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Eine neue SMS, direkt unter der anderen, selber Absender. "Hast du verstanden?" Ja, hatte sie. "Lasst mich in Ruhe. Das Spiel ist aus", tippte sie. Die Antwort kam sofort. "Das Spiel ist aus, wenn ich es sage." Die junge Autorin Arson Thames nimmt an einer Spielshow teil, über die sie selbst kaum Infos bekommen hat. Nur so viel: Es ist an ein Spiel angelehnt, das sie in einem ihrer Romane erwähnt hat. An ihrer Seite: Schauspielerin Halley Wilson, die durch die Hauptrolle in der Verfilmung von Arsons Debütroman berühmt wurde. Es folgt ein Versteckspiel durch die ganze Stadt, und bald ist ganz Deutschland hinter den beiden her, um ein Teil der Show zu werden. Arson kämpft gegen die Angststörung an, die sie seit ihrer Jugend verfolgt, aber dann holt ihre Vergangenheit sie ein. Aus Spiel wird Todesgefahr, aus Freund wird Feind und aus Liebe wird abgrundtiefer Hass.
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Seitenzahl: 343
Veröffentlichungsjahr: 2023
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»Du hast alles so genau durchgeplant.« Halley schenkte ihr ein schwaches Lächeln und Arson drehte sich zu ihr. »Ich habe Angst zu scheitern.«
»Das hier ist unser Spiel, Arson. Du bist jetzt die Spielerin. Du hast die Kontrolle, du wirst nicht scheitern. Deine Figuren werden tanzen, wie du es ihnen befiehlst.«
»Das war wundervoll poetisch«, gab Arson trocken zurück. »Aber ich habe keine Figuren, die ich zum Tanzen bringen könnte. Ich brauche keine Figuren. Es ist zu riskant, dass sie ein Eigenleben entwickeln und dem Spiel entkommen. Das Spielbrett liegt längst irgendwo in einer Ecke, ich habe es in einer Panikattacke vom Tisch gefegt.«
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www.janinanilges.carrd.co
Von der Autorin bereits im Books on Demand-Verlag erschienen:
Rebel School – Gefährliches Geheimnis
Rebel School – Wanted Dead Or Alive
Rebel School – Was Jetzt Noch Bleibt
Tungldraumur
Dieses Buch behandelt Themen, die auf manche Menschen u.U. verstörend wirken oder Traumata triggern, darunter Waffengewalt, Folter und Mord. Zudem werden Themen wie mentale Gesundheit bzw. Krankheit und selbstverletzendes Verhalten thematisiert.
To all the souls who feel like they'll never belong: Somebody will find you. Maybe a new friend, maybe your worst enemy.
Crystal Ball – P!nk
Moonlight Shadow – Mike Oldfield
Frozen – Madonna
Scared of Heights – Morten Harket
Heart Shaped Gun [Tatort Version] – Femme Schmidt
Adrenaline – You Me At Six
Scoundrel Days – a-ha
i love you – Billie Eilish
Standing at the Wall – The Pretty Reckless
Do I Wanna Know? – Artic Monkeys
No Time To Die – Billie Eilish
Spies – Coldplay
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Epilog
Die junge Frau ließ sich auf den Brunnenrand sinken. Ihr Atem ging schnell und ihre Finger zitterten. Wieder einmal hatte sie sich eingebildet, jemanden gesehen zu haben. Jemanden, der nicht hier sein durfte.
Nicht hier sein konnte. Nicht hier, ausgerechnet hier, von allen Orten in der Welt. Das konnte kein Zufall sein.
Nein, redete sie sich selbst ein. Er war es nicht. Du bildest dir manchmal Dinge ein, das weißt du doch.
Ihre zitternden Finger fuhren blind über den Sandsteinrand des Brunnens, auf dem sie saß. Mitten in einem kleinen Einkaufszentrum. Leute hasteten vorbei, ohne ihr auch nur eine Sekunde Aufmerksamkeit zu schenken. So war das eben – in der Hektik des Alltags war niemand mehr ein Mitmensch, nur noch eine Schattenfigur, die keines Blickes wert war.
Ihre Fingerspitzen berührten etwas. Ein Centstück.
Sie wendete die Münze zwischen den Fingern. Menschen standen oft hier und warfen Münzen in den Brunnen, hofften auf Glück. Aber brachte es nicht mehr Glück, Cents zu finden, statt sie wegzuwerfen? So, wie sie gerade dieses Geldstück gefunden hatte, das den Weg ins Wasser nicht geschafft hatte?
Die Münze war in ihrer Hosentasche, bevor sie zu Ende gedacht hatte.
Etwas Glück konnte sie in den nächsten Tagen definitiv gebrauchen.
Mit sechzehn Jahren hielt Malia Lillet zum ersten Mal eine Waffe in der Hand.
Mit siebzehn Jahren feuerte sie zum ersten Mal einen Schuss ab.
Und mit siebzehn Jahren tötete sie auch einen Menschen.
Später würde man sagen, der Polizist sei es gewesen. Nicht das kleine, unschuldige Mädchen. Niemals. Und sie würde sich hüten, die Wahrheit ans Licht zu bringen. Der Polizist konnte sich nicht mehr gegen die Anschuldigungen wehren; er war noch in derselben Minute durch das Projektil einer anderen Waffe gestorben.
Der junge Mann hinter dieser Waffe und Malia blickten sich an, verständigten sich ohne Worte. Selbst er hatte bis zu diesem Augenblick gedacht, der Polizist habe geschossen.
»Auf welcher Seite stehst du?«, fragte sie mit bebender Stimme. »Andrik, auf welcher Seite stehst du?« Sie hatte in der vergangenen Minute die Hand mit der Pistole kein einziges Mal bewegt, sie nicht gesenkt und nicht auf einen anderen Punkt gerichtet.
Andrik blickte sie noch einige Sekunden wortlos an, dann schritt er zu der Figur am Boden, kniete sich hin, ließ den Tränen freien Lauf.
Und Malia rannte.
***
Arson Thames blickte von ihrem Laptop auf, nahm zwei tiefe Atemzüge und griff zu dem Champagnerglas, das auf dem rutschfesten Tischchen stand.
Und Malia rannte.
Wie gerne würde sie selbst jetzt rennen? Der Aufregung entfliehen? Am liebsten hätte sie die Sache längst hinter sich, sie hatte kein gutes Gefühl bei der ganzen Aktion. Aber man hatte sie eingeladen, hatte ihr sogar diese luxuriöse Limousine geschickt – und es war für einen guten Zweck.
Das Glas klirrte, als Arson es abstellte. Die Limousine fuhr durch ein Schlagloch und der Champagner schwappte bis an den Rand des Glases.
