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Lisa Jackson

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Beschreibung

»Stellen Sie sich darauf ein, die ganze Nacht wach zu bleiben …« Booklist Ein grausamer Serienkiller versetzt ganz New Orleans in Angst und Schrecken. Er verbrennt, enthauptet oder vergräbt seine Opfer bei lebendigem Leibe. Detective Rick Bentz ermittelt unter Hochdruck. Als die nächste barbarisch entstellte Leiche gefunden wird, ein Heiligenmedaillon in der Hand, kommt dem Detective ein schrecklicher Verdacht: Könnte der katholische Heiligenkalender dem Mörder als Vorbild für diese Ritualverbrechen dienen? Die schöne Olivia, zu der sich der Detective unwiderstehlich hingezogen fühlt, will die Morde in ihren Träumen vorausgesehen haben. Nur wenig später ist sie spurlos verschwunden … »Intelligent, erschreckend, nervenzerreißend!« Romantic Times Danger von Lisa Jackson: Thriller im eBook!

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Seitenzahl: 718

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Lisa Jackson

Danger

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Über dieses Buch

E

Inhaltsübersicht

WidmungPrologKapitel einsKapitel zweiKapitel dreiKapitel vierKapitel fünfKapitel sechsKapitel siebenKapitel achtKapitel neunKapitel zehnKapitel elfKapitel zwölfKapitel dreizehnKapitel vierzehnKapitel fünfzehnKapitel sechzehnKapitel siebzehnKapitel achtzehnKapitel neunzehnKapitel zwanzigKapitel einundzwanzigKapitel zweiundzwanzigKapitel dreiundzwanzigKapitel vierundzwanzigKapitel fünfundzwanzigKapitel sechsundzwanzigKapitel siebenundzwanzigKapitel achtundzwanzigKapitel neunundzwanzigKapitel dreißigKapitel einunddreißigKapitel zweiunddreißigKapitel dreiunddreißigKapitel vierunddreißigKapitel fünfunddreißigKapitel sechsunddreißigKapitel siebenunddreißigEpilogDankGlossarSteckbrief Lisa JacksonLisa Jackson bei KnaurMontana-»To Die«-ReiheNew-Orleans-ReiheSan-Francisco-ReiheWest-Coast-ReiheSavannah-ReiheStand Alone
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Für die meisterhafte Literaturagentin Robin Rue – danke für alles!

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Prolog

Er sah sie.

Halb rennend, den Kopf gesenkt, die Finger um den Rand ihrer Kapuze geklammert, eilte sie durch die Dunkelheit in die kleine Kirche.

Der Erwählte wartete unter dem Magnolienbaum. Das Blut pulsierte in seinen Adern, als er geduckt hinaus in die Finsternis schlich, jeder Muskel unter Kontrolle, die Nerven gespannt wie Stahldraht.

Wie leicht es wäre, sie zu schnappen! Mit drei großen Schritten könnte er bei ihr sein und sie fortzerren. Während ihr Vater drinnen auf sie wartete. Dieser Gedanke gefiel ihm, machte ihn an.

Doch noch war ihre Zeit nicht gekommen, ermahnte er sich. Es gab andere.

Unter dem Vordach in der Nähe der zweiflügeligen Eingangstür blieb sie stehen, setzte die Kapuze ab und schüttelte ihr Haar aus. Die langen gewellten Strähnen glänzten verführerisch rotbraun im Licht der Außenbeleuchtung. Der Erwählte schluckte und verspürte eine erste Regung zwischen den Beinen.

Er wollte sie.

Verzehrte sich so sehr nach ihr.

Allein ihr Anblick schärfte all seine Sinne. Er hörte sein Herz klopfen, fühlte, wie das Blut durch seine Adern rauschte, roch den schweren Geruch des Mississippi, der sich dunkel und träge durch die Stadt schlängelte, während der Verkehr durch die Straßen dröhnte und an jeder Ecke die Sünde lauerte.

Als sie hinter dem Eingang verschwunden war, zwängte er sich durch das dichte Strauchwerk zu seinem Versteck in der Nähe des beschädigten Buntglasfensters. Eine kleine Glasscheibe war entfernt und durch transparentes Fensterglas ersetzt worden, wodurch man einen perfekten Blick ins Kirchenschiff hatte. Gebückt spähte der Erwählte hinein und beobachtete, wie sie durch das von Dutzenden Kerzen erhellte Seitenschiff ging, niederkniete und dann in die Kirchenbank glitt, um nach einem kurzen Wortwechsel neben ihrem Vater Platz zu nehmen. Dem verdammten Cop.

Sie war unruhig, rutschte hin und her. Wirkte gelangweilt. Als wäre sie lieber sonstwo als mit ihrem Vater in einer Abendmesse. Sie warf ihr langes Haar nach hinten und betrachtete die eintretenden Kirchenbesucher, dann lümmelte sie sich in die Bank und nagte an den Fingernägeln.

Der Erwählte ließ den Blick zu dem Polizeibeamten wandern.

Dem Feind.

Ein kräftiger Mann, über eins achtzig groß, mit einem kantigen Kinn und tiefliegenden Augen, in denen der Lebensüberdruss von mehr als vierzig Jahren zu erkennen war. Rick Bentz war ein Detective, dessen angeschlagener Ruf neuem Glanz gewichen war – die Verfehlungen seiner Vergangenheit waren vergessen, wenn nicht gar vergeben. In seinem schwarzen Anzug und dem gestärkten Hemd schien er sich unwohl zu fühlen, auf jeden Fall deplaziert im Hause Gottes.

Und das war gut so.

Bentz zerrte an seiner Krawatte, beugte sich zu dem Mädchen und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Sofort hielt sie mit dem Nägelkauen inne und richtete sich auf, wobei sie trotzig die Arme vor dem Bauch verschränkte und dabei unbeabsichtigt ihre Brüste hochdrückte, die ein wenig über den Ausschnitt ihres Kleides quollen. Weißes, weiches Fleisch, gepresst gegen türkisfarbene Seide.

Der Erwählte stellte sich vor, was sich unter dem glatten Stoff verbarg … rosige Knospen, jungfräuliche Haut und weiter unten ein Nest aus Locken in demselben Rotbraun wie die Kaskaden, die sich auf ihren Rücken ergossen.

Die kleine Prinzessin, der ganze Stolz ihres Vaters.

Sportlich, fleißig … und ein bisschen ungezogen. Rebellisch. Das sah er in ihren Augen, hörte es in ihrem kehligen, aufreizenden Lachen.

Sie blickte mit ihren großen grünen Augen Richtung Fenster. Der Erwählte erstarrte in seinem Versteck.

Ihr Mund verzog sich zu einem kleinen, aufmüpfigen Schmollen.

Sofort reagierte sein Schwanz mit einem leichten Zucken.

Er stellte sich vor, was diese Lippen unter der richtigen Anleitung alles anstellen könnten … Er schloss die Augen, spürte die kühle Liebkosung des Regens, der seinen Nacken hinunterrann, während er die Finger in seinen Schritt legte.

Sein erigiertes Glied richtete sich steil auf. Hart. Pochend. Voller Erwartung.

Bald, Prinzessin, dachte er. Bald. Doch ich muss mich zunächst um die anderen kümmern. Dann bist du an der Reihe.

Sei geduldig.

Piep! Piep! Piep!

Der Wecker seiner Armbanduhr ertönte, und er riss die Augen auf. Einen Fluch unterdrückend stellte er das Geräusch ab. Das war leichtsinnig. Untypisch für ihn. Wütend auf sich selbst spähte der Erwählte ein letztes Mal ins Kircheninnere und sah, dass die Prinzessin noch immer Richtung Fenster starrte. Als wüsste sie, dass er dort war.

Schnell kroch er aus den Sträuchern und lief durch den dichten Regenschleier davon. Er war viel zu lange geblieben. Ärgerlich legte er an Tempo zu und rannte mit langen Schritten über den nassen Rasen bis zur Ecke, wo er in eine schmale Gasse einbog. Drei Blocks weiter gelangte er auf den Parkplatz eines stillgelegten Gebäudes mit vernagelten Türen und Fenstern, in dem einst eine Tankstelle untergebracht gewesen war.

Er schwitzte, als er in den Wagen mit den getönten Scheiben stieg, aber nicht etwa vor Anstrengung, sondern vor Aufregung. Er zog seine Laufsachen und die Handschuhe aus und legte sie ordentlich zusammengefaltet in eine Ledertasche.

Bald war es so weit.

Bald würde Rick Bentz spüren, wie schmerzhaft es war, das Liebste auf der Welt zu verlieren.

Doch zunächst einmal musste Bentz wissen, was ihm drohte, musste Angst verspüren, echte Angst – eine dunkle, nagende Furcht, die an ihm zehrte, wenn er feststellte, dass alles, was ihm etwas bedeutete, in Gefahr war, gleichgültig, was er tat.

Während der Erwählte ein Handtuch aus der Tasche zog, trat ein Lächeln auf seine Lippen. Schnell fuhr er sich mit dem rauhen Frottee über Gesicht und Nacken. Dann nahm er sich die Zeit, einen Blick in den Rückspiegel zu werfen. Blaue Augen starrten ihm entgegen. Hungrige Augen. »Schlafzimmerblick« hatte schon mehr als eine Frau dazu gesagt. Wie dumm zu glauben, sie könnten ihn verführen!

Doch da … hinter seinem Kopf nahm er etwas wahr, den kaum merklichen Anflug eines Schattens. Etwas stimmte nicht mit seinem Spiegelbild, es war, als würde ihn jemand beobachten. Rasch wandte er sich um und blickte mit zusammengekniffenen Augen aus dem beschlagenen Heckfenster in den Regen, um zu erkennen, ob jemand von hinten in den Wagen spähte.

