1,99 €
Mogreds Augen leuchteten auf. Aus den tiefschwarzen Pupillen des Dämons sickerte ein schwacher, düsterer Schein. Seine Sinne waren stets aufs Äußerste gespannt. Deshalb war ihm auch nicht entgangen, dass sich eine Person dem Gebäude näherte.
Eigentlich hätte er gar nicht aufstehen müssen, um zu erfahren, wer es war. Der Ankömmling verströmte eine ihm nur allzu bekannte Aura. Trotzdem tat er es. Er wollte die Botschaft so früh wie möglich erhalten.
Die überlangen, fast skelettierten Finger des Dämons legten sich auf die Lehnen des alten Sessels. Goldene Totenschädel verzierten ihn. Als seine Hände sie berührten, glühten die leeren Augenhöhlen auf. Damit entsandten sie ein magisches Signal an seinen Meister. Er hatte bereits vorausgesagt, dass heute etwas Entscheidendes passieren würde ...
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 143
Veröffentlichungsjahr: 2018
Cover
Impressum
Was bisher geschah
Spiel des Schicksals
Leserseite
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln
»Geisterjäger«, »John Sinclair« und »Geisterjäger John Sinclair« sind eingetragene Marken der Bastei Lübbe AG. Die dazugehörigen Logos unterliegen urheberrechtlichem Schutz. Die Figur John Sinclair ist eine Schöpfung von Jason Dark.
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Timo Wuerz
Datenkonvertierung eBook: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam
ISBN 978-3-7325-5942-8
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
Die Hauptpersonen dieses Romans sind:
Lieutenant Bella Tosh: Ermittlerin der Abteilung Delta
Sergeant Kajahn: Bellas Partner in der Abteilung Delta
Clay Billings: Karrierehungriger Polizeibeamter
Johnny Conolly hat seine Mutter verloren. Sie wurde von einem Schnabeldämon brutal ermordet. Als dieser Dämon durch ein Dimensionstor flieht, folgt Johnny ihm.
Kurz darauf wird das Tor für immer zerstört, sodass es für Johnny keine Möglichkeit zur Rückkehr gibt. Das Dimensionstor spuckt ihn schließlich wieder aus – in einer anderen Welt. Er ist in Dark Land gelandet, genauer gesagt in Twilight City, einer Stadt voller Geheimnisse.
Menschen und Dämonen leben hier mehr oder weniger friedlich zusammen, und doch ist Twilight City voller Gefahren. Die Stadt ist zudem von einem dichten Nebelring umgeben, den kein Einwohner jemals durchbrochen hat. Niemand weiß, was hinter den Grenzen der Stadt lauert …
In dieser unheimlichen Umgebung nennt sich Johnny ab sofort Wynn Blakeston – für den Fall, dass irgendjemand in Twilight City mit seinem Namen John Gerald William Conolly etwas anfangen kann und ihm möglicherweise Übles will. Schließlich wimmelt es hier von Dämonen aller Art – und die hat Wynn in seiner Heimat immer bekämpft.
Wynn findet heraus, dass der Schnabeldämon Norek heißt und skrupelloser und gefährlicher ist als alle seine Artgenossen, die sogenannten Kraak.
Als Wynn wegen eines unglücklichen Zwischenfalls zu einer langen Haftstrafe verurteilt wird, zahlt der geheimnisvolle Sir Roger Baldwin-Fitzroy das Bußgeld und nimmt ihn in bei sich auf – warum, das weiß Wynn nicht.
Er lernt Sir Rogers Tochter Abby und seinen Diener Esrath kennen, die auch in Sir Rogers Villa leben. Er freundet sich mit Abby an, sie wird schon bald zu seiner engsten Vertrauten in dieser mysteriösen Welt.
Was Wynn nicht ahnt: Auch sein geheimnisvoller Gönner hat noch eine Rechnung mit dem Dämon Norek offen. Als es Sir Roger schließlich gelingt, Norek zu schnappen, liefert er den Kraak dem Wissenschaftler Dr. Shelley aus, der gleichzeitig Leiter des Sanatoriums Dead End Asylum im Deepmoor ist. Dieser verpflanzt Noreks Gehirn in einen anderen Körper und sperrt den Kraak in seinem Sanatorium ein.
Sir Roger aber präsentiert Wynn Noreks toten Körper, sodass der glaubt, der Kraak wäre für immer besiegt.
