Das Café der kleinen Kostbarkeiten - Jan Steinbach - E-Book
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Das Café der kleinen Kostbarkeiten E-Book

Jan Steinbach

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Beschreibung

Der Duft von Zimt und Liebe. Auf der Flucht vor der Trauer um ihren verstorbenen Mann reist Luise nach Lübeck, um dort Weihnachten zu verbringen. Sie, die selbst leidenschaftlich backt, lernt den Marzipanbäcker Ludwig kennen, in dessen einladendem Café sie ihre Einsamkeit zu vergessen vermag. Und über köstlichen Backwaren aus Marzipan und dem Duft von Zimt und Vanille geschieht, womit keiner der beiden gerechnet hätte – sie verlieben sich. Aber Luise scheut den Neuanfang, zu groß ist ihre Angst vor neuem Kummer. Doch Ludwig will sie nicht ziehen lassen und hofft auf ein Weihnachtswunder … Eine zauberhafte Liebesgeschichte zwischen zwei Menschen, die nicht mehr mit der Liebe rechnen. Mit köstlichen Weihnachtsrezepten.

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Über Jan Steinbach

Jan Steinbach, geboren 1973, ist das Pseudonym eines erfolgreichen deutschen Schriftstellers, der auf einem Bauernhof nahe der niederländischen Grenze aufgewachsen ist. Nach vielen Jahren, die er beruflich in Berlin zugebracht hat, verlebte er einen Sommer in seiner alten Heimat, wo zwischen Wiesen und Kuhställen die Idee für den vorliegenden Roman entstand. »Willems letzte Reise« ist sein erster Roman als Jan Steinbach.

Informationen zum Buch

Der Duft von Zimt und Liebe.

Auf der Flucht vor der Trauer um ihren verstorbenen Mann reist Luise nach Lübeck, um dort Weihnachten zu verbringen. Sie, die selbst leidenschaftlich backt, lernt den Marzipanbäcker Ludwig kennen, in dessen einladendem Café sie ihre Einsamkeit zu vergessen vermag. Und über köstlichen Backwaren aus Marzipan und dem Duft von Zimt und Vanille geschieht, womit keiner der beiden gerechnet hätte – sie verlieben sich. Aber Luise scheut den Neuanfang, zu groß ist ihre Angst vor neuem Kummer. Doch Ludwig will sie nicht ziehen lassen und hofft auf ein Weihnachtswunder …

Eine zauberhafte Liebesgeschichte zwischen zwei Menschen, die nicht mehr mit der Liebe rechnen.

Mit köstlichen Weihnachtsrezepten

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Jan Steinbach

Das Café der kleinen Kostbarkeiten

Roman

Inhaltsübersicht

Über Jan Steinbach

Informationen zum Buch

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Kapitel eins

Kapitel zwei

Kapitel drei

Kapitel vier

Kapitel fünf

Kapitel sechs

Kapitel sieben

Kapitel acht

Kapitel neun

Kapitel zehn

Kapitel elf

Kapitel zwölf

Kapitel dreizehn

Kapitel vierzehn

Kapitel fünfzehn

Kapitel sechzehn

Kapitel siebzehn

Kapitel achtzehn

Kapitel neunzehn

Kapitel zwanzig

Kapitel einundzwanzig

Kapitel zweiundzwanzig

Rezepte

Szekler-Kuchen

Kindjestüch

Baumkuchen-Punschtörtchen

Mutzen

Brauner Kuchen

Schokoladen-Tartelettes

Anmerkung des Autors

Impressum

Kapitel eins

Hinter den Fenstern des Einfamilienhauses blieb alles unbewegt. Keiner hatte sie entdeckt. Luise umklammerte ihren Stapel Vorratsdosen und warf die Tür des Taxis hinter sich zu. Der Taxifahrer hupte gutgelaunt und fuhr mit quietschenden Reifen davon. Der Mann mit dem Schnauzer und der Halbglatze hatte die ganze Fahrt über geredet, über das Wetter, die schlechtgelaunten Fahrgäste in der Vorweihnachtszeit, über Straßen, die nicht repariert würden, und was von der Stadtverwaltung im Allgemeinen zu halten sei, und nicht im Geringsten bemerkt, wie unruhig und abwesend Luise war. Zögernd wandte sie sich nun zum Haus, voller Angst vor dem, was nun kommen würde. Eine einsame Schneeflocke tanzte vor ihrer Nase, wirbelte eine Weile durch die feuchtkalte Luft und landete auf dem Bürgersteig, wo sie augenblicklich schmolz und Teil eines schmutzigen Rinnsals wurde, das sich auf einen Gully zubewegte.

