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Crushing Souls ist SPIEGEL- BookTok-Bestseller! Sie ist das einzige Risiko, das er nicht kalkulieren kann. Fiona MacKenzie liebt die Formel 1. Und sie hasst Duncan McKinnon. Den arroganten Rennfahrer aus dem Team ihres Vaters, der ihre leidenschaftliche Abneigung teilt. Denn mit ihrem Luxuslifestyle steht Fiona für alles, was er verabscheut. Dabei versucht sie sich doch bloß die Aufmerksamkeit ihres Vaters zu sichern, um die sie schon ihr halbes Leben mit Duncan aka seinem Goldjungen buhlen muss. Als sich Fionas Vater dann auch noch zwischen sie und ihren großen Traum stellt, setzt sie alles auf eine Karte. Wieder ist es Duncan, der ihre Pläne durchkreuzt. Denn er will nur eins: Rennen fahren. Ablenkung kann er sich nicht erlauben. Schon gar nicht in Form von Fiona MacKenzie … "Keine Autorin atmet Formel 1 so wie Carolin Wahl! Ich habe jede Sekunde von Duncans und Fionas Geschichte geliebt und mein Herz rast immer noch mit Duncan über die Rennbahn!" SPIEGEL-Bestsellerautorin Bianca Wege Zwischen riskanten Manövern, Motorenöl und Track-Walks auf Rennstrecken rund um die Welt müssen sich Fiona und Duncan fragen, ob es schlimmer ist, ihr Herz zu verlieren – oder einander? • Zwei Charaktere, eine Leidenschaft: SPIEGEL-Bestsellerautorin Carolin Wahl schenkt ihren Figuren ihre Liebe für die Formel 1 und einen Traum, für den sie (fast) alles tun würden. • Haters to Lovers zwischen Grumpy x Sunshine: Fiona und Duncan könnten unterschiedlicher nicht sein – der ehrgeizige Rennfahrer und die Tochter seines Teamchefs verabscheuen einander. Bis sie sich näher kennenlernen … • Sports Romance mit Wohlfühlcharakter: Carolin Wahl verwebt die Dynamik des Rennsports mit der Romantik und Wohlfühlatmosphäre ihrer beliebten New-Adult-Romane, die sich immer wieder aus Neue anfühlen wie eine Umarmung. • Luxus trifft auf Leidenschaft, Schnelligkeit, packende Strecken und menschliche Fahrer: Crushing Souls erlaubt einen Blick hinter die Kulissen – und die Fassaden der Rennfahrer. Ehrgeiz, Talent und Leistung sind nicht alles, darunter verbergen sich Emotionen, die diese Geschichte an die Oberfläche bringt. • Found Family vor traumhaftem Setting: Carolin Wahls Bücher sich an wie nach Hause kommen. Das Zuhause liegt diesmal an einem Ort mit Old Money und Jetset Vibes, schicken Kleidern, teuren Autos und der besten Freundesgruppe der Welt.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Liebe Leser*innen,
dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte. Deshalb findet ihr auf der letzten Seite eine Triggerwarnung.
Achtung: Diese beinhaltet Spoiler für die gesamte Geschichte.
Wir wünschen euch das bestmögliche Leseerlebnis!
Eure Carolin und das Loewe Intense-Team
Für Dich. Weil ich zu jedem Rennen der Welt für dich fahren würde.
Ich liebe dich so sehr.
Und für all diejenigen, die bei fünf roten Startampeln das Herz in der Kehle spüren.
Ich hätte nie geglaubt, dieses Buch zu schreiben.
Das ist für euch.
INHALT
PLAYLIST
Kapitel 1DUNCAN – »Verfluchte Scheiße«, knurrte …
Kapitel 2FIONA – »Amal Kumari«, tönte …
Kapitel 3DUNCAN – Die untergehende Oktobersonne …
Kapitel 4FIONA – Ich hatte es …
Kapitel 5DUNCAN – Das Blut rauschte …
Kapitel 6FIONA – Mit Bedauern müssen …
Kapitel 7DUNCAN – Das komplette Team …
Kapitel 8FIONA – Verdammt.
Kapitel 9DUNCAN – Die Wut war …
Kapitel 10FIONA – Kein Mensch wusste, …
Kapitel 11DUNCAN – Nur, wer Fahrer …
Kapitel 12FIONA – Ich denke an …
Kapitel 13DUNCAN – »O Gott. Es …
Kapitel 14FIONA – Zu meinem großen …
Kapitel 15DUNCAN – »D, du kannst …
Kapitel 16FIONA – Ich brauchte Stunden, …
Kapitel 17DUNCAN – Alfred Logan MacKenzie …
Kapitel 18FIONA – Keine Ahnung, wie …
Kapitel 19DUNCAN – Packen, Flughafen, fliegen, …
Kapitel 20FIONA – Bisher war es …
Kapitel 21DUNCAN – Nichts in der …
Kapitel 22FIONA – Tokio-Gate verschob etwas. …
Kapitel 23DUNCAN – Die schwülfeuchte Luft …
Kapitel 24FIONA – Wir machten es …
Kapitel 25DUNCAN – Die Luft knisterte …
Kapitel 26FIONA – Binnen einer Woche …
Kapitel 27DUNCAN – Ich war ein …
Kapitel 28FIONA – Immer und immer …
Kapitel 29DUNCAN – Es war ganz …
Kapitel 30FIONA – Sechs Monate später – Als ich mein …
GLOSSAR
DANKSAGUNG
TRIGGERWARNUNG
PLAYLIST
The Adventures of Stevie V – Dirty Cash (Money Talks)
Arctic Monkeys – 505
Billie Eilish – BIRDS OF A FEATHER
Brian Tyler – Formula 1 Theme
Britney Spears – Break the Ice
Bronski Beat – Smalltown Boy
The Calling – Wherever You Will Go
Charli xcx – Apple
Cloudy June – Loving You (Is A Dangerous Game)
Rascal Flatts – Life Is a Highway
Fleetwood Mac – Go Your Own Way
Frank Ocean – White Ferrari
Gorillaz – Feel Good Inc.
Gracie Abrams – Close To You
Journey – Don’t Stop Believin’
Kavinsky – Nightcall
Lady Gaga & Bruno Mars – Die With A Smile
Tate McRae – Sports car
The Neighbourhood – Softcore
Sabrina Carpenter – Taste
Sade – Smooth Operator (Single Version)
Taylor Swift – I Can Do It With A Broken Heart
Timbaland – Give It To Me (feat. Justin Timberlake & Nelly Furtado)
A Touch of Class – Around the World (La La La La La)
The Weeknd & Playboi Carti – Timeless
Will Smith – Miami
1
DUNCAN
»Verfluchte Scheiße«, knurrte ich, riss das Lenkrad herum und konzentrierte mich darauf, die Schikane vor der Zielgeraden nicht so zu verpassen, dass es mir die komplette Runde versaute. Ich hatte den letzten Curb etwas zu weit genommen, was mich zwei Zehntel kosten würde, und meinen Bremspunkt um fünf verschissene Meter in Turn 12 verpasst. Was mich noch mehr nervte. Denn eigentlich war es die perfekte Runde gewesen. Eigentlich.
Ich spürte die Anspannung in meinen Muskeln. Normalerweise hätte ich den Track auch mit geschlossenen Augen fahren können. Heute war aber irgendwie der Wurm drin.
Sobald ich Start-Ziel überquerte, sprang mein Blick zu der Anzeigetafel, die meine Rundenzeit aufführte, während meine Muskeln ihr automatisches Programm aus dem Gedächtnis abspulten. Denn ich war bereits wieder in der Anfahrt zur Tarzan. In letzter Sekunde stieg ich in die Bremse, aber trotzdem erwischte ich die Kurve nicht in meiner Ideallinie, was mich für einen Moment aus dem Konzept brachte. Es erinnerte mich an meinen missglückten Start letztes Jahr, als Walsh an dieser Stelle von innen reingestochen und mich in der Beschleunigung aus der Kurve raus überholt hatte. Verdammt, ich musste mich konzentrieren. Noch besser werden. Mein Ehrgeiz trieb mich immer voran, aber viel wichtiger war, nicht die Erwartungen des Mannes zu enttäuschen, der mir überhaupt einen Sitz im Formel-1-Wagen ermöglicht hatte. Alfred Logan MacKenzie war für mich nicht nur Teamchef und CEO von ED, dem Rennstall, für den ich fuhr, sondern viel mehr als das. Nämlich der Mann, dem ich nach dem Tod meines Vaters alles, aber auch wirklich alles zu verdanken hatte.
Ich biss die Zähne zusammen, schaltete hoch und war mit den Gedanken bereits dabei, die Haarnadel anzupeilen, um in der Gerlach nicht völlig alt auszusehen. Mein Reifenmanagement war gut. Die nächsten Bremspunkte nahm ich perfekt. Ich würde später Igor und Chantal meine Zeiten schicken, damit wir die Daten, jede einzelne Kurve und die Parameter durchgehen konnten.
