Cybermobbing im Kindes- und Jugendalter - Ira-Katharina Peter - E-Book

Cybermobbing im Kindes- und Jugendalter E-Book

Ira-Katharina Peter

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Beschreibung

Am Übergang vom Kindes- zum Jugendalter steigt die Häufigkeit von Cybermobbing stark an. Um Betroffene optimal unterstützen zu können, müssen Erwachsene die digitale Welt kennen, in der Kinder und Jugendliche sich bewegen. Das vorliegende Buch illustriert Cybermobbing anhand praxisnaher Beispiele, die beliebten Plattformen und Online-Spielen entnommen sind. Das Buch geht auf die verschiedenen Formen von Cybermobbing ein und beschreibt die digitalen und sozialen Medien in ihren Facetten und Nutzungsmöglichkeiten. Mögliche Gefahren, die mit der Nutzung dieser Medien einhergehen können, werden verdeutlicht. Anhand aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse wird differenziertes Wissen über Modelle und Risikofaktoren vermittelt, die die Entstehung von Cybermobbing erklären können. Die Motive von Cyber-Tätern sowie die komplexen Auswirkungen von Cybermobbing werden ausführlich beschrieben. Ein besonderer Fokus des Buches liegt auf der Prävention von Cybermobbing und Handlungsempfehlungen, die bei akuten Vorfällen Orientierung geben können. Das Buch beinhaltet zudem hilfreiche Empfehlungen für Eltern zur Medienerziehung im Kindes- und Jugendalter.

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Ira-Katharina Peter

Franz Petermann

Cybermobbing im Kindes- und Jugendalter

Klinische Kinderpsychologie

Band 15

Cybermobbing im Kindes- und Jugendalter

M. Sc. Ira-Katharina Peter, Prof. Dr. Franz Petermann

Herausgeber der Reihe:

Prof. Dr. Franz Petermann

M. Sc. Ira-Katharina Peter, geb. 1991. 2010–2016 Studium der Psychologie in Bremen. Seit 2016 Promotion und Ausbildung zur Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin. Seit 2017 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Klinische Psychologie der Universität Bremen. Arbeitsschwerpunkte: Cybermobbing im Kindes- und Jugendalter und Medienkompetenz.

Prof. Dr. Franz Petermann, geb. 1953. Studium der Mathematik und Psychologie in Heidelberg. Seit 1991 Lehrstuhl für Klinische Psychologie an der Universität Bremen. Seit 1996 Direktor des Zentrums für Klinische Psychologie und Rehabilitation.

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[email protected]

www.hogrefe.de

Satz: Matthias Lenke, Weimar

1. Auflage 2018

© 2018 Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, Göttingen

(E-Book-ISBN [PDF] 978-3-8409-2915-1; E-Book-ISBN [EPUB] 978-3-8444-2915-2)

ISBN 978-3-8017-2915-8

http://doi.org/10.1026/02915-000

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Anmerkung:

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Kapitel 1 Was ist Cybermobbing?