Luise ärgerte sich über sich selbst. Sie hatte das Gefühl, für diese Sache ihren ganzen Mut zusammennehmen zu müssen, wie ein Kind, das sich gegen seine Eltern durchsetzen wollte. Dabei war doch das Gegenteil der Fall. Man sollte denken, mit ihren fünfundsechzig Jahren wäre sie alt genug, um nur sich selbst und sonst keinem mehr Rechenschaft geben zu müssen. Trotzdem fiel es ihr nicht leicht, die Klingel zu drücken. Sie wollte sich in Erinnerung rufen, weshalb sie dies tat. Oder besser, für wen. Sich sein Lächeln vor Augen halten. Das würde ihr Unbehagen mildern.

Ein tiefer Gong schallte durchs Haus. Kurz darauf stand ihre Schwiegertochter Dagmar in der Tür. Sie wirkte abgekämpft, wie so oft. Die Haare hatte sie zum Pferdeschwanz gebunden, die Ärmel der Bluse waren hochgekrempelt, und ein leicht verkniffener Zug lag auf ihrem Gesicht. Als wäre sie nicht zufrieden mit der Richtung, die ihr Leben eingeschlagen hatte, und hätte sich doch damit abgefunden, daran nichts mehr ändern zu können. Sie war erst Anfang vierzig, doch ihr Job als Ärztin im Krankenhaus, die beiden Kinder, die sie auf Trab hielten, und dazu noch die Arbeit im Haushalt, bei der ihr Ehemann, Luises Sohn, zu deren Schande nicht nennenswert half, ließen sie älter aussehen. Sie versuchte zu lächeln, als sie ihre Schwiegermutter sah. Es misslang ihr.

»Luise. Da bist du ja. Komm rein. Ist ja ein scheußliches Wetter. Soll ich dir die Dosen abnehmen?«

»Es geht schon. Das schaffe ich.«

Dagmar wandte sich zur Garderobe und schien ihre Schwiegermutter augenblicklich vergessen zu haben.

»Marie!«, rief sie ärgerlich. »Dein Schulranzen liegt hier immer noch. Wann willst du eigentlich deine Hausaufgaben machen? Du bist schon viel zu spät dran.« Und weil sie keine Antwort bekam, wurde sie lauter. »Marie!«

»Ja doch«, kam es genervt von oben. »Ich komme ja schon.«

»Komm rein, Luise. Du holst dir noch den Tod da draußen.«

Im Mantel folgte Luise ihrer Schwiegertochter, die mit großen Schritten durchs Haus marschierte. Es ging durch das weitläufige Wohnzimmer, das man auf dem Weg zu der offenen Küche zu durchqueren hatte. Maries jüngerer Bruder Lukas lag auf dem Sofa und spielte mit dem Handy. Er löste seinen Blick nur für eine Sekunde vom Display, um zu sehen, wer da gekommen war, dann forderte das Handy wieder seine ganze Konzentration ein. »Hi Oma«, murmelte er kurz, bevor er wieder abgetaucht war.

»Lukas!«, schimpfte Dagmar. »Die Füße vom Tisch! Wo sind wir denn hier?«

Er stöhnte, als wäre seine Mutter eine einzige Zumutung, dann ließ er die Beine vom Tisch rutschen wie ein Bergarbeiter, der nach zwölf Stunden harter Arbeit im Schacht zu keiner Bewegung mehr fähig war. Luise hielt sich weiterhin an ihren Blechdosen fest. Sie durfte nicht vergessen: Es war ihre Entscheidung. Es gab nichts, wofür sie sich entschuldigen musste.

»Sag Papa, dass Oma da ist. Jetzt mach schon. Er ist oben in seinem Arbeitszimmer.«

Wieder ein lautes Stöhnen. Zuerst sah es nicht so aus, als wollte Lukas gehorchen. Doch dann raffte er sich widerwillig auf und schleppte sich aus dem Raum. Dagmar presste verärgert die Lippen aufeinander und marschierte weiter zur Küche.

»Leg doch erst mal ab, Luise. Kann ich dir den Mantel abnehmen? Möchtest du einen Kaffee?«

Luise trat in die Küche. Auf dem großen Tisch sah es aus wie auf einem Schlachtfeld. Ein Durcheinander aus zerrupften Tannenzweigen, Kerzenstumpen, verknoteten Bändern, Klebepistolen, Zangen, Kugeln, Tannenzapfen und Teppichmessern. Mittendrin ein halbfertiger Fensterkranz und ein begonnenes Weihnachtsgesteck. Es sah nicht so aus, als würde Dagmar hier bald Feierabend machen können. Dabei müsste sie morgen wieder früh ins Krankenhaus.

