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**Bist du bereit für das tödliche Spiel der Hexenzirkel?** Romina will Aydens Tod. Ihr Erzfeind, mit dem sie eine Nacht verbracht und dessen Familie ihren Zirkel fast ausgelöscht hat. Sie bekommt ihre Chance zur Rache, als sie zum traditionellen Hexenzirkel-Wettkampf nach Venedig reist. Dort gilt es, den Platz auf dem Thron aller Hexen für sich zu bestreiten: ein Titel, der ihren Zirkel retten würde. Doch zwischen den tödlichen Prüfungen muss sie bald entscheiden, wofür sie wirklich kämpft – und welchen Einfluss Ayden auf sie hat. Denn in diesem Spiel riskiert sie weitaus mehr als nur ihr Leben. Fluchmagie trifft auf Zaubertränke, Rache und Hass treffen auf unerwartete Gefühle – für alle Fans von Enemies to Lovers, Forbidden Love und Touch Her And Die. //»Curses & Betrayal« ist der erste Band der fesselnden Urban-Fantasy-Dilogie »Game of Covens«. Alle Titel der Reihe: -- Band 1: Game of Covens. Curses & Betrayal -- Band 2: Game of Covens. Revenge & Redemption (erscheint im November 2025)//
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Veröffentlichungsjahr: 2025
COVE Story
More than a feeling.
COVE Story ist ein Imprint des Carlsen Verlags und publiziert romantische und fantastische E-Books und Prints. Wenn du süchtig machende Romance- und Romantasyromane deutschsprachiger Autor*innen suchst, ob von Newcomer*innen oder Vielschreiber*innen, wirst du hier garantiert fündig. Jede Cove Story lässt dich durch die Seiten fliegen und ist auf ihre eigene Art und Weise einzigartig.
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Anne Harmon
Game of Covens 1: Curses & Betrayal
**Bist du bereit für das tödliche Spiel der Hexenzirkel?**
Romina will Aydens Tod. Ihr Erzfeind, mit dem sie eine Nacht verbracht und dessen Familie ihren Zirkel fast ausgelöscht hat. Sie bekommt ihre Chance zur Rache, als sie zum traditionellen Hexenzirkel-Wettkampf nach Venedig reist. Dort gilt es, den Platz auf dem Thron aller Hexen für sich zu bestreiten: ein Titel, der ihren Zirkel retten würde. Doch zwischen den tödlichen Prüfungen muss sie bald entscheiden, wofür sie wirklich kämpft – und welchen Einfluss Ayden auf sie hat. Denn in diesem Spiel riskiert sie weitaus mehr als nur ihr Leben.
Buch lesen
Vita
Danksagung
Pascal Nguyen
Anne Harmon wurde als eines der letzten 90er Kinder im wunderschönen Süden Deutschlands geboren. Das Schreiben bietet ihr einen kreativen Ausgleich zu der Welt der Algorithmen, Logik und Software, in der sie sonst versinkt. Sie liebt Bratapfeltee, Friends und die Winterzeit, wenn die Eishallen öffnen. Falls keine eisigen Bühnen zur Verfügung stehen, tritt sie mit ihrer Vocal Group auf.
Für alle, die ihren Platz in der Welt noch nicht gefunden haben.
Liebe*r Leser*in,
dieser Roman enthält potenziell triggernde Inhalte. Aus diesem Grund befindet sich hier eine Triggerwarnung. Am Romanende findest du eine Themenübersicht, die Spoiler enthält.
Entscheide bitte für dich selbst, ob du diese Warnung liest. Gehe während des Lesens achtsam mit dir um. Falls du auf Probleme stößt und/oder betroffen bist, bleibe damit nicht allein. Wende dich an deine Familie und an Freunde oder suche dir professionelle Hilfe.
Wir wünschen dir alles Gute und das bestmögliche Erlebnis beim Lesen dieser besonderen Geschichte.
Anne Harmon und das COVE Story-Team
1. Vates: die Wahrsager
2. Maledictas: die Fluchhexen
3. Sanguise: die Bluthexen
4. Veneficiis: die Tränkemischer
5. Medicuse: die Heilerhexen
6. Animalis: die Tierhexen
7. Miraculas: die Schmiedhexen
8. Necromancas: die Totenbeschwörer
9. Ritualias: die Ritualhexen
10. Somnias: die Traumhexen
11. Daemonis: die Dämonenhexen
12. Runic: die Runenhexen
13. Transformia: die Wandlerhexen
Das prächtige Herrenhaus lag in völliger Stille vor ihm. Kein Fenster war mehr erleuchtet und es wirkte beinahe verlassen.
Der Hexer stand auf einer Anhöhe, durch die er einen besonders guten Blick auf die hohen Fenster und die weißen Säulen hatte, die den Eingang säumten.
»Bist du dir sicher?«, fragte der Mann neben ihm, der in den letzten Monaten so etwas wie seine zweite Hand geworden war.
»Sie haben uns meine Schwester genommen. Ich werde nichts unversucht lassen, um sie zurückzuholen.« Der Hexer unterdrückte ein Knurren. Seit er herausgefunden hatte, wo sie sich befand, konnte er sich kaum noch zügeln. Nachdem ihm schon seine Eltern genommen worden waren, würde er nicht zulassen, dass ihm mit ihr auch sein letztes Familienmitglied gestohlen wurde.
Mit zitternden Händen zerknüllte er das Blatt Papier in seiner Hand. Er wollte die Worte, die diese widerliche Hexe darin an seine Schwester gerichtet hatte, für immer auslöschen. Zerstören, welchen Beweis er da in den Händen hielt.
Hinter ihm hatte sich fast sein gesamter Zirkel versammelt. Alle Hexen und Hexer waren seinem Ruf gefolgt, bis auf die zwei jungen, die sie nach dem Tod seiner Eltern aufnehmen mussten, um den heiligen Bund der Dreizehn aufrecht zu erhalten.
Die Gedanken an seine Eltern sorgten dafür, dass seine Wut ins Unermessliche stieg. Zusammen mit der Trauer und den unsäglichen Schuldgefühlen, die ihn plagten, war dies eine gefährliche Mischung. Seine Magie prickelte durch seinen ganzen Körper. Bereit hinausgelassen zu werden und zu tun, was sie am besten konnte: zerstören.
Jemand musste für ihr Verschwinden bestraft werden und er persönlich würde es tun.
Wie Boten des Tods schlichen die Hexen auf das Herrenhaus zu.
Er setzte sich als Letzter in Bewegung. Das Gesicht vor zorniger Erregung verzerrt.
Freudige Erwartung auf Rache trieb ihn an.
13 Raben wurden ausgesandt.
Der Fürst der Hexen war tot.
Die Spiele hatten begonnen.
Ein kreischendes Geräusch am Fenster ließ mich aus dem Schlaf schrecken. Hastig riss ich den Kopf herum und starrte angestrengt in die wolkenverhangene, jetzt wieder stille Nacht.
Nichts.