In diesem Augenblick klingelte mein Handy und ich wartete, bis ich auf der langen Geraden war, um den Anruf entgegenzunehmen.
»Ja?«
»Bist du im Simulator?«, erklang Lunas weiche Stimme etwas blechern durch den Lautsprecher. Ihr britischer Akzent rollte in meinen Ohren.
»Wo auch sonst?«
»Zandvoort?«
»Was auch sonst?«
»Hast du fünf Minuten?«
Ich pausierte auf der Stelle. Denn meine beste Freundin war niemand, die einfach um Hilfe bat. Und diese vier kleinen Worte kamen förmlich einem Hilfeschrei gleich.
»Ist etwas passiert?«
»Duncan …«
Ich stutzte und runzelte die Stirn. Das klang nicht gut. Gar nicht gut. »Hast du Scheiße gebaut?«
Kurzes Schweigen. Dann: »Nicht direkt.«
»Und indirekt?«
Wieder machte Luna eine Pause, die bedeutungsschwer in der Luft hing. »Ich habe vielleicht etwas geliked, was ich nicht hätte liken sollen«, druckste sie schließlich herum. So zerknirscht hatte ich sie noch nie erlebt. Dabei war Luna eine der selbstbewusstesten Frauen, die ich kannte. »Und es hat jemand entdeckt. Jetzt schlägt es seit gestern Abend Wellen. Weil immer mehr Contentcreatoren darauf reagieren. Eigentlich ist es keine große Sache, aber irgendwie wird mehr draus gemacht.«
Mein Kopf spulte sofort eine Reihe Horrorszenarien ab und meine Hände krampften sich um das Lenkrad. War es ein konfliktgeladenes Thema gewesen? Etwas, das eine andere Fahrerin durch den Schmutz zog?
»Ist es sehr schlimm?«
»Ich hab’s dir geschickt«, brachte sie mit einer Mischung aus Lachen und Heulen hervor, sodass sich bei mir sämtliche Haare sträubten. »Es tut mir leid, bitte hass mich nicht …«
»Du machst mir Angst«, knurrte ich und zog mein Handy hervor, um zu sehen, welche Lawine Luna losgetreten hatte. Zumindest online. Ich wusste, dass die meisten Medien nicht auf den Mist ansprangen, aber seit drei Jahren und aufgrund des internationalen Erfolges der Formel 1 hatte sich die Fanbase massiv verändert. Sobald ich auf den Link geklickt hatte, flackerte ein Edit von ihr und mir über den Bildschirm. Am Anfang war es harmlos. Es waren Videos von uns beiden, wie wir während unserer Karting-Zeit gegeneinander gefahren waren und gemeinsam auf den Treppchen gestanden hatten. Es waren festgehaltene Momentaufnahmen – jubelnd, mit alkoholfreiem Schaumwein anstoßend –, die unsere Freundschaft belegten. Eine Freundschaft, für die ich unwahrscheinlich dankbar war. Denn bis auf Luna hatte ich keine richtigen Freunde im Rennsport. Dafür war es ein zu wildes Haifischbecken. Wir waren alle Konkurrenten.
Ich wollte sie bereits fragen, wo denn nun das Problem war, als der Edit sich veränderte und jetzt eine zweideutige Richtung einnahm. Erst dann fiel mir auch die Caption auf. Friends or … More?
Meine Kehle wurde trocken.
»Luna«, brachte ich mühsam krächzend hervor. »Oh, komm schon … das hast du geliked?«
»Ich weiß, ich weiß …«, seufzte Luna. »Ich hätte es zu Ende anschauen sollen. Aber kennst du das, wenn man einfach scrollt und dann gar nicht drauf achtet, und das war so eine süße Zusammenstellung und ich hatte den Rest nicht gesehen.« Ihre Stimme wurde immer hektischer und ich sah sie förmlich vor mir, wie sie sich durch die rabenschwarzen Haare fuhr und wild gestikulierte.
Die letzten drei Sequenzen machten alles nur noch schlimmer. Es waren verlangsamte Splitteraugenblicke, in denen wir einfach einen stinknormalen Blick austauschten. Durch die Zeitlupe wirkte es aber wie etwas ganz anderes.
Ohne es zu kontrollieren, brach ein Lachen aus mir heraus, das sich anhörte, wie ein mittelschweres Gewitter. Aber die Situation war auch zu komisch.
Ich hörte, wie Luna ganz still wurde.
Dann folgte ein leises, misstrauisches: »Duncan? Lachst du etwa?«
»Ja«, stieß ich hervor und rieb mir übers Gesicht. Die Anspannung wich und ich spürte, wie das Gefühl um meine Brust plötzlich leichter wurde.
»Ich glaube, ich hab dich seit Monaten nicht so lachen gehört. Das ist es also? Dein brummig-schottischer Arsch braucht sexy Fanedits von uns und das findest du dann witzig? Ausgerechnet das?«
Wieder stieß ich dieses glucksende Geräusch aus, das tatsächlich so klang, als wäre es halb verrostet. »Entschuldige bitte, aber es ist einfach so dämlich …« Die Absurdität der Situation sickerte nur mit Verzögerung in mein Bewusstsein. »Du bist meine beste Freundin. Im Ernst, es gibt vermutlich niemanden auf der Welt, zu dem ich mich weniger hingezogen fühle. Mit Ausnahme von Smart vielleicht.« Ich grunzte.
»Vergleichst du mich gerade ernsthaft mit deinem siebenundfünfzigjährigen Manager? Vielen Dank auch.«
»Smart war früher Marathonläufer.«
»Die Betonung liegt auf früher, Mr Oberflächlich«, erwiderte Luna und fügte hinzu: »Ich weiß, es kommt auf den Charakter an, aber Himmel, Duncan. Du bist wirklich Profi darin, Komplimente zu verteilen.«
»Okay, anders formuliert: Objektiv betrachtet bist du natürlich hübsch. Ich müsste mit Scheuklappen durch die Gegend rennen, um das nicht zu sehen, aber das spielt keine Rolle. Denn bis auf Smartie gibt es vermutlich niemanden, der unattraktiver für mich ist. Nicht, weil ich dich nicht mag, Scone, sondern weil du für mich die sexuelle Ausstrahlung eines Stücks Beton hast.«
»Die erste Hälfte war ganz passabel, aber von da an ging’s bergab«, seufzte Luna und lachte dann leise. »Du bist für mich auch wie ein Stück Beton. Und tut mir leid, dass ich uns in diese Lage gebracht habe.«
Bei der Vorstellung, was dieses harmlose Video und ihr kleiner Like alles auslösen würden, drehte sich mir ein bisschen der Magen um. »Gott, ich will doch einfach nur Rennen fahren.«
»Ich weiß. Ich auch.«
»Du bist schlimmer als Kiefer. Der schickt mir auch ständig diesen Scheiß.«
»Ich weiß. Mir auch.«
»Dir ist bewusst, dass wir uns den Mist jetzt bis zu unserem Lebensende anhören können, weil irgendjemand mehr daraus macht, als es ist, oder?«
»Vermutlich schon«, antwortete sie zerknirscht.
Ich seufzte und dachte daran, was Smartie zu dem Ganzen sagen würde. Wahrscheinlich war er entzückt. Der Social-Media-Zirkus gehörte zu meinen vertraglichen Verpflichtungen. Ziel war es, dass die Fans uns Fahrer als Menschen und nicht als Multimillionäre in Rennanzügen sahen. Zumindest predigte mir mein Manager das viel zu oft. My ass. Ich wollte Rennen fahren, nicht meine Seele verkaufen. Und Multimillionäre waren vielleicht Pietschmann und Walsh, ich ganz bestimmt nicht. Noch nicht.
»Duncan, bist du noch da?«, fragte meine beste Freundin.
Ich riss mich zusammen. Luna konnte nichts dafür.
»Halb so wild«, sagte ich. »Wir kriegen das hin. Den Onlinesturm werden wir überstehen. Zumindest so lange, bis Karla mal wieder zu einem Rennen auftaucht und sie und Kiefer die Aufmerksamkeit auf sich ziehen.« Mein Blick sprang zur Uhrzeit und ich setzte mich im Fahrersitz zurecht. »Smart wird jeden Moment hier aufkreuzen. Wenn es dir nichts ausmacht, fahre ich noch die Runden fertig, bis er da ist.«
»Gut«, antwortete Luna. »Ich wollte sowieso nur, dass du es von mir hörst. Sorry noch mal.«
»Mach dir keinen Kopf. Wir sehen uns vermutlich dann nächste Woche in den Niederlanden, oder?«
»Ja klar.«
Ich wollte schon auflegen, aber da fiel Luna noch etwas ein. »Übrigens, hat das jetzt eigentlich mit dem Geschenk für MacKenzie geklappt?«
Ich nickte, auch wenn sie das nicht sehen konnte. »Ja, ich hab die Versteigerung gewonnen. Danke noch mal für die Idee.«
Luna hatte mich auf die richtige Spur gebracht, nachdem ich mir wochenlang den Kopf darüber zerbrochen hatte. Denn was schenkte man einem Mann, der alles hatte, zu seinem Sechzigsten? Die Antwort war ein Sturmfeuerzeug, aber nicht irgendeins, sondern eins, das es nur einmal auf der Welt gab. Es hatte MacKenzies Lieblingsschauspieler Stonewall gehört, einem Actionstar der 1960er-Jahre.
