Cynster, eine neue Generation Band 1-3:  - Eine Liebe in den Highlands / Schottische Versuchung / Verführt von einer Highlanderin - Stephanie Laurens - E-Book
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Cynster, eine neue Generation Band 1-3: - Eine Liebe in den Highlands / Schottische Versuchung / Verführt von einer Highlanderin E-Book

Stephanie Laurens

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Beschreibung

»Was prachtvolle und sinnlich-aufregende Liebesromane angeht, ist Stephanie Laurens die unangefochtene Nummer 1!« Booklist

Band 1: Eine Liebe in den Highlands
Schottland, 1837: Die Cynsters haben sich im Carsphairn Manor versammelt, um gemeinsam das Weihnachtsfest zu begehen. Auch Claire Meadows, Gouvernante der Tochter Gabriel Cynsters, und Daniel Crosbie, Hauslehrer der Söhne Lucifer Cynsters, gehören zur Gesellschaft der Feiernden. Schon bei ihrem ersten Treffen sprühen die Funken zwischen der jungen Angestellten und dem attraktiven Lehrer. Doch Claire, seit Kurzem verwitwet, glaubt nicht an eine zweite große Liebe. Daniel hingegen will sich der auflodernden Leidenschaft hingeben und ist fest entschlossen, das Herz und die Hand der widerspenstigen Gouvernante zu erobern.

Band 2: Schottische Versuchung
Thomas Carrick hat das Glück gepachtet. Er ist wohlhabend, führt ein florierendes Unternehmen und kann sich vor Verehrerinnen kaum retten. Bislang aber konnte keine der Damen sein Herz entflammen – zumindest nicht so, wie es Lucilla Cynster einst getan hat. Die schöne und eigensinnige Rothaarige lebt aber weit entfernt in den Highlands, und Thomas hatte sich geschworen, nie wieder in diese raue Gegend, geschweige denn zu seiner dort ansässigen Verwandtschaft, zurückzukehren. Doch dann ereilt ihn ein dringender Hilferuf, und Thomas sieht sich erneut der betörenden Anziehungskraft Lucillas ausgeliefert. Wird er der Versuchung widerstehen können?

Band 3: Verführt von einer Highlanderin
Marcus Cynster glaubt an das Schicksal, bisher hat ihn dessen Ruf aber noch nicht ereilt. Wie wird seine Zukunft aussehen? An wessen Seite wird er sein Leben verbringen? Eines weiß er sicher: Es wird nicht Niniver Carrick, seine betörende aber starrköpfige Nachbarin. Denn Niniver hat der Liebe längst abgeschworen, um als Oberhaupt der Carricks für den Wohlstand der Familie zu sorgen. Ein Mann würde sie nur von ihrem Pflichten ablenken. Doch ihre vielen Verehrer kümmert das wenig, und schon bald beginnt der Kampf um die Hand der Schönen. Aus Verzweiflung bittet Niniver Marcus schließlich um Hilfe. Er soll sich als ihr Geliebter ausgeben, um die Bewerber abzuwimmeln. Das Schicksal jedoch hat andere Pläne, und so wird aus einem gewitzten Plan bald verführerische Realität …

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Autorin

Stephanie Laurens begann mit dem Schreiben, um etwas Farbe in ihren wissenschaftlichen Alltag zu bringen. Ihre Bücher wurden bald so beliebt, dass sie ihr Hobby zum Beruf machte. Stephanie Laurens gehört zu den meistgelesenen und populärsten Liebesromanautorinnen der Welt und lebt mit ihrem Mann und ihren beiden Töchtern in einem Vorort von Melbourne, Australien.

Eine Liebe in den Highlands

Schottland, 1837: Die Cynsters haben sich im Carsphairn Manor versammelt, um gemeinsam das Weihnachtsfest zu begehen. Auch Claire Meadows, Gouvernante der Tochter Gabriel Cynsters, und Daniel Crosbie, Hauslehrer der Söhne Lucifer Cynsters, gehören zur Gesellschaft der Feiernden. Schon bei ihrem ersten Treffen sprühen die Funken zwischen der jungen Angestellten und dem attraktiven Lehrer. Doch Claire, seit Kurzem verwitwet, glaubt nicht an eine zweite große Liebe. Daniel hingegen will sich der auflodernden Leidenschaft hingeben und ist fest entschlossen, das Herz und die Hand der widerspenstigen Gouvernante zu erobern.

Schottische Versuchung

Thomas Carrick hat das Glück gepachtet. Er ist wohlhabend, führt ein florierendes Unternehmen und kann sich vor Verehrerinnen kaum retten. Bislang aber konnte keine der Damen sein Herz entflammen – zumindest nicht so, wie es Lucilla Cynster einst getan hat. Die schöne und eigensinnige Rothaarige lebt aber weit entfernt in den Highlands, und Thomas hatte sich geschworen, nie wieder in diese raue Gegend, geschweige denn zu seiner dort ansässigen Verwandtschaft, zurückzukehren. Doch dann ereilt ihn ein dringender Hilferuf, und Thomas sieht sich erneut der betörenden Anziehungskraft Lucillas ausgeliefert. Wird er der Versuchung widerstehen können?

Verführt von einer Highlanderin

Marcus Cynster glaubt an das Schicksal, bisher hat ihn dessen Ruf aber noch nicht ereilt. Wie wird seine Zukunft aussehen? An wessen Seite wird er sein Leben verbringen? Eines weiß er sicher: Es wird nicht Niniver Carrick, seine betörende aber starrköpfige Nachbarin. Denn Niniver hat der Liebe längst abgeschworen, um als Oberhaupt der Carricks für den Wohlstand der Familie zu sorgen. Ein Mann würde sie nur von ihrem Pflichten ablenken. Doch ihre vielen Verehrer kümmert das wenig, und schon bald beginnt der Kampf um die Hand der Schönen. Aus Verzweiflung bittet Niniver Marcus schließlich um Hilfe. Er soll sich als ihr Geliebter ausgeben, um die Bewerber abzuwimmeln. Das Schicksal jedoch hat andere Pläne, und so wird aus einem gewitzten Plan bald verführerische Realität …

Stephanie Laurens

Cynster, eine neue Generation

Band 1 – 3

Eine Liebe in den Highlands Schottische Versuchung Verführt von einer Highlanderin

Deutsch von Christiane Meyer

Die Originalausgaben erschienen unter den Titeln »By Winter’s Light« (2014), »The Tempting of Thomas Carrick« (2015) und »A Match for Marcus Cynster« (2015) bei MIRA Books, Canada.

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Copyright der Originalausgaben © 2014, 2015, 2015 by Savdek Management Proprietary Limited

Published by Arrangement with Savdek Management Pty Ltd

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Copyright © der deutschsprachigen Ausgaben »Eine Liebe in den Highlands« 2019, »Schottische Versuchung« 2020 und »Verführt von einer Highlanderin« 2020 by Blanvalet Verlag, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Coverdesign: Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, unter Verwendung der Originaldesigns von Johannes Wiebel | punchdesign

Covermotive: (li.o.): © Lee Avison/Trevillion Images, stock.adobe.com (Richard Semik, aphotostory); (li.u.): stock.adobe.com (jackey, VJ Dunraven Productions); (re.u.) © Lee Avison/Trevillion Images, stock.adobe.com (V_Saratovtseva; robert), Jeff Dalton/Shutterstock.com

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN 978-3-641-31001-1V001

www.blanvalet.de

Stephanie Laurens

Eine Liebe in den Highlands

Roman

Kapitel 1

23. Dezember 1837 Carsphairn Manor, Vale of Carsphairn, Schottland

Daniel Crosbie fühlte sich, als wären Weihnachten und Ostern auf einen Tag gefallen. Während er den Blick durch den großen Festsaal gleiten ließ, in dem sich sechs Cynster-Familien und die dazugehörigen Hausangestellten versammelt hatten, erlaubte er es sich, einen Moment lang in seinem unerwarteten Glück und der sich daraus ergebenden Hoffnung zu schwelgen.

Um ihn herum genossen die Familien ein opulentes Willkommensmahl, das ihnen zum Auftakt der Feierlichkeiten, die in den nächsten zehn Tagen hier stattfinden sollten, serviert worden war. Wenn Daniel es richtig verstanden hatte, handelte es sich bei den Festivitäten um eine Kombination aus Weihnachten, der Julzeit und Silvester.

Die Gäste, die sich hier zusammengefunden hatten, saßen auf Bänken an langen Tischen, ihre Augen leuchteten, alle lächelten und waren bester Laune. Unterhaltungen und Gelächter erfüllten den Raum. Freude und erwartungsvolle Spannung stand auf den Gesichtern geschrieben. Der warme Schein unzähliger Kerzen auf den riesigen Kandelabern, die an massiven Ketten von der Kuppeldecke hingen, erhellte die Züge der Anwesenden.

Sie alle waren in der großen Halle zusammengekommen, dem Mittelpunkt und Herzstück des Anwesens, von der aus man nach allen Seiten die verschiedenen Flure, Trakte und Stockwerke des imposanten Herrenhauses erreichte. Zwischen ihren dicken Mauern aus blassgrauem Stein fanden leicht alle Cynsters, immerhin an die sechzig Personen, sowie sämtliche Dienstboten und Arbeiter Platz, die auf dem großen Landgut beschäftigt waren und dort auch samt ihren Familien lebten.

Es war fast, als würde dort eine ganze Dorfgemeinschaft gemütlich zusammensitzen.

Da Daniel keine eigene Familie mehr hatte, hatte er die vergangenen zehn Weihnachtsfeste mit den Cynsters verbracht, bei denen er als Hauslehrer engagiert war, und zwar bei Alasdair Cynster und seiner Frau Phyllida. Es war allerdings das erste Mal in diesen zehn Jahren, dass der ganze Clan in den Norden gereist war, um dort gemeinsam das Weihnachtsfest zu begehen.