Nein, das war kein Schlagloch gewesen. Es war die Schwelle zum Gelände der Fernsehstudios. Und Arson erkannte, dass es jetzt kein Zurück mehr gab. Sie konnte nicht mehr rennen wie Malia, die Hauptfigur in ihrem Debütroman Todesträume – und sie konnte auch nicht mehr weiterlesen, um ihre Nerven zu beruhigen. Sie liebte es, Geschichten erneut zu lesen, besonders ihre eigenen. Man fand doch jedes Mal ein winzig kleines neues Detail, selbst als Autorin.
Und vor allen Dingen kannte man das Ende.
Arson war nie ein Fan von Überraschungen gewesen. Sie hatte tausende Notfallpläne für die absurdesten Situationen in ihrem Kopf, um bloß nicht unvorbereitet zu sein und eine Katastrophe auszulösen. Das war ihr einmal passiert, und danach nie wieder.
Der Fahrer der Limousine stoppte das Fahrzeug und drückte einen Knopf. Die getönte Scheibe hinten rechts fuhr herunter und Arson strich sich hastig durch die wilden blonden Locken, aber da war nicht mehr viel zu retten.
»Ihren Personalausweis«, forderte ein Mann in Anzug und Sonnenbrille.
Arson zwang ein Lächeln auf ihre Lippen und zückte ihr Portemonnaie mit dem Ausweis.
»Ah, die große Schriftstellerin«, gab der Security-Mann von sich – Arson konnte nicht erkennen, ob es abwertend oder neutral gewichtet war.
»Arson Thames. Ist das Ihr richtiger Name?«
»Ist es.« Arson nickte und ihr Lächeln wurde künstlicher.
»Na dann.« Der Mann gab ihr den Ausweis zurück und reichte ihr einen zweiten, der an einem blauen Band befestigt war. »Umhängen und nicht ablegen bis zum Bühneneingang, sonst fliegen Sie sofort raus.«
Arson nickte. Sie kannte die Prozedur, hatte schon zwei, drei Nebenrollen in den Verfilmungen ihrer Bücher gespielt.
Die Fensterscheibe fuhr wieder hoch und die Limousine steuerte eine riesige Halle an. Arson drehte nervös den neuen Ausweis in ihren Händen. Auf der Vorderseite lächelte ihr schüchtern ihr eigenes Gesicht entgegen, dazu einige Angaben zu ihrer Person. Auf die Rückseite waren die vier Kartenfarben gedruckt – Pik, Herz, Karo, Kreuz. Das Logo des Fernsehsenders. Sie hatten mit Spielshows angefangen, damals, und waren erst seit wenigen Jahren auch in der Spielfilmbranche vertreten. Hatten Arsons Debütroman auf die Kinoleinwand gebracht. Und sie hatte ihnen diesen heutigen Wunsch nicht abschlagen können.
»Jemand wird Sie abholen kommen«, gab der Fahrer zu verstehen. Es war der erste Satz, den er gesprochen hatte, mal von »Hallo« abgesehen.
Arson leerte ihr Glas, ließ den Laptop in ihren Rucksack gleiten und presste das Gesicht an die Scheibe, um nach draußen zu sehen.
Der Chauffeur ließ ein vorwurfsvolles Seufzen los und Arson wischte hastig mit dem Ärmel über die Abdrücke ihrer Haut. Von dem großen Gebäude aus kam eine Frau in Stöckelschuhen und mit einem Klemmbrett in der Hand auf die Limousine zugeeilt und Arson griff nach der Türklinke.
Jetzt wurde es wohl ernst.
***
Halley Wilson legte den Kopf zur Seite und ihre Halswirbel knacksten.
Ihre Agentin warf ihr einen vorwurfsvollen Blick zu – sie hasste das Geräusch. Genauer gesagt hasste sie alle Geräusche, die für andere Menschen maximal leicht unangenehm waren – quer durch die Bank. Von zu lauten Motoren über zerbrechendes Glas bis hin zu Niesen. Halley wusste nicht, wie Angeline Cohen mit diesen Problemen den Job als Schauspielagentin für richtig gehalten hatte, aber sie machte ihn gut. Immerhin war sie diejenige gewesen, die sie damals entdeckt und für die Rolle der Malia in Todesträume gecastet hatte und damit Halleys Karriere ins Rollen gebracht hatte.
Halley wollte aus Gewohnheit nach dem Drehbuch greifen, wollte ihre Zeilen nochmal durchgehen, aber da war keins. Natürlich. Es war kein Film, der gedreht werden sollte. Und es war auch nicht irgendwer, der mit ihr vor der Kamera stehen würde.
»Bist du etwa nervös, Hal?« Ihre Agentin lachte leise.
Hal hob eine Augenbraue und versuchte, sie selbstbewusst anzublinzeln, aber Angeline kaufte ihr die Lüge nicht ab. Berechtigterweise. Die beiden kannten sich schon über sieben Jahre, und trotz des Altersunterschieds von gut fünfzehn Jahren verband sie eine tiefe Freundschaft.
»In erster Linie bin ich positiv aufgeregt«, gab sie zu.
»Und in zweiter Linie?«
Hal zuckte mit den Schultern. »Ein hundertprozentig gutes Gefühl habe ich tatsächlich nicht.«
Ihr Smartphone summte und sie griff danach. Es war eine SMS vom Management der Show.
Ihr Co-Star ist im Gebäude. Bitte verlassen Sie Ihre Garderobe nicht mehr vor Drehbeginn.
Halley sah auf die Uhr. Noch zwanzig Minuten, bis ihr Co-Star vielleicht die Überraschung ihres Lebens erleben würde. Sie wusste nichts, man hatte sie über kaum etwas informiert, während Halley sogar in der Planungsphase hatte mitarbeiten dürfen. Ihr war klar, dass sie nicht die Hauptfigur der Show sein würde, aber sie freute sich trotzdem.
Vor allem auf das Gesicht von Arson Thames, wenn sie Halley erkennen würde.
Arson starrte in den kleinen Spiegel vor dem Bühnenzugang.
Selten in ihrem Leben hatte sie sich so unvorbereitet gefühlt wie in diesem Moment. Sie versuchte, sich die Notausgänge in den Kopf zu rufen. Wie würde sie von der Bühne kommen? Was würde nach dem Einstieg in die Show passieren?
Man hatte ihr nichts gesagt. Noch nicht einmal den genauen Ablauf der Show. Sie wusste, dass es um ein Versteckspiel in der Stadt ging, um einen guten Zweck, für den sie Geld sammeln konnte, und dass das Prinzip aus einem ihrer Romane übernommen worden war. Eine Show, die sie selbst nur in einem Nebensatz erwähnt hatte, und die ihr jetzt der Fernsehsender abgekauft hatte, unter der Voraussetzung, dass sie selbst teilnehmen würde.
