass jemand aus Texas so etwas bestellt. Du scheinst vergessen zu haben, wo du herkommst, Mädchen.“

„Ich bin nicht Stevie LaRue, nicht mehr“, entgegne ich leise.

„Stimmt, das bist du ganz gewiss nicht. Stevie LaRue würde sich einen gesüßten Tee bestellen. Und dazu einen Burger mit Kroketten. Zum Nachttisch würde sie sich einen Milchshake kommen lassen, denn die kleine Stevie war ganz verrückt nach Desserts. Sie wäre auch nicht von zu Hause abgehauen und fast zwanzig Jahre weggeblieben.“

Ich blinzle schockiert, weil sie diese Dinge zu mir gesagt hat und sich noch an so viel von mir erinnert. Sie hat nicht unrecht. Stevie LaRue hat all diese Sachen geliebt, aber ich bin nicht mehr sie. Seit siebzehn Jahren schon nicht mehr.

„Tut mir leid, dass ich dich enttäuschen muss, Lulamae. Ich bin eben nicht mehr dieses Mädchen“, sage ich leise.

Sie nickt, ihr Blick sucht den meinen. „Sie ist aber noch nicht ganz verschwunden, oder? Du bist wohl nach Hause gekommen, um sie wiederzufinden, wie?“

Ich schüttle den Kopf und atme tief ein. „Ich bin nur heimgekommen, um die Entrümplungsarbeiten im Haus meines Daddys zu beaufsichtigen und es dann zu verkaufen. Ich werde nur ein paar Wochen hier sein, dann geht es zurück nach Hause.“

Lulamae bricht in schallendes Gelächter aus. „Du bist hier zu Hause, Mädchen. Wir haben dich vermisst.“

Ohne dem noch etwas hinzuzufügen, wendet sich sie von mir ab und behelligt mich nicht weiter. Sie gibt auch keinen Kommentar ab, als ich mir einen Salat und anstelle eines Dressings ein paar Zitronenscheiben bestelle, oder als sie mir meinen ungesüßten Tee serviert.

***

Ford

Fender.

Ich wusste immer, dass Beau die Musik liebt, aber dass er sein Kind nach einer Gitarre benennen würde? Das ist mir neu, aber wer bin ich schon, mir ein Urteil zu erlauben? Ich habe nicht einmal eine Frau, geschweige denn eigene Kinder. Dieser kleine Kerl, auch wenn er Fender heißt, ist verdammt niedlich. Wie all die Babys meiner Freunde.

„Bitte sag mir, dass du ihn neben einer Gitarre fotografiert hast“, sage ich und schaue Hutton dabei an.

Beaumonts Frau kichert leise und nickt. „Das habe ich. Außerdem habe ich ihm einen kleinen Baby-Falken auf den Kopf gemalt … Das sah so süß aus“, erwidert sie lächelnd.

„Weißt du, du bist der Nächste“, verkündet Beau.

Ich schnaube. „Nö.“

„Nur, weil du sie noch nicht gefunden hast, heißt das nicht, dass sie nicht irgendwo da draußen ist“, erklärt Hutton.

Ich mustere das Baby noch einmal, dann übergebe ich es wieder an seine Mom. Es beginnt, unruhig zu werden, und sosehr ich Babys auch mag, wenn sie weder laufen noch sprechen können, sind sie irgendwie verdammt beängstigend. Hutton nimmt ihn mir ab und drückt ihn an ihre Brust, und ich schwöre, dass der Kleine schnurrt. Das würde ich wahrscheinlich auch tun, denn Hutton ist ziemlich süß.

„Er ist wirklich niedlich. Bleibt ihr diesmal länger als ein paar Minuten hier?“, will ich wissen und schaue dabei zu Beaumont hinüber.

Beau grinst und zuckt mit den Schultern. Dann hebt er die Hand und fährt sich mit den Fingern durch sein langes Haar. „Vielleicht. Es war zwar echt ein Riesenspaß, mit dem kleinen Kerl auf Tour zu gehen, aber ich denke, dass wir uns vorerst eine Auszeit gönnen.“

„Es wird guttun, dich eine Weile bei uns zu haben“, lasse ich ihn wissen und gebe damit mehr preis, als ich beabsichtigt habe.

Beaumont ist seit dem Kindergarten mein Freund, einer meiner besten Freunde. Wenn er weg ist, vermisse ich ihn, verdammt noch mal. Ich verstehe, warum er viel fort ist, denn er hat seine Karriere, die seine Zeit in Anspruch nimmt, und eine Familie. Es scheint, als hätten all meine Freunde neue Lebensmittelpunkte. Ich bin froh, dass sie alle so glücklich sind, aber verdammt, für mich ist das verflucht einsam.

Wir hängen noch eine Stunde miteinander ab, bis Fender ins Bett muss. Ich gehe, weil ich weiß, dass Beau und Hutton vermutlich etwas Zeit für sich allein haben wollen, jetzt, da ihr Kleiner schläft. Ich schwinge mich in meinen Pick-up, starte den Motor und winke Beau zu, der auf seiner Veranda steht und zu mir hinübersieht.

Ich fahre nicht die Straße entlang, die zu meinem Haus führt. Ich kann jetzt nicht heim in ein leeres Haus gehen. Stattdessen schlage ich lieber den Weg in Richtung Bar ein. Ich gehe nicht mehr oft aus, denn bei Pardners hält sich jede Woche dasselbe Publikum auf. Ich habe die Nase voll davon. Bevor ich nach Hause fahre, will ich einfach nur ein paar Bier trinken. Nur um unter Menschen zu sein, auch wenn ich einen Großteil davon schon gefickt habe.

Es ist schon dunkel, der Parkplatz ist nicht übermäßig voll, aber auch nicht leer. Bald wird sich das Klientel ändern. Die jüngeren Leute werden kommen, und so erbärmlich das auch klingen mag, vielleicht ist jemand Neues dabei. Jemand, der meine Nacht weniger einsam macht, jemand, der mich für ein paar Stunden von meinem erbärmlichen Leben ablenken kann.

