Küsse im Morgenlicht - Stephanie Laurens - E-Book

Küsse im Morgenlicht E-Book

Stephanie Laurens

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Beschreibung

Seit sie denken kann, will Amelia Cynster den attraktiven Vicomte Luc Ashford heiraten. Jetzt beschließt sie, ihm kurzerhand selbst einen Heiratsantrag zu machen. Überraschend stimmt er zu, besteht aber darauf, ihr nach allen Regeln der Kunst den Hof zu machen. Doch während ihre Leidenschaft füreinander immer glühender wird, ahnt Amelia nicht, dass Luc einen guten Grund hat, sie zu umwerben …

Die historischen Liebesromane von Stephanie Laurens sprudeln vor Witz, unbändiger Leidenschaft und sehnsüchtiger Romantik!

Die gesamte Cynster-Reihe auf einen Blick

Band 1: In den Armen des Eroberers

Band 2: Der Liebesschwur

Band 3: Gezähmt von sanfter Hand

Band 4: In den Fesseln der Liebe

Band 5: Ein unmoralischer Handel

Band 6: Nur in deinen Armen

Band 7: Nur mit deinen Küssen

Band 8: Küsse im Mondschein

Band 9: Küsse im Morgenlicht

Band 10: Verführt zur Liebe

Band 11: Was dein Herz dir sagt

Band 12: Hauch der Verführung

Band 13: Eine Nacht wie Samt und Seide

Band 14: Sturm der Verführung

Band 15: Stolz und Verführung

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Seitenzahl: 1044

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Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen. Die amerikanische Originalausgabe erschien 2002 unter dem Titel »On A Wicked Dawn« bei Avon Books, an imprint of HarperCollinsPublishers, New York.
 
Copyright © by Savdek Management Proprietory Ltd. 2002 Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2007 by Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München. Published by arrangement with Savdek Management Proprietory Ltd. Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, Garbsen. Umschlagillustration: Agt. Schlück/ John Ennis Redaktion: Sabine Wiermann ES · Herstellung: Heidrun Nawrot
ISBN: 978-3-641-02909-8 V002
 
