4,99 €
Die schüchterne Evie wird von Elise zu einem Treffen mit deren Freundinnen eingeladen. Als Neue in der Runde ist sie redlich bemüht, nirgendwo anzuecken. Daria dagegen drückt anderen mit Vergnügen ihre Meinung auf. Während sie liebend gern Männer um ihre Finger wickelt, tut Elise dasselbe mit Wolle, denn plötzlich hat sie einen triftigen Grund, ihr Strickzeug auszupacken. Nelly ärgert sich derweilen mit den tollpatschigen Missgeschicken ihres Chefs herum, der ihr überraschend ein unerwartetes „Geschenk“ macht.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2019
Nelly lief quer über den Parkplatz in Richtung des Büros, als ihr Chef eilig seine Autotür aufstieß.
„Gut, dass ich Sie hier draußen treffe! Sie können mir gleich helfen, ein paar Sachen hochzutragen.“ Er wollte aussteigen, schnellte jedoch ruckartig zurück in seinen Sitz. Er hatte vergessen, sich abzuschnallen. Er vergaß das immer.
Nachdem er sich aus seinem Gefährt befreit und dann eine Weile im selbigen herumgekramt hatte, überreichte er ihr einen Aktenkarton, gleich darauf einen zweiten und stellte obenauf noch einen Kaktus. Der alte war ihm eingegangen.
Er selbst nahm zwei weitere Kisten an sich und schloss dann, da er kaum eine Hand freibekommen konnte, sehr umständlich den Kofferraum. Auf dem Boden abstellen wollte er die Akten nicht. Sie hätten ja von unten her schmutzig werden können.
„Oh, soll ich Ihnen den Kaktus vielleicht wieder abnehmen?“, fragte er, als sie die Treppe bereits zur Hälfte bewältigt hatten.
„Nein, nein, es geht schon.“
Er war mehr als tollpatschig und sie stets bemüht, das daraus resultierende Chaos zu verhindern. Und wenn es sich heute am besten dadurch verhindern ließ, dass sie den Kaktus selbst trug, dann trug sie den Kaktus bereitwillig selbst.
Trotzdem, auch wenn sie sich noch so viel Mühe gab: Ihre alltäglichen kleinen Katastrophen zu umgehen, gelang ihr zur Gänze nur selten.
Kaum im Büro angekommen griff ihr Chef nach dem Blumentopf, um ihn dort zu deponieren, wo auch der alte gestanden hatte, vergaß dabei aber offensichtlich, dass er nicht mehr als zwei Arme besaß und deshalb zunächst die Aktenkartons hätte absetzen müssen. Zu versuchen, sie mit nur einer Hand zu umklammern, während er die andere samt Topf in Richtung Fensterbank streckte, erwies sich als äußerst unklug.
„Halt! Hier geblieben!“
Hastig knallte er den Kaktus hin, griff mit der nun wieder freien Hand nach den beiden ihm entgleitenden Kisten und versuchte, sie abzufangen, noch bevor sie den potenziell dreckigen Fußboden berührten – was ihm nicht gelang.
Mit beschämt roten Wangen bückte er sich nach den an der einen oder anderen Ecke nun etwas verbeulten Dingern, hievte sie in die Höhe und stellte sie auf dem Schreibtisch ab.
Nelly biss sich auf die Lippen und versuchte, ein unbeteiligtes Gesicht zu machen. Der tölpelhafte arme Mann sollte nicht glauben, dass sie sich auf seine Kosten amüsierte.
Murmelnd öffnete er die untere Tür seines Aktenschranks. „Also, diese hier, die kommen hier rein“, dachte er laut, unterbrach sich aber gleich darauf selbst. „Ach, Quatsch, nein! Die, die Sie da haben, die kommen hier ...“ Er stockte, schien zu überlegen. „Zeigen Sie mal! Welche haben Sie da?“
Nelly kam näher, er zog eine Akte aus dem oberen Karton und las ein paar Zeilen.
„Ah, ja, dachte ich mir. Die können Sie erstmal abstellen. Es sind doch die anderen, die hier unten rein kommen.“
Er griff nach dem richtigen Karton und deponierte ihn dort, wo er hingehörte.
„Ja, was ist denn ...?“, begann er und fasste sich an die Hemdtasche. „Wo ist denn jetzt ...?“
„Suchen Sie was?“
„Ja, meinen Autoschlüssel. Hab ich den stecken lassen?“
„Nein, den hatten Sie in der Hand.“
„Sicher?“
„Ganz sicher.“
Er guckte unter den Tisch – vielleicht war er ja runtergefallen –, und klopfte dann noch einmal seine Taschen ab. Nichts.
