Crossing America - Jonas Deichmann - E-Book + Hörbuch

Crossing America Hörbuch

Jonas Deichmann

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Beschreibung

"Ein vermessenes Vorhaben, eigentlich. Wäre da nicht Deichmanns Vorgeschichte." (Frankfurter Allgemeine Zeitung) "Jonas Deichmann erfüllt sich mit seiner Tour zwischen Atlantik und Pazifik seinen ganz eigenen amerikanischen Traum." (stern) 120 Marathons in 100 Tagen: Inspiriert von seinem Filmhelden Forrest Gump läuft Jonas Deichmann quer durch die gesamten USA von Los Angeles bis nach New York. Und damit seine Leidenschaft fürs Radfahren nicht zu kurz kommt, nimmt er das Rad, um zunächst auf der umgekehrten Strecke seinen Startpunkt zu erreichen. "Trans America Twice" ist die neue große Challenge des Extremsportlers aus Stuttgart, der mit seinem Triathlon um die Welt Abenteuergeschichte geschrieben hat. Was er dabei erlebt? Die unglaubliche Weite des nordamerikanischen Kontinents, extreme Strapazen und Momente größten Glücks. In erster Linie sind es aber die Menschen, denen er begegnet, die er zum Mitlaufen motiviert und die ihm mit ihrer Gastfreundschaft die unterschiedlichsten Perspektiven auf das Land bieten, das das Streben nach Glück in seiner Verfassung verankert hat. Ein inspirierendes Buch voller Abenteuer und ein unwiderstehlicher Ansporn, das Leben in die eigene Hand zu nehmen.

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Zeit:5 Std. 35 min

Sprecher:Jonas Baeck

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Impressum

© eBook: 2023 GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, Postfach 860366, 81630 München

© Printausgabe: 2023 GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, Postfach 860366, 81630 München

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, sowie Verbreitung durch Film, Funk, Fernsehen und Internet, durch fotomechanische Wiedergabe, Tonträger und Datenverarbeitungssysteme jeglicher Art nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags.

Text: Jonas Deichmann, Martin Waller, Carsten Polzin

Redaktion und Projektmanagement: Melanie Loser

Lektorat: Martin Waller, Werkstatt München – Buchproduktion, Carsten Polzin

Schlusskorrektur: Chris Tomas

Gestaltung: Anja Dengler, Werkstatt München – Buchproduktion

Bildredaktion: Martin Waller

Covergestaltung: ZERO Werbeagentur, München

Kartografie: Denise Sterr

eBook-Herstellung: Maria Prochaska

ISBN 978-3-8464-1004-2

1. Auflage 2023

GuU 4-1004 12_2023_02

Bildnachweis

Coverabbildung: Markus Weinberg

Fotos: Alamy Stock Foto: Maximum Film/PARAMOUNT; Jonas Deichmann; Markus Weinberg; Martin Waller; Sammy Deichmann

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Hinweis

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in diesem Buch bei Personenbezeichnungen das generische Maskulinum verwendet. Es gilt gleichermaßen für alle Geschlechter.

Was erwartet den »deutschen Forrest Gump« (DER SPIEGEL) auf seinem neuen großen Abenteuer »Trans America Twice«? Die unglaubliche Weite des nordamerikanischen Kontinents, extreme Strapazen und Momente größten Glücks.

Vor allem aber sind es die Menschen, denen Jonas Deichmann begegnet und die ihm mit ihrer Gastfreundschaft unterschiedliche Perspektiven auf das Land der unbegrenzten Möglichkeiten bieten.

»Jonas Deichmann erfüllt sich mit seiner Tour zwischen Atlantik und Pazifik seinen ganz eigenen amerikanischen Traum.«

stern

»Sein nächster verrückter Trip.«

Handelsblatt

»Ein vermessenes Vorhaben, eigentlich. Wäre da nicht Deichmanns Vorgeschichte.«

Frankfurter Allgemeine Zeitung

»Das Motto seines Idols Forrest Gump begleitet ihn von Kilometer eins an: einfach reingreifen in die Pralinenschachtel des Lebens und abbeißen, egal wie die Umstände sind.«

Süddeutsche Zeitung

Prolog

Das Unwetter bricht völlig überraschend und mit überwältigender Wucht los. Eine Windböe packt mich und wirft mich fast vom Rad. Fette Hagelkörner prasseln herab, ihr Trommeln auf dem Fahrradhelm ist wie ein Martyrium. Aus dem lauen Lüftchen ist innerhalb weniger Minuten ein ausgewachsener Sturm geworden. Blitze schlagen auf der weiten, verwaschenen Ebene ein, manche am dunklen Horizont, andere gefährlich nahe, sodass ich geblendet die Augen schließen muss. Der Donner ist ohrenbetäubend.