1.1 Definition von Cybermobbing

1.2 Cybermobbing als komplexes Zusammenspiel verschiedener Faktoren

1.3 Welche Formen von Cybermobbing lassen sich unterscheiden?

1.3.1 Extremes Beleidigen

1.3.2 Schikane im Sinne von Belästigung

1.3.3 Schikane durch Dritte

1.3.4 Verleumdung, Gerüchte verbreiten

1.3.5 Photoshopping

1.3.6 Verlinken

1.3.7 Verrat und Vertrauensmissbrauch

1.3.8 Direkter Identitätsdiebstahl

1.3.9 Auftreten unter falscher Identität

1.3.10 Ausschluss, Ausgrenzung

1.3.11 Bedrohen, Cyberstalking

1.3.12 Happy Slapping

1.3.13 Exkurs: Selbstverletzendes Cybermobbing

1.3.14 Exkurs: Sexting

1.4 Wie häufig und wann tritt Cybermobbing auf?

1.5 Sind eher Mädchen oder Jungen beim Cybermobbing beteiligt?

1.6 Verschiedene Rollen beim Cybermobbing

Kapitel 2 Digitale Medien

2.1 Wofür und wie nutzen Kinder und Jugendliche digitale Medien?

2.2 Welche Internetangebote nutzen Kinder und Jugendliche?

2.2.1 Facebook

2.2.2 WhatsApp

2.2.3 Instagram

2.2.4 Snapchat

2.3 Soziale Medien und mögliche Hürden auf dem Weg zur sicheren Nutzung

2.4 Entwicklungsaufgaben und digitale Medien

Kapitel 3 Entstehung von Cybermobbing

3.1 Wodurch erhöht sich das Risiko für Cybermobbing?

3.2 Psychische oder körperliche Beeinträchtigungen als spezifischer Risikofaktor?

3.3 Welche Faktoren verringern das Risiko für Cybermobbing?

3.4 Motive für Cybermobbing

3.5 Entstehungsmodelle

3.5.1 Exkurs: Aktualität der Theorie des geplanten Verhaltens von Ajzen (1991)

3.5.2 Cybermobbing und die Theorie des geplanten Verhaltens

3.5.3 Das Barlett-Gentile-Cybermobbing-Modell

3.5.4 Die Theorie der Schutzmotivation

3.5.5 Die General Strain Theory

Kapitel 4 Auswirkungen von Cybermobbing

4.1 Einflussfaktoren auf den Schweregrad von Cybermobbing

4.2 Internalisierende und somatische Auffälligkeiten

4.3 Externalisierende Auffälligkeiten

4.4 Suizidale Gedanken und Suizid

4.5 Negative Auswirkungen auf Seiten der Cyber-Täter

4.6 Weitere Auswirkungen

Kapitel 5 Prävention und Handlungsstrategien

5.1 Präventionsprogramme gegen Cybermobbing

5.1.1 Das Surf-Fair Programm

5.1.2 Das Medienhelden Programm

5.1.3 Weitere Programme

5.2 Präventionsmaßnahmen für Schulen und Lehrkräfte

5.2.1 Wie können pädagogische Fachkräfte präventiv handeln?

5.2.2 Wie können pädagogische Fachkräfte in akuten Krisen handeln?

5.3 Was können Eltern tun?

5.3.1 Was können Eltern präventiv tun?

5.3.2 Was können Eltern in akuten Krisen tun?

5.3.3 Abgestuftes Konsequenzsystem

5.3.4 Handlungsempfehlungen bei Cyber-Täterschaft

5.4 Wie können sich Kinder und Jugendliche selbst schützen?

5.4.1 Spezialfall: Schutz vor dem Kontakt mit fremden Personen

5.4.2 Tipps zur Einstellung der Privatsphäre am Beispiel einiger sozialer Medien

5.4.3 Spezialfall: Umgang mit Sexting

Kapitel 6 Digitale Medien und Internet: Informationen und Empfehlungen

6.1 Elterliche Medienerziehung

6.2 Ab welchem Alter sind welche digitalen Medien geeignet?

6.3 Was muss bei der Nutzung digitaler Medien beachtet werden?

6.4 (Fremd-)Sprache im Netz: Digita Language

Literatur

|5|Vorwort

Neue Medien, Social Media und die Digitalisierung unserer Kommunikation bieten ungeahnte Möglichkeiten. In der Praxis und auf den zweiten Blick entstehen neue Risiken und Gefahrenquellen für unser Zusammenleben.

Das vorliegende Buch zum Thema „Cybermobbing unter Schülerinnen und Schülern“ bietet zunächst eine aktuelle Bestandsaufnahme, liefert Beispiele aus dem Alltag von Kindern und Jugendlichen und erläutert Formen der Prävention.

Neue Kommunikationsformen, vor allem wenn man damit in kürzester Zeit viele Menschen erreichen kann, verändern sicherlich auch die Sensibilität für die Lage des Empfängers. Befindlichkeiten des Gegenübers, eigene Gefühle des Mitleids mit dem möglichen Opfer werden in abstrakter, unpersönlicher Weise erlebt und sind in der Folge weniger stark handlungssteuernd. Beim Cybermobbing bleibt das Leid des Opfers anonym. Aus einer solchen Anonymität fällt es leicht, aggressiv zu sein. Sofern sozial-emotionale Erlebensqualitäten (wie Mitleid, Einfühlungsvermögen) beim Täter überhaupt vorhanden sind, besteht beim Cybermobbing kaum Anlass, sich mit solchen Emotionen zu beschäftigen. In der Regel erschweren solche positiven Emotionen die Bereitschaft, aggressives Verhalten anderen Personen gegenüber zu zeigen. Unser Buch versucht auch, Licht ins Dunkel der Motive für Cybermobbing zu bekommen. Die Motive sind vielfältig und reichen von Gedankenlosigkeit und Mitläufertum bis Bösartigkeit.

Cybermobbing tritt bereits im Grundschulalter auf. Allein diese Tatsache begründet die Forderung, entsprechende altersangemessene Präventionsmaßnahmen zu entwickeln. Solche Materialien stehen – in der Regel online – kostenfrei zur Verfügung. Unser Buch gibt im Anwendungsbereich Hinweise, die man bei der Auswahl und dem Einsatz solcher Materialien beachten sollte.

Wir hoffen sehr, dass wir mit unserem Buch einen „überlegten“ Umgang mit neuen Medien fördern. Dem Hogrefe Verlag (Göttingen) danken wir für die Betreuung dieses Buches.

Bremen, im Juli 2018

Ira-Katharina Peter und Franz Petermann

|11|Kapitel 1Was ist Cybermobbing?

Cybermobbing stellt eine Erweiterung des traditionellen Mobbings durch die Verwendung von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) dar. Traditionelles Mobbing ist ein schon lange bekanntes, immer noch häufiges und relevantes Problem (Volk, Dane & Marini, 2014). Der schwedisch-norwegische Psychologe Dan Olweus gilt als Begründer der Erforschung von Gewalt und Mobbing an Schulen. Er definierte traditionelles Mobbing als eine wiederholte, aggressive Verhaltensweise, die darauf abzielt, Schaden zu verursachen und gegen jemanden gerichtet ist, der körperlich oder psychisch schwächer ist (Olweus, 1991, 1993). Die Übergriffe finden dabei im Alltag der Kinder und Jugendlichen statt. Hierbei wird zwischen direktem und indirektem Mobbing unterschieden. Bei der direkten Form handelt es sich um offene Angriffe gegen das Opfer, die entweder durch verbale Äußerungen (z. B. beschimpfen, beleidigen, hänseln) oder körperliche Übergriffe (z. B. treten, kratzen, schlagen) gekennzeichnet sein können. Beim indirekten Mobbing handelt es sich um eher schwerer erkennbare, versteckte Handlungen, wie beispielsweise Gerüchte verbreiten oder jemanden absichtlich von Aktivitäten oder Gruppen ausschließen (Olweus, 1993).

Vor allem Schulen müssen sich immer wieder mit dieser Thematik auseinandersetzen (Li, 2006). Traditionelles Mobbing unter Schülerinnen und Schülern ist nicht nur auf vereinzelte Klassenstufen zu begrenzen, sondern tritt von der Grundschule (Glew, Fan, Katon, Rivara & Kernic, 2005) über die Mittel- bis zur Oberstufe hin auf (vgl. Álvarez-García, García & Núñez, 2015; Smith & Gross, 2006). Jungen und Mädchen werden Opfer und/oder Täter von Mobbing (vgl. Kowalski, Morgan & Limber, 2012b; Li, 2006; Smith & Gross, 2006). Ein hervorzuhebendes Merkmal des traditionellen Mobbings ist, dass die Schülerinnen und Schüler sich meistens der Schikane ihrer Täter entziehen können, sobald der Schultag vorbei ist (Hinduja & Patchin, 2008).