Ich steige aus meinem Pick-up und gehe in die Bar. Der Türsteher fragt mich nicht einmal mehr nach meinem Ausweis, sondern streckt mir nur die Hand entgegen, damit ich die fünf Dollar Eintritt abdrücke. An der Theke angekommen, bestelle ich zwei Coors-Light-Bier bei Lucy-Dawn.

„In der Flasche?“, will sie wissen, ohne dabei aufzublicken.

„Jepp.“ Ich seufze.

Sie nickt, öffnet die Bierdeckel und schiebt die Flaschen zu mir herüber. Dann hebt sie den Blick, um dem meinen zu begegnen, und schenkt mir ein kleines Lächeln.

„Du siehst müde aus“, merkt sie an.

„Danke.“

Lucy lächelt nur und sagt zum Glück nichts weiter. Ich lasse sie stehen und gehe zu meinem Stammplatz hinüber. Es ist verdammt armselig, dass ich einen Stammplatz in einer Bar habe, aber so ist es nun mal: Ich habe einen. Ich setze mich auf den Barhocker, führe die gut gekühlte Bierflasche an meine Lippen und nehme einen großen Schluck.

Ich schaue mich um, um zu checken, ob jemand Fremdes hier ist. Irgendeine Frau, die ich vielleicht noch nicht kenne. Es überrascht mich allerdings nicht, die gleichen Gesichter wie immer in der Menge zu sehen.

Ich lehne mich auf meinem Hocker zurück und hole mein Handy aus der Hosentasche. Erst checke ich meine Nachrichten, dann scrolle ich durch die Kontakte, um zu sehen, wen ich anrufen könnte, um Spaß zu haben. Aber es gibt niemanden.  Louis ist zu Hause mit Tulip. Wyatt ist bei Exeter und ihrem kleinen Mädchen. Rylan und Channing haben ebenfalls zwei kleine Kinder daheim.

Ich bin der Einzige in unserem Freundeskreis, der niemanden hat. Ich weiß, dass ich jeden meiner Kumpels anrufen könnte und dass sie alles stehen und liegen lassen würden, wenn ich sie bräuchte, aber so ein Typ bin ich nicht.

Nur weil ich ein Leben im Elend führe, gibt es keinen Grund, meine Freunde in diesen Scheiß mit hineinzuziehen, und außerdem könnten sie nichts tun, um mir da rauszuhelfen.

Ich leere mein erstes Bier, trinke allerdings nicht das zweite. Um bei Lucy-Dawn meine Rechnung zu bezahlen, mache ich mich auf den Weg zurück an die Theke. Anschließend verlasse ich das Pardners. Ich könnte zum Headlights fahren und den Mädchen beim Tanzen zusehen, aber nachdem Tulip dort nicht mehr arbeitet, macht es weniger Spaß als früher.

Ich fühle mich verdammt abgeschlagen und bin deprimierte, weshalb ich einfach nach Hause fahre. Die Straßen sind ruhig und leer, so wie das nach Einbruch der Dunkelheit immer der Fall ist. Gallup ist nicht gerade für sein blühendes Nachtleben bekannt.

Unfähig, mich davon abzuhalten, tue ich etwas, was ich letztlich immer bereue, aber ich mache es trotzdem, und zwar viel öfter, als ich jemals zugeben würde. Ich lenke meinen Pick-up in Richtung eines Hauses, das seit Jahren nicht mehr bewohnt ist.

Es dauert nicht lange, bis ich es erreiche. Als ich auf der gegenüberliegenden Straßenseite anhalte, stelle ich das Getriebe auf Parken, lege meine Finger fester um das Lenkrad und kneife die Augen zusammen, bevor ich den Kopf drehe.

Ich öffne die Lider und richte meinen Blick auf das kleine Haus. Vor etwa zwanzig Jahren hatte es, neben einer Million anderer Kleinigkeiten, einen neuen Anstrich und eine Generalüberholung im Inneren dringend nötig. Doch dazu ist es nie gekommen, und nun steht es leer.

Das Haus gehört Stevie LaRues Eltern. Als ich aufgewachsen bin, verbrachte ich mehr Zeit hier als bei mir zu Hause. Die alte Verandaschaukel ist noch intakt und mein Blick wandert zu ihr hinüber. Ich sehe Stevie immer noch in der Ecke sitzen, die Füße angezogen und die Wange auf ihrem Knie abgestützt.

Meinen allerersten Kuss habe ich auf dieser Schaukel bekommen. Dort habe ich ihr auch zum ersten Mal meine Liebe gestanden. Genau da habe ich ihr einen Heiratsantrag gemacht. Dort hatte ich jeden guten Moment meines Lebens. Es ist zudem der Ort, an dem ich am Tag nach der Hochzeit, die nicht stattgefunden hatte, stand und Stevies Eltern anflehte, mir zu sagen, wo sie ist.

Dort verlor ich meine Würde und scherte mich einen verdammten Dreck darum, dass ich heulte und bettelte. Es ist zudem der Ort, an dem sie meine Bitten ablehnten, selbst Monate danach. Ich habe an dem Tag, als Stevie mich verließ, nicht nur sie, sondern auch ihre gesamte Familie verloren.

Die Wut kocht wieder einmal unter der Oberfläche meiner Haut. Ich wollte nicht sauer sein, nicht mehr, aber ich bin es trotzdem. Ich starte den Motor und versuche, die Gefühle von Wut und Verrat abzuschütteln, während ich nach Hause fahre, aber es klappt nicht – das tut es nie.

Kapitel 2

Stephanie

Ich öffne meine Augen und fische nach meinem Handy, während ich mich auf die Seite drehe. Es überrascht mich nicht, zu sehen, dass ein Dutzend Nachrichten eingegangen sind.

Mich haben Textnachrichten von meinem Assistenten, meiner Pressesprecherin, meinem Agenten und sogar vom Casting Direktor der Filmtrilogie erreicht, in der ich mitgespielt habe. Wir haben die ersten zwei Teile bereits abgedreht und ich warte auf Informationen zum Beginn des dritten Filmdrehs.