Zu diesem großen Verband gehörten sechs Einzelfamilien, die zumeist im südlichen England ansässig waren: die von Sylvester, dem Duke of St. Ives, die seines Bruders Richard und die der Cousins Spencer, Harry, Rupert und Alasdair.

Normalerweise kamen zu den Festlichkeiten noch andere Familien hinzu, die mit den Cynsters entfernter verwandt waren, in diesem Jahr aber ferngeblieben waren, weil ihnen die lange Reise ins Vale zum Besitz von Lord Richard Cynster und seiner Frau Catriona, der einsam in den westlichen Lowlands von Schottland lag, zu beschwerlich erschienen war. Zusätzlich hatte manch einen die Witterung abgeschreckt, denn diesmal hatten Schnee und Kälte früher eingesetzt als sonst. So waren lediglich die Festentschlossenen und Hartgesottenen zu der gemeinsamen Feier erschienen.

Es war der Kern des Clans, der wie Pech und Schwefel zusammenhielt.

Aus reiner Gewohnheit warf Daniel einen Blick hinüber zu den beiden Jungen, die lange Zeit seine Schützlinge gewesen waren, es jedoch schon bald nicht mehr sein würden. Bereits jetzt trug er nicht mehr die direkte Verantwortung für sie. Aidan, inzwischen sechzehn Jahre alt, und der ein Jahr jüngere Evan besuchten inzwischen die renommierte Internatsschule Eton und bedurften keines Hauslehrers mehr. Trotzdem behielt Daniel die beiden stets im Blick, wenn sie zu Hause waren – eine Angewohnheit, die die Eltern zu schätzen wussten und die die Jungen, die nach wie vor an ihm hingen, geduldig ertrugen.

Im Moment unterhielten sie sich angeregt mit ihren vielen Cousins. Sofort wurde Daniel hellhörig. Es kam ihm vor, als würden sie irgendetwas aushecken. Bloß was? Er nahm sich vor, der Sache später auf den Grund zu gehen.

Jason, der jüngste Sohn der Familie und der letzte von Daniels Schützlingen, saß mit den jüngeren Cynster-Nachkommen, die in seinem Alter waren, zusammen und schien genauso seinen Spaß zu haben wie die älteren Brüder. Er war elf Jahre alt und würde Ende des kommenden Jahres ebenfalls nach Eton wechseln.

Ein Umstand, der für Daniel das Problem aufwarf, was er anschließend tun sollte, um sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Eine nicht geringe Sorge, denn sobald Jason seiner Fürsorge nicht mehr bedurfte, würde er in Alasdair Cynsters Haushalt in Colyton, einer Stadt in der Grafschaft Devon, nicht länger gebraucht.

Die Frage nach seinen künftigen Perspektiven hatte ihn monatelang gequält, schließlich hingen davon seine Lebensumstände ab, die bislang recht komfortabel gewesen waren und es nach Möglichkeiten bleiben sollten. Wie auch immer: Er brauchte eine Wohnung, eine Anstellung und ein gesichertes Einkommen.

Vergeblich hatte er sich das Hirn zermartert, ihm war einfach nichts eingefallen, wie er sein Leben demnächst gestalten und finanzieren sollte. Da war es ihm geradezu als ein Wunder erschienen, als Alasdair Cynster, der im Familienkreis Lucifer genannt wurde, ihn eines Tages in die Bibliothek gebeten und ihm ein Angebot unterbreitet hatte, das, kurz gesagt, die Antwort auf all seine Gebete war.

Im Laufe der Jahre hatte Daniel seinem Arbeitgeber einige Male beratend zur Seite gestanden, wenn es um dessen Sammlung wertvoller antiker Schmuckstücke ging, hatte Funde dokumentiert und deren Herkunft ermittelt. Außerdem hatte er die Sammlung seltener Bücher, die noch vom Vorbesitzer des Anwesens stammten, katalogisiert und durch Zukäufe erweitert.

Auf diesem Hintergrund nun hatte Alasdair ihm vorgeschlagen, dass Daniel nach Jasons Weggang als sein persönlicher Sekretär mit Familienanschluss in Colyton bleiben solle. Das Gehalt für die zeitlich nicht begrenzte Anstellung war großzügig bemessen, und die Rahmenbedingungen erfüllten alles, was Daniel sich hätte erhoffen können. Der neue Arbeitsbereich entsprach nicht allein seinen Neigungen, sondern löste zudem mit einem Schlag all seine Probleme.

Und was noch wichtiger war: Diese neue Position würde ihm den Weg ebnen, endlich um Claire Meadows’ Hand anhalten zu können.

Er wandte den Kopf nach rechts und sah an der langen Tafel entlang. In ein weiches Wollkleid gehüllt, das einen sanften Blauton hatte, saß Claire ihm schräg gegenüber. Sie war die Erzieherin der Kinder von Rupert, Alasdairs Bruder, und da sie sich aufgrund ihrer ähnlichen Arbeitsbereiche oft ausgetauscht hatten, waren sie sich nähergekommen.

Bei größeren Familienzusammenkünften, die in dem Clan mit schöner Regelmäßigkeit stattfanden, war es überdies üblich, dass die Hauslehrer und die Erzieherinnen sich zusammentaten und die Betreuung der zahlreichen Cynster-Sprösslinge untereinander aufteilten.

Darum kümmerte sich in erster Linie Melinda Spotswood, die Erzieherin im Haushalt von Lord Richard Cynster, der – warum, war ihr schleierhaft – Scandal genannt wurde, eine gemütliche, matronenhafte Dame mit einem Rückgrat wie Eisen. Momentan unterhielt sie sich mit Claire. An Melindas anderer Seite, gegenüber von Daniel, saß Oswald Raven, ihr Kollege gewissermaßen, der als Hauslehrer auf dem Anwesen in Schottland arbeitete. Er war ein paar Jahre älter als Daniel, ein höflicher und charmanter Mann, der sich hingebungsvoll seinen Schützlingen widmete, aber auch durchgreifen konnte, wenn diese nicht parierten. Er unterhielt sich gerade mit Samuel Morris, der neben Daniel saß und bei Spencer Cynster in Kent angestellt war, im Familienkreis Vane genannt – fast alle Cynsters hatten irgendwelche Spitznamen, die sich von Dämonen, Engeln und mythologischen Figuren herleiteten. Morris war der Älteste in der Runde der Hauslehrer, ein leicht untersetzter Mann von warmherziger, geselliger Art, der sich zudem einen guten Ruf als Gelehrter gemacht hatte, was indes nicht darüber hinwegtäuschen durfte, dass er durchaus in der Lage war, seine Schützlinge mit fester Hand zu führen.

Alle fünf hatten sich des Öfteren getroffen, tauschten gerne ihre Erfahrungen aus und pflegten ein angenehmes und entspanntes Miteinander. In den kommenden Tagen würden sie gemeinsam ein Auge auf die Schar von Cynster-Sprösslingen haben müssen, das wurde von ihnen erwartet. Wobei die älteste Gruppe, als deren Anführer sich unwidersprochen der achtzehnjährige Sebastian Cynster betrachtete, seines Zeichens Marquess of Earith und als Sohn des Duke of St. Ives zukünftiges Oberhaupt der Familie, keiner Kontrolle mehr bedurfte. Selbst die große Gruppe der fünfzehn- und sechzehnjährigen Jungen konnte man weitgehend sich selbst überlassen.

Ganz anders hingegen stellte sich die Situation bei der jüngsten Gruppe dar, sechs Jungen im Alter von dreizehn Jahren und jünger sowie sieben Mädchen zwischen acht und vierzehn Jahren. Bei ihnen würden die Hauslehrer und Erzieherinnen alle Hände voll zu tun haben, um sicherzustellen, dass sie angemessen beschäftigt und angemessen betreut wurden.

Immerhin ließ sich schwer voraussagen, was die kleinen Teufel sonst anstellen würden.

Erzieherin oder Hauslehrer von Cynster-Kindern zu sein, war beileibe kein langweiliger Beruf.

Daniel hatte es geschafft, ganze zehn Minuten lang nicht zu Claire hinüberzustarren. Trotz der vielen eleganten Damen und Mädchen, trotz vieler hübscher Gesichter in der großen Halle war sie der leuchtende Stern an seinem Firmament. Unabhängig davon, wo sie waren und was sich um sie herum an Interessantem und Aufregendem tat, gelang es ihr immer wieder, seinen Blick auf sich zu ziehen und ihn zu fesseln.

Das war vom ersten Moment an so gewesen, als er sie vor einigen Jahren auf einem Sommerfest der Familie in Cambridgeshire zum ersten Mal gesehen hatte. In der Folge hatten sie sich regelmäßig bei den unterschiedlichsten Familienzusammenkünften, auf Hochzeiten, Taufen oder Geburtstagen, bei Gartenpartys oder eben zu Weihnachtsfeiern getroffen. Und mit jeder Begegnung hatte er sich mehr zu Claire hingezogen gefühlt, bis ihm irgendwann klar wurde, worauf das hinauslief.

Es ließ sich nicht länger leugnen: Daniel wünschte sich nichts sehnlicher, als Claire irgendwann zu seiner Frau zu machen.

Raven riss ihn aus seinen Gedanken und lenkte seine Aufmerksamkeit auf die Gruppe der Hauslehrer und Erzieherinnen zurück.

»Wenn sich das Wetter hält und die älteren Jungen wie geplant ihren Ausritt unternehmen, werden wir uns einen geeigneten Zeitvertreib überlegen müssen, um unsere jüngeren Schützlinge bei Laune zu halten«, sprach Melinda das Thema Betreuung an.

Mit dem Rücken zu dem Tisch sitzend, an dem die jungen Herren versammelt waren, hatte Daniel einen Teil der Gespräche mitbekommen und erfahren, dass sie auszu­reiten planten, um nach Rotwildrudeln Ausschau zu halten.

»Wenn es möglich ist, sollten wir die Rasselbande draußen beschäftigen«, schlug er vor.