Zusammen mit einem mysteriösen Co-Star, den sie erst in der Einführungsphase vor den Kameras treffen würde.
Sie hatte lange nachgedacht, wer das sein würde.
Autorenkolleginnen waren ihr in den Sinn gekommen, vielleicht auch männliche, vielleicht wollte der Sender mit einer vorgespielten Beziehung Drama schinden. Arson hatte bei dem Gedanken bitter gelacht. Da waren sie bei ihr an der falschen Adresse.
Das rote Licht über der Tür leuchtete auf und die Frau in den pinken Stöckelschuhen warf ihr einen warnenden Blick zu. Jetzt bloß keinen Fehler machen.
Das hatte sie Arson in den letzten zwanzig Minuten ungefähr fünfzig Mal gepredigt. Also im Schnitt 2,5 Mal pro Minute. Was ja eigentlich Schwachsinn war, bei all den anderen Informationen und einer durchschnittlichen Sprechgeschwindigkeit von-
Arson schüttelte den Kopf. Jetzt nicht noch Mathe.
Die dumpfe Stimme des Moderators – nicht mal dessen Namen hatte man ihr im Voraus gesagt, aber der Stimme nach war es wohl der beliebte Claus Hammerschmidt, von ganz Deutschland stets nur liebevoll ›der Schmiddi‹ genannt – hallte durch die gedämmte Metalltür, er begrüßte die Zuschauer, die im Studio saßen. Gut hundert, wahrscheinlich. Vielleicht auch zweihundert.
Arsons Handflächen wurden feucht.
»Als erstes möchte ich Ihnen natürlich unsere beiden Kandidatinnen vorstellen«, tönte der Moderator und die Frau gab Arson einen Stoß.
Eine Backstagemitarbeiterin mit Headset und Weste erschien und öffnete die hohe Tür.
»Mit siebzehn Jahren machte ihr Debütroman Todesträume sie bundesweit berühmt. Seitdem hat sie vier weitere Romane veröffentlicht, in mehreren Filmen mitgespielt, ist regelmäßig in unseren Talkshows vertreten, und jetzt ist sie hier in Hide and Seek: Die legendäre Arson Thames!«
Bei seinen letzten Worten war Arson losgelaufen, durch den hell erleuchteten Tunnel.
Applaus brandete auf, und als Arson auf die Bühne schritt, war ihr Lächeln nicht mehr vorgetäuscht.
Bis jetzt war alles wie immer. Ein Moderator, eine Bühne, ein Publikum, und sie.
Sie winkte in die Runde, begrüßte den Schmiddi mit Handschlag und ließ sich neben ihm auf das blaue Sofa fallen.
»Schön, dass du da bist!« Er versank sofort in Small Talk mit ihr und Arson antwortete wie automatisiert. In Gedanken wartete sie aber nur auf die erlösenden Worte.
»Dann lass uns doch mal deinen Co-Star präsentieren!«, beschloss der Schmiddi schließlich und Arson nickte. Ihr Lächeln war wieder unecht geworden, die Bühnenversion.
Es wurde dunkel im Studio und ein paar Scheinwerfer wurden auf den Backstagezugang gerichtet, genau wie für Arson selbst eben.
»Und hier ist sie! Schauspielerin seit sieben Jahren, und berühmt geworden durch die Rolle der Malia in Todesträume!«
Arson starrte die Frau an, die breit lächelnd auf die Bühne trat.
»Halley Wilson!«
Zwei Jahre.
***
Halley wusste genau, was Arson dachte.
Zwei Jahre.
So lange war ihre letzte Begegnung her, und das aus gutem Grund. Sie hatten beide eine Nebenrolle in einem von Arsons Werken gespielt und der Regisseur hatte sie als Paar gecasted. Es war der wohl peinlichste Filmkuss ihres Lebens gewesen, und keiner der beiden hatte sagen können, wieso. Sie hatten sich vorher nicht mal mehr als flüchtig gekannt. Fakt war jedenfalls, dass sie sich seitdem nicht mehr in die Augen sehen konnten.
Immerhin hatte man Halley Zeit gegeben, sich mental vorzubereiten. Arson hingegen – in ihrem Gesicht standen Überraschung und Scham gleichermaßen.
Halley und dem Team hinter der Show war die Überraschung also gelungen.
Sie lächelte und schritt auf Arson zu, streckte ihr die Hand entgegen.
Diese stand auf, schien sich wieder gefangen zu haben, als sie Halleys Hand schüttelte.
»Es ist mir eine Freude«, stammelte sie.
»Mir ebenso.« Halley lächelte und setzte sich neben ihren Co-Star.
»Diese beiden jungen Frauen kennen sich doch sehr gut«, stellte der Schmiddi fälschlicherweise fest, aber Halley nickte nur. Logisch, dass das seine Überleitung zu einem ganz gewissen Filmausschnitt war.
Halley warf einen Blick zu Arson, als hinter ihnen die Szenen aus dem Film auf einer Leinwand abgespielt wurden. Ihr Gegenüber war leicht errötet, aber auch Halley fühlte sich etwas unwohl in dieser Konfrontation. Sie hoffte, dass die Hauptphase der Show schnell beginnen würde.
***
Ausgerechnet Hal, und ausgerechnet dieser Film.
Jetzt wäre wohl die Gelegenheit, bei der Arson am liebsten abhauen würde. Klar, Halley war total nett, aber etwas Vorbereitungszeit auf das Treffen wäre auch cool gewesen.
Und dann der Film. Arson hatte nie ausgerechnet diese Rolle gewollt, vor allem nicht mit Hal, aber der Regisseur hatte entschieden. Okay, vielleicht hatte Arson die Rolle gewollt. Vielleicht hatte sie sie mit Hal gewollt. Vielleicht war genau das das Problem gewesen. Und das machte die aktuelle Situation ungefähr tausendmal schlimmer.
Jetzt würde sie also wieder mit Halley Wilson vor der Kamera stehen, dieses Mal ohne Drehbuch, und es konnte nur eine Katastrophe werden.
»Kommen wir jetzt endlich zu den Spielregeln«, verkündete der Schmiddi und Arson verknotete nervös ihre Finger. Sie war sich bewusst, dass sämtliche Kameras in diesem Studio gerade auf sie und Halley gerichtet waren, aber sie gab sich keine Mühe, ihre Anspannung zu verbergen. Als Teilnehmer einer Reality-Show sollte man sich doch authentisch zeigen, da konnte ganz Deutschland ruhig erfahren, dass die große Arson Thames nichts als ein Nervenbündel war.
Halley stieß sie sanft an und schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln, das Arson nur schwach erwidern konnte.
