Das Dschungelbuch - Rudyard Kipling - E-Book + Hörbuch

Das Dschungelbuch E-Book und Hörbuch

Rudyard Kipling

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Beschreibung

Illustrierte und überarbeitete Ausgabe Das Dschungelbuch ist eine Sammlung von Erzählungen und Gedichten des britischen Autors und Literaturnobelpreisträgers Rudyard Kipling von 1894. Die bekanntesten Erzählungen darin handeln von Mogli, einem Findelkind, das ohne Kontakt zu Menschen bei den Tieren des indischen Dschungels aufwächst. Mogli muss lernen, dass die Gesetze der Natur hart sind. Das Dschungelbuch ist eines der bekanntesten und erfolgreichsten Jugendbücher der Welt. Null Papier Verlag

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Seitenzahl: 236

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Rudyard Kipling

Das Dschungelbuch

Rudyard Kipling

Das Dschungelbuch

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019Illustrationen: John Lockwood Kipling, Paul Frenzeny, Henri Rousseau, W. H. DrakeÜbersetzung: J. Schulze, Curt Abel-Musgrave 2. Auflage, ISBN 978-3-954181-62-9

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Inhaltsverzeichnis

Mo­g­lis Brü­der

Jagd­ge­sang des Sio­ni-Ru­dels

Kaas Jagd­tanz

Wan­der­lied des Af­fen­vol­kes

»Ti­ger – Ti­ger!«

Mo­g­lis Sie­ges­lied

Die wei­ße Rob­be

Lu­kan­non

Rik­ki-Tik­ki-Tavi

Dar­sies Sie­ges­ge­sang

Too­mai, der Lieb­ling der Ele­fan­ten

Schi­wa und die Heuschre­cke

Dan­ke

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Moglis Brüder

Nun bringt der Weih die dunkle Nacht, Und »Mang«, die Fle­der­maus, er­wacht. Der Stall birgt al­les Her­den­tier, Denn bis zum Mor­gen herr­schen wir! Die Stun­de stol­zer Kraft hebt an Für Pran­ken­hieb und schar­fen Zahn. Jagd­heil! und kühn ge­hetzt, ge­rafft: Das Dschun­gel­recht ist jetzt in Kraft.

Nacht­ge­sang im Dschun­gel

Ge­gen sie­ben Uhr an ei­nem recht schwü­len Som­mer­abend in den Sio­ni­ber­gen er­wach­te Va­ter Wolf, gähn­te, reck­te sich und streck­te die Läu­fe, einen nach dem an­de­ren, um das Schlaf­ge­fühl in sei­nen Pfo­ten los­zu­wer­den. Ne­ben ihm lag Mut­ter Wolf, die lan­ge graue Nase quer über den vier win­seln­den und quar­ren­den Jun­gen, und von drau­ßen her schi­en der Mond in die Höh­le, in der sie alle mit­ein­an­der haus­ten.

»A-ruff«, knurr­te Va­ter Wolf, »schon wie­der Zeit, auf Jagd zu ge­hen.« Gera­de woll­te er den Hang hin­ab­set­zen, als am Ein­gang der Höh­le ein klei­ner Schat­ten mit bu­schi­ger Rute er­schi­en und win­sel­te: »Glück sei mit dir, Häupt­ling der Wöl­fe! Und viel Glück dei­nen ed­len Kin­dern, wei­ße, schar­fe Zäh­ne mö­gen ih­nen wach­sen. Sol­len sie nie die Hun­gern­den und Dar­ben­den ver­ges­sen in die­ser Welt!«