Cybermobbing wird hingegen über das Internet unter der Verwendung von elektronischen Medien wie Smartphones, Tablets oder Computern ausgeübt (DePaolis & Williford, 2015; Englander, 2012a; Petermann & von Marées, 2013). Da die meisten Smartphones heutzutage auch internetfähig sind, scheint die Untertei|12|lung zwischen Internet- und Smartphonegebrauch zu verschwimmen und nicht mehr notwendig zu sein. Beim Cybermobbing werden gemeine Nachrichten per E-Mail, Textnachricht oder über Instant Messenger verschickt, erniedrigende Fotos oder Videos auf Webseiten veröffentlicht oder auch ganze Hass-Internetseiten über das Opfer entworfen (Bündnis gegen Cybermobbing e. V., 2017; Petermann & von Marées, 2013). Neben diesen Möglichkeiten bieten Chatrooms genauso perfekte Plattformen für Cybermobbing, da es zwar gewisse Aufsichtspersonen in den öffentlichen Chatrooms gibt, aber sobald jemand in den Privatchat wechselt, keine Regulation mehr besteht und die Opfer ihren Tätern völlig ausgeliefert sind (DePaolis & Williford, 2015).

Durch diese neue mediale Komponente wird das traditionelle Mobbing um eine neue Facette erweitert, wodurch zwischen verbalen, körperlichen, indirekten/relationalen und cyber Formen unterschieden werden kann (vgl. Olweus & Limber, 2017). Bisherige Forschungen deuten darauf hin, dass traditionelles Mobbing und Cybermobbing oftmals gemeinsam auftreten. In der Längsschnittstudie von Cross, Lester und Barnes (2015) konnte gezeigt werden, dass von den 1.504 australischen Jugendlichen im Alter von 13 bis 15 Jahren 27 % von Cyberviktimisierung betroffen waren. Diese Prävalenz ließ sich jedoch aufteilen in diejenigen, die gleichzeitig von Cybermobbing und traditionellem Mobbing betroffen waren, und diejenigen, die nur reine Cybermobbingopfer darstellten. Nach dieser Aufgliederung betrug die Prävalenz für die Opfer beider Mobbingformen 25 %, wohingegen nur noch 2 % ausschließlich von Cybermobbing betroffen waren (Cross et al., 2015).

Die traditionelle Form des Mobbings ist schon länger Forschungsgegenstand (für einen Überblick siehe Scheithauer, Hayer & Petermann, 2003; von Marées & Petermann, 2010a, b), weshalb in unserem Buch nur die neue Facette Cybermobbing behandelt wird. Des Weiteren wäre es korrekt, die Opfer des Cybermobbings immer als „Cyber-Opfer“ zu bezeichnen, jedoch wird für eine flüssigere Lesbarkeit auch im Online-Kontext mitunter die Bezeichnung Opfer, Täter, Täter-Opfer u. Ä. gewählt ohne den „Cyber-Zusatz“. Im Kontext des Internets ist natürlich immer diese Form gemeint. Ebenso wird an manchen Stellen auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet, trotzdem gelten sämtliche Personenbezeichnungen gleichermaßen für beiderlei Geschlecht.

1.1 Definition von Cybermobbing

In der wissenschaftlichen Literatur findet man häufig Aussagen wie „zum jetzigen Zeitpunkt existiert keine allgemein akzeptierte Definition [von Cybermobbing]“ (Langos, 2012, S. 285, Übers. durch die Autoren) oder „aktuell wurden verschiedene Definitionen von Cybermobbing von Forschern vorgeschlagen, aber keine eindeutige Definition hat sich bisher durchgesetzt“ (Alipan, Skues, Theiler & Wise, 2015, S. 9, Übers. durch die Autoren). Diese Debatte dauert bis zum heutigen Zeit|13|punkt an und noch immer steht nicht genau fest, welche Kriterien in einer korrekten und umfassenden Definition von Cybermobbing berücksichtigt werden sollen (für aktuelle Diskussionen siehe Englander, Donnerstein, Kowalski, Lin & Parti, 2017; Olweus & Limber, 2017; Peter & Petermann, 2018). Dieser Tatbestand stellt ein Problem dar, da dadurch sowohl in der Forschung als auch im alltäglichen Gebrauch nicht eindeutig ist, was man genau unter dem Begriff „Cybermobbing“ zu verstehen hat. Für Studien ist dies sehr problematisch, da dadurch unterschiedliche Konzepte erhoben werden und eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse oftmals kaum möglich ist.

Tabelle 1: Definitionen von Cybermobbing

Autor

Definition

Kriterien

Patchin & Hinduja (2006, S. 152)

Cybermobbing ist „absichtlicher und wiederholter Schaden, der durch das Medium des elektronischen Textes verursacht wird“ (Übers. durch die Autoren).

Absicht

Elektronischer Text

Wiederholung

Schaden

Smith et al. (2008, S. 376)

Cyberbullying ist „eine aggressive, absichtliche Handlung, die, unter Verwendung von elektronischen Kontaktformen, von einer Gruppe oder von einem Individuum wiederholt und über einen längeren Zeitraum gegen ein Opfer gerichtet ist, das sich nicht einfach selber wehren kann“ (Übers. durch die Autoren).