»Dann brauchst du ja nicht mit schlechtem Gewissen auf die Party zu schleichen, weil du nur mit einem Whisky aufkreuzt.«
»Ganz genau.«
»Gut, dann viel Spaß noch beim Fahren und versau nicht immer die Tarzan.«
»Du mich auch … Bis nächste Woche«, verabschiedete ich mich und widmete mich wieder der Strecke.
Ich fuhr die Runde noch zweimal, bevor ich den Simulator verließ. Meine Muskeln brannten. Selbst wenn meine Runden nicht mit dem echten Rennen vergleichbar waren, so war dieses Training doch unverzichtbar. Deswegen hatte ich eins meiner ersten Profi-Gehälter in den Simulator investiert, sodass ich zu jeder Tages- und Nachtzeit in meiner Wohnung in Morena eine Einheit einlegen konnte.
Als ich aus der Dusche kam und mich mit dem Handtuch abtrocknete, wanderte mein Blick durch den weitgestreckten Wohnbereich. Ich hatte wenig Möbel und keine Bilder an den Wänden – ich war so viel unterwegs, dass es mir nicht die Mühe wert schien. Bis auf ein paar Trophäen und Schwarz-Weiß-Fotos von Dad aus seiner Rennfahrerzeit blieb es unpersönlich. Aber die bodentiefen Fenster, die eine atemberaubende Sicht auf das glitzernde Mittelmeer zuließen, machten alles wett. Der Hafen von Keranti lag zu Füßen meiner Apartmentwohnung, von wo aus ich nicht nur die Jachtklubs und Tennisplätze der Fünf-Sterne-Hotels überblicken konnte, sondern auch den Strandabschnitt zwischen den schroffen Felshängen, unter denen das türkisfarbene Wasser schimmerte. Wolkenloser, blauer Spätsommer-Himmel, in der Ferne meinte ich das Festland des italienischen Stiefels, ein Stück Kalabriens ausmachen zu können.
Morena war mein Heimathafen, genau wie bei vielen anderen Formel-1-Akteuren, die sich entweder in Monaco oder hier niedergelassen hatten. Doch mein wahres Zuhause waren die Rennstrecken, keine vier Wände oder ein Ort.
Nach Zandvoort standen noch zwei Rennwochenenden im Kalender, bevor das letzte Drittel der Saison losging. Zweimal USA – Austin und Las Vegas, dazwischen Mexico und Brasilien, dann würde es für zwei finale Rennen auf den asiatischen Kontinent gehen. Und mein Ziel war, mindestens drei der Rennen mit einem Podium zu beenden.
Der Türsummer ertönte. Ich seufzte und streifte mir ein weißes Shirt und Shorts über.
Showtime.
Jetzt musste ich Smartie davon überzeugen, dass es keine gute Idee war, das Gerücht von Luna und mir noch einmal zu unterstreichen, um meine Follower-Zahlen in die Höhe zu jagen.
Letztendlich würde er aber auf mich hören. Weil er auf mein Urteil vertraute. Zumindest meistens. Und grummelnd dafür sorgen, dass Gras über die Sache wuchs.
2
FIONA
»Amal Kumari«, tönte es knarrend durch die Lautsprecher der Usher Hall, einer der schönsten Festhallen, mitten im Herzen Edinburghs. Der Ausruf wurde durch die beeindruckende Konzertakustik des zeitgenössischen Saals getragen, während Amal aufstand und mit aufrechtem Gang nach vorne auf die Bühne schritt, um ihr Abschlusszeugnis entgegenzunehmen. Draußen hing eine für schottische Verhältnisse fast schon typische graue Oktoberdecke über der Stadt. Hier drinnen strahlten alle um die Wette.
Mein Blick wanderte über meine Schulter. Vorbei an den vielen in Roben gekleideten Abschlussteilnehmenden zu den Eingangstüren. Mit jedem Nachzügler, der hineinhuschte, krampfte sich das Herz in meiner Brust vor Enttäuschung zusammen.
Weil es nicht meine Eltern waren.
Prüfend schaute ich auf mein Smartphone. Eine neue Nachricht. Natürlich auch nicht von meinen Eltern. Dafür hatte meine beste Freundin Aurora, ihres Zeichens Prinzessin von Morena, geschrieben. Ein Gefühl von Zuneigung schwoll in meiner Brust an.
AuroraIch bin stolz auf dich. Hol dir deine Auszeichnung und dann ab nach Hause …
Vor Rührung sammelten sich Tränen in meinen Augen. Aurora war nicht die Art von Person, die leichtfertig Emotionen teilte. Ihre Nachricht kam quasi einer Liebeserklärung gleich.
Du fehlst mir auch. Noch zwei Tage. Freue mich sehr auf dich!
Lass aber den Regen in Schottland.
Würde das nicht zu deiner Stimmung passen? Aber aye …
Lächelnd hob ich den Kopf und scannte wieder den Eingangsbereich. Automatisch. Ich war absolut machtlos gegen diesen Mechanismus, dafür hatte er sich zu sehr eingebrannt. So war es immer gewesen. Bei Aufführungen in der Schule. Meinen Tennisturnieren. Bei kleineren Wettbewerben oder Forschungsprojekten, immer dann, wenn andere Eltern aufgetaucht waren und so getan hatten, als wäre das selbst gebastelte Etwas nobelpreiswürdig.
Doch die reservierten Plätze für Personen aus meinem Umfeld waren leer geblieben.
Einmal. Zweimal. Dutzende Male.
Und ich drehte mich immer noch um. Hoffnungsvoll. Jedes Mal.
Bei der Erinnerung an mein jüngeres Ich, das wieder und wieder suchend den Kopf gehoben und nach seinen Eltern Ausschau gehalten hatte, trübte sich meine Laune ein wenig. Aber nicht genug, um mir die Stimmung komplett zu verderben. Denn die letzten vier Jahre hatte ich mir buchstäblich den Arsch aufgerissen, um heute hier zu stehen. Und darauf war ich verdammt stolz.
»Riccardo Lorenzo!«, erklang es im Hintergrund.
Aurora Sind sie da?
Ich unterdrückte den Impuls, meine Unterlippe zwischen die Zähne zu ziehen. Dafür hatte ich viel zu lange an der perfekten Mischung aus Lipliner, Lippenstift und Gloss gearbeitet.
Sind sie nicht, aber das ist okay.
Bullshit!
Es folgte eine Reihe wütender Emojis.
Das ist eine beschissene Scheiße und das weißt du auch, und nur weil du so verdammt NETT bist, lässt du die Enttäuschung nicht zu! Aber du darfst dich auch mal darüber ärgern!
Aurora war meine Zwillingsperson. Wir waren Blondie und Brownie. Serena und Blair. Sonne und Mond. Sie erdete mich und verpasste mir gleichzeitig einen Auftrieb, wenn ich es brauchte.
Ich glaube, dafür ist der Zug längst abgefahren …
… Du meinst wohl Privatjet. Wo ist dein Vater, wenn nicht bei der Abschlussfeier seiner Tochter, die mal wieder GELIEFERT hat?! Und deine Mom?
Wenn ich darauf nur eine Antwort gewusst hätte.
Aurora behauptete immer, dass ich alles dafür tat, unterschätzt zu werden, um die Menschen dann vom Gegenteil überzeugen zu können. Nicht umsonst hatte ich meine hellblonden Haare mit platinblonden Strähnen versetzt. Inzwischen reichten sie mir fast bis zur Hüfte und wippten nun bei jedem Schritt hin und her. Mit Ausnahme meiner grünen Augen und der buschigen Brauen – die ganz nach Dad kamen – besaß ich das Hochglanzmagazin-Gesicht meiner Mutter, mit dem sie Millionen verdient hatte und immer noch verdiente.
Doch all das Geld und die Schönheit der Welt heilten leider nicht mein inneres Kind mit einer längst überfälligen Umarmung.