»Ganz Ihrer Meinung«, entgegnete Melinda und wandte sich von Claire ab, mit der sie sich gerade unterhalten hatte. »Wir müssen die schönen, klaren Tage ausnutzen. Wie ich gerade zu Claire sagte, sollten die vierzehnjährigen Mädchen bei gutem Wetter morgen raus und Tannenzweige sammeln, um die Halle wie jedes Jahr am vierundzwanzigsten Dezember weihnachtlich zu dekorieren. So sieht sie nicht gerade festlich aus.«

Sie deutete auf die nackten grauen Steinwände, in die mächtige Kamine eingelassen waren und von denen Bogengänge abgingen, die in andere Bereiche der weitläufigen, unübersichtlichen Teile des Hauses führten.

»Ich habe gehört«, meldete Morris sich zu Wort und wandte sich an Raven, »dass es in dieser Gegend die Tradition des Weihnachtsklotzes oder Julscheits gibt?«

Raven, dessen Haar so schwarz war, wie sein Name vermuten ließ, nickte.

»Ja, das stimmt. Wäre übrigens eine gute Idee, die größeren Kinder damit zu beauftragen, in die Holzklötze das Gesicht der Cailleach zu schnitzen. Diese Figur ist Teil der keltischen Mythologie und wird als eine Art Winterhexe oder Wintergeist dargestellt, wobei ihr teilweise auch Züge einer Erdgöttin beigemessen werden. Jedenfalls ist es Brauch, mit ihrem Bild, wie immer man sich das vorstellt, Holzklötze zu verzieren und sie am Tag vor Weihnachten in den Kamin zu legen, wo sie bis Neujahr dauernd brennen müssen. Um das zu schaffen, werden sie irgendwie präpariert, damit sie lediglich glimmen. Wäre für die Jungen eine schöne Aufgabe, mit der sie für einige Stunden beschäftigt sein dürften. Ich werde mit dem Landarbeitern reden, um alles zu organisieren.«

»Gute Idee«, meinte Daniel. »und eine interessante Geschichte dazu«, doch sein Blick wanderte schon wieder zu Claire, die ihn sichtlich mehr zu fesseln schien als die mythologische Winterhexe.

Mit ihrem braunen Haar, das im Schein der Kerzen glänzte, mit ihren feinen Zügen und ihrer milchweißen Haut, mit ihren vollen rosigen Lippen und ihren großen braunen Augen unter wundervoll geschwungenen Brauen war sie für ihn der Inbegriff von Weiblichkeit.

Trotz ihrer jungen Jahre war sie bereits Witwe, hatte kurz nach der Hochzeit ihren Ehemann verloren. Eine Erfahrung, die sie hatte reifen lassen und ihr eine gewisse Würde verlieh, die nicht so recht zu ihrem Alter passen wollte. Sie wirkte dadurch ernster und vorsichtiger, als man es normalerweise von einer Siebenundzwanzigjährigen erwarten würde.

Dass sie sich eines Tages ihr Brot als Erzieherin verdienen musste, war ihr nicht an der Wiege gesungen worden, denn sie war das einzige Kind einer angesehenen und wohlhabenden Familie und hätte eigentlich ein sorgloses und finanziell abgesichertes Leben führen sollen. Zumindest hatte er das am Rande gesprächsweise mitbekommen, ohne allerdings Einzelheiten zu kennen.

Auch Daniel war durch widrige Umstände gezwungen worden, sich seinen Lebensunterhalt als Hauslehrer zu verdienen, da durch den frühen Tod der Eltern, ein längeres Studium, das er eigentlich angestrebt hatte, nicht möglich gewesen war. Das verband sie irgendwie. Sie waren beide so, wie sie hier und jetzt waren, und was nun passieren würde, das lag bei ihnen.

Was ihn betraf, so hatte er beschlossen, hier in Schottland die Gelegenheit zu ergreifen, um mit Claire zu sprechen. Um für sich einzutreten und herauszufinden, ob sie seine Hoffnungen teilte und ob sie sich vorstellen könnte, ebenfalls seine Träume zu teilen. Aber er musste abwarten, bis er sie irgendwo antraf, wo sie in aller Ruhe miteinander reden konnten.

Derweilen lenkte er sich damit ab, die sechs Cynster-Paare zu beobachten, die auf einem erhöhten Podest am Kopf der langen Tische saßen, herausgehoben von der Menge, wie es eine Tradition wollte, die bis ins Mittelalter zurückreichte.

Außer diesen zwölf Personen im besten Alter, allesamt attraktiv, gewandt und sich ihres Ranges bewusst, saßen dort noch drei Vertreter der älteren Generation. Allen voran Helena, die verwitwete Duchess of St. Ives – Mutter von Sylvester, dem Duke, und Richard, dem Hausherrn auf Carsphairn Manor –, der die Rolle als weibliches Oberhaupt des Clans zukam und die sich ausbedungen hatte, dass Algaria, die betagte ehemalige Mentorin von Catriona, und McArdle, der inzwischen in den Ruhestand versetzte Butler von Lord Cynster, sich zu ihr setzten.

Die drei waren ungefähr im gleichen Alter, und ihren Blicken und Gesten nach zu urteilen, unterhielten sie sich gerade über die Anwesenden, was zu ihren absoluten Lieblingsbeschäftigungen gehörte. Daniel kannte das Trio und war selbst schon Objekt ihrer gefürchteten prüfenden Blicke gewesen. Die verwitwete Herzoginmutter und Algaria standen sich da kaum nach, und Daniel mochte lieber nicht darüber nachdenken, wie viel und was sie alles sahen oder in ihre Beobachtungen hineindeuteten.

Erneut musterte er die zwölf Cynsters, die derzeit im Clan das Sagen hatten. Ihre Kinder mochten zwar bald heranwachsen und bereits ansatzweise zeigen, was für starke Persönlichkeiten sie einmal werden würden, doch im Augenblick war es noch die Elterngeneration, die ihre Welt dominierte.

Daniel hatte sie die letzten zehn Jahre über beobachtet. Jeder der Männer war praktisch mit einem goldenen Löffel im Mund geboren worden. Aber was sie daraus gemacht hatten: das Leben im Wohlstand, das sie genossen, basierte nicht allein auf den Privilegien, die ihnen in die Wiege gelegt worden waren. Jeder der sechs besaß eine besondere Stärke, eine nuancierte Mischung aus Macht, Können und Einfühlungsvermögen, die Daniel sehr schätzte, bewunderte und wonach er gleichfalls strebte.

Es hatte einige Zeit gedauert, bis er begriffen hatte, woher diese besondere Stärke rührte … Sie kam von ihren Frauen. Von ihren Ehen. Von ihrem Verhältnis zueinander und von dem Band zwischen ihnen und ihren Partnerinnen. Diese Verbindung ging unglaublich tief, ihre Frauen waren der Anker, der die Männer hielt.

Sie alle sechs.

Seitdem er das durschaut hatte, wünschte Daniel sich Ähnliches auch für sich. Und es war Claire, mit der er diese Verbindung aufbauen wollte. Das war ihm klar, seit er sie kennengelernt hatte. Jetzt stand er kurz davor, die Chance zu ergreifen und um ihre Hand anzuhalten. Dann konnte er nur noch hoffen, dass sie einwilligte und bereit war, eine Verbindung mit ihm einzugehen.

Was immer es bedurfte, ihre Zustimmung zu erlangen, er würde es tun.

Schließlich hatte ein gütiges Schicksal ihm in Gestalt von Alasdair Cynster den Weg geebnet, diesen Schritt überhaupt tun zu können, und es war an der Zeit, all seinen Mut zusammenzunehmen und zu handeln.

Hoffnung, erwartungsvolle Spannung und Angst brannten in seinem Innersten.

Er war zur Stelle, sie war zur Stelle, und er war fest entschlossen, die Sache in Angriff zu nehmen. Zumal er sich seiner Gefühle völlig sicher war und im Grunde nicht daran zweifelte, dass sie ähnlich empfand. Ob er damit richtiglag und seine Träume eine Zukunft hatten, das würde er herausfinden müssen.

Mit anderen Worten: Er musste sie fragen.

Claire war sich Daniel Crosbies Blick überdeutlich bewusst.

Es konnte ihr nicht entgehen, wie viel Beachtung er ihr in seiner ruhigen, konzentrierten Art schenkte. Sie wusste nicht recht, was sie davon halten sollte. Einerseits wünschte sie sich, er würde es nicht tun – zumindest sagte das ihr Verstand –, andererseits fühlte sie sich geschmeichelt und genoss seine Bewunderung. Über die Maßen vernünftig, wie sie nun einmal war, versuchte sie, sich einzureden, dass derlei Gedanken dumm und albern sowie unbekümmert und unbesonnen seien.

Sicher, Daniel war ein gut aussehender, sympathischer, ehrlicher und ehrenwerter Mann, der ihr mit Sicherheit keinen ungebührlichen oder gar unehrenhaften Antrag machen würde. Aber das war der Punkt.

Mit seinen dunkelbraunen vollen Haaren, die er kurz geschnitten trug, seinem schmalen Gesicht, das so gut zu seiner hochgewachsenen, schlanken Figur passte, und mit seinen freundlichen, klugen braunen Augen war er zu nett, zu höflich, zu lieb, um ihm wehzutun. Und das würde sie, indem sie die Hoffnungen, die er offenbar hegte, zunichtemachte, genau wie seine Pläne für eine gemeinsame Zukunft, über die er, wie sie fürchtete, mit ihr sprechen wollte.

Claire mochte ihn und schätzte die ruhige Freundschaft, die sich zwischen ihnen entwickelt hatte, zu sehr, um sie aufs Spiel zu setzen. Und das wäre definitiv der Fall, wenn sie Nein sagen müsste. Wenn sie gezwungen wäre, sein Angebot abzulehnen.

Für sie und ihn gab es keine Zukunft. Oder genauer gesagt, keine gemeinsame Zukunft für sie beide. Doch wie sollte sie ihn davon überzeugen?

Allein bei dem Gedanken schmerzten ihr der Kopf und das Herz.