Aggressiv

Absicht

Elektronische Kontaktformen

Gruppe oder Individuum (Täter)

Wiederholung

Längerer Zeitraum

Ein (1) Opfer

Machtungleichgewicht

Tokunaga (2010, S. 278)

„Cybermobbing ist jedes Verhalten, das von Individuen oder Gruppen unter Verwendung von elektronischen oder digitalen Medien ausgeführt wird, um wiederholend feindselige oder aggressive Nachrichten zu übermitteln mit der Absicht, anderen zu schaden oder Unwohlsein zu verursachen“ (Übers. durch die Autoren).

Aggressiv

Absicht

Elektronische oder digitale Medien

Gruppe oder Individuum (Täter)

Wiederholung

Schaden

Anmerkung: Gemeinsame Merkmale sind kursiv hervorgehoben.

Tabelle 1 gibt einen Überblick über die drei am häufigsten benutzten Definitionen von Cybermobbing. Es fällt auf, dass sie sich in der Auswahl und Anzahl ihrer definierenden Merkmale unterscheiden. Das Merkmal des „Machtungleichgewichts“ |14|in der Definition von Smith und Kollegen (2008) ist beispielsweise in den anderen beiden Definitionen nicht wiederzufinden. Des Weiteren stimmen die drei ausgewählten Definitionen nur in den Kriterien (1) „Absicht“, (2) „Wiederholung“ und (3) „elektronische/digitale Form der Kontaktaufnahme“ überein.

Aufgrund dieser und anderer Unterschiede in den in der Literatur benutzten Definitionen, haben wir eine aktuelle Konzeptanalyse durchgeführt, in der eine Vielzahl aktueller Definitionen aus den Jahren 2012 bis 2017 auf ihre wesentlichen Bestandteile hin untersucht und ausgewertet wurden. Aus den Ergebnissen dieser deskriptiven Analyse konnten wir die aktuell am häufigsten genutzten Merkmale identifizieren und in folgender Definition zusammentragen: „Cybermobbing ist das Nutzen von Informations- und Kommunikationstechnologien, um ein Opfer wiederholt und absichtlich zu schädigen, zu belästigen, zu verletzen und/oder zu beschämen“ (Peter & Petermann, 2018, S. 358, Übers. durch die Autoren).

Vergleicht man diese Formulierung mit Definitionen, die in aktuellen Befragungen in Deutschland verwendet werden, fallen einige Unterschiede auf. Das Bündnis gegen Cybermobbing e. V. (2017) definiert Cybermobbing noch sehr ähnlich als das „absichtliche Beleidigen, Bedrohen, Bloßstellen oder Belästigen anderer mithilfe von Internet- und Mobiltelefondiensten über einen längeren Zeitraum hinweg“ (S. 81). In der JIM-Studie des Medienpädagogischen Forschungsverbundes Südwest (2016) werden die Kinder und Jugendlichen gefragt, ob sie selbst „schon mal per Handy oder im Internet fertig gemacht wurde[n]“ (S. 49) oder ob sie jemanden kennen, dem dies passiert ist. Diese Frage ist demnach wesentlich offener formuliert und erfasst damit ein größeres Spektrum an möglichen Online-Verhaltensweisen. Des Weiteren ist aus dem Bericht der JIM-Studie nicht ersichtlich, ob genauere Kriterien wie beispielsweise Wiederholung oder Absicht gefordert werden.

Insgesamt zeigt sich bisher noch ein sehr heterogenes Bild bezüglich der Definition von Cybermobbing. Es ist nicht klar, ob die Definitionsmerkmale des traditionellen Mobbings wie Machtungleichgewicht, Wiederholung oder Absicht (vgl. Olweus, 1991, 1993) problemlos in die digitale Welt des Cybermobbings übertragen werden können (Slonje, Smith & Frisén, 2013). Einige Autoren betonen weiterhin, dass die verschiedenen Rollen beim Cybermobbing (Täter, Opfer, Zuschauer) bei der Definition beachtet werden sollten. Alipan und Kollegen (2015) schlagen diesbezüglich eine dreiteilige Definition vor, die die verschiedenen Perspektiven vereint. Sie bezeichnen Cybermobbing als:

… das Nutzen von Informations- und Kommunikationstechnologien, das direkt oder indirekt auf eine oder mehrere Personen abzielt, wobei (1) aus Täterperspektive dem Opfer absichtlich geschadet werden soll. Hierbei kann eine Wiederholung dazu beitragen, die Schädigungsabsicht sowie Cybermobbing zu etablieren, wobei der Mobber kontinuierlich verletzendes Verhalten gegen dasselbe Opfer ausübt; (2) dieses Verhalten wird von dem Opfer als absichtlich und verletzend empfunden. Ein einmaliger Angriff kann dabei |15|auch als Cybermobbing verstanden werden, da die negativen Auswirkungen für das Opfer genauso schlimm sein können wie bei mehrfachen Angriffen. Weiterhin (3) kann ein Zuschauer beobachten, dass ein Verhalten eine andere Person negativ beeinflusst oder dass dieses Verhalten auch einen Zuschauer negativ berühren könnte, wenn es gegen ihn oder sie gerichtet wäre. Ein Zuschauer kann auch ein Verhalten für sich genommen als absichtlich und aggressiv wahrnehmen (Alipan et al., 2015, S. 12, Übers. durch die Autoren).

Diese Definition ist sehr ausführlich und führt weitere Kriterien wie die Wahrnehmung des Opfers oder direktes und indirektes Cybermobbing auf. Diese Merkmale werden in den drei oben aufgeführten Definitionen (siehe Tab. 1) nicht genannt. Schultze-Krumbholz, Höher, Fiebig und Scheithauer (2014a) führten eine Fokusgruppenstudie mit 20 Kindern und Jugendlichen im Alter von 11 bis 16 Jahren durch und formulierten Folgendes zur Begriffsbestimmung:

Cybermobbing ist ein aggressives Verhalten einer Person mit einer Schädigung oder einer Schädigungsabsicht gegenüber einem Opfer, das sich (aufgrund der Anonymität des Täters oder der Beweiskraft von Bildmaterial) nicht wehren kann. Das Verhalten findet einmalig über öffentliche Kommunikationskanäle oder wiederholt über private Kommunikationskanäle statt. Dabei ist öffentlichen Vorfällen und Vorfällen unter Freunden ein besonderer Schweregrad zuzuschreiben (Schultze-Krumbholz et al., 2014a, S. 375).