Als ich die Nachricht meines Assistenten öffne, runzle ich die Stirn wegen des Textes, den er mir geschrieben hat.

Er ist sehr simpel.

Damion:Ruf mich an.

Er hat mich noch nie darum gebeten, ihn anzurufen. Er ist jemand, der lieber SMS schreibt, als zu telefonieren, was für mich ein Segen ist. Ich bekomme täglich so viele Anrufe rein, dass es irgendwie erfrischend ist.

„Was ist los?“, erkundige ich mich, bevor er überhaupt ein ‘Hallo’ aussprechen kann.

Anstatt zu lachen, stößt er ein lang gezogenes Seufzen aus. „Wir haben ein Problem.“

„Wie bitte?“

Es herrscht ein Moment der Stille zwischen uns, und wenn ich Damion durch das Telefon erwürgen könnte, würde ich genau das jetzt tun. Er brummt, dann zieht er einen Atemzug ein und lässt ihn wieder entweichen.

„Jemand hat etwas hochgeladen und es soll morgen früh ausgestrahlt werden. Ein paar Nachrichtensender befinden sich bereits im Wettstreit darum.“

Nicht viele Leute wissen davon, aber in der Branche gibt es eine Plattform, wo die Paparazzi ihre lächerlichen Bildchen und Videos hochladen. Die Medien, ich benutze diesen Begriff nur sehr ungern, kaufen die Bilder und Videos und veröffentlichen sie. Das ist eins der vielen Dinge, die ich an der Branche zu hassen gelernt habe.

„Okay, es soll morgen ausgestrahlt werden?“

„Als allererstes“, bestätigt Damion.

„Was ist es?“

Er seufzt. „Anscheinend ist Amerikas Liebling doch nicht ganz so lieb“, murmelt er. „Es geht um Bilder von dir und Sebastian, auf denen man euch zusammen sieht.“

Innerlich stöhne ich auf. Sie müssen vor dem Tod meines Vaters aufgenommen worden sein. Vor seiner Beerdigung. Warum behält jemand diese Bilder so lange für sich? Es ist schon Wochen her. Ich habe seitdem nicht mehr mit Sebastian gesprochen, geschweige denn mit ihm geschlafen.

„Großartig“, flachse ich. „Können wir das irgendwie verhindern?“

Er brummt. „Vielleicht kann Grace etwas tun?“, fragt er und meinte damit meine Pressesprecherin. „Aber ich glaube, der Drops ist bereits gelutscht, Babe.“

„Wunderbar.“

Ein Skandal.

So ziemlich jeder in Hollywood spielt irgendwann einmal die Hauptrolle in einem Skandal, den die Boulevardpresse lostritt. Das ist einfach Teil meines Jobs. Man muss einfach das Gute aus dem Schlechten ziehen, und im Moment scheint das Schlechte auf mich zuzurollen – und zwar mit hoher Geschwindigkeit.

„Schick mir Screenshots zu, ich rufe Grace an“, trage ich ihm auf und setze mich dabei aufrecht hin.

„Ich wollte dich damit nicht belästigen, weil ich weiß, dass du dir so etwas wie eine kleine Auszeit gönnst. Bist du sicher, dass ich nicht zu dir kommen soll? Um für dich da zu sein?“

Ich denke kurz darüber nach, Damion zu mir nach Gallup zu holen. Ich liebe Damion, aber ich bin mir nicht sicher, ob eine so kleine Stadt wie Gallup jemals für ihn bereit sein wird. Er ist wunderschön, wie ein Model. Er kleidet sich auch wie eins und ist weiblicher als ich. Er legt jeden Tag Make-up auf, und obwohl mich das nicht im Geringsten stört, befinden wir uns hier im ländlichsten Teil von Texas. Und da sich diese Stadt absolut nicht verändert hat, glaube ich auch nicht daran, dass die Leute einen Wandel vollzogen haben. In der Vergangenheit waren sie nicht gerade für ihre Aufgeschlossenheit bekannt.

„Ich bin mir sicher. Ich muss da allein durch“, sage ich leise.

„Du musst nicht, du willst es“, erwidert er pampig.

Ich lecke mir über die Lippen und schaue an die Decke. „Vielleicht ist es ein bisschen von beidem. Seit ich abgehauen bin, war ich nicht mehr hier. Ich muss mich meiner Vergangenheit stellen. Ich muss herausfinden, warum ich so gefühlskalt bin.“

„Du meinst wohl, dass du herausfinden willst, warum es mit diesem egozentrischen Sebastian nicht geklappt hat, richtig? Süße, das hatte absolut nichts mit dir zu tun. Er ist und bleibt ein Arschloch“, wettert er gegen ihn.

Ich kneife die Augen zusammen und versuche, nicht über Damions Worte zu lachen. Sebastian ist in gewisser Weise ein Arsch. Er ist extrem selbstsüchtig, aber das mit uns hätte funktionieren können. Wenn ich mehr dafür getan hätte; wenn ich, wie er sagte, offener ihm gegenüber gewesen wäre.

„Ich hätte für ihn da sein müssen. Ich konnte mich ihm nicht öffnen, und das hat ihn vertrieben.“

„In die Vagina einer anderen Frau getrieben? Vergiss es.“ Ich öffne den Mund, um etwas darauf zu erwidern, doch er ist schneller. „Du warst zu lieb zu diesem Kerl. Ich habe euch zusammen erlebt, und zwar oft. Er hat dich nie angesehen, als würde er alles an dir bewundern. Und genauso sollte ein Mann eine Frau ansehen, die er liebt. Er hat dich angesehen, als wäre er verdammt gelangweilt.“

„Vielleicht bin ich ja langweilig?“

Damion zieht scharf die Luft ein. „Sei still. Du bist nicht langweilig. Du bist die süßeste Frau, die ich kenne, und alles andere als langweilig. Er, mit seinen Skinny Jeans, ist der Langweiler.“

Lachend lehne ich mich gegen das Kopfteil des Bettes. Ich weiß, dass Damion dafür bezahlt wird, mir zu assistieren und freundlich zu mir zu sein, aber es fühlt sich an, als wäre er ein wahrer Freund. Zumindest in meinem Kopf ist es so, und ich bin mir sicher, dass er der einzige Freund ist, den ich im Moment habe. Ich frage mich, ob er mich auch mögen würde, wenn er nicht für mich arbeiten würde.