Draußen bewegte sich nichts.

Niemand war auf diesem verlassenen Parkplatz. Und dennoch … Irgendwie spürte er eine Verbindung. Es war nicht das erste Mal, er hatte bereits zu verschiedenen Gelegenheiten das Gefühl gehabt, jemand sei bei ihm. Jedes Mal wurde dieses Gefühl ein wenig konkreter, eine Spur intensiver. Schweißtropfen rollten über seine Schläfen. Sein Herz hämmerte wild.

Paranoia … das ist es. Bleib cool. Konzentrier dich.

In diesem entlegenen Teil der Stadt war keine Menschenseele, niemand, der in dieser finsteren Nacht durch die getönten Scheiben der Limousine spähte.

Er musste sich beruhigen. Geduldig sein. Alles würde sich fügen. Rick Bentz’ schlimmster Alptraum hatte bereits begonnen.

Er wusste es nur noch nicht.

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Kapitel eins

Du brauchst eine Frau«, sagte Reuben Montoya, als sie den Polizeiwagen auf dem Parkplatz vor Bentz’ Apartmenthaus abstellten.

»Na schön. Vielleicht könnte ich mir eine von deinen borgen.« Bentz fasste nach dem Türgriff. Das Letzte, was er brauchte, war der Ratschlag eines jungen Cops, dem das Hirn nicht selten in die Hose rutschte, was auch der blinkende Diamantstecker in Montoyas Ohr und das sorgfältig getrimmte Ziegenbärtchen an seinem Kinn bestätigten. Der Detective war schlau wie ein Fuchs, aber noch ein bisschen grün hinter den Ohren. Und er wusste nicht, wann er besser die Klappe halten sollte.

»He, ich bin neuerdings monogam«, behauptete Montoya. Bentz schnaubte.

»Ja, ja.«

»Ich meine es ernst.« Montoya stellte die Automatik auf Parken, dann griff er in seine Jackentasche und zog eine Schachtel Zigaretten hervor.

»Wenn du es sagst.«

»Ich könnte dich verkuppeln.« Bentz’ Partner war noch keine dreißig, hatte eine Haut wie Bronze, ein umwerfendes Lächeln und genug Ehrgeiz besessen, um seine ärmliche Latino-Herkunft hinter sich zu lassen und sich mit einem Sportstipendium das College zu finanzieren. Er konnte nicht nur wahre Wunder mit einem Fußball vollbringen, sondern bekam jedes Semester ausschließlich Bestnoten – und als ihm dann bei seinem Abschluss die Zukunft strahlend wie die Sonne zu Füßen lag, entschied er sich, zur Polizei zu gehen.

Das musste man sich mal vorstellen!

Montoya klopfte eine Filterzigarette aus der Schachtel, zündete sie an und blies eine Rauchwolke aus. »Ich kenne eine nette ältere Dame, eine Freundin von meiner Mutter –«

»Halt die Klappe.« Bentz warf ihm einen Blick zu, der ihn zum Schweigen bringen sollte. »Vergiss es. Es geht mir gut.«

Montoya hörte nicht auf. »Es geht dir definitiv nicht gut. Du lebst allein, gehst nie aus und reißt dir den Arsch auf für ein Department, das dir deinen Einsatz nicht dankt. Das ist dein Leben.«

»Ich werde das erwähnen, wenn es um meine nächste Gehaltserhöhung geht«, erwiderte Bentz und stieg aus. Die Nacht war kühl, und der Wind, der vom Fluss herüberwehte, brachte einen Vorgeschmack auf den Winter mit sich.

»Ich sage doch nur, dass du ein Leben brauchst, Mann. Deine Tochter geht aufs College, und du solltest dir ein bisschen Spaß gönnen.«

»Ich hab jede Menge Spaß.«

»Dass ich nicht lache!«

»Gute Nacht, Montoya.« Er knallte die Beifahrertür des Ford Crown Victoria zu und ging ins Haus. Eine Frau. Ja, sicher, das wäre die Lösung für seine Probleme. Im Erdgeschoss ergriff er die Abendzeitung und die Post, dann stieg er die Treppe zu seinem Apartment im ersten Stock hinauf. Was wusste Montoya schon?

Gar nichts. Absolut nichts.

Bentz hatte schon vor langer Zeit gelernt, dass Frauen nur Probleme machten, und er war bei einer Meisterin in die Lehre gegangen: Jennifer.

Schön.

Intelligent.

Höllisch sexy.

Seine Frau.

Die eine Frau, der er sein Herz geschenkt hatte. Die einzige Frau, der er erlaubt hatte, es zu brechen, und das hatte sie getan – und zwar mehr als einmal. Mit ein und demselben verfluchten Kerl. Er schloss die Tür auf und schaltete das Licht an.

Der alte Song von B.B.King ging ihm durch den Kopf.

Hurt me once, shame on you.

Hurt me twice, shame on me.

Er schleuderte seine Schlüssel auf den Schreibtisch, zog die Jacke aus und riss sich die Krawatte herunter. Jetzt konnte er ein Bier und eine Zigarette gebrauchen. Aber keine Frau. Das Problem war nur, dass er allen dreien abgeschworen hatte. Auf dem Anrufbeantworter waren keine Nachrichten. Montoya hatte recht. Er hatte kein Sozialleben. Er trainierte verbissen am Boxsack, der im ehemaligen Schlafzimmer seiner Tochter hing. Er war nicht mal Mitglied einer Bowling-Mannschaft oder eines Golfklubs. Segeln und Jagen hatte er schon vor Jahren aufgegeben, genau wie Pokern und Jim Beam.

Rick krempelte die Ärmel hoch, ging zum Kühlschrank und starrte auf den kläglichen Inhalt. Selbst der Tiefkühler, in dem für gewöhnlich ein paar Fertigmahlzeiten für die Mikrowelle lagen, war leer. Er schnappte sich eine Dose alkoholfreies Bier und riss den Deckel auf, dann stellte er den Fernseher an. Ein Sportreporter ratterte die Spielergebnisse des Tages herunter, während die Höhepunkte in Schnellfeuergeschwindigkeit über den Bildschirm flimmerten.

Bentz machte es sich in seinem Sessel bequem und sagte sich, dass Montoya meilenweit danebenlag. Er brauchte kein Sozialleben. Er hatte seine Arbeit, und dann gab es noch Kristi, seine Tochter, selbst wenn sie aufs College in Baton Rouge ging. Er blickte aufs Telefon und überlegte, sie anzurufen, doch er hatte sich erst letzten Sonntag gemeldet und gespürt, dass sie genervt gewesen war. Sie hasste es, wenn er in ihren neu gewonnenen Freiraum eindrang, und führte sich auf, als würde er sie überwachen.

Schließlich wandte er seine Aufmerksamkeit wieder dem Fernseher zu, wo gerade die Highlights des Spiels der Saints vom Montagabend gezeigt wurden. Er würde sich ein Sandwich beim Po-Boy-Laden zwei Blocks weiter holen und dann ein wenig Papierkram aufarbeiten. Er musste noch mehrere Berichte schreiben. Außerdem gammelten noch ein paar offene Fälle vor sich hin, auf die er mal einen Blick werfen müsste. Konnte ja sein, dass er beim ersten, zweiten, dritten oder vierten Durchgang etwas übersehen hatte.

Er hatte jede Menge zu tun.

Montoya täuschte sich. Bentz brauchte keine Frau.

Und er war sich ziemlich sicher, dass niemand eine brauchte.

 

Olivia mochte den Rechtsanwalt nicht. Hatte ihn nie gemocht und würde ihn niemals mögen. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie ihre Großmutter einem Mann hatte trauen können, der ein so offensichtlicher Betrüger war. Ramsey John Dodd, der RJ genannt werden wollte, war so ölig wie Grannie Gins Brathühnchen und doppelt so fett.

»… damit wäre der Nachlass abgewickelt, die Steuern und Gebühren sind bezahlt, sämtliche Erben sind ausgezahlt worden. Wenn Sie das Haus verkaufen möchten, ist jetzt der richtige Zeitpunkt dafür.« Auf der anderen Seite des überdimensionalen Schreibtisches in diesem Rattenloch von Büro legte Ramsey John seine dicklichen Hände zusammen und tippte die Fingerspitzen gegeneinander. Hinter ihm, gefangen zwischen der Jalousie und dem einzigen Fenster, surrte eine frustrierte Fliege gegen das Glas, die in dem luftleeren Raum eigentlich schon seit Tagen hätte tot sein müssen.

»Ich bin mir noch nicht sicher, ob ich umziehen möchte.«

»Nun, sollten Sie sich dazu entscheiden, kann ich Ihnen einen sehr guten Immobilienhändler empfehlen.«

Darauf wette ich.

»Was Wally in die Hand nimmt, gelingt.«

»Ich werde mich bei Ihnen melden«, sagte Olivia und stand abrupt auf, um das Gespräch zu beenden und die Tatsache zu verbergen, dass sie gerade gelogen hatte. Sie wollte keinem Kumpel von RJ Dodd in die Tasche spielen, geschweige denn irgendwelche Geschäfte mit ihm machen.

Er zuckte in seinem viel zu engen Anzug mit den Schultern, als wäre es ihm egal, aber Olivia spürte seine Enttäuschung. Zweifelsohne hätte er für die Vermittlung eine Provision eingestrichen.

»Danke für Ihre Hilfe.«

»Es war mir ein Vergnügen.«

Sie schüttelte seine schwitzige Hand und ließ sie schnell wieder los.

Ihre Großmutter hatte einen Betrüger für gewöhnlich auf sechs Meilen Entfernung riechen können. Wie um alles in der Welt war sie dann bloß bei diesem Bauernfänger gelandet? Weil seine Dienste billig sind, war die naheliegende Antwort. Und davon einmal abgesehen, war RJ der Neffe einer von Grannies Freundinnen.