»Die Show heißt nicht umsonst Hide and Seek«, begann der Moderator seine Erklärungen. »Das Ziel unserer beiden Kandidatinnen ist es, möglichst lange unentdeckt zu bleiben. Dabei dürfen sie sich auf dem ganzen Stadtgebiet frei bewegen, müssen aber in regelmäßigen Abständen kurze Videos oder Fotos an uns schicken, die eine kurze Situationsbeschreibung und einen kleinen Hinweis auf den aktuellen Aufenthaltsort geben. Gejagt werden sie dabei von einem Team aus 7 Prominenten – und ganz Deutschland. Sie alle können mithelfen, auf sozialen Medien Hinweise auf den Aufenthaltsort der beiden geben und ausdiskutieren!«
Arson schauderte. Die nächsten Tage leben wie auf der Flucht?
»Aber selbstverständlich geht diese Jagd nicht ewig«, fuhr der Schmiddi fort. »Arson und Halley werden nämlich sieben Gegenstände dabeihaben, von denen sie jedes Mal einen abgeben müssen, wenn sie gefunden werden, danach kriegen sie einen kleinen Vorsprung und die Show geht weiter. Bis sie zum achten Mal gefunden wurden und sich nicht mehr freikaufen können. Je länger die beiden überleben, desto mehr Geld verdienen sie, das sie für einen guten Zweck spenden werden. Pro vollständiger 12 Stunden stiften wir 5000 Euro, dazu gibt es noch kleinere Challenges, die bei erfolgreichem Erfüllen mit 2500 Euro belohnt werden.«
Arson schluckte hart. Für einen guten Zweck, rief sie sich ins Gedächtnis. Sie wusste schon genau, wofür sie ihren Anteil spenden würde.
»Die beiden Kandidatinnen haben jetzt ein paar Minuten Zeit, sich allein auszutauschen, während ich Ihnen die sieben Hunters vorstelle«, endete der Schmiddi und blickte die beiden Frauen auffordernd an. Halley stand auf und bedeutete Arson, ihr zu folgen. Ohne eine Wahl trottete Arson der Schauspielerin hinterher in den Backstagebereich.
Kaum war die Stahltür nach ihnen geschlossen worden, ließ Arson einen erleichterten Seufzer los. Die Anspannung fiel von ihr ab – vorerst.
»Na, die Kameras nicht gewohnt?« Halley grinste.
Arson spürte, wie die Hitze in ihre Wangen schoss, und sie blickte wortlos zu Halley auf.
Dieser verdammte Größenunterschied auch noch.
Halley zögerte, plötzlich unsicher. »Tut mir leid, ich wollte dich nicht-«
»Schon gut, schon gut. Du hast ja Recht.« Arson versuchte sich an einem leichten Lächeln. »Ich fühle mich nur unvorbereitet.«
»Eine tolle Überraschung, oder?« Da war es wieder, Halleys freches Grinsen und die Grübchen in ihren Wangen. Arson starrte ihr Gegenüber an, vielleicht etwas zu lang. Damals, in dem Film, hatte Halley einen grellpinken Pixie-Cut gehabt, inzwischen trug sie ihre Haare als dunkeltürkisen Bob. Hatte eine große runde Brille, die ihre Augen betonte.
Und ehrlich gesagt sah sie verdammt gut aus.
Zurück zum Thema. Arson verfluchte sich innerlich.
Es schien, als wäre Halley eingeweiht gewesen. Zumindest hatte sie nicht ansatzweise so überrascht gewirkt, wie Arson sich gefühlt hatte. Sie wollte gerade nachhaken, da räusperte Halley sich.
»Arson… es ist dir auch peinlich, oder?«
Arson zuckte zusammen. »Was meinst du?«
»Der Film.« Halley lächelte vorsichtig.
Arson nickte nur.
»Mir auch. Warum? Keine Ahnung. Aber- lass uns den Zuschauern nicht das Drama geben, was sie sehen wollen. Ich will mich nicht verstellen, keinen Streit mit dir anfangen oder irgendwie komisch dir gegenüber sein. Wir könnten die Sache einfach vergessen und von vorne anfangen. Was hältst du davon?«
Arson grinste erleichtert. Halleys Offenheit gefiel ihr sehr gut, und ein Neuanfang war definitiv besser als peinlich berührtes Schweigen und Small Talk. »Einverstanden.«
»Na dann.« Halley erwiderte das Grinsen. »Ich bin Hal.«
»Arson.« Sie streckte Hal die Hand entgegen.
»Es geht schon seit Ewigkeiten weiter!«, fluchte Arsons stöckelbeschuhte Backstagebegleiterin in diesem Moment und klackerte hastig auf die beiden zu. »Habt ihr etwa das Licht nicht gesehen?«
Arson blickte zu dem rot blinkenden Licht über der Tür, dann zu Hal, und dann grinsten sie beide.
»Scheinbar nicht.«
Und als sie Seite an Seite zurück ins Studio schritten, hatte Arson ihre Fluchtpläne längst vergessen.
***
Der Schmiddi reichte Hal und Arson einen Rucksack.
»Hier sind eure sieben Gegenstände. Eure Siebensachen, sozusagen.« Er grinste und Hal lächelte höflich mit.
»Das Spiel beginnt Punkt zwölf Uhr. Ihr geltet als entdeckt und müsst einen Gegenstand abgeben, wenn eine von euch von einem der sieben Hunters berührt wurde. Es ist euch also nicht erlaubt, Türen zu verrammeln oder ähnliches. Auch keine Autos. Öffentliche Verkehrsmittel sind okay.« Der Schmiddi warf den beiden nacheinander gespielt strenge Blicke zu. »Und, ihr wisst Bescheid über die Fotos beziehungsweise Videos? Halbwegs regelmäßig zwischen morgens um fünf und Mitternacht, nachts braucht ihr nichts zu senden.« Er hielt inne, als würde er nachdenken. »Und dann gibt es noch die Sonderchallenges. Abgerechnet wird am Ende, aber im Grunde bekommt ihr Extrageld, wenn ihr euch an Orte mit vielen Menschen begebt und unentdeckt bleibt. Im Kino zum Beispiel. Der gesamte Eintritt für solche Aktionen wird natürlich von uns übernommen.«
Halley sah zu Arson. Sie hatte schon hunderttausend Pläne. Allerdings würde Arson nicht von allen erfahren. Es würde schwer werden, das hatte Hal in dem Moment begriffen, als sie zusammen auf die Bühne zurückgekehrt waren. Arson war cooler als in ihrer Erinnerung, und die Ausführung des Plans, den Hal mit dem Showteam gemacht hatte, wurde dadurch nicht einfacher. Aber es musste ja für irgendwas gut sein, dass sie Schauspielerin war.