www.blanvalet-verlag.de

www.randomhouse.de

Buch
1825 in England: Die beiden jungen, schönen Zwillingsschwestern Amanda und Amelia Cynster haben sich auf die Suche begeben nach dem einen Mann, der es wert ist, ein Leben lang geliebt zu werden. Nachdem Amanda den Gentleman ihres Herzens im Dunkel der Nacht gefunden hat, versucht Amelia nun ihr Glück im Morgengrauen...
Amelia hat schon immer davon geträumt, Luc Ashford, den Vicomte Calverton, zu heiraten, und nun ist sie es müde zu warten. Um ihm einen Heiratsantrag zu machen, riskiert Amelia einen Skandal – denn sie verbringt die ganze Nacht vor seinem Haus. Überraschend stimmt er ihrem Antrag zu – nur um gleich darauf vor ihren Füßen in Ohnmacht zu fallen. Nun beginnt eine mühsame Zeit des Werbens – und des Wartens -, denn Luc besteht darauf, Amelia nach allen Regeln der Kunst und vor den Augen der feinen Londoner Gesellschaft den Hof zu machen. Doch sie haben ihre liebe Not damit, voneinander zu lassen, denn es brodelt eine gierige Leidenschaft in ihnen beiden...
Autorin
Stephanie Laurens begann mit dem Schreiben, um etwas Farbe in ihren wissenschaftlichen Alltag zu bringen. Doch bald wurden ihre Bücher so beliebt, dass sie ihr Hobby zum Beruf machte. Sie gehört zu den meistgelesenen und populärsten Liebesroman-Autorinnen der Welt. Stephanie Laurens lebt mit ihrem Mann und ihren beiden Töchtern in einem Vorort von Melbourne, Australien.
Von Stephanie Laurens bereits erschienen:
Verheißungsvolle Küsse (35806) · In den Armen des Eroberers (35838) · Der Liebesschwur (35839) · Gezähmt von sanfter Hand (36085) · In den Fesseln der Liebe (36098) · Nur in deinen Armen (36472) · Nur mit deinen Küssen (36490) · Küsse im Mondschein (36528)
1
Mount Street, London 25. Mai 1825 3 Uhr früh
Er war betrunken. Herrlich betrunken. So betrunken, wie er überhaupt noch nie in seinem Leben gewesen war. Nicht, dass er sich für gewöhnlich regelmäßig betrank, nein, das nun wirklich nicht. Es war nur so, dass die vergangene Nacht, oder vielmehr speziell dieser Morgen, ein ganz besonderer Anlass gewesen war, ein einmaliges Ereignis, das entsprechend hatte gefeiert werden müssen. Nach acht langen Jahren war er nun endlich frei.
Lucien Michael Ashford, Sechster Vicomte Calverton, schlenderte die Mount Street entlang und ließ dabei lässig seinen Spazierstock aus Ebenholz durch die Luft wirbeln, auf seinen Lippen ein Lächeln reiner, unverfälschter Freude.
Er war neunundzwanzig Jahre alt, und dennoch hatte sein Leben als Erwachsener im Grunde erst mit dem heutigen Tage begonnen. Der heutige Tag war quasi der erste, an dem er besagtes Leben endlich mit Fug und Recht sein Eigen nennen durfte. Und es kam sogar noch besser: Denn seit dem gestrigen Tag war er nicht nur frei, sondern auch noch reich. Sagenhaft, fantastisch – und noch dazu absolut rechtmäßig – reich. Eigentlich gab es nicht viel mehr, was er sich noch hätte wünschen können; oder zumindest fiel ihm nicht mehr viel ein. Und hätte er nicht befürchten müssen, auf die Nase zu fallen, so wäre er vor lauter Übermut die menschenleere Straße hinuntergehüpft.
Der Mond stand hoch am Himmel, erhellte mit seinem Licht die Bürgersteige und warf tiefe Schatten. Die Stadt um ihn, Luc, herum lag in tiefem Schlaf; tatsächlich jedoch herrschte in der Metropole London niemals wirkliche Stille, selbst jetzt nicht, um diese nächtliche Stunde. Aus einiger Entfernung ertönte, verzerrt durch die Steinfassaden ringsumher, das Klirren von Pferdegeschirr, das dumpfe Trappeln von Hufen, eine geisterhafte Stimme, die irgendetwas rief. Und obgleich selbst hier, in einem der vornehmsten Viertel Londons, in der Dunkelheit zuweilen Gefahren lauerten, empfand Luc die einsame nächtliche Straße nicht als bedrohlich. Seine Sinne waren alle noch durchaus funktionsfähig, und trotz seines berauschten Zustandes achtete er sorgfältig darauf, mit festen, gleichmäßigen Schritten zu gehen. Falls also irgendwo in den Schatten jemand auf der Lauer lag und ihn in verbrecherischer Absicht beobachtete, so würde dieser keinen Betrunkenen sehen, sondern einen groß gewachsenen, ausnehmend gut gebauten, eleganten, athletischen Gentleman, der lässig einen Spazierstock schwenkte – einen Spazierstock, in dem sich womöglich ein Stockdegen verbergen könnte und auch in der Tat verbarg. Woraufhin jeder Dieb, der auch nur halbwegs bei Verstand war, sich lieber ein anderes Opfer suchen würde.
Luc hatte eine halbe Stunde zuvor seinen Club in St. James verlassen, wo er mit einer Gruppe von Freunden zusammengesessen hatte. Sie hatten eine nicht unbeträchtliche Menge allerfeinsten französischen Kognaks genossen, und um die benebelnde Wirkung wieder abzuschütteln, hatte Luc beschlossen, keine Droschke nach Hause zu nehmen, sondern besser zu Fuß zu gehen. Alles in allem war seine Feier jedoch noch relativ maßvoll gewesen. War Lucs Euphorie doch ein klein wenig gedämpft worden durch die simple Tatsache, dass ja keiner der besagten Freunde – tatsächlich sogar niemand außer seiner Mutter und seinem gewieften alten Bankier, Robert Child – je irgendetwas über seine vorherigen, bedrückenden Lebensumstände gewusst hatte, über die ernste Notlage, in die Luc und alle seine unmittelbaren Angehörigen durch seinen vor mittlerweile acht Jahren verstorbenen Vater gebracht worden waren, über die äußerst riskante und bedrohliche Situation, aus der Luc sich und die seinen die gesamten vergangenen acht Jahre mühsam und Schritt für Schritt wieder herauszukämpfen versucht hatte, und die er erst mit dem gestrigen Tage endgültig hatte überwinden können.
Die Tatsache, dass Lucs Freunde keine Ahnung hatten, was genau er da eigentlich feierte, hatte sie aber natürlich nicht davon abgehalten, ihm Gesellschaft zu leisten. Und daraus hatte sich dann eine lange Nacht voller Wein, Gesang und den schlichten Freuden einer in Kameradschaft verbundenen Männerrunde ergeben.
Es war nur jammerschade, dass sein ältester Freund, sein Cousin Martin Fulbridge, jetzt Dexter, Graf von Dexter, gegenwärtig nicht in London weilte. Andererseits amüsierte Martin sich ganz zweifellos in seinem Heim oben im Norden, schwelgte in den Freuden und Vergnügungen, wie sie einem Frischvermählten zukamen. Seine Hochzeit mit Amanda Cynster lag schließlich erst eine Woche zurück.
Still vor sich hingrinsend, schüttelte Luc im Geiste voller Überheblichkeit den Kopf über die Schwäche seines Cousins, über dessen Kapitulation vor der Liebe. Kurz darauf kam Luc bei seinem Haus an und wandte sich ein wenig unsicher der Treppe mit den flachen Stufen zu, die zur Eingangstür hinaufführte. Für einen kurzen Augenblick drehte sich alles in seinem Kopf, dann legte sich der Schwindelanfall wieder. Vorsichtig stieg Luc die Stufen hinauf, blieb vor der Tür stehen und kramte in seiner Tasche nach den Schlüsseln.
Zweimal glitten sie ihm wieder aus den Fingern, bis es ihm endlich gelang, den schweren Bund zu fassen zu bekommen und aus der Tasche herauszuzerren. Er hielt den Ring in seiner Hand und mühte sich stirnrunzelnd damit ab, die diversen Schlüssel zu sortieren und den einen zu identifizieren, der zur Haustür gehörte. Schließlich fand Luc ihn. Er packte ihn ganz fest, kniff die Augen zusammen, führte ihn in Richtung Schlüsselloch... nach dem dritten Versuch traf er denn auch endlich sein Ziel, und der Schlüssel glitt ins Loch. Luc drehte ihn herum und hörte, wie die Riegel des Türschlosses nachgaben.
Er schob den Schlüsselbund wieder in seine Tasche, drehte den eisernen Knauf und ließ die Haustür weit aufschwingen. Dann trat er über die Schwelle -
In genau diesem Moment schoss plötzlich eine Art Derwisch aus dem gähnenden schwarzen Loch der Souterraintreppe hervor. Luc konnte nur einen ganz flüchtigen Blick auf die Erscheinung erhaschen, wurde nur den Bruchteil einer Sekunde vorgewarnt, bevor die Gestalt auch schon an ihm vorbeiflitzte und ihn dabei so unsanft mit dem Ellenbogen anrempelte, dass er das Gleichgewicht verlor. Er taumelte vorwärts und landete an der Wand der Eingangshalle.
Dieser flüchtige menschliche Kontakt, wenngleich auch durch diverse Stoffschichten gedämpft, sandte einen jähen Stromstoß der Erregung durch seinen Körper und verriet ihm unmissverständlich, wer dieser nächtliche Wirbelwind war: Nämlich Amelia Cynster, Zwillingsschwester der frisch angetrauten Ehefrau seines Cousins und langjährige Freundin seiner, Lucs, Familie. Er hatte Amelia schon gekannt, als sie noch in den Windeln gelegen hatte. Genau wie er, so war auch Amelia noch ledig, und sie besaß ein wahrhaft stählernes Rückgrat. In einen Umhang gehüllt, die Kapuze tief in die Stirn gezogen, stürmte sie in die matt erleuchtete Eingangshalle, kam abrupt zum Stehen, wirbelte herum und heftete ihren Blick auf Luc.