Trotzdem wandte ich den Blick vom Fenster nur langsam ab. Was war das gewesen? Die letzte Müdigkeit vertreibend, die der Schreck übriggelassen hatte, rieb ich mir die Augen und stierte dann in den gigantischen Kessel vor mir. Ich musste in dem Ohrensessel vor dem Feuer weggenickt sein. Die moosgrüne dicke Flüssigkeit blubberte zum Glück weiterhin beständig vor sich hin. Ein Blick auf die altmodische Uhr aus Metall über der Feuerstelle verriet mir, dass es Zeit war, erneut umzurühren. Ich achtete darauf, den Löffel ruhig zu führen und mich ganz auf den Zaubertrank zu konzentrieren.
Doch es gelang mir nicht. Immer wieder huschten meine Augen zurück zum Fenster.
Ich seufzte und fuhr mir über das Gesicht. Meine fehlende Konzentration würde noch dem Trank schaden. Jede Kleinigkeit nahm beim Brauen Einfluss darauf. Die Magie, die Qualität der Zutaten und die Persönlichkeit der Hexe selbst, aber auch ihre Stimmung, die Tageszeit oder die aktuelle Mondphase.
Den Löffel wieder gegen den Rand legend, lehnte ich mich in dem alten schäbigen Ohrensessel zurück, der direkt vor dem prasselnden Feuer positioniert war.
Ich ließ meinen Blick über die Küche schweifen, die nur von den zuckenden Flammen erhellt wurde. Auf der verkerbten und abgenutzten Arbeitsfläche lagen zerhackte Kräuter und Blüten, Schälchen mit Zutaten, wie Rattenhaare oder Schlangenhaut, und diverse kleine Fläschchen mit Flüssigkeiten und Gasen.
Neben mir kullerte ein verstopftes Reagenzglas aus eigener Kraft hin und her. Es war befüllt mit einem besonders giftgrünen Gas, das an den Glaswänden waberte und um Freilassung bat. Ich griff danach und lauschte noch einmal angespannt nach dem Geräusch am Fenster. Aber nichts außer dem Blubbern des Trankes und dem Zischen des Feuers.
Das hast du dir nur eingebildet. Niemand hat uns gefunden, sagte ich mir und öffnete über dem Trank das Reagenzglas mit dem Gas, das sich gierig auf die Flüssigkeit im Kessel stürzte. Es dauerte nur Sekunden, bis das Elixier sich tiefrot färbte. Zufrieden zog ich den Stift von meinem Hinterkopf, der bisher meine Haare zusammengehalten hatte. Orange-rote Strähnen, die die gleiche Farbe hatten wie das Feuer vor mir, fielen über meine Schultern. Ich notierte mir die korrekte Menge in dem Notizbuch auf meinem Schoß. Schon seit einer Woche experimentierte ich nachts an diesem Trank.
Als sich plötzlich schlurfende Schritte näherten, schreckte ich zum zweiten Mal auf. Der Boden knarrte bedrohlich, als jemand zur Tür der Küche kam.
Mit einem Satz sprang ich auf und schnappte mir den Besen, der neben der Feuerstelle an der Backsteinwand lehnte.
Knirschend öffnete sich die Tür. Ich hob den Besenstiel, bereit zum Angriff. Mein Magen machte einen Sprung und sackte mir in die Knie.
»Romina?«
Nur mit Mühe konnte ich verhindern, meiner Großmutter eins überzuziehen. Erleichtert aufatmend stellte ich den Besen wieder ab, ließ mich mit rasendem Herzen zurück in den Ohrensessel sinken.
Vor dem Fenster verzog sich eine Wolke vor dem Vollmond und fast schon taghelles Licht beleuchtete die bereits ausgeprägten Falten meiner Großmutter. In ihrer Mitte strahlten lebendige blaue Augen, die die Tiefe von mehr als einem gelebten Leben hatten.
»Moma«, entfuhr es mir und fuhr mir durch die Haare. »Das war knapp.«
»Weißt du, wie spät es ist?«, tadelte sie mich.
»Ich stehe kurz vor einem Durchbruch. Dieses Mal klappt es und es wird nicht nur die rechte Hälfte des Körpers unsichtbar«, erklärte ich, immer noch ein bisschen zu schnell atmend.
Alle zwölf Hexen und Hexer des Veneficiis-Zirkels, des Zirkels der Tränke, trugen etwas dazu bei, dass wir mit dem Verkauf der Zaubertränke überleben konnten. Tagsüber war unser ganzer Hexenzirkel damit beschäftigt, die eingehenden Bestellungen für andere Hexen abzuarbeiten. Doch in meiner freien Zeit war ich besonders fasziniert vom Erschaffen neuer Tränke und der Wiederentdeckung alter Rezepte. Aber da ich, als Enkelin der Ersten Hexe des Zirkels, tagsüber viele Verpflichtungen hatte, musste ich meinen Experimenten oft nachts nachgehen.
Moma seufzte schwer.
Ich wusste, was gleich folgen würde.
»Weißt du, du könntest deine Talente so viel besser nutzen, wenn du dich endlich auch der Giftmischerei zuwendest«, sagte Moma und legte mir sanft, aber bestimmt eine Hand auf die Schulter. Seit ich denken konnte, war Moma die Anführerin unseres Zirkels und das Oberhaupt unserer Familie. Als Erste Hexe war sie in der Lage, die Magie der anderen Zirkelmitglieder zu nutzen, um so ihre eigene Macht zu steigern und damit noch mächtigere Tränke herzustellen. Während ich mich lieber mit wilden Erfindungen beschäftigte, die oft genug schief gingen.
»Ich möchte nicht der Grund sein, dass anderen Schaden zugefügt wird«, erklärte ich ihr vorsichtig. Wir führten dieses Gespräch nicht zum ersten Mal. Moma erwartete schon seit Jahren von mir, dass ich mein besonderes Talent zum Mischen und Erfinden von Tränken ebenfalls dafür nutzen sollte, auch neue Gifte zu erschaffen. Es würde unser Geschäft deutlich ankurbeln und die Abhängigkeit der anderen zwölf Zirkel von uns massiv erhöhen. Und nach diesem grausamen Tag vor 20 Jahren, als fast alle unsere Rezeptbücher vernichtet wurden, konnten wir diese Macht dringend brauchen. Die Fluchsprecher der Maledictas-Hexen hatten auch kein Problem damit, schwere und tödliche Flüche zu verkaufen. Geschweige denn, das Geschäft der Totenbeschwörer oder Bluthexen. Aber ich hatte Bilder gesehen, von Hexen, aber auch von Menschen, die grausigen Flüchen und Zaubern ausgesetzt worden waren, bei denen mir ganz kalt wurde.
»Magie kann immer missbraucht werden.« Moma schnalzte abschätzig mit der Zunge.