Jetzt ist guter Rat teuer. Zu allen Seiten erstreckt sich die weite Prärie, ein Platz zum Unterstellen ist nirgends in Sicht. Anhalten würde nichts nützen. Wieder schlägt mit lautem Krachen ein Blitz ein, gefühlt nur wenige Meter neben mir. Jetzt bekomme ich es schon ein wenig mit der Angst zu tun. Ziehe ich auf meinem Fahrrad in dieser flachen Landschaft nicht den Blitz an wie ein Kreuz auf dem Berggipfel? Ich trete automatisch weiter in die Pedale und kämpfe gegen den Wind, Hagel und Regen an, die mich nun frontal in die Zange nehmen. Fieberhaft arbeitet es in mir, was zu tun ist. Was würde wohl im Lehrbuch stehen? Das Fahrrad zurücklassen und sich klein machen, um möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten? Sich auf den Boden legen? In unseren europäischen Breiten sind wir es nicht gewohnt, diesen Extremen in freier Natur ausgesetzt zu sein. Meist lächelt man die Sorge über einen Blitzschlag einfach weg. Was soll schon passieren? Hier ist es anders. Ich bin hier draußen vollständig allem ausgeliefert. Und wenn es mich trifft, ist es vermutlich vorbei. Denn selbst wenn ich den Blitzschlag überlebe – würde mich hier draußen überhaupt irgendjemand finden?

Also tue ich in dem tosenden Chaos das Einzige, was mir noch einfällt: Ich fahre weiter. Mein ganzes Wesen ist schließlich auf Durchhalten getrimmt. Völlig durchnässt gehe ich aus dem Sattel und treibe die Pedale nach vorne. Es geht quälend langsam. Meter um Meter krieche ich die Straße entlang, versuche, mich an den gelben Mittelstreifen auf dem schwimmenden Asphalt zu orientieren.

Wie lange geht das gut?

Forrest Gump als Vorbild

Ich bin mal wieder unterwegs.

Diesmal auf dem Weg durch die USA, die ich zweimal durchqueren will: mit dem Fahrrad von Ost nach West, das heißt, von New York nach Los Angeles, und dann auf einer weiter südlich verlaufenden Route wieder zurück von Los Angeles nach New York. Das ist ein Traum von mir, seit ich mit 12 oder 13 Jahren den Film »Forrest Gump« gesehen habe. Natürlich ist die ganze Geschichte des Films viel komplexer, doch der Abschnitt, in dem Forrest anfängt, durch die gesamten USA zu laufen, und läuft und läuft, der hat sich mir besonders eingeprägt. So etwas wollte ich auch einmal machen. Ich habe mir aber vorgenommen, anders als der von Tom Hanks gespielte Filmheld nicht einfach irgendwann zu stoppen. Forrest hatte schließlich genug von dem Gelaufe. Ich werde erst genug haben, wenn ich wieder an der Brooklyn Bridge stehe.

Von Haus aus bin ich begeisterter Radfahrer. Mein Vater erzählt gern die Geschichte, dass ich schon als Kind, um zu meinem Radsportclub zu kommen, von unserem Dorf aus jedes Mal zunächst eine steile Bergkette überwinden musste – natürlich per Fahrrad. Später unternahm ich im Urlaub lange Radreisen in alle möglichen Teile der Welt. Die erste Ultradistanz fuhr ich im Sommer 2017 vom westlichsten Punkt Europas, dem Cabo da Roca in Portugal, bis nach Wladiwostok im russischen Fernen Osten. Um das zu realisieren, hatte ich noch meinen damaligen Arbeitgeber überzeugen müssen, der mich großzügig freistellte und meine Unternehmung finanziell unterstützte. Genau genommen habe ich es ihm schlecht gedankt, denn im Jahr darauf kündigte ich, um fortan das Abenteuer zu meinem Beruf zu machen. Mittlerweile haben mein Ex-Chef und ich aber wieder ein gutes Verhältnis.

Meine Radreisen führten mich auch immer wieder zu Weltrekorden. So halte ich den Rekord für die schnellste West-Ost-Durchquerung Europas auf dem Fahrrad (6400 Kilometer in gut 25 Tagen) und die schnellste Durchquerung Eurasiens (14.331 Kilometer in 64 Tagen). Beides auf der bereits erwähnten Fahrt 2017 von Portugal nach Wladiwostok. 2018 fuhr ich die Panamericana von Alaska nach Feuerland (23.112 Kilometer in knapp 98 Tagen) und 2019 »Cape to Cape« vom Nordkap in Norwegen bis zum Kap der guten Hoffnung in Südafrika (ca. 18.000 Kilometer in 72 Tagen).

Doch Rekorde zu sammeln war nie das einzige Ziel. Es ging mir vor allem darum, mich herauszufordern, etwas von der Welt zu sehen, Abenteuer zu erleben, auf andere Menschen zu treffen.