Luise hätte ihr ja geholfen, doch das ging Dagmar gegen die Ehre. Jede der Frauen hatte ihren eigenen Haushalt, für den sie verantwortlich war. Dabei sollte es auch bleiben. Luise stellte die schweren Dosen auf der Anrichte ab. Dann schälte sie sich aus ihrem Mantel.

»Ein Kaffee wäre großartig«, sagte sie. »Aber ohne Koffein bitte.«

»Sind das alles Weihnachtsplätzchen?«, fragte Dagmar mit Blick auf die Dosen. »Da bist du aber früh dran dieses Jahr. Die Kinder werden sich freuen.«

Nicht nur die Kinder, wusste Luise. Dagmar liebte ihre Kekse ebenfalls, auch wenn sie gern so tat, als wären es nur Lukas und Marie, für die Weihnachten ohne Omas Kekse nicht Weihnachten wäre. Das Backen war die einzige Sache, die sie Luise bereitwillig überließ, vermutlich weil Dagmar ihr auf diesem Gebiet ohnehin nicht das Wasser reichen konnte. Backen war Luises große Leidenschaft. Unmöglich, ebensolche Kostbarkeiten zustande zu bringen wie sie. Zumindest würde diese Herausforderung Dagmar mehr Zeit und Kraft kosten, als sie aufzubringen imstande war.

Sie stellte eine Tasse in ihren modernen Kaffeeautomaten und drückte eine Taste. Es surrte, und die schwarze Brühe floss. Luise wusste natürlich, dass diese Maschine unerhört teuer gewesen war. Trotzdem mochte sie ihren Kaffee am liebsten frisch aufgebrüht. Einen Wasserkocher und einen Porzellanfilter, mehr brauchte sie nicht.

»Jochen wird gleich da sein«, sagte Dagmar mit einem Räuspern, als wäre es ihr unangenehm, allein mit Luise zu sein. »Ich bin gespannt, was du uns so Wichtiges mitteilen willst.«

»Ach, so wichtig ist das gar nicht. Ich dachte nur, wo ich die Kekse schon fertig habe, könnte ich ja vorbeikommen. Ich habe sie dieses Jahr früher gebacken, weil …« Sie stockte.

Dagmar runzelte die Stirn. »Weil?«

Marie rettete sie aus der Situation. Sie platzte in die Küche und entdeckte sofort die Dosen auf der Anrichte. Aus dem gelangweilten Teenager wurde schlagartig ein begeistertes Kind.

»Sind das Weihnachtsplätzchen?«

»Sag deiner Oma erst mal guten Tag«, brummte Dagmar.

Marie legte ein entwaffnendes Lächeln auf und umarmte Luise stürmisch. Dann huschte sie zu den Dosen und lugte in die erstbeste hinein.

»Kokosmakronen! Wie geil, Oma! Und Sauerrahm-Kringel.«

»Marie, die sind für Weihnachten!«, schimpfte Dagmar, doch ihre Tochter ignorierte sie.

»Hast du auch Szekler-Kuchen gemacht?«

Das alte Rezept stammte von Luises Mutter aus Siebenbürgen, das mit der Flucht nach dem Krieg samt der Familie in Frankfurt gelandet war. Ein kleines Stück Siebenbürgener Weihnachten, das Luise mit Freude an die nächste Generation weitergab.

»Natürlich. Ich weiß doch, dass es deine Lieblingsplätzchen sind.«

Marie hüpfte freudig auf der Stelle und öffnete die nächste Dose.

»Marie! Lass die Dosen zu. Die sind für Weihnachten.«

»Ach komm schon, Mama. Nur einen.«

Lukas war ebenfalls in der Küche aufgetaucht. Die Unruhe um die Plätzchen hatte es geschafft, ihn von seinem Handy wegzulocken.

»Omas Plätzchen? Cool.«

Auch er war sofort mit spitzen Fingern an den Dosen. Ehe Dagmar einschreiten konnte, tauchte jedoch Jochen in der Küche auf, und wie immer schaffte er es allein durch seine Präsenz, dass alle im Raum sich ihm zuwandten. Er war groß und bullig, und seine entschlossenen Bewegungen hatten etwas an sich, dass man sich ihm lieber nicht in den Weg stellen wollte. Auch wirkte sein Lächeln oft wie eine verhaltene Drohung, dass er jederzeit andere Saiten aufziehen könnte. Dabei war er im Grunde ein guter Junge, der das Herz am rechten Fleck hatte, das wusste Luise. Trotzdem verstand sie, warum er in seiner Baufirma eher gefürchtet als respektiert war. Er hatte eben gelernt, sich durchzusetzen.