Die Wand hinter seinen Schultern war das Einzige, was ihn noch aufrecht hielt. Er starrte die Erscheinung an, verdutzt und ganz und gar verwirrt... wartete darauf, dass die Nachwirkungen ihrer Berührung abklangen...
Sie gab ein ärgerlich-frustriert klingendes Geräusch von sich, flitzte wieder zur Haustür zurück, packte den Knauf und ließ die Tür mit einer energischen Bewegung ins Schloss fallen. Nachdem das Licht des Mondes auf diese Weise jäh ausgesperrt worden war, musste Luc ein paarmal blinzeln, während er darauf wartete, dass seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnten. Und schon fuhr Amelia abermals zu ihm herum; lehnte sich dann mit dem Rücken gegen die Türfüllung und funkelte Luc wütend an – er konnte es deutlich spüren.
»Was zum Teufel ist eigentlich mit dir los?«, zischte sie.
»Mit mir?« Er löste seine Schultern von der stützenden Wand und schaffte es, sein Gleichgewicht wiederzugewinnen. »Die Frage sollte doch wohl eher lauten: Was, verdammte Pest noch mal, machst du denn hier?«
Er hatte keine Ahnung, was sie wollte, konnte es sich noch nicht einmal ansatzweise vorstellen. Durch das fächerförmige Oberlicht über der Tür strömte das Mondlicht herein und fiel über ihrer beider Köpfe hinweg auf den mit hellen Fliesen ausgelegten Fußboden der Halle. In dem diffusen Licht konnte Luc nur gerade eben Amelias ovales Gesicht mit den fein geschnittenen Zügen ausmachen, umrahmt von üppigen blonden Locken, die unter ihrer Kapuze hervorquollen.
Sie straffte die Schultern, reckte energisch das Kinn und schob ihre Kapuze in den Nacken zurück. »Ich wollte mit dir unter vier Augen sprechen.«
»Es ist drei Uhr morgens!«
»Das weiß ich selbst! Ich habe schließlich schon seit ein Uhr auf dich gewartet. Aber ich wollte unbedingt mit dir sprechen, ohne dass sonst irgendjemand davon weiß. Und ich kann ja schließlich schlecht während des Tages herkommen und darauf bestehen, dass ich mal ungestört mit dir reden möchte, oder?«
»Nein, und zwar aus einem sehr guten Grund.« Sie war schließlich noch unverheiratet und er desgleichen. Und wenn Amelia sich nun nicht unmittelbar vor der Tür postiert hätte, dann hätte Luc diese am liebsten gleich wieder geöffnet und Amelia... plötzlich runzelte er die Stirn. »Bist du etwa allein gekommen?«
»Natürlich nicht. Ich habe einen Lakaien mitgebracht, der draußen wartet.«
Luc fuhr sich mit der Hand über die Stirn. »Ach so. Gut.« Allmählich wurde die Sache kompliziert.
»Herrgott im Himmel noch mal! Nun hör dir doch einfach mal an, was ich dir zu sagen habe. Ich weiß nämlich alles über die finanzielle Situation deiner Familie.«
Mit dieser letzten Bemerkung hatte Amelia denn auch prompt seine volle Aufmerksamkeit gewonnen. Als sie Lucs Reaktion sah, nickte sie. »Genau. Aber du brauchst dir keine Sorgen zu machen, dass ich irgendjemandem davon erzählen werde – ganz im Gegenteil. Das ist ja auch der Grund, weshalb ich unbedingt mit dir allein sprechen musste. Ich will dir nämlich einen Vorschlag unterbreiten.«
Luc konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen, er wusste beim besten Willen nicht, was er sagen sollte; noch weniger konnte er sich vorstellen, was sie ihm denn nun sagen wollte.
Amelia zögerte nicht lange, sondern holte nur einmal tief Luft und kam dann sogleich auf den Kern der Sache zu sprechen. »Mittlerweile müsste es eigentlich offenkundig sein, selbst für dich, dass ich schon seit geraumer Zeit auf der Suche nach einem Ehemann bin. Aber wie die Dinge nun einmal liegen, finden sich einfach keine geeigneten Gentlemen – oder zumindest keine, die zu heiraten ich auch nur die geringste Lust hätte. Andererseits finde ich es jetzt, wo Amanda fort ist, äußerst langweilig, mein Leben auch weiterhin als unverheiratete Dame zu verbringen.« Sie hielt einen Moment inne und fuhr dann fort: »Das ist Punkt eins.
Punkt zwei ist, dass du und deine Familie in äußerst beschränkten Verhältnissen leben.« Sie hob beschwichtigend die Hand, um Lucs Protest gleich im Keim zu ersticken. »Du brauchst gar nicht erst zu versuchen, mir etwas anderes weismachen zu wollen – ich habe im Laufe der vergangenen Wochen viel Zeit hier verbracht, und zwar meistens mit deinen Schwestern. Emily und Anne haben keine Ahnung, wie es tatsächlich um eure finanzielle Situation bestellt ist, nicht wahr? Du brauchst wirklich keine Angst zu haben, dass ich es ihnen gesagt hätte – das habe ich nämlich nicht. Aber wenn man sich so nahesteht, dann gibt es nun einmal gewisse Dinge, gewisse Kleinigkeiten, die einem einfach nicht verborgen bleiben. Vor ein paar Wochen habe ich also das erste Mal begriffen, wie es wirklich um euch bestellt ist. Und viel von dem, was mir seitdem aufgefallen ist, hat meine Schlussfolgerung nur noch bestätigt. Du wirst von Schuldeneintreibern bedrängt – nein! Sag jetzt nichts. Lass mich erst einmal ausreden.«
Luc blinzelte; es bereitete ihm in seiner momentanen Verfassung ja schon genug Mühe, dem Fluss ihrer Enthüllungen überhaupt einigermaßen zu folgen – da blieb nun wirklich nicht mehr genug geistige Kapazität übrig, um auch noch die schwierige Aufgabe zu meistern, auf ihre Auslassungen einzugehen.
Amelia beobachtete ihn mit dem für sie so typischen scharfen Blick, und sie war allem Anschein nach beruhigt, als er weiterhin stumm blieb. »Ich weiß, dass dich keine Schuld an der Misere trifft – es war dein Vater, der damals die gesamte Kohle durchgebracht hat, nicht wahr? Ich habe die grandes dames oft genug sagen hören, es wäre nur gut gewesen, dass er starb, bevor er die Familie so tief in Schulden stürzen konnte, dass auch noch der ganze Grundbesitz dabei draufgegangen wäre. Und trotzdem hat er es immerhin noch geschafft, deine Familie in den völligen Ruin zu treiben, bevor er sich dann schließlich das Genick brach. Gemeinsam mit deiner Mutter hast du seither dein Menschenmögliches getan, um wenigstens den äußeren Schein zu wahren.«
Ihre Stimme wurde weicher. »Es muss eine wahre Herkulesarbeit gewesen sein, aber ihr habt eure Sache hervorragend gemacht. Ich bin mir sicher, dass niemand sonst auch nur das Geringste gemerkt hat. Und ich kann natürlich auch vollauf verstehen, warum ihr das alles getan habt – da nicht nur Emily und Anne, sondern auch Portia und Penelope standesgemäß unter die Haube gebracht werden müssen, wäre es katastrophal, wenn bekannt würde, dass ihr arm seid wie die Kirchenmäuse.«
Amelia legte die Stirn in Falten, ganz so, als ob sie im Geiste eine Liste durchginge. »Das also ist Punkt zwei – dass es zwingend erforderlich ist, dass du und deine Familie weiterhin zur Hautevolee gehören, dass du aber nicht das nötige Kleingeld hast, um einen solchen Lebensstil noch auf lange Zeit weiter zu finanzieren. Ihr lebt nun schon seit Jahren auf Pump, quasi von der Hand in den Mund. Womit ich bei Punkt drei angelangt wäre. Nämlich bei dir.«
Sie richtete den Blick wieder auf Lucs Gesicht. »Du hast dich anscheinend nie mit dem Gedanken getragen, eine Ehe einzugehen, um deine Finanzen wieder in Ordnung zu bringen – obgleich dies ja durchaus eine Möglichkeit wäre. Ich nehme an, du wolltest dich nicht mit einer Ehefrau belasten, weil dann womöglich noch mehr kostspielige Ansprüche und Erwartungen auf dich zugekommen wären. Mal ganz abgesehen davon, dass du wohl generell keine Neigung verspürt hast, dir eine Ehefrau und eventuelle damit verbundene Pflichten und Forderungen aufzuhalsen. Das ist also Punkt drei und der Grund, weshalb ich unbedingt unter vier Augen mit dir sprechen musste.«
Amelia sammelte sich und hob ihr Kinn noch eine Idee höher. »Ich bin überzeugt, dass wir – du und ich – zu einer für beide Seiten vorteilhaften Einigung kommen könnten. Meine Mitgift ist beträchtlich – mehr als ausreichend, um die pekuniären Geschicke der Familie Ashford wieder zum Guten zu wenden und ihr zumindest so weit unter die Arme zu greifen, dass sie ihr Auskommen hat. Und außerdem kennen wir beide, du und ich, uns schon seit Ewigkeiten – es ist also nicht so, als ob wir nicht hinreichend gut miteinander auskommen könnten -, und ich kenne deine Familie doch auch schon recht gut, und sie kennen mich, und …«
»Willst du damit etwa sagen, dass wir heiraten sollten?«
Luc schien wie vom Donner gerührt, und sein entrüsteter Ton ließ Amelia erbost auffahren. »Ganz richtig! Und bevor du mir jetzt damit kommst, wie unsinnig eine solche Idee doch ist, solltest du dir meinen Vorschlag besser erst mal durch den Kopf gehen lassen. Ich erwarte ja keineswegs, dass...«
