Das Auge hinter dem Auge - Marica Bodrozic - E-Book

Das Auge hinter dem Auge E-Book

Marica Bodrozic

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Beschreibung

Das Bewusstsein ist ein elastisches Gefüge, bevor es aber Sprache wird, muss es eine Reise durch den Körper machen. Marica Bodrožić legt in diesen Poetikvorlesungen ihren eigenen Denk- und Schreibraum frei und zeigt, auf welche Weise etwa die Hand an der "Republik der Poesie" mitarbeitet. Leben und Schreiben, Leser und Autor bilden für sie in diesen sprachphilosophischen Umkreisungen eine Einheit, die sich vor dem Hintergrund der Stille ereignet. Das Erhören der Worte, die das Wesenhafte wieder hervor holen, ohne sich zu wiederholen, formieren einen geistigen Kern in diesen Betrachtungen und verweisen auf Autoren wie Francis Ponge oder Edmond Jabès, die diesen Kern mitgeformt haben. "Das Auge hinter dem Auge" ist hier ein Verbündeter der schöpferischen Kraft und Synonym für das innere Schweigen, das am Geheimnis teilhat. Aus Schnittmengen von Schönheit und Sprache ergeben sich Spielformen des poetischen Erwachens und führen zu jenem "Fallschirmsprung aus dem Schlaf", von dem Tomas Tranströmer spricht. Diese inneren Ereignisse beschreibt Marica Bodrozic sehr genau und zeigt, wie sich uns autonome Sprach(t)räume zusprechen, wie sie uns lesen und beschriften, während wir glauben, dass es sich umgekehrt verhält.

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Seitenzahl: 69

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Marica BodrožićDas Auge hinter dem Auge

Marica Bodrožić

Das Augehinter dem Auge

Betrachtungen

OTTO MÜLLER VERLAG

www.omvs.at

ISBN 978-3-7013-1235-1

© 2015 OTTO MÜLLER VERLAG SALZBURG-WIENAlle Rechte vorbehaltenSatz: Media Design: Rizner.atDruck und Bindung: Druckerei Theiss GmbH, A-9431 St. StefanCoverbild: Media Design: Rizner.at

Inhalt

Das Auge hinter dem Auge

Lichtstreifen und Umwege

Selbstauskunft zur Poetikdozentur

Damit sich die Menschen die bestmöglichen Lebensbedingungen schaffen können, ist es unerlässlich, dass die Vision der Wirklichkeit, die die Poesie vermittelt, transformativ sei, also mehr als nur ein Ausdruck der realen Gegebenheiten ihres historischen und geographischen Ortes.

Seamus Heaney, Verteidigung der Poesie

Das Auge hinter dem Auge

Über das Erscheinen des Wortes im Raum

Sprachufer sind jenseits der Zeit. Was in der Zeit lebt, offenbart sich nicht in der Sprache. Die Satzflüsse haben ihr eigenes Uhrwerk, und als ich anfing zu schreiben, wusste ich nicht, dass mein Leben davon nicht nur im Außen, sondern auch grundlegend und in der Tiefe verändert werden würde. Damals schon fühlte ich aber, „dass ich der Zeit nicht erlauben durfte, in meine Seele zu dringen“ – ein Satz, den ich bei Friederike Mayröcker las, lange noch bevor ich selbst eine einzige Zeile zu Papier gebracht hatte. Als ich dann in meinen ersten Büchern, wie man mir später sagte, über „meine“ Kindheit schrieb, kehrte ich in jenen Raum der Selbst-Erfindung zurück, den alle Menschen kennen. Wir alle hatten eine Kindheit ohne Uhren, eine Welt, die nicht vorsortiert und akribisch bis in alle Einzelheiten verplant war. So konnte sich ein eigener Blick entwickeln. Niemand hat als Kind Beweise für das, was er sieht. Unser Blick ist von Natur aus von einem Erfindergeist durchdrungen, der jenseits der erklärbaren Zuordnungen lebt. Diese geistigen Feuergarben und die aufblitzende Freude am Erkennen spüren wir später in der Literatur wieder auf, empfinden das, was wir einst in unserem Inneren aufblitzen sahen, im zeitlosen Raum – für eine Zukunft, die schon um sich wusste. Nur dichteste sprachliche Konzentration vermag uns zielgenau zu jenem inneren Ort zu geleiten, der zwar schon immer in uns vorhanden ist, aber erst durch das Bewusstsein der Worte geweckt wird. Wir erfahren nur das, was wir in uns tragen. Auch das Fremdeste ist längst schon in uns, wenn es uns in der Sprache eines scheinbar Anderen begegnet. Der Andere sind wir, sonst könnte er uns gar nicht berühren. Das Feuer dieser inneren Land schaft spricht und wird Erinnerung. Die Literatur verbindet uns mit dieser alten Kraft.

Ich möchte meine Bücher in diesem Geist schreiben, ohne sie zu erläutern. Es fällt mir schwer, mich selbst zu zitieren, da sich nach meinem inneren Erleben dabei etwas vom falschen Ich verdoppelt. Andersherum gedacht: das richtige Ich – das genaugenommen das innere Selbst ist – jenes leise, namenlose, wird im Prozess der leeren Wiederholung zum Verschwinden gebracht. Und dabei wird auch das Wort, das ernstgemeinte, ausgelöscht, in dem Sinne, in dem Edmond Jabès einmal schreibt: „Es ist nicht das geschriebene Wort, sondern das im Wort gelöschte Wort, das uns auslöscht.“

Das Buch, so Jabès weiter, gebe uns diese beiden Arten der Auslöschung zu lesen. Würde ich mich selbst zitieren, käme es vielleicht zu einer doppelten Auslöschung des Wortes.