Jochen begrüßte sie, indem er ihr etwas ungelenk die Schulter tätschelte. Dann entdeckte er ebenfalls die Blechdosen und zog sich einen Spekulatius heraus. Ehe Dagmar protestieren konnte, hatte er schon ein großes Stück abgebissen. Blieben also nur die Kinder, mit denen es Dagmar aufnehmen konnte.

»Das reicht jetzt«, schimpfte sie. »Die restlichen Kekse sind für Weihnachten. Ihr geht auf eure Zimmer. Ab mit euch, macht schon.«

Murrend gehorchten sie. Jochen zog einen weiteren Spekulatius hervor und schob ihn sich ganz in den Mund, was in seiner Beiläufigkeit ein wenig maßlos wirkte.

»Ich hab leider nur kurz Zeit«, sagte er kauend. »Ich muss zurück an den Computer. Was gibt es denn so Wichtiges, Mutter?«

»Ach, es ist gar nicht so wichtig … Ich wollte nur mit euch reden … euch etwas mitteilen.«

Sie ärgerte sich darüber, wie ihr Herz zu klopfen begann.

»Es geht um Weihnachten«, begann sie.

»Was soll denn sein mit Weihnachten?« Jochen öffnete die Dose mit den Sauerrahm-Kringeln. Er griff beherzt zu. »Wir machen alles wie immer. Du kommst Heiligabend zu uns, und fertig.«

»Aber ich meine … also, was wäre denn, wenn ich andere Pläne hätte?«

»Andere Pläne? Was denn für Pläne?«

»Ich habe nachgedacht, Jochen. Ihr braucht mich doch eigentlich nicht. Es würde gar nicht auffallen, wenn ich Weihnachten nicht hier bin. So ist es, nicht wahr?«

»Jetzt hör aber auf. Wir haben doch darüber gesprochen. Du störst nicht. Ganz im Gegenteil. Wieso fängst du schon wieder damit an?«

»Wir freuen uns, wenn du bei uns bist«, stimmte Dagmar zu. »Für die Kinder ist es doch inzwischen ganz normal, dass ihre Oma Heiligabend da ist. Das kennen die gar nicht mehr anders.«

»So ist es. Du gehörst dazu, Mutter. Das weißt du hoffentlich.«

»Ja, natürlich weiß ich das.«

Seit fünf Jahren gehörte sie dazu. So lange feierte sie die Festtage schon im Haus ihres Sohnes. Seit Hubert gestorben war, ihr Ehemann. Fünf Jahre. Es kam ihr vor, als wäre er gerade noch da gewesen, und gleichzeitig fühlte es sich an, als wären sie schon seit einer Ewigkeit getrennt.

»Und ich bin euch sehr dankbar dafür. Nur … ich habe mir überlegt, dass ich dieses Jahr Weihnachten woanders feiern könnte. Einfach mal was anderes machen könnte.«

»Woanders?«, fragte Dagmar irritiert. »Aber … wo denn?«

»Das ist doch Quatsch. Du feierst bei uns. Was sind das auf einmal für komische Ideen?«

»Willst du etwa bei dir zu Hause sitzen? Ganz allein?«

»Nein. Ich will …« Sie räusperte sich. Sie durfte jetzt nicht nachgeben. »Ich will nach Lübeck fahren.«

Die beiden wirkten ziemlich verblüfft.

»Nach Lübeck? Was willst du denn in Lübeck?«

»Und dann noch Weihnachten? Was soll das?«

»Ich möchte es halt. Das Hotel ist schon gebucht. Am zweiten Weihnachtstag bin ich wieder zu Hause. Da holen wir unser Familienfest nach.«

Sie starrten Luise ungläubig an.

»Denkst du wirklich, du bist eine Last für uns? Du bleibst natürlich hier.« Jochen verschränkte die Arme. »Was ist denn in dich gefahren? Wir haben dich gern hier, das weißt du doch.«

»Es hat damit wirklich nichts zu tun, Jochen. Es ist nur … ich möchte das. Ich möchte nach Lübeck fahren.«

»Du kannst jederzeit in Urlaub fahren. Nach Lübeck oder sonst wohin. Aber doch nicht Weihnachten. Da feiern wir zusammen, als Familie. Wie sich das gehört.«

Sein Ton war so bestimmt, dass es schwerfiel, sich ihm entgegenzustellen. Selbst für sie, die doch seine Mutter war. Sie wusste natürlich, dass sie eine Mitschuld hieran trug. Nach Huberts Tod brauchte sie einen Sohn, der stark war und sich kümmerte. Sie wollte, dass Jochen den Part des Familienoberhaupts übernahm. Dass er alles regelte, Entscheidungen traf. Dass er tat, wozu sie nicht in der Lage gewesen war. Er hatte ihr lediglich den Gefallen getan, die Rolle anzunehmen, in der sie ihn brauchte.