Was genau das nun war, was sie nicht von ihm erwartete, das bekam Luc allerdings nicht mehr mit, denn auch noch den Rest ihrer Worte zu erfassen, dazu war er nicht mehr in der Lage. Er stand einfach nur da und starrte Amelia durch das trübe Zwielicht hindurch entgeistert an. Ihre Lippen bewegten sich weiterhin, vermutlich redete sie also noch immer mit ihm. Er versuchte angestrengt zuzuhören, doch sein Verstand weigerte sich zu kooperieren. Sein gesamtes Denkvermögen war wie blockiert – hatte sich regelrecht festgebissen – an der einen hochwichtigen, entscheidenden, schier unglaublichen Tatsache.
Amelia bot ihm an, seine Ehefrau zu werden.
Wenn der Himmel plötzlich herabgestürzt wäre, hätte der Schock für Luc auch nicht größer sein können. Und es war nicht etwa ihr Vorschlag, der ihn so erschütterte – sondern seine eigene Reaktion darauf.
Er wollte Amelia nämlich heiraten, wollte sie zur Ehefrau haben.
Vor einer Minute hatte er noch keine Ahnung von seinem Wunsch gehabt; vor zehn Minuten hätte er allein die bloße Vorstellung schon als lachhaft empfunden. Jetzt jedoch… jetzt wusste er es ganz einfach, wusste es mit einer absoluten, unerschütterlichen, geradezu erschreckend starken Gewissheit. Es war ein überwältigendes Gefühl, das sich da in seinem Inneren ausbreitete, das Impulse und Regungen wachrief, die er stets sorgsam hinter seiner eleganten Fassade verborgen zu halten pflegte.
Er konzentrierte seine Aufmerksamkeit wieder auf Amelia, gestattete sich, sie einmal richtig und ganz eingehend zu betrachten – etwas, das er früher, wie ihm nun plötzlich klar wurde, eigentlich nie getan hatte. Früher hatte er Amelia im Grunde immer nur als eine lästige Ablenkung empfunden; als ein weibliches Wesen, das ihn zwar körperlich durchaus anzog, dem er sich in Anbetracht seines damaligen Mangels an Vermögen aber wohl niemals hätte nähern können. Er hatte sie ganz bewusst außer Acht gelassen, sie quasi beiseitegeschoben, denn sie war die eine Frau, die er, wie er wusste, niemals anrühren durfte. Sie war für ihn verboten gewesen, und das noch umso mehr wegen der engen Bande zwischen ihren beiden Familien.
»... und du brauchst dir auch gar nicht erst einzubilden...«
Üppige, goldblonde Ringellocken, Rosenknospenlippen und die schlanke, sinnliche Gestalt einer griechischen Göttin. Kornblumenblaue Augen, braune Brauen und Wimpern, eine Haut, so glatt und cremig weiß wie die köstlichste Sahne. All dies konnte er in dem matten Licht zwar nicht sehen, aber sein Gedächtnis hatte dieses Bild durchaus noch parat. Sein Erinnerungsvermögen funktionierte also noch – und es erinnerte ihn auch daran, dass sich hinter der bezaubernden Fassade, hinter all der weiblichen Zartheit ein messerscharfer Verstand und ein goldenes Herz verbargen. Und ein Rückgrat aus purem Stahl.
Zum allerersten Mal gestattete Luc es sich, Amelia als eine Frau zu sehen, die er begehren durfte. Die er haben konnte. Besitzen könnte. Die ganz allein ihm gehören würde, wenn er sie heiratete.
Nachdem er sich diese Möglichkeiten einmal alle vor Augen geführt hatte, stand sein Entschluss unverrückbar fest.
Denn in einem Punkt hatte Amelia zweifellos Recht: Er hatte nie den Wunsch oder das Bedürfnis verspürt, sich eine Ehefrau zuzulegen, hatte nie die damit einhergehenden emotionalen Bande gewollt, hatte sich nie nach Nähe gesehnt. Amelia jedoch wollte er – daran hegte er nicht den geringsten Zweifel.
»... allen Grund, das zu wissen. Es wird hervorragend funktionieren. Das Einzige, was wir tun müssen...«
Und auch in dem Punkt hatte sie Recht – auf die Art und Weise, wie sie ihren Vorschlag formuliert hatte, könnte es in der Tat funktionieren. Denn sie war diejenige, die ihm einen Antrag machte, sich ihm quasi anbot, und alles, was er zu tun hatte, war …
»Also?«
Ihr Ton riss ihn abrupt aus seinen Gedanken und beförderte seinen Geist von der primitiven Ebene, auf der er gerade eben noch umhergewandert war, wieder in die Realität zurück. Amelia hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Und sie blickte ihn stirnrunzelnd an. Zwar konnte Luc es in dem trüben Halbdunkel nicht sehen, doch es hätte ihn nicht überrascht, wenn sie auch noch ungeduldig mit den Zehen gewippt hätte.
Plötzlich wurde ihm sehr deutlich bewusst, dass sie in greifbarer Nähe stand.
Ihre Augen verengten sich zu Schlitzen und glitzerten in dem schwachen Licht. »Also, wie lautet deine wohl überlegte Meinung? Hältst du es für eine gute Idee, wenn wir beide heiraten würden?«
Schweigend erwiderte Luc ihren Blick, dann hob er eine Hand, strich ganz leicht mit den Fingerspitzen über ihr Kinn und hob ihr Gesicht zu sich empor. Betrachtete ganz offen und in aller Ruhe ihre Züge und fragte sich dabei, was sie wohl tun würde, wenn er sie jetzt ganz einfach... hastig richtete er seinen Blick wieder in ihre Augen. »Ja. Lass uns heiraten.«
In ihre blauen Augen stahl sich Argwohn. Er überlegte, was sie wohl gerade eben in seinem Gesicht gelesen hatte, und ließ rasch wieder die glatte, undurchdringliche Maske über seine Züge gleiten, die er der Gesellschaft üblicherweise zu präsentieren pflegte. Sein Mund verzog sich zu einem Lächeln. »Es wäre mir sogar ein großes Vergnügen« – sein Lächeln wurde noch eine Spur breiter – »dich heiraten zu dürfen.«
Damit ließ er Amelia los und vollführte eine schwungvolle Verbeugung …
Was sich jedoch als großer Fehler erwies, der ihm aber nur noch ganz, ganz vage zum Bewusstsein kam, ehe ihm plötzlich und ohne jede Vorwarnung schwarz vor Augen wurde.
Gleich darauf brach er kraftlos zu ihren Füßen zusammen.
Amelia starrte auf die reglose Gestalt, die da vor ihr auf dem Fußboden lag. Für einen Moment war sie wie vor den Kopf geschlagen, wusste überhaupt nicht, wie sie reagieren sollte. Fast erwartete sie, dass Luc wieder aufspringen und irgendeinen Scherz machen würde, unbekümmert lachen würde...
Doch er rührte sich nicht.
»Luc?«
Keine Reaktion. Vorsichtig trat sie um ihn herum, bis sie sein Gesicht sehen konnte. Seine Augen waren geschlossen, und seine langen Wimpern lagen wie schwarze Halbmonde auf seinen blassen Wangen. Seine Stirn, die glatten Flächen seines Gesichts wirkten merkwürdig entspannt; seine Lippen, lang und schmal und so häufig zu einer streng anmutenden Linie zusammengepresst, waren in den Winkeln sanft aufwärts verzogen...
Mit einem wütenden Zischen stieß sie den angehaltenen Atem aus. Betrunken! Zur Hölle mit dem verdammten Kerl! Da hatte sie nun endlich all ihren Mut zusammengenommen, war so spät in der Nacht noch hierher gekommen, hatte stundenlang draußen in Kälte und Dunkelheit gestanden und gewartet und es dann tatsächlich geschafft, Luc ihren sorgfältig eingeübten Antrag zu unterbreiten, ohne auch nur ein einziges Mal vor Aufregung ins Stocken zu geraten oder sich zu verhaspeln – und dann war der Kerl betrunken?
Eine Sekunde, bevor ihre Wut mit ihr durchgehen konnte, fiel ihr wieder ein, dass Luc ihrem Vorschlag ja immerhin noch zugestimmt hatte. Und zwar absolut klar und unmissverständlich. Ihm mochte ja vielleicht schwindelig gewesen sein, aber er war durch den Alkoholgenuss nicht derart außer Gefecht gesetzt gewesen, dass er nicht mehr gewusst hatte, was er sagte oder tat. Genau genommen war es sogar so, dass sie bis zu dem Moment, in dem er zu Boden gestürzt war, überhaupt keine Ahnung von seinem Zustand gehabt hatte; sie hatte es jedenfalls weder an seinem Verhalten noch an seiner Sprechweise erkennen können. Betrunkene lallten oder nuschelten doch für gewöhnlich, nicht wahr? Aber sie kannte Lucs Stimme, seine Aussprache – er hatte nicht im Geringsten unartikuliert gesprochen oder sich in sonst irgendeiner Weise sonderbar angehört.
Nun ja, die Tatsache, dass er den Mund gehalten und sie hatte reden lassen, ohne sie auch nur ein einziges Mal zu unterbrechen, war schon ein bisschen seltsam gewesen. Doch letztendlich war das ja nur zu ihrem Vorteil. Denn wäre Luc nüchtern gewesen, dann hätte er nur wieder seine üblichen, bissigen Kommentare von sich gegeben, hätte sämtliche ihrer Argumente zerpflückt – und dann hätte sie ihre kleine Rede nie zu Ende führen können.
In jedem Fall aber hatte er ihrem Vorschlag zugestimmt. Sie hatte ihn klar und deutlich ja sagen hören, und – und das war noch wichtiger – sie war sich sicher, dass auch er selbst sich dieses entscheidende Wort hatte sagen hören. Im Augenblick mochte er zwar bewusstlos sein, aber wenn er wieder zu sich kam, würde er sich bestimmt sofort daran erinnern. Und das war das Einzige, worauf es ankam.