„Ach, und mein ... Ähm ... Könnten Sie mich bitte mal anrufen?“
Nelly verstand nicht gleich. „Wie? Jetzt? Hier?“
„Ja“, nickte er, „mein Telefon ist nämlich auch weg.“ Er kratzte sich nachdenklich an der Schläfe. „Oder hab ich das am Ende zuhause vergessen?“
„Moment.“ Sie öffnete ihre Handtasche, hatte im Gegensatz zu ihm ihr Handy sofort gefunden und wählte.
Dann schwiegen sie. Lauerten. Lauschten.
Es klingelte aus Richtung der Fensterbank.
„Ah ja, hier ist es. Und der Schlüssel auch.“ Recht selbstzufrieden streckte er die Hand danach aus. Er musste beides wohl gemeinsam mit dem Kaktus dort hingepfeffert haben, als er die Kartons zu retten versuchte.
„Au! Tshhhh! Ah!“
„Haben Sie sich gepikst?“
„Ja, jetzt hab ich ’nen Stachel im Finger. Ah, das tut schweinisch weh!“
„Warten Sie! Nicht bewegen! Ich hab hier irgendwo ’ne Pinzette.“ Wieder öffnete sie ihre Tasche. Wieder fand sie das Gesuchte sofort. „Da ist sie schon.“
Er machte noch immer ein schmerzverzerrtes Gesicht. „Wie kann ein so kleines Ding so doll wehtun?!“
„Kommen Sie, zeigen Sie her!“ Sie griff nach seiner Hand, zog sie dichter an sich heran.
„Machen Sie vorsichtig“, flehte er.
„Ja, natürlich.“
Sie knipste die Schreibtischlampe an und schwenkte sie herüber, um besser sehen zu können. Es war wirklich kein besonders großer Stachel, und er saß nicht allzu tief. Sie visierte ihn an, brachte die Pinzette in Position, da warf sie einen letzten prüfenden Blick ins Gesicht ihres Patienten. – Er kniff die Augen zusammen.
Sie musste sich bemühen, nicht laut loszuprusten. „Wollen Sie vor der OP vielleicht lieber noch einen Schluck Alkohol, Sir?“, fragte sie.
„Hm? Wie bitte? Was?“ Seine Schmerzen waren wohl zu groß, als dass er in der Lage gewesen wäre, eine humorvolle Anspielung zu verstehen.
„Nichts. War nur ein Scherz“, sagte sie und zog den Stachel dann vorsichtig und doch schnellstmöglich heraus.
„Ahhh, danke.“ Er atmete gut hörbar aus. Nachdem er seine Wunde sorgsam inspiziert hatte, bemerkte er: „Ich denke, es wird ohne Pflaster gehen.“
Nelly hob die Augenbrauen. In Anbetracht des minimalen Loches in seiner Haut war es lächerlich, das Pflaster überhaupt anzusprechen. „Ja“, sagte sie nur. „Ich denke auch, es geht wohl ohne.“
„Tja, dann werd ich mir jetzt erstmal einen Kaffee holen“, seufzte er, tat nur einen einzigen, winzigen Schritt nach vorn, da stolperte er bereits in die nächste Katastrophe, genauer gesagt über die Tür des Aktenschrankes, die er zuvor geöffnet hatte. Er strauchelte, verlor das Gleichgewicht und taumelte auf allen Vieren bäuchlings zu Boden wie ein Pferd, das beim Springturnier das Hindernis nicht schaffte.
Nelly flog hinüber, um ihm aufzuhelfen. „Alles in Ordnung? Haben Sie sich was getan?“
„Ja, ja“, stöhnte er, „äh, ich meine nein. Nur eine kleine Schramme.“ Er rieb sich das Bein und grinste verlegen.
Normalerweise sah er genauso alt aus wie er war; nur wenn er so grinste und seine riesige Zahnlücke zum Vorschein kam, sah er plötzlich aus wie ein dummer kleiner Junge.
„Kommen Sie, setzen Sie sich. Den Kaffee hole ich Ihnen!“ Damit schob sie ihn auf seinen Platz. Wenn er für den Rest des Tages einfach dort sitzen blieb, würde er am wenigsten Chaos anrichten.
„Manchmal frage ich mich ernsthaft, wie so ein unfähiger Kerl wie ich überhaupt in so eine Position hier kommen konnte“, murmelte er noch, bevor sie zur Tür hinaus verschwand.