»Ich habe es so entschieden, Jochen.«

»Dann machst du deine Entscheidung eben rückgängig. Wieso redest du denn über so was nicht vorher mit uns? Anstatt hier kurz vor Schluss aufzutauchen und uns vor vollendete Tatsachen zu stellen?«

Luise schwieg, hielt seinem Blick jedoch stand.

»Aber … willst du allein fahren?«, fragte Dagmar.

»Ich fahre zusammen mit Sophia. Meiner Freundin aus dem Kartenclub. Ihr kennt sie doch. Wir machen Urlaub. Lübeck soll wunderschön sein zur Weihnachtszeit.«

Es half nichts. In diesem Punkt musste sie lügen. Wenn sie auch noch zugeben würde, allein zu fahren, würde sie sich niemals gegen Jochen behaupten können.

Dagmar schüttelte den Kopf. »Und dann wollt ihr Heiligabend im Hotel rumsitzen?«

»Tut mir leid, Mutter. Aber das ist wirklich eine selten blöde Idee. Das Hotel lässt sich sicher stornieren. Du bleibst hier.«

Luise streckte den Rücken durch. Sie sah ihrem Sohn fest in die Augen.

»Ich fahre. Punkt.«

Er schwieg düster. So kannte er seine Mutter nicht.

»Wir haben das so entschieden«, schob sie hinterher. »Es war schön, dass ihr mich in den letzten Jahren aufgenommen habt, und dafür bin ich euch sehr dankbar. Doch dieses eine Mal mache ich eben was anderes. Und am zweiten Feiertag bin ich zurück, dann feiern wir zusammen.«

Weihnachten in Lübeck: Dieses Versprechen hatte sie Hubert gegeben. Vielmehr hatten sie es sich gegenseitig gegeben, als er noch gelebt hatte. Denn als sie vor Jahren auf dem Weg nach Hamburg zufällig in der kleinen Hansestadt gelandet waren und dort ganz unvermutet in den mittelalterlichen, weihnachtlich glitzernden Gassen zur Ruhe und sich selbst gefunden hatten, als frisch verliebtes Pärchen durch eine verzauberte Winterwelt geschlendert waren, da hatten sie sich geschworen: Hierher kehren wir eines Tages zurück, nur wir zwei, mit mehr Zeit, und dann feiern wir zusammen Weihnachten. Weihnachten in Lübeck. Doch in den Jahren danach war dieser Vorsatz immer wieder aufgeschoben worden. Ständig war etwas anderes dazwischengekommen, und sie hatten sich aufs nächste Jahr vertröstet. Bis dieser eine schwarze Tag alles geändert und es kein nächstes Jahr mehr für sie gegeben hatte.

Jedes Mal zur Weihnachtszeit erinnerte sich Luise an das Versprechen: Nur wir zwei, irgendwann machen wir das wahr. Nun war es so weit. Sie wollte fahren. Es gab keinen Grund mehr, die Reise aufzuschieben. Sie würde ihr Versprechen einlösen.

Lukas war in der Küche aufgetaucht. Sein Handy dudelte leise in seiner Hand. Er sah verwundert zu den Erwachsenen.

»Was ist los?«, fragte er unsicher.

»Nichts, mein Junge.« Luise strich ihm übers Haar. »Ich fahre nur in den Urlaub. An die Ostsee.«

»Echt? Wann denn?«

Sie wechselte einen Blick mit Jochen und Dagmar.

»Über Weihnachten«, sagte sie mit fester Stimme.

»Ist doch cool, Oma.«

Das war es. Es fühlte sich an, als hätte Lukas das letzte Wort gesprochen. Jochen und Dagmar schwiegen zähneknirschend. Lukas nutzte die Gelegenheit und stibitzte sich ein weiteres Plätzchen.

»Finde ich echt super, dass du mal Urlaub machst, Oma«, sagte er. »Abgefahren.«

Dann verschwand er mit seiner Beute aus der Küche. Luise spürte das schlechte Gewissen, als sie ihren Sohn schweigend und überrumpelt sah. Doch auf solche Schuldgefühle durfte sie keine Rücksicht nehmen. Sie hatte es geschafft.