Der Scha­kal war es – Ta­ba­qui, der Schüs­sel­le­cker. Die Wöl­fe in In­di­en ver­ach­ten ihn, weil er Un­heil stif­tend um­her­schweift und böse Ge­schich­ten er­zählt. Ja, er ver­schlingt so­gar alte Lum­pen und Le­der­stücke von den Ab­fall­hau­fen der Dör­fer. Aber sie fürch­ten ihn auch, denn Ta­ba­qui wird leicht von Toll­wut be­fal­len, viel leich­ter als ir­gend­ein an­de­res Tier im Dschun­gel. Dann ver­gisst er, dass er je Angst ge­habt hat, rennt blind­wü­tend durch die Wäl­der und beißt und würgt al­les, was ihm in den Weg kommt. Dann flüch­tet selbst der Ti­ger vor dem klei­nen Ta­ba­qui und ver­birgt sich im Dickicht; denn von der Toll­wut be­fal­len zu wer­den, ist die größ­te Schan­de für die Tie­re der Wild­nis. Wir Men­schen nen­nen es Hy­dro­pho­bie, aber die Be­woh­ner des Dschun­gel sa­gen ein­fach De­wa­nii – Wahn­sinn – und flüch­ten da­von.

»Tritt ein und schau«, sag­te Va­ter Wolf. »Fraß fin­dest du hier nicht.«

»Für einen Wolf wohl kaum«, ant­wor­te­te Ta­ba­qui. »Aber für ein so nied­ri­ges Ge­schöpf wie ich ist ein tro­ckener Kno­chen ein Fest­schmaus. Wer sind wir denn, wir Gidur­log, wir ar­mes Scha­kal­volk, dass wir wäh­le­risch sein könn­ten?« Er trat nach dem Hin­ter­grund der Höh­le und fand dort den Kno­chen ei­nes ge­ris­se­nen Bocks mit noch et­was Fleisch dar­an; bald saß er und knack­te ver­gnügt an dem Kno­chen.

»Tie­fen Dank für das präch­ti­ge Mahl«, sag­te er, sich die Lip­pen le­ckend. »Ah, wie schön sind die ed­len Kin­der! Wie groß und klar sind ihre Au­gen. Und so jung sind sie noch, die lie­ben Klei­nen! Frei­lich – frei­lich, es ist ja all­be­kannt, dass Kin­der von Kö­ni­gen schon Män­ner sind von Ge­burt an.«

Nun wuss­te Ta­ba­qui eben­so gut wie je­der an­de­re, dass man nichts Un­schick­li­che­res tun kann, als Kin­der ins Ge­sicht hin­ein zu lo­ben – denn das ist von schlim­mer Vor­be­deu­tung. Und es freu­te ihn, als Va­ter und Mut­ter Wolf be­tre­ten schwie­gen.

Noch eine Wei­le saß Ta­ba­qui und wei­de­te sich an dem Un­heil, das er an­ge­rich­tet hat­te. Dann sag­te er bos­haft:

»Schir Khan, der Ge­wal­ti­ge, hat sei­ne Jagd­grün­de ver­legt. Hier in die­sen Hü­geln wird er ja­gen im nächs­ten Mond – so sag­te er mir selbst.«

Schir Khan war der Ti­ger, der an den Ufern des Wain­gun­gaflus­ses leb­te – un­ge­fähr zwan­zig Mei­len ent­fernt.

»Dazu hat er kein Recht!« braus­te Va­ter Wolf auf. »Nach dem Ge­setz des Dschun­gels darf er sei­ne Jagd­grün­de nicht wech­seln ohne vor­he­ri­ge An­kün­di­gung. Al­les Wild wird er uns ver­grä­men auf zehn Mei­len im Um­kreis, und ich – ich muss jetzt ja­gen für zwei.«

»Sei­ne Mut­ter nann­te ihn nicht ohne Grund Lan­gri, den Lah­men«, warf Mut­ter Wolf ein. »Lahm auf ei­nem Fuß ist er von Ge­burt an. Da­rum auch reißt er nur Rind­vieh. Nun sind die Dör­f­ler am Wain­gun­ga zor­nig über ihn, und jetzt kommt er hier­her und wird un­se­re Dör­f­ler auf­brin­gen. Um sei­net­wil­len wer­den sie den Dschun­gel aus­räu­chern, wenn er schon wie­der weit fort ist; wir aber und un­se­re Jun­gen müs­sen dann flüch­ten, wenn das Gras in Brand ge­steckt ist. Wahr­lich, sehr dank­bar sind wir ihm, dem großen Schir Khan!«

»Soll ich ihm viel­leicht eu­ren Dank über­brin­gen?« frag­te Ta­ba­qui.