Jede den Geist entleerende Wiederholung ist schädlich. Sie verrät und hintergeht das innere Uhrwerk und macht jeden Satz nicht nur behäbig, sondern auch ungültig, es sei denn, die geschöpfte Empfindung in ihm bleibt im Sprechen bestehen. Aber kann die Tiefe des Wortes laut gesprochen überstehen, kann das Ich stärker sein als das die Worte bergende weiße Papier? Statt mich zu wiederholen, werde ich also die inneren Funken für Sie sammeln und das umkreisen, was der Geburt des Wortes vorausgeht.

Geistesblitze bringen im mäeutischen Nach-innen-Hören polyphone Gefahren und Beglückungen mit sich. Der Raum des Schweigens und des Staunens. Mit einem Mal erzählt er beredet von dem, was die schreibende Person ihr Leben lang an Blickweisen entwickelt hat, durch Beobachten etwa. Es gibt ein Glück des Betrachters in mir, das ich erst beim Verfassen meiner Texte entdeckt habe. Und ich kann auch jedem empfehlen, diesen Raum der Betrachtung in sich selbst zu weiten und die „Öffnung innerer Falltüren“ zu ermöglichen, wie es einmal bei Francis Ponge heißt. Er beschreibt diese „Öffnung“ als eine „Reise in die Dichte der Dinge“ und lobt sie mit den Worten: „O unendliche Hilfsmittel der Dichte der Dinge, zurückgegeben durch die unendlichen Hilfsmittel der semantischen Dichte der Worte!“

Er erlebt sie in einem Zusammenhang mit dem Ausruhen in der Betrachtung. Ponge misst dem Sehen eine wichtige Rolle bei und sagt, man müsse die Betrachtung jedem Verlangen nach Ausflucht entgegenhalten, es führe ohnehin zu nichts, wenn man davonlaufe: „Die Betrachtung bestimmter Gegenstände ist auch das Ausruhen, aber ein privilegiertes Ausruhen, wie die fortwährende Ruhe ausgereifter Pflanzen (…)“

Mit meinen ersten Erzählungen lernte ich, dass die Ruhe der Worte von einer alten Erfahrung aus der Kindheit rührte. Ich wuchs ohne Eltern und Geschwister auf, unser Haus lag weit vom Dorf entfernt, und es kam selten jemand zu Besuch. Wenn Menschen plötzlich auf der Landstraße auftauchten, bekam ich vor Aufregung solches Herzklopfen, dass die Welt stehenzubleiben schien, ich nahm sie wie in Zeitlupe wahr. Meine Hauptbeschäftigung war damals den ganzen Tag lang das Anschauen der Dinge, der Bäume und der Insekten wie etwa jenes überirdisch grünen Rosenkäfers, der Sommer um Sommer regelmäßig in den Mäulern der Katzen landete. Ich sah mir Stunde um Stunde die Veränderungen am Himmel an, beobachtete die Wolken, die sich um den Gipfel des Biokovo sammelten, eines mächtigen Abschnitts des Dinarischen Gebirges, welches zu meinen stärksten inneren Bildern zählt. Aber erst im Schreiben begriff ich, was mein Kinderblick im Betrachten alles eingesammelt hatte und dass sich dieser Blick von damals zu einer Art Grund-Blick entwickelt hatte. Wie einst im Außen, ging er nun in der Sprache nach Innen. Aber auch genauso intensiv arbeitete dieser innere Beobachter in der neuen Welt, jeden Schritt, jeden Passanten, jeden Kinogeher schaute der Blick hinter dem Blick sich so genau an, wie er einst den Rosenkäfer betrachtet hatte. Klarheit und Ordnung, die aus der alten Freundschaft mit dem Rosenkäfer und dem Grashalm hervorgegangen sind, wirken sich immer noch beruhigend auf mich aus, ganz besonders dann, wenn ich mich den Worten anvertraue, am Anfang stets, ohne zu wissen, was sie mir bringen werden.

Auch Worte brauchen Hebammen, eine Ruhe, aus der heraus die Sätze frei entstehen können, nicht wie eine Mauer von unten nach oben, sondern von oben nach unten. Die Luft der Wörter kommt langsam in den Kopf herab, spricht sich dem Körper zu, fließt in die Hand, wird, Buchstabe für Buchstabe, Welt. Ganz in dem Sinne, in dem Novalis einmal schreibt, es sei nicht bloß Widerschein, „dass der Himmel im Wasser liegt, es ist eine zarte Befreundung, ein Zeichen der Nachbarschaft.“ Das aus sich hervorzuholen, was schon in einem selbst liegt, daran arbeitet die Sprache immerzu. Jeder hat Anteil an diesem Sprachland, die meisten von uns lassen es nur im Laufe des Lebens verkommen. Wir erkennen es nicht mehr als Teil unserer inneren Koordinaten. Wir können aber nichts erträumen, was nicht schon geistigen Anteil hat an unserem inneren Raum. So ist es auch kein Zufall, dass im deutschen Wort Traum das Wort Raum steckt, es schläft eine unendliche Vielfalt und Welt in uns und will geweckt werden. Der Mensch kann also, frei nach Novalis, nicht Sinn für etwas haben, wenn er nicht den Keim davon in sich trägt.