Während ich 2019 durch die Sahara fuhr, reifte deshalb ein neuer Gedanke in mir heran: Mit dem Rad hatte ich so ziemlich alles durchfahren – aber warum nicht auch die Sportart wechseln? Beziehungsweise andere Sportarten einbeziehen? Daraus entstand der Plan, die Welt einmal zu umrunden, und zwar in einem Triathlon: Schwimmen, Radfahren, Marathonlauf. Das bedurfte einiger Vorbereitung und war mit zahlreichen Unwägbarkeiten behaftet, vor allem weil zu dieser Zeit das Coronavirus umging und viele Landesgrenzen geschlossen waren. Als Einstimmung absolvierte ich im Sommer 2020 einen Triathlon rund um Deutschland, währenddessen ich den Bodensee durchschwamm, die Außengrenzen Deutschlands mit dem Fahrrad abfuhr und schließlich vom Bayerischen Wald und die Alpen entlang bis zum Start- und Zielpunkt Lindau lief.

Einmal um die Welt

Das klappte gut, und so startete ich Ende September 2020 auf die große Weltumrundung in 120 Ironman-Distanzen: ca. 460 Kilometer Schwimmen, über 21.000 Kilometer Radfahren und über 5000 Kilometer Laufen. Die ganze Geschichte erzähle ich in meinem Buch »Das Limit bin nur ich«, darum hier nur in Kürze: Die Schwimmstrecke längs der Adria verlangte mir alles ab. Zum Spielball von Wind und Wellen zu werden, denen menschliche Kräfte nichts entgegenzusetzen haben, war eine neue Erfahrung für mich. Ich schaffte es, auch wenn ich anschließend der Meinung war, dass meine Schwimmkarriere damit endgültig vorbei sei (das hat sich mittlerweile geändert, wie so viele Schwüre, die man während eines harten Rennens macht, schon kurz nach dem Ziel ihre Bedeutung verlieren). Als zweite Disziplin meines Mega-Triathlons folgten ein frohgemuter Aufbruch mit dem Rad durch Südosteuropa und ein wochenlanges, frustrierendes Warten in der Türkei, bis ich endlich die Einreisegenehmigung nach Russland erhielt. Wie gesagt, es war Pandemie und viele Grenzen waren geschlossen. Und heute, angesichts des Ukraine-Kriegs, wäre eine solche Reise überhaupt nicht mehr möglich.

Der erste Teil meines Triathlons: 54 Tage entlang der kroatischen Adriaküste

Mehr als ungemütlich: Im Winter mit dem Rad durch Sibirien

Sibirien durchquerte ich im Winter und stand, als ich im Mai in Wladiwostok ankam, vor einem neuen Problem. Hier nun schließt sich endlich der Kreis zum eingangs genannten »Forrest Gump«: Ich hatte vor, die Laufstrecke auf dessen Fußspuren durch die USA zu absolvieren. Hatte mir sogar eine rote Mütze mit der Aufschrift »Bubba Gump Shrimp Co.« zugelegt, wie sie auch Forrest bei seinem Lauf durch Amerika trägt. »I just felt like running« sollte auch zu meiner Devise werden. Doch die Grenzen der Vereinigten Staaten waren coronabedingt abgeriegelt.

Plan B sah vor, stattdessen durch Kanada zu laufen (ebenfalls dicht), Plan C durch Mexiko. Das klappte, und was ich niemals hätte voraussehen können: Die vermeintliche Notlösung Mexiko entwickelte sich zu einem grandiosen Laufabenteuer, das schöner nicht hätte sein können. Zu einer triumphalen Erfolgstour, während der ich Abertausende neue Anhänger gewann und als »Forrest Gump alemán«, als »deutscher Forrest Gump«, gewisse nationale Berühmtheit erlangte. Denn natürlich erzählte ich in vielen Interviews von meiner Liebe zu diesem Film, und natürlich trug ich auch in Mexiko die Bubba-Gump-Mütze.

Furioser Zieleinlauf in Cancún, Mexiko – das Ende meines Triathlons um die Welt

Mission unaccomplished

Ich hätte Mexiko also um keinen Preis missen wollen – und trotzdem steckte in mir noch dieser Stachel: Die geplante Durchquerung der USA stand nach wie vor fordernd auf meiner To-do-Liste und ließ mir keine Ruhe. Etwas unerfüllt zu lassen, zählt nicht zu meinen Charakterzügen. Hat sich einmal eine Idee in meinem Kopf zu einem konkreten Projekt geformt, finde ich erst meinen Frieden, wenn ich es durchgezogen habe. Also musste ein neuer Plan her …

Dazu muss man wissen, dass mein Leben ziemlich unstet verläuft, auch wenn ich mich nicht auf einer meiner Challenges befinde. Tatsächlich habe ich nicht einmal eine eigene Wohnung, sondern nur eine »Homebase« in der Schweiz. Wo ich mich jedoch nur selten länger aufhalte. Die meiste Zeit reise ich quer durch Europa, bin unterwegs zu Konferenzen, Vorträgen und Messen, zwischendrin gibt es Trainingslager und Fahrradtouren. Ich will mich keineswegs darüber beschweren, das ist das Leben, das ich mir ausgesucht habe. Aber dieses ständige Unterwegssein prägt einen doch und verstärkt die innere Rastlosigkeit noch ein Stück weit. Muss ich einmal längere Zeit an einem Ort verbringen, macht mich das nervös. Ich mag das Gefühl des Stillstands nicht, das sich sofort einstellt. Ich will dort draußen sein, in der Natur. Mein Gehirn arbeitet unaufhörlich an einem Plan für die nächste Challenge. Und treibt mich dazu an, die Ampel auf Grün zu schalten, sobald es möglich ist.