Doch einen Ausweg aus Dark Land scheint immer noch in weiter Ferne, und Wynn muss sich mit dem Gedanken anfreunden, dass sein Aufenthalt in dieser Welt wohl noch länger andauern wird. Mit der Hilfe von Abby, die inzwischen herausgefunden hat, dass ihre verstorbene Mutter Matilda Fitzroy eine Hexe war, hat er einen Job beim Twilight Evening Star ergattert, der größten Zeitung von TC. Als man dort erkennt, dass er für Größeres bestimmt ist, steigt er vom Archivar zum Reporter auf.
Und schon bald stellt Wynn fest, dass noch ganz andere Aufgaben in TC auf ihn warten …
So gelingt es ihm, TC von dem so genannten »Richter« zu befreien, einem riesigen, schlangenartigen Wesen, das TC in regelmäßigen Abständen mit seinen Jägern heimgesucht hat.
Bei seiner Vernichtung warnt der Richter Wynn vor einer drohenden Gefahr, und Wynn fragt sich, ob das etwas mit dem geheimnisvollen weißen Schiff zu tun hat, das vor einiger Zeit wie aus dem Nichts im Hafen aufgetaucht ist und auf dem immer wieder Bewohner der Stadt spurlos verschwinden.
Kurz darauf bricht der Winter über TC herein – was in dieser Stadt sehr ungewöhnlich ist, die meisten Bewohner haben noch nie Schnee gesehen. Und tatsächlich bringt das Schneechaos eine Seuche mit sich, der auch Abby zum Opfer fällt. Gerade noch rechtzeitig gelingt es Wynn & Co., Abby zu retten und ein Gegenmittel aufzutreiben.
Doch damit ist die Gefahr für TC noch lange nicht gebannt. Die Dämonen des Weißen Schiffs stellen eine unbestimmte Bedrohung für die Stadt dar. Und schließlich gelingt es Wynn und Abby, was kein Bewohner von TC zuvor geschafft hat: Sie verlassen die Stadt und gelangen in die Welt, aus der das geheimnisvolle Schiff stammt.
Und auch Bella und Kajahn haben einen Weg raus aus TC gefunden. Nachdem die fünf Dämonen das Weiße Schiff verlassen haben, machen die beiden sich gemeinsam mit Sergeant Billings im Beiboot des Schiffs auf den Weg zu dem geheimnisvollen Ort Sgoth, um dort das Geheimnis der fünf Dämonen zu lüften …
Spiel des Schicksals
von Rafael Marques
Mogreds Augen leuchteten auf. Aus den tiefschwarzen Pupillen des Dämons sickerte ein schwacher, düsterer Schein. Seine Sinne waren stets aufs Äußerste gespannt. Deshalb war ihm auch nicht entgangen, dass sich eine Person dem Gebäude näherte.
Eigentlich hätte er gar nicht aufstehen müssen, um zu erfahren, wer es war. Der Ankömmling verströmte eine ihm nur allzu bekannte Aura. Trotzdem tat er es. Er wollte die Botschaft so früh wie möglich erhalten.
Die überlangen, fast skelettierten Finger des Dämons legten sich auf die Lehnen des alten Sessels. Goldene Totenschädel verzierten ihn. Als seine Hände sie berührten, glühten die leeren Augenhöhlen auf. Damit entsandten sie ein magisches Signal an seinen Meister. Er hatte bereits vorausgesagt, dass heute etwas Entscheidendes passieren würde …
Mogred erhob sich und ging mit lautlosen Schritten auf den Eingang zu. Er bestand aus grauen, dünnen Fäden, die so eng beieinander hingen, dass man nicht nach draußen sehen konnte. Ihre Magie sorgte dafür, dass jeder, der sie unerlaubt passieren wollte, einen fürchterlichen Tod starb. Die Fäden lebten sogar in gewisser Weise von dem Blut der Eindringlinge.
Die Kreatur, die sich in diesem Moment in das Innere des Hauses schob, hatte die Erlaubnis des Meisters. Wie von Geisterhand geleitet, wehten die Spinnfäden zur Seite und gaben den Blick auf die Außenwelt frei. Ein schwacher Windstoß rollte über den ausgetrockneten Boden und zog eine Staubfahne mit sich.
Der bucklige Rattenmann mit den verfilzten Haaren war nicht einmal halb so groß wie Mogred. Seine dürren Finger mit den viel zu langen Nägeln knetete er nervös ineinander. Sein gesamter Körper war in abgegriffene Lumpen gehüllt, die einen erbärmlichen Gestank abgaben. Die kleinen Augen zuckten wild hin und her, so als befürchtete er, jederzeit angegriffen zu werden. Als er den Blick des Dämons auf sich lasten sah, krümmte er sich noch mehr zusammen.