Erschöpft von dem wiederkehrenden Streit starrte ich ins Feuer. Wenn Moma wüsste, was sich unter den Dielen in meinem Zimmer versteckte. Natürlich hatte die Neugier auf das Giftmischen schon vor Jahren überwogen. Erst hatte ich mir geschworen, nur ein, zwei kleinere Versuche durchzuführen, aber ich hatte schnell gemerkt, dass Moma recht hatte: ich war gut darin. Was das über mein Wesen aussagte, wollte ich nicht wissen. Dennoch befanden sich mittlerweile einige Gemische, teils mit grauenhaften Effekten, in meinem Schlafzimmer. Viele von ihnen hatte ich mich nicht einmal getraut, selbst auszuprobieren. Obwohl ich sie niemals verkaufen würde, konnte ich mich nicht von ihnen trennen. Manche hatten mich Monate, einige sogar Jahre, in der Herstellung gekostet.
»Na gut«, gab Moma nach und strich mir übers Haar. »Mach aber nicht mehr zu lange. Morgen ist der Geburtstag der Zwillinge. Das wird sicher anstrengend.«
Ich griff nach den länglichen Flaschen aus farbig schimmerndem Glas. Ein Glasstopfen verhinderte, dass der Eistee auslief, den ich den beiden zusammengestellt hatte. Auch, wenn der Herbst schon Einzug gehalten hatte, war für morgen ein heißer Tag angekündigt worden und die Zwillinge liebten meine selbst erfundenen Getränke.
»Schmeckt wie das reine Glück«, sagte Maria immer.
»Wie ein Stück des Himmels«, ergänzte Maira jedes Mal.
Ja, ihre Mutter Rissa hatte sich nicht davon abbringen lassen, ihre Töchter so zu taufen: Maria und Maira.
Dieses Mal hatte ich mir besonders viel Mühe gegeben und einen süßen Tee auf der Basis von Schwarztee mit Orangenöl und Pfirsichen zusammengebraut. Das Ganze hatte ich mit einem Schuss Limettensaft und einem kleinen bisschen Nelke abgerundet.
Moma nahm mir eine der Flaschen ab und betrachtete das handgezeichnete Etikett mit der feinen Schrift. Dann entkorkte sie die Flasche und hielt sie sich unter die Nase.
»Das riecht wundervoll«, sagte sie und stellte die wieder verschlossene Flasche auf das Tischchen neben mich.
»Danke«, antwortete ich und musste unwillkürlich lächeln.
»Ich werde mich jetzt wieder an den einzig vernünftigen Platz für diese Uhrzeit begeben«, erklärte sie und zog sich ihren langen Morgenmantel enger um den Körper.
»Gute Nacht, Moma«, verabschiedete ich mich, hob die Hand, als sie den Raum verließ.
Nachdem meine Großmutter gegangen war, kuschelte ich mich wieder in meinen Sessel und kontrollierte weiter, wie mein Trank sich verhielt. Doch nach kürzester Zeit spürte ich erneut, wie meine Lider schwerer wurden. Mit einem Gähnen erhob ich mich schwerfällig und öffnete die Hintertür, die zu unserem Garten voller Kräuter, Pflanzen und Blumen führte, dessen Ende ich von hier aus nicht einmal sehen konnte. Auf einem umzäunten Bereich lebten Schafe, bewacht von einem großen, aber sehr faulen Schäferhund. Sogar ein kleines, krummes Gewächshaus mit vernebelten Scheiben zierte das wilde Durcheinander. Das Hotel Hortus mit seinem weitläufigen Gelände war schon seit ich denken konnte mein Zuhause und ich liebte jeden krummen Backstein, jedes Tier in unserer Obhut und am meisten jeden Kessel, in dem wir die wildesten Tränke brauten.
Die kühle Nachtluft klärte meine Sinne und vertrieb die Müdigkeit aus meinen Augen. Ich sah mich immer noch besorgt nach der Quelle des seltsamen Geräuschs von vorhin um. Als ich nichts entdeckte, legte ich den Kopf in den Nacken, um den vollen Mond zu betrachten.
Auf einmal rieselte mir eine Erkenntnis eiskalt den Rücken hinunter: Es war weit und breit kein Geräusch zu hören. Kein Zirpen der Grillen. Kein Rascheln kleinerer Tiere, die sich durch das frisch gefallene Laub wühlten. Nicht einmal ein einziges Blatt bewegte sich im Wind. Die Stille dröhnte in meinen Ohren und drückte gegen mein Trommelfell.
Alarmiert drehte ich mich im Kreis. Der Veneficiis-Zirkel lebte jetzt schon seit dem Angriff vor 20 Jahren versteckt hier am Hang eines Berges in einem unbewohnten Gebiet in Deutschland. Wenn wir gefunden werden würden, wäre das für uns ein sicheres Todesurteil. Wir waren nur zu zwölft und damit eine Hexe zu wenig. Nur ein Zirkel bestehend aus dreizehn Hexen fand Schutz im Bund der Dreizehn. Außerdem waren wir noch ein sehr junger Zirkel ohne viele erfahrene Hexen und Hexer. Die Einzige, die uns aus der alten Zeit geblieben war, war meine Großmutter. Dadurch war unsere Macht fragil und wir konnten uns nur schwer gegen Eindringlinge behaupten. Vor allem gegenüber anderen Hexenzirkeln. Nur durch Verstecken konnten wir die letzten beiden Jahrzehnte überleben.
Ein Krächzen zerriss die unnatürliche Stille und ich wollte an meinen Gürtel greifen, der normalerweise immer mit kleinen Ampullen mächtiger Zaubertränke befüllt war. Doch ich ertastete nur den Bund meiner Schlafhose. Ich fluchte leise. Mein Gürtel lag oben in meinem Zimmer.
Erneut ein Krächzen. Langsam, die Augen vor Schreck geweitet, drehte ich mich wieder zum Haus um.
In der Totenruhe der Nacht saß ein Rabe auf unserem Vordach. Seine schwarzen Augen starrten mich intensiv an.
Mein Herz setzte einen Schlag aus.
Das hier war kein normales Tier und ich wusste, was der Besuch des Raben bedeutete.
Die Spiele hatten begonnen.
Ohne den Raben aus den Augen zu lassen, der mich ebenfalls unverwandt anstarrte, bückte ich mich vorsichtig. Blind ertastete ich mit den Fingern einen Zweig und erhob mich damit langsam wieder.
Die Augen des Raben folgten meinen Bewegungen. Er stellte die Kopffedern auf und betrachte das dünne Stück Holz, das ich aufgehoben hatte, als würde er mich fragen, ob dieses Stöckchen mein Ernst war.
Zitternd griff ich um, damit der Zweig besser in meiner Hand lag.
Der Rabe legte den Kopf schief.
Ich holte aus. Mit Schwung warf ich das Stück Holz über den Raben hinweg gegen das darüberliegende Fenster. Der pechschwarze Vogel zuckte nicht einmal mit den Flügeln.
Zum Glück hatte das Geräusch schon ausgereicht. Das Fenster, das ich getroffen hatte, öffnete sich. Maira streckte den Kopf hinaus und sah sich suchend um, bis sie mich entdeckte.