„Vielleicht ein bisschen“, erwidere ich.

Er schnaubt. „Mehr als ein bisschen.“

Ich kann nicht anders, ich muss lachen. Es ist das erste Mal seit langer Zeit, dass ich herzhaft lache. Ich presse die Lippen aufeinander und frage mich, wann ich die Verlobung mit Sebastian öffentlich auflösen soll. Vielleicht sollte ich mir erst die Fotos ansehen, bevor ich etwas unternehme.

„Ich schicke dir die Bilder zu, aber bitte flipp nicht aus. Wenn du mich brauchst, komme ich sofort zu dir.“

„Okay“, seufze ich.

„Perfekt. Sprechen wir uns bald wieder?“

„Ganz bald“, bestätige ich ihm.

Ich beende das Telefonat und bleibe noch im Bett. Eingekuschelt in meine Bettdecke, warte ich darauf, dass er mir die Fotos zusendet. Die Lippen aufeinandergepresst, warte ich geduldig ab, wie sie auf meinem Smartphone heruntergeladen werden.

Sie sind schlimm.

Sehr schlimm.

Bei ihrem Anblick wird mein ganzer Körper heiß. Sie müssen zensiert werden, aber ich bin mir sicher, dass die unzensierte Version in der Öffentlichkeit zur Schau gestellt wird.

Meine Augen füllen sich mit Tränen.

Ich befinde mich auf meinen Knien, Sebastian steht hinter mir, seine Hand liegt um meine Kehle. Meine Brüste sind in voller Pracht zu sehen, jeder gepiercte Zentimeter davon. Die diamantbesetzten Stäbe funkeln.

Fuck.

Ich bin Amerikas Liebling. Noch nie gab es Nacktbilder von mir. Niemand weiß, dass meine Brustwarzen gepierct sind oder dass ich ein Tattoo direkt unter meiner rechten Brust habe. Es ist ein einfacher Schriftzug, nichts Auffälliges oder Großes. Dort steht ganz simpel Atmen geschrieben. Das klingt vielleicht klischeehaft, aber es ist nur für mich bestimmt.

Scheiße.

Ich rufe sofort Grace an. Während ich mir auf die Unterlippe beiße, frage ich mich, ob dies das Ende meines makellosen Images ist. Außerdem denke ich darüber nach, ob es mich überhaupt interessiert. Der einwandfreie süße Ruf ist einfach so entstanden. Ich habe weder danach gestrebt, noch wollte ich ihn haben, er wurde mir einfach zugesprochen.

All das könnte jetzt vorbei sein.

Was werden die Leute sagen?

Was werden meine Fans von mir denken?

Scheiße.

***

Ford

Ich steige auf Starlight, mein verdammt störrisches Pferd, schnalze mit der Zunge und lockere langsam die Zügel. Bevor sie in Richtung Weide lostrabt, wiehert sie. Sie kennt unsere tägliche Morgenroutine. Wir kontrollieren die Rinder. Das könnten wir beide mit verbundenen Augen tun.

Den Strohhut fest auf meinem Kopf, blicke ich zum Horizont und rufe mir in Erinnerung, was für ein verdammtes Glück ich doch gehabt habe, in eine Viehzüchterfamilie hineingeboren worden zu sein. Meine Mutter und mein Vater wären stolz auf die kleine Ranch, die ich jetzt habe.

Beim Anblick meines wertvollen Texas Longhorns, eine Hausrinderrasse mit großen Hörnern, grinse ich. Er schnaubt mich an, ist aber viel zu faul, um aufzustehen. Er ist ein riesen Vieh, mit mindestens zwei Meter fünfzig langen Hörnern. Das Tier ist ein Vermögen wert, aber ich kann mich nicht von ihm trennen. Ich habe dem Scheißkerl sogar einen Namen gegeben.

Otis.

Starlight zieht das Tempo an und pest an Otis vorbei zum Rest der Herde. Sie grasen allesamt, wirken zufrieden und bemerken meine Anwesenheit überhaupt nicht. Ich lasse den Blick über das Vieh schweifen, zähle es, und als ich zufrieden bin, reite ich weiter zum Tank, um sicherzustellen, dass die Pumpe funktioniert und meine Tiere ausreichend Wasser haben, da die typische texanische Hitze herrscht.

Noch ist es nicht an der Zeit, sie zur anderen Wasserstelle zu führen, aber schon bald.

Als Nächstes überprüfe ich meine Zäune, um sicherzustellen, dass sie heil sind. Der Zaun auf der nördlichen Seite muss repariert werden, da er schon sehr alt ist. Ein kräftiger Windsturm, und er wird es nicht überleben.

Ich muss ihn in den nächsten Wochen reparieren, ein Projekt, mit dem ich wahrscheinlich morgen starten werde. Bald beginnt die Viehschau-Saison, weshalb ich eine Weile nicht zu Hause sein werde. Die Rinder müssen verkauft werden, und da ich ein Ein-Mann-Betrieb bin, abgesehen von den Saisonarbeitern, die ich einstelle, bin ich der Einzige, der das machen kann.

Starlight weicht zurück und schüttelt den Kopf. Ich weiß, was das bedeutet. Sie will rennen. „Willst du loslegen, Mädchen?“, frage ich sie und beuge mich zu ihrem Ohr hinab.

Sie wiehert abermals, woraufhin ich zweimal mit der Zunge schnalze, was das Zeichen ist, dass sie losrennen darf. Ich lasse sie laufen und genieße es, wie sich der warme Wind auf meinem Gesicht anfühlt. Ich hebe die Hand, um meinen Hut festzuhalten, während sie Vollgas gibt.