Nachdem ab Ende 2022 die Corona-Infektionszahlen sanken und die WHO im Mai 2023 die »internationale Gesundheitsnotlage« für beendet erklärt hatte, hoben auch die USA ihre pandemiebedingten Einreisebeschränkungen auf. Das hörte der »Forrest Gump« in mir mit Vergnügen. Endlich konnte ich meinen Lauf durch die USA wirklich in Angriff nehmen. Ein bisschen aufpeppen wollte ich das Vorhaben aber schon. Es motiviert mich stets besonders, etwas zu unternehmen, was vorher noch keiner gemacht hat, und so wurde die Idee einer doppelten Nordamerika-Durchquerung geboren: vom Atlantik zum Pazifik mit dem Fahrrad, gewissermaßen zum Warmfahren. Und dann zurück auf Forrests Spuren zu Fuß.

Um ehrlich zu sein: Ob das nicht doch schon mal irgendwer irgendwann einmal gemacht hat, wusste ich nicht sicher, bekannt war mir ein solches Vorhaben allerdings nicht. Ich müsste dabei auch keinen Rekord aufstellen; das war mir bei diesem Projekt von Beginn an sogar völlig egal. Um mir meinen lang gehegten Wunsch zu erfüllen, würde ich nichts tun müssen als nur meinen eigenen Vorgaben zu folgen: mit dem Fahrrad den Kontinent in einem Monat durchqueren, dann die 5000 Kilometer zurück nach New York in 100 Tagen laufen. Im Schnitt also 50 Kilometer am Tag, ohne Ruhetag.

Und abseits der sportlichen Herausforderung nahm ich mir vor allem vor, viel zu erleben, mich in der einzigartigen Natur Amerikas zu bewegen, Menschen zu treffen. Und viel Spaß zu haben.

Ende Juni schließlich sind alle Vorbereitungen getroffen, das Visum ist besorgt, der Flug gebucht. Es geht los!

Forrest Gump: Film und Vorbild

Diese Filmszene hat sich mir eingeprägt. Hier im Monument Valley beendet der Titelheld Forrest Gump seinen über drei Jahre dauernden Lauf durch Amerika. Ich folge seinen Spuren, und das beschränkt sich nicht nur aufs Laufen. Es ist vor allem ein Charakterzug an Forrest Gump, der mich von Anfang an fasziniert und inspiriert hat: Er macht einfach, was er sich vornimmt, und bleibt trotz aller Schicksalsschläge positiv. Bei vielen Vorhaben ist es ja am schwierigsten, überhaupt an die Startlinie zu kommen. Man zögert, hat Bedenken und tut es viel zu oft schließlich doch nicht. Forrest mag nicht der Hellste sein, aber er lässt sich von nichts abbringen. Ihm ist gerade nach Laufen? Also läuft er los – ohne Botschaft, ohne Ziel. Er gründet die Bubba Gump Shrimp Company, er hält weiter zu seinem vom Vietnamkrieg schwer gezeichneten Lieutenant Dan, obwohl der seinen Frust an ihm auslässt, er bleibt seiner großen Liebe Jenny treu. Und ganz nebenbei wird man als Zuschauer durch 30 Jahre amerikanischer Geschichte geführt, von John F. Kennedy bis Richard Nixon. Für mich ist Forrest ein Superheld der besonderen Art – ohne äußerliche Superkräfte, doch mit der einzigartigen Begabung, sich nicht beirren zu lassen. Ein Vorbild, dem ich gerne folge.

1. Eine Radreise

Holpriger Beginn

Das Gepäckband läuft noch, ist aber schon fast leer. Nur ein einzelner schwarzer Koffer zieht zum zweiten Mal seine einsame Runde und verschwindet wieder in dem Schlund, der bis vor Kurzem noch jede Menge Taschen und Koffer ausspuckte.

Die Mitreisenden, die gerade noch unter Schieben und Drängeln ihre Sachen vom Gepäckband heruntergewuchtet haben, sind verschwunden. Nur ich warte noch immer vor der Ausgabe für das Sperrgepäck. Doch es tut sich nichts. Schließlich stoppt auch das Band und alles verfällt in endgültige Stille.

Jetzt ist es klar: Hier kommt nichts mehr.

Mein Fahrrad ist nicht da.