»Was ist los?«, fragte sie verschlafen.
»Sei so gut und weck sofort Moma und deine Mutter!«, rief ich. Bei meinem ernsten Tonfall riss sie die Augen auf.
»Bitte«, setzte ich dazu und ihr Kopf verschwand.
Nach und nach schalteten sich die Lampen im Haus an und ein Fenster nach dem anderen leuchtete auf. Währenddessen lieferte ich mir immer noch ein Blickduell mit dem Raben.
Dann nahm ich aus den Augenwinkeln wahr, wie endlich eine Gestalt in der geöffneten Hintertür zum Garten erschien.
»O nein«, ertönte Rissas Stimme, ungewöhnlich laut in der Stille. Sie schlug sich die Hand vor den gepiercten Mund. Ihr panischer Blick war auf das Tier auf unserem Vordach gerichtet.
»Was, Mama?«, fragte eine der Zwillinge, die hinter ihr aufgetaucht war. Die kniekehlenlangen Haare der beiden waren völlig zerzaust. Sie versuchten sich an ihrer Mutter, die im Türrahmen zur Küche stand, vorbei nach draußen zu drücken, aber sie stoppte sie. Weitere Mitglieder unseres Zirkels versammelten sich hinter Rissa in der Küche, versuchten um sie herum in den Garten zu sehen. Ich hörte ihr Gemurmel, das die sonst immer noch stille Nacht füllte.
»Was ist hier los?«, ertönte Momas Stimme über die Gespräche der anderen hinweg.
Augenblicklich trat Rissa mit den Zwillingen zur Seite und ließ meine Großmutter in den Garten. Ihre Augen richteten sich ebenfalls sofort auf den Raben. Dieser zeigte bei ihrem Erscheinen zum ersten Mal eine Reaktion.
Bedächtig neigte er den Kopf, als nickte er mir zu.
Mit einem weiteren lauten Schrei stieß er sich vom Dach ab und war mit wenigen Schlägen seiner Flügel in der Nacht verschwunden. Eine große Wolke schob sich wieder vor den Vollmond und mit einem Mal kehrten alle Geräusche zurück. Selbst das sanfte Rascheln der Blätter im Wind erschien mir auf einmal zu laut.
Ich schüttelte benommen den Kopf und fühlte mich, als wachte ich aus einer Trance auf. In der Küche herrschte Schweigen. Dann riss ich meinen Blick von dem kleiner werdenden Punkt in der Ferne los und sah zu Moma.
Die Jüngeren wussten nicht, was der Rabe bedeutete, aber ich schon. Moma hatte mich mein halbes Leben darauf vorbereitet. Doch wir hatten gehofft, dass ich mehr Zeit haben würde. Dass ich älter sein würde und die Chance hätte, mir mehr Hexenkunst anzueignen.
»Alle ins Bett«, befahl meine Großmutter entschieden und hektisches Treiben brach aus. Aber keiner verließ die Küche, ohne Moma und mir einen letzten Blick zuzuwerfen.
Schließlich standen wir allein in dem düsteren Garten.
»Du auch«, richtete Moma sich an mich und nickte Richtung Haus.
»Was sollen wir tun?« wisperte ich und rührte mich nicht von der Stelle.
»Erst einmal schlafen«, entgegnete sie.
Ich hatte tausend Fragen. Bei keiner einzigen war ich mir sicher, ob ich die Antwort hören wollte. Doch ich wusste, dass mit Moma diskutieren sinnlos war. Also ging ich zurück in die Küche und trat an meinen Kessel. Mit einem großen Schöpflöffel füllte ich ein Reagenzglas der Flüssigkeit ab und verkorkte es. Dann überprüfte ich noch einmal die Steine, die das Feuer begrenzten, sodass ich es ohne Sorgen die restliche Nacht ausbrennen lassen konnte.
Durch das Küchenfenster sah ich verschwommen, wie Moma in der Dunkelheit zu einer der gigantischen Eschen lief, die zum Schutz unseres Zirkels das gesamte Grundstück umgaben. Sie verschwand unter den tiefhängenden Zweigen und Blättern des am nächsten stehenden Baumes.
Auf einmal kamen mir die gleichen Gedanken, die auch meine Großmutter dazu bewogen haben mussten, unseren Schutzkreis zu überprüfen: Was, wenn der Hexenfürst gar nicht tot war? Was, wenn der Rabe kein Gesandter des Fürsten der Hölle war? Was, wenn wir angegriffen wurden und dies nur ein Trick war?
Ich lauschte weiter angespannt, wartete bis Moma wieder unter den Zweigen auftauchte und zum Haus zurücklief.
»Du bist ja immer noch wach«, seufzte sie, als sie den Schmutz aus dem Garten von ihren Füßen abtrat und zurück in die Küche kam.
»Ist alles in Ordnung?«, fragte ich und sah besorgt in die Nacht hinter ihr.
»Vorerst ja«, erklärte sie. Ihre Stimme klang weicher als eben noch. »Doch jetzt geh bitte nach oben und leg dich hin.«
Ich sah mich noch einmal wachsam um, aber dann folgte auch ich ihrem Befehl und schleppte mich in mein Zimmer. An Ruhe war trotzdem nicht zu denken.
Mit Schwung warf ich mich in mein Bett, vergrub mein Gesicht in den Kissen. Gedämpfte Stimmen drangen an mein Ohr. Mein Zimmer lag direkt neben dem von Seerena und Asher, was vor allem in ihrer Honeymoon-Phase kein Vergnügen gewesen war. Zwischendurch hörte ich sogar Leo, unseren neuesten Zuwachs, dazwischen blubbern. Er war das niedlichste, aufgeweckteste Baby der ganzen Welt. Darüber herrschte Einigkeit im Zirkel.
Mir wurde kalt bei dem Gedanken, dass dies vielleicht die letzten Tage sein könnten, an denen ich Zeit mit ihm verbrachte. Mit ihnen allen. Wenn der Rabe wirklich das bedeutete, was ich dachte, würde ich bald von hier fortgehen müssen.
Mit zusammengekniffenen Augen kämpfte ich gegen die Panik an. Unruhig warf ich mich von einer Seite auf die andere, fand aber keine bequeme Position. Als ich den Drang, mich zu bewegen, nicht mehr aushielt, sprang ich auf und trabte durch mein Zimmer.
Immer wieder warf ich Blicke aus meinem Fenster. Ich wartete nur darauf, dass der Rabe auf meinem Sims saß und mich wieder mit diesen seelenlosen Augen anstarrte.