»Henry Sebastien Lawrence!« Ein weiterer Absolvent eilte nach vorn, um seinen Abschluss entgegenzunehmen, im gleichen Moment, als tatsächlich die Eingangstür aufschwang und sich jemand in den Saal schob. Als ich die Person erkannte, die sich suchend umschaute und jede Reihe einzeln abging, spürte ich, wie mein Herz sank. Hastig wandte ich mich wieder nach vorne, meine Finger krampften sich um mein Smartphone. Natürlich. Einer von Moms Assistenten. Samuel-Nenn mich doch einfach Sam.
Oh nein.
Auroras Antwort folgte innerhalb einer gefühlten Sekunde.
Was?
Sam ist da.
O Gott. Wetten, in der Memo für heute steht, dass er einen Bonus bekommt, wenn es besonders enthusiastisch ist? So nach dem Motto: Sorg dafür, dass sich Fiona gesehen und geliebt fühlt.
Die Nachricht meiner besten Freundin endete mit einem Totenkopf.
Meine Kehle verengte sich und gleichzeitig lächelte ich über ihre Worte. Weil sie der Wahrheit so unheimlich nah kamen, dass es körperlich schmerzte.
Sam hatte mich inzwischen entdeckt. Eilig kam er näher, schlich mit geduckter Haltung durch die Reihen an Studierenden und ihren Begleitungen und quetschte sich dann auf einen der beiden leeren Sitze neben mir.
»Fiona, du hast es geschafft!«, strahlte mich Sam von der Seite an und zog mich in eine Umarmung, die sich anfühlte, als würde ich eine Nacktschnecke berühren. Er roch nach Pfirsich und Mango und war zum Anlass passend in einem schwarzen Anzug erschienen, der seinen goldenen Teint unterstrich. »Herzlichen Glückwunsch!«
Ich brachte ein müdes Lächeln zustande. »Danke.«
»Nein, ernsthaft, du kannst so stolz auf dich sein!«, fuhr er flüsternd und enthusiastisch fort, als wäre es ihm ernst. In mir rührte sich ein schlechtes Gewissen, weil ich ihm gegenüber so feindlich eingestellt war. Ein bisschen. Ein klitzekleines bisschen zumindest. Was eigentlich überhaupt nicht meiner Natur entsprach, aber Sam war das Symbol meiner zerbrochenen Familienverhältnisse.
»Danke, wirklich, ich weiß es zu schätzen«, sagte ich und meinte es auch so. Bezahlt oder nicht, er machte einen fantastischen Job, mich emotional zu unterstützen.
»Ich habe auch eine Kleinigkeit für dich«, sagte er und hob eine schlichte, cremefarbene Geschenktüte in die Höhe, in der ich eine unverkennbare Cartier-Verpackung hervorblitzen sah. Anscheinend hatte ihm Mom ein großzügiges Budget genannt.
»Fiona Thialda MacKenzie!«, erklang es in diesem Augenblick durch die Saallautsprecher und ich zuckte zusammen.
Meinen Namen zu hören, verursachte eine Gänsehaut überall auf meinem Körper, aber ich versuchte, mir meine Nervosität nicht anmerken zu lassen.
Das war’s. Vier Jahre fanden ein jähes Ende.
Mit einer fließenden Bewegung erhob ich mich aus meinem bequemen Theatersitz.
»Toi, toi, toi!«, formte Sam mit den Lippen und hob beide Fäuste, die Daumen fest vergraben.
Ein sanftes Lächeln umspielte meine pink geschminkten Lippen. Mein Kinn war nach oben gereckt. Routiniert strich ich mir das mintgrüne Babydoll-Kleid mit dem Paillettenkorsett und den drei Schichten aus wallenden Unterröcken zurecht. Meine nachtschwarze Graduate-Robe mit den blauen Streifen stand vorne offen, sodass es darunter hervorblickte. Die Abschlusshaube trug ich wie eine Krone, rückte sie auf meinem Kopf zurecht, ehe ich mich in Bewegung setzte. Als hätte ich meine Sportschuhe an, stolzierte ich in meinen schwarzen Louboutins nach vorne.
Blicke folgten mir. Von der Seite. Von hinten. Ich spürte sie wie einen nasskalten Eisregen auf der Haut. Ich wusste, was den meisten durch den Kopf ging, wenn sie mich sahen: Püppchen. Arrogant. Eingebildet. Nepo-Baby. Ich wusste es, weil ich sie oft genug reden gehört hatte.
Was völlig in Ordnung war. Zum einen, weil es stimmte und ich mit dem goldenen Löffel im Mund geboren worden war. Zum anderen, weil ich in den letzten Jahren meine Rolle als Partyprinzessin perfektioniert hatte. Mir meinen Pretty-Privilege-Freifahrtschein zunutze gemacht und jede Tür aufgestoßen hatte, die nötig gewesen war, um meinen großen Traum zu erreichen.
Nur, dass es mein Vater war, der mir die letzte Tür verschlossen hielt. Immer noch. Die ganze Zeit.
Keine Ahnung, wie ich ihm noch beweisen sollte, dass ich einen Platz in seiner Welt verdient hatte.
Was die anderen nicht sahen: die Nächte, die ich mir um die Ohren geschlagen hatte, um die Beste zu werden. Die unzähligen Stunden bis zum Morgengrauen, die ich über meinen Lernkarteien gebrütet hatte. Die abgesagten Veranstaltungen.
Nein, sie kannten nur eine Schlagzeile und formten daraus eine ganze Geschichte. Sie sahen, was sie sehen wollten, weil es leichter war, als sich mit der zweiten Seite der Medaille zu beschäftigen.
Mein Herz schlug mir bis zum Hals und ich fühlte, wie meine Handflächen feucht wurden, während ich über die kleine Treppe auf die Bühne trat.
Vier Jahre.
Erinnerungen blitzten durch meinen Geist. Wanderungen in den Highlands. Arthurs Seat. Die kühlen und dunklen Wintermonate, die Sommer voller Touristen, vor allen Dingen während des Fringe-Festivals. Abende mit Kommilitonen bei Dishoom, in Bars, wenn Live-Musik gespielt wurde. Auch wenn ich auf Morena geboren und aufgewachsen war, das hier war ein Stückchen Heimat. Die schottische Luft fühlte sich an, als wäre sie immer in meinem Herzen.
Aber jetzt war es Zeit, Abschied zu nehmen und ein neues Kapitel zu beginnen.
»Herzlichen Glückwunsch, Ms MacKenzie.« Der Dekan der Universität reichte mir mein Abschlusszeugnis und ich hörte selbst über die Menge der Menschen hinweg, wie Sam begeistert aufjohlte. Ein schnelles Foto, dann war mein Moment auf der Bühne schon wieder vorbei.
Ich war frei.
Und bereit, den Fußstapfen meines Vaters zu folgen – auch wenn er davon noch nichts wusste.
In die Welt der Königsklasse des Rennsports.
Denn Dad war niemand Geringeres als Alfred Logan MacKenzie, dem CEO und Team-Principal von ED – eines der erfolgreichsten Formel-1-Teams der letzten Jahrzehnte.
Als ich von der Bühne kam, sah ich, dass jemand anderes auf meinem Platz saß. Stirnrunzelnd kam ich näher. Schlagartig durchflutete mich Hitze. Ungläubigkeit. Ich wurde langsamer. Noch langsamer. Bis ich schließlich auf dem Gang vor der Reihe stehen blieb. Mein Herz schlug mir bis zum Hals und Freudentränen sammelten sich in meinen Augen, meine komplette Sicht verschwamm.
Drei Sekunden später war meine beste Freundin bei mir und schloss mich in eine feste Umarmung, die sich anfühlte, als würde sie damit die Welt aus den Angeln heben. Meine Welt auf jeden Fall. Ohne Vorwarnung wurde ich von einer so tiefen Dankbarkeit erfasst, dass ein Schluchzen in meiner Kehle hochkroch.
»Nicht heulen, sonst verschmierst du dein Make-up. Du sahst da oben so großartig aus«, lachte Aurora auf Italienisch in mein Ohr, und erst als ich ihre Stimme hörte, diese unverwechselbare, angenehme, liebende, brummige, melancholische, sarkastische Stimme, erst da realisierte ich ihre Anwesenheit mit voller Wucht.
Aurora war gekommen. Für mich. Sie war einfach nach Edinburgh geflogen, ohne mir vorher Bescheid zu geben.
»Hast du nicht irgendwelche … irgendwelche Veranstaltungen, bei denen du anwesend sein musst? Wichtige … Termine?«, brachte ich stotternd hervor und meine beste Freundin schob mich ein Stück nach hinten, betrachtete mich mit einem so weichen Ausdruck, dass es mir das Herz zerriss. Gott, was musste ich für einen bemitleidenswerten Eindruck hinterlassen, wenn meine ansonsten so harte Freundin ihre andere Seite zeigte?