Schon im Flieger hatte es begonnen. Nach einer gehörig verspäteten Landung in New York ließen sich die Außentüren nicht öffnen. Zwei Stunden lang harrten wir in der Kabine aus. Dann, nachdem wir endlich rausdurften, musste ich mich einer unangenehmen Prüfung beim Immigration Officer unterziehen. Ja, ich war schon einmal im Iran (während meiner Cape-to-Cape-Tour 2019), versuchte ich ihm klarzumachen, und trotzdem stelle ich keine Gefahr für die Sicherheit der Vereinigten Staaten dar. Was ich vorhabe, lässt sich leicht belegen, auf Social Media ist es doch schon in aller Munde. Schließlich ließ er mich passieren und wünschte mir sogar noch viel Glück für mein Unternehmen.

Doch das Glück scheint mich jetzt verlassen zu haben.

Es ist bereits nach Mitternacht. Da es keinen Sinn hat, das leere Gepäckband anzuschnauzen, suche ich den Reklamationsschalter, berichte dem müde aussehenden Menschen von dem Verlust, den er gleichmütig zu den Akten nimmt. Mir bleibt nur noch, in die Stadt zu fahren und zu versuchen, eine Mütze voll Schlaf zu bekommen. Morgen früh habe ich zwar immer noch kein Fahrrad, aber ich werde zumindest wacher sein. Und das Ganze auf irgendeine Weise klären können. Hoffe ich.

Summer in the City

Manhattan empfängt mich mit seinen grandiosen Häuserschluchten, den leuchtenden 24-Stunden-Dinern und den allgegenwärtigen gelben Taxis. Es ist eine großartige Stadt, und doch will ich nur weg, bevor ich richtig angekommen bin. Ich bin angetreten, Amerika zweimal zu durchqueren, da will ich nicht schon am Start hängenbleiben. Aber auch am nächsten Morgen scheint es ein Ding der Unmöglichkeit zu sein, den Verbleib meines Fahrrads zu klären. Ich hocke etwas missmutig im Hotelzimmer, schreibe Mails, rufe Hotlines an, chatte mit freundlichen Chatbots, die überzeugt sind, dass alles gutgehen wird. Doch weder bei der Fluglinie noch in New York am Flughafen scheint irgendjemand eine Ahnung zu haben, wohin mein Gepäck verfrachtet wurde. So klein ist mein Fahrrad doch nicht, es kann sich definitiv nicht in Luft aufgelöst haben! Irgendwo steht oder liegt es und stört dort ganz bestimmt. Hoffentlich ist es überhaupt noch intakt. Der Tag vergeht, ohne dass ich irgendetwas erreiche.

Die Nerven liegen bereits blank. So geht das nicht weiter, entscheide ich am nächsten Morgen. Tagelang werde ich hier nicht ausharren. Soll ich mir einfach ein neues Rad kaufen? Und den Rest meiner Ausrüstung dazu? Ein Teil davon befindet sich ja mit in der Fahrradbox. Möglich wäre es schon. Allerdings auch umständlich, kostspielig und zeitraubend. Mit vager Hoffnung und einer gehörigen Portion Verzweiflung fahre ich auf gut Glück noch einmal hinaus zum Flughafen.

»A bicycle?«, fragt der Bedienstete am Schalter, als ich beginne, ihm umständlich mein Leid zu klagen. »Well, there’s one standing there.«

Ich bin baff. Es ist hier, einfach so? Tatsächlich, da steht die Kiste. Als wäre es das Selbstverständlichste der Welt, dass sie hier auf mich wartet.

Wie sich herausstellt, war das Rad im selben Flieger wie ich gewesen, wurde ordnungsgemäß ausgeladen – ist dann jedoch vom Anhänger, der das Gepäck vom Flugzeug zum Terminal bringt, nicht zur Sperrgutausgabe gelangt. Es wurde schlicht vergessen. Und der müde Kollege am Reklamationsschalter hatte es in der Nacht versäumt, die Verlustmeldung ins System einzugeben, sodass niemand wusste, wem diese große Box gehört.

Ich sehe den Mitarbeiter am Schalter mit einer Mischung aus Wut und Erleichterung, jedenfalls ziemlich entgeistert an. Doch er zuckt nur die Achseln. »Ach, wenn Sie wüssten, was bei uns alles rumliegt und nicht abgeholt wird«, scheint sein Blick zu sagen.

Die ganze Sache zeigt einmal mehr, dass es sich lohnt, hartnäckig zu sein, dranzubleiben. Notfalls muss man die Leute nerven. Nur so ergeben sich auch in schwierig erscheinenden Situationen Lösungen.

Bevor ich mich noch zu weiteren Diskussionen hinreißen lasse, wuchte ich den Fahrradkarton aus dem Terminal und versuche mir klarzumachen, was geschehen ist: Vor einer halben Stunde war ich noch ziemlich verzweifelt. Und nun kann ich plötzlich doch starten. Kaum zu glauben, aber nun habe ich das Rad und lasse es nicht mehr aus den Augen, bis ich in Los Angeles vom Sattel steigen werde.