Als sie genug hat, teilt sie mir dies mit einem Wiehern mit und verfällt in einen gemütlichen Trab. Wir befinden uns mittlerweile in der Nähe des Tors zum Grundstück. Ich setze mich etwas aufrechter hin und blicke zur Landstraße hinüber, an der fast alle meine Freunde wohnen, außer Rylan und Channing.

Ein schickes, schwarzes Auto fährt langsam an uns vorbei. Stirnrunzelnd lenke ich Starlight näher an das Eingangstor heran. Ich bin darauf bedacht, sie von dem Elektrozaun fernzuhalten, dirigiere sie aber dennoch bis kurz vor den Zaun.

Ich konzentriere meinen Blick auf den Wagen und beobachte, wie er langsamer wird und vor meinem Eingang zum Stehen kommt. Wartend frage ich mich, wer zum Teufel das sein könnte, der direkt vor meinem Tor vorgefahren ist?

Ich neige den Kopf zur Seite und warte darauf, dass jemand aussteigt. Aber wer auch immer in dem Auto sitzt, kommt nicht heraus. Plötzlich fährt der Wagen wieder an und rast meine Auffahrt entlang.

Ich wende Starlight und reite sie zur Scheune zurück. Ich habe keine Zeit, herumzusitzen und mich zu fragen, wer zum Teufel die Straße entlanggefahren ist, denn ich habe eine Million anderer Dinge zu tun, bevor die Sonne untergeht.

Den Rest des Tages konzentriere ich mich auf meine Arbeit, aber ich bekomme den mysteriösen schwarzen Wagen nicht aus dem Kopf. Wer zum Teufel kommt hierher, hält an und fährt dann wieder weg? Jeder, der diese Landstraße befährt, hat normalerweise ein bestimmtes Ziel.

Ich schnappe mir ein Handtuch und wische mir damit den Schweiß aus dem Gesicht. Anschließend nehme ich mir eine Wasserflasche zur Hand und trinke einen kräftigen Schluck. Ich beschließe, dass ich mir eine Pause verdient habe, gehe zu einem kleinen Fass, das neben der Scheune steht, und setze mich hin.

Ich lehne mich mit dem Rücken gegen die Scheune und stöhne auf, als auf meinem Handy eine Textnachricht eingeht.

Beau:Ruf mich an.

Stirnrunzelnd wähle ich seine Nummer.

„Sitzt du?“, will er wissen.

„Jepp.“

Er gibt ein Grunzen von sich. „Es sind Bilder von Stephanie aufgetaucht“, murmelt er.

„Und das interessiert mich, weil?“, frage ich. Ich bin mir nicht sicher, warum er mir davon erzählt.

Ich nehme an, weil es kein Geheimnis ist, dass ich immer noch etwas für Stevie empfinde. Keine Ahnung, wie ich meine Gefühle für sie beschreiben soll, ob ich sie hasse, ob ich sie liebe, ob ich mich nach ihr sehne oder einfach nur verwirrt bin. Aber die Wahrheit ist, dass ich noch immer etwas für sie fühle.

„Es ist schlimm, Bruder“, teilt er mir mit. „Es sind Sexbilder. Ich weiß nicht, wie sie an sie herangekommen sind. Sie sind jedenfalls nicht verpixelt, sie sind glasklar und überall.“

Ich bleibe einen Moment lang stumm. Irgendetwas erfüllt mich, und ich weiß nicht genau, was es ist, aber es gefällt mir nicht, wie ich mich dabei fühle. Bei dem Gedanken daran, dass irgendwer Stephanie so abgelichtet hat, dreht sich mir der Magen um. Doch noch viel schlimmer ist, dass die ganze verdammte Welt die Bilder nun zu sehen bekommt.

„Ich muss los“, ist alles, was ich darauf antworte.

Ohne noch ein weiteres Wort zu verlieren, öffne ich den Internetbrowser auf meinem Handy und suche nach Nacktfotos von Sterling LaRue. Sofort werden sie mir angezeigt. Und Beaumont hatte recht, sie sind kristallklar. Bei ihrem Anblick weiten sich meine Augen. Sie ist umwerfend. Sie hat sich ihre Nippel piercen lassen.

Kapitel 3

Stephanie

Mein Telefon hat ununterbrochen geklingelt. Da so viele Leute versucht haben, mich zu erreichen, habe ich es ausgeschaltet und beschlossen, eine Runde durch die Gegend zu fahren. Damion und Grace sind die Einzigen, deren Anrufe ich entgegengenommen habe. Zum Glück haben sie mir geglaubt, als ich meinte, dass es mir gut geht. Nach mehreren Anrufen und Zusicherungen lassen sie mich endlich in Ruhe – zumindest vorerst.

Ich biege in eine Landstraße ein. Eine Straße, die ich fast genauso gut kenne wie die Straße, in der ich aufgewachsen bin. Ich seufze. Ich weiß nicht, warum ich hierhergefahren bin, vielleicht um ein nostalgisches Gefühl zu verspüren. Ich bin überrascht, wie viele Einfahrten nun zu beiden Seiten der Straße existieren, denn das war früher nicht der Fall.

Einige Zufahrtstore wirken teuer und wunderschön. Ich frage mich, wer heutzutage noch so weit draußen auf dem Land wohnt? Ich schätze, keine Einheimischen. Niemand aus Gallup besitzt so viel Geld.

Mir stockt der Atem, als ich es endlich sehe. Auf der rechten Seite der zweispurigen, unbefestigten Straße. Zwei hohe Holzpfähle, auf denen ein schwerer Balken befestigt ist. An dem Querbalken des Tors wurde ein Metallemblem angebracht. Das ist neu. FBM. Mein Herz schlägt Purzelbäume bei diesem Anblick. Es sind seine Initialen.

Es gibt auch ein Metalltor, das nur mit einem Vorhängeschloss an einer Kette abgesperrt ist. Beides ist nicht neu, sondern stammt vermutlich noch von Fords Großvater.

Zu beiden Seiten des Tors befindet sich ein Pferdezaun, von dem ich weiß, dass er das gesamte Grundstück umgibt. Zudem weiß ich, dass Ford ihn immer selbst repariert, seit er dreizehn Jahre alt ist.