»Es gibt nur eine Sache, die mir zu denken gibt«, sagte RJ und wuchtete sich aus seinem quietschenden Schreibtischsessel.

»Und die wäre?«

»Wie kommt es, dass Sie das Haus und das Inventar geerbt haben, während Ihre Mutter nur das Geld von der Versicherung bekommen hat?«

»Sie sind der Anwalt. Sagen Sie es mir.«

»Virginia hat nie darüber gesprochen.«

Olivia verzog die Lippen zu einem schmalen Lächeln. Er war auf Informationen aus, aber sie verstand nicht, warum. »Ich schätze, Grannie mochte mich einfach lieber.«

Er spannte die fleischigen Wangen an. »Das wäre natürlich möglich. Ich kannte sie nicht genauer, nur so gut, dass ich sie für eine seltsame Frau hielt. Manche Leute hier aus der Gegend behaupten, sie sei eine Voodoo-Priesterin gewesen, habe Tarotkarten gelegt und die Zukunft aus dem Teesatz gelesen. Sie wissen schon – übersinnliche Fähigkeiten.«

»Nun, man soll eben nicht alles glauben, was man so hört, nicht wahr?«, sagte Olivia und versuchte, das Thema zu wechseln, das für ihren Geschmack gerade viel zu privat wurde.

»Es geht das Gerücht, Sie hätten diese Fähigkeiten geerbt.«

»Ist es das, was Sie wissen wollen, Mr. Dodd? Ob ich eine Hellseherin bin?«

»RJ, bitte«, erinnerte er sie grinsend und entblößte dabei einen goldenen Backenzahn. »Kein Grund, sich aufzuregen. Ich wollte lediglich Konversation betreiben.«

»Warum fragen Sie nicht meine Mutter danach?«

»Bernadette behauptet, sie hätte diese Gabe – wenn man so sagen will – nicht geerbt, dafür aber Sie.«

»Oh, ich verstehe … sie überspringt eine Generation. Natürlich.« Olivia lächelte ihn an, als wollte sie sagen, dass nur ein Idiot solchem Gewäsch Glauben schenken könne. Es gab keinen Grund, die Gerüchte zu bestätigen oder zu widerlegen. Sie wusste zwar gut, wie sehr sie der Wahrheit entsprachen. Doch das ging Ramsey Dodd nichts an.

»Hören Sie«, sagte er und trat rascher um seinen Schreibtisch herum, als man es einem Mann seines Umfangs zugetraut hätte. »Ein Ratschlag. Kostenlos.« Er schien seine übliche Großspurigkeit abzulegen. »Ich weiß, dass Ihre Großmutter oft an Sie gedacht hat. Ich weiß auch, dass sie eine … ungewöhnliche Frau war, die man aufgrund ihrer Visionen für merkwürdig hielt. Manche Leute vertrauten ihr bedingungslos, hätten sogar ihr Leben in ihre Hände gelegt. Meine Tante war eine von ihnen. Andere dagegen dachten, sie wäre mit schwarzer Magie befasst oder verrückt oder aber beides. Es hat ihr das Leben nicht leichter gemacht. Wäre ich an Ihrer Stelle, würde ich den Mund halten, was diesen ganzen Quatsch anbelangt.«

»Ich werde daran denken.«

»Tun Sie das … Ihre Großmutter hätte diesen Rat auch besser beherzigt.«

»Sonst noch etwas?«, fragte sie.

»Nein. Das war’s. Passen Sie auf sich auf.«

»Mach ich. Noch einmal: Danke für Ihre Hilfe.« Olivia steckte den braunen Umschlag, den er ihr gegeben hatte, in ihren Rucksack.

»Es war mir ein Vergnügen, für Sie tätig zu sein. Sollten Sie Ihre Meinung ändern, was den Verkauf des Hauses anbelangt, rufen Sie mich einfach an, und ich werde dafür sorgen, dass sich Wally mit Ihnen in Verbindung setzt …«

Sie wartete nicht darauf, dass er sie zur Tür brachte, sondern durchquerte allein das vertäfelte Vorzimmer, in dem eine einzige Sekretärin hinter dem Schreibtisch zwischen drei Büros hockte, von denen zwei leer aussahen. Die Namensschilder an den Türen waren abgeschraubt und hatten verräterische Löcher in dem dünnen Furnier hinterlassen. Grannie hätte mit Sicherheit gewusst, was dahintersteckte.

Draußen überquerte Olivia einen Parkplatz voller Schlaglöcher und stieg in ihren Ford Ranger. Dann wusste RJ also von ihren Ausflügen zur Polizeistation. Großartig. Vermutlich wusste es die ganze Stadt und bald auch ihre Chefin im Third Eye, dem Laden, in dem sie neben ihrem Studium arbeitete.

Wunderbar. Sie legte den Gang ein und lenkte den alten SUV mit lautem Gedröhne auf die Straße. Sie wollte nicht an die Visionen denken, die sie quälten, das Aufflackern des Bösen, das sie manchmal eher spürte als sah. Unzusammenhängende, kaleidoskopische Bruchstücke schrecklicher Ereignisse schossen ihr dann durch den Kopf und verursachten ihr Gänsehaut. Schließlich hatte all das Olivia so aus der Fassung gebracht, dass sie sich an die örtliche Polizei gewandt hatte.

Wo sie als Irre abgetan und mehr oder weniger aus dem Gebäude gelacht worden war.

Bei dem Gedanken stieg ihr die Röte ins Gesicht. Sie stellte das Radio an und bog etwas zu schnell um eine Kurve. Die Reifen des Ford Rangers quietschten protestierend.

Manchmal war es mehr als schwierig, Virginia Dubois’ Enkelin zu sein.

 

»Vergib mir, Vater, denn ich habe gesündigt«, flüsterte die nackte Frau, unfähig, laut zu sprechen, unfähig zu schreien wegen des engen Würgehalsbands. Sie kniete auf dem Fußboden, ans Waschbecken gekettet. Offensichtlich war sie sich weder der Schwere ihrer Sünden bewusst noch des Grundes für ihre Bestrafung, und offenbar hatte sie keine Ahnung, dass er sie eigentlich rettete.

»Sag mir«, flüsterte der Erwählte, »was für Sünden hast du begangen?«

»Ich habe … ich habe …« Ihre entsetzten Augen traten hervor, sie blinzelte, während sie versuchte, nachzudenken, aber sie war nicht reumütig. Nur verängstigt. Und sie sagte das, wovon sie hoffte, es würde ihn dazu bringen, sie freizulassen. Tränen strömten über ihre Wangen. »Ich habe viele Sünden begangen«, stieß sie verzweifelt hervor, in der Hoffnung, ihn damit zufriedenzustellen. Sie konnte ja nicht ahnen, dass das unmöglich war. Ihr Schicksal war besiegelt.

Die Frau zitterte vor Angst und Kälte, doch das würde sich bald ändern. Ein bisschen Rauch drang bereits durch die Lüftung in das winzige Badezimmer. Bald schon würden die Flammen hereinschlagen. Es blieb nicht mehr viel Zeit. »Bitte«, krächzte sie. »Um Gottes willen, lassen Sie mich gehen!«

»Was weißt du schon von Gottes Willen?«, fragte er, dann zügelte er seinen Zorn und legte ihr eine behandschuhte Hand auf den Kopf, als wollte er sie beruhigen. Von irgendwoher, durch das gesprungene Fenster, hörte er die Fehlzündung eines Autos auf den winterlichen Straßen. Er musste das hier zu Ende bringen. Jetzt. Bevor das Feuer Aufmerksamkeit erregte. »Du bist eine Sünderin, Cecilia, und du wirst für deine Sünden bezahlen.«

»Sie haben die falsche Frau erwischt! Ich bin nicht … sie … ich bin nicht … Cecilia. Bitte! Lassen Sie mich gehen. Ich werde kein Wort verraten, das verspreche ich, niemand wird erfahren, was hier passiert ist. Ich schwöre es!« Sie umklammerte den Saum seiner Soutane. Verzweifelt. Und besudelt. Sie war eine Hure. Wie die anderen. Er blickte auf das Radio, das auf der Fensterbank stand, und stellte es rasch an. Vertraute Musik drang aus den Lautsprechern und wurde ausgeblendet, als die sinnliche Stimme einer Frau ertönte.

»Hier spricht Dr.Sam. Der letzte Gedanke am heutigen Tag soll John F. Kennedy gelten, einem unserer besten Präsidenten, der am 22. November 1963 erschossen wurde … Gib auf dich acht, New Orleans. Gute Nacht und Gottes Segen. Gleichgültig, in welchen Schwierigkeiten Sie heute stecken, es gibt immer ein Morgen … Träumen Sie schön …«

Der Erwählte drehte am Senderknopf und lauschte dem statischen Rauschen und dem zwitschernden Geräusch der Ansagerstimmen, bis er gefunden hatte, was er suchte: Orgelmusik. Satte Töne, als würden sie durch eine Kirche hallen.

Nun war er bereit.

Die Hure beobachtete, wie er sein Schwert hinter dem Duschvorhang hervorzog.

»O Gott. Nein!« Sie war jetzt panisch, zerrte an der Kette, so dass sich das Würgeband um ihren Hals noch enger zuzog.

»Es ist zu spät.« Seine Stimme klang ruhig und bedächtig, doch innerlich bebte er, zitterte, nicht vor Angst, sondern vor Erwartung. Adrenalin, seine Lieblingsdroge, schoss durch seine Venen. Aus dem Augenwinkel sah er, dass die Flammen bereits unter der Verkleidung der Lüftung hervorschlugen. Die Zeit war gekommen.