»Nein«, erwiderte Auri und schüttelte den Kopf, als hätte sie meine Gedanken gelesen. »Nein, heute nicht. Heute feiern wir dich und deinen Erfolg. Du bist es wert, dass wir dich feiern, Fiona Thialda MacKenzie! Wir alle feiern heute mit dir.«
»Wir … alle?«, fragte ich zitternd und merkte, wie weich meine Knie wurden. Wie die Gefühle mich überrollten. Freude, Glück, Unglauben.
Ein seltenes Lächeln, voller Wärme und Zuversicht, stahl sich auf Auroras hübsches Gesicht und sie deutete mit einem Kopfnicken in Richtung der seitlichen Türen. Dort standen ein paar unserer engsten Freunde, mit denen wir gemeinsam unsere Schulzeit verbracht hatten. Sie winkten uns zu und ich hob automatisch die Hand, unfähig, zusammenhängend zu reagieren. Als ob mein Gehirn einige Sekunden brauchte, die neu gewonnenen Informationen zu sondieren.
»Du hast sie mit hergeschleppt?«, fragte ich mit deutlicher Verzögerung und sah zu Aurora. »Nach Edinburgh?«
»Sie hatten keine Wahl«, bestätigte sie, ohne mit der Wimper zu zucken, und ich spürte, wie sich meine Kehle zuschnürte. Weil ich nicht allein war. Nicht ein bezahlter Assistent übernahm den emotionalen Support, sondern Menschen, die mir durch ihre Anwesenheit das Gefühl gaben, doch geliebt zu werden. Einfach … weil ich es war. Nicht, weil sie dafür bezahlt wurden.
»Danke«, brachte ich schließlich hervor und wollte noch etwas hinzufügen, aber meine beste Freundin schüttelte den Kopf und griff nach meinen klammen Fingern, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt, durch halb Europa zu fliegen, um den Nervenzusammenbruch abzuwenden, von dem ich selbst noch gar nichts gewusst, den sie aber vorausgesehen hatte.
»Du bist diejenige, die mir ein Marmeladenglas mit Wenn-du-das-brauchst-Zettelchen geschenkt hat«, sagte sie ernst und ich wusste, worauf sie anspielte. Es hatte mich mehrere Stunden gekostet, das Glas mit Zetteln zu füllen, auf denen immer ein neuer Grund stand, weshalb ich Aurora liebte. »Das hier ist mein Wenn-du-das-brauchst-Zettelchen für dich, und ich weiß, dass du es gerade dringend einlösen willst.« Sie unterzog mich einer Musterung. »Ich habe uns einen Tisch im Fever reserviert. Hast du Lust?«
Erst jetzt bemerkte ich ihr Outfit, das babyblaue, figurbetonte Kleid, das ihre Augenfarbe unterstrich und so anders war als die Kleider, die sie sonst tragen musste.
»Ob ich Lust habe, heute mit dir zu feiern?«, fragte ich ungläubig.
Sie bleckte die Zähne. »Ich werte das als Ja?«
»Mach daraus ein verdammtes Ja!«, antwortete ich und fühlte mich leicht wie eine Feder. Wer hätte gedacht, dass meine Abschlussfeier so eine Wendung nehmen würde? Obwohl ich bei dem Gedanken an meine nicht anwesenden Eltern dennoch einen kurzen, aber heftigen Stich in der Brust verspürte. Als hätte Aurora das gespürt, drückte sie meine Hand und sah mich ernst an.
»Du hast deinen Abschluss«, sagte sie. »Das zählt, Asteraki!« Seit Aurora es damals bei meiner Nanny aufgeschnappt hatte, war kleiner Stern als Spitzname hängen geblieben.
»Ja. Ich hab ihn.«
»Jetzt kannst du dir deinen Job bei den sich im Kreis fahrenden Autos angeln«, kommentierte Aurora trocken und ich lachte befreit auf. Etwas zu laut, etwas zu heftig, aber es fühlte sich einfach zu gut an, sie hier bei mir zu wissen.
»Du hasst die Formel 1 wirklich sehr, oder?«, wollte ich wissen, ohne das Grinsen aus meinem Gesicht zu bekommen.
»Es ist eine gefährliche, umweltverschmutzende, nervtötende Sportart – wobei ich mir bei Sportart nicht einmal sicher bin«, erwiderte sie. Da ich wusste, woher ihre bittere Abneigung rührte, vertiefte ich das Thema nicht weiter, sondern entgegnete stattdessen leichthin: »Sagt diejenige, die gerade vermutlich nicht mit einer öffentlichen Fluglinie in Edinburgh gelandet ist?«
Aurora seufzte. »Touché. Doppelmoral und so. Egal. Lass uns den Abend genießen.«
»Ja, lass uns den Abend genießen«, erwiderte ich und ging hinüber zu den wartenden Freunden, um sie endlich zu begrüßen.
3
DUNCAN
Die untergehende Oktobersonne tauchte die Küste Morenas in atemberaubendes Licht aus warmen Goldtönen, während die geschwungenen Linien der Jacht immer näherkamen. Wenn ich auch nur einen Funken Romantik in meinen Knochen besessen hätte, wäre es der ideale Ort für ein erstes Date gewesen.
Jetzt war es der Schauplatz für den Laufsteg der Rennsport-Elite Europas, während sich der Hubschrauber mit dröhnenden Rotoren dem Landeplatz von MacKenzies Schiff näherte. Auf der anderen Seite der Bucht standen vereinzelt weiße Häuser mit den typisch leuchtend blauen Fensterläden, schmiegten sich wie gemalt in die Hügel. Zerklüftete Klippen und die charakterlich geschaffenen nadelförmigen Felsformationen ragten wie majestätische Speerspitzen aus dem Wasser.
Fuck, von dieser Seite war Morena sogar noch schöner. Es erinnerte mich entfernt an meine Heimat, an das, was die Gegend und Natur rund um Pitlochry mal für mich gewesen war. Schwere legte sich ohne Vorwarnung auf mein Herz und ich zwang mich, an etwas anderes zu denken.
»Danke fürs Mitnehmen«, sagte ich, sobald der Helikopter auf der beeindruckenden Jacht gelandet war. Der Untergrund schwankte noch immer, aber aus einem völlig anderen Grund.
»Keine Ursache. Jederzeit wieder«, erwiderte MacKenzie und erhob sich zeitgleich mit mir aus seinem Sitz, ehe er das Headset an den vorgesehenen Platz hängte. Nun überragte er mich um fast einen ganzen Kopf. Der dreiteilige marineblaue Anzug saß wie angegossen.
»Die Alternative wäre gewesen, dass ich rüberschwimme«, fügte ich noch hinzu.
MacKenzie sah mich prüfend an, dann hoben sich seine Mundwinkel zu einem seltenen väterlichen Lächeln. Mein Bauch verkrampfte sich, wie jedes Mal, wenn er es tat. Weil es mich schmerzlich daran erinnerte, dass ich diese Art von Lächeln von meinem eigenen Vater niemals wieder zu Gesicht bekommen würde. Von dem Mann, der MacKenzie und mir so nah gewesen war. Alfred war der beste Freund meines Vaters gewesen. Sie hatten zusammen im Auto gesessen, als mein Dad gestorben war, und seitdem tat MacKenzie sein Möglichstes, um mich bei meinem Wunsch, in Dads Fußstapfen als Rennfahrer zu treten, zu unterstützen. Dass ihm ein Rennstall gehörte, war dabei von Vorteil. Und dass ich mir den Hintern aufriss und seit Jahren zu einem der größten Talente gehörte, ebenso.
Nur der Wagen hatte bisher noch nicht mitgespielt, dabei hatte ich schon das unmenschlich Beste aus ihm herausgeholt.
»Ein simples Boot als Mitfahrgelegenheit hätte es für dich nicht getan?«, hakte MacKenzie nach.
»Du kennst mich. Ich bin nicht der beste Beifahrer«, antwortete ich und die Fältchen um seine Augen vertieften sich. Vermutlich, weil ich einer der wenigen Menschen war, die in seiner Gegenwart ungezwungen redeten und nicht eingeschüchtert waren.
Für seine sechzig Jahre war MacKenzie ausgesprochen gut in Form. Was nicht mal in erster Linie an seiner schlanken Größe, den glattrasierten Wangen und den eisblauen Augen lag, sondern vielmehr noch an seiner beeindruckenden Präsenz, die ihm diese unverwechselbare Aura verlieh.
Wenn das Produktionsteam rund um einen neuen James-Bond-Film noch einen perfekten Bösewicht casten wollte, stand ohne Zweifel Alfred Logan MacKenzies Name im Raum. In seiner Gegenwart gefror Wasser zu Eis. Wenn er einen ansah, las er jedes Seelengeheimnis.