Hochhausschluchten

Ich will keine Zeit verlieren. Will nur noch los, auch wenn es bereits später Nachmittag ist. Doch jede Stunde, die ich heute noch vorankomme, wird mich der Westküste näherbringen – und mir dieses positive Kribbeln verschaffen, dass mein großes Abenteuer endlich begonnen hat.

Gegen 18 Uhr stehe ich im Brooklyn Park bereit zur Abfahrt, zusammen mit einem Fotografen meines Ausrüsters Scott, der kurzfristig kommen konnte. Die Vorstellung, wie es werden wird, erfüllt mich: die Weiten des Mittleren Westens, die Berge der Rocky Mountains, die Ankunft am Pazifik – alles erscheint in einer einzigen Vision vor meinem geistigen Auge zusammengefasst wie in einem Blitz. Es wird harte Momente geben und wunderschöne. Ich werde schwitzen und frieren, viel allein sein und berührende Begegnungen haben. Und vor allem: Ich werde Radfahren, bis zum Horizont und darüber hinaus. Mehr kann ich mir vom Leben nicht wünschen.

Der grandiose Blick vom Brooklyn Park hinüber auf die Hochhaustürme von Manhattan liefert ein paar schöne Fotos von mir am Start. Ich bin ganz hippelig, endlich in die Pedale zu treten, aber auch Profi genug, um für die paar Minuten noch geduldig zu posieren. Dann endlich steige ich auf, radle los und überquere die Brooklyn Bridge über den East River. Die tief stehende Sonne flirrt durch das Netz aus Eisenträgern, Stahlseilen und dem Drahtzaun, der die Fahrradspur in der Mitte der Brücke vom Autoverkehr abgrenzt. Meine Beine treten im Takt, das Herz pumpt reines Adrenalin durch meinen Körper, ich fühle mich berauscht. Nach all dem Frust ist die Euphorie umso größer.

Und was für ein Ort für den Auftakt einer solchen Reise! New York im Abendlicht ist unglaublich. Auf die oberen Stockwerke der Gebäude scheint noch die Sonne, manchmal blitzt sie durch die Lücken zwischen den Wolkenkratzern im Westen bis zu mir durch. Ich habe die Route absichtlich mitten durch Manhattans Hochhausschluchten gelegt und sauge alle Eindrücke auf. Der Verkehr ist heftig, stellenweise chaotisch, aber da die Autos auch nur langsam vorankommen, schwimme ich einfach mit oder schlängle mich durch. Wirklich gefährlich finde ich es zu keinem Zeitpunkt.

Über die 5th Avenue und den Broadway komme ich zum Times Square, dann geht es weiter Richtung Central Park. Überall herrscht reges Treiben. Die Menschen sitzen in Cafés, flanieren, genießen den Abend. Die Atmosphäre wirkt verführerisch anziehend, und ich bin versucht, mich einfach irgendwo dazuzusetzen. Aber noch eine Nacht in der Stadt bleiben? Nein. Also weiter, durch den Central Park, nach Harlem und zur George Washington Bridge, die mich über den Hudson River nach New Jersey bringt. Blutrot, fast ein bisschen kitschig, versinkt die Sonne direkt vor mir am rauchgrauen Horizont.

Das stimmungsvolle Bild hat allerdings einen ernsten Hintergrund: In Kanada brennen seit Wochen die Wälder auf riesigen Flächen. Die Feuerwehren konzentrieren sich darauf, bewohnte Gebiete zu schützen, doch wurden auch schon Evakuierungen angeordnet. Es handelt sich um die schwersten je registrierten Waldbrände, die in Hunderten Einzelfeuern Millionen von Hektar Wald vernichten. Und der Rauch zieht auch in die USA – bis nach New York, dessen Bewohner zeitweise aufgefordert wurden, nicht ins Freie zu gehen oder zumindest Maske zu tragen. Es muss bisweilen dramatisch gewesen sein. Heute ist von dem gelblichen Smog, der die Stadt eingehüllt hat, zwar nichts zu sehen, doch einen leichten Brandgeruch und ein Kratzen im Hals beim Atmen verspüre ich auch, und die Farbe des Horizonts zeigt, was erneut auf den Osten der USA zukommen kann, wenn der Wind nur ein bisschen dreht.

Ich kann nur hoffen, dass mir das erspart bleibt. Bei durchschnittlich 200 Kilometern am Tag brauche ich Luft zum Atmen. Noch brisanter könnte es werden, wenn ich auf der Laufstrecke mit Rauch zu kämpfen hätte. Eventuell nötige Umwege fallen da viel schwerer ins Gewicht. Das wäre eine ernsthafte Gefahr, doch gibt es im Moment nichts, was ich daran ändern könnte. Ich verschiebe den Gedanken also in einen hinteren Winkel meines Gehirns. Wenn es so weit kommt, werde ich mich dem stellen müssen.