»Nein, bitte nicht … o Gott …« Die Frau riss an der Kette, versuchte vergeblich, sich hinter dem Waschbecken zu verstecken. Das Halsband zog sich noch enger zusammen, ihre Hand- und Fußgelenke bluteten, aufgeschürft und wund von den Fesseln. »Sie haben die falsche Frau erwischt!«

Sein Puls raste, pochte in seinen Schläfen. Für eine Sekunde spürte er ein Kribbeln im Nacken, wie den Atem Satans. Er blickte in den Spiegel, betrachtete prüfend die glänzende Oberfläche, blickte hinter sein eigenes Spiegelbild. Sein Gesicht war verborgen unter einer schwarzen Maske, aber er wurde das Gefühl nicht los, dass ihn jemand durch das Glas beobachtete. Zeuge seiner Tat wurde.

Doch das war unmöglich.

Schweiß rann ihm in die Augen, als er das Schwert so hochhob, dass ihn der Arm schmerzte. Rauch brannte in seinen Lungen. Blutrünstig griff er ihr mit der freien Hand ins Haar. Er blickte auf ihren schlanken Hals mit dem Würgehalsband. Sein Schritt war hart, seine Erektion fast schmerzhaft. Oh, wie gern würde er in sie eindringen, sie auskosten, bevor er sie von ihren Sünden freisprach! Doch das war nicht sein Auftrag. Sich einem solch frevlerischen Vergnügen zu verweigern war sein eigenes, ganz persönliches Opfer.

»Für deine Sünden, Cecilia!«, stieß er hervor, während ihn Wellen der Freude durchfluteten. »Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes befehle ich deine Seele dem Herrn.«

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Kapitel zwei

Nein!«

Olivia riss die Augen auf.

Ihr eigener Schrei hallte in dem kleinen Schlafzimmer wider. Der Hund gab ein scharfes »Wuff!« von sich.

»O Gott, nein.« Ihr Herz raste, ihr Körper war schweißgebadet, der lebhafte Traum stand ihr so deutlich vor Augen, als hätte sie gerade eben einen Mord beobachtet. Wieder einmal. Es war schon wieder vorgekommen.

Die Vision war verdammt echt gewesen. Der Geruch nach Rauch hing noch in ihren Nasenflügeln, in ihren Ohren tönte Orgelmusik, ihr Mund war staubtrocken, ihre Kehle rauh von dem Schrei. Heftiger Kopfschmerz breitete sich in ihrem Schädel aus.

Sie blickte auf die Uhr. Viertel nach drei. Ihre Hände zitterten, als sie sich die Haare aus dem Gesicht strich.

Am Fußende des alten Bettes hob die Promenadenmischung ihrer Großmutter den Kopf und starrte sie an. Der Hund gähnte, dann bellte er ein weiteres Mal warnend.

»Komm her«, sagte Olivia und klopfte aufs Kissen. Hairy S. streckte sich. Er hatte ein zottiges, graubraun meliertes Fell mit weißen Flecken und buschige Augenbrauen, die darauf hindeuteten, dass sich in seiner Ahnenreihe ein Schnauzer befunden haben musste. Er winselte, dann kuschelte er sich in die Kissen neben Olivia. Geistesabwesend zog sie ihn näher, brauchte etwas, woran sie sich festhalten konnte. Sie zauste sein struppiges Fell und wünschte, sie könnte ihm sagen, dass alles in Ordnung war. Doch das stimmte nicht, sie wusste es. Vielleicht lag sie falsch … vielleicht war alles nur ein Traum … vielleicht … Nein, niemals. Ihr war klar, was die Bilder bedeuteten.

»Mist.«

Sie richtete sich auf. Beruhige dich. Doch sie zitterte noch immer, ihre Schläfen pochten. Hairy S. wand sich aus ihren Armen.

»Verdammt, Grannie Gin«, murmelte sie, während die Geräusche der Nacht durch das offene Fenster hereinströmten, das Rascheln des Windes in den Bäumen, untermalt vom Summen der riesigen Lastwagen auf dem in der Ferne gelegenen Freeway.

Olivia ließ den Kopf in die Hände sinken und massierte sich die Schläfen. Warum ich? Warum? Die Visionen hatten früh begonnen, doch sie waren damals unschärfer gewesen und seltener und meist dann aufgetreten, wenn ihre Mutter gerade mal bei ihnen wohnte, wenn sie gerade mal nicht verheiratet war.

Bernadette hatte nie glauben wollen, dass ihre Tochter die Gabe ihrer Großmutter geerbt hatte.

»Zufall«, hatte Bernadette Olivia oft genug erklärt, oder: »Du denkst dir das doch nur aus, um Aufmerksamkeit zu bekommen! Jetzt lass das, Livvie, und hör nicht länger auf Grandma. Sie ist nicht ganz klar im Kopf, und wenn du nicht aufpasst … Hörst du?« Bernadette hatte mit scharfer Stimme gesprochen und ihre Tochter geschüttelt, als würde sie ihr damit die Absonderlichkeiten schon austreiben. »Wenn du nicht aufpasst, erwischt es dich auch, und ich spreche – anders als Grannie – nicht von dieser lächerlichen Hellseherei, sondern vom Teufel. Satan schläft nie. Hörst du? Nie!«

Einmal hatte Bernadette ihrer ältesten Tochter mit einem langen, rot lackierten Fingernagel auf die Nasenspitze getippt. Sie waren in der Küche gewesen, hier, in Grannies Haus, wo der Geruch nach Schinkenspeck, Holzrauch und billigem Parfum an den Kiefernschränken haftete. Ein Ventilator hatte neben dem uralten Toaster auf der Anrichte gestanden und die heiße Luft in dem kleinen, kargen Raum umgewälzt.

In Olivias Erinnerung war Bernadette gerade von ihrer Tagesschicht in Charlene’s Restaurant bei dem Fernfahrerrastplatz an der Interstate zurückgekehrt. Barfuß stand sie auf dem rissigen Linoleumboden, in weißer Bluse und dem allgegenwärtigen schwarzen Kellnerinnenrock. Ein Träger ihres BHs war zu sehen, außerdem ein kleines goldenes Kreuz, das an einer Kette um ihren Hals hing und in der tiefen Spalte zwischen ihren Brüsten ruhte. »Hör mal, Kind«, hatte sie mit ernstem, eindringlichem Gesichtsausdruck gesagt. »Ich mache keinen Spaß. Der ganze Hokuspokus, das ganze Gerede über Voodoo ist nichts als Unsinn, verstehst du mich? Unsinn! Deine Großmutter bildet sich ein, irgendeine verfluchte Voodoo-Priesterin zu sein oder ähnlichen Quatsch, aber das ist sie nicht. Nur weil sich vor Ewigkeiten schwarzes Blut in unsere Linie gemischt hat, ist sie noch lange keine … keine … Hellseherin, und du bist es genauso wenig. Kapiert?«

Bernadette hatte sich aufgerichtet, ihren kurzen schwarzen Rock glatt gestrichen und geseufzt. »Natürlich ist sie das nicht«, hatte sie noch einmal wiederholt, und es hatte den Anschein, sie wolle mehr sich selbst überzeugen als Olivia. »Und jetzt geh nach draußen und dreh eine Runde auf deinem Fahrrad oder Skateboard.« Sie nahm eine offene Packung Virginia Slims von der Anrichte, schüttelte eine Zigarette heraus und zündete sie rasch an. Während ihr der Rauch aus den Nasenlöchern strömte, stellte sie sich auf die Zehenspitzen und griff in einen Oberschrank nach einer kleinen Flasche Whiskey.

»Mama hat Mordskopfschmerzen«, erklärte sie, suchte einen Tumbler, drückte Eiswürfel aus einer Plastikform und schenkte sich einen gesundheitsfördernden Drink ein, der, so hatte sie erklärt, gleichzeitig ihre Belohnung für einen anstrengenden Arbeitstag war, an dem sie die Anspielungen, Augenzwinkereien und gelegentlichen Kniffe in den Po von den Fernfahrern über sich hatte ergehen lassen müssen. Erst als sie einen Schluck genommen und sich mit der Hüfte gegen die Anrichte gelehnt hatte, wandte sie sich wieder ihrer Tochter zu. »Du bist ein merkwürdiges Kind, Livvie«, sagte sie mit einem weiteren Seufzer. »Ich liebe dich über alles, das weißt du, aber du bist anders.« Die Zigarette fest zwischen den Lippen, streckte sie die Hand aus und griff nach Olivias Kinn, drehte ihren Kopf nach links, dann nach rechts. Durch den Rauch betrachtete sie mit zusammengekniffenen Augen das Profil ihrer Tochter.

»Du bist ziemlich hübsch«, räumte Bernadette ein, streckte den Rücken durch und schnippte Asche ins Spülbecken. »Und wenn du dein Köpfchen benutzt und nicht diesen verrückten Quatsch von dir gibst, wirst du dir einen guten Mann angeln können, vielleicht sogar einen reichen. Verschreck sie also nicht mit deinem wirren Gerede, verstanden? Sonst nimmt dich kein anständiger Kerl.« Sie drehte das Glas mit dem Whiskey in den Händen und betrachtete die klirrenden Eiswürfel. »Glaub mir, ich weiß das.« Ein trauriges Lächeln trat auf ihre Lippen, auf denen nur noch ein Rest Lippenstift zu sehen war.

»Eines Tages, Liebling, wirst du es schaffen, dieses Loch hier gegen ein schickes Haus einzutauschen, genau wie Scarlett O’Hara.« Ihr Lächeln wurde breiter und entblößte gerade, unglaublich weiße Zähne. »Und dann wirst du dich um deine Mama kümmern, hörst du?«

Olivia seufzte, als sie sich an dieses Gespräch zurückerinnerte. O Mama, wenn du nur wüsstest! Olivia hätte alles dafür getan, die Dämonen in ihrem Innern zum Schweigen zu bringen. Doch in letzter Zeit waren die Träume, die sie zu verdrängen versucht hatte, mit aller Gewalt zurückgekehrt.