In dieser Definition lassen sich ebenfalls verschiedene Merkmale wie aggressiv, Schaden, Machtungleichgewicht, Wiederholung, direkt (hier: privat), indirekt (hier: öffentlich) und Absicht wiederfinden. Offensichtlich ist das Konzept „Cybermobbing“ sehr komplex und diverse Faktoren sind bei der Beurteilung einer Cybermobbinghandlung zu beachten. Aus diesem Grund haben wir ein Klassifikationsschema (Peter & Petermann, 2018) entwickelt, das die am häufigsten diskutierten Einflussfaktoren und Definitionsmerkmale von Cybermobbing zusammenfasst und deren teils wechselseitige Wirkung detailliert veranschaulicht. Dieses Klassifikationsschema wird in dem nachfolgenden Abschnitt näher betrachtet und die Zusammenhänge werden dargestellt.

Die Definitionsmerkmale, die in unserer Konzeptanalyse bestimmt wurden, sind in Abbildung 1 zusammengefasst, um so auf das komplexere Klassifikationsschema im nächsten Abschnitt vorzubereiten.

Überblick

Cybermobbing ist eine neue Facette des traditionellen Mobbings, das unter Verwendung von Informations- und Kommunikationstechnologien (z. B. Computer, Smartphone, Tablet etc.) ausgeübt wird. Es besteht bisher keine Einigkeit darüber, welche Definitionsmerkmale nötig sind. Bisherige Ergebnisse zeigen, dass folgende Merkmale bedeutsam sind:

|16|(1) Absicht, (2) Wiederholung, (3) Schaden, (4) elektronische/digitale Form der Kontaktaufnahme und (5) ein Ziel/Opfer (Hutson, 2016; Peter & Petermann, 2018). Es gilt zu beachten, dass diese Merkmale noch von weiteren Faktoren beeinflusst werden, die bei einer konkreten Beurteilung eines Cybermobbingvorfalls beachtet werden müssen.

Abbildung 1: Veranschaulichung der Definitionsmerkmale von Cybermobbing (in Anlehnung an Peter & Petermann, 2018)

1.2 Cybermobbing als komplexes Zusammenspiel verschiedener Faktoren

Unser Definitionsvorschlag umfasst die in den aktuellen, internationalen Studien benutzten Merkmale von Cybermobbing. Bei unserem Definitionsvorschlag geben wir aber auch zu bedenken, dass es natürlich noch weitere Merkmale gibt, die die Entstehung, die Bewertung, den Schädigungsgrad und die Auswirkungen von Cybermobbing beeinflussen können. Die Definitionsmerkmale sowie die verschiedenen potenziellen Einflussfaktoren sind in unserem Klassifikationsschema (Peter & Petermann, 2018) in Abbildung 2 dargestellt.

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Abbildung 2: Klassifikationsschema der definierenden und ergänzenden Merkmale von Cybermobbing (Peter & Petermann, 2018, S. 359, Übers. durch die Autoren)

Die technischen Möglichkeiten ändern sich heutzutage in rasanter Geschwindigkeit und immer neue Informations- und Kommunikationstechnologien werden entwickelt. Daher ist zu empfehlen, sich beim Thema „Cybermobbing“ nicht auf die eingesetzten Medien (z. B. Smartphone, Tablet, Computer), sondern auf die unterschiedlichen Arten und Weisen, wie über diese kommuniziert wird, zu konzentrieren (Slonje, Smith & Frisén, 2013; Smith, del Barrio & Tokunaga, 2013). Dies bezieht sich beispielsweise auf das Versenden von E-Mails, SMS, Textnachrichten in Instant Messengern (Bayraktar, Machackova, Dedkova, Cerna & Sevcikova, 2015; Khawar & Malik, 2016), das Veröffentlichen von Fotos, Videos oder Nachrichten in sozialen Netzwerken oder in Chaträumen sowie auf das Tätigen |18|von belästigenden Anrufen (Bigelow, Edwards & Edwards, 2016). In unserem Klassifikationsschema (Peter & Petermann, 2018) werden diese beiden Komponenten (Medium und Kommunikationsform) unter dem Begriff der Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) zusammengefasst. Online-Kommunikation (und damit Cybermobbing) ist nicht ohne die Verwendung von digitalen Medien oder ohne eine Übertragung von elektronischen Signalen möglich, weshalb IKT als notwendige, jedoch nicht hinreichende Ursache für die Entstehung von Cybermobbing gelten können. Daher stehen sie auf der gleichen Ebene mit anderen Ursachen für die Entstehung von Cybermobbing (siehe Abb. 2). Zu diesen zählen (psychische) Risikofaktoren wie eine frühere Beteiligung an traditionellem Mobbing (Bauman, 2013; Smith, 2012), eine geringere elterliche Bindung (Bayraktar et al., 2015) oder positive Einstellungen zum Cybermobbing (Barlett, Prot, Anderson & Gentile, 2017b).