Ich erinnere mich noch daran, wie wir, als wir noch klein waren, auf dem Rücken seines Pferdes die Zäune kontrolliert haben. Anschließend picknickten wir unter einem Baum oder ich sah ihm bei der Arbeit in der heißen Sonne zu. Meistens zog er sich das Hemd aus und erledigte seine Tätigkeiten nur in Wrangler-Jeans und mit einem Cowboyhut aus Stroh auf dem Kopf.

Das habe ich geliebt – jede einzelne Sekunde davon.

In diesen Momenten träumte ich davon, mit ihm auf seiner Ranch zu leben. Unser Leben wäre so einfach gewesen, so biodynamisch. Ich verlangsame das Tempo und bringe den Wagen zum Stillstand, während ich meinen Blick über das Land seiner Familie gleiten lassen. Dieser Grund und Boden ist seit Generationen im Besitz der Familie Matthews.

Letztlich hatte ich größere Träume als ein einfaches, entspanntes Leben. Ich wollte raus in die Stadt. Wollte mein Glück versuchen, groß rauszukommen. Ich wollte mich ausprobieren. Ford wäre nicht mit mir gegangen und selbst wenn er es getan hätte, hätte er jede einzelne Sekunde gehasst.

Hier hat er seinen Frieden. Nie hat er durchklingen lassen, dass er Interesse daran hat, irgendwo anders als auf dieser Ranch zu leben. Mir blieb keine andere Wahl, als zu gehen. Sosehr ich es auch verabscheut habe, ihm wehzutun und ihn sitzen zu lassen, musste ich es dennoch tun.

An dem Tag, als ich ihm, unseren Freunden und Familien gegenüberstand, wusste ich, dass ich uns beide unglücklich machen würde, wenn ich den Gang vor den Traualtar durchziehen würde.

Ich wende mein Auto, lasse die Ranch hinter mir und fahre zurück in die Stadt. Da mein Magen knurrt, beschließe ich, einen Zwischenstopp beim Supermarkt einzulegen und mir etwas zu essen zu kaufen, das frisch ist. Ich kann weder das Essen aus dem Diner noch Lulamaes verurteilenden Blick ertragen. Nicht heute.

Ich fahre zu HEB, einer bekannten Supermarktkette in Texas, und lächle, als ich auf den Parkplatz einbiege. Gott, es ist ein ganzes Leben her, seit ich das letzte Mal in einem HEB-Lebensmittelladen war. Nachdem ich eine freie Parklücke gefunden habe, stelle ich meinen Wagen ab und starre auf den Eingang. Es hat sich nichts verändert, absolut nichts.

Ich lasse meine Brille auf der Nase, steige aus dem Auto und gehe hinein. Heute bin ich ziemlich leger gekleidet. Ich trage eine Jeans, ein T-Shirt und flache Sandalen. Außerdem bin ich ungeschminkt und habe meine Haare zu einem Zopf geflochten. Ich hoffe darauf, nicht erkannt zu werden.

Da Lulamae gestern sofort wusste, wer ich bin, sind meine Hoffnungen in dieser Hinsicht nicht allzu groß. Ich schnappe mir einen Einkaufskorb und begebe mich zu den Frischwaren. Staunend nehme ich die Größe der Bio-Abteilung zur Kenntnis, die dreimal so groß ist, wie ich sie mir vorgestellt habe.

Ich greife nach den gelben Pfirsichen und stöhne auf, als ich mir einen davon unter die Nase halte. Er duftet fantastisch. Er riecht nach zu Hause. Eigentlich sollte ich sie nicht kaufen, weil das Obst zu viel Zucker enthält, aber ich kann mich nicht davon abhalten, zwei von ihnen in meinen Korb zu legen.

„Großartig, oder?“, höre ich eine Frauenstimme neben mir fragen.

Ich blicke zu ihr hinüber und lächle sie an. Ein Kleinkind sitzt in ihrem Einkaufswagen, das die Beine baumeln lässt und seine Hände um den Griff geschlungen hat. Ein weiteres Kind sitzt im hinteren Teil des Wagens. Die Frau hat langes blondes Haar, das ebenso wie meines zu einem Zopf geflochten ist. Und obwohl sie müde wirkt, sieht sie glücklich aus.

„Seit mehreren Jahren hatte ich schon keinen mehr“, gestehe ich ihr.

Sie neigt den Kopf zur Seite, ihre Augen scannen mein Gesicht. Ich rechne damit, dass sie mich erkennt, aber dem scheint nicht so. Sie lächelt lediglich, dann dreht sie sich zu dem kleinen Jungen um.

„Reese, Liebling, kannst du ein paar Pfirsiche für Daddy einpacken? Er hat mich gebeten, in diesem Sommer Pfirsichmarmelade einzumachen.“

Bei dem Gedanken an Pfirsichkonfitüre, an Pfirsichmarmelade, stöhne ich fast auf. Sie fährt damit fort, Dinge in ihren Wagen zu packen, und ich kann nicht anders, als ihr dabei zuzusehen. Sie scheint ein paar Jahre jünger als ich zu sein, aber sie wirkt sehr glücklich. So verdammt glücklich. Ich frage mich, ob ich auch so glücklich hätte werden können, wenn ich hiergeblieben wäre.

„Geht es dir gut?“, möchte sie ein paar Augenblicke später wissen.

Ich schüttle den Kopf, lächle sie an und schiebe die Brille in meine Haare. „Ja, tut mir leid. Du siehst sehr glücklich aus. Das ist niedlich.“

Sie runzelt die Stirn, dann erwidert sie mein Lächeln sanft. „Ich bin auch sehr glücklich.“

Wir plaudern ein paar Minuten miteinander. Ich erfahre von ihr, dass sie seit etwas mehr als drei Jahren verheiratet ist und ihr ganzes Leben lang schon hier lebt. Ich erinnere mich nicht an ihren Namen, auch nicht, als sie sich mir als Channing vorstellt. Da sie etwas jünger ist als ich, bin ich wahrscheinlich nicht mit ihr zur Schule gegangen.