Aber die Nacht blieb dunkel und nach einer Weile verklangen auch die Stimmen im Nebenzimmer. Es gab nicht viele Pärchen innerhalb von Zirkeln. Der Fortbestand des Zirkels war eine rein geschäftliche Angelegenheit. Oft wurden dafür freie Hexen ausgewählt, die keinem Zirkel angehörten und unabhängig von ihnen lebten, aber eine Begabung für die jeweilige Zirkelmagie in sich hatten. So wie manche Menschen musikalisch oder logisch begabt waren, richtete sich auch unsere Magie in eine oder mehrere Richtungen aus. Mit dem richtigen Training, das meist nur die Zirkel boten, konnte man seine Macht perfektionieren. Viele freie Hexen lebten aber im Verborgenen, da sie gegen die Zirkel kaum eine Chance hatten. Vor allem die dunkleren Zirkel jagten freie Hexen, um sie oder Teile ihres Körpers für ihre Zauber zu nutzen. Viele von ihnen wünschten sich sogar eine Aufnahme in einen der Zirkel, aber die Plätze waren begrenzt und die Zirkel zogen es vor, neue Mitglieder selbst zu gebären. Seerena hatte sich damals Hals über Kopf in den freien Hexer verliebt, den meine Großmutter für sie ausgewählt hatte und da wir Mitglieder dringend brauchten, war es ihm gestattet gewesen, sich uns anzuschließen. Offiziell waren sogar alle sechs Kinder und Babys Teil unseres Zirkels, obwohl das Ritual zum Beitritt normalerweise erst mit der Volljährigkeit vollzogen wurde. Diesen Luxus konnten wir uns durch den Angriff und die Auslöschung der Erwachsenen des Zirkels nicht leisten.
Obwohl ich bezweifelte, dass ich einschlafen würde, legte ich mich trotzdem wieder ins Bett und lauschte meinem viel zu schnell schlagendem Herz.
Immer wieder kam ich bei einem einzigen Gedanken an: Meine Tage waren gezählt.
Nach einer sehr kurzen Nacht voller Albträume, in denen für meinen Geschmack zu viele Raben vorkamen, ging ich übermüdet die Treppen ins Erdgeschoss hinunter. Auf dem Weg zur Küche, aus der bereits der Geruch von frischem Brot strömte, vernahm ich den scharfen Tonfall meiner Moma und blieb überrascht vor der Tür stehen.
»Sie ist unsere einzige Chance.«
»Sie ist zu jung!«, widersprach eine Frauenstimme energisch. Rissa, die Mutter der Zwillinge, die für mich wie eine Schwester war.
»Jede Hexe und jeder Hexer in diesem Zirkel hat eine Aufgabe. So auch Romina.« Moma klang unerbittlich.
»Und du findest nicht, dass sie diese wie wir alle bereits jeden Tag erfüllt?«, fragte Rissa erstaunt nach. »Und jede Nacht angemerkt. Die Hälfte unserer Einnahmen beruht auf ihren Erfindungen. Sie hat mehr Rezepte kreiert und wiederentdeckt als wir alle zusammen.«
Erstaunt hob ich die Augenbrauen. Davon hatte mir Moma nie etwas erzählt. Sie hat es eher so wirken lassen, als wären meine Experimente ein Übel, mit dem sie mir zuliebe zurechtkäme. Nach der Zerstörung der Bücher, die all unsere Rezepte enthielten, hatte der Zirkel während meiner Kindheit verzweifelt versucht, so viele Tränke wie möglich zu rekonstruieren. Doch seit ein paar Jahren hatte meine Großmutter beschlossen, dass wir uns mehr auf das tägliche Geschäft mit den bereits vorhandenen Rezepten konzentrieren müssten. Mittlerweile war nur noch ich auf der Suche nach neuen Tränken.
Ich strich mir den Rock meines bodenlangen, luftigen Kleides glatt und öffnete dann die Tür zu der gemütlichen Küche.
»Guten Morgen«, begrüßte Moma mich, als sie mich erblickte. Gut war wirklich etwas anderes, dachte ich, sagte aber nichts dazu, sondern erwiderte den Gruß murmelnd. Moma griff nach einer Tasse, die über dem Herd auf einer alten, rostigen Stange an einem Haken hing.
Rissa stand mit verschränkten Armen in der offenen Tür zum Garten, aber ihre Miene wurde weicher, als sie mich erblickte. Kühle Morgenluft streifte mich.
»Wie hast du geschlafen?«, erkundete sie sich sanft, aber ich zuckte nur mit den Schultern, um mir eine sarkastische Bemerkung zu verkneifen.
Moma füllte die Tasse mit frisch gekochtem Kaffee und stellte sie zu dem dunklen Brot auf unserem Esstisch aus krummem Echtholz.
Ihrer stummen Aufforderung folgend, setzte ich mich an den Tisch, aber rührte weder Brot, meine selbstgekochte Marmelade noch den dampfenden Kaffee an. Ich wusste nicht, ob ich in der Lage gewesen wäre, irgendwas davon in mir zu behalten.
»Sagt mir die Wahrheit«, verlangte ich in dem Kaffee rührend. Ich räusperte mich. »Was war das gestern? Hat der Rabe das bedeutet, was ich glaube?«
Moma zog ein beschriftetes Pergament aus dem Chaos auf dem Esstisch und hob es unheilverkündend in die Höhe.
»Das kam heute Morgen vom Medicuse-Zirkel. Sie hatten gestern Abend ebenfalls unerwünschten Besuch«, erklärte Moma düster. »Es ist echt. Der letzte Hexenfürst ist tot. Der Kampf um den Titel hat wieder begonnen.«
»Das heißt, ich fahre nach Venedig«, schlussfolgerte ich ergeben. Und ließ mich dort von einem anderen Anwärter auf den Thron des Hexenfürsten abstechen. Wie … spaßig.
»Ja.«
»Nein«, widersprach Rissa Moma zeitgleich. »Ich wünschte, wir müssten niemanden in dieses Höllenloch schicken.«
»Du weißt genauso gut wie ich, dass jeder Zirkel verpflichtet ist, eine Anwärterin oder einen Anwärter zu schicken.«
»Dann aber nicht Romina! Sie ist noch nicht einmal fünfundzwanzig Jahre alt. Lasst uns jemand anderen nach Venedig zu den Spielen schicken. Verdammt, schickt mich!«
»Du hast Kinder«, wandte ich das Einzige ein, das Rissa davon abbringen würde, an meiner Stelle zu gehen. »Maria und Maira brauchen dich.«
Rissa schwieg. Ich war die einzige kinderlose Hexe im Zirkel. Seerena und Asher hatten ebenfalls drei kleine Kinder und Leena hatte ihren kleinen Sohn.
»Außerdem bin ich die Enkelin der Ersten Hexe und …«, begann ich, aber Moma brachte mich mit einem scharfen Blick zum Schweigen.