Packliste der Fahrradstrecke:

Ortlieb-Bikepacking-Taschenset

Ultraleichtes Zelt MSR Hubba

Schlafsack und Isomatte (Sea to Summit)

Gaskocher Soto Windmaster

Topf, faltbarer Becher, Titanlöffel

2 Radtrikots, 2 Fahrradshorts, 2 Paar Socken

Windjacke

Regenjacke

Armwärmer

Kurzes und langes Merino-Unterhemd

Lange Hose

Boxershorts

Mini-Handtuch aus Mikrofaser

MTB-Fahrradschuhe

Leatherman Micra Multi-Tool, weiteres Werkzeug

Luftpumpe, 2 Ersatzreifen und -schläuche

Wahoo-Fahrradcomputer

Smartphone, GoPro, Ladekabel, Powerbank, AirPods

Fahrradscheinwerfer, Rücklicht, Stirnlampe

Hygieneartikel

Mexiko am Hudson River

»Hey, Jonas, super, dass ich dich hier treffe. Go, Forrest, go!« Der Mann, der mich an der Strecke abgepasst hat, lacht. Wir sprechen Englisch, aber es stellt sich heraus, dass er aus Mexiko stammt. Seit meiner Triathlon-Weltumrundung 2020/21 habe ich so etwas wie Kultstatus in Mexiko erlangt, was sich offensichtlich bis in die Diaspora verbreitet hat. Er ist auch nicht der Einzige, der mich auf dem Life-Tracker verfolgt und am Rande der Route auf mich wartet, um mich zu anzufeuern und ein Selfie mit mir zu machen. Sie alle sind ausnahmslos Mexikaner. Fühlt sich nicht an wie ein Zufall. Überhaupt genieße ich noch, dass New York – ebenso wie New Jersey – ein Melting Pot der Kulturen ist und ich so viel mexikanisches Essen haben könnte, wie ich möchte. Ich habe dieses Land einfach ins Herz geschlossen.

Ich fahre noch etwa 40 Kilometer weiter in die beginnende Nacht hinein. Ein angemessener Prolog für die Tour, würde ich sagen. Häuser, Straßen und wieder Häuser. Der Siedlungsbrei scheint nicht aufzuhören, kein Flecken Natur und damit auch keine Chance, mein Zelt aufzuschlagen. Auch egal, ich muss mir in dieser ersten Nacht sowieso ein Hotelzimmer nehmen, da ich die ganzen elektronischen Geräte, die mit in meiner Fahrradbox waren, vor meiner am Ende doch etwas überstürzten Abreise noch nicht hatte aufladen können.

Kutschen auf der Straße

New Jersey ist in Ost-West-Richtung nicht besonders groß, und so überquere ich am nächsten Morgen schon nach ein paar Stunden am Delaware River die Staatsgrenze nach Pennsylvania. Das urbanisierte Gebiet habe ich nun endlich hinter mir gelassen, und in dem hügeligen Gelände macht das Radfahren wieder richtig Spaß. Auch der kulturelle Unterschied macht sich unmittelbar bemerkbar. Plötzlich sind nur noch weiße Menschen zu sehen. Und ist das da vorne eine Pferdekutsche?

Es ist eine. Sie zuckelt ganz gemächlich die Straße entlang, wird von Autos überholt, die das anscheinend normal finden. Kein entnervtes Hupen, keine riskanten Überholmanöver, und auch umgekehrt scheint das Pferd keine Scheu vor den glänzenden Motorkutschen zu haben. Ich ziehe ebenfalls links vorbei und werfe einen Blick auf die Insassen. Eine Familie mit Kindern und alle sind recht ungewöhnlich angezogen. Der Mann, der die Zügel führt, trägt einen langen Bart und nickt freundlich herüber. Nun verstehe ich die Schilder besser, die schon seit der Staatsgrenze vor Pferdewagen auf der Straße warnten.

Dies bleibt nicht meine einzige Begegnung mit den Amish People, die in Pennsylvania mit vielen Gemeinden vertreten sind. Immer wieder sehe ich diese altväterlich gekleideten Menschen, mal in ihren Pferdekutschen, mal als Fußgänger neben der Straße. Nur am Steuer von Autos sehe ich sie nie.

In den USA gibt es viele christliche Glaubensgemeinschaften, deren Mitglieder in Europa verfolgt worden waren und die deshalb nach Amerika auswanderten. Im süddeutschen und Schweizer Raum führte ein gewisser Jakob Amman (1644–1730) eine Gruppierung der Täuferbewegung an, deren Anhänger nach ihm »Amische« genannt wurden. Sie wanderten im 18. und 19. Jahrhundert aus und fanden zum größten Teil in Pennsylvania ihre neue Heimat. Das Besondere an den Amish People ist nicht, dass sie versuchen, möglichst bibeltreu zu leben – das nehmen die meisten christlichen Amerikaner für sich in Anspruch –, sondern dass sie sich von der modernen Technik fernhalten. Keine Autos, keine Elektrizität. Konflikte mit ihren Autos, Strom und Internet nutzenden Mitbürgern gibt es dabei nicht, und auch ich wurde ja freundlich gegrüßt.