Ihm aus dem Weg zu gehen, schien die einzige Option zu sein, was allerdings für die kommenden zehn Tage, die sie zusammen auf diesem Landsitz verbrachten, nicht möglich war. Sie würde all ihren Einfallsreichtum und ihre Schlauheit brauchen, um ihn wenigstens auf Abstand zu halten, wenn sie sich begegneten. Selbst das war nicht einfach, ahnte sie, aber was sollte sie tun?

Sie würde einen Tag nach dem anderen angehen, Schritt für Schritt. Das war bereits nach dem Tod ihres Ehemanns, der große Probleme für sie aufgeworfen hatte, ihr Motto gewesen, und da es ihr damals geholfen hatte, würde es ihr hoffentlich erneut in dieser Zeit helfen.

Sie wandte sich zu Melinda. »Alathea bat mich, vor allem ein Auge auf Mrs. Phyllidas Mädchen zu haben, auf Lydia und Amarantha, da sie die Jüngsten hier sind. Haben Sie vielleicht einen Plan, sie zu beschäftigen, wenn ich mit den Älteren losziehe, um Tannengrün zu sammeln? Oder sollen wir die beiden Gruppen zusammenlegen?«

Melinda schüttelte den Kopf. »Die Vierzehnjährigen sind eine eingeschworene Gemeinschaft. Louisa hat dort das Kommando. Ich würde es nicht für günstig erachten, dieser Gruppe andere Mädchen hinzuzufügen. Sie würde die Kleinen ganz schön herumscheuchen.«

Alle Hauslehrer und Erzieherinnen wussten, dass die einzige Tochter von Sylvester Cynster, dem Duke, der allgemein Devil genannt wurde, recht schwierig war: zu klug, zu überzeugend und zu geschickt darin, ihren Kopf durchzusetzen.

»Ich würde vorschlagen«, fuhr Melinda fort, »dass ich die drei jüngeren Mädchen, Margaret, Lydia und Amarantha, mit in die Küche nehme. Die Köchin meinte, sie wolle Minztörtchen backen, und ich bin sicher, dass die Mädchen Spaß haben werden, ihr dabei zu helfen.«

Claire nickte. »Das denke ich auch. Also gut, dann übernehme ich die vier älteren Mädchen.«

Sich mit vier vierzehnjährigen jungen Damen zu umgeben, sollte sie für den morgigen Tag ausreichend beschäftigen, sodass sie sozusagen in Sicherheit wäre. Sie musste sich lediglich informieren, welche Art von Grün üblicherweise für das Ausschmücken der großen Halle verwendet wurde, wohin sie sich genau wenden mussten, um wirklich welches zu finden, und wie viel sie in etwa benötigten. Eine Auskunft, die ihr sicherlich einer der Waldarbeiter, die auf dem Gut wohnten, geben konnte.

Lucilla Cynster, die älteste Tochter des Hauses, lauschte den Ausführungen ihres Zwillingsbruders Marcus, der neben ihr saß und ihren Cousins Sebastian, Michael und Christopher die Besonderheiten der örtlichen Jagdsaison erklärte. Ihre fünfzehn- und sechzehnjährigen Cousins Aidan, Gregory, Justin, Nicholas und Evan, die vorhatten, am morgigen Erkundungsritt teilzunehmen, beugten sich vor und hingen gebannt an seinen Lippen, während Sebastian, Michael und Christopher sich betont lässig gaben und so taten, als könnte sie so schnell nichts beeindrucken, doch Lucilla wusste es besser und betrachtete deshalb amüsiert die scheinbar ungerührten Mienen.

Zusammen mit ihr und ihrer Cousine Prudence stellten sie die Gruppe der ältesten sechs dar, und ihnen war es in erster Linie zu verdanken, dass die Eltern sich bereiterklärt hatten, die diesjährigen Weihnachtsfeierlichkeiten im Vale stattfinden zu lassen, dem schottischen Tal von Capshairn. Die Mädchen hatten den Zauber einer weißen Weihnacht in der tiefen Stille des Vales erleben wollen. Zuletzt hatten sie das als Kinder erfahren dürfen, und alle erinnerten sich nach wie vor wehmütig an jenes besondere Weihnachtsfest. Den jungen Burschen hingegen war insbesondere an der Jagd gelegen gewesen, denn in Schottland war jetzt Saison für die Rehjagd. Wobei das Wetter für ihr Vorhaben nicht gerade günstig war, weil der frühe Schneefall das Rotwild aus ihren angestammten Bergrevieren in niedrigere Regionen getrieben hatte, von denen sie nicht wussten, wo genau sie sich befanden. Deshalb war beschlossen worden, erst einmal einen Erkundungsritt zu unternehmen und die Lage zu sondieren, bevor nach dem Stephanstag dann die richtige Jagd stattfand.

Als Marcus eine Pause machte, um eine Frage von Aidan zu beantworten, beugte sich Prudence, die älteste Tochter von Harry Cynster, alias Demon, und beste Freundin von Lucilla, vor.

»Ich reite mit – bist du ebenfalls dabei?«

Dass Prudence mitreiten würde, war alles andere als eine Überraschung. Sie liebte Pferde, hatte sie schon immer geliebt. Ein Erbe ihrer Eltern, die geradezu leidenschaftlich von diesen Tieren besessen waren.

Lucilla dachte über den Ausritt nach.

Sollte sie sich anschließen? Nachdenklich sah sie zu Louisa hinüber, ihrer schwarzhaarigen, grünäugigen Cousine, die morgen bestimmt den ganzen Tag nicht von ihrer Seite weichen würde, wenn sie zu Hause blieb. Keine verlockende Aussicht, fand sie. Nicht weil sie nicht miteinander auskommen oder sich nicht verstehen würden – nein, das war es nicht. Eher war es die Tatsache, dass Louisa genau wie sie selbst eine dominante Persönlichkeit war und Lucilla, die dank ihrer Geburt eines Tages die einflussreiche Rolle der Lady of the Vale einnehmen würde, dunkel spürte, dass in ihr eine Frau heranwuchs, die dereinst über sehr viel Macht verfügen würde.

Vielleicht deshalb verspürte sie immer den unbändigen Drang, Louisa zu lenken oder ihr die Richtung zu weisen, die sie dank ihrer Ahnungen kannte, obwohl sie wusste, dass sie das nicht tun sollte. Die Cousine war stark genug, um alleine und ohne Einflüsterungen ihren Weg zu gehen und ihre eigenen Erfahrungen zu machen, die ihr später helfen würden, ihren Platz im Leben zu finden. Das indes irgendjemandem erklären zu wollen, der nicht wie sie eine innere Bindung zur Lady hatte, war unmöglich.

Wie sie es stets bei einer Entscheidung tat, zog Lucilla auch jetzt die Lady zurate, ihren inneren Kompass, und horchte in sich hinein. Ihre Augen weiteten sich vor Überraschung. Ja, sie sollte sogar unbedingt mit Prudence und ihren Cousins ausreiten.

Warum, das würde sich erst zeigen müssen. Wie immer bei den Anweisungen der Lady.

Auf dem Podest am Ende der langen Tafeln und ganz nahe am wärmenden Kamin musterte Helena, die verwitwete Duchess of St. Ives, die Anwesenden mit mildem Blick. Sie lächelte in sich hinein, als sie ihre Enkel, ihre Großnichten und Großneffen betrachtete.

»Sie werden langsam groß«, stellte sie fest, und in ihrem Tonfall schwang Zufriedenheit mit.

Neben ihr zupfte Algaria das Tuch, das sie sich um die Schultern gelegt hatte, zurecht.

»Groß, sicherlich. Älter, zweifellos. Aber klüger? Ich glaube, das Urteil darüber behalte ich mir lieber noch vor.«

Der Dritte in der Seniorenrunde, der alte McArdle, lachte leise.

»Sie sind wie junge Menschen überall, sie müssen und werden lernen.«

Algaria schwieg eine Weile, ehe sie murmelte: »Sie haben recht. Es wird für jeden von ihnen Hürden und Herausforderungen geben, wie diese allerdings aussehen werden, das können wir nur erahnen.«

Helena wollte sich von Algarias mysteriösen Andeutungen die gute Laune nicht verderben lassen und wendete die Sache ins Positive.

»In Wahrheit ist das, was mich im Moment am meisten amüsiert, sie zu beobachten, wie sie stolpern, wie sie fallen und danach wieder aufstehen. Und zu sehen, wie sich ihr Leben entwickelt.«

Als Algaria und McArdle daraufhin zustimmend die Köpfe neigten, verstärkte sich das Lächeln der Herzoginwitwe. Sie war sichtlich erfreut, dass sie, zumindest was die philosophische Seite betraf, das letzte Wort gehabt hatte.

Prudence bettete ihren blond gelockten Kopf auf das Kissen, das sie ans Fußende von Lucillas breitem Bett gelegt hatte. Sie und die Cousine teilten es sich, während die drei jüngeren Mädchen, Prudences Schwester Margaret und ihre Cousinen Lydia und Amarantha, sich mit einfachen Pritschen begnügen mussten, die in der Nähe des Kamins aufgestellt worden waren.

»Ich freue mich auf morgen«, erklärte Prudence schwärmerisch. »Erst der Ausritt, der fast den ganzen Tag dauert, dann anschließend die Julfeier mit einer Unmenge von Essen und Getränken und viel Spaß.« Prudence machte es sich gemütlich und fuhr fort: »Ich kann mich nicht genau erinnern … Feiert ihr eigentlich hier oben den Stephanstag? Mit Geschenken und allem?«

»Das tun wir.« Lucilla lag bereits unter der Bettdecke und blickte nach unten ans Fußende zu Prudence. »Hier ist es sogar ein sehr wichtiger Festtag, also sei gewarnt: Mama wird uns ganz sicher entweder morgen Abend oder am Weihnachtsmorgen um Hilfe bitten, um die Päckchen zu packen. Genau wie es Onkel Sylvester und Tante Honoria auf Somersham machen: Das gesamte Hauspersonal sowie alle Arbeiter, Stallburschen, Schäfer und Handwerker, die auf dem Anwesen wohnen, bekommen, einschließlich ihrer Familien, in der großen Halle Geschenke überreicht. Es ist wie Weihnachten praktisch ein Dorffest.«

Prudence nickte. »Aha, dann findet die Jagd also nach dem Verteilen der Päckchen statt. Und wie geht es nach dem Stephanstag weiter?«

»Anschließend bleiben uns drei Tage, um uns zu erholen, und dann ist schon Silvester, das Ende des alten und der Beginn des neuen Jahres.«

Prudence schwieg ein paar Minuten lang, bevor sie zu Lucilla hinaufblinzelte.