»Um zwölf geht es los, sagten Sie?« Hal knackte ihre Fingerknöchel. »Dann sollten wir uns wohl beeilen, wenn wir einen Vorsprung wollen, richtig?«
»Scheiße, es ist ja schon zehn vor«, entfuhr es Arson und Hal musste grinsen.
»Korrekt«, stellte der Schmiddi fest. »Die sieben Hunters sind in der ganzen Stadt verteilt und lauern schon auf euch, also viel Glück!«
Hal sah auf Arson hinab, und Arson sah zu ihr hoch.
»Dann mal los, oder?« Arson grinste.
Halley nickte. Dann mal los.
»Also, was ist der Plan?« Arson blickte Halley herausfordernd an.
Hal blickte sich auf dem Parkplatz um. »Erstmal sollten wir vom Gelände hier runter.«
»Und dann?« Arson warf sich den Rucksack über die Schulter.
»Warum denkst du, dass ich einen Plan habe?« Hal schien belustigt.
Ich hoffe es, weil meine Planungsfähigkeiten mich im Stich lassen.
»Weil du mehr Vorbereitungszeit hattest.« Sie sah Hal herausfordernd an. »Du warst doch eingeweiht in unser Treffen, oder?«
Hal seufzte und begann, mit großen Schritten quer über den Parkplatz zu laufen. Arson beeilte sich, hinterherzukommen. »Hal?«
»Wir müssen uns ein bisschen beeilen, wenn wir nicht direkt um 12 schon erwischt werden wollen.« Hal blickte stur geradeaus.
Arson überlegte, ob sie nochmal nachhaken sollte, aber sie beschloss, den neuen ersten Eindruck nicht sofort zu ruinieren, indem sie sich selbst als Nervensäge präsentierte.
»Wir sollten uns erstmal irgendwo verstecken und Bestandsaufnahme machen«, fügte Hal an und tippte auf den Rucksack, den Arson trug.
»Darüber weißt du also nichts.« Es war Arson nur so rausgerutscht und sie biss sie auf die Zunge. Jetzt fing sie also auch noch an, zu reden, ohne nachzudenken.
Hal drehte sich um, eine Hand am Tor des Geländes. »Ich weiß genau die Sachen, die du als Autorin ebenfalls über die Show wissen müsstest. Immerhin hast du dir das hier doch ausgedacht, oder?«
»Nicht so detailliert.« Arson seufzte. »Es wurde in einem Nebensatz erwähnt. Und außerdem wusstest du, dass ich da sein würde.«
»Das hat seine Gründe. Du wirst verstehen, versprochen.« Hal lächelte leicht.
Arson wusste nicht so recht, was sie glauben sollte. Immerhin hasste sie Überraschungen – und das hier lief ganz klar auf eine heraus.
***
Zehn Minuten später saßen die beiden auf einer Parkbank im einsamsten Park der Stadt.
Halley blickte zu Arson, die gerade den Rucksack öffnete. Ihre Finger schienen zu zittern und auf dem Fußweg hierher war sie unnötig hektisch und aufgeregt gewesen. Es war doch nur ein Spiel – und der Spaß hatte doch noch gar nicht richtig begonnen!
Hal klopfte wie beiläufig ihre Jacke ab, berührte den Gegenstand in ihrer Jackentasche. Eine Schande eigentlich.
»Ein… Seil?« Arson blickte Hal verwirrt an und hielt die beiden Enden eines dicken Hanfseils hoch.
Hal überlegte kurz. »Vielleicht wenn wir in einem Baum schlafen?«
Arson blinzelte verwirrt. »In einem Baum?!«
»Wer weiß?« Hal hielt Augenkontakt, dann grinste sie. »Nein, keine Ahnung. Die werden sich schon was dabei gedacht haben, denke ich.«
Arson nickte wortlos und wühlte sich weiter durch den Rucksack. »Unsere Handys, ich nehme an, dass die als ein Gegenstand zählen… Taschenmesser… eine Decke… eine Taschenlampe… ein Gaskocher.«
Sie ließ den Rucksack sinken und warf Halley ein kleines Portemonnaie zu. »Guck mal rein.«
Hal klappte den Geldbeutel auf und schaute die Fächer durch. Eine Menge Geldscheine flatterten ihr entgegen, und ein Zettel.
Ihr dürft dieses Geld nur benutzen, um euch Essen und im Notfall Kleidung zu kaufen, und für Eintrittsgelder.
Hal zeigte Arson den Zettel und das Portemonnaie.
»Essen.« Arson zögerte. »Das wäre wohl ein guter Plan, oder?«
Hal nickte. »Wie vorhersehbar ist es, dass wir als erstes einkaufen gehen?«
Arson legte den Kopf zur Seite. »Einerseits ist es vielleicht vorhersehbar, aber das könnte es wieder für unsere Jäger zu offensichtlich machen und sie erwarten nicht, dass wir es tun, was es wieder unvorhersehbar macht.«
Hal starrte Arson an, während sie versuchte, die Informationen zu verarbeiten. »Was genau willst du mir jetzt damit sagen?«
Arson grinste vorsichtig. »Dass ich keinen Plan habe. Aber vielleicht macht es Sinn, dass wir jetzt gehen, wo vielleicht noch nicht so viele Leute von der Show gehört haben. Und vielleicht können wir dann zum Ende hin nochmal gehen, wenn sie die Show schon wieder verdrängt haben.«
Hal nickte langsam. »Also gehen wir jetzt?«
»Dachte ich so.« Arson grinste, dann wurde sie wieder ernst. »Wir könnten ja schon mal zum Einstieg ein Foto oder Video verschicken.«
»Posten«, korrigierte Hal. »Es gibt einen offiziellen Instagram- und Facebookaccount, auf dem wir unseren Zwischenstand posten sollen. Ich hab die Zugangsdaten aufgeschrieben.«
Sie durchwühlte ihre Jackentasche nach dem Zettel, bloß darauf bedacht, nicht diesen einen Gegenstand herausstechen zu lassen. Oder sollte sie Arson vielleicht einen versehentlichen Blick darauf werfen lassen? Es würde definitiv die Spannung erhöhen.
Sie hob den Blick, aber Arson sah sie nicht einmal an.
Ausnahmsweise. Hal grinste. Die junge Autorin schien sie irgendwie zu bewundern oder als Vorbild zu sehen. Natürlich – sie kannte sie nämlich nicht gut. Wenn man Halley Wilson nicht kannte, war es einfach, sie als Vorbild zu nehmen. Ihr Schauspieltalent beschränkte sich eben nicht nur auf Filme.
»Hast du die Daten dann?«, hakte Arson nach, ein leicht ungeduldiger Unterton in ihrer Stimme.