Unsere identifizierten Definitionsmerkmale von Cybermobbing waren: IKT, Wiederholung, Absicht, Schaden sowie ein Opfer als Ziel (Peter & Petermann, 2018). Sie sind in Abbildung 2 grau hinterlegt. Einige dieser Elemente sind miteinander verknüpft und beeinflussen sich gegenseitig. Das absichtliche Verhalten hat beispielsweise das Ziel zu schaden, zu schikanieren oder zu beschämen. Das Merkmal der Absichtlichkeit ist für sich genommen schwer zu bestimmen. Es scheint allerdings naheliegend, dass jemandem eine Absicht in seiner Handlung unterstellt werden kann, wenn er eine (offensichtlich verletzende) Nachricht immer wieder direkt an eine Person sendet, da dieses nur sehr unwahrscheinlich aus Versehen oder zufällig geschieht (Smith et al., 2013). Dies deutet darauf hin, dass das Merkmal der Wiederholung die Bestimmung der Absicht beeinflusst. Beim Cybermobbing will ein Täter einem Opfer absichtlich Schaden zufügen, das heißt er ist sich dessen bewusst und hat eine Ahnung, welche Konsequenzen seine Handlungen für das Opfer haben (vgl. Patchin & Hinduja, 2015).

Das ausgeübte Verhalten des Täters besteht aus den Komponenten Absicht, Wiederholung und Schaden und kann daher als aggressive Handlung eingestuft werden (siehe Abb. 2). Die Aggressivität wird vor allem deutlich, wenn man berücksichtigt, dass das Opfer geschädigt werden soll, indem es belästigt, schikaniert und/oder in Verlegenheit gebracht wird. Des Weiteren kann Cybermobbing in eine direkte (oder private) und eine indirekte (oder öffentliche) Form unterteilt werden. Bei direktem Cybermobbing übt ein Cyber-Täter das aggressive Verhalten immer wieder über einen längeren Zeitraum aus, indem er beispielsweise wiederholt beleidigende Textnachrichten verschickt (Langos, 2012). Bei der indirekten Form lädt ein Cyber-Täter ein Bild oder Video nur einmalig im Internet hoch, wodurch es zu einer wiederholten, indirekten Schädigung des Opfers kommt, da das beschämende Online-Material von einem Publikum unkontrollierbarer Größe gesehen und weiterverbreitet werden kann (z. B. Slonje, Smith & Frisén, 2017). Daher ist das Merkmal der Wiederholung beim direkten und indirekten Cybermobbing zu identifizieren. Für manche Kinder und Jugendliche scheint die indirekte Form |19|des Cybermobbings schlimmer zu sein, da sie wesentlich öffentlicher und unkontrollierbarer stattfindet und somit auch Freunde des Opfers den Vorfall mitbekommen können (Schultze-Krumbholz et al., 2014a). Wenn der Cyber-Täter dann auch noch anonym ist, kann es sein, dass der Schaden des öffentlichen Cybermobbings noch verstärkt wird (Slonje et al., 2017; Sticca & Perren, 2013; Ybarra, Espelage & Mitchell, 2014). Die Anonymität des Täters scheint also die Wahrnehmung des Schadens sowie die Bewertung eines Cybermobbingvorfalls zu beeinflussen. Allerdings liegen hierbei widersprüchliche Ergebnisse vor, nach denen es einigen Jugendlichen leichter fällt, das Cybermobbing zu ignorieren, wenn sie den Täter nicht kennen, wohingegen andere sich dadurch eher hilflos, verunsichert und ausgeliefert fühlen (vgl. Corby et al., 2016).

Das (aggressive) Verhalten wirkt sich unabhängig davon, ob es direkt oder indirekt ausgeübt wird, negativ auf das Opfer aus. Diese negativen Auswirkungen (Konsequenzen) sind davon abhängig, wie das Opfer das Cybermobbing wahrnimmt (Alipan et al., 2015; O’Dea & Campbell, 2012; Ševčíková, Šmahel & Otavová, 2012; Vandebosch & Van Cleemput, 2008) und ob es sich überhaupt von den Handlungen des Cyber-Täters geschädigt fühlt (Hinduja & Patchin, 2015; Smith et al., 2013). Ein Opfer bewertet beispielsweise eine Cybermobbinghandlung erst dann als schädigend, wenn es hinter der Handlung eine Absicht und keinen Zufall vermutet.

Bei der Beurteilung der Absichtlichkeit des Verhaltens kann es hilfreich sein, eine unabhängige dritte Person einzubeziehen, die die Handlung objektiver einschätzen kann, als die betroffene Person selbst (Alipan et al., 2015; Langos, 2012; Vandebosch & Van Cleemput, 2008). Diese unabhängige Person kann beispielsweise ein Zuschauer sein, der mitbekommen hat, dass sich die Cybermobbinghandlung negativ auf das Opfer ausgewirkt (Alipan et al., 2015). Es ist denkbar, dass das Merkmal „Absicht“ an Bedeutung verliert, sobald sich das Opfer geschädigt fühlt. Hiermit ist gemeint, dass ein Verhalten als Cybermobbing bewertet werden könnte, sobald ein Opfer von negativen Auswirkungen betroffen ist. Dabei ist es egal, ob der Täter die entsprechende Handlung absichtlich oder aus Versehen ausgeübt hat. Eine solche Sichtweise mag gerechtfertigt sein, da die Auswirkungen von Cybermobbing sehr schwer und zum Beispiel soziale Ängste die Folge sein können (Pabian & Vandebosch, 2016). In anderen Fällen wird von depressiven Symptomen (Fahy et al., 2016) sowie von Suizidgedanken oder -versuchen berichtet (Bottino, Bottino, Regina, Correia & Ribeiro, 2015). Nimmt ein Opfer eine Cybermobbinghandlung nicht als schädigend wahr, obwohl deutlich ist, dass der Täter die Handlung absichtlich ausgeführt hat, ist der Vorfall trotzdem als Cybermobbing zu bewerten. Das Merkmal „Absicht“ ist demnach bei jedem Vorfall zu beleuchten, vor allem unter Berücksichtig der jeweiligen Perspektive (Opfer vs. Täter).