Seit sie wieder in Louisiana war.

Sie musste etwas wegen dieser Visionen unternehmen. Sie musste etwas wegen heute Nacht unternehmen.

Die Frau ist tot, Olivia. Es gibt nichts, was du für sie tun kannst, und niemand wird dir Glauben schenken. Das weißt du. Du hast bereits versucht, Kontakt mit den Behörden aufzunehmen. Du hast versucht, deine Familie, deine Freunde, sogar deinen verfluchten Verlobten zu überzeugen. Niemand hat dir geglaubt, und niemand wird dir jetzt glauben.

Außerdem war es ein Traum. Das ist alles. Nur ein Traum.

Langsam stand sie auf, ging, die Steppdecke ihrer Großmutter hinter sich herziehend, an die zweiflügelige Glastür zum Balkon und öffnete sie. Der Hund trottete hinter ihr her. Olivia trat in die kühle Luft des frühen Wintermorgens hinaus. Die Holzdielen fühlten sich glatt an unter ihren nackten Füßen. Der bayou lag still im sich langsam hebenden Nebel, und riesige Sumpfzypressen bewachten das träge, von Wasseradern durchzogene Sumpfland hinter dem Garten. Olivia legte eine Hand aufs Verandageländer, das abgerieben war von der Berührung so vieler Hände in den vergangenen hundert Jahren. Irgendein Geschöpf der Dunkelheit trippelte durchs Gebüsch, brachte trockene Blätter zum Rascheln und brach auf dem Weg in den bayou kleine Zweige ab. Auf Olivias Armen bildete sich Gänsehaut. Während sie über das unbewegte dunkle Wasser blickte, versuchte sie, den Traum abzuschütteln, der sich hartnäckig in ihrem Kopf hielt, sich ihr mit rasiermesserscharfen Krallen tief ins Gehirn grub.

Es war mehr als ein Alptraum.

Das wusste Olivia mit erschreckender Gewissheit. Es war nicht das erste Mal, dass sie »Zeugin« geworden war, wie jemand ums Leben kam. Im Laufe der Jahre waren diese Visionen gekommen und gegangen, doch immer wenn sie hier gewesen war, in diesem Teil des bayou country, wie Louisiana auch genannt wurde, hatten sie sie mit aller Macht überrollt. Das war einer der Gründe gewesen, weshalb sie so lange fortgeblieben war.

Nichtsdestotrotz war sie jetzt hier. Wieder einmal in Louisiana. Und die Alpträume hatten bereits begonnen, waren mit einer Heftigkeit wieder da, die sie zu Tode ängstigte. »Das ist deine Schuld«, murmelte sie, als könnte Grannie Gin – Friede ihrer Voodoo liebenden Seele – sie hören.

Olivias Finger umfassten das Geländer. So deutlich, als wäre sie selbst in dem winzigen Badezimmer gewesen, sah sie den Mörder jetzt vor sich. Rauch stieg auf, als der maskierte Priester sein Schwert hob und damit nach unten hieb, nicht einmal, sondern dreimal …

Olivia kniff die Augen zu, doch die Vision wollte nicht verschwinden. Ein Priester! Ein Mann Gottes!

Sie musste etwas unternehmen.

Jetzt.

Irgendwo war heute Nacht eine Frau umgebracht worden. Auf brutalste Art und Weise.

Aus Gewohnheit schlug Olivia rasch ein Kreuz über ihrer Brust. Dann rieb sie ihre Arme und zog die Decke fester um sich. Ein leichter Novemberwind strich durch die Baumkronen, der nasskalte Geruch des Sumpfes füllte Olivias Nasenlöcher. Sie konnte nicht so tun, als wäre nichts geschehen – selbst wenn ihr niemand glauben würde.

Hastig wandte sie sich um und ging hinein. Grannies Steppdecke wogte hinter ihr her. Hairy S. folgte ihr dicht auf den Fersen, seine Krallen klackerten über den Hartholzfußboden. Olivia trat an den Schreibtisch und knipste eine kleine Lampe an. Sie wühlte sich durch die staubigen Fächer, sortierte Stifte, Notizblätter, Fingerhüte und Gummibänder, bis sie schließlich auf das Stück Papier stieß, nach dem sie gesucht hatte: eine zerfledderte Zeitungsseite. Es handelte sich um einen Artikel aus der Times-Picayune nach der jüngsten Mordserie in der Halbmondstadt, Crescent City, wie New Orleans auch genannt wurde. In dem Bericht stand, dass ein Detective namens Rick Bentz maßgeblich an der Lösung dieser bizarren Fälle beteiligt gewesen sei. Er war der Mann, der auf eine Verbindung zwischen den Verbrechen stieß und festgestellt hatte, dass die Fäden bei Dr.Sam, Samantha Leeds, Moderatorin der Radiosendung »Midnight Confessions«, der sogenannten Mitternachtsbeichte, zusammenliefen.

Dieselbe Sendung, die Olivia heute Nacht in ihrer Vision gehört hatte.

Sie schauderte, als sie den Artikel überflog, den sie vor ein paar Monaten aus der Zeitung gerissen hatte.

Bentz und seinem Partner Reuben Montoya wurde darin Anerkennung gezollt, den »Rosenkranzmörder«-Fall gelöst zu haben. Mehrere Prostituierte waren von »Vater John«, einem Mann, der die City von New Orleans vor einiger Zeit heimgesucht hatte, auf brutale Weise ermordet worden. Vater John. Der Mörder, der besessen gewesen war von Dr.Sam und ihrer Sendung, ein Sadist, der seine Opfer gezwungen hatte, rote Perücken zu tragen, damit sie so aussahen wie Dr.Sam, der vorab verfasst hatte, was die armen Frauen zu sagen hatten, und der darauf beharrte, dass sie Buße taten für ihre Vergehen … Genauso wie es der Priester in ihrer Vision getan hatte, als er verlangte, dass sein Opfer um Gnade und Vergebung flehte.

Olivias Blut gefror zu Eis.

Zunächst ein Mann, der sich selbst »Vater John« nannte, und jetzt ein Priester.

Sie musste mit Detective Bentz reden. Und zwar sofort. Niemand anders auf der Polizeistation hatte ihr wirklich zugehört – alle hatten sie bloß als Irre abgetan. Aber sie war den Spott gewohnt. Vielleicht war Rick Bentz anders. Vielleicht würde er ihr zuhören.

Er musste ihr zuhören.

Sie ließ die Decke fallen und griff nach ihrer Jeans und einem Sweatshirt, das sie über den Bettpfosten gehängt hatte, dann nahm sie eine Schachtel Ibuprofen vom Nachttisch. Sie schluckte zwei Tabletten und hoffte, sie würden ihr Kopfweh mildern. Sie musste klar denken können, wenn sie erklärte, was …

Olivia warf sich den Riemen ihrer Handtasche über die Schulter, schlüpfte in die Mokassins und rannte die Treppe hinunter. Hairy S. flitzte ihr nach. Als sie an dem Bücherregal im Erker an der Eingangstür vorbeistürmte, verspürte sie einen Luftzug – einen kalten Hauch auf ihrer Haut, etwas Böses.

Abrupt blieb sie stehen. Blickte aus dem Fenster. Der Hund knurrte, die Haare in seinem Nacken sträubten sich. Wieder hörte sie durch das geöffnete Fenster das Rascheln von trockenen Blättern und den Wind, der durch die morschen Zweige fuhr. War es Einbildung, oder befand sich jemand da draußen … lauerte in der Dunkelheit?

Angst durchfuhr sie. Sie ging ans Fenster, spähte durch den Nebel hinaus in die Finsternis, doch sie sah niemanden. Die Nacht war plötzlich still, der Wind hatte sich gelegt.

Sie warf das Fenster zu, verriegelte es und schloss die Vorhänge. Jetzt war nicht die Zeit für Spukereien. Doch auf Höhe des Bücherregals fühlte sie es erneut: einen eiskalten Schauder.

Du reagierst hysterisch. Hör auf damit, Livvie!

Ihr Atem ging flach, die Härchen auf ihren Armen stellten sich auf, und ihr war, als befände sich jemand mit ihr im Zimmer. Sie fing ihr Abbild in dem Spiegel neben dem Bücherregal auf und schauderte. Ihr Haar war durcheinander und ungekämmt, ihr Gesicht blass unter den Sommersprossen, ihre Lippen schienen blutleer. Sie sah so verängstigt aus, wie sie sich fühlte.

Trotzdem … Sie musste gehen. Olivia fasste in ihre Handtasche und griff nach dem Schlüsselring, nahm den längsten, schärfsten Schlüssel zwischen die Finger, als wäre er eine Waffe, dann ging sie zur Haustür. Hairy S. folgte ihr, den Schwanz zwischen die Hinterbeine geklemmt.

»Du musst hierbleiben«, beharrte sie, doch als sie die Tür öffnete, sauste der kleine Mischling hinaus und durch die herabgefallenen Blätter zu ihrem zerbeulten Ford Ranger. Olivia schloss die Haustür hinter sich, blickte über die Schulter und lief zur Auffahrt, wo der Hund winselnd an dem Wagen hochsprang. »Na schön, hüpf rein.« Sie öffnete die Fahrertür, und Hairy S. hechtete auf seinen Lieblingsplatz neben der Beifahrertür, wo er seine kleinen Füße aufs Armaturenbrett stemmte und mit heraushängender Zunge hechelte. »Das wird keine Spazierfahrt«, sagte Olivia, während sie zurücksetzte, um zu wenden. Die Scheinwerfer strahlten in die Dunkelheit. Niemand lauerte in den Schatten, keine finstere Gestalt versteckte sich hinter den Korbmöbeln auf der Veranda. Vielleicht hatte ihr ihre blühende Phantasie mal wieder einen Streich gespielt.