»Dann sehen wir uns am zweiten Weihnachtstag?«, fragte sie versöhnlich.

Jochen verschränkte die Arme. »Wenn du es unbedingt so willst. Aber ich halte immer noch nichts von der Idee.«

»Mach es mir bitte nicht so schwer.«

»Ich sag schon nichts mehr. Ich muss sowieso zurück an den Schreibtisch. Soll ich dich schnell nach Hause bringen?«

»Das ist nicht nötig. Ich hab euch lange genug von der Arbeit abgehalten.«

Kurz darauf stand Luise wieder draußen im Schneeregen und wartete auf das Taxi. Sie spürte weder Kälte noch Wind. Ihr Herz hüpfte in der Brust, erleichtert, dass sie sich nicht hatte aufhalten lassen.

»Irgendwann, Lulu«, hatte Hubert stets gesagt. »Irgendwann ist es so weit. Fest versprochen.«

Unter ihrem Regenschirm musste Luise erleichtert auflachen. Sie hatte sich tatsächlich durchgesetzt. So schwer war es gar nicht gewesen.

»Jetzt, Hubert«, flüsterte sie in den nasskalten Wind. »Jetzt ist es so weit.« Sie drehte sich mit dem Schirm im Kreis und lachte wie ein Mädchen. »Wir fahren nach Lübeck. Ist das nicht wundervoll?«

Kapitel zwei

Fünf Jahre. Wirklich schwer, das zu glauben. Seit fünf Jahren lebte sie schon allein in dem großen Haus am Frankfurter Stadtrand. Manchmal hatte sie immer noch das Gefühl, Hubert wäre nur kurz draußen und käme gleich zurück. Oder er würde ihr aus seinem Hobbykeller zurufen, sie solle doch eine Tasse Kaffee für ihn mitkochen, wenn sie ohnehin Wasser aufsetze. Als wäre nur ein Wimpernschlag vergangen seit damals. Dann wieder kam es ihr vor, als wäre sie schon seit Ewigkeiten allein, das gemeinsame Leben mit Hubert nur noch eine blasse Erinnerung.

Dabei würde sie von sich nicht einmal behaupten, einsam zu sein. Da waren schließlich der Kartenclub, der Lesezirkel, ihre Freundin Sophia und natürlich die Familie. Und das Backen. Auf einer Rezeptseite im Internet war sie so etwas wie eine kleine Berühmtheit. Eine Menge Leute probierten ihre Rezepte aus und schrieben ihr in den Foren. Es gab zwei junge Bloggerinnen, die Luise überreden wollten, ihren eigenen Blog aufzumachen, eine Art eigene Internetseite für ihre Rezepte. Zwar fand Luise sich deutlich zu alt für so was, doch war es schön, sich mit jungen Leuten auszutauschen, die sie sonst niemals kennengelernt hätte. So gesehen war sie nicht einsam; nicht, wenn man von außen auf ihr Leben blickte.

Innerlich fühlte es sich anders an. Am schlimmsten waren die Morgenstunden. Das Aufwachen im leeren Bett, die Morgentoilette, bei der trotz plärrendem Radio das Bad still und verwaist wirkte, und schließlich der erste Kaffee, den sie in der Küche trank, mit Blick in den Garten, wo hinter der Fensterscheibe langsam die Jahreszeiten wechselten. Und keiner war da, der sie fragte, ob sie rasch die Butter reichen oder das Fenster öffnen könne, um frische Luft reinzulassen. Sie hörte nur das Ticken der Wanduhr und ihr eigenes Schlucken. Daran würde sie sich auch in hundert Jahren nicht gewöhnen können.

Dabei war Hubert wie sie ein Morgenmuffel gewesen. Morgens in der Früh hatten sie kaum miteinander geredet. Hubert hatte Kaffee gekocht, Luise den Tisch gedeckt, danach hatte er schweigend sein Vollkornbrötchen gegessen, während sie kaffeetrinkend in die Zeitung vertieft gewesen war. Erst wenn das Frühstück beendet war, hatte sich Hubert irgendwann gereckt und gefragt: »Und, Lulu? Was steht heute an?« Und sie hatten angefangen zu reden.

Wer hätte damals gedacht, dass ihr dieses gemeinsame Schweigen am Morgen am schmerzlichsten fehlen würde?

Draußen zog die winterliche Morgendämmerung herauf, die Sonne färbte den Horizont blutrot. Im Zwielicht war eine hauchdünne, verletzliche Schneeschicht auf dem Rasen zu sehen. Luise nippte an der dampfenden Kaffeetasse. Ein neuer Tag. Wieder einer ohne Hubert. So wie alle Tage, die ihr noch bevorstanden.