Hal zuckte zusammen. »Klar.«
Sie reichte den kleinen gefalteten Zettel an Arson weiter, die ihn auffaltete und die Daten in ihr Handy eintrug.
Dann blickte sie Halley auffordernd an. »Showtime?«
Halley nickte grinsend. »Showtime.«
***
+++ 13.06., 12:25 +++
Video-Post – Transkription
(Halley Wilson und Arson Thames vor einem Baum)
Halley: Hallo an alle Zuschauer*innen von Hide and Seek!
Arson: Und Hallo auch an die Hunters!
Halley: Ihr seht gerade unser erstes Video über unseren aktuellen Aufenthaltsort, den ihr sicher alle kennt. Zu Beginn machen wir es euch etwas leichter.
(Die Kamera schwenkt durch einen Park.)
Arson: Wir wünschen euch viel Spaß und vor allem viel Glück – ihr fangt uns niemals!
(Beide winken.)
+++ Transkription Ende +++
***
»Jetzt schnell!« Arson schob das Handy in ihre Hosentasche. »Die ersten tauchen gleich hier auf!«
Halley nickte. Sie schien sich wesentlich weniger Stress als Arson zu machen. Ob sie das Spiel nicht ernst nahm? Arson runzelte die Stirn.
»Lass uns die Straßenbahn nehmen.« Hal deutete auf die Haltestelle gegenüber des Parks. »Da treffen wir auch bestimmt keine Hunters, die müssten ja alle die andere Linie nehmen. Hierher.«
»Es sei denn, sie steigen zu, weil sie jemand alarmiert hat«, gab Arson zu bedenken. »Aber je schneller wir sind, desto weniger Leute haben das Video gesehen, bis wir im Laden sind.«
Hal nickte erneut und sie überquerten die Straße. Sie zogen am Automat Monatstickets auf Kosten des Fernsehsenders und ließen sich auf die Wartebänke sinken.
Arson fühlte sich nicht besonders wohl. Weder mit dem Gefühl des Gejagt-Werdens noch mit Halleys Anwesenheit. Da war irgendwas, das sie verbarg, und Arson hatte das ungute Gefühl, dass es sie in Schwierigkeiten bringen würde.
Sie sah die Straße entlang. Niemand achtete auf die beiden Frauen, die sich trotz ihrer Berühmtheit gut in die Gruppe der Wartenden einfügten.
Hal stieß sie an. »Da ist unsere Bahn!«
Sie sprangen auf, Arson warf erneut Blicke auf die anderen Menschen, dann betraten sie die Bahn. Sofort fühlte Arson sich wie in der Falle. Für die nächsten fünf Minuten würden sie den Hunters vollkommen ausgeliefert sein, und klar – es war ein harmloses Kinderspiel. Gut fühlte sie sich dabei aber trotzdem nicht.
Die Türen schlossen sich und Halley zog Arson am Ärmel in eine Sitzreihe, die Kapuze über ihre türkisen Haare gezogen und ohne Brille.
Arson tat es ihr gleich, obwohl sie sich gleich noch hilfloser fühlte. Vor ihren Augen war alles verschwommen und sie würde weder Freund noch Feind erkennen.
Sie verbrachten die Fahrt schweigend, jeder für sich in seinen Gedanken, und Arson hätte auch nicht gewusst, worüber sie mit Hal hätte sprechen sollen. Sie waren ja quasi Fremde.
***
Die Straßenbahn hielt im Stadtzentrum. An Halleys Arm geklammert taumelte Arson auf den Bürgersteig und zog ihre Brille wieder auf.
»Hölle«, murmelte sie zu sich selbst.
»Wir sollten uns beeilen.« Halley ignorierte ihren Einwurf. »Weißt du, vielleicht sollten wir uns noch andere Kleidung zulegen. Unsere Bilder sind auf allen sozialen Medien zu sehen.«
»Und dann kaufen wir neue Kleidung und die ist auf unseren nächsten Fotos zu sehen.« Arson zuckte mit den Schultern.
»Dann müssen wir halt aufpassen.« Halleys Augen strahlten plötzlich. »Aber stell dir mal vor, wir beide in langen, dunklen Umhängen, streichen durch die Nacht der Stadt…«
Arson musste lachen. Halley war wirklich Schauspielerin durch und durch. Und irgendwie war das auch süß, leider gerade aber absolut nicht hilfreich.
»Dann fallen wir erst recht auf.«
»Und nachts?« Hal grinste. »Nur für uns, für den Vibe.«
Arson nickte nur. »Wenn du irgendwo sowas findest, bin ich dabei.«
Sie betraten das erste Kaufhaus und Hal deutete direkt auf die Kostümecke. Und klar, irgendwie hatte sie ja auch Recht. Die Zuschauer wollten eine Show, dann sollte man ihnen auch eine bieten.
Arson sah sich um, während Halley sorglos entlang der Regale schlenderte, Rolltreppen hoch- und runterfuhr, bis sie schließlich mit einem vollen Korb an der Kasse standen. Dosen, Obst, und zwei lange schwarze Baumwollumhänge.
Arson sah sich nervös um. Das war wieder so eine Situation, aus der sie nicht so einfach entfliehen konnte. Zudem wusste sie eigentlich gar nicht so genau, worauf sie achten sollte – die Identitäten der sieben Hunters hatte man ihr nicht verraten. Vielleicht würde das später passieren, oder die Recherche gehörte zu ihren Aufgaben als Gejagte.
Sie schob dem Kassierer das Geld über den Tresen, während Halley die Einkäufe in den Rucksack stopfte. Sie wollte sich gerade zum Gehen wenden und das Kaufhaus verlassen, da tippte ihr jemand auf die Schulter.
Arson brauchte eine Sekunde, um zu verstehen.
Es geschah öfter, dass man ihr auf die Schulter tippte, sie war schließlich berühmt. Aber das hier – das konnte nur eines bedeuten.
Sie drehte sich mit einem langen Seufzen um. Der Mann hinter ihr, Nachrichtensprecher Alexander Meyers, hielt ihr eine Plakette entgegen, auf die das Logo der Show und ein Schriftzug gedruckt war.
Hunter.
Meyers lächelte leicht. »Ich hätte dann gerne einen von euren Gegenständen.«
Halley verschränkte die Arme und bedeutete ihm, einen Schritt an den Rand der Halle zu gehen. »Welchen?«
»Das bestimmt der Zufall.« Meyers zückte sein Handy und zeigte eine App, in der Bilder der sieben Gegenstände auf einem Glücksrad animiert waren. Er tippte das Rad an und während es sich drehte, fragte Arson sich, was die Zuschauer wohl gerade sahen. Wie viele gerade zusahen, vor allem.