»Rissa«, sagte Moma entschieden, sich an sie wendend. »Romina kennt ihre Aufgabe schon sehr lange und daran wird sich jetzt nichts mehr ändern.«
»Ich werde klarkommen«, versuchte ich Rissa zu beschwichtigen. Dies war meine Chance, unseren Zirkel zu retten. Mit einer Hexenfürstin als zukünftige Erste Hexe war es nicht mehr wichtig, dass wir nur zu zwölft und jung waren. Meine Kräfte würden ausreichen, um uns vor den anderen Zirkeln oder freien Hexen zu beschützen, denn der Hexenfürst besaß die Macht, aus allen dreizehn Zirkeln Magie zu ziehen. Endlich könnte der Veneficiis-Zirkel wieder in Frieden leben – ohne ständig Angst vor der Verfolgung zu haben, weil wir so ein leichtes Ziel waren. Und vor allem würde mich niemand mehr als die Tochter der Frau sehen, die ihren Zirkel für ihren Geliebten verlassen hatte. Meine Mutter hatte unseren Zirkel mit ihrem Weggang kurz vor dem Angriff zerstört und uns quasi schutzlos zurückgelassen, denn nur ein Zirkel, der aus dreizehn Hexen bestand, war geschützt. Der Bund sorgte dafür, dass wir nur sehr schwer verletzt wurden und schneller heilten, falls es doch geschah. Das konnte aber nur in vollem Umfang geschehen, falls wir die heilige Zahl der Dreizehn erfüllten. Ohne diesen Bund waren wir leichte Beute. Die Hexe selbst war die Einzige, die die Verbindung zu einem Zirkel lösen konnte und exakt das hatte meine Mutter getan. Wir hatten also keine Chance gehabt, als der Angriff kam, der nicht nur unsere heilige Bibliothek zerstört, sondern auch unzählige Leben genommen hatte.
»Ich werde am Spiel der Zirkel teilnehmen«, verkündete ich sicher. Zumindest redete ich mir ein, dass ich sicher klang.
Moma wirkte zufriedener, als ich sie je gesehen hatte. Rissa biss sich auf die Lippe, weitere Entgegnungen unterdrückend.
»Es lagen auch ein paar Zeilen von Alva dabei«, erzählte meine Großmutter beiläufig und schob mir ein gefaltetes Blatt Papier hinüber.
Ich zog den Brief meiner Freundin zu mir. Die Heilerhexen waren die einzigen, zu denen wir Kontakt pflegten. Alva war in meinem Alter und so hatte sich wie selbstverständlich eine Freundschaft gebildet. Die meiste Zeit war es eine Brieffreundschaft, aber ich genoss die seltenen Momente, in denen wir uns sahen.
Plötzlich schrie Rissa auf, als ein Vogel wie ein schwarzer Pfeil über ihren Kopf hinweg schoss. Sie duckte sich und griff sich panisch an ihren Hinterkopf.
Der Rabe war wieder da.
Diesmal hatte ich meinen Gürtel über den Rock angelegt und meine Hand schnellte sofort an meine Hüfte. Geschickt zog ich ein kleines Fläschchen mit einer verträumt aussehenden violetten Flüssigkeit heraus und hob es – bereit für den Angriff.
»Halt, nicht werfen. Er ist ein Diener des Höllenfürsten«, warnte meine Großmutter, aber ich steckte das Fläschchen noch nicht weg. Der Rabe ließ sich neben meinem Kaffee nieder und plusterte seine Federn auf.
Erst jetzt fiel mir die kleine Pergamentrolle in seinem schwarzen Schnabel auf. Er hielt noch für einen Moment den Blickkontakt, dann neigte er den Kopf und ließ dabei die Rolle auf unseren Esstisch fallen.
Erwartungsvoll sah er mich an. Als ich immer noch wie versteinert am Tisch saß, die Hand bereit zum Wurf erhoben, schob er mit seinem Schnabel die Rolle weiter zu mir.
Ich sicherte mich mit einem Blick zu Moma ab und stellte die Flasche mit der gefährlichen Flüssigkeit bedächtig wieder ab. Das Glas war extrem dünn, damit es im Notfall leicht zerbrach. Mit einem letzten skeptischen Blick auf den Raben, mit dem ich sichergehen wollte, dass er mir nicht die Finger zerhacken würde, griff ich schnell nach der Rolle.
Zufrieden krächzte dieser auf und begann stattdessen mit seinem Schnabel die knusprige Schale des Brotes zu durchlöchern und sich kleine Stücke herauszureißen. Ich war zu schockiert von der Tatsache, dass ein Gesandter des Höllenfürsten in Form eines Raben auf meinem Esstisch herumlungerte und mein Frühstück verputzte, um ihn davon abzuhalten. Stattdessen besann ich mich wieder auf das Pergament vor mir, das ich vorsichtig entrollte.
Nach dem Tod des letzten Fürsten beginnt nach Aufgang von drei Monden das Spiel der Zirkel.
Ein jeder Zirkel ist verpflichtet, einen Abgesandten aus seinem Zirkel gen Venedig zu senden. Danach verbleiben den Kontrahenten fünf Tage und ebenso viele Nächte, um sich auf der Insel auf das große Ritual vorzubereiten, das in der Finsternis der letzten Nacht durchgeführt wird.
Bis zum Anbruch jener letzten Nacht wird es keinem der anderen Zirkelangehörigen gestattet sein, einen Fuß auf die heilige Insel zu setzen und die Spiele zu stören.
Nachdem die Spiele beendet sind, verschließt sich die Schutzmauer um die Insel Venedig erneut bis zum Tod des neuen Fürsten.
»Eine Abschrift aus dem Obersten Grimoire. Das muss von den Vates-Hexen kommen«, erklärte Moma ehrfürchtig. Ich hatte gar nicht gemerkt, wie sie hinter mich getreten war. Die Entscheidung um den Thron des Hexenfürsten wurde immer als ein großer Kampf ausgetragen, der in Venedig stattfand. Die Spiele würden übermorgen beginnen und fünf Tage anhalten. Mit Schrecken stellte ich fest, dass dies bedeutete, dass das Finale, das Ritual, die Entscheidung in der Halloweennacht stattfinden würde. Gänsehaut bereitete sich auf meinen Armen aus, die nicht durch die kühle Morgenluft ausgelöst wurde, die vom Garten her durch die Küche zog. Die Nacht des 31. Oktobers war eine der magischsten des ganzen Jahres. Das Ritual, das am Ende der Spiele stattfand, würde also besonders mit Magie aufgeladen sein.
Auf einmal begann der Rabe zu gackern und ich war mir fast sicher, er lachte mich aus.
Das Geräusch wollte noch Stunden, nachdem er wieder davongeflogen war, nicht mehr verklingen.
Das Hotel Hortus war seit dem Angriff vor einigen Jahren, nachdem wir unser altes Haus aufgeben mussten, das Zuhause des Veneficiis-Zirkels. Ich war noch ein Baby gewesen, als es geschehen war, und konnte mich nicht an einen anderen Ort als diesen hier erinnern. In meinem Leben hatte ich nur wenig Zeit außerhalb der Schutzzauber des Hotels verbracht. Es reichte gerade dafür aus, um zu wissen, wie das Leben der Menschen von Weitem aussah. Mitglieder anderer Zirkel hatte ich kaum getroffen. Nur, wenn es zu einer schweren Verletzung kam, die wir mit unseren eigenen Kräften nicht behandeln konnten, kam eine Hexe oder ein Hexer des Medicuse-Zirkels, die sich auf Heilen und Medizin konzentrierten. So hatte ich auch Alva kennengelernt. Die Heilerhexen hatten uns nach dem Angriff Zuflucht gewährt, aber da sich ihre Magie auf Heilung konzentrierte, waren sie nicht stark genug, um uns vor den anderen Zirkeln zu beschützen, die sich wie die Geier auf die Überreste meines Zirkels stürzten.