Ein weiteres Merkmal, das im Rahmen von Cybermobbing beachtet werden sollte, ist das Machtungleichgewicht, das zwischen dem Cyber-Täter und seinem Opfer |20|bestehen kann (Palladino et al., 2017). Dieses Merkmal ist in einigen Definitionen von Cybermobbing ein fester Bestandteil (z. B. Smith et al., 2008). Die folgenden Faktoren können dazu führen, dass sich ein Opfer schwächer bzw. hilflos gegenüber einem Täter fühlt.

Der Täter

hat wesentlich bessere Kenntnisse im Umgang mit IKT, sodass er diese in komplexerer Art und Weise nutzen kann, um sich z. B. immer wieder neue Accounts anzulegen oder Hass-Internetseiten über sein Opfer zu erstellen. Das Opfer kennt sich weniger mit den IKT aus und kann sich daher schlechter vor dem Cyber-Täter schützen und fühlt sich diesem ausgeliefert (z. B. Hinduja & Patchin, 2015).

kann im Internet anonym agieren und sein Opfer belästigen, ohne dass dieses weiß, von wem die Cyberangriffe stammen. Das Cyber-Opfer fühlt sich deswegen den Angriffen ausgeliefert sowie verzweifelt und hilflos, weil es nicht weiß, wer es auf es abgesehen hat.

ist jemand, der sehr beliebt und angesehen ist, während sein Opfer jemand mit weniger Ansehen ist. Die Beliebtheit beinhaltet hierbei auch, dass derjenige sehr viel Selbstsicherheit und Dominanz besitzt. Das Opfer besitzt weniger Beliebtheit und Ansehen und kann dadurch schlechter mit dem Cybermobbing umgehen oder sich wehren und fühlt sich deswegen hilflos (Pieschl, Porsch, Kahl & Klockenbusch, 2013).

Ein Opfer von solch aggressiven Online-Handlungen kann eine Reihe an negativen Auswirkungen erleben, welche in Kapitel 4 näher beschrieben werden. Unser Klassifikationsschema (Abb. 2) integriert alle Definitionsmerkmale sowie alle weiteren Faktoren, die die Entstehung, Wirkungsweise bzw. Bewertung von Cybermobbing beeinflussen können.

Hinweis

Cybermobbing ist ein komplexes Phänomen, das sich bei einer konkreten Einschätzung eines Vorfalls nicht nur auf seine definierenden Merkmale beschränken lässt. Vielmehr handelt es sich um ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren, die sich wechselseitig beeinflussen. Des Weiteren scheint die Perspektive (Täter oder Opfer) eine Rolle dabei zu spielen, welche zusätzlichen Merkmale beachtet werden sollten.

Hierbei ist es beispielsweise aus Tätersicht entscheidend, ob sich das Kind oder der Jugendliche überhaupt bewusst ist, dass er seinem Online-Gegenüber durch seine Handlungen Schaden zufügt. Aus Opferperspektive gilt zu erheben, ob sich das Kind oder der Jugendliche überhaupt geschädigt fühlt und ob er das Verhalten als Cybermobbing wahrgenommen hat.

In vielen Definitionen von Cybermobbing ist das Merkmal „Machtungleichgewicht“ ein essenzieller Bestandteil (z. B. Smith et al., 2008). Daher sollte geprüft werden, |21|ob einer der Beteiligten ein solches Ungleichgewicht erlebt und wodurch dieses hervorgerufen wird. Diese Aspekte sind wichtig, wenn es darum geht einzuschätzen, welchen Schweregrad ein Vorfall hat und welche Intervention oder Hilfestellung sowohl für das Opfer, als auch für den Täter notwendig ist.

1.3 Welche Formen von Cybermobbing lassen sich unterscheiden?

Willard (2007) hat als erstes im Forschungsfeld eine Taxonomie aufgestellt, um Cybermobbing nicht nur anhand der unterschiedlichen Medien (z. B. Smartphone, Computer, Internet) zu klassifizieren, sondern auch anhand der verschiedenen Verhaltensweisen, durch die sich Cybermobbing äußern kann. Dieser Ansatz erscheint uns sehr sinnvoll, da sich Medien durch den raschen technologischen Fortschritt ändern und weiterentwickeln, wodurch aktuelle Arbeitsgeräte schnell veralten. Das beste Beispiel für diesen Wandel ist das traditionelle Handy, das in relativ kurzer Zeit durch das Smartphone, welches in der Regel internetfähig ist, abgelöst wurde. Daher gilt es die Formen bzw. die Arten des Cybermobbings zu differenzieren. Diese werden sich voraussichtlich nicht so schnell ändern und höchstens um neue Formen ergänzt werden (vgl. González-Cabrera, Calvete, León-Mejía, Pérez-Sancho & Peinado, 2017; Smith et al., 2013).

Die Taxonomie möglicher Cybermobbinghandlungen von Willard (2007) wird bis heute immer wieder zur Erläuterung von Cybermobbing aufgeführt (z. B. Festl, Vogelgesang, Scharkow & Quandt, 2017; Lohbeck & Petermann, 2018; Watts, Wagner, Velasquez & Behrens, 2017). Die Taxonomie bildet auch die Grundlage für die Entwicklung von Erhebungsmethoden (z. B. Baldry, Farrington & Sorrentino, 2016; Pieschl et al., 2013; Riebel, Jäger & Fischer, 2009).

Willard (2007) unterscheidet zwischen

extremem Beleidigen (Flaming),

Schikane (Harassment),

Verleumdung (Denigration),

Identitätsdiebstahl (Impersonation),

Verrat und Vertrauensmissbrauch (Outing &Trickery) und

Ausgrenzung (Exclusion).