Waldland

In Pennsylvania fanden viele der Ausgewanderten ihre neue Heimat, weil der erste Gouverneur des Gebiets, William Penn, schon im 17. Jahrhundert Religionsfreiheit eingeführt hatte. Allen Menschen sollte hier ihr »Pursuit of Happiness«, das Streben nach Glück, möglich sein. Dass Pennsylvania eine Keimzelle der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung wurde, in der dieses Streben nach Glück zu den Leitsätzen zählt, ist sicherlich kein Zufall.

Ich lasse mich allerdings nicht nieder, sondern gebe eher noch ein bisschen mehr Gas – schließlich habe ich fast zwei verlorene Tage aufzuholen. Mittlerweile bin ich in den Appalachen angelangt, die keine besonders hohen oder langen, dafür ganz schön steile Anstiege zu bieten haben. Es geht durch viel Wald permanent rauf und runter, da kommen schon mal 3000 Höhenmeter an einem Tag zusammen. »Das Leben ist zu kurz, um immer nur im Flachen zu fahren« ist ja meine Devise, und so strebe auch ich hier nach meinem ganz persönlichen Glück, das darin besteht, zu fahren, wie es mir gefällt. Ja, ich habe mir ein strenges Tagessoll an Kilometern auferlegt, dennoch fühle ich mich unendlich frei. Es sind meine eigenen Gesetze, denen ich folge, das ist der Unterschied.

Die Gegend erinnert mich frappierend an deutsche Mittelgebirge – der Pfälzerwald oder der Hunsrück beispielsweise sehen ganz ähnlich aus. Nur dass hier die Häuser einzeln über das ganze Gebiet verstreut stehen und nicht in Dörfern zusammengefasst sind, wie ich es aus Europa kenne.

Hier ist auch Republikaner-Land. Pennsylvania gilt politisch als »Swing State«, doch in den ländlichen Gebieten, durch die ich fahre, steht (gefühlt) vor jedem dritten Haus ein Trump-Schild. Was nicht bedeutet, dass ich keine Hilfsbereitschaft erfahre. Trotz Trump-Fahne und einem Schild der Waffenlobby NRA wage ich mich zu einem Haus, um nach Wasser zu fragen. Meine Flaschen sind leer, und ich muss dringend etwas trinken, will ich nicht schon in dieser Phase des Projekts dehydrieren.

»Oh, please come in«, werde ich hereingebeten, die Frau des Hauses holt eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank und ist überhaupt sehr freundlich zu mir. Ich bedanke mich und frage mich insgeheim, wie es wohl wäre, wenn meine Haut dunkler wäre. Ich will diesen netten Menschen nichts unterstellen, doch insgesamt muss ich mir keine Illusionen darüber machen, dass ich mit meinem Aussehen in vielen Teilen der Welt privilegiert bin.

Immer möchte ich mich aber nicht darauf verlassen. Ich habe meine Tour möglichst abseits der großen Straßen gelegt und fahre viele unbefestigte Schotterpisten, die mir zwar manchmal faustgroße Steine oder Schlammlöcher bescheren, aber oft durch landschaftlich wunderschöne Gegenden führen. Nicht wenige dieser Straßen sind allerdings in Privatbesitz.

Am dritten Abend jedenfalls fahre ich in ein Tal hinein, das sehr schön zu werden verspräche, stünde da nicht ein Schild mit der Aufschrift »No trespassing, keep out!« Daneben eine Fahne mit »Trump 2024« und das Bild eines automatischen Gewehrs. Man darf in Amerika seinen Privatgrund mit der Waffe verteidigen, sprich, auf Eindringlinge schießen. Ich drehe um und nehme lieber zehn Kilometer Umweg auf mich. Der Abend ist viel zu schön, um sich erschießen zu lassen.

Südlich des Eriesees

Als ich am Tag fünf nach Ohio komme, liegen die Appalachen schon wieder ein gutes Stück hinter mir. Die Berge sind zu Hügeln geschrumpft, und es deutet sich bereits an, was nun vor mir liegt: lange, gerade Straßen durch endlose Ebenen. Ich halte mich weiter meist auf kleinen Straßen oder Schotterpisten, doch die Landschaft scheint sich überhaupt nicht zu verändern. Es geht vorbei an Kornfeldern und Wiesen, immer geradeaus. Hier und da steht ein Haus. Im Vergleich zu den grünen Wäldern und Hügeln zuvor eine recht langweilige Gegend, in der ich trotz des beständigen Gegenwinds Gas gebe, so gut ich kann.

Immerhin: Ich treffe mit Menschen zusammen. Südlich von Cleveland führt meine Route durch dichter besiedelte Gebiete, und hier und da wartet jemand am Wegesrand auf mich. Die Leute verfolgen mich auf dem Livetracker und stellen sich dann an die Strecke, um mir Getränke zu geben, etwas zu essen, Kekse. Vereinzelt passen mich sogar andere Radfahrer ab und begleiten mich für ein paar Kilometer. Kurze, aber in der Eintönigkeit der Straßen sehr angenehme Begegnungen.