Sie blieb stehen, drehte sich zu ihm um, zuckte mit den Schultern. „Ach was, Sie sind nicht unfähig. Nur ein bisschen ... tollpatschig.“
Er lächelte dankbar und sah sie an. Sah sie merkwürdig lange an.
Irgendwann wurde es ihr unangenehm. „Ja, also, ich hol dann den Kaffee.“
***
Daria telefonierte mit Elise. So richtig hörte sie ihr aber nicht zu. Es ging wohl um ihren Mann. Sie sprach immer von ihrem Mann. Sie vergötterte ihn. Wieso, wusste Daria nicht. Sie jedenfalls war damals nicht für Elises Wahl gewesen. Eddie war ein eigenbrötlerischer, ungeselliger Typ. Er blieb am liebsten zuhause, wo er Joggingklamotten tragen und auch sonst nicht auf sein Äußeres zu achten brauchte. Er verbrachte viel Zeit mit seinen Tieren – einen halben Zoo besaß er mittlerweile – und interessierte sich abgesehen davon eigentlich für gar nichts. In diesen Zoo hatte Elise eingeheiratet. Freiwillig! Naja, irgendwie passte sie schon da hinein, da sie beim Lachen wie ein kollernder Truthahn klang.
„Was?! Das lässt du ihm durchgehen?! Also, wenn er mein Mann wäre ...“, begann Daria, denn gerade hatte Elise ihr erzählt, dass ... „Oh, ach so, du redest von eurem Hund.“
Und Elise erzählte weiter und weiter, denn sie erzählte gern.
Daria betrachtete gelangweilt den vor ihr liegenden Bürgersteig. Dort kam der Bäcker, dann das kleine Café, dann der Bastelladen an der Kreuzung ... Gerade bog da vorn jemand um die Straßenecke und lief dann in einiger Entfernung vor ihr her. War das nicht ...? Ja, er war es.
„Ich muss Schluss machen. Wir können ja nachher weiterreden. Wir treffen uns ja eh heute Abend mit Nelly.“
„Gut, okay. Du, ich bring nachher auch noch jemanden mit. Eine neue Freundin von mir. Sie heißt Ev...“
„Ja, ja, ist gut, bis dann.“ Daria legte auf und eilte Simon nach, bevor er ihr entwischen konnte.
Es bedurfte nicht viel, lediglich eines kurzen Gespräches und ein wenig Flirterei, bis er sie ins Kino einlud. Selbstverständlich sagte sie zu. Selbstverständlich. Und vergaß dabei völlig, dass sie am vereinbarten Ort sowie zu vereinbarter Stunde bereits anderweitig verabredet war.
***
Elise traf Evie draußen vor dem Restaurant.
„Hallo“, sagte letztere mit einer Stimme, die so zart klang, dass man Angst bekam, sie könne jeden Augenblick zerbrechen – die Stimme, nicht die Frau! In der Tat hatte sie ein wenig Sorge, dass die Freundinnen ihrer neuen Freundin sie vielleicht nicht mögen könnten. Sie hatte immer Sorge, dass die Leute sie nicht mögen könnten.
Doch Elise wollte nichts davon hören. Sie versicherte ihr, sie würde ihre kleine Gruppe ganz sicher bereichern, hakte sich bei ihr unter und dirigierte sie zur Tür.
Nachdem sie eingetreten waren, sah sie sich kurz um, auf der Suche nach bekannten Gesichtern, entdeckte jemanden – eine Brünette, die anscheinend damit beschäftigt war, einem Mann an einem ihrer Nebentische schöne Augen zu machen –, zog sie zu ihr hinüber und stellte sie ihr als Daria vor.
„Ich bin Evelyn. Aber alle sagen Evie“, erklärte Evie und streckte ihr ihre Hand entgegen.
Daria nahm und drückte sie nur zögernd. Sie schien verwirrt. Oder zumindest überrascht.
„Das ist Evie, meine neue Freundin Evie“, erklärte Elise. „Ich hab dir vorhin am Telefon gesagt, dass ich sie mitbringe.“
„Ach, ja, richtig. Hatte ich schon wieder vergessen. Setzt euch!“
Sie klang ein wenig kühl, fand Evie, aber sie redete sich gleich darauf ein, dass sie sich das nur einbildete. Bestimmt war diese Daria total nett, aber sie in ihrer ewigen Angst vor Fremden vermutete gleich wieder das Schlimmste. Typisch Evie!
„Nelly ist noch nicht da, was?“, fragte Elise und setzte sich.
Sie tat es ihr nach.