Das musste es sein. Doch ihr Herz hämmerte immer noch wie wild.

Sie legte den Gang ein. Rumpelnd schoss der Ranger nach vorn und ließ den Kies aufspritzen. Die von Sumpfzypressen und kleinen Palmen gesäumte Zufahrt war lang und gewunden und führte über eine kleine Brücke auf die Hauptstraße.

Bis New Orleans dauerte es mit dem Wagen gut zwanzig Minuten. Sie fuhr mit erlaubter Höchstgeschwindigkeit, doch sie wollte keinen Ärger mit der Polizei bekommen. Nein. Sie wollte Bentz. Er war sicher noch nicht im Dienst, aber sie würde warten. So lange es eben dauerte.

Auf der Straße Richtung Süden sah sie einen Lichtschimmer am Horizont auflodern – einen blassorangefarbenen Schleier, der durch den dichten Baumbestand entlang der Straße zu erkennen war.

Sie verspürte einen Knoten im Magen.

Das Feuer.

Lieber Gott.

Noch vor den Feuerwehrleuten oder der Polizei wusste sie, dass sich irgendwo in dem höllischen Inferno der Leichnam einer Frau befand – der Frau, die sie in ihrer Vision gesehen hatte.

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Kapitel drei

Oh, oh.« Reuben Montoyas Stimme klang wie eine Unheil verkündende Totenglocke.

Bentz blickte von dem Stapel Papiere auf, als sein Partner, bewaffnet mit zwei Pappbechern voll Kaffee, durch die halb offene Tür seines Büros schlüpfte.

Er reichte Bentz einen Becher, dann lehnte er sich gegen den Aktenschrank und ließ den Blick durch die Tür und vorbei an dem Labyrinth aus Großraumarbeitsnischen und Schreibtischen zum Treppenhaus wandern.

»Was ist?«, fragte Rick hinter dem Papierberg hervor, der niemals kleiner zu werden schien. Verbrechen war ein großes Geschäft in New Orleans.

»Ärger.«

»Es gibt immer Ärger.«

»Nein, du verstehst mich nicht, die Verrückte ist wieder hier.«

»Wieder?«, hakte Bentz nach und blickte durch die offene Tür, um das Objekt von Montoyas Interesse in Augenschein zu nehmen: eine zierliche Frau mit ungebändigten goldenen Locken, die Zielstrebigkeit ausstrahlte. In verblichenen Jeans und einem Sweatshirt der New Orleans Saints, das schon bessere Tage gesehen hatte, marschierte sie schnurstracks auf Bentz’ Büro zu.

»Sie hat Brinkman angerufen und behauptet, sie sei eine Hellseherin, die Morde sieht, bevor sie stattfinden«, erklärte Montoya.

»Und was hat Brinkman gesagt?«

»Was er immer sagt: ›Unsinn.‹ Er glaubt nicht an so einen Scheiß.«

In diesem Augenblick kam sie in den Raum gestürmt. Ihre geröteten Wangen und das vorgereckte Kinn drückten zornige Entschlossenheit aus. Ihre Augen, die von der Farbe edlen Malt Whiskeys waren, durchbohrten Bentz.

»Detective Bentz?«, fragte sie ohne einen Blick in Montoyas Richtung.

»Ja. Der bin ich.«

»Gut. Ich muss mit Ihnen reden.«

Bentz erhob sich halb und deutete auf Montoya. »Das ist Detective Reuben Montoya, mein Partner.«

»Reuben D. Montoya. Ich nenne mich Diego«, fügte Montoya hinzu.

Bentz hob eine Augenbraue. Diego? Seit wann denn das? Oh … seit eine schöne Frau das Zimmer betreten hatte. Montoya mochte diese Frau vielleicht für eine Irre halten, doch das minderte keinesweg sein Interesse an ihr – natürlich nicht –, es war der typische Modus Operandi seines jüngeren Partners, wann immer eine gutaussehende Frau in der Nähe war. Offenbar unabhängig von ihrem mentalen Zustand – und seinem gestrigen Gerede über Monogamie zum Trotz. Montoyas männlicher Radar war immer in Alarmbereitschaft. Doch diese Frau warf kaum einen zweiten Blick in seine Richtung.

Bentz streckte ihr die Hand entgegen. »Ich habe in der Times-Picayune über Sie gelesen«, sagte sie.

Großartig. Noch eine Bürgerin, die ihn für einen gottverdammten Helden hielt. Obwohl man ihr zugutehalten musste, dass sie ihren Blick geradewegs auf Bentz gerichtet hielt und Montoyas Flirtversuch keinerlei Beachtung schenkte. Ihr Griff war überraschend fest. »Sie sollten nicht alles glauben, was Sie lesen.«

»Keine Sorge, das tue ich nicht.«

Er bedeutete ihr, Platz zu nehmen. »Was haben Sie auf dem Herzen?«

»Einen Mord.«

Zumindest redete sie nicht um den heißen Brei herum. Er zog einen Notizblock unter einem Stapel halbfertiger Berichte hervor. »An wem?«

»An einer Frau.« Sie ließ sich auf den Stuhl fallen, und er bemerkte die dunklen Ringe der Erschöpfung unter ihren Augen, die kleinen Fältchen in ihren Mundwinkeln. Ein schwacher Duft nach Jasmin war mit ihr ins Zimmer geweht. »Er hat sie Cecilia genannt, doch sie sagte, so heiße sie nicht … und ihren richtigen Namen hat sie ihm nicht gesagt.«

»Wem?«

»Dem Mörder«, erklärte sie und starrte Rick an, als wäre er schwer von Begriff.

»Warten Sie – noch mal von vorn. Sie sind Zeugin des Mordes an einer Frau geworden, ist das richtig? Sie waren vor Ort?«, erkundigte er sich.

Sie zögerte, bevor sie antwortete. »Nein.«

»Nein?«

»Aber ich habe den Mord gesehen.«

Wunderbar. Genau das, was er für einen guten Start in den Tag brauchte. Bentz klickte mit seinem Kugelschreiber. »Wo hat der Mord stattgefunden, Miss –?«

»Benchet. Ich bin Olivia Benchet, und ich weiß nicht, wo der Mord stattgefunden hat … aber ich habe jemanden gesehen, eine Frau um die fünfundzwanzig, schätze ich, die ermordet wurde.« Olivia wurde blass und schluckte. »Sie … sie hatte schulterlanges blondes Haar, blaue Augen, ein paar Sommersprossen und ein herzförmig geschnittenes Gesicht. Sie war dünn, aber nicht mager … in … in guter Form, als würde sie Sport machen oder … o Gott.« Olivia schloss die Augen, atmete tief und zittrig ein, dann stieß sie langsam die Luft aus. Eine Sekunde später öffneten sich ihre Lider, und sie wirkte ruhiger, als hätte sie sich wieder unter Kontrolle. Erneut stieg Bentz der Duft nach Jasmin in die Nase.

»Warten Sie einen Augenblick. Wir gehen das besser noch einmal durch. Sie haben gehört, wie er ihren Namen genannt hat, und Sie haben gesehen, wie er eine Frau umgebracht hat, aber Sie waren nicht dort?«

Verdammt. Montoya hatte es gewusst – wie das Grinsen bezeugte, das sich auf seinen Lippen ausbreitete und Bentz stets an die Grinsekatze aus Alice aus dem Wunderland erinnerte.

»Das ist richtig.«

»Haben Sie das in einem Film gesehen?«

»Nein«, sagte die Frau und danach: »Ich denke, ich sollte etwas erklären.«

Das wäre ein guter Anfang.

Sie beugte sich auf ihrem Stuhl vor, und dann, als versuchte sie, etwas zu fassen zu bekommen, öffnete und schloss sie die Handflächen.

Jetzt kommt es, dachte Bentz. Der Punkt, an dem sich alles in Wohlgefallen auflöst, während sie noch versucht, uns davon zu überzeugen, dass diese haarsträubende Geschichte wahr ist.Sie war – genau wie Montoya gesagt hatte – zweifelsohne durchgeknallt.

»Ich bin mitunter in der Lage, Dinge zu sehen, unmittelbar bevor oder während sie passieren. In meinem Kopf. Selbst wenn ich nicht vor Ort bin. Ich weiß, das klingt bizarr, sogar verrückt, aber es ist die Wahrheit.«

»Sie sind eine Hellseherin.« Oder eine Irre.

»Ich weiß nicht, ob man das so sagen kann. Ich persönlich denke, dass ich über ASW verfüge.«

»Über was?«

»ASW. Außersinnliche Wahrnehmung. Es kommt und geht. Letzte Nacht, als ich geschlafen habe, war es sehr echt. Ich meine, ich war dort.«

Du liebe Güte, das wurde ja immer besser. Sie hatte geschlafen. Großartig. »Dann haben Sie also geträumt.«

»Es war mehr als das.«

»Und werden alle Ihre Träume wahr?«

»Nein, natürlich nicht!« Sie machte eine ungeduldige Handbewegung. »Ich habe Ihnen bereits gesagt, dass mir klar ist, wie verrückt das klingt, aber lassen Sie mich doch einfach mal ausreden! Und bitte, fällen Sie kein vorschnelles Urteil. Ich sage Ihnen, dass diese ›Träume‹, wenn Sie sie so nennen wollen, anders sind. Ich kann es nicht erklären. Sie sind unglaublich real. Und gleichzeitig surreal.«

Das kann ich mir vorstellen. Bentz rieb sich den Nacken und betrachtete sie. Sie wirkte ernst. Sie log nicht. Was immer sie ihnen hier verklickern wollte – sie selbst glaubte jedes Wort davon.