Die Türklingel riss sie aus ihren Gedanken. Im ersten Moment glaubte sie, er wäre es. Was natürlich Unsinn war. Sie hatte sich wieder in ihren Gedanken verloren. Eilig stand sie auf und ging zur Tür. Es war der Postbote, mit einem Paket für die Nachbarn.

»Auf den Straßen ist es ziemlich glatt heute Morgen«, teilte er Luise mit, während sie gegenzeichnete.

Bedauernd erwiderte sie: »Aber der Schnee bleibt nicht liegen. Dafür ist es zu warm.« Sie mochte es, wenn die Welt wie mit Puderzucker bedeckt war. »Es soll Regen geben. Heute Mittag wird alles weggeschmolzen sein.«

»Wollen wir’s hoffen. Schönen Tag noch.«

Der Postbote schwang sich in seinen Wagen und fuhr davon. Luise sog die klare frostige Luft ein. Sie betrachtete den Winterjasmin, der an einem Gitter an der Hauswand hochrankte. Hubert hatte ihn gepflanzt, es war seine Lieblingspflanze. Es gab keine Stelle am Haus oder im Garten, die sie nicht an ihn erinnerte. Hubert hatte es geliebt, wenn der Jasmin schon im Januar oder Februar den Frühling ankündigte. Wenn die Kraft der kleinen gelben Blüten sich gegen die karge, leblose Natur behauptete. Besonders wenn Schnee auf den Blüten lag, liebte er diesen Anblick des aufkeimenden Lebens.

Sie strich über einen knorrigen Ast. Lange würde es der Jasmin nicht mehr machen. Er war alt und morsch geworden. Schon im letzten Winter hatte er nicht mehr geblüht. Womöglich würde er in diesem Jahr endgültig absterben. Ob sie es übers Herz brächte, ihn dann aus der Erde zu reißen? Sie wandte sich ab und trat mit dem Paket in der Hand ins warme Haus.

Hinterm Küchenfenster wurde es langsam heller, das schwache Licht der Dämmerung verlor seinen unwirklichen Schein, und am Horizont tauchte die Sonne auf. Luise blickte sich in der stillen Küche um. Und, Lulu? Was steht heute an?

Die Koffer waren längst gepackt. Viel zu früh. Auch sonst waren alle Vorbereitungen getroffen. Sie hatte noch viel Zeit, bevor der Zug heute Mittag fahren würde. Das Paket würde sie in einer Stunde zu den Nachbarn bringen, dann wäre sicher jemand zu Hause. Doch bis dahin war nichts mehr zu tun.

Wie immer, wenn sie nichts mit sich anzufangen wusste, begann sie zu backen. Sie holte Butter aus dem Kühlschrank, um sie auf Zimmertemperatur anzuwärmen. Stellte Mehl, Zucker, Eier und Haselnüsse auf den Tisch. Ein paar weihnachtliche Tartelettes, die ließen sich bestimmt noch verschenken. Hauptsache, sie geriet nicht ins Grübeln. Beim Backen konnte sie die Zeit vergessen. Alle Gedanken aus dem Kopf entschwinden lassen. Sogar die Einsamkeit während der Dämmerung an so einem Wintermorgen ließ sich damit in den Hintergrund drängen.

Bald duftete es in der Küche nach Zimt, Ingwer und Koriander. Dazu mischte sich das Aroma der Backschokolade, die sie über dem Wasserdampf schmelzen ließ. Die Wärme aus dem Ofen ließ die Fensterscheiben beschlagen, und Luise vergaß nach einer Weile sogar die Aufregung, die sie wegen der anstehenden Reise verspürte.

Sie war gerade mit dem Abwasch fertig (die Tartelettes standen am Fenster zum Abkühlen), da schreckte lautes Autohupen sie auf. Sie ging zur Haustür. Die Morgensonne hatte den Schnee längst schmelzen lassen. Im Vorgarten glitzerten Sonnenstrahlen zwischen den kahlen Zweigen. Vom angekündigten Regen war noch nichts zu sehen. Nur ein paar dichte Wolken, die am Horizont aufzogen.

Ein roter Flitzer bremste mit quietschenden Reifen vor ihrem Haus ab und sprang mit einem ungelenken Satz auf den Bürgersteig. Das Bodenblech ratschte über den Bordstein, dann soff der Motor ab. Das Fenster fuhr herab, und aus dem Innern drang in unfassbarer Lautstärke der alte Disco-Hit Love Is In The Air. Ihre Freundin Sophia.