Euphorie, ein überschwängliches Gefühl des Sieges bemächtigte sich ihrer. Sie hatte es geschafft! Als sie abermals auf Luc hinunterblickte, konnte Amelia es fast nicht glauben, und doch war dem so – denn sie war hier und er desgleichen; sie hatte das Ganze also keineswegs nur geträumt.
Sie war in sein Haus gekommen und hatte ihm ihren Vorschlag gemacht, und er hatte ihr Angebot angenommen.
Amelias Erleichterung war so groß, dass ihr regelrecht schwindelig wurde. An der Wand, nur ein paar Schritte von ihr entfernt, stand ein Stuhl; sie ließ sich darauf niedersinken, lehnte sich zurück und betrachtete erneut Lucs reglos daliegende Gestalt.
Er sah so entspannt aus, so friedlich, wie er da zusammengesunken auf den Fliesen lag. Amelia kam zu dem Schluss, dass es eigentlich sogar gut war, dass er betrunken gewesen war – sozusagen ein unerwarteter Bonus. Sie war sich nämlich absolut sicher, dass er normalerweise nicht dazu neigte, zu tief ins Glas zu schauen. Ein solches Verhalten war nämlich eigentlich so ganz und gar nicht Lucs Art. Er war sonst immer sehr beherrscht, hatte sich stets so gut unter Kontrolle. Es musste wohl schon ein ganz besonderer Anlass gewesen sein – eine Feier zu Ehren eines Freundes, der das große Glück gefunden hatte, oder irgendetwas dergleichen -, der dazu geführt hatte, dass Luc jetzt in einer solchen Verfassung war.
Seine langen Glieder waren ineinander verheddert; sein Gesicht mochte zwar einen entspannten Ausdruck haben, aber sein Körper… mit einem Ruck setzte Amelia sich auf ihrem Stuhl auf. Wenn sie Luc heiraten wollte, dann sollte sie vielleicht besser darauf achten, dass er nicht mit einem steifen Hals oder einer verrenkten Wirbelsäule aus seinem Rausch aufwachte. Wieder blickte sie auf Luc hinunter und überlegte. Ihn aus der Halle in eines der Zimmer zu befördern, selbst wenn sie ihn zu diesem Zweck über den Boden schleifen müsste, war unmöglich. Luc war über einen Meter achtzig groß, und wenngleich er auch schlank war, so hatte er doch den für Männer seiner Herkunft typischen schweren Knochenbau. Amelia brauchte nur wieder an das dumpfe Geräusch zurückzudenken, mit dem sein Körper auf den Fliesen gelandet war, um mit absoluter Sicherheit zu wissen, dass sie es niemals schaffen würde, ihn von der Stelle zu bewegen, geschweige denn die Treppe hinauf in sein Zimmer zu verfrachten.
Mit einem Seufzer erhob sie sich von ihrem Stuhl, nahm ihren Umhang auf und schritt in den Salon hinüber. Der Klingelzug befand sich neben dem Kamin. Sie zog einmal daran und kehrte dann zur Tür zurück, um diese bis auf einen schmalen Spalt zu schließen. Dann stand sie in dem dunklen Salon und spähte durch den Türspalt in die Halle.
Die Minuten verstrichen, ohne dass sich irgendetwas tat. Amelia war schon drauf und dran, wieder zum Kamin hinüberzugehen und abermals den Klingelzug zu betätigen, als sie plötzlich eine Tür quietschen hörte. Am anderen Ende des Korridors, der zu den Küchenräumen führte, war ein schwacher Lichtschimmer zu erkennen, der stetig heller wurde. Dann blieb die Gestalt, die die Kerze trug, unvermittelt stehen, schnappte hörbar nach Luft und eilte schließlich mit einem gemurmelten Ausruf weiter in die Halle hinein.
Von ihrem Beobachtungsposten hinter der angelehnten Salontür aus sah Amelia, wie Cottsloe, Lucs Butler, sich über seinen Herrn beugte und nach dem Puls an dessen Hals tastete. Erleichtert richtete Cottsloe sich schließlich wieder auf und starrte einen Moment lang auf die reglos daliegende Gestalt. Vielleicht – das hoffte Amanda zumindest – erklärte er sich die Sache ja so, dass Luc im Salon gewesen war, um Hilfe geklingelt hatte und dann in die Halle hinausgewankt war, um dort ohnmächtig zusammenzubrechen. Sie wartete darauf, dass Cottsloe einen Lakaien herbeirief. Doch stattdessen schüttelte der Butler nur den Kopf, hob Lucs Spazierstock auf und deponierte ihn zusammen mit der Kerze auf dem Tisch im Vestibül.
Dann bückte Cottsloe sich und versuchte, Luc auf die Füße zu hieven.
Plötzlich ging Amelia auf, dass es womöglich triftige Gründe dafür gab, weshalb Cottsloe – der gute alte, stets freundliche Cottsloe, der Luc und der gesamten Familie so überaus treu ergeben war – niemanden zu Hilfe holen wollte. Vielleicht wollte er ja auf diese Weise verhindern, dass publik würde, dass Luc betrunken war. Aber das war wirklich lächerlich – Cottsloe war in den Fünfzigern, ein kleiner, kurzbeiniger Mann, der zur Massigkeit neigte. Es gelang ihm zwar, Luc in eine sitzende Position hochzuziehen, doch es war völlig ausgeschlossen, dass er einen solch schweren und sperrigen Körper sonderlich weit tragen könnte, geschweige denn die gesamte Treppe hinauf.
Und in jedem Fall nicht ohne fremde Hilfe.
Innerlich seufzend zog Amelia die Salontür auf. »Cottsloe?«
Mit einem erschrockenen Zischen fuhr der Butler zu ihr herum und starrte sie aus weit aufgerissenen Augen an. Amelia schlüpfte zur Tür hinaus und bedeutete ihm mit einer raschen Handbewegung, dass er besser schweigen sollte. »Wir hatten eine kleine Zusammenkunft unter vier Augen – wir unterhielten uns gerade, und da klappte Luc plötzlich zusammen.«
Selbst in dem trüben Halbdunkel konnte sie erkennen, wie der Butler errötete.
»Ich fürchte, er ist ein klein wenig angeschlagen, Miss.«
»Angeschlagen? Ich würde eher sagen, er ist ganz schön betrunken. Was meint Ihr, wenn ich Euch helfe, ob wir es dann schaffen, ihn die Treppe hinaufzuverfrachten? Sein Zimmer ist in der ersten Etage, nicht wahr?«
Cottsloe war verwirrt und ein klein wenig ratlos; er wusste nicht so recht, was die Regeln des Anstands in einem Fall wie diesem geboten. Doch andererseits brauchte er tatsächlich Hilfe. Und Luc hatte jedes Recht auf seine, Cottsloes, Loyalität. Schließlich nickte er. »Gleich oben in dem Korridor, der vom Treppenabsatz abzweigt. Wenn wir ihn bis dorthin bringen können …«
Amelia duckte sich unter Lucs schlaff herabbaumelnden Arm und legte ihn sich um die Schultern. Sie und Cottsloe schwankten regelrecht unter ihrer Last, bis es ihnen schließlich gelang, Luc vom Boden hochzustemmen und auf die Füße zu stellen. Er hing wie ein Sack Mehl zwischen ihnen. Mit vereinten Kräften gelang es ihnen, Luc festzuhalten und sich zur Treppe umzuwenden. Glücklicherweise kam Luc während dieses Manövers bis zu einem gewissen Grade wieder zu sich, sodass er sich zumindest wieder halbwegs auf den Beinen zu halten vermochte. Als sie den Fuß der Treppe erreichten, machte er sich – mit ihrer beider Hilfe – sogar daran, die Stufen zu erklimmen, wenn auch auf ziemlich unsicheren, wackeligen Füßen und stark torkelnd. Amelia mochte gar nicht daran denken, was passieren könnte, wenn er rückwärts die Treppe hinabstürzte. Und so drückte sie sich seitlich gegen ihn, um ihn zu stützen und ihm Halt zu geben, und spürte dabei deutlich, wie kräftig und muskulös sein Körper unter der eleganten Kleidung war.
Zu erraten, in welche Richtung Luc mit dem nächsten schwankenden Schritt torkeln würde, und rechtzeitig gegenzusteuern, um das Gewicht seines Körpers abzufangen und zu verhindern, dass er hintenüber kippte, wurde zu einem derart anstrengenden Unterfangen, dass sowohl Amelia als auch Cottsloe völlig außer Atem waren, als sie schließlich den obersten Treppenabsatz erreichten. Ihr Schützling jedoch war noch immer so berauscht, dass er nichts davon mitbekam. Seine Lippen waren nach wie vor zu einem leisen Lächeln verzogen, seine Stirn unter den tiefschwarzen Haaren glatt und entspannt. Trotz der mühsamen Kletterpartie die Treppe hinauf hatte er noch immer nicht die Augen geöffnet. Amelia war überzeugt, wenn sie und Cottsloe ihn jetzt losließen, würde Luc sofort wieder schlapp auf dem Boden zusammenbrechen.
Mit vereinten Kräften bugsierten sie ihn den Korridor hinunter, dann streckte Cottsloe den Arm aus und ließ eine Tür aufschwingen. Ihre Finger fest in den Stoff seines Jacketts gekrallt, zog Amelia Luc vorwärts, schob ihn dann mit einer energischen Bewegung durch die Tür und ließ ihn in den Raum taumeln, bevor sie ihm hastig folgte und ihn wieder von hinten an seinem Jackett packte, um zu verhindern, dass er der Länge nach hinschlug und mit dem Gesicht nach unten auf dem Fußboden landete.
»Hier entlang.« Cottsloe zog Luc in Richtung des riesigen Himmelbettes. Amelia schob. Gemeinschaftlich beförderten sie ihn zum Bett hinüber, wo sie ihn dann nur noch herumdrehen mussten. Schließlich stand er mit dem Rücken zum Bett.