Diese Taxonomie ist hilfreich, um die verschiedenen Formen von Cybermobbing unterscheiden und voneinander abgrenzen zu können. Riebel und Jäger (2009) zeigen, dass sich in ihrer Stichprobe 97,1 % (N = 239) der Situationen, in denen Cybermobbing auftrat, den sechs Gruppen zuordnen ließen. Die Taxonomie von Willard (2007) sollte allerdings nicht als erschöpfend betrachtet werden, da sich stetig neue Formen des Cybermobbings entwickeln (von Marées & Petermann, 2012). |22|Kowalski und Kollegen (2012a) setzen an diesem Punkt an, indem sie die Taxonomie Willards aufgreifen und diese noch um die Aspekte Sexting und Happy Slapping ergänzen.

Wir haben in diesem Buch ebenfalls eine Erweiterung vorgenommen, um die Taxonomie an den aktuellen Stand der Literatur anzupassen. Die folgenden Kategorien wurden ergänzt:

Schikane durch Dritte,

Photoshopping,

Verlinken (Tagging),

Auftreten unter falscher Identität und

Happy Slapping.

Eine Übersicht über die verschiedenen Formen von Cybermobbing und wodurch diese gekennzeichnet sind bietet Abbildung 3.

Bei deutschen Schülerinnen und Schülern kommt das extreme Beleidigen am häufigsten vor (77 %, n = 201, Bündnis gegen Cybermobbing e. V., 2017), gefolgt von dem Verbreiten von Lügen und Gerüchten (Verleumden). Von den Betroffenen wird fast ein Viertel unter Druck gesetzt, erpresst oder bedroht (Schikane oder Cyberstalking), von bestimmten Online-Aktivitäten ausgeschlossen (Ausgrenzen) oder es werden private Bilder kopiert und ungefragt in anderen sozialen Medien veröffentlicht (Verrat und Vertrauensmissbrauch). Jungen und Mädchen sind von den verschiedenen Formen des Cybermobbings größtenteils gleichermaßen betroffen. Es zeigen sich nur Unterschiede bei den ersten beiden Formen (extremes Beleidigen und Gerüchte verbreiten), da hier deutlich mehr Mädchen als Jungen betroffen sind (Bündnis gegen Cybermobbing e. V., 2017).

In einer anderen Untersuchung an deutschen Jugendlichen (N = 1.734), in der unter anderem verhaltensnahe Fragen benutzt wurden, berichteten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer am häufigsten von Schikane (n = 350, 59,0 %) und Verleumden (n = 244, 41,1 %), während Identitätsklau (n = 170, 28,7 %), Verrat (n = 81, 13,7 %) und Ausgrenzen (n = 63, 10,6 %) seltener genannt wurden (Porsch & Pieschl, 2014).

Müller, Pfetsch und Ittel (2014) fanden am häufigsten das Versenden von gemeinen Nachrichten, den (sozialen) Ausschluss sowie das Verbreiten von Gerüchten. In einer Studie von Hinduja und Patchin (2017) an 1.204 US-amerikanischen Jugendlichen im Alter von 12 bis 17 Jahren zeigen sich ähnliche Ergebnisse. In ihrer Stichprobe waren 22 % der Jugendlichen von Cybermobbing betroffen. Diese berichteten, dass sie am häufigsten von gemeinen oder verletzenden Kommentaren betroffen waren (18 %). Die zweithäufigste Form des Cybermobbings stellte hier ebenfalls die Verbreitung von Gerüchten (Verleumden) dar (Hinduja & Patchin, 2017).

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Abbildung 3: Formen von Cybermobbing (eigene Darstellung in Anlehnung an Willard, 2007 und Hinduja & Patchin, 2015)

Diese Ergebnisse können ebenfalls in einer Studie von Olenik-Shemesh, Heiman und Eden (2017) gefunden werden, die sich mit dem Einfluss der Zuschauer bei |24|einem Cybermobbingvorfall beschäftigten. Von den untersuchten 1.094 Kindern und Jugendlichen im Alter von neun bis 18 Jahren, gaben 497 Teilnehmerinnen und Teilnehmer an, schon einmal Zuschauer eines Cybermobbingvorfalls gewesen zu sein. Am häufigsten wurde beobachtet, wie jemand gemeine Nachrichten erhielt (n = 351, 55,5 %) oder wie Gerüchte über jemanden verbreitet wurden (n = 285, 44,9 %). Ungefähr ein Drittel (n = 185, 29,9 %) beobachtete Cybermobbing durch das Versenden verletzender Bilder oder Videos und ungefähr ein Viertel (n = 142, 22,5 %) wurde Zeuge, wie dazu aufgerufen wurde, andere Gleichaltrige (sozial) im Internet auszuschließen (Olenik-Shemesh et al., 2017).

Diese Ergebnisse verdeutlichen, dass die Taxonomie von Willard (2007) sowie entsprechende Erweiterungen durchaus Sinn machen, da sich die Cybermobbingerfahrungen der meisten Kinder und Jugendlichen in diese Kategorien einordnen lassen. Dadurch entsteht ein differenzierter Einblick, welche Formen des Cybermobbings am häufigsten auftreten. Des Weiteren kann im Einzelfall konkret analysiert werden, von welcher Cybermobbingform das Opfer betroffen ist, um dann entsprechende Handlungsstrategien zu entwickeln. Aus diesem Grund sind diese Informationen ebenso wichtig für Präventions- und Interventionsprogramme, da dadurch beispielsweise gezielte Übungen für die Opfer, als auch für die Täter und Zuschauer entwickelt und integriert werden können, die spezifische Elemente für die jeweilige Cybermobbingform enthalten. In den nachfolgenden Abschnitten werden diese ausführlicher beschrieben und einige Formen anhand von praxisnahen Beispielen verdeutlicht.