»Pack dich!« japp­te Va­ter Wolf. »Geh zu dei­nem Herrn und Meis­ter! Un­heil ge­nug hast du ge­stif­tet in ei­ner Nacht!«

»Ich gehe!« sag­te Ta­ba­qui ge­las­sen. »Da könnt ihr ihn schon hö­ren, den Schir Khan, drun­ten im Dickicht. Die Bot­schaft konn­te ich mir spa­ren.«

Lau­schend spitz­te Va­ter Wolf die Ohren. Dann ver­nahm er un­ten im Tal, das sich zu ei­nem klei­nen Bach hin­ab­senkt, das är­ger­li­che, schnar­ren­de, nä­seln­de Ge­win­sel ei­nes Ti­gers, der nichts ge­schla­gen hat­te und den es nicht küm­mert, dass al­les Dschun­gel­volk sein Miss­ge­schick er­fährt.

»Der Narr, der!« knurr­te Va­ter Wolf. »Die Nacht­ar­beit mit sol­chem Lärm zu be­gin­nen! Glaubt er etwa, dass un­se­re Bö­cke eben­so dumm sind wie sei­ne fet­ten Och­sen am Wain­gun­gafluss?«

»Still!« sag­te Mut­ter Wolf. »Still, Al­ter. Hörst du denn nicht? We­der Och­se noch Bock hetzt er heu­te … den Men­schen jagt er!«

Das Ge­win­sel des Ti­gers ging nun über in ein lang­ge­zo­ge­nes, sum­men­des Schnur­ren – so laut und doch so un­be­stimmt, dass es schi­en, als käme es aus al­len Him­mels­rich­tun­gen zu­gleich. Das war das Sum­men, das den Holz­fäl­lern und Zi­geu­nern, die in den Lich­tun­gen ras­ten, das Blut er­star­ren macht – kopf­los flie­hen sie dann, stür­zen wie von Sin­nen da­von, oft ge­ra­de hin­ein in den flam­men­den Ra­chen des Ti­gers.

»Men­schen!« wie­der­hol­te Va­ter Wolf und fletsch­te sei­ne wei­ßen Zäh­ne. »Puh! Gibt es denn nicht ge­nug Ge­würm und Frösche in den Sümp­fen, dass er Men­schen fres­sen muss … und noch dazu in un­se­rem Ge­bie­te?«

Das Ge­setz des Dschun­gels, das nichts ohne gu­ten Grund vor­schreibt, ver­bie­tet den Tie­ren, Men­schen an­zu­grei­fen, mit der ein­zi­gen Aus­nah­me, wenn ein Tier sei­ne Jun­gen das Ja­gen und Tö­ten lehrt. Das aber darf nur ab­seits ge­sche­hen, nie­mals in den Jagd­grün­den des ei­ge­nen Ru­dels oder Stam­mes. Der wah­re Grund da­für ist, dass frü­her oder spä­ter, wenn ein Mensch ge­tö­tet ist, die Bleich­ge­sich­ter an­rücken auf Ele­fan­ten, mit Büch­sen be­waff­net, be­glei­tet von Hun­der­ten von brau­nen Die­nern, mit Gongs, Ra­ke­ten und Fa­ckeln. Dann ha­ben alle im Dschun­gel zu lei­den. Die Tie­re aber ge­ben als Grund an, dass der Mensch das schwäch­lichs­te und wehr­lo­ses­te al­ler Ge­schöp­fe ist, da­her sei es un­sport­lich, ihn an­zu­grei­fen. Sie sa­gen fer­ner – und das ist die Wahr­heit –, vom Men­schen­fleisch wür­den sie räu­dig und ver­lö­ren die Zäh­ne.

Lau­ter wur­de das Schnur­ren und en­de­te plötz­lich in ei­nem schar­fen, tief­keh­li­gen »Aaaoh!« beim Auf­sprung des Ti­gers.