Vorsichtig ließen sie Luc los, und einen Moment lang stand er schwankend, doch immerhin aufrecht da. Dann legte Amelia ihm ihre Hand auf die Brust und versetzte ihm einen sanften Stoß. Und wie ein gefällter Baum kippte Luc nach hinten und landete rücklings auf der seidenen Tagesdecke. Die Decke war schon recht alt, sah aber so aus, als ob man ausgesprochen behaglich darauf liegen könnte. Wie um diese Tatsache zu veranschaulichen, seufzte Luc, drehte sich auf die Seite und schmiegte seine Wange in die weichen, mitternachtsblauen Falten.
Unter einem erneuten tiefen Seufzer schwand auch noch der allerletzte Rest von Anspannung aus seinem Körper. Er lag nun vollkommen entspannt da, um seine Lippen spielte die Andeutung eines Lächelns, ganz so, als ob er irgendeiner glücklichen Erinnerung nachhinge.
Und trotz allem spürte Amanda, wie auch sie unwillkürlich leise lächeln musste, als sie auf Luc hinunterblickte. Er war so unglaublich attraktiv, wie er da auf dem Bett lag – die seidigen Strähnen seines jettschwarzen Haares federartig auf seinen blassen Wangen ausgebreitet, seine langfingrige Hand locker neben seinem Gesicht ruhend, sein langer, schlanker Körper in eigenartig unschuldig anmutendem Schlummer ausgestreckt.
»Ich komme jetzt allein zurecht, Miss.«
Sie blickte Cottsloe an, nickte. »Natürlich.« Sie wandte sich zur Tür um. »Ich finde schon selbst hinaus. Vergesst bitte nicht, die Haustür zu verriegeln, wenn Ihr wieder nach unten geht.«
»Selbstverständlich, Miss.« Cottsloe folgte ihr zur Tür, um sie mit einer Verbeugung noch bis auf den Korridor hinauszubegleiten.
Als Amelia gleich darauf in die Halle hinunterging, fragte sie sich, was der arme alte Cottsloe sich wohl dachte. Doch ungeachtet dessen, was er sich im Stillen zusammenreimen mochte, war er nicht der Typ, der Gerüchte verbreitete, und die Wahrheit würde er ohnehin bald genug erfahren.
Wenn sie und Luc ihre Verlobung bekannt gaben.
Verlobung. Ein schier unfassbarer Gedanke, wie Amelia fand. Denn obgleich genau das ja ihr Ziel gewesen war, hatte sie die Tatsache, dass sie dieses Ziel nun erreicht hatte – und obendrein auch noch so mühelos -, noch gar nicht so recht begriffen. Sie holte den Lakaien ab, den sie bei der Treppe zum Souterrain zurückgelassen hatte, und machte sich dann auf den Heimweg durch die stillen Straßen.
Die Morgendämmerung war nicht mehr fern, als Amelia schließlich auf leisen Sohlen in ihr Elternhaus in der Upper Brook Street schlich. Der Lakai war ein alter Freund von ihr, der, da er selbst eine Freundin hatte, vollstes Verständnis für Amelias heimlichen nächtlichen Ausflug hatte – oder sich zumindest einbildete, die Sachlage zu verstehen. Er würde sie also auf keinen Fall verraten. Als sie schließlich in ihrem Zimmer angelangt war, war sie derart in Hochstimmung über ihren Erfolg, dass sie Freudentänze hätte aufführen können.
Rasch zog sie sich aus, kroch unter die Bettdecke, legte sich in die Kissen zurück – und grinste von einem Ohr zum anderen. Sie konnte es noch immer kaum glauben, und dennoch wusste sie, dass es Wirklichkeit war. Luc und sie würden heiraten, und zwar bald.
Seine Frau zu sein, ihn zum Ehemann zu haben... obgleich Amelia sich erst vor kurzem über die Tatsache klar geworden war, war das im Grunde schon seit Jahren ihr uneingestandener Traum gewesen. Zu Beginn dieser gesellschaftlichen Saison hatten sie und ihre Zwillingsschwester Amanda – mittlerweile ohne sonderlich große Hoffnung, dass das Schicksal ihnen noch jemals den Richtigen präsentieren würde – beschlossen, nicht mehr länger zu warten, sondern die Angelegenheit selbst in die Hand zu nehmen. Daraufhin hatte sich jede von ihnen einen Plan überlegt. Amandas Vorgehensweise war ziemlich direkt und gradlinig gewesen; unbeirrbar hatte sie ihren Weg verfolgt, bis sie ihr Ziel – Dexter – endlich erreicht hatte. In der vergangenen Woche hatte sie ihn schließlich geheiratet.
Sie, Amelia, hatte ihren ganz eigenen Plan gehabt. Luc hatte ihr bereits von Anfang an im Hinterkopf herumgespukt, ein verschwommener, doch erkennbarer Schatten, aber sie hatte auch von Anfang an um die Schwierigkeiten gewusst, die sie erwarten würden, wenn sie sich daranmachte, ihn zu erobern. Da sie ihn schon ihr ganzes Leben lang kannte, war sie sich vollkommen darüber im Klaren gewesen, dass er nicht im Traum daran dachte, eine Ehe einzugehen. Hinzu kam noch, dass er überaus intelligent und clever war, ein Mann, der geistig bei weitem zu wach, zu resistent war, um sich allzu leicht manipulieren zu lassen. Genau genommen war er sogar unbestreitbar der letzte Gentleman, an den jede junge Dame, die auch nur halbwegs bei Verstand war, ihr Herz hängen würde.
Und da die Dinge somit nun einmal alles andere als einfach waren, hatte Amelia ihren Plan kurz entschlossen in verschiedene Abschnitte unterteilt. Der erste Schritt hatte darin bestanden, absolut zweifelsfrei festzustellen, wer der Richtige für sie war; welcher von all den Junggesellen innerhalb der vornehmen Gesellschaft, ungeachtet dessen, ob sie sich nun mit dem Gedanken an eine Heirat trugen oder nicht, der eine war, den sie allen anderen vorzog.
Am Ende hatte ihre Suche sie natürlich wieder zu Luc zurückgeführt, und Amelias Verdacht war zur Gewissheit geworden: Sie wusste nun, dass er und nur er derjenige war, mit dem sie ihr Leben verbringen wollte. Und so ging es im zweiten Abschnitt ihres Plans nun also darum, Luc genau dort hinzumanövrieren, wo sie ihn gerne haben wollte – nämlich vor den Traualtar.
Das sollte jedoch nicht einfach werden, auch wenn sie genau wusste, was sie wollte. Nämlich eine Ehe, die auf Liebe gründete, auf Gemeinsamkeit; eine Partnerschaft, die weiter reichte und tiefer ging als die Oberflächlichkeiten des rein formellen Ehelebens. Und natürlich wollte sie auch eine Familie. Und zwar nicht nur jene große Familie, die mit dem Tag ihrer Eheschließung ohnehin entstehen würde – die Zusammenführung der Ashfords mit den Cynsters. Nein, Amelia wollte auch ihre ganz eigene Familie, quasi eine neue Einheit in ihrem Stammbaum.
Alles das wünschte Amelia sich mit einer Sehnsucht, die absolut war. Doch wie sollte sie Luc dazu überreden, ihren Plänen zuzustimmen, wie ihn dazu bringen, dass er ihre Ziele teilte …
An dem Punkt war ihr klar geworden, dass sie sich dringend eine neue Strategie einfallen lassen musste. Eine taktische Vorgehensweise, die Luc nicht sofort durchschauen und dann dementsprechend auch prompt wieder durchkreuzen könnte. Sie hatte erkannt, dass der einzig mögliche Weg zur Erreichung ihres Zieles darin bestand, ihn dazu zu kriegen, sie zuerst einmal zu heiraten und sich dann anschließend in sie zu verlieben. Doch wie sie das Erste ohne das Letzte schaffen sollte, das war ihr zu Anfang noch völlig schleierhaft gewesen. Dann war ihr jedoch die Eigentümlichkeit von Emilys und Annes Kleidern aufgefallen. Und danach hatte sie, nunmehr aufmerksam geworden, noch eine Vielzahl von kleineren Details wahrgenommen, bis sie sich schließlich absolut zweifelsfrei sicher gewesen war, dass die Ashfords dringend Geld brauchten.
Glücklicherweise war Geld aber nun etwas, das Amelia in Hülle und Fülle besaß. Und mit dem Tag ihrer Eheschließung würde ihre beträchtliche Mitgift natürlich in den Besitz ihres Ehemannes übergehen.
Sie hatte Stunden damit verbracht, ihren Antrag vorzubereiten und einzustudieren: ihre Argumente aufzuzählen, die ins Auge springenden Fakten darzulegen und Luc beruhigend zu versichern, dass ihre Verbindung eine reine Vernunftehe sein würde, dass sie keine unerwünschten emotionalen Forderungen an ihn stellen würde, dass sie bereit war, ihn seinen eigenen Weg gehen zu lassen, sofern er ihr die gleiche Freiheit zugestand. Alles das waren natürlich Lügen, aber sie musste nüchtern, musste realistisch sein. Denn es war schließlich Luc, mit dem sie es hier zu tun hatte – ohne diese Lügen sah sie keine Möglichkeit, wie sie ihn jemals dazu bewegen könnte, ihr seinen Ring an den Finger zu stecken. Aber genau das musste nun einmal ihr erstes und vordringlichstes Ziel sein.
Ein Ziel, das sie nun schon beinahe erreicht hatte. Draußen vor ihrem Fenster begann die Welt aus der Nachtruhe zu erwachen. Mit leichtem, unbeschwertem Herzen, getragen von einem Gefühl der Befriedigung und des Triumphs und erfüllt von der Überzeugung, das Richtige zu tun, schloss Amelia die Augen und versuchte, ihre überschäumende Freude noch ein klein wenig zu zügeln. Denn dass sie sich mit Luc einig geworden war, dass sie ihn dazu bewegen konnte, einer Eheschließung zuzustimmen, war nicht das Ende, sondern erst der Anfang. Der erste aktive Schritt in ihrem langfristigen Plan. Ihrem Plan, ihren kostbarsten Traum in die Realität umzusetzen.
Damit war sie ihrem höchsten Ziel nun schon einmal einen Schritt – einen großen Schritt – nähergekommen.
 