Ich überließ ihm und Stella, die ursprünglich MacKenzies Assistentin gewesen, aber inzwischen für uns alle unverzichtbar war, den Vortritt und sprang dann als Letzter an Bord der Rivera. Unter den sich immer langsamer drehenden Rotoren des Hubschraubers lief ich in Richtung Treppe. Die Jacht war der Inbegriff von MacKenzies Universum, das er selbst erschaffen hatte, und in das Verebben des Motors mischte sich das Plätschern der Wellen, die in einem wiederholenden Takt gegen den Rumpf schlugen.
Aus den Lautsprechern am Hauptdeck drangen die unterstreichenden Klänge passender Hintergrundmusik. Eine Mischung aus klassischem Jazz und etwas anderem, das ich nicht kannte. Mehrere Angestellte der Jacht waren in einer Reihe aufgestellt und begrüßten den Gastgeber mit hinter dem Rücken verschränkten Händen. Lächelnd hielt ein Crewmitglied ein Tablett mit unterschiedlichen Getränken.
Zu meinem Leidwesen war bereits eine Vielzahl der rund achtzig Gäste anwesend. Für mich waren es mehr als genug, für MacKenzie war das der engste Kreis. Eine intime Feier. Quasi eine Pyjama-Party, wie Smart gelästert hatte, der sehr zu seinem Groll nicht eingeladen war. Dafür entdeckte ich einige der wichtigsten Gesichter aus der Formel 1. Ehemalige Rennfahrer mischten sich unter Geldgeber, Sponsoren, Mitarbeiter von ED, ebenso wie langjährige Weggefährten MacKenzies. Die meisten kannte ich persönlich oder vom Sehen, viele von ihnen waren Entscheidungsträger in meiner Karriere gewesen. Weswegen ich mich jetzt unauffällig zurückzog, mir an der Bar einen torfigen Whisky gönnte und hoffte, möglichst viel Small Talk aus dem Weg gehen zu können.
»Duncan«, erklang bei meinem zweiten Whisky eine freudige Stimme zu meiner Linken, und als ich mich umdrehte, stand dort Effie und strahlte mich an. Großartig. So viel zum Thema, dass ich den Gesprächen aus dem Weg ging. Sie war die Freundin meines Teamkollegen Hendrik Sandman, der sich hier ebenfalls irgendwo tummeln musste.
Seine ersten beiden Jahre war er für Racing Blue Energy gefahren, dem Tochterteam von ED, da man ihm in seinen Rookiejahren noch etwas mehr Möglichkeit geben wollte, Erfahrungen zu sammeln. Außerdem war sein vorgesehener Sitz noch von dem Belgier Gabriel Bernard besetzt gewesen, der inzwischen für Solaris Performance fuhr und dort seine besten Jahre versauerte. Aber alles war besser, als gar nicht in der Formel 1 zu fahren.
»Hi, Effie«, erwiderte ich förmlich.
»Ich dachte, MacKenzie wollte kein großes Ding aus seinem Geburtstag machen? Jetzt hat er doch den halben Grid eingeladen«, antwortete sie flötend.
»Ich glaube, MacKenzie macht aus allem ein großes Ding, selbst wenn er das Gegenteil behauptet«, entgegnete ich für meine Verhältnisse sehr ausführlich und Effie lächelte aufgeschlossen. Von den Partnerinnen der anderen Rennfahrer mochte ich sie mit am liebsten, auch wenn sie mir meistens ein Ohr abkaute. Ich hatte nichts gegen sie persönlich, aber manchmal überschritt sie Grenzen, ohne es zu merken. »Solange er Connelli oder Livingstone nicht einlädt, ist alles gut.« Verschwörerisch senkte sie die Stimme. »Neben MacKenzie die einzigen Männer, vor denen ich wirklich Angst habe. Sie sind beide so … so …«
»Einschüchternd«, schlug ich vor.
Effie nickte eifrig und die goldenen Kreolen wackelten im Takt ihres Kopfes. »Genau. Einschüchternd. Das ist es. Sie sind die absoluten Alphamännchen, aber kein Wunder. Es geht ja auch immer um so abartig viel Geld. Wie Hendrik und du mit diesem Druck klarkommt, ist mir ein Rätsel«, fuhr sie ohne Umschweife fort und drang damit in meine persönliche Komfortzone ein. Wie immer übersah sie sämtliche Stoppschilder, die ich mit meiner mürrischen Miene aufstellte.
»Effie, du – hier?«, ertönte da eine weitere Stimme und keine Sekunde später schob sich ein kleines Persönchen in mein Sichtfeld. Karla, die Verlobte von Henning Kiefer, trug einen smaragdgrünen Jumpsuit und war trotz der Stilettos immer noch winzig. Sie umarmte Effie und meinte dann: »Ich glaube, Hendrik sucht dich auf dem Oberdeck, wenn mich nicht alles täuscht.«
Effie lächelte entschuldigend. »Okay, dann will ich ihn nicht warten lassen.« Mit diesen Worten schwebte sie davon, während Karla sich mir mit einem schelmischen Grinsen zuwandte.
»Duncan McKinnon, was für eine Ehre«, begrüßte sie mich in fließendem Italienisch. Soweit ich wusste, war ihre Mutter Italienerin und sie in einem zweisprachigen Haushalt großgeworden. Ich hatte sie als Kind schon auf der einen oder anderen Kartstrecke gesehen, außerdem war ihr Vater Mechaniker bei Esparza Mobile gewesen, ehe er sich für ein ruhigeres Leben in seiner alten Heimat entschieden hatte.
»Ciao, Karla«, antwortete ich.
»Dich hab ich hier am wenigsten erwartet … Als Henning meinte, dass du kommst, wollte ich schon wetten. Ich war davon überzeugt, dass du dich mit einer fadenscheinigen Ausrede in deinem Bett verkriechst und der Veranstaltung aus dem Weg gehst«, sagte sie augenzwinkernd und nahm einen Schluck von ihrem Weißwein. In ihrer Gegenwart war es unmöglich, mein Lächeln zu verstecken. Ich sah, wie ihre Augen belustigt zu funkeln begannen, sobald sie meine Reaktion bemerkte.
»Ha! Ich warte drei Jahre auf den Beweis. Aber du findest mich witzig. Ich wusste es«, setzte sie hinterher und ich rollte mit den Augen.
»Du leidest ein bisschen an Selbstüberschätzung. Du und Luna, ihr beide könntet euch zusammentun.«
»Oh, Luna! Ich hab sie in Miami verpasst … Wusstest du, dass ihre Mum in der Kartingzeit die besten Pop-Tarts gemacht hat? Ich hab mir damals das Rezept geschnorrt.«
Ich zog die Augenbrauen hoch. »Pop-Tarts, Karla? Ernsthaft?«
»Na ja, ich kann dich auch wieder allein und den Aasgeiern zum Fraß überlassen«, meinte sie schulterzuckend und schaute sich vielsagend auf dem Mitteldeck um. So ungern ich es auch zugab, da traf sie eindeutig ins Schwarze. Denn einige Gäste hatten sich bereits in Lauerstellung gebracht, um mich in eine Unterhaltung zu verwickeln. Effie war das fleischgewordene Beispiel dafür. »Ich bin das kleinere Übel und das weißt du genauso gut wie ich.«
»Wo hast du deine bessere Hälfte gelassen?«, fragte ich sie, um das Thema zu wechseln.
»Du willst doch bloß das Thema wechseln«, durchschaute Karla mich augenblicklich. Wieder zuckte es um meine Mundwinkel und ich strich über meinen frisch gestutzten Bart, um es zu verbergen.
»Lass mich meine Entscheidung nicht bereuen, hier aufgekreuzt zu sein. Alles für deinen Ruf, nicht wahr, McKinnon?«
»Er wäre vermutlich auch dann gekommen, wenn er mit einer Lungenentzündung flachgelegen hätte«, mischte sich in diesem Augenblick eine männliche Stimme ein. Einen Moment später trat Henning Kiefer hinzu, die Haut gebräunt vom Sommer, die dunkelbraunen Locken luftgetrocknet und wilder denn je, was vielleicht auch an dem Mullet-Haarschnitt lag, der seine Matte betonte.
Misstrauisch verengte ich die Augen. »Seit wann sprichst du Italienisch?«, fragte ich ihn, denn als wir beide in unserer Jugend gegeneinander gefahren waren, hatte ich ihn damit aufgezogen, dass er einer der wenigen Fahrer war, die bis auf Englisch keine weitere Sprache beherrschten.
»Seit ich diese Frau heiraten und einen Teil ihrer Verwandten auf der Hochzeit ordentlich begrüßen möchte«, erwiderte Henning voller Inbrunst, Stolz lag in seinem Blick.