»Welche Botschaft bringst du mir, Nak?«, fragte Mogred. Er wusste, welchen Respekt sein Anblick einflößte.
Respekt und Angst, denn jedem in dieser Welt war klar, dass man sich mit einem Pflanzendämon wie ihm besser nicht anlegte.
»Ich … ich … habe sie gesehen, Herr. Oder besser gesagt, einige meiner Späher. Sie sind vom Fluss aus durch die Wüste unterwegs. Genau die, von denen der Meister gesprochen hat. Es kann nicht anders sein.«
Mogred erwiderte zunächst nichts. Ihm war trotzdem klar, von wem sein kleiner Diener da sprach. Es war nur eine Frage der Zeit gewesen, dass sie kommen würden. Ihr Meister hatte es schon lange vorausgesagt und an diesem Tag noch einmal. Jetzt war der Moment angebrochen, an dem die nächste Stufe des Plans in Kraft treten würde.
»Wie viele sind es, Nak?«
Der Rattenmann blickte eingeschüchtert auf. »Drei, Herr. Ein Menschenmann, ein Pantherdämon und eine rothaarige Menschenfrau. Sniff, dieser Heizer vom Wüsten-Express, hat sie hergeführt.«
Das Pflanzenwesen nickte. Für einen Augenblick legten sich die grünen Finger seiner linken Hand auf die Schulter seines Dieners. »Das war gute Arbeit«, lobte er ihn. »Behalte sie weiter im Auge. Ich werde den Meister informieren.«
»Gut, gut. Ja, das mache ich. Danke, Herr.«
Mogred ließ seinen Diener gehen. Der Rattenmann war nichts weiter als eine niedere Kreatur, die jederzeit ersetzbar war. Ihm unterstanden noch mehr Dämonen dieser Art, aber Nak war derjenige von ihnen, dem er am ehesten vertrauen konnte – gerade wegen seiner Unterwürfigkeit.
Wie die Beine einer Spinne bewegten sich Mogreds Wurzeln durch den Raum. Als Pflanzendämon hatte er keine normalen Füße. Er musste auch weder essen noch schlafen. Das Einzige, was er zum Überleben benötigte, war Trinkwasser. Eines der wertvollsten Güter in dieser verfluchten Welt, über das nur die wenigsten Bewohner verfügen konnten.
Sein Meister residierte ebenfalls in der Villa. Meist hielt er sich in seinem Arbeitszimmer auf. Die karge Einrichtung von Mogreds Aufenthaltsraum stand im krassen Gegensatz zu den Bereichen, in denen der Meister seine Zeit verbrachte. Während er durch die Gänge schlich, passierte er unzählige an den Wänden befestigte Totenschädel, die von den unterschiedlichsten Kreaturen stammten. Sie dienten nicht einfach nur als Dekoration – sie waren Trophäen. Außerdem steckte selbst in ihnen noch so etwas wie Leben.
Das Zimmer des Meisters befand sich hinter einer einfachen Holztür. Leise drückte Mogred sie auf. Auch die Wände waren mit wertvollen Hölzern vertäfelt, während der Schreibtisch, hinter dem der Meister saß, sehr schlicht gehalten war.
Auch wenn er die Gestalt nicht sah, wusste er, dass sie da war. Der gesamte Bereich hinter dem Tisch lag im Schatten. Und das, obwohl durch die Tür und das Fenster eigentlich genügend Licht sickerte.
»Meister …«, begann Mogred.
In der Finsternis leuchtete ein gelbes Augenpaar auf. »Ich weiß, Mogred«, drang es dem Dämon entgegen. Die Stimme klang sanft, aber auch männlich. In den Worten des Meisters schwang stets ein Hauch Arroganz mit, jedoch auch eine Prise Ironie.
»Sie sind gekommen. Nak hat es mir berichtet. Zwei Menschen und ein Pantherdämon.«
»Es war nur eine Frage der Zeit. SIE haben mir gesagt, dass es irgendwann dazu kommen würde. Und genauso wussten SIE auch, was mit ihnen passieren sollte, wenn sie hier auftauchten. Anderenfalls hätten SIE nicht gerade mir den Auftrag erteilt, mich um die Neuankömmlinge zu kümmern.«
Die Gestalt beugte sich vor. Eine kaum zu beschreibende Silhouette schälte sich aus der Dunkelheit. Zwei Arme erschienen und legten einen Kartenstapel auf den Schreibtisch. Mogred wusste, was diese Aktion zu bedeuten hatte. Sein Meister hob die erste Spielkarte an und hielt sie seinem Diener entgegen. Sie zeigte ein bizarres, kleinwüchsiges Wesen mit einem hässlichen, übergroßen Totenschädel und der Krone eines Königs. Für einen Moment züngelten Flammen über die Karte hinweg, doch sie verschwanden so schnell, wie sie gekommen waren.