Hide and Seek war als 24/7-Sendung angelegt worden – ein Livestream, bei dem hauptsächlich die Kamerabilder der Hunters gezeigt wurden, wahrscheinlich hin und wieder auch online geteilte Hinweise. Nur zwischen Mitternacht und fünf Uhr morgens war das Spiel pausiert und Arson und Halley durften sich nicht von ihrem Versteck wegbewegen, sodass sie etwas Schlaf bekommen konnten, während im TV ein Best Of des Tages gezeigt wurde.
Die Kamera an Meyers‘ Körper war bestimmt in das Gestell seiner breiten Hornbrille eingearbeitet, überlegte Arson, oder-
Pling!
Das Glücksrad stoppte und Arson verdrehte die Augen.
Natürlich. Nachdem sie haufenweise Dosenfutter gekauft hatten, wie Hal die Konserven spöttisch bezeichnet hatte, natürlich mussten sie da als erstes den Gaskocher abgeben.
Halley reichte Meyers wortlos den Gaskocher, zog den Rucksack wieder auf, packte Arson am Handgelenk und zerrte sie mit nach draußen.
»Hey, warum so ruppig?«, beschwerte Arson sich, als sie auf offener Straße standen.
»Weil wir nur fünfzehn Minuten Vorsprung bekommen, nachdem wir entdeckt werden, und der Typ uns wahrscheinlich noch Stunden vollgelabert hätte«, gab Halley bitter zurück. »Und weil ich verdammt enttäuscht von mir selbst bin. Dass wir uns so schnell haben erwischen lassen!«
Nur langsam verstand Arson. Richtig – sie waren nach maximal einer Stunde bereits zum ersten Mal erwischt worden! Wenn das so weiterginge…
»Wir brauchen Informationen«, stellte sie fest, als sie Halley von der Hauptstraße weg in eine Seitenstraße folgte. »Wer die sieben Hunters sind, zum Beispiel.«
»Korrekt.« Halley sah sich kurz um, dann zog sie sich mit Anlauf auf die hohe Betonmauer, die die Sackgasse begrenzte.
Arson zögerte. War das hier legal? Es war weniger eine Gasse als ein privater Hinterhof, in dem alte Müllcontainer verrotteten.
»Worauf wartest du?«, hakte Hal nach. »Von hier oben haben wir tausende Fluchtmöglichkeiten.«
»Tausende…?« Arson stemmte sich hoch und hockte sich neben Hal, die zu den Seiten und hinter sich deutete. »Die Häuser stehen seit Jahren leer. Wir können auch über die Schuppen laufen…«
»… und durch ein rostiges Wellblech krachen…« Arson schüttelte den Kopf. »Das ist Hausfriedensbruch! Wir sind doch nicht kriminell!«
»Was, wenn?« Hal grinste. »Vielleicht habe ich ja gute Kontakte in die Drogenmafia – vielleicht war die Malia aus Todesträume mehr als eine Rolle?«
Um Arson herum drehte sich plötzlich alles.
»Das meinst du nicht ernst, oder?«, murmelte sie.
»Wie naiv bist du eigentlich?« Hal grinste zögerlich. »Natürlich nicht.«
»Damit macht man keine Witze.« Arson schüttelte langsam den Kopf. »Wenn es eins gibt, was ich aus meinen Recherchen für Todesträume gelernt habe… dann, dass man keine Witze über die Mafia macht.«
***
Halley nickte etwas verwirrt. Das klang, als hätte Arson selbst Erfahrungen gemacht. Vielleicht hatte sie die falschen Menschen interviewt und es hatten mal zwei, drei Tage lang komische Typen in der Nähe ihres Hauses herumgelungert? Hal wusste selbst nicht besonders viel über die Mafia. Nur das, was sie aus Todesträume mitgenommen hatte. Und das war nichts Gutes.
»Also, was ist unser Plan?«, fragte Arson. »Wie kommen wir an Essen?«
»Magst du etwa keine kalten Ravioli?« Hal grinste. »Also mich stört das nicht.«
Arson sah nicht sehr begeistert aus, nickte aber. »Wir brauchen auch ein Lager für die Nacht. Vielleicht können wir bei mir im Haus schlafen?«
»Privathäuser sind tabu«, korrigierte Hal bedauernd. Auch ihr wäre ein Bett lieber gewesen, oder ein Sofa. Selbst ein Teppich. Alles war besser, als irgendwo mitten in der Stadt mit einer, Betonung auf einer, Decke keinen Schlaf zu finden.
»Vielleicht können wir zu meiner Schwägerin auf den Schrottplatz?« Arson blickte in die Ferne.
»Sag mal, wohnt deine ganze Familie hier in der Stadt?«, hakte Hal nach.
Arson schüttelte den Kopf. »Nur meine Eltern, mein Bruder, seine Frau und ich. Den Rest habe ich nicht mehr getroffen, seit ich siebzehn war.«
Also seit sieben Jahren, rechnete Hal. »Aus einem Grund oder einfach so?«
Arson zögerte. »Wir sind halt umgezogen. Meine Eltern wollten einen Neuanfang, wollten aus ihren Bürojobs raus. Jetzt haben sie einen Liquor Store in der Innenstadt. Und mein Bruder konnte hier besser studieren. Er ist jetzt Oberarzt im Klinikum West.«
»Und du? Hattest du auch einen Vorteil durch den Umzug?«
Arson lächelte traurig, so traurig, dass Hal sie am liebsten in den Arm genommen hätte.
»Niemand kannte mich«, sagte sie leise. »Ich war die Neue an der Schule. Und glaub mir, manchmal ist es unglaublich schön, nicht gekannt zu werden.«
»Warst du da schon bekannt?«
»Das fing erst im Laufe des zwölften Schuljahrs an, und es war absolut wild. Auf einmal wollte jeder etwas mit mir zu tun haben, oder sie haben mich zutiefst verachtet. Und- und es hat mich absolut nicht interessiert. Ich habe weder Freunde noch Feinde gesucht. War ganz froh, alleine zu sein. Ich habe in meinem früheren Freundeskreis ein paar unschöne Erfahrungen gemacht.« Arson schüttelte den Kopf. »Lass uns über etwas anderes reden.«
»Die sieben Hunters?«, schlug Halley vor, obwohl sie viel lieber noch Dinge aus Arsons Leben gehört hätte. Sie war der festen Überzeugung, die junge Autorin hätte so viel mehr erlebt, als sie preisgeben wollte – und vor allem so viel mehr als Halley selbst. Sie hatte sich als Schülerin auf kleinere Rollen beworben, dann war sie von Angeline entdeckt und für die Rolle der Malia gecastet worden. Mit Mühe und Not hatte sie sich auf das Drängen ihrer Eltern hin durchs Abi gequält und sich danach ganz der Schauspielerei hingegeben. Geschichten über Umzüge und Kontaktabbrüche konnte sie nicht bieten.