»Ich freue mich vor allem auf das nächste Jahr, weil es noch nicht das Jahr unseres gesellschaftlichen Debüts ist.«

Die Cousine nickte. »In gewisser Weise ist das kommende Jahr das Ende unserer Kinder- beziehungsweise Mädchenzeit.«

»Also müssen wir dafür sorgen, dass es wirklich ein besonderes Jahr wird«, entgegnete Prudence, die sich sichtlich für das Thema erwärmte. »Wir sollten zum Beispiel sicherstellen, dass wir all das machen, was wir immer mal machen wollten, und dass wir nichts auslassen, was wir als Mädchen tun können, was sich hingegen für junge Damen nicht mehr schickt.«

Lucilla lachte leise. »Genau! Etwa wie der Blitz durch den Park reiten. Ist es nicht absurd, dass ich all das nächstes Jahr einfach machen kann, wenn wir gerade in London sind – und zwar, wenn ich mag, jeden Morgen –, und dass das gleiche Verhalten im Jahr darauf als unpassend und unziemlich betrachtet wird?«

Prudence seufzte: »Du hast ja so recht.«

»Die Gesellschaft liebt nun mal ihre Regeln, egal wie dumm sie sein mögen«, erwiderte Lucilla und machte eine kurze Pause. »Wenn ich so darüber nachdenke, wird das nächste Jahr das perfekte Jahr, um allerlei gewagte und riskante Dinge zu unternehmen. Und warum ist das so? Weil der Großteil der Gesellschaft nämlich seit der Thronbesteigung Victorias im letzten Sommer an nichts anderes denkt als an die vielen Feste und Feierlichkeiten, die im nächsten Juni nach Ablauf des Trauerjahrs anlässlich ihrer Krönung stattfinden werden, sodass niemand auf ein paar übermütige Mädchen achten wird.«

»Du hast recht«, stimmte Prudence euphorisch zu. »Ich muss sagen, dass ich die Mädchen ehrlich bedaure, die im nächsten Jahr ihr Debüt geben. Neulich habe ich Mama sagen hören, dass es durch all die Veranstaltungen, die im Rahmen der Krönung geplant sind, vollkommen chaotisch zugehen wird. Da würde einer normalen Debütantin wie uns sowieso keinerlei Aufmerksamkeit geschenkt, bestenfalls den hochwohlgeborenen Mädchen aus dem Umfeld der Königsfamilie.«

»Hm.« Obwohl sie es nie offen zugegeben hatte, freute sich Lucilla sowieso nicht auf das übernächste Jahr, wenn sie zusammen mit Prudence und mit Antonia Rawlings ihren feierlichen Knicks vor der Gesellschaft machen musste. Es würde grauenvoll langweilig werden – und völlig zwecklos dazu. Ein Punkt, von dem sie annahm, dass ihre Mutter ihn verstehen würde, ihr Vater jedoch leider nicht.

Wenngleich er für gewöhnlich in vielerlei Hinsicht die Urteile ihrer Mutter akzeptierte, weil sie aus ihrer inneren Verbindung zur Lady resultierten, hatte alles seine Grenzen. Er würde es sich nicht ausreden lassen, dass Lucilla nach London ging, um sich dort zu präsentieren und durch die Ballsäle und Parks zu wandeln, mochte es auch alles vergebens sein.

Ihre Zukunft lag nämlich hier im Vale, genau wie einst die ihrer Mutter.

Lucilla wusste zwar nicht, wer, wie oder wann, aber sie wusste, wo er sie finden würde.

Hier in den Gefilden, in denen die Lady herrschte.

Prudence drehte sich auf die Seite und kuschelte sich tiefer unter die Decke.

»Es ist ein Jammer, dass Antonia und ihre Familie nicht kommen konnten.«

»Tante Francesca hat uns geschrieben. Mama sagte, dass sie eigentlich hatten kommen wollen. Leider geht es offensichtlich Antonias Großmutter derzeit nicht besonders gut, weshalb sie sie in dieser Zeit nicht allein lassen wollten.«

»Weihnachten ist eben das Fest der Familie. Vielleicht können sie ja vorbeikommen und uns besuchen, wenn ihr im nächsten Jahr mal wieder in den Süden kommt«, meinte sie gähnend.

»Vielleicht«, murmelte Lucilla schläfrig. »Dann eine gute Nacht.«

Sie hörte das Lächeln in Prudences Stimme, als sie entgegnete: »Süße Träume.«

Kapitel 2

Zusammen mit den anderen Hauslehrern sowie mit Melinda und Claire führte Daniel am nächsten Morgen sämtliche Cynster-Kinder bis auf jene, die an dem geplanten Ausritt in die Umgebung teilnehmen würden, die Treppe hinunter in die große Halle.

Sie wussten, dass die Aussicht auf etwas Essbares das beste Mittel war, um ihre Schützlinge aus den Betten zu locken und sie dazu zu bewegen, sich anzuziehen und sich einigermaßen zivilisiert zu benehmen.

Als er den quirligen Haufen an die Tische geleitete, war Daniel recht überrascht, dort die drei ältesten Gäste, die verwitwete Duchess, Algaria und McArdle, vorzufinden, die sich gerade an den frisch gebackenen, noch warmen Brötchen und dem goldenen Honig aus den Bienenstöcken des Tales gütlich taten.

Als McArdle Daniels Überraschung bemerkte, überzog ein schiefes Grinsen sein Gesicht.

»In unserem Alter, mein lieber Junge, brauchen wir nicht mehr so viel Schlaf.«

»Und außerdem«, fügte die Herzoginmutter hinzu und fixierte Daniel mit ihren blassgrünen Augen, »genießen wir die kleinen Freuden, die uns das Leben bietet, in vollen Zügen.«

Sagte es und biss wie zur Demonstration in ein duftendes Gebäckstück.

Daniel fühlte sich unter ihren eindringlichen Blicken wie immer etwas unbehaglich. Höflich lächelnd neigte er knapp den Kopf und wandte sich sogleich wieder seinen Schützlingen zu.

Die Mädchen, die einen eigenen Flügel des Herrenhauses zugewiesen bekommen hatten, waren etwas später als die Jungen heruntergekommen und bereits in Altersgruppen unterteilt, da die älteren Mädchen nach dem Frühstück zum Sammeln von Tannengrün in den Wald ziehen sollten, während die jüngeren unter der Aufsicht von Melinda in die Küche gehen würden, um mit dem Backen von Minztörtchen beschäftigt zu werden. Gemeinsam mit Raven und Morris ging Daniel an den Sitzbänken entlang und überprüfte, ob die unterschiedlichen Altersgruppen wirklich zusammensaßen und sich nicht vermischt hatten.

Ein Schwarm von dienstbaren Geistern drängte jetzt in die Halle, um Schüsseln mit Porridge, Gestelle mit Toastbrotscheiben, Körbe mit Gebäck sowie Schälchen mit Marmelade, Töpfchen mit Honig und Krüge mit Milch in die Mitte der Tische zu stellen. Insbesondere die halbwüchsigen Jungen stürzten sich hungrig auf das Essen, als hätten sie seit Tagen nichts bekommen.

Endlich konnten sich auch die Betreuer setzen.

Claire erschien als Letzte am Tisch, und Daniel streckte ihr mit einem warmen Lächeln die Hand entgegen, um ihr beim Übersteigen der Sitzbank zu helfen.

Sie zögerte, den Blick auf seine Hand gerichtet. An ihrer Miene, die nicht anders war als sonst, vermochte er nicht abzulesen, was ihr durch den Kopf ging. Er wollte gerade seine Hand zurückziehen, als sie ein winziges Seufzen ausstieß und ihre Finger schließlich in seine dargebotene Rechte legte.

Er umschloss sie, und in diesem Moment spürte er, wie sich etwas in ihm veränderte.

Ein seltsames Gefühl, das er nicht zu definieren wusste, überkam ihn. Vielleicht lag es ja daran, dass er endgültig beschlossen hatte, um sie zu werben, was dieser kleinen Berührung eine gewisse Spannung verlieh, eine tiefere Bedeutung.

Er verbarg diese Empfindung, während sie ihre dunkelblauen Röcke leicht anhob und möglichst schicklich über die Bank stieg, bevor sie ihre Finger aus seiner Hand löste und ein verlegenes »Danke« murmelte. Dann strich sie ihre Röcke glatt und setzte sich neben ihn, um sogleich ihre volle Aufmerksamkeit auf die Mädchen auf ihrer anderen Seite zu richten und dafür zu sorgen, dass alle das bekamen, was sie essen wollten.

Ihr gegenüber hatte Melinda Platz genommen, die Erzieherin des Hauses, mit der sie jetzt eine künstlich herbeigeführte Unterhaltung begann, die lediglich dazu diente, ihre widerspenstigen, aufmüpfigen Sinne zur Ordnung zu rufen.

Verwirrt und schwindelig beschrieb nicht einmal ansatzweise den Strudel, in dem sich ihre Gefühle befanden. Und das alles aus dem einzigen Grund, weil sie Daniels Hand genommen hatte und seine langen Finger die ihren warm und stark umschlossen hatten. Dabei hatte er ihr bloß helfen wollen, über die Bank zu steigen, oder etwa nicht? Ihr Verstand sagte ihr jedenfalls, dass es keinen Grund für die alberne pulsierende Wärme in ihrem Innersten gab.