So wurde das Hotel Hortus, das einem Spielhaus glich, das ein Kind nach und nach zusammengeklebt hatte, zu meinem Ein und Alles. Türmchen waren an Ecken gebaut, an denen es unmöglich erschien und es gab keine einzige gerade Mauer. Die Keller waren größer, als es das Haus vermuten ließ. Es gab unzählige Kammern zum Lagern unserer Zutaten und bereits gebrauter Tränke. In den oberen Stockwerken befanden sich unsere Zimmer und eine kleine wiederaufgebaute Bibliothek, zu der ich gerade unterwegs war.
Ich hatte den Tag mit Packen verbracht und darüber gebrütet, welche Tränke und Gifte für diese schier unlösbare Aufgabe am nützlichsten waren. Immer wieder hatte ich das winzige Stück Pergament aus meiner Tasche gezogen, um die klein geschriebenen Worte zu lesen. Eigentlich enthielt die Nachricht keine neuen Informationen: So viele Jahre hatte ich mich vorbereitet und mich mit der Geschichte von Venedig beschäftigt, wo die Spiele immer ausgetragen wurden. Aber die einzigen Gedanken, die sich jetzt, wo es soweit war, durch meinen Kopf schlichen, waren die Passagen über die Anzahl der Toten, die es jedes Mal bei dem Kampf um den Thron gab.
Immer noch in Gedanken bei den Spielen und dem Ritual, das ich am Ende der fünf Tage auf der venezianischen Insel durchführen musste, stieß ich die Tür zu der kleinen vollgestopften Bibliothek auf, die beim besten Willen kein weiteres Buch mehr fassen konnte. Man musste sehr versiert in Parkour sein, um sich überhaupt über die Stapel an Büchern, die sich auf dem Boden türmten, bis zu den Regalen durchzukämpfen, die nicht weniger voll waren. Ich stolperte über ein Rezeptbuch für Liebestränke und bekam gerade so den Rand eines Regals zu fassen, bevor es mich zu Boden warf.
Die Aussicht, noch heute Abend in einen Zug zu steigen, der mich in den Süden brachte, ließ meine aktuelle Gegenwart unwirklich erscheinen. Ich fuhr mir durch die roten Haare, versuchte mich dann wieder auf meine aktuelle Mission zu konzentrieren: Ohne gebrochene Knochen in dieses Chaos namens Bibliothek hinein und auch wieder herauszukommen.
Mit großer Mühe schaffte ich es, mich bis zum Fenster vorzukämpfen und fand dort den Stapel Bücher, den ich über die Jahre zu Venedig angesammelt hatte. Mit einem Ächzen griff ich mir die alten, verstaubten Exemplare. Ich wollte damit gerade den Rückweg antreten, als ich zufällig durch das Fenster in den Garten sah. Stolpernd stockte ich. Meine Großmutter stand mit dem Rücken zu mir mitten im Kürbisfeld, sodass ich ihren Gesichtsausdruck nicht sehen konnte. Ihr Kopf war nach vorne geneigt, ihre Hände zur Brust gehoben. Was machte sie dort?
Plötzlich schoss etwas Dunkles aus ihrer Hand und ich zuckte erschrocken zusammen. Das Geschöpf schoss an meinem Fenster vorbei über das Haus. Eine Fledermaus? Um diese Uhrzeit? Die Sonne strahlte mit voller Kraft auf das Gewächshaus. Es war noch nicht mal ansatzweise Dämmerung, die Zeit, die Fledermäuse bevorzugten.
Ich sah wieder nach unten und begegnete dem durchdringenden Blick meiner Großmutter, die plötzlich zu mir nach oben sah. Der Wind zerrte an ihrem Kleid, während sie selbst völlig erstarrt war. Ich fröstelte. Ihr Gesichtsausdruck vermittelte eine stumme Warnung.
Respektvoll zog ich mich zurück und trat den Rückweg durch das Labyrinth aus Büchern an. Was auch immer es war, das sie da tat, es ging mich nichts an.
***
Nur wenige Stunden später stand ich in der Auffahrt des Hotel Hortus. Zusammen mit einem überdimensionalen Koffer und einer schweren Umhängetasche aus Leder. Beide waren hauptsächlich mit Tränken, Zutaten und Büchern gefüllt.
Vor mir hatten sich fast alle Mitglieder meines Zirkels aufgereiht. Eigentlich sollten die Kinder im Haus bleiben, doch Maria und Maira hatten den ganzen Nachmittag von ihrem Turm aus durch das Hotel geschrien, sodass Rissa und Moma nachgegeben hatten.
Die beiden hingen nun weinend an meiner Hüfte und auch ich musste mit den Tränen kämpfen. Das Spiel war gefährlich. Oft kamen nicht alle Hexen wieder lebend aus Venedig heraus. Das hier könnte das letzte Mal sein, dass ich das Hotel und meine Familie sah. Denn das war der Zirkel für mich: Familie.
Seerena hatte sich an Asher geklammert, der ihr tröstend über das blonde Haar fuhr, doch ich sah, dass dieser Abschied auch ihm nicht leichtfiel.
»Mädchen, kommt her«, befahl Rissa leicht verschnupft.
»Einen Moment noch«, bat ich und griff in meine braune Umhängetasche. Ich ging auf die Knie, um mit den Zwillingen auf Augenhöhe zu sein und reichte beiden jeweils den Eistee, den ich für ihren Geburtstag gebraut hatte.
»Hier«, sagte ich sanft. »Ich habe euren besonderen Tag nicht vergessen.«
»Das ist der beschissenste Geburtstag, den wir je hatten«, heulte Maira auf und mein Herz zerriss ein bisschen.
»Ich weiß, ich weiß«, flüsterte ich und drückte die beiden erneut an mich. »Der nächste wird besser, versprochen.«
»Wirst du da sein?«, fragte Maria erstickt. Auch, wenn die beiden nichts über das Spiel der Zirkel wussten, schienen sie zu spüren, dass ich zu keiner leichten Mission aufbrach.
Ich warf Moma, die hinter ihnen stand, einen Blick zu, aber ihre Augen lieferten mir keine Antwort.
»Ich werde mein Bestes geben.«
Sie nahmen mir die Flaschen ab, rannten damit etwas aufgeheitert zurück zu ihrer Mutter. Ich wandte mich Seerena zu. Diese löste sich von Asher und zog mich fest in ihre Arme, während Rissa die Zwillinge zurück zum Haus schickte.