»Gott, das ist eindeutig zu kitschig.«
»Weil du die Romantik eines Steinzeitmenschen besitzt, muss eine süße Geste nicht gleich kitschig sein, McKinnon«, antwortete Henning schlagfertig wie immer. »Und wenn wir schon dabei sind: Karla war davon überzeugt, dass du nicht kommst, aber ich hab gemeint, das gilt nicht für MacKenzies Geburtstag, egal, wie sehr das gegen deine Natur geht. Deswegen …« Er nickte Karla zu, die einen Briefumschlag aus ihrer farblich abgestimmten Handtasche zog und mir in die Hand drückte. Ein kleines, mintgrünes Wachssiegel, auf dem ein winziges Rennauto abgedruckt war, hielt den Umschlag geschlossen. »Deswegen haben wir hier eine weitere Herausforderung für dich.«
»Ich bin eingeladen?«, fragte ich verblüfft. »Zu eurer Hochzeit?«
»Selbstverständlich. Mit Plus eins. Du hast auch über ein Jahr lang Zeit, dich mental darauf vorzubereiten«, kam es von Henning, sein spitzbübisches Grinsen verlieh ihm dieselbe Jungenhaftigkeit wie damals, als wir in Neapel bei den Kartingweltmeisterschaften gegeneinander angetreten waren und er mich in Turn 1 in den Kies abgedrängt hatte. Nur, um sich dann anschließend darüber zu beschweren, dass ich ihm keinen Platz gelassen hatte. Was totaler Bullshit gewesen war.
»Dann … vielen Dank dafür. Und was macht ihr eigentlich hier? Zahlt Shatron nicht mehr gut genug?«
»Mein Vater ist mit MacKenzie befreundet, er hat fast fünf Jahre für ihn gearbeitet und wir machen Familienurlaub in Kalabrien, es war quasi ein Katzensprung«, erklärte Karla und ich nickte. Das ergab Sinn.
In diesem Augenblick gab es eine kurze Info über die Lautsprecher und die Gäste versammelten sich auf dem breiten Mitteldeck, wo MacKenzie bereitstand, um alle zu begrüßen. Auf dem Wasser näherte sich ein Boot, während die Gäste in ein synchrones Happy Birthday einstimmten. Erst auf Englisch, dann sang jemand auf Italienisch und alle machten mit. Ich hob meine Hand und prostete MacKenzie zu, sobald sich unsere Blicke kreuzten, und die Wärme in seinen Augen war nicht gespielt. Allison, seine Partnerin, drückte ihm einen Kuss auf die Wange und er eröffnete in seiner gewohnt souveränen Art das Buffet.
Die Leute drängten sich an mir vorbei. Irgendwie schaffte ich es, mich rar zu machen. Die Verlockung war groß, mich ein Stockwerk tiefer zu flüchten, wo deutlich weniger Trubel herrschte, aber ich begnügte mich damit, mich hinter den Pool zu verziehen und dort mit der Reling zu verschmelzen. Immerhin brachte ich es fertig, mich nicht hinter meinem Smartphone zu verbarrikadieren. Was vermutlich einen der Angestellten auf den Plan gerufen hätte. Es herrschte nämlich strenges Video- und Fotoverbot.
»Nein, ich habe eine Einladung, aber nicht dabei. Ich bin seine Tochter!«, drang eine weiche Frauenstimme vom Anleger, der sich direkt hinter mir befand, herüber. Sie übertönte die Partygeräusche um mich herum. Sämtliche Nackenhaare stellten sich mir auf.
Sie war hier. Sie war gekommen. Eigentlich hatte ich gehofft, nein gebetet, dass sich Fiona Thialda MacKenzie nicht dazu herabließ, die Geburtstagsfeier mit ihrer Anwesenheit zu beehren.
Und selbstverständlich kam sie zu spät. Musste einen großen, melodramatischen Auftritt hinlegen, weil für Fiona Thialda MacKenzie alles eine fucking Bühne war.
Gerade als ich mich von der Reling lösen wollte, um der Situation zu entkommen, trafen sich unsere Blicke, obwohl uns einige Meter trennten. In den unterschiedlichen Farbsplittern der bunten Beleuchtung, die vom Schiff aus das kleine Beiboot beschienen, sah sie aus wie eine blonde griechische Göttin, die gerade aus den Fluten des Meeres stieg.
In meiner Brust wurde es eng und eine Vielzahl von Gefühlen flutete meinen Körper. Wie immer, wenn ich sie sah. Da war so viel Abscheu, so viel Wut, Verachtung. Weil sie mit ihrem Charakter und ihrer Art für alles stand, was ich gelinde gesagt zum Kotzen fand.
Meine Mundwinkel bogen sich automatisch nach unten.
Sobald Fiona mich erkannte, verengte sie diese umwerfenden grünbraunen Augen, die jetzt viel grüner wirkten. Der Security sagte etwas, das ich nicht verstand, und im nächsten Moment hatte sie den Finger anklagend auf mich gerichtet.
»Duncan!«, spie sie förmlich aus, als wäre mein Name aus ihrem Mund eine tödliche Krankheit. »Er kann bezeugen, dass ich die Tochter bin!«
Kurz war ich geneigt, so zu tun, als hätte ich sie nicht gehört. Der Security drehte sich fragend um und sah mich mit gefurchter Stirn an.
Manchmal war ich ein Arschloch. Vor allem dann, wenn es sein musste. Fressen oder gefressen werden. Aber auch nicht so ein großes Arschloch, dass ich sie jetzt in diesem Moment hängen lassen würde. Immerhin war es der Geburtstag ihres Vaters. Also löste ich meine verschränkten Arme und hob einen Daumen. Erkennen zeichnete sich auf den Zügen des Mannes, sobald er mich erblickte.
»Das ist Fiona MacKenzie. Seine Tochter.« Meine Worte wurden vom Wind verschluckt, aber der Security verstand sie trotzdem. Seine Augen weiteten sich vor Entsetzen, als er den Kopf in Richtung Fiona wandte und sie eilig an Bord ließ und sich mehrfach entschuldigte. Vermutlich sah er vor seinem geistigen Auge bereits seine Kündigung.
Fiona schwebte an Deck, die Haltung gerade, das Kinn aufrecht. Für den Anlass und den Ort der Feier völlig unpassend trug sie ein viel zu kurzes silbernes Kleid, das oberhalb ihrer Knie endete. Es stand ihr umwerfend, keine Frage. Aber hier draußen, auf luftiger See? Fror sie damit nicht? Vielleicht wollte sie provozieren, und verdammt, auch das wäre ihr gutes Recht. Sollte sie doch tragen, was sie wollte.
Ihre spitzen, kleinen Brüste tanzten bei jedem Schritt, aus Anstand sah ich weg und fragte mich, wann ich sie das letzte Mal richtig wahrgenommen hatte. Vor drei Jahren? Wie alt war sie da gewesen? Zwanzig?
Ich nahm noch einen Schluck aus meinem fast leeren Glas, spürte das wohltuende Brennen in meiner Kehle. Es dauerte nicht lange, da stolzierte sie an mir vorbei in Richtung Mitteldeck, ohne mich weiter zu beachten.
»Wie wäre es mit einem Dankeschön?«, schlug ich ironisch vor. »Ein Grazie tut es auch. Ganz wie du willst«, fügte ich hinzu, sobald wir uns auf gleicher Höhe befanden, und sie warf mir einen verächtlichen Blick zu, ehe sie stehen blieb.
»War klar, dass du es dir auf die Fahnen schreibst und einen auf Retter in der Not machst, was?«, erwiderte sie mit vor Kälte triefender Stimme.
Meine Brauen schossen nach oben. »Sagt ausgerechnet diejenige, die nicht einen Hauch von Anstand in den Knochen besitzt. Sonst hättest du dich ja wohl einfach bedankt«, schleuderte ich gefährlich leise zurück. Gott, wie arrogant kann jemand sein?
Fiona lächelte süßlich. »Hab vielen Dank, liebster Duncan, dass du dich nicht wie ein Arschloch verhalten und mich an Bord gelassen hast.«
»Wie fühlt es sich eigentlich an, ständig auf die Hilfe anderer angewiesen zu sein?«, rutschte mir hinterher, wofür ich mir am liebsten auf die Zunge gebissen hätte. Normalerweise suchte ich nicht freiwillig die Konfrontation. Aber in Fionas Gegenwart war es, als ob ich zu einem anderen Menschen wurde.
Für einen Sekundenbruchteil meinte ich so etwas wie tiefgreifenden Schmerz in ihrem Blick aufflackern zu sehen, dann verengte sie jedoch die Augen zu zwei schmalen Schlitzen und hob ihr Kinn noch etwas weiter.