»Ich bin aufgewacht und habe den Rauch gerochen, die Hitze gespürt, ihre Hilfeschreie gehört. Ich meine, ich war dort. Nicht körperlich, aber …«

»Spirituell?«, bot er an.

»Geistig. Oder telepathisch?«, schlug Montoya vor.

»Wie immer Sie es nennen wollen«, sagte sie und klang verärgert.

»Ich kann es nicht benennen.«

»Ich auch nicht«, gab sie zu.

Weil es nicht zu benennen ist.

»Mir ist klar, dass Sie es gewohnt sind, mit Tatsachen zu arbeiten. Nüchternen, handfesten Beweisen. Aber sicher haben Sie doch schon mit einem Medium oder mit Menschen gearbeitet, die über eine andere Wahrnehmungsebene, vielleicht sogar hellseherische Fähigkeiten verfügen. Ich habe von Polizeidezernaten gehört, die bei der Lösung besonders schwieriger Fälle auf die Hilfe medial veranlagter Personen zurückgreifen.«

»Das geschieht dann, wenn ihnen die handfesten Beweise ausgehen«, sagte Bentz. »Wenn sie eine Leiche oder vermisste Person haben und sämtliche konventionellen Möglichkeiten ausgeschöpft sind.«

»An diesem Fall ist nichts konventionell.«

»Amen«, sagte Montoya, und sie warf ihm einen scharfen Blick über die Schulter zu.

»Meine Großmutter hat diese Gabe nicht an meine Mutter weitergegeben, aber an mich.« Ihre Lippen verzogen sich zu einem schiefen, selbstironischen Lächeln. »Ich Glückliche.« Plötzlich traten Falten auf ihre glatte Stirn, ihre Augenbrauen zogen sich zusammen, und sie lehnte sich erschöpft zurück.

»Es ist vererblich?«

»Ich weiß es nicht. In meiner Familie passiert es eben. Und es kommt nicht ausschließlich nachts in Träumen vor. Manchmal passiert es auch mitten am Tag, während ich über die Interstate fahre.«

»Könnte gefährlich sein.«

»Das stimmt, es ist gefährlich. Und es ist … eine Riesenqual, anderen Leuten davon zu erzählen und zu versuchen, es ihnen verständlich zu machen. Sie dazu zu bringen, mir zu glauben.«

»Es ist eine gewaltige Überwindung für die meisten von uns Normalsterblichen«, pflichtete ihr Bentz bei.

Hinter ihr gab sich Montoya alle Mühe, sich nichts anmerken zu lassen, aber das Funkeln in seinen dunklen Augen sprach Bände. Er nahm einen Schluck Kaffee.

»Es klingt verrückt, das habe ich doch bereits zugegeben«, sagte Olivia. Sie wirkte so zart und fehl am Platz auf der Polizeistation, die, wenngleich es noch nicht acht Uhr am Morgen war, einem Bienenkorb glich. Durch den Türspalt sah Bentz Beamte und Zivilpersonen, hörte Gesprächsfetzen und gedämpftes Gelächter und beobachtete, wie mehr als ein Verdächtiger zur Aussage vor einen der Schreibtische geführt wurde. Diese Frau gehörte nicht hierher.

Sie sackte auf ihrem Stuhl zusammen und rieb sich die Schultern, als wäre ihr kalt bis auf die Knochen, obwohl es im Raum stickig war und so heiß, dass Bentz das Fenster geöffnet hatte. Die Geräusche der erwachenden Stadt drangen herein – Autos fuhren mit summenden Reifen vorbei, Motoren dröhnten, Tauben gurrten und schlugen auf einem höhergelegenen Sims mit den Flügeln.

Olivia strich sich mit ihren langen Fingern übers Kinn. »Ich hätte nicht hierherkommen sollen«, sagte sie wie zu sich selbst. »Ich wusste, dass Sie mir nicht glauben würden … aber ich musste es versuchen.«

»Detective Montoya, vielleicht könnten Sie einen Kaffee für Ms. Benchet besorgen?«

»Das ist nicht nötig«, widersprach sie, aber Montoya war bereits zur Tür hinaus.

Olivia beugte sich vor, als könnte sie Rick nun, da sie allein waren, vertrauen. »Sie müssen mir glauben, Detective Bentz. Eine Frau ist heute in den frühen Morgenstunden ermordet worden. Bestialisch. Ich habe es gesehen.«

»Auch wenn Sie nicht dort waren.«

»Das ist richtig. Ich habe es mit meinem inneren Auge gesehen.«

»Während Sie geschlafen haben.«

»Es war kein Traum!«, beharrte sie mit Nachdruck, weniger verärgert als vielmehr verzweifelt. »Ich kenne den Unterschied.« Montoya kehrte mit einem Pappbecher Kaffee zurück. »Der Priester hat sie gefoltert und …«

»Der Priester?«, unterbrach Montoya sie und reichte ihr die Tasse. Seine anmaßende Arroganz bröckelte. »Der Mörder war ein Priester?«

»Ja. Er trug einen Ornat. Eine Soutane.«

Ein missmutiger Ausdruck trat auf Bentz’ Gesicht, als ihm klarwurde, warum sie sich an ihn gewandt hatte. Er ließ den Kugelschreiber aufs Papier sinken und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Lassen Sie mich raten. Sie haben gelesen, dass Montoya und ich im letzten Sommer den Fall mit dem selbsternannten katholischen Geistlichen gelöst haben, deshalb dachten Sie, wir würden darauf anspringen. Weil wir ja sozusagen Experten auf diesem Gebiet sind und Sie einen Priester gesehen haben.« Er versuchte, nicht sarkastisch zu klingen.

»Das hatte ich gehofft«, gab sie zu und blickte dabei so unschuldig drein, dass er den unerwarteten Drang verspürte, ihr zu glauben. Doch er wusste es besser.

»Oh, ich verstehe«, sagte sie, und ihre bernsteinfarbenen Augen sprühten. »Sie glauben, ich hätte darüber gelesen, und weil ich nichts Besseres zu tun habe, bin ich mal eben mit einer wilden Geschichte über einen Priester hereingeplatzt, um mir ein bisschen Aufmerksamkeit zu sichern, meine ›fünfzehn Minuten oder Sekunden an Ruhm‹?«

Er gab keine Antwort.

»Also wirklich, wer würde denn so etwas tun?«

»Ms. Benchet …«

»Sparen Sie sich die gönnerhafte Tour. Mir ist durchaus bewusst, wie eigenartig sich meine Geschichte anhört, das können Sie mir glauben, aber ich habe diesen Mord gesehen, und zwar so deutlich, als wäre ich selbst in dem kleinen Badezimmer gewesen!«

»Im Badezimmer?«, fiel ihr Montoya erneut ins Wort.

»Dort ist es passiert. Dort hat ein Priester, ein Mann, der sein Leben angeblich Gott geweiht hat, eine Frau umgebracht, die er zuvor ans Waschbecken gekettet hatte.«

Montoya zog eine Augenbraue hoch. »Also, Ms. Benchet …«

»Nennen Sie mich bitte Olivia.«

»Nun, Ms. Benchet – Olivia –, haben Sie den Mörder erkannt?«

»Nein.« Sie schüttelte den Kopf und biss sich auf die Unterlippe. »Er trug eine Maske – eine Art schwarze Skimaske, die seinen Kopf ganz bedeckte.«

»Wir haben also einen Priester mit einer Maske«, wiederholte Bentz.

»Ja!« Ihre Augen blitzten zornig.

»Und dieser Mord, den Sie beobachtet haben, obwohl Sie nicht vor Ort waren, hat in einem Badezimmer stattgefunden?«

»Ich habe Ihnen bereits gesagt, dass die Frau ans Waschbecken gefesselt war und …« Sie schauderte. »Gott, war das schrecklich! Die Flammen schlugen aus der Lüftung, doch das schien ihn nicht zu kümmern. Es hatte den Anschein, als habe er damit gerechnet. Aber das ist noch nicht alles.«

»Nein?« Bentz fürchtete, was wohl noch kommen mochte.

»Nein. Er hatte ein Schwert«, flüsterte sie mit zusammengekniffenen Augen, als wollte sie die schreckliche Erinnerung wenigstens optisch aussperren. Sie zitterte sichtlich. »Er hat es dreimal auf ihren gebeugten Nacken niederfahren lassen.«

»Du lieber Himmel!«, murmelte Montoya.

Unter Olivia Benchets geschlossenen Lidern quollen Tränen hervor. Sie blinzelte. Entweder war sie eine höllisch gute Schauspielerin, oder sie glaubte selbst an ihre Lügen. »Es war – es war schrecklich. Einfach entsetzlich.«

Bentz blickte Montoya an und kramte nach einer Packung Taschentücher, die er Olivia reichte. Sie zog eins heraus und wischte sich verlegen die Augen. »Es tut mir leid.«

»Machen Sie sich deswegen keine Gedanken«, sagte Bentz. Er beschloss, sich genau ans Protokoll zu halten und ihre Aussage vorschriftsgemäß aufzunehmen. Nur für den Fall. Verrückt oder nicht, sie war zu Tode erschrocken. »Noch mal von vorn. Ich zeichne Ihre Aussage auf, falls Sie keine Einwände haben.«

»Bitte, gern … was auch immer.« Sie zuckte mit den Schultern, als kümmerte es sie nicht, was er tat, dann nahm sie einen kleinen Schluck von ihrem Kaffee. Bentz stellte den Rekorder auf, legte ein leeres Band ein und drückte auf Aufnahme. »Zweiundzwanzigster November, Befragung von Olivia Benchet durch Detective Rick Bentz und Detective Reuben Montoya.« Er richtete das Mikrophon so aus, dass sie gut hineinsprechen konnte, und sagte: »Und nun, Ms. Benchet, buchstabieren Sie bitte Ihren Namen und nennen Sie mir Ihre Adresse …«

Während das Band lief und er sich zusätzlich Notizen machte, hielt Olivia ihren Kaffeebecher fest in der Hand und sprach mit leiser, ruhigerer Stimme. Sie erzählte, dass sie außerhalb der Stadt lebte, im Sumpfland, und nannte ihm ihre Adresse und Telefonnummer, außerdem den Namen des Geschäfts, in dem sie arbeitete – das Third Eye in unmittelbarer Nähe des Jackson Square. Bevor sie vor ein paar Monaten nach Louisiana gezogen war, um sich um ihre kranke Großmutter zu kümmern, hatte sie in Tucson gelebt.