„Das klingt jetzt vielleicht etwas komisch, aber ein paar Freunde von uns haben beschlossen, heute Abend am See zu grillen. Du bist herzlich eingeladen, dich uns anzuschließen. Wir wollen einfach nur grillen und abhängen, und je mehr Leute wir sind, desto lustiger wird’s.“

Mein Gott, ich habe ganz vergessen, wie das Leben in einer Kleinstadt ist. In L.A. würde mich niemals eine völlig Fremde einladen, selbst wenn das Treffen in der Öffentlichkeit stattfinden würde.

Ich denke darüber nach, abzulehnen. Aber dann kommt mir in den Sinn, dass ich ganz allein mit meinen Gedanken und nichts weiter als einem Handy wäre, auf dem diese doofen Bilder gespeichert und Millionen verpasster Anrufe auf dem Display zu sehen sind.

„Okay.“ Ich nicke. „Was soll ich mitbringen?“

Sie grinst mich an. „Nur dich selbst und irgendetwas zum Teilen. Wir werden Burger und Hotdogs machen. Da Tulip sowieso immer Nachtisch für alle mitbringt, habe ich sie gebeten, ihren berühmten Kuchen zu machen. Ich hoffe, ich trete dir nicht zu nahe, aber du bist doch Single, oder?“

Ich stoße ein Schnauben aus, da ich es nicht unterdrücken kann. „Bin ich.“

„Wäre es seltsam, wenn ich dir jetzt sage, dass ich glaube, dass einer meiner Freunde total auf dich stehen könnte? Ich meine, er wäre stinksauer, wenn er wüsste, dass ich dir das erzähle, und ich will ganz gewiss keinen Druck ausüben. Aber es ist nun mal so, dass unsere Clique nur aus Pärchen besteht und ich weiß, dass er sich manchmal wie das fünfte Rad am Wagen fühlt. Es könnte schön für ihn sein, wenn er auch mal jemanden kennenlernt“, sagt sie achselzuckend.

Mein Herz hämmert plötzlich ganz heftig in meiner Brust, und ich überlege, ihr nun doch abzusagen, aber dann entscheide ich mich dazu, dass das vielleicht auch meine Chance ist, jemand Nettes kennenzulernen. Warum also nicht? Außerdem kann ich jederzeit gehen, wenn ich das denn will. Schüchtern war ich noch nie, nicht einmal als Kind, wieso sollte das jetzt anders sein?

„Ich bin zwar nur für ein paar Wochen in der Stadt, aber ja, das klingt nach Spaß.“ Ich lächle ihr zu.

Bevor ich Channing und den Laden verlasse, kaufe ich ausreichend Lebensmittel für den Grillabend sowie für mich selbst ein.

Ich erlaube mir, diesen Abend mit diesen neuen Leuten zu verbringen, doch morgen muss ich mich wieder meiner eigentlichen Aufgabe widmen, dem Grund, wieso ich hier bin. Morgen muss ich mein Elternhaus durchforsten.

***

Ford

Ich bin mir nicht sicher, warum wir nicht bei irgendjemandem zu Hause grillen anstatt an diesem verdammten See, aber ich beschließe, mich nicht deswegen zu beschweren.

Ich hole meine Angelrute und meinen Angelkoffer aus dem Kofferraum, da ich mich dazu entschieden habe, ein bisschen zu fischen, wenn ich schon mal hier bin. Da Reese total gern angelt, habe ich eine Cars-Angelrute dabei, die ich vor einem Jahr bei Walmart gekauft habe.

„Onkel Ford“, schreit Reese lauthals, sobald er mich näher kommen sieht.

Ich sehe ihm dabei zu, wie er seine kleinen Beinchen zu bewegen beginnt, und stelle schnell die Angel nebst Zubehör ab, damit er sich in meine Arme stürzen kann. Ich hebe ihn hoch und drücke ihn an meine Brust, während er kichert.

„Angeln wir?“, fragt er mich.

„Ja, Kumpel, wir gehen fischen.“

„Juhu“, schreit er.

Ich stelle ihn wieder auf seinen Füßen ab und nehme meine Angel sowie den Koffer in eine Hand, damit ich mit der anderen seine halten kann. Gemeinsam gehen wir Hand in Hand auf den Rest der Gruppe zu. All meine Freunde sind hier, mit ihren Kindern.

Ich kann den Anflug von Traurigkeit nicht unterdrücken, der mich durchströmt, als ich sie alle mit ihren Familien sehe. Genau davon habe ich auch immer geträumt. Allerdings sind meine Wünsche nie in Erfüllung gegangen, und in meinem Alter werden sie das wohl auch nicht mehr. Das Einzige, was ich im Moment sein kann, ist der verdammt beste Onkel Ford. Und genau darum werde ich mich bemühen.

Channing und Exeter halten sich in der Nähe des Essens auf und treffen Vorbereitungen, während ich mich der Gruppe nähere.

„Reese, du darfst nicht einfach weglaufen“, schimpft Channing. Dabei umspielt ein kleines Lächeln ihre Lippen.

Reese schaut auf seine Füße, dann hebt er den Blick. „Ich musste es tun.“

„Du musstest?“, hakt sie nach und zieht eine Augenbraue in die Höhe.

Er nickt. „Onkel Ford hat mich gebraucht.“

Ich presse die Lippen zusammen und versuche, nicht über den kleinen Jungen zu lachen.

„Er hat dich gebraucht?“, fragt Channing, da er seine Worte nicht weiter erklärt.

„Onkel Ford ist ganz allein, Mama. Er braucht mich, damit er nicht einsam ist“, lässt er sie wissen und schaut sie mit diesen großen blauen Augen an, die einfach viel zu süß sind.

Er ist viel zu aufmerksam, oder vielleicht hat er ein Gespräch zwischen Rylan und Channing mitbekommen, das nicht für seine Ohren bestimmt war. Egal, ich nehme es ihm nicht übel, denn er hat absolut recht.