Arson nickte. »Meinst du, wir finden die auf Social Media?«
»Bestimmt.« Hal zückte ihr Handy aus dem Rucksack und öffnete Instagram. Während sie nach der offiziellen Seite des Senders suchte, bemerkte sie aus dem Augenwinkel, wie Arson aus einigem Abstand halbherzig auf den Bildschirm zu blinzeln versuchte.
»Du kannst auch näherkommen. Ich beiße nicht.« Sie grinste und Arson rutschte hastig über die moosige Mauer etwas näher an Hal ran.
»Noch näher.« Hals Grinsen wurde breiter. Sie hatte bemerkt, dass Arson immer etwas auf Abstand blieb, hatte aber noch nicht verstanden, wieso. Arson rutschte erneut näher und ihre Arme berührten sich.
Hal drehte das Handy so, dass Arson direkt mitgucken konnte, und klickte die letzten Posts des Senders nacheinander durch.
»Komisch.« Arson zögerte. »Nirgendwo sind die Hunters benannt.«
»Um es schwieriger für uns zu machen, zu entkommen?«, mutmaßte Hal.
Tatsächlich verwirrte sie das ebenfalls. Hatte man ihr nicht gesagt, sie würden im Laufe des Spiels die Identitäten der Jäger erfahren? Aber momentan konnte theoretisch jeder ein Hunter sein, der einigermaßen prominent war. Und wenn das jetzt ein eher unbekannter Promi war…
Hal schüttelte den Kopf. Es wäre unendlich peinlich, wenn sie schon wieder entdeckt würden.
»Was tun wir jetzt?« Arson blickte Hal zögerlich an. »Irgendwie verunsichert mich die Sache.«
Mich auch.
Hal seufzte tief. »Wie war das mit dem Schrottplatz deiner Schwägerin?«
»Der ist im Südviertel. Willst du wieder mit der Bahn fahren?«
Hal blickte auf ihre Uhr. »Es ist erst drei. Was wollen wir den Rest des Tages machen?«
Arson lachte bitter. »Möglichst nicht entdeckt werden.«
Gegen vier Uhr erreichten Hal und Arson das Tor des Schrottplatzes von Heloise Thames, Arsons Schwägerin.
»Wir müssen aufpassen«, murmelte Arson. »Wenn Loi uns sieht – sie wird definitiv Alarm schlagen.«
»Habt ihr Streit?« Hal runzelte die Stirn. Sie hatte nicht besonders große Lust, in Familienangelegenheiten der Familie Thames zu geraten.
»Unsinn. Aber sie wird die Werbung nutzen wollen. Stell dir vor – Showdown auf Schrottplatz! Gesuchte Fernsehstars suchen Versteck im Familienbetrieb!« Arson grinste.
Hal nickte nur und Arsons Grinsen verschwand.
»Ehrlich gesagt finde ich die Vorstellung, die ganze Nacht zwischen Schrottteilen zu lauern, ob uns jemand findet, nicht so geil«, gab Hal zu. »Lass uns heute Abend noch irgendwas machen. Wir könnten eine Challenge annehmen.«
»Eine Challenge?« Arson sah nicht begeistert aus.
»Konzert«, schlug Hal vor. »Ist heute nicht in der Arena irgendwas?«
»Irgendwas?« Arson schnaubte. »Da ist das Highlight des Jahres! Die Ferrochromes treten auf! Mensch, Hal, dass du das nicht weißt?!«
»Die Ferrochromes, genau.« Hal grinste. Arson war also ein Fan der Rockband. Und zugegebenermaßen hatte auch Hal Interesse an deren Musik. Sie hatte sogar den Leadsänger mal backstage getroffen, er hatte eine Nebenrolle in irgendeinem Film gespielt. Was war es gewesen? Eine Musikdoku wahrscheinlich.
»Also gut. Wir opfern also einen Gegenstand für den Konzertbesuch.« Arson seufzte.
»Oder wir sind clever genug und werden nicht erwischt.« Hal zuckte mit den Schultern. »Wir dürfen halt nicht zu den Stehplätzen, sondern müssen auf die Ränge, wo wir leichter wegkommen.«
»Und wie, denkst du, sollen wir noch an Tickets kommen?«, entgegnete Arson. »Ich könnte mir vorstellen, dass wir noch einen Stehplatz bekommen – da legt der Senderchef bestimmt ein gutes Wort für uns ein – aber die Sitzplätze waren schon Monate im Voraus ausgebucht.«
Hal seufzte. Arson hatte Recht. »Also stürzen wir uns ins Chaos und hoffen, das Extrageld zu kassieren?«
Arson zuckte mit den Schultern. »Wie du meinst.«
»Dann lass uns schon mal einen Schlafplatz aussuchen, solange es noch hell ist – wo wir schon mal hier sind«, schlug Hal vor. »Wie kommen wir an deiner Schwägerin vorbei?«
»Gar nicht.« Arson grinste. »Wir klettern über den Zaun.«
»Du spinnst.« Aber Hal wusste, dass Arson es ernst meinte. Sie folgte der Autorin am Metallzaun entlang. Das Gelände des Schrottplatzes war riesig, überall standen Haufen mit Altmetall. Verbogene Stangen und Rohre, alte Elektrogeräte und ausgeschlachtete Autos.
»Wir müssen aufpassen, dass wir die Hühner nicht aufscheuchen, sonst merkt Loi direkt, dass jemand hier ist.«
»Hühner?!« Hal starrte Arson an, und Arson grinste. »Mein Bruder hat einen ganzen Haufen Hühner, hier auf dem Hof. Besser als jeder Wachhund. Ihr Gehege ist direkt neben den teureren Wertstoffen. Niemand kommt ungehört an ihnen vorbei!«
Hal lachte kurz auf, aber das Lachen verging ihr im nächsten Moment.
»Hier ist es perfekt.« Arson sah sich links und rechts um, dann kletterte sie einfach über den Zaun.
Hal zögerte. »Das ist jetzt aber wirklich illegal.«
»Und deine Aktion von wegen durch alte Häuser flüchten etwa nicht?« Arson lachte. »Meine Schwägerin ist auch meine beste Freundin. Die wird uns nicht verklagen, keine Sorge.«
»Na gut.« Hal stellte testweise einen Fuß auf das Metallgestänge, dann zog sie sich hoch und sprang auf der anderen Seite auf den vertrockneten Boden.
Arson führte sie über das Gelände. »Was hältst du von einem der alten Autos?«
»Sind da noch Sitze drin?« Hal blickte skeptisch auf die Metallgerippe.