Und genauso wenig für diese Empfindsamkeit, diese zarten Gefühle, die sie mit einem Mal quasi aus dem Nichts ergriffen hatten und die ihr jetzt aufgrund seiner Nähe viel zu bewusst waren. Und das, obwohl er sich absolut korrekt verhielt und einige Zentimeter Abstand wahrte. Dennoch empfand sie seine Gegenwart als höchst verwirrend und hoffte inständig, dass dieser Aufruhr bald vergehen würde.

Mit siebenundzwanzig und dazu als Witwe hatten ihre Sinne und Gefühle schließlich kein Recht darauf, sich aufzuführen, als wäre sie ein unreifes kleines Ding, das gerade noch die Schulbank gedrückt hatte.

Zu ihrer großen Erleichterung bestritten die anderen die Unterhaltung, sodass ihre Schweigsamkeit wenigstens nicht groß auffiel.

»Die Tradition des Weihnachtsklotzes sieht in jeder Region ein wenig anders aus«, erklärte Raven soeben. »In dieser Gegend hier ist es üblich, am Heiligen Abend das Holz aus dem Wald zu holen, es zu Klötzen zu schneiden, die nicht ganz korrekt mancherorts als Scheite ­bezeichnet werden, Julscheite, die dann, wie ich bereits gestern erwähnt habe, mit fantasievollen Schnitzereien verziert werden, denn jeder stellt sich Cailleach anders vor. Im Herrenhaus ist es üblich, sie in sechs Kaminen zu verbrennen, zwei für jeden, das hält dann erstaunlicherweise über Neujahr. Womit sie behandelt werden, weiß ich nicht, das scheint ein gut gehütetes ­Geheimnis zu sein.« Raven machte eine Pause und sah seine Kollegen an. »Zwei der Waldarbeiter werden bereitstehen, um das Holz, das wir im Wald sammeln, in die richtige Form zu bringen. Am besten eignen sich abgestorbene Stämme, die nicht allzu dick und trotzdem dick genug sind, um nicht zu schnell zu verbrennen. Und der Zimmermann hat seine beiden Lehrlinge zur Verfügung gestellt, die den Jungen beim Schnitzen helfen. ­Zumindest denen, die es dieses Jahr zum ersten Mal ­machen.«

»Hört sich an, als würden wir Verbandszeug brauchen«, warf Morris spöttisch ein. »Ich werde alles Nötige zusammenpacken und mich als Sanitäter zur Verfügung stellen.«

Raven lachte leise, beugte sich vor und wandte sich an die älteren Jungen.

»Wer von euch wird eigentlich an dem Ausritt der Großen teilnehmen?«

Der sechzehnjährige Aidan, ältester Sohn von Alasdair Cynster und ehemaliger Schützling Daniels, meldete sich zu Wort.

»Wir werden alle mit von der Partie sein – ich, Evan, Gregory, Justin und Nicholas.«

Morris blickte Gregory, einen Sohn von Spencer Cynster, dessen Hauslehrer er war, eindringlich an.

»Vergiss nicht: Halte dich an die Großen und verliere sie nicht. Das ist die Bedingung, unter der ich dir erlaube, an dem Ausritt teilzunehmen.«

Der Junge nickte, während die anderen über die besorgten Ermahnungen grinsten. Alle befanden sie sich noch im Stadium zwischen Kind und jungem Mann, waren jedoch im Großen und Ganzen recht zuverlässig. Vor allem konnten sie ausnahmslos gut reiten, und da die Großen überdies ein Auge auf sie haben würden, hatte keiner der Hauslehrer ernste Bedenken.

»Gut. Damit wäre für die Gruppe der Lausbuben gesorgt«, mischte sich Melinda ein, die gewissermaßen die Oberaufsicht führte. »Was unsere Damen betrifft«, sie fasste Louisa, Annabelle, Juliet und Therese ins Auge, »seid ihr vier bereit, euch um das Grün für die Dekoration der Halle zu kümmern?«

»Was müssen wir tun?«, erkundigte sich Louisa, die Wortführerin.

»Auf Carsphairn Manor ist es üblich, das Haus mit Stechpalme und Tanne zu schmücken. Ihr müsst also beides sammeln. Ihr nehmt einen Schlitten mit, um die Zweige abzutransportieren. Wir werden eine Riesenmenge brauchen, und das könnt ihr nicht tragen. Die Waldarbeiter werden auch das nötige Werkzeug heraussuchen, Gartenscheren und dergleichen. Und der Gärtner, der sonst zumeist das Dekorieren übernommen hat, empfiehlt, Äste zu nehmen, die nicht dicker als einen guten Zentimeter oder dünner sind. Ihr solltet also nach langen Ästen mit üppigem Grün suchen. Was die Stechpalme betrifft, wären welche mit Beeren zwischen den Blättern natürlich schön.«

»Wo finden wir die Zweige?«, wollte Louisa wissen.

»Ich weiß das«, meldete sich Annabelle, die jüngste Tochter des Hauses und eine der Vierzehnjährigen zu Wort. »Es ist nicht weit von hier, bloß über die Brücke am Bach und in den Wald, der dahinter liegt.«

»Also werden wir die Wälder unsicher machen?«, erkundigte sich Therese grinsend. »Dann können wir ja gleich unsere neuen Winterstiefel ausprobieren.«

Louisa nickte zwar, war aber mit ihren Gedanken ganz woanders und ließ den Blick über die kahlen Wände der Halle schweifen. »Es ist sicherlich gut, den Raum ein bisschen festlicher zu gestalten.«

»Sehr schön«, erwiderte Melinda. »Also übertragen wir euch vier Mädchen diese Aufgabe.«

»Wir verlassen uns darauf, dass ihr diesen Raum für morgen wunderschön weihnachtlich herrichtet. Und passt im Wald gut auf, dass ihr euch nicht verletzt, und kommt her, wenn ich euch rufe«, ermahnte Claire sie, die die Gruppe begleiten würde. »Oje, hoffentlich gibt es keinen Sturm«, fügte sie ängstlich hinzu.

Melinda lachte. »Erstens müssen sie nicht tief in den Wald hineingehen, und zweitens sieht es absolut nicht so aus, als würde es einen Wetterumschwung geben. Und selbst wenn, wären sie immer noch schnell zurück.«

Claire nickte. »Gut. Ich muss zugeben, dass mir, da ich aus dem Süden komme, die heftigen Stürme hier oben im Norden unheimlich sind.«

»Leben Sie mal ein Jahr hier oben«, versetzte Melinda, »dann werden Sie nie mehr vergessen, auf Mutter Natur zu achten und ihre Warnzeichen richtig zu deuten.« Sie wandte sich um und betrachtete die drei jüngsten Mädchen. »Und damit kommen wir zu euch. Ich habe mit der Köchin gesprochen, sie hat heute vor, Sonnenkekse und Minztörtchen zu backen.«

»Was sind Sonnenkekse?«, wollte die zehnjährige Margaret wissen, die kleine Schwester von Prudence.

»Das ist die moderne Version der traditionellen Sonnenkuchen«, erklärte Melinda. »Diese Kuchen hatten früher die Form eines Ringes, rund mit einem Loch in der Mitte, und auf die Kuchen wurden Linien gemalt, die die Strahlen der Sonne versinnbildlichen. Man aß sie in der dunklen Jahreszeit, um die Sonne zurück in das Leben der Menschen zu holen.«

»Heutzutage gibt es solche Kekse als Sandgebäck«, meldete sich Annabelle zu Wort. »Sie sind rund wie ein Teller mit einem Kreis in der Mitte, der die Sonne darstellt, und die Strahlen der Sonne verlaufen von diesem Kreis aus nach außen.«

»Genau.« Melinda sah zu den drei Jüngsten hin. »Habt ihr Lust, Sonnenkekse zu backen? Die Köchin meinte, ihr könntet ihr vielleicht ebenfalls bei den Minztörtchen helfen.«

»Ja!«, riefen die Mädchen wie aus einem Mund und klatschten begeistert in die Hände.

»Also gut«, beendete Oswald Raven die Besprechung. »Dann wäre so weit alles geklärt. Ich werde es übernehmen, die Weihnachtsklotzexpedition zu begleiten.«

»Und ich werde dabei helfen«, warf Morris ein. »Mit genügend Verbandszeug.«

»Und ich muss die Arbeiten in der Küche beaufsichtigen«, sagte Melinda, »sonst dreht die Köchin am Ende durch. Sie weiß vor lauter Arbeit ohnehin nicht mehr, wo ihr der Kopf steht angesichts all der Vorbereitungen für die kommenden Tage.«

»In Ordnung«, meldete sich Claire zu Wort, »dass ich mich um die Zweigesammlerinnen kümmere, stand ja ohnehin fest. Wir werden den Weg schon finden, außerdem kennt Annabelle sich hier ja bestens aus.«

Raven, Morris und Melinda sahen erwartungsvoll Daniel an, der noch nicht eingeteilt war.

Doch bevor einer von ihnen einen Vorschlag machen konnte, richtete Louisa ihre großen grünen Augen fragend auf Claire.

»Sollte nicht einer der Herren mit uns kommen? Jemand der größer ist als wir und an Zweige heranreicht, die für uns zu hoch hängen. Und er könnte für uns den Schlitten auf dem Heimweg ziehen, dann ist er bestimmt ganz schön schwer.«

Eine perfekte Gelegenheit für Daniel.

»Ihr anderen werdet mich nicht brauchen, ihr seid immerhin bereits zu zweit für die Betreuung der Jungen. Deshalb sollte ich die Mädchen beim Schneiden und Sammeln der Zweige unterstützen.«

»Eine sehr gute Idee.« Melinda nickte zustimmend.

»Sehe ich genauso«, meinte Morris. »Wir zwei dürften Manns genug sein, um sechs Jungen zu beaufsichtigen, selbst wenn es Cynsters sind«, schloss er mit Blick auf die jüngere Gruppe der Buben, die seine Worte mit einem schiefen Grinsen quittierten.