Der Meister lachte leise. »Es hat angefangen«, erklärte die sanfte Stimme. »Das Spiel des Schicksals beginnt von Neuem. Bald werden drei neue Totenschädel meine Wände zieren …«
***
Der Weg durch die staubige Landschaft wurde mit der Zeit zu einem Kampf ums Überleben. Die sengende Hitze und die trockene Luft taten ihr Übriges dazu bei. Unerbittlich schickte die riesige Sonne ihre brennenden Strahlen auf die Landschaft. Die Reise in die Stadt, auf die Sniff sie hingewiesen hatte, war härter als alles, was sie bisher durchgemacht hatten.
Der Fluss mit den grünen Ufern, den seltsamen Pflanzen und den anmutigen, hellblauen Blumen lag bereits weit hinter ihnen. Ebenso der Wüsten-Express, der ohne seinen Heizer weitergefahren war. Sniff hatte sich wie selbstverständlich dazu bereiterklärt, sie zu seiner Stadt zu führen. Da der Zug nicht bis zu ihr fuhr, gab es keine andere Möglichkeit, dorthin zu gelangen.
Langsam fragte Bella sich, ob es richtig gewesen war, diesem Sniff so einfach zu folgen. Gut, er hatte letztendlich dafür gesorgt, dass sie den Weg in diese Welt antreten konnten, aber wer sagte ihr, dass nicht alles eine großangelegte Falle war? Diese so gutmütig wirkende Gestalt konnte genauso gut auch ein falsches Spiel spielen.
Über eines hatte er sie allerdings bereits aufgeklärt: SGOTH, das eine Wort, das in blutigen Lettern auf dem Weißen Schiff gestanden hatte, war der Name dieser Welt – und auch der der Stadt, aus der Sniff stammte. Eigentlich hätte es dieses Hinweises nicht mehr bedurft, um sich zusammenzureimen, dass die fünf Weißen Herrscher tatsächlich aus dieser Welt stammten. Sie waren auch der Grund, warum sie überhaupt diese gefährliche Reise angetreten hatte.
Das ursprünglich recht leichte Märchenbuch des Gideon van Manderley kam ihr inzwischen tonnenschwer vor. Sie hatte größte Mühe, es weiter mit sich zu tragen. Ihre Sinne schwanden langsam dahin. Hin und wieder glaubte sie, inmitten der Wüstenfläche kleine, schattenhafte Gestalten zu erblicken. Doch jedes Mal, wenn sie in ihre Richtung sah, verschwanden sie auch schon wieder. Sah sie langsam Gespenster?
Einmal, als weder Kajahn noch Clay Billings oder sie sich noch auf den Beinen halten konnten, hatte Sniff ein Einsehen mit ihnen. Er zog einen kleinen Stoffbeutel aus der Tasche und holte mehrere getrocknete, blaue Blütenblätter aus ihm hervor.
»Esst das«, sagte er und reichte seinen Begleitern jeweils drei Blätter.
Kaum dass Bella auf die blauen Blüten gebissen hatte, spürte sie auch schon, wie neue Energien ihren Körper durchrannen. Mit einem Mal fühlte sie sich so stark und glücklich wie nie zuvor in ihrem Leben. Ob dieses Kraut auch eine halluzinogene Wirkung hatte?
»Was ist das?«, fragte sie aus ihrem Glücksgefühl heraus.
»Die getrockneten Blüten der Saphirblumen. Sie wachsen nur am Ufer des Flusses. Wenn ich es recht überlege, hätte ich sie euch schon viel früher geben sollen. Tut mir leid.«
»Schon gut …«
»Natürlich, war ja alles halb so wild«, murmelte Clay Billings. Er verstummte sofort, als er auf die Blüten biss.
Von den Blütenblättern gestärkt setzten sie ihren Marsch fort. Bella merkte kaum, wie schnell das felsige Gebiet näher rückte, das sie bereits aus weiter Entfernung ausgemacht hatten. Die Wirkung der Pflanze beflügelte sie nicht nur, sie sorgte anscheinend auch dafür, dass sie langsam der Realität entglitt.