Fünf Stunden später schlug Luc die Augen auf und erinnerte sich sofort und mit erschreckender Klarheit wieder an alles, was in der Eingangshalle seines Hauses vorgefallen war. Bis hin zu dem Punkt, an dem er jene verhängnisvolle Verbeugung gemacht hatte. Was danach passiert war, davon wusste er dann allerdings nur sehr wenig, da war seine Erinnerung doch ziemlich bruchstückhaft und verschwommen. Er runzelte nachdenklich die Stirn, versuchte angestrengt, das Dunkel zu durchdringen, in welches jene späteren Augenblicke gehüllt waren. Ganz allmählich lichtete sich der Nebel in seinem Hirn, und was zurückblieb, war ein deutlicher Eindruck von Amelia, wie sie sich – warm und weich und unbestreitbar weiblich – seitlich an ihn presste. Er konnte sich auch noch an den Druck ihrer Hand auf seiner Brust erinnern...
Mit einem Mal wurde ihm bewusst, dass er unter seiner Bettdecke nackt war.
Prompt schlug seine Fantasie Purzelbäume, war drauf und dran, mit ihm durchzugehen – da wurde er plötzlich durch ein leises Klopfen abgelenkt. Die Tür ging einen Spaltbreit auf. Cottsloe steckte den Kopf ins Zimmer herein.
Luc winkte ihn zu sich und wartete nur gerade so lange, bis der Butler die Tür hinter sich geschlossen hatte, ehe er mit gepresst klingender Stimme fragte: »Wer hat mich zu Bett gebracht?«
»Das war ich, Mylord.« Cottsloe faltete die Hände. Der Ausdruck in seinen Augen ließ erkennen, dass er auf der Hut war. »Wenn Ihr Euch erinnert...«
»Ich erinnere mich daran, dass Amelia Cynster hier war.«
»In der Tat, Mylord.« Cottsloe wirkte erleichtert. »Miss Amelia hat mir geholfen, Euch die Treppe hinaufzubringen, danach ist sie gegangen. Habt Ihr irgendeinen Wunsch, Mylord, kann ich Euch etwas bringen?«
Lucs Erleichterung übertraf die des Butlers noch um einiges. »Nur mein Waschwasser. Ich komme dann in Kürze zum Frühstück hinunter. Wie spät ist es eigentlich?«
»Zehn Uhr, Mylord.« Cottsloe ging zum Fenster hinüber, um die Vorhänge aufzuziehen. »Miss Ffolliot ist gekommen und sitzt gerade mit Miss Emily und Miss Anne beim Frühstück. Ihre Ladyschaft ist noch in ihrem Schlafzimmer.«
»Sehr schön.« Luc entspannte sich und lächelte. »Ich habe eine gute Nachricht, Cottsloe, die aber – das brauche ich wohl nicht extra zu betonen – nicht weiter als bis zu Euch und Mrs. Higgs dringen darf. Wenn Ihr so gut sein wollt, sie davon in Kenntnis zu setzen.«
Cottsloes Gesicht, bis zu diesem Augenblick noch völlig unbewegt und von dem für Butler so typischen Ausdruck stoischer Gelassenheit geprägt, wurde mit einem Mal lebhaft. »Ihre Ladyschaft hat auch bereits eine Andeutung darüber fallen lassen, dass es da gewisse ermutigende Entwicklungen gegeben habe.«
»Und ob die ermutigend sind! Die Familie ist endlich wieder schuldenfrei. Wir sitzen nicht mehr länger auf dem Trockenen, sondern sind endlich wieder flüssig. Und es kommt sogar noch besser: Finanziell sind wir wieder genau dort angelangt, wo wir von Rechts wegen sein sollten, wo wir angeblich all die ganzen Jahre über waren.« Cottsloe blickte seinen Herrn aus ruhigen braunen Augen an, Luc erwiderte den Blick. »Unser Leben besteht also nicht mehr länger nur aus einer Lüge.«
Cottsloe strahlte übers ganze Gesicht. »Gut gemacht, Mylord! Ich nehme mal an, dass Ihr mit einem Eurer Anlageprojekte Erfolg hattet?«
»Geradezu fulminanten Erfolg. Selbst der alte Child war völlig aus dem Häuschen darüber, wie großen Erfolg. Das war übrigens der Brief, den ich gestern Abend erhielt. Zu dem Zeitpunkt konnte ich allerdings noch nicht mit Euch darüber sprechen, aber ich wollte sowohl Euch als auch Mrs. Higgs mitteilen, dass ich Euch beiden noch heute Morgen Schecks ausstellen werde über die gesamte Summe Eures noch ausstehenden Lohnes. Ohne Eure unerschütterliche Loyalität und Unterstützung hätten wir die vergangenen acht Jahre niemals überstanden.«
Cottsloe errötete und blickte verlegen drein. »Mylord, das mit dem Geld, das hat aber wirklich noch Zeit. Weder Mrs. Higgs noch ich haben es damit sonderlich eilig...«
»Nein, nein, Ihr habt weiß Gott mehr als genug Geduld bewiesen.« Luc lächelte entwaffnend. »Es bereitet mir große Freude, Cottsloe, dass ich nach all der Zeit endlich wieder in der Lage bin, Euch beiden den wahrhaft wohlverdienten Lohn zu zahlen.«
Als seine Proteste mit derart schmeichelhaften Worten wirksam zum Verstummen gebracht waren, konnte Cottsloe nichts anderes tun, als abermals zu erröten und sich den Wünschen seines Herrn zu fügen.
»Wenn Ihr beide dann bitte um zwölf in mein Arbeitszimmer kommen würdet, dann habe ich die Schecks bereitliegen.«
Cottsloe verbeugte sich. »Sehr wohl, Mylord. Ich werde Mrs. Higgs Bescheid sagen.«
Luc nickte und schaute zu, wie Cottsloe sich zurückzog und geräuschlos die Tür schloss. Dann ließ er sich wieder in die Kissen zurücksinken und verbrachte einen Moment damit, voller Dankbarkeit und Zuneigung an seinen Butler und seine Haushälterin zu denken, die die gesamten Jahre der Not hindurch treu und unerschütterlich hinter der Familie gestanden hatten.
Von dort aus wanderten Lucs Gedanken weiter zu der erfreulichen Veränderung seiner finanziellen Lage, zu seinem neuen Leben... um dann schließlich wieder zu den Ereignissen der vergangenen Nacht zurückzukehren.
Er prüfte kritisch seine mentale Verfassung und seinen körperlichen Zustand und konnte zu seiner Beruhigung feststellen, dass alles an ihm wieder voll funktionstüchtig schien. Abgesehen von leichten Kopfschmerzen fühlte er keinerlei Nachwirkungen von den Ausschweifungen der vergangenen Nacht. Seine Trinkfestigkeit war übrigens das einzige physische Charakteristikum, das er von seinem Taugenichts von Erzeuger geerbt hatte; wenigstens war es eine nützliche Eigenschaft. Im Gegensatz zu dem gesamten übrigen Vermächtnis seines Vaters.
Der Fünfte Vicomte Calverton war ein flotter, blendend aussehender und überaus charmanter Nichtsnutz gewesen, dessen einziger Beitrag zum Wohle der Familie darin bestanden hatte, reich zu heiraten und sechs Kinder in die Welt zu setzen. Im Alter von achtundvierzig Jahren hatte er sich bei einem Jagdausflug das Genick gebrochen, woraufhin Luc, damals gerade einundzwanzig, das Gut übernommen hatte. Nur um herauszufinden, dass es quasi bis hinauf zum Schornstein mit Hypotheken belastet war. Weder er noch seine Mutter hatten bis zu jenem Tag auch nur die geringste Ahnung davon gehabt, dass der Familiensäckel geplündert worden war und das Vermögen restlos aufgezehrt. Sie waren eines Morgens aufgewacht und hatten feststellen müssen, dass sie nicht nur völlig verarmt waren, sondern obendrein auch noch enorme Schulden hatten.
Die Liegenschaften der Familie florierten zwar allesamt und warfen gute Erträge ab, doch die daraus resultierenden Einnahmen gingen sofort wieder für die Tilgung der Schulden drauf. Es war buchstäblich nichts mehr übrig geblieben, wovon die Familie selbst ein auch nur einigermaßen menschenwürdiges Leben hätte fristen können.
Der Bankrott und ein Aufenthalt im Schuldnergefängnis von Newgate standen drohend bevor. In seiner Verzweiflung und Ratlosigkeit hatte Luc schließlich all seinen Stolz beiseitegeschoben und sich an den einzigen Menschen gewandt, der vielleicht noch die Gabe besaß, sie zu retten. Nämlich an Robert Child, Bankier und Finanzberater der Hautevolee, der damals bereits in fortgeschrittenem Alter war und sich weitgehend aus dem Berufsleben zurückgezogen hatte, aber noch immer klug und überaus kompetent war – keiner kannte sich mit den Feinheiten des Finanzwesens besser aus als er.
Child hatte Luc aufmerksam zugehört, sich einen Tag Bedenkzeit ausgebeten und sich dann bereit erklärt, ihm zu helfen – oder, wie er es ausdrückte, als Lucs finanzieller Mentor zu fungieren. Luc war unendlich erleichtert und zugleich überrascht gewesen, doch Child hatte ihm unmissverständlich klargemacht, dass er nur deshalb eingewilligt hatte, weil er die Aussicht, der Familie Ashford aus der Misere zu helfen, als eine Herausforderung betrachtete, als eine Aufgabe, die wieder ein bisschen Schwung und Abwechslung in seinen Lebensabend bringen würde.
Luc hatte es nicht weiter gekümmert, wie Child die Dinge sehen wollte; er war einfach nur froh und dankbar für die Unterstützung gewesen. Und somit hatte das begonnen, was Luc jetzt als seine Lehrzeit in der Finanzwelt bezeichnete. Child war ein strenger, aber auch enorm sachkundiger Mentor gewesen. Luc hatte sich angestrengt, hatte sein Bestes gegeben, und ganz allmählich und Schritt für Schritt war es ihm gelungen, die gewaltige Schuldenlast abzutragen, die wie ein dunkler Schatten über seiner Zukunft und der seiner Familie geschwebt hatte.
All die Jahre über hatten Luc, seine Mutter und Robert Child eine feste Übereinkunft gehabt, dass unter keinen Umständen jemals etwas über die Notlage der Familie an die Öffentlichkeit dringen durfte; dass alle drei durch nichts jemals auch nur andeutungsweise erkennen lassen durften, wie es wirklich um die Situation der Ashfords bestellt war. Während Luc und seine Mutter dem allein schon deshalb sogleich zugestimmt hatten, weil sie die gesellschaftlichen Konsequenzen fürchteten, war Child in seiner Begründung sogar noch unerbittlicher gewesen – ein Hauch von Armut, und sie würden die Schuldeneintreiber am Hals haben, ihr Geheimnis würde enthüllt sein, und das windige Kartenhaus, das Luc und er, Child, so sorgfältig errichtet hatten, um der Familie einen Vorsprung vor ihren Gläubigern zu verschaffen, würde schlagartig über ihren Köpfen zusammenstürzen.
Indem sie alle nur denkbaren Anstrengungen unternahmen, um ihre Fassade aufrechtzuerhalten, wobei die Kosten anfänglich von Child persönlich übernommen worden waren, hatten sie es geschafft, ihren Status, ihre gesellschaftliche Stellung zu bewahren. Jahr für Jahr hatte ihre finanzielle Situation sich wieder verbessert.
Schließlich, als der Schuldenberg nach und nach geschrumpft war, hatte Luc sich unter Childs Führung an Investitionen der spekulativeren Art herangewagt. Er hatte sich als recht geschickt darin erwiesen, riskante Anlagemöglichkeiten zu bewerten und große Profite zu erzielen. Es war ein gefährliches Spiel, aber eines, in dem er sich hervorragend schlug; sein letztes Geschäft hatte sich dann als derart einträglich entpuppt, wie er es sich selbst in seinen kühnsten Träumen nicht erhofft hätte. Er hatte ganz zweifellos das große Los gezogen.