Channing kann sich nun auch nicht mehr beherrschen. Sie lacht leise und schüttelt dabei den Kopf. „Geh und hilf deinem Daddy.“

„Tschüss“, ruft Reese, dreht sich um und läuft zu Rylan und Wyatt, die gerade den Grill vorbereiten.

„Tut mir leid“, murmelt Channing.

Ich schüttle den Kopf und greife nach Brooks, die auf Channings Arm herumzappelt. „Verdammt, Mädchen, was gibst du diesem Kind zu essen?“, frage ich sie stöhnend, nachdem ich sie ihr abgenommen habe.

Sie schnappt nach Luft und legt sich eine Hand auf die Brust, um so zu tun, als hätten meine Worte sie schwer getroffen. „Sie ist gesund und glücklich, Ford.“

„Das spüre ich, denn ich habe mir fast den Rücken verrenkt“, murmle ich.

Lachend schüttelt sie den Kopf. „Du redest so einen Blödsinn, Ford Matthews.“

Brooks hebt ihre kleinen Hände und klatscht sie gegen meine Wangen, womit sie meine Aufmerksamkeit von ihrer Mom auf sich lenkt. Ich lächle sie an und schaue in ihre blauen Augen, die denen ihres Vaters ähneln.

„Hey, Süße“, flüstere ich. „Du bist schon ein großes Mädchen, nicht wahr?“

Sie brabbelt vor sich hin, dann streckt sie die Zunge heraus und pustet, was ein Furzgeräusch erzeugt und mir einen Schwall Babysabber beschert. Ich lege eine Hand auf ihren Hinterkopf, schließe die Augen und lache laut auf. Dann senke ich den Kopf, vergrabe mein Gesicht an ihrem Hals und erzeuge ebenfalls ein Pupsgeräusch, was sie dazu veranlasst, in meinen Armen herumzuwackeln, zu kichern und sich zu winden.

Das Lachen eines Babys zu hören, würde den größten Schmerz dieser Welt lindern, und Brooks’ Lachen bewirkt genau das. Ich halte sie weiterhin in meinen Armen und gehe zu Louis und Tulip hinüber, die neben Rylan und Wyatt sitzen, die noch immer damit beschäftigt sind, den Grill zu befeuern.

„Ford, Bruder“, begrüßt Louis mich und steht auf.

Ich strecke meine Hand aus, um seine zu schütteln, während er mir auf den Rücken klopft.

„Hey“, murmle ich.

Tulip erhebt sich, woraufhin Louis ebenfalls aufsteht, um ihr zu helfen. „Ich bin keine Invalidin“, schnaubt sie.

Mein Blick wandert zu ihrem Bauch. „Wie lange noch?“

„Drei Monate.“ Sie lächelt, als sie eine Hand auf ihren Bauch legt. Ich beobachte, wie sie ihn liebevoll streichelt, dann stößt sie hörbar den Atem aus. „Ich glaube, Louis macht riesige Babys, denn ich fühle mich unglaublich fett.“

Brooks lacht, was uns alle schmunzeln lässt. „Ich finde, du siehst wunderschön aus, Tullie“, schleimt Louis.

„Er hat recht, Tulip. Du bist hübsch.“ Ich lächle ihr zu.

Sie rollt dankend mit den Augen, dann macht sie sich auf den Weg zu den anderen Frauen.

„Ich habe wohl vergessen, zu erwähnen, dass ich bei meiner Geburt fast fünf Kilogramm gewogen habe“, flüstert Louis.

„Scheiße“, fluche ich. „Du riesiger Bastard.“

Louis bricht in schallendes Gelächter aus, Rylan und Wyatt stimmen mit ein. „Du weißt schon, dass dir ein Baby gut steht, oder? Nur, damit ich es mal gesagt habe“, murmelt Wyatt in meine Richtung.

Ich nehme Brooks auf meinen anderen Arm und drehe den Kopf, um ihn anschauen zu können. „Vielleicht behalte ich einfach deinen Knirps. Es macht den Anschein, als würdest du ständig neue produzieren und hättest dementsprechend ein oder zwei abzugeben.“

„Mach dir ein eigenes“, schnauzt Rylan.

Allesamt müssen wir lachen. Als Brooks unruhig wird, schüttle ich den Kopf. „Ich bringe sie zu ihrer Mom zurück. Oder willst du sie nehmen?“, frage ich Rylan.

Er schüttelt den Kopf. „Während ich am Grill stehe, kann ich sie nicht beaufsichtigen. Sie ist viel zu neugierig, verdammt.“

Ich wende mich von den Jungs ab und gehe zu den Frauen. Sie sind in eine Diskussion vertieft und haben die Köpfe zusammengesteckt. Hutton hat sich mittlerweile zu ihnen gesellt, und ich frage mich, worüber sie zum Teufel schon wieder tuscheln. Irgendwas ist bei ihnen immer im Busch.

Sobald ich mich ihnen nähere, verstummt das Gespräch.

„Okay“, sage ich lachend. „Die hier wird langsam ein wenig unruhig, Mami. Reese will wahrscheinlich die Angel auswerfen und mit mir ans Wasser.“

„Ford?“, höre ich eine Stimme sagen.

Als ich den Kopf über die Schulter drehe, hört mein Herz bei dem Anblick, der sich mir bietet, auf zu schlagen.

Kapitel 4

Stephanie

Oh. Mein. Gott.

Ford Matthews schaut mich an und hält dasselbe süße kleine Mädchen in seinen Armen, auf das ich im Supermarkt getroffen bin. Channing nimmt ihm das Baby ab. Mein Blick wandert von ihm zu ihr, dann wieder zu ihm. Oh Gott. Sie sehen umwerfend zusammen aus.

Es war klar, dass er eine Frau finden und eine wunderschöne Familie gründen würde. Ich wusste, dass es so kommt, aber es mit eigenen Augen zu sehen, bricht mir verdammt noch mal auf der Stelle das Herz.

Ford sieht mich stirnrunzelnd an und verschränkt die Arme vor der Brust, während er mir in die Augen sieht. „Was zum Teufel machst du hier?“