Weit im Hintergrund erhoben sich die dunklen Berge wie eine düstere Kulisse. Die Gipfel verschwammen in grauen Wolken, durch die hin und wieder Blitze zuckten.
»Wir haben es gleich geschafft«, kündigte Sniff an. »Bald sind wir in Sgoth. Die ersten Häuser liegen nur ein paar hundert Meter entfernt im Tal.«
»Ich dachte schon, sie liegen hinter den Bergen.«
Sniff lachte. »Hinter den Bergen? Da war noch niemand, glaube ich. Wahrscheinlich hast du da was falsch verstanden.«
Beinahe hätte Bella gelacht, doch ihr seltsam aussehender Gefährte behielt recht. Wie auf einer Wolke schwebend ließ sie die Geröllwüste hinter sich und konnte endlich ins Tal hinabsehen.
Der Anblick war atemberaubend!
***
Weder Bella noch ihre beiden Kollegen wussten im ersten Moment, was sie sagen sollten. Sie hatten die Stadt erreicht, aus der das Weiße Schiff stammen sollte – eben Sgoth. Ein Schauer lief über den Rücken der Ermittlerin, und das nicht zum ersten Mal.
Für einige Momente war all das vergessen, was in den letzten Stunden auf sie eingeprasselt war. Jetzt war nur noch dieser Anblick wichtig. Dabei merkte sie kaum, wie die übernatürlichen Kräfte, die ihr die getrockneten Blüten verliehen hatten, sie langsam wieder verließen.
Im Gegensatz zu Twilight City, das für lange Zeit für sie die ganze Welt gewesen war, waren die Häuser von Sgoth zumeist aus Holz gebaut, zumindest die am Rande der Stadt. Bella blickte auf ein Labyrinth aus breiten Straßen, die weit ins Tal hinabführten. Doch selbst vom Ende der Stadt schien es noch unendlich weit bis zu dem mächtigen Gebirge zu sein.
Autos gab es hier keine. Dafür zwängten sich Kutschen, Handelswagen und einzelne Reiter zwischen den Menschen- und Dämonenmassen hindurch. Beide Arten schienen auch hier, zumindest auf den ersten Blick, normal nebeneinander zu leben. Doch so friedlich alles auch wirkte, Sgoth hatte ein dunkles Geheimnis. Sniff hatte bereits erwähnt, dass seine Welt bedroht wurde, nur von was genau, darüber schwieg er sich bislang aus.
Kaum eines der Häuser in ihrer näheren Umgebung hatte mehr als drei Stockwerke. Nur einige Steinbauten erhoben sich zwischen den meist für Geschäfte genutzten Gebäuden. Erst einige Kilometer weit entfernt entdeckte sie Wohnblöcke aus Ziegelstein, die sie an die Armenviertel ihrer Heimat erinnerten.
Die Stadt lag zum größten Teil an einer runden Bucht, die an einen Stausee erinnerte und so etwas wie das Ende des Flusses bildete. Bella glaubte zu erkennen, dass vor den Kaimauern Wasser direkt aus der Tiefe sprudelte. Der saftige Uferbewuchs schlängelte sich bis in die Stadt hinein und stand so in einem starken Kontrast zu der trockenen und staubigen Landschaft. Der Hafen war längst nicht so groß wie der von Twilight City, doch im Gegensatz zu ihrer Heimatstadt lagen hier mehrere funktionstüchtig wirkende Segelschiffe vor Anker. Allerdings war keines so groß wie das Weiße Schiff.
Über all dem thronte eine riesige Festung, die auf einem Hügel inmitten der Stadt in die Höhe ragte. Von ihr waren kaum mehr als die Umrisse zu erkennen. Nur einige wenige der zahlreichen Türme ragten aus dem dunkelgrauen Dunst hervor, der eine Art natürliche Mauer um die Festung bildete. Schwarze Vögel kreisten als stumme Wächter um sie. Doch selbst die Festung wirkte im Vergleich zu dem mächtigen Gebirge im Hintergrund klein und unbedeutend.
Eine innere Stimme sagte ihr bereits, dass dieser Bau eine große Bedeutung für sie haben würde. Schließlich war sie nicht nur in diese Welt gereist, um die örtlichen Sehenswürdigkeiten zu bewundern.
Sie wollte – nein, sie musste – Twilight City vor einer schier unüberwindbaren Bedrohung retten, die genau an diesem Ort ihren Ausgangspunkt hatte. Sie konnte sich durchaus vorstellen, dass die fünf Dämonen aus dieser geheimnisvollen Festung stammten.