Auf Bentz’ Drängen hin wiederholte sie vieles von dem, was sie bereits gesagt hatte, erzählte von ihrer »Vision« ein paar Stunden zuvor und behauptete, dass sie sicher war, einen Priester »gesehen« zu haben, der eine nackte Frau in einem Raum voller Rauch an ein Waschbecken gekettet hatte. Die Frau habe immer wieder um Gnade gefleht.

Bald war ihre Stimme nur noch ein leises Flüstern, fast ein Summen, als befände sie sich in einer Art Trance, weit fort von Bentz’ kleinem Büro mit den Aktenstapeln, dem überquellenden Papierkorb und dem Schwertfarn, der den Boden mit trockenen, zusammengerollten Wedeln übersäte.

»… nachdem er sichergestellt hatte, dass die richtige Musik im Radio lief, irgendeine Hymne, nahm er das Schwert.« Wieder beschrieb sie, wie er es dreimal geschwungen hatte. »Ich habe gespürt, dass er in Eile war, vermutlich wegen des Feuers oder weil er Angst hatte, erwischt zu werden. Doch als er fertig war, als die Flammen aus der Lüftung schlugen, nahm er sich noch die Zeit, in seiner Tasche zu wühlen. Er zog eine Kette oder sonst einen Halsschmuck hervor und hängte ihn über den Duschkopf. Im Radio wurde merkwürdige Musik gespielt, und der Rauch war so dicht, dass ich kaum etwas sehen konnte, aber ich denke, er zog sich die Soutane aus und ließ sie dort.«

»Dann war er also nackt?«, unterbrach Montoya sie. Er lehnte am Türrahmen, die Arme über der Brust verschränkt, den vergessenen Kaffeebecher in der Hand. »Konnten Sie irgendetwas erkennen, womit wir ihn identifizieren könnten? Tätowierungen oder Muttermale oder Leberflecken …«

»Er war nicht nackt. Er trug eine Art Neoprenanzug oder so ein enges Ding für Radfahrer, ganz in Schwarz. Und eine Skimaske, die seinen ganzen Kopf bedeckte.«

»Handschuhe?«, hakte Montoya nach. »Ja.« Ein Muskel zuckte an Olivias Kinn, und sie blickte durch das offene Fenster. »Ich denke … ich habe das unheimliche Gefühl …, dass er irgendwie gewusst oder gespürt hat, dass ich ihn beobachte.«

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Kapitel vier

Eine Irre. Schlicht und einfach. Er hasste es, so von ihr zu denken, weil sie so überzeugt wirkte von dem, was sie ihnen erzählt hatte, aber Bentz beschloss, dass Montoya recht hatte. So faszinierend sie auch war – Olivia Benchet war unzurechnungsfähig. Hübsch, mit ihren wirren blonden Locken und den vollen Lippen, aber unzurechnungsfähig. Da saß sie vor ihm, abwechselnd klein und verletzlich, dann wieder zornig und hartnäckig und verzweifelt darauf bedacht, dass er ihr die Geschichte abkaufte.

Bislang tat er es nicht.

»Dieser Priester beziehungsweise Killer … Woher wusste er, dass Sie ihn beobachten? Hat er Sie gesehen?«, fragte Reuben.

»Ich weiß es nicht. Ich kann es nicht erklären, aber ich schwöre, dass er mich angeblickt hat.«

»Wie konnte er Sie sehen?«, beharrte Montoya. »Sie waren nicht da, richtig? Sie waren im Haus Ihrer Großmutter … es war also gewissermaßen ein diffuser Traum.«

»Da war Rauch, doch ich konnte hindurchblicken. Ich hatte das Gefühl, durch Glas oder durchsichtiges Plastik zu sehen, vielleicht durch ein Fenster …« Sie stieß einen entmutigten Seufzer aus, stellte ihren nicht leergetrunkenen Kaffeebecher auf den Schreibtisch, dann strich sie sich eine widerspenstige Haarsträhne aus der Stirn. »Ich stelle fest, dass Sie mir nicht glauben wollen. Dass es einfacher wäre, ich würde einfach verschwinden, aber ich weiß, dass dieser Mord passiert ist.« Sie sah Bentz direkt in die Augen. »Darauf wette ich mein Leben.«

Bentz blickte auf den Notizblock vor ihm. Er hörte das Klingeln von Telefonen, das Summen von Gesprächen und die klackernden Tastaturen aus dem Großraumbüro. Obwohl er überzeugt war, seine Zeit zu verschwenden, beschloss er, Olivia ausreden zu lassen. »Na schön. Machen wir weiter. Sie haben gesagt, der Priester habe seine Kleidung abgelegt. Was passierte dann? Wohin ist er gegangen?«

»Er ist hinausgegangen. Durch die Badezimmertür.«

»Sie sind ihm nicht gefolgt?«

»Das konnte ich nicht. So funktioniert das nicht.«

»Wie funktioniert es dann?«

»Ich wünschte, ich wüsste es. Für gewöhnlich bekomme ich nur flüchtige Eindrücke – Bruchstücke – und die zusammenzusetzen ist ganz schön schwer. Diese Geschichte hier war vollständiger, aber … aber dann … bin ich aufgewacht.«

Wie praktisch,dachte Bentz, doch er sagte zunächst nichts, und als er wieder das Wort ergriff, versuchte er, nicht skeptisch zu klingen. »Können Sie sich noch an etwas anderes erinnern? Gab es zum Beispiel irgendetwas Bezeichnendes, das uns helfen könnte, das Haus oder die Wohnung zu finden, in der es passiert ist?«

»Das Gebäude stand in Brand«, sagte Olivia schnippisch. »Ich denke, das engt die Suche ein wenig ein.«

Bentz ließ sich nichts anmerken. »Sind Sie sicher, dass es in New Orleans war?«

»Das Radio lief. Ich habe eines der Programme erkannt. Also muss es hier in der Gegend gewesen sein, außerdem – auch das kann ich nicht erklären – habe ich gefühlt, dass es in der Stadt oder ganz in der Nähe ist … o Gott.« Sie seufzte und schüttelte den Kopf. »Sie glauben mir immer noch nicht, oder?«

»Ich ordne nur das, was Sie sagen, und versuche, die Fakten herauszufiltern.« Ob absichtlich oder nicht, die Frau ging ihm unter die Haut. In der einen Minute wusste sie sicher, was sie gesehen hatte, in der anderen gab sie zu, dass es verrückt klang. In einem Augenblick war sie den Tränen nahe, im anderen außer sich vor Zorn. Er hätte ihr gern ein Dutzend Fragen gestellt, aber er wollte sie nicht damit überfahren. Wenn sie tatsächlich log, verließ er sich lieber auf das alte Sprichwort: Gib ihr genug Leine, und sie hängt sich damit auf.

»So«, sagte Bentz bedächtig, »alles, was Sie wissen, ist, dass jemand ermordet wurde, enthauptet von einem Priester, den Sie nicht identifizieren können, in einem Gebäude, das Sie nicht beschreiben können, und dennoch glauben Sie, dass es hier passiert ist. In New Orleans.«

Olivia blickte auf ihre Hände. »Ja. Ich – ich kann Ihnen nicht den genauen Tatort nennen, aber ich weiß, dass es heute Morgen passiert ist.«

»Weil Sie zu der Zeit davon geträumt haben.«

Ihre Wangen röteten sich. »Nein … ich vermute, dass die Visionen zeitgleich sind mit den realen Geschehnissen, aber ich bin mir nicht sicher. Allerdings, Detective, habe ich zuvor erwähnt, dass in dem verfluchten Badezimmer das Radio lief und dass Dr.Sam, die Moderatorin des Late-Night-Programms ›Midnight Confessions‹, darüber sprach, dass es ein bedeutender Jahrestag in unserer Geschichte sei, der Tag, an dem Präsident Kennedy erschossen wurde. Das ist heute, der zweiundzwanzigste November.«

»Stimmt«, bestätigte Montoya.

»Dann ist das also wichtig?«

»Ich weiß es nicht.«

»Hören Sie«, sagte sie mit funkelnden Augen und stieß einen Finger direkt in seine Richtung. »Ich bin schon einmal hier gewesen. Ich habe mit Detective Brinkman gesprochen, und er hat mich einfach abgewimmelt, aber als ich von Ihnen beiden gelesen habe, dachte ich, Sie wären vielleicht anders. Sie könnten mir helfen. Könnten einen Weg finden zu verhindern, dass sich so etwas wie letzte Nacht wiederholt.«

»Vorausgesetzt, es ist tatsächlich etwas passiert.«

»Das ist es, Detective. Das schwöre ich beim Grab meiner Großmutter.« Ihr Gesicht war jetzt tiefrot, und sie schob energisch das Kinn vor.

»Möchten Sie uns sonst noch etwas mitteilen?«, fragte Bentz, und sie stieß einen langen Seufzer aus.

»Nein. Mehr weiß ich im Augenblick nicht.«