Daniel lächelte Claire an. »Sie übernehmen die Führung, ich bilde die Nachhut.«

Resigniert fragte sich Claire in diesem Augenblick, was aus ihrem großartigen Plan, ihm aus dem Weg zu gehen, geworden war. Sie unterdrückte ein Seufzen, bemühte sich darum, sich ihre wachsende Aufregung nicht anmerken zu lassen, und erhob sich.

»Kommt mit, Mädchen. Wir holen unsere Stiefel und Mäntel. Und vergesst eure Hüte und Handschuhe nicht. Dann sollten wir sehen, dass wir loskommen. Schließlich müssen wir die Äste und Zweige nicht nur besorgen, sondern sie zudem noch vor dem Abendessen an die Wände bringen.«

Sie folgte den vieren, die sogleich losstürmten, umgehend und vermied es dadurch, erneut Daniels Hand ergreifen zu müssen. Wenn sie die nächsten neun Tage schadlos überstehen wollte, musste sie alles tun, was in ihrer Macht stand, um jeglichen körperlichen Kontakt zu ihm zu unterbinden.

Richard, der Hausherr, hatte angeordnet, dass drei gemütliche Sessel vor den Kamin auf dem Podest geschafft worden waren. Dorthin hatten sich Helena, Algaria und McArdle dankbar zurückgezogen und beobachteten, in die Wärme des prasselnden Feuers gehüllt, den Aufbruch der Kinder, die in vier Gruppen unter den strengen Blicken der Hauslehrer oder Erzieherinnen die Halle verließen.

Alarmiert durch die Bemerkung ihrer Enkelin, die sich für das Sammeln der Zweige zusätzlich einen männlichen Begleiter erbeten hatte, beobachtete die verwitwete Duchess Daniel Crosbie, wie er die Mädchen nach draußen geleitete. Dabei entging ihrem scharfen Blick nicht, wie wohlgefällig seine Augen auf der Erzieherin ruhten, die die kleine Gruppe anführte.

Helena verzog die Lippen zu einem Lächeln. »Louisa ist sehr schnell, oder?«

Algaria schnaubte. »Ich bin versucht zu sagen, dass sie für ihr Alter viel zu viel sieht und versteht, aber ich vermute, dass sie das von Ihnen hat.«

»Von mir über meinen Sohn zu ihr«, erwiderte die alte Dame voller Stolz. »Es ist an den Augen zu erkennen.«

Sie, der Duke, Sebastian und Louisa besaßen die gleichen großen blassgrünen Augen.

»Wie auch immer. Meiner Meinung nach hat Louisa recht, dass hier gerade eine Romanze aufblüht. Umso besser … Dann werden die Tage zumindest ein wenig interessanter und aufregender.«

McArdle, der wie immer Schwierigkeiten hatte, den für ihn komplizierten Andeutungen zu folgen, runzelte verwirrt die Stirn.

»Romanze?« Er sah zu den Jungen, die gerade die Halle verließen. »Was für eine Romanze?«

Die beiden Frauen wechselten einen ihrer belustigten Blicke.

»Schon gut«, winkte Helena ab. »Wir machen es uns hier einfach gemütlich und verfolgen, wie die Dinge sich entwickeln. Und wir werden sehen, was immer es zu sehen gibt, und alles, was wir sehen, wird richtig und gut sein.«

Erneut so eine verklausulierte, verworrene Anspielung, die der alte Butler nicht verstand. Schnaubend warf er Helena einen tadelnden Blick zu, doch die Herzoginwitwe lachte bloß.

Während ihre vier Schützlinge die Treppe hinaufstiegen, um sich winterfest anzuziehen, ging Claire über den langen Korridor zum Seitenausgang.

Wie nicht anders zu erwarten folgte Daniel ihr auf dem Fuß. Als sie an der schweren Holztür ankam, hatte er sie erreicht, griff um sie herum und löste den Riegel, um ihr die Tür aufzumachen.

Erschrocken ließ sie ihre Hand sinken, unterdrückte einen Protestlaut und neigte den Kopf.

»Danke«, sagte sie, bevor sie auf den Treppenabsatz hinaustrat. »Ich wollte schnell schauen, wie das Wetter ist«, fügte sie überflüssigerweise hinzu.

Sein Blick umfasste sie. »Es ist nie verkehrt, hier oben das Wetter nicht zu vergessen. Ich glaube, dass wir aus dem Süden uns ganz leicht angewöhnen, gar nicht mehr mit irgendwelchen Kapriolen zu rechnen.«

Sie nickte zustimmend und sah versonnen hinaus in eine Welt aus funkelndem Weiß, die wie eine Märchenlandschaft wirkte. Gleichzeitig zwang sie ihren Verstand dazu, sich nicht auf ihre Gefühle zu konzentrieren, sondern auf ihre Verpflichtungen.

Schnee bedeckte den Boden, der durch die niedrigen Temperaturen der Nacht überfroren war, sodass Millionen von Eiskristallen auf ihm glitzerten. Allerdings war die Schneedecke nicht besonders dick und würde schnell wegtauen, sobald es wieder wärmer wurde. Die Wege zwischen Herrenhaus und den Wirtschaftsgebäuden, Werkstätten, Remisen und Ställen waren bereits von dienstbaren Geistern geräumt worden.

»Auf den Bäumen und Büschen im Wald dürfte kaum Schnee liegen, sodass die Mädchen sich nicht allzu schwertun dürften«, meinte Daniel, der ebenfalls einen prüfenden Blick nach draußen geworfen hatte.

Die Luft war so klar und rein, dass sie sich fast kristallen anfühlte. Claire atmete noch einmal tief ein und wandte sich ab, um ins Haus zurückzukehren. Sie hatte genug gesehen.

Überdies sollte sie der Versuchung widerstehen, sich weiter von Daniels Nähe wärmen zu lassen und sich gemeinsam mit ihm in die einsame Schönheit der Winterlandschaft zu versenken. Sie drehte sich um, wartete, bis er einen Schritt zurücktrat, und kehrte in den Flur zurück. Natürlich waren die Mädchen noch nicht wieder nach unten gekommen.

»Sie werden sich in ihrem Zimmer verschwatzt haben«, sagte sie zu Daniel, während sie gemeinsam mit ihm langsam nach oben stieg.

Oben blieb er eine Stufe vor dem Treppenabsatz stehen, befand sich also unterhalb von ihr, sodass sie ihm direkt in die Augen sehen konnte. Sie waren braun mit einem Hauch von Toffee …

Sie wies auf eine Tür im Flur. »Da sind die Mädchen, sie werden so lange trödeln, bis wir sie holen.«

Daniel nickte und ging in die entgegengesetzte Richtung davon. Das ganze Haus war ein einziges Labyrinth aus Korridoren, Türmchen und Treppen sowie unglaublich vielen Schlafzimmern.

»Ich werde meinen Mantel holen«, rief er über die Schulter zurück. »Vergessen Sie nicht Ihren Schal und die Handschuhe.«

Die beiden Hauslehrer, mit denen er sich das Zimmer teilte, das sonst allein Raven gehörte, waren schon aufgebrochen. Während er seinen schweren braunen Mantel anzog und einen hellen gestrickten Schal ein paarmal um seinen Hals schlang, dachte Daniel nach. War die Tatsache, dass ausgerechnet er derjenige unter den drei Hauslehrern war, der Claire begleiten durfte, nichts als ein glücklicher Zufall, oder hatte jemand dem Schicksal auf die Sprünge geholfen?

Er hatte mit keinem der Kollegen über seine geheimen Hoffnungen und Wünsche gesprochen und ihnen erst recht nicht seine Träume offenbart, allerdings waren die beiden scharfsichtig und kannten ihn inzwischen gut genug, um ihn zu durchschauen. Ein Gedanke, bei dem ihm nicht ganz wohl war. Wobei er sich nicht wirklich vorzustellen vermochte, dass sie es gewesen waren, die ihm die Begleitung der Mädchengruppe zugeschustert hatten.

Wie auch?

Er schnappte sich schnell noch seine Handschuhe und verließ das Zimmer, um am Treppenabsatz auf Claire zu warten.

Ihm verschlug es die Sprache, so wunderschön sah sie aus, als sie mit forschem Schritt auf ihn zukam. Sie trug einen kirschroten, mit Fell gefütterten Umhang und dazu einen dicken gestrickten Schal, der seinem nicht unähnlich war und vorerst noch locker um ihren Hals baumelte. Im Gehen zog sie sich ihre Leder­hand­schuhe an.

»Nach wie vor keine Spur von den Mädchen?«, erkundigte sie sich bei ihm.

Als hätten ihre Worte sie heraufbeschworen, ging die Tür auf, und die vier Mädchen tauchten, bunt wie ein Regenbogen, im Flur auf. Louisas Mantel war dunkelgrün, Thereses schokoladenbraun, Annabelles blassblau, und der von Juliet war in einem weichen Mauveton gehalten. Claire hob die Hand, als die vier sogleich die Treppe hinuntereilen wollten.

»Zuerst will ich euch mal anschauen.«

Annabelle und Therese verdrehten die Augen und stöhnten demonstrativ gequält auf, trotzdem stellten sich alle vier am Ende bereitwillig in einer Reihe auf und ließen sich von Claire begutachten. Sie überprüfte alle; die richtigen Schuhe und die richtigen Strümpfe, den Mantel, die Kopfbedeckung, den Schal und die Handschuhe.

Daniel wusste, dass es eine Notwendigkeit war, denn falls irgendetwas passierte, weil eines der Mädchen nicht dem Wetter entsprechend angezogen war, würde Claire von den Eltern zur Rechenschaft gezogen werden.