»Besser, als meine Karriere auf dem Geld von Fremden aufzubauen und an ihrem Rockzipfel zu hängen.«
Ich lachte auf. »Im Ernst. Wie lebt es sich denn mit Daddys Kreditkarte? Bequem?«
Fiona verharrte ganz still. »Du hältst mich wirklich für eine verwöhnte, reiche Göre, was?«
Mein Grinsen war völlig humorlos. »Bist du das denn nicht?«
»Wenn es sein muss«, antwortete sie kryptisch und ließ mich einfach stehen. Stolzierte auf diesen dünnen Plateausohlen über den wackligen Boden, als wäre es die leichteste Übung der Welt. Und ich starrte ihr hinterher. Abgelenkt von ihrer Schlagfertigkeit und der Art, wie sie mich sprachlos zurückließ.
Mein Blick senkte sich auf mein leeres Glas.
Ich brauchte dringend mehr Whisky.
Holy Shit, mir war noch keine Person begegnet, die mich dermaßen aus der Reserve lockte. Mich rasend machte und zur Weißglut trieb. Und mich gleichzeitig so durcheinanderbrachte wie sie.
Fiona Thialda MacKenzie.
Die Tochter jenes Mannes, dem ich alles verdankte.
4
FIONA
Ich hatte es gerade noch rechtzeitig geschafft. Der Gedanke kreiste in meinem Kopf, als mein Fahrer mich an der Party-Location in der hügeligen Klippenlandschaft unmittelbar oberhalb des bunten Lichtermeers Kerantis absetzte. Zum Glück hatte ich akribisch und mit viel Puffer geplant, immerhin kannte ich den höllischen Verkehr und die engen Serpentinen hier nur zu gut. Nicht vorhergesehen hatte ich allerdings, dass mein Flug in Rom gestrichen worden war, aber selbst nachdem mein Extra-Zeitfenster von drei Stunden damit gefährlich geschmolzen war, hatte ich es irgendwie hingekriegt, pünktlich aufzutauchen.
Wenn ich eins hasste, dann war es Zuspätkommen. Oder gar nicht aufzutauchen. Schließlich war ich oft genug die Leidtragende von genau so einem Verhalten gewesen.
Dads Privatvilla war ein herrschaftliches Château in den Bergen von Morena. Sie war sein Rückzugsort, und er stellte sie selten für diese Art von Anlässen zur Verfügung.
In meinen silbernen Stilettos eilte ich über den Schachbrett-Marmorboden des alten, klassizistisch angehauchten Foyers, das auffallend leer war. Von der Party war noch nichts zu hören oder zu sehen, aber vielleicht war ich eine der Ersten.
Zum Glück hatte ich mir gemeinsam mit Aurora noch eine Pediküre reingequetscht, unmittelbar nach meiner Abschlussfeier vor ein paar Tagen. Als ich mit brummendem Schädel, Muskelkater vor Lachen und einem vor Glück platzenden Herzen meine Sachen zusammengepackt und die kleine Wohnung inmitten von Stockbridge geräumt hatte.
Mein Handy war weiterhin stumm geblieben, zumindest was meine Eltern betraf. Mom hatte noch ein Bouquet an atemberaubenden Gladiolen und eine kleine Karte mit den Worten Glückwunsch, mein Schatz geschickt. Ich schenkte sie Susie, meiner knapp achtzigjährigen Nachbarin, die sich freute und mich mit lieben Worten verabschiedete.
Von Dad kam nichts. Nada. Auch nicht nach der Zeremonie.
So gut es ging, ignorierte ich den ziehenden Schmerz in der Brust und füllte die Leere in mir, indem ich die Kreditkarte für Notfälle zum Glühen brachte. Insgeheim wusste ich, dass die kurze Dopamin-Freude nicht das eigentliche Problem löste. Aber verdammt … es war leichter, sich im Versace-Fummel wie eine Schauspielerin aus den 60ern zu fühlen und nicht das jammernde kleine Mädchen zu geben, das nicht drüber hinwegkam, dass seine Eltern es weitgehend ignorierten.
Jetzt freute ich mich auf ein paar Wochen Auszeit. Tage im MOTOMOTO, dem luxuriösen Beachclub, zu dem man nur auf Einladung Zutritt erhielt. Paddle-Tennis. Schwimmen. Wandern. Sport war mein Ausgleich, mein Ventil. Wobei ich auch meine Bewerbungen angehen würde. Bisher hatte ich mein Resümee ausgebessert, meine Praktika bei einer PR-Agentur namens WorldWidePromotion eingetragen und darauf gehofft, dass sich bald eine Tür für mich öffnete, hinter der ich ein bisschen Motorluft schnuppern durfte. Aber nun wurde es Zeit, aktiver zu werden.
Vorher kam jedoch erst einmal Dads Geburtstag.
Heute Abend fielen meine blonden Haare in fließenden Wellen über meinen so gut wie nackten Rücken, da lediglich ein dünner, silberner Neckholder mein gewagtes Kleid zusammenhielt. Aus allen Ecken beäugten mich griechisch-römische Skulpturen, erinnerten an die unterschiedlichen Einflüsse und Herrschaften, Kulturen und Regierungen, die Morena erlebt hatte. Als Kind hatte ich erst Angst vor ihnen gehabt, dann waren sie eine Zeit lang meine besten Freunde gewesen. Die Stilettos verursachten bei jedem Schritt ein klackendes Geräusch auf dem Marmorboden.
Vor den geflügelten Holztüren standen zwei Securityleute, die mich kritisch musterten, als ich mit einem Lächeln nähertippelte. War ich so viel zu früh?
In diesem Moment hörte ich ein eiliges Tippeln hinter mir. »Fiona?«, sprach mich gleich darauf eine nasale, aber freundliche Frauenstimme an.
»Ja?« Lächelnd drehte ich mich um und entdeckte Philippa. Sie arbeitete im Staff der Villa.
»Wie schön, dich zu sehen!«, begrüßte ich sie.
»Ich dachte, du hättest Sommerurlaub?« Täuschte ich mich oder huschte ein bedrückter Ausdruck über ihr Gesicht? »Wie geht es Raphael? Und deiner kleinen Maus, hat sie das erste Schuljahr gut überstanden?«
»Fiona?«, wiederholte Philippa, ohne mir zugehört zu haben.
Als ich ihren Gesichtsausdruck bemerkte, gefror das Blut in meinen Adern. »Ist etwas passiert?«, fragte ich alarmiert.
»Nein, aber … warum bist du hier?«
Ich musste ziemlich verwirrt aus der Wäsche schauen, denn sie fügte hinzu: »Ich meine. Hier. Hier auf dem Château. Hat dir denn niemand Bescheid gegeben?«
»Bescheid gegeben, weswegen?« Ich blinzelte verwirrt und mein Herz sank. Ich spürte, wie sich Hitze in meinen Wangen ausbreitete, plötzlich fühlte ich mich wackelig auf den Beinen.
»Na, die Location wurde doch verlegt.«
Mein Mund klappte auf. Dann wieder zu. »Verlegt. Verlegt: wohin?«
»Sie feiern auf der Rivera. Dein Vater hat sich umentschieden. Hat dir das denn keiner gesagt?«
Cover
Loewe Intense
Titel
Triggerwarnung
Widmung
Inhalt
Playlist
Kapitel 1 Duncan – »Verfluchte Scheiße«, knurrte …
Kapitel 2 Fiona – »Amal Kumari«, tönte …
Kapitel 3 Duncan – Die untergehende Oktobersonne …
Kapitel 4 Fiona – Ich hatte es …
Kapitel 5 Duncan – Das Blut rauschte …
Kapitel 6 Fiona – Mit Bedauern müssen …
Kapitel 7 Duncan – Das komplette Team …
Kapitel 8 Fiona – Verdammt.
Kapitel 9 Duncan – Die Wut war …
Kapitel 10 Fiona – Kein Mensch wusste, …
Kapitel 11 Duncan – Nur, wer Fahrer …
Kapitel 12 Fiona – Ich denke an …
Kapitel 13 Duncan – »O Gott. Es …
Kapitel 14 Fiona – Zu meinem großen …
Kapitel 15 Duncan – »D, du kannst …
Kapitel 16 Fiona – Ich brauchte Stunden, …
Kapitel 17 Duncan – Alfred Logan MacKenzie …
Kapitel 18 Fiona – Keine Ahnung, wie …
Kapitel 19 Duncan – Packen, Flughafen, fliegen, …
Kapitel 20 Fiona – Bisher war es …
Kapitel 21 Duncan – Nichts in der …
Kapitel 22 Fiona – Tokio-Gate verschob etwas. …
Kapitel 23 Duncan – Die schwülfeuchte Luft …
Kapitel 24 Fiona – Wir machten es …
Kapitel 25 Duncan – Die Luft knisterte …
Kapitel 26 Fiona – Binnen einer Woche …
Kapitel 27 Duncan – Ich war ein …
Kapitel 28 Fiona – Immer und immer …
Kapitel 29 Duncan – Es war ganz …
Kapitel 30 Fiona – Sechs Monate später – Als ich mein …
Glossar
Danksagung
Triggerwarnung
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Textbeginn