Ich umarmte die anderen Mitglieder meines Zirkels, die mich nur mit traurigen Mienen anstarrten.
Dann stand ich vor Moma und schluckte. Da meine Mutter uns verlassen hatte, bevor ich ein Jahr alt war, war Moma für mich schon immer mehr als nur meine Großmutter gewesen. Leena, Rissa und Seerena sind nur ein wenig älter als ich, sodass Moma eigentlich für uns alle wie eine Mutter war.
Sie zog einen ihrer goldenen Armreife von ihrem Handgelenk und griff nach meinen Händen. Behutsam legte sie den Reif hinein und umfasste sie kurz.
»Damit du dich immer daran erinnerst, warum du da raus gehst und kämpfst«, erklärte sie hart, zog dann abrupt ihre Hände zurück.
Ich betrachtete das eingeritzte V auf dem Reif und strich den Buchstaben nach, ertastete die Einkerbung.
»Danke«, raunte ich, während ich mir den Reif auf mein eigenes Handgelenk schob.
Moma schloss mich ebenfalls in die Arme. Schwerfällig löste ich mich einen Moment später von ihr und schnappte mir den Griff meines Koffers.
Wenn ich es noch länger hinauszögerte, würde ich es nicht mehr schaffen zu gehen. Also wandte ich mich um und erstarrte kurz. Der Rabe saß auf unserem Gartenzaun und wartete geduldig auf mich.
»Wir glauben an dich!«, rief mir Rissa noch hinterher, als ich schon fast am Tor war. Ich wagte einen letzten Blick zurück. Auf Seerena, die immer noch an Ashers Brust weinte. Rissa und Leena, die sich verzweifelt an die Hand der jeweils anderen klammerten. Meine immer verschlossene Großmutter, die nun ein bisschen gebrochen aussah. Hinter ihnen am Fuß des Berges schien selbst das Hotel Hortus traurig über meinen Weggang zu sein.
»Ich möchte zurückkommen«, flüsterte ich dem Haus zu. Und dann machte ich mir selbst das Versprechen, das ich meiner Familie nicht machen konnte. »Ich werde zurückkommen. Ich werde als Fürstin der Hexen zurückkommen. Wir alle werden frei sein.«
Es war bereits wieder Nachmittag, als ich mit Kopfschmerzen in einem bequemen Hotelbett aufwachte.
Nach mehreren Umstiegen und einer Nacht in einem Zug der Menschen, war ich in den frühen Morgenstunden am Venise Mestre in Marghera angekommen, einem Stadtteil von Venedig, der auf dem Festland lag.
Obwohl es für mich nicht das erste Mal in einem Zug war, konnte ich vor Unwohlsein aufgrund der immensen Geschwindigkeit, mit der wir durch das Land gerast waren, kein Auge zumachen. Entsprechend müde war ich in dem kleinen Hotelzimmer zusammengebrochen, kaum, dass ich angekommen war. Ich hatte gerade noch genug Kraft gehabt, um Salz zum Schutz vor Geistern vor der Türschwelle zu verteilen.
Vor sechs Jahren, als ich volljährig geworden war, hatten meine Großmutter und ich diese Reise schon einmal gemacht, um mich vorzubereiten. Durch einen großen Batzen Geld war in diesem Hotel immer ein Zimmer reserviert, falls der große Tag kommen würde. Bis hier war alles durchgeplant.
Ab dem morgigen Sonnenaufgang war ich jedoch auf mich allein gestellt. Außerhalb der Spiele war es für Hexen nicht möglich, die Insel zu betreten. Erst mit dem ersten Sonnenstrahl des ersten Tages der Spiele löste sich dieser Bann und jeweils einer aus jedem Zirkel durfte nach Venedig einreisen. Es war Pflicht und bisher war noch niemand dumm genug gewesen, den Anweisungen nicht zu folgen.
An die verblasste ehemals sonnengelbe Decke starrend, lauschte ich den gedämpften Geräuschen des Bahnhofs vor meinem Fenster. Autos hupten, Menschen riefen sich lautstark italienische Worte zu, um das Rattern eines Zuges zu übertönen.
Ein scharfes Klopfen riss mich sofort aus meinen Gedanken. Kampfbereit sprang ich aus dem Bett. Doch das Geräusch kam nicht von der Zimmertür, sondern vom Fenster.
»Dich werde ich wohl nicht mehr los.« Ich seufzte, aber öffnete den Riegel, um den Raben hineinzulassen.
Er hüpfte auf den Fenstersims und krächzte. Dabei flog ihm eine weitere Rolle Pergament aus dem Mund. Nachdenklich betrachtete ich das Tier. Von seiner Arroganz war nur wenig übrig, seine Flügel hingen schwach herunter. Er musste die gesamte Strecke bis hierher geflogen sein und sich vollständig übernommen haben.
Ich ging zurück zu dem Beistelltisch neben dem Bett, um etwas von dem vom Hotel bereit gestellten Wasser in ein Glas zu gießen. Dann stellte ich es dem Raben hin, doch der sah mich nur abschätzig an und zeigte mit seinem Schnabel auf das Stück Papier.
Widerwillig nahm ich es und rollte es auf.
Die Kerze eines Verurteilten
Wasser eines von der Liebe Gequälten
Staub der Vergessenen
Ein Stück des Paradieses
Die Wut des Volkes
»Sind das die Gegenstände, die ich für das Ritual in der letzten Nacht der Spiele brauche?«, fragte ich den Vogel, der sich nun doch dazu herabgelassen hatte, seinen Schnabel in das Wasserglas zu stecken.
Statt einer Antwort warf er mir noch einen letzten Blick zu, bevor er wieder abhob und über das Getümmel unter meinem Fenster davonflog.
»Danke für die Auskunft!«, rief ich dem Raben genervt hinterher, ließ das Fenster aber geöffnet, falls er zurück kam.
Ich ließ mich auf das Bett fallen und las die Rolle Zeile für Zeile erneut. Am Ende des Spiels der Zirkel stand ein Ritual. Dieses vollführte jeder Anwärter, der in der letzten Nacht noch am Leben war. Damit würde sich entscheiden, wer der nächste Hexenfürst wurde. Für dieses Ritual musste ich mit den beschriebenen Gegenständen die fünf Ecken eines Pentagramms füllen. Wessen Gegenstände die Aufmerksamkeit des Höllenfürsten erregen konnten, musste sich einer letzten Herausforderung stellen. Über diese mysteriöse letzte Herausforderung hatte ich keine weiteren Informationen mehr gefunden, denn niemand der sie überlebt hatte, sprach darüber. Durch Aufzeichnungen wusste ich allerdings, dass die Hexen und Hexer vor und während der Spiele nicht freundlich miteinander umgingen. Wer tot war, konnte einen schließlich am Ende bei dem Ritual nicht übertrumpfen.
Ich beugte mich tiefer über die Liste.
Die Kerze eines Verurteilten.