»Luise!«, flötete die. »Da bin ich. Pünktlich auf die Minute.«

Sie zog den Schlüssel ab, und die Musik verstummte. Die missliche Parksituation schien sie nicht weiter zu stören, wie üblich. Die meisten Leute weigerten sich, zu Sophia ins Auto zu steigen. Alle gemeinsamen Freunde, ihre Familie sowieso. Luise sagte sich jedoch immer, dass Sophia über fünfzig Jahre unfallfrei gefahren war. Was sollte also schon passieren, außer dass es etwas holprig werden konnte? Aber vielleicht lag das auch daran, dass Luise keinen Führerschein hatte und wenig übers Autofahren wusste. Sophia setzte ihre hochhackigen Schuhe divenhaft auf den Asphalt, stemmte sich anmutig aus dem Sitz und warf mit einem eleganten Hüftschwung die Autotür ins Schloss. Auch mit achtundsechzig Jahren sah sie noch toll aus. Ein enganliegendes Kostüm, das ihre schlanke Figur unterstrich, kirschroter Lippenstift und ein silberner Bubikopf.

»Ich hoffe, du hast schon gepackt, Luise. Wir sind zwar früh dran, aber der Verkehr in der Stadt ist die Hölle.«

»Alles fertig. Ich habe dir noch schnell ein paar Tartelettes gemacht. Mit Schokofüllung.«

Zwar aß Sophia nicht wirklich, was Luise backte. Eher stach sie mit der Kuchengabel darin herum und schob Kuchenstücke von einem Tellerrand zum anderen, um nur ab und zu mal ein paar Krümel zu picken. Trotzdem wusste sie zu schätzen, wenn für sie gebacken wurde. Und den Rest verputzte mit Freuden ihre Familie.

»Ach, du bist ein Engel«, flötete sie und gab ihr affektiert Wangenküsschen.

Wer sie nicht richtig kannte, würde kaum glauben, was für eine treue, gewissenhafte Freundin sie war. Nach Huberts Tod war sie da gewesen, eine der wenigen. Sie war beharrlich an ihrer Seite geblieben, bis Luise endlich Schritt für Schritt aus ihrem Schneckenhaus herausgekommen war. Das hatte ihr sicherlich mehr abverlangt, als sie sich hatte anmerken lassen.

»Warst du gestern bei Jochen und Dagmar? Hast du es ihnen gesagt?«

»Ich habe die Katze aus dem Sack gelassen.«

»Und? Wie haben sie reagiert?«

»Begeistert waren sie nicht. Aber es ist meine Entscheidung. Damit müssen sie klarkommen.«

»Sie lassen dich Weihnachten tatsächlich allein feiern?«

»Nun ja …« Luise wurde verlegen. »Ich bin nicht ganz allein. Offiziell jedenfalls nicht. Da bist du bei mir.«

»Du hast sie angelogen!«, rief Sophia begeistert. »Wer hätte das gedacht? Unsere Luise führt ihre Familie hinters Licht.«

»Komm schon rein, Sophia. Das muss nicht die ganze Nachbarschaft hören. Ich mache uns einen schönen Kaffee.«

Sophia hakte sich bei ihrer Freundin ein und zwinkerte ihr zu. »Meine Intrigen spinnende Freundin … Ich wusste doch, dass du es noch draufhast.«

Kaum saßen sie im Wohnzimmer zusammen, kam Sophia auf das Tanz-Event zu sprechen, das sie am Vorabend besucht hatte. Seit einigen Wochen waren diese Partys das vorherrschende Thema bei ihnen. Eine Seniorenveranstaltung in der Stadt, zu der sie Luise schon mehrmals hatte mitnehmen wollen. Eine Mischung aus Disco und Kaffeeklatsch mit Singlebörse. Sophia fand, auch Luise müsse mal wieder ausgehen und Männern entgegentreten. Das sei längst überfällig.

»Das tut einem gut, Luise. Tanzen, lachen, die Komplimente netter Männer genießen … Du musst mal raus. Beim nächsten Mal kommst du mit, das musst du mir versprechen.«

»Ich weiß nicht, ob das für mich das Richtige ist. Ich glaube, ich fühle mich ein bisschen zu alt dafür.«

»Zu alt!« Sophia lachte. »Du bist drei Jahre jünger als ich. Und du sollst dich ja auch nicht dem Erstbesten an den Hals werfen. Nur ein bisschen Spaß haben. Komm schon. Wer weiß denn, wie lange wir gesund bleiben? Da müssen wir das Leben doch genießen, findest du nicht?«