»Sehr schön.« Claire gab den Mädchen ein Zeichen, dass sie losgehen konnten, und drehte sich zu Daniel um. »Wenn Sie vorausgehen würden, Mr. Crosbie?«

Daniel konnte sich ein Grinsen über diese förmliche Anrede nicht verkneifen und eilte die Treppe hinunter zum Seiteneingang. Dass Claire ihn auf Abstand halten wollte, war ihm nicht entgangen, doch er nahm an, dass es mit Rücksicht auf die Mädchen geschah und nicht Ausdruck einer Zurückweisung war. Zumindest hoffte er das. Den Gedanken, dass sie nicht gleichermaßen an einer gemeinsamen Zukunft interessiert sein könnte wie er, verdrängte Daniel oder ließ ihn erst gar nicht aufkommen, selbst wenn gelegentlich winzige Zweifel in seinem Kopf wie Blitze aufzuckten.

Eine innere Verbindung zwischen ihnen bestand definitiv: Da war das richtige Maß an Sensibilität, das Verständnis für den anderen, die nicht zu leugnende Tatsache, dass sie harmonierten. Er spürte das sehr genau. Und da sie bereits einmal verheiratet gewesen und kein argloses junges Mädchen mehr war, musste sie es eigentlich ebenfalls erkannt haben.

Er trat hinaus auf den Kiesweg, der trotz Räumens mit einer dünnen Schneeschicht bedeckt war, und sah sich um. Wie versprochen, hatte das Personal mittlerweile einen Schlitten bereitgestellt, mit dem sie die Zweige und Äste transportieren konnten. Vorhin, als er und Claire einige Zeit hiergestanden und in die verschneite Landschaft geschaut hatten, war er noch nicht da gewesen.

Es war ein stabiler Schlitten, wie ihn die Waldarbeiter benutzten, wenn sie Bäume fällten oder Brennholz holten. Zwischen den hinteren Haltegriffen hing eine Tasche aus grobem Leinen, in der man Werkzeug und dergleichen aufbewahren konnte.

Kichernd kamen die Mädchen angerannt. Sie freuten sich sichtlich auf den bevorstehenden Ausflug, stießen Begeisterungsrufe aus über den frischen Schnee, den knirschenden Frost unter ihren Sohlen und die kleinen weißen Wölkchen, die ihr Atem in der klirrend kalten Luft hinterließ.

Unterdessen überprüfte Daniel den Inhalt der Tasche am Schlitten. Wie nicht anders erwartet, fand sich dort alles, was sie fürs Schneiden der Zweige brauchen würden. Handsägen, die leicht genug waren, damit selbst die Mädchen sie benutzen konnten, Gartenscheren sowie ein kleines Beil, um stärkere Äste vom Baum zu trennen. Eine Aufgabe, die sicherlich ihm zufallen würde, denn das war nichts für ungeübte Mädchenhände.

Er sah auf, als Claire neben ihn trat, um gleichfalls den Schlitten und den Inhalt der Leinentasche in Augenschein zu nehmen.

»Werden Sie das alleine schaffen?«

Leicht hochmütig zog er die Augenbrauen hoch, stellte sich hinter die Haltegriffe, löste die Bremse und schob, woraufhin der Schlitten sich mühelos in Bewegung setzte und sogar auf dem geräumten Kiesweg ganz leicht auf seinen Kufen dahinglitt. Daniel hielt ihn an und warf Claire einen jungenhaft frechen Blick zu.

»Voran, Macduff«, rief er in Anlehnung an den großen Shakespeare. »Ich werde folgen.«

Ihre Mundwinkel zuckten verdächtig, und sie versuchte, sich zusammenzureißen, aber es gelang ihr nicht, ihr Lächeln zu verstecken.

»Also gut, Mädchen. Alle zu mir her.« Sie winkte sie heran und bedeutete ihnen, aus den Schneehaufen zu steigen, die sich nach dem Räumen des Weges an den Seiten aufgetürmt hatten. »Auf in den Wald. Wir haben höchstens zwei Stunden, um genügend Grün für die große Halle zu sammeln. Dann müssen wir zurück sein und mit dem Schmücken anfangen, denn das wird eine Menge Zeit in Anspruch nehmen.«

Die Mädchen rannten los. Annabelle führte die Gruppe an. Juliet hielt sich an ihrer Seite, während Louisa und Therese ein Stück hinter ihnen zurückblieben. Claire folgte ihnen, und Daniel, der den Schlitten schob, bildete das Schlusslicht.

Plötzlich wurde ihm klar, dass er einen taktischen Fehler begangen hatte. Er hätte behaupten sollen, dass er ihre Hilfe beim Schieben brauche, denn die Stange zwischen den Haltegriffen war breit genug, dass zwei Leute leicht nebeneinanderher gehen konnten.

Den Blick auf ihren Rücken gerichtet, auf ihre wundervoll geschwungenen Hüften, die sich unter der dicken roten Wolle ihres Umhangs abzeichneten, überlegte er, wie und ob er diese Scharte auswetzen konnte.

»Na ja, es gibt immer noch einen Rückweg«, murmelte er vor sich hin.

Er nahm sich vor, diese Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen zu lassen, und konzentrierte sich fürs Erste darauf, den Schlitten Richtung Wald zu schieben.

Vor ihnen blieb Louisa an einer Abbiegung stehen, wo die ersten Tannen den Weg beschatteten. Sie warf einen kurzen Blick zurück zu der Erzieherin und dem Haus­lehrer, machte sich so ihre Gedanken und zog ihre Schlüsse, bevor sie Annabelle, Juliet und Therese hinterhereilte.

Als die drei sie fragend ansahen, stieß Louisa atemlos hervor: »Mistelzweige. Wir brauchen Mistelzweige.« Sie wandte sich an Annabelle, die sich schließlich bestens auskannte. »Wachsen in diesem Wald Misteln? Und weißt du zufällig, wo?«

Ohne die Antwort abzuwarten, fing Louisa an, mit ihren Blicken die in der Nähe stehenden Bäume abzusuchen.

Annabelle drehte sich um: »Misteln gibt es hier überall. Allerdings ist es nicht so einfach, sie zu entdecken. Sie wachsen gerne in andere Büsche hinein oder verstecken sich im Geäst der Bäume. Und wir müssen natürlich welche finden, die wir erreichen können. Manche lassen sich sogar in höheren Bäumen nieder und wuchern dort.«

»Dann müssen wir eben hinaufklettern«, meinte Therese und trug sich tadelnde Blicke der Cousinen ein.

»Ich dachte, wir sollen nur Stechpalmen und Tannen mitbringen«, warf Juliet eher nebenbei ein, denn sie suchte selbst schon angestrengt nach weißen Beeren im Grün der Bäume und erweckte nicht den Eindruck, als wollte sie die Suche nach Misteln abbrechen.

»Das haben sie uns gesagt, aber warum soll man an Weihnachten bloß langweiliges Grün aufhängen, wenn man nicht auch Mistelzweige hat?«, griff Louisa das Thema auf und versetzte Annabelle und Juliet einen leichten Stoß, damit sie weitergingen. »Leider wird Mrs. Meadows uns vermutlich davon abbringen wollen, zusätzlich Mistelzweige zu besorgen. Deshalb schlage ich vor, dass wir unseren Plan gar nicht erst erwähnen, sondern die Misteln einfach unter den Stechpalmen und dem Tannengrün verstecken.«

Therese war neugierig geworden. »Mir scheint, du führst etwas im Schilde. Soll der Mistelzweig lediglich eine Dekoration unter anderen sein oder …« Sie sah zurück zu Claire, die vor Daniel und dem Schlitten herlief. »Oder denkst du dabei an etwas Bestimmtes? An zwei bestimmte Personen, um genau zu sein?«

Louisa grinste. »Ich glaube, Mr. Crosbie ist ganz hingerissen von Mrs. Meadows. Und sie wäre genauso hingerissen von ihm, wenn sie es sich erlauben würde. Außerdem mag ich Mr. Crosbie, also sehe ich keinen Grund, warum wir nicht …« Sie machte eine unbestimmte Handbewegung.

»Warum wir die Dinge nicht ein bisschen vorantreiben sollten, meinst du?« Therese lachte leise. »Du klingst genau wie deine Großmama.«

»Da!« Annabelle hielt die Stimme gesenkt und deutete verstohlen zu ihrer Linken auf eine Stelle, wo etwa einen Meter über dem Boden in einer Felsspalte ein großer Mistelbusch wuchs. »Ein Stück weiter gibt es eine Lichtung, wo wir den Schlitten abstellen könnten. Während wir vorgeblich nichts außer Stechpalmen- und Tannen­zweigen schneiden, können wir hier herumgehen und nebenbei ein paar Büschel Mistelzweige einsammeln.«

»Schaut mal, dort auf der rechten Seite wachsen wieder welche und ein paar Meter weiter ebenfalls«, sagte Juliet, die Adleraugen besaß, und wies den Cousinen mit ihrem ausgestreckten Arm die Richtung.

»Sehr gut, ganz ausgezeichnet.« Louisa grinste die anderen an. »Wir haben noch nie zuvor Amor gespielt. Seht es als Herausforderung an. Mal schauen, wie gut oder nicht wir uns dabei machen.«

Zur gleichen Zeit saßen die drei alten Herrschaften: Helena, Algaria und McArdle, unverändert in ihren Sesseln vor dem warmen Kamin und dösten zufrieden vor sich hin, wurden lediglich kurz aus ihrer behaglichen Ruhe aufgeschreckt, als die sechs ältesten Sprösslinge der Cynster-Familien in die Halle trotteten und sich auf die für sie vorgesehenen Plätze an dem langen Tisch setzten, die sich direkt unterhalb des Podests befanden, das für ihre Eltern reserviert war.

Die hingegen waren längst wieder weg, nachdem sie ein üppiges Frühstück mit Schinken, Würstchen, Eiern, knusprigem Bacon sowie getoastetem Hefegebäck und verführerisch duftenden Zimtbrötchen, die besonders die Damen liebten, zu sich genommen hatten. Anschließend hatten sie ihre Pläne für den Tag mit Helena, Algaria und McArdle besprochen und waren ihrer Wege gegangen, die alten Herrschaften ihrem verdienten Morgenschlummer überlassend.