Lucs Lippen verzogen sich zu einem trockenen Lächeln, als er jetzt im Geiste noch einmal die zurückliegenden Jahre an sich vorüberziehen ließ – all die vielen Stunden, die er damit verbracht hatte, in seinem Arbeitszimmer über Kontobüchern und Investitionsberichten zu hocken, während die Londoner Gesellschaft glaubte, er amüsiere sich mit Prostituierten und Tänzerinnen von der Oper im Verein mit seinesgleichen. Mit der Zeit hatte er Gefallen daran gefunden, sich mit Fragen der Vermögensbildung zu beschäftigen, die Gesetze des Geldmarktes zu studieren, darüber Bescheid zu wissen, wie sich Geld vermehren ließ. Und wieder Stabilität in das Leben seiner Familie zu bringen. Das allein war schon Belohnung genug gewesen.
In vieler Hinsicht war der gestrige Tag das Ende einer Epoche gewesen, der letzte Tag eines ganz bestimmten Kapitels in seinem Leben. Aber er würde niemals all das vergessen, was er von Robert Child gelernt hatte. Und darum hatte er jetzt auch keineswegs vor, sämtliche Regeln, die sein Leben in den vergangenen acht Jahren bestimmt hatten, gleich wieder über Bord zu werfen. Und er wollte auch keineswegs seinen Abschied nehmen aus jener Arena, in der er nicht nur unerwarteten Sachverstand offenbart, sondern auch seine eigene Rettung gefunden hatte.
Nachdem er zu diesem Schluss gekommen war, blickte Luc mit noch mehr Zuversicht in die Zukunft als ohnehin schon. Und er überlegte, was er sich von dem nächsten Abschnitt seines Lebens erwartete – und dachte noch einmal gründlich über das nach, was Amelia ihm angeboten hatte.
All die Jahre über hatte er den Gedanken an eine reiche Heirat als Möglichkeit, um den leeren Familiensäckel wieder zu füllen, ganz entschieden abgelehnt. Mit Unterstützung seiner Mutter und mit Childs Einwilligung hatte er sich diese Option lediglich als allerletzten Ausweg vorbehalten, für den Fall, dass wirklich alle Stricke reißen sollten. Zu Lucs großer Erleichterung hatte er diesen Weg jedoch nie einschlagen müssen. Seine Abneigung gegen eine solche Heirat beruhte aber nicht – so wie Amelia angenommen hatte – darauf, dass er die möglichen Erwartungen einer reichen Ehefrau gefürchtet hätte, sondern auf einem sehr viel tiefer verwurzelten, ganz und gar persönlichen Grund.
Einfach ausgedrückt: Er brachte so etwas schlichtweg nicht über sich. Er konnte sich noch nicht einmal ansatzweise vorstellen, eine Dame aus solch kaltblütiger, gefühlloser Berechnung heraus zu heiraten. Allein die Idee rief schon Entsetzen in ihm hervor; bei dem bloßen Gedanken daran überkam ihn bereits eine instinktive, unüberwindliche Aversion. Eine solche Ehe war etwas, womit er niemals leben könnte.
In Anbetracht dessen und in Anbetracht seines Kodex, der jeden Gedanken an eine Heirat ausgeschlossen hatte, solange er außer Stande war, in angemessener Weise für eine Ehefrau zu sorgen, hatte Luc also nie ernsthaft an die Institution der Ehe gedacht.
Eine kleine Stimme in seinem Inneren flüsterte ihm zu, dass er an Amelia aber durchaus gedacht hatte. Allerdings hatte er sie nicht als seine zukünftige Ehefrau gesehen, sondern als eine Frau, die, so hatte er immer angenommen, nicht für ihn bestimmt war, bei der er stets darauf gefasst gewesen war, tatenlos daneben stehen und zuschauen zu müssen, wie sie eines Tages irgendeinen anderen Gentleman heiratete. Und noch immer bereitete ihm dieser Gedanke großes Unbehagen. Die Arme über den Kopf gereckt, streckte Luc sich der Länge nach im Bett aus, lenkte seine Gedanken bewusst in eine andere Richtung und spürte, wie das enge Gefühl in seiner Brust langsam wieder nachließ.
Denn dank einer merkwürdigen Laune des Schicksals würde Amelia nun keineswegs einen anderen heiraten – sondern ihn, Luc.
Und diese Aussicht war so ganz nach seinem Geschmack. Zumal er noch gar nicht so recht darüber nachgedacht hatte, dass es ihm seit dem gestrigen Tag ja nun ohnehin freistand, eine Ehe anzustreben, wenn und wann er wollte – bis Amelia von ganz allein mit diesem Thema angefangen hatte. Und nun hatte sie auch noch allen Ernstes... nun hatte sie ihm doch tatsächlich einen Antrag gemacht!
Er wollte sie heiraten. Der Drang, den er am vergangenen Abend bei ihren Worten gespürt hatte, der Impuls, sie zu packen und zu der seinen zu machen, war in den dazwischenliegenden Stunden kein bisschen schwächer geworden. Wenn überhaupt, dann war er noch stärker geworden, ein unbestimmtes Verlangen, das im Begriff war, sich zu Entschlossenheit und felsenfester Überzeugung zu konsolidieren. Nun, da er endlich schuldenfrei war, nun, da er ein vermögender Mann war, erschien ihm eine Heirat mit ihr rein gefühlsmäßig nicht nur als zulässig, sondern sogar als höchst wünschenswert. Er fühlte mit einem Male keinerlei Widerwillen mehr gegen die Ehe, sondern vielmehr eine unerwartete Ungeduld.
Seine Gedanken überschlugen sich regelrecht, als er im Geiste die Zukunft so gestaltete, wie er sie sich vorstellte, mit Amelia als seiner Ehefrau in der Hauptrolle. Dann konzentrierte er seine Aufmerksamkeit auf die Frage, wie er dieses Ziel erreichen könnte. Auf das Wie, Warum, Weshalb …
Da er es gewohnt war, jede Handlung, jede Maßnahme auf alle möglichen Konsequenzen hin zu überprüfen, war das Problem augenblicklich ersichtlich. Wenn er Amelia sagte, dass er ihre Mitgift nicht mehr brauchte, welchen Grund sollte er ihr dann dafür nennen, dass er sie dennoch heiraten wollte?
Sein Verstand hörte ganz einfach auf zu arbeiten, stellte sich stur, weigerte sich schlichtweg, auch nur daran zu denken, ihr zu offenbaren, dass er sie schlicht und einfach liebte. Nein, das wollte er ihr auf keinen Fall vorzeitig gestehen. Stattdessen zermarterte er sich das Hirn, schnitt vor lauter Anstrengung Grimassen, schlug gedanklich immer wieder einen neuen Kurs ein, versuchte, den Weg zu erkennen, der ihn schließlich weiterbringen würde...
Amelias Irrtum zu berichtigen, sie somit aus ihrem mündlich geschlossenen Vertrag zu entlassen und dann zu versuchen, sie wieder zurückzugewinnen, war ein törichter, um nicht zu sagen idiotischer Plan. Luc wusste genau, wie Amelia darauf regieren würde: Sie würde zutiefst gekränkt und verletzt sein und ihn die nächsten paar Jahre über höchstwahrscheinlich wie die Pest meiden – etwas, wozu sie durchaus im Stande war. Und doch war es so, dass er sie in gewisser Weise schon als die Frau betrachtete, die ihm gehörte, als die Beute, die er bereits gepackt hatte, auch wenn er noch keinen formellen Besitzanspruch auf sie erhoben hatte. Die Vorstellung, sie nun wieder freizugeben, seine Pranke hochzuheben und sie gehen zu lassen...
Nein. Ausgeschlossen. Das konnte er nicht, und das würde er auch nicht tun.
Er wusste, wo sie im Moment standen; nun kam es für ihn darauf an, von dort aus einen Weg vorwärts zu finden, einen Weg, der ihn weiterbrachte, der zu ihrer Hochzeit führte, und er hatte nicht die Absicht, auch nur einen einzigen Schritt zurückzuweichen. Wenn es um Amelia ging, war er sich völlig sicher – nachgeben kam nicht in Frage. Sie hatte angeboten, ihn zu heiraten, er hatte ihr Angebot angenommen, folglich gehörte sie ihm.
Konnte er ihr die Wahrheit sagen, es aber gleichzeitig ablehnen, sie wieder freizugeben? Konnte er ihr gestehen, dass er ihre Mitgift nicht mehr brauchte, aber zugleich darauf dringen, dass sie trotzdem heiraten sollten?
Das würde sie nicht akzeptieren. Ganz gleich, wie hartnäckig er darauf bestand, wie überzeugend er argumentieren mochte – ganz gleich, was er sagte -, sie würde in jedem Fall das Gefühl haben, dass er bloß freundlich war, dass er ihr lediglich den Schmerz des Zurückgewiesenwerdens ersparen wollte...
Wieder verzog Luc das Gesicht zu einer Grimasse und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Denn selbstverständlich würde er alles tun, um ihr einen derartigen Schmerz zu ersparen – jeglicher Versuch, dies zu leugnen, erübrigte sich also von vornherein. Immerhin handelte es sich bei der Frau, um die es hier ging, um Amelia. Und die kannte ihn einfach zu gut. Sie wusste, dass er trotz seiner bisherigen Abneigung gegen die Ehe sogar heiraten würde, wenn er es damit vermeiden könnte, ihr wehzutun. Weibliche Wesen wie Amelia, weibliche Wesen, die ihm etwas bedeuteten, mussten beschützt werden, das war eine seiner grundlegenden Überzeugungen. Die Tatsache, dass sie mit ihm streiten, ihn beschimpfen und gänzlich anderer Meinung sein könnten, war dabei völlig nebensächlich; solcherlei Widerstand vermochte ihn nicht zu beeindrucken.
Die einzige Möglichkeit, wie er Amelia also nun davon überzeugen könnte, dass er sie keineswegs lediglich aus Nettigkeit heiraten wollte, aus dem Bedürfnis heraus, sie zu schonen, bestand darin, ihr sein Verlangen, sie zur Ehefrau zu haben, einzugestehen und zu erklären.
Und wieder sträubte sich alles in ihm dagegen, war sein Hirn mit einem Mal wie blockiert. Er konnte sich dieses Verlangen ja noch nicht einmal selbst erklären, verstand überhaupt nicht, woher es auf einmal kam und warum es so mächtig war. Die Vorstellung, sich zu jener Art von Verlangen zu bekennen, die einen Mann von sich aus zum Heiraten trieb – der Gedanke, dieses Verlangen laut eingestehen zu müssen und noch dazu Amelia gegenüber, dem Objekt besagter Begierde – löste einen Widerstand in seinem Inneren aus, der ebenso felsenfest und unerschütterlich war wie seine Absicht, sie zu heiraten.
Er kannte Amelia und auch die anderen Frauen in ihrer Familie sehr gut; ein solches Eingeständnis käme einer Entmachtung gleich; dann könnte er ihr die Zügel auch gleich überlassen, das liefe auf dasselbe hinaus – etwas, was er diesseits der Hölle niemals freiwillig tun würde. Er wollte und würde Amelia zu seiner Ehefrau machen, aber er war strikt dagegen, ihr unnötige Macht über ihn einzuräumen.
Die Tatsache, dass andere Angehörige seines Geschlechts, darunter erst kürzlich auch Martin, letztendlich schwach geworden waren und genau das getan hatten, ging Luc flüchtig durch den Kopf, doch er kümmerte sich nicht weiter darum. Er hatte noch nie dazu geneigt, sich von Gefühlen oder Sehnsüchten beherrschen zu lassen; im Übrigen hatten ihn die vergangenen acht Jahre dazu gezwungen, solcherlei Empfindungen noch rigoroser zu bezähmen. Keine Frau war dazu fähig, sich über seinen Willen hinwegzusetzen; keine Frau würde ihn jemals beherrschen.
Luc lag ganz still da und starrte zum Betthimmel hinauf, spielte in Gedanken mit seiner letzten noch verbleibenden Option. Er überlegte, analysierte, extrapolierte, machte Voraussagen. Entwickelte einen Plan. Suchte und fand die Schwachstellen, die Hürden in diesem Plan. Beurteilte sie, ersann die Mittel und Wege, um sie zu umgehen.