Dann er­tön­te Ge­heul – un­ti­ge­ri­sches Ge­heul und Ge­maunz von Schir Khan. »Er hat ge­fehlt«, sag­te Mut­ter Wolf. »Was war es?«

Va­ter Wolf trab­te ein paar Schrit­te vor die Höh­le und ver­nahm das wü­ten­de Ge­heul Schir Khans, der in den Bü­schen im Tal­grund her­um­feg­te.

»So ein Dumm­kopf«, brumm­te Va­ter Wolf. »In das Feu­er ei­nes Holz­fäl­lers ist er ge­sprun­gen und hat sich da­bei die Pfo­ten ver­brannt! Ta­ba­qui ist bei ihm.«

»Et­was kommt den Hü­gel her­auf«, flüs­ter­te Mut­ter Wolf und stell­te einen Lau­scher hoch. »Auf­ge­passt!«

In dem Ge­büsch ra­schel­te es lei­se, und Va­ter Wolf duck­te sich, zum Sprun­ge be­reit. Dann aber ge­sch­ah et­was höchst Selt­sa­mes. Der Wolf war ge­sprun­gen, be­vor er noch das Ziel er­kannt hat­te, und such­te sich nun plötz­lich mit­ten im Sat­ze auf­zu­hal­ten. Die Fol­ge war, dass er vier oder fünf Fuß ker­zen­ge­ra­de in die Luft schoss und fast auf der­sel­ben Stel­le lan­de­te, von der er ab­ge­sprun­gen war.

»Ein Mensch!« stieß er her­vor. »Ein Men­schen­jun­ges! Sieh nur!«

Gera­de vor ihm, an einen nied­ri­gen Zweig ge­klam­mert, stand ein nack­ter, brau­ner Jun­ge, der eben erst lau­fen ge­lernt hat­te – ein ganz zar­tes, klei­nes, kraus­lo­cki­ges We­sen, das da in der Nacht zu ei­ner Wolfs­höh­le ge­kom­men war. Es sah dem Wolf ins Ge­sicht und lach­te.

»Was?« frag­te Mut­ter Wolf. »Ist das ein Men­schen­jun­ges? Ich habe noch nie eins ge­se­hen. Bring es her!«

Wöl­fe, die ihre ei­ge­nen Jun­gen über Stock und Stein tra­gen, kön­nen, wenn nö­tig, ein Ei zwi­schen die Zäh­ne neh­men, ohne es zu zer­bre­chen. Ob­gleich sich Va­ter Wolfs Ra­chen über dem Kin­de schloss, so hat­ten sei­ne spit­zen Zäh­ne doch nicht ein­mal die wei­che Haut des stram­peln­den Klei­nen ge­ritzt, als er ihn zu sei­nen ei­ge­nen Jun­gen leg­te.

»Wie win­zig! Wie nackt und – wie tap­fer!« sag­te Mut­ter Wolf sanft. Der Klei­ne dräng­te die Wolfs­jun­gen bei­sei­te, um dicht an das war­me Fell der Mut­ter zu ge­lan­gen. »Ahai, er sucht sei­ne Nah­rung ganz wie die an­de­ren. Das also ist ein Men­schen­jun­ges? Sag, hat sich je eine Wöl­fin rüh­men kön­nen, ein Men­schen­jun­ges un­ter ih­ren Kin­dern zu ha­ben?«

»Hier und dort hör­te ich da­von, doch nie­mals in un­se­rem Ru­del oder zu mei­ner Zeit«, ant­wor­te­te Va­ter Wolf. »Wahr­haf­tig, ganz ohne Haar ist der Kör­per. Mit ei­nem Pran­ken­schlag könn­te ich es zer­quet­schen. Aber sieh doch, wie es auf­schaut zu uns, und nicht ein biss­chen Angst hat es.«

Da plötz­lich wur­de es dun­kel in der Höh­le. Dem Mond­lich­te wur­de der Ein­tritt ver­sperrt, denn Schir Khans mäch­ti­ger, ecki­ger Kopf und brei­te Schul­ter scho­ben sich in den Ein­gang. Ta­ba­qui rief hin­ter ihm her mit schril­ler Stim­me:

»Hier, mein Ge­bie­ter – hier ist es hin­ein­ge­gan­gen.«

»Schir Khan er­weist uns große Ehre!« sag­te Va­ter Wolf, doch Zorn glomm in sei­nen Au­gen. »Was wünscht Schir Khan?«

»Mei­ne Beu­te! Ein Men­schen­jun­ges ist hier her­ein­ge­flüch­tet! Sei­ne El­tern sind da­von­ge­lau­fen. Gib es her­aus! Es ge­hört mir!«

Wie Va­ter Wolf ge­sagt hat­te, war Schir Khan in das Feu­er ei­nes Holz­fäl­lers ge­sprun­gen, und der Schmerz in den ver­brann­ten Pfo­ten mach­te ihn ra­send. Aber Va­ter Wolf wuss­te, dass die Öff­nung der Höh­le zu klein sei, um dem Ti­ger Ein­gang zu ge­stat­ten. Schon in sei­ner jet­zi­gen Stel­lung wa­ren Schir Khans Schul­tern und Vor­der­tat­zen ein­ge­zwängt, und er glich ei­ner wü­ten­den Kat­ze, die ver­ge­bens ver­sucht, in ein Mau­se­loch zu drin­gen.

»Wir Wöl­fe sind ein frei­es Volk«, sag­te der Wolf. »Un­se­re Be­feh­le neh­men wir nur von dem Füh­rer des Ru­dels, aber nicht von ir­gend­ei­nem ge­streif­ten Viehmör­der. Das Men­schen­jun­ge ge­hört uns. Wir kön­nen es tö­ten oder am Le­ben las­sen, ganz nach un­se­rem Be­lie­ben!«

»Be­lie­ben oder Nicht­be­lie­ben! Was schwatzt du für dum­mes Zeug? Bei dem Och­sen, den ich so­eben schlug, soll ich hier ste­hen und mir die Nase wund­sto­ßen am Ein­gang eu­rer Hun­de­be­hau­sung, um das zu ver­lan­gen, was mir ge­bührt? Schir Khan ist es, der mit dir spricht!«

Des Ti­gers Ge­brüll er­füll­te die Höh­le mit rol­len­dem Don­ner. Mut­ter Wolf schüt­tel­te ihre Jun­gen von sich ab; sie sprang vor, und ihre Au­gen starr­ten wie zwei grü­ne Mond­si­cheln in der Dun­kel­heit auf die bei­den lo­hen­den Lich­ter im ge­wal­ti­gen Kop­fe Schir Khans.

»Und ich, Rasch­ka, der Dä­mon, bin’s, der jetzt spricht und dir ant­wor­tet. Das Men­schen­jun­ge ge­hört mir, du lah­mer Lan­gri – und mein wird es blei­ben. Es soll nicht ge­tö­tet wer­den! Es soll le­ben, um mit dem Pack zu ren­nen und zu ja­gen, und zu­letzt – sieh dich vor, du großer Jä­ger klei­ner, nack­ter Jun­gen, du al­ter Pad­den­fres­ser, du Fisch­fän­ger! –, sieh dich vor, denn zu­letzt, ganz zu­letzt soll es dich het­zen, un­ser klei­nes Men­schen­jun­ges, ja, und soll dir das Fell über die Kat­ze­noh­ren zie­hen. Und nun pack dich fort! Oder ich schwör’s bei dem letz­ten Sam­bar, den ich schlug (ich ver­grei­fe mich nicht am hung­ri­gen Her­den­vieh), ich schwör’s, du ver­brann­tes Biest, lah­mer sollst du zu dei­ner Mut­ter zu­rück­keh­ren, als du zur Welt ge­kom­men bist. Fort mit dir!«

Ganz ver­blüfft blick­te Va­ter Wolf sie an. Fast ver­ges­sen hat­te er die Zeit, da er Mut­ter Wolf sich er­rang im of­fe­nen, ehr­li­chen Kampf ge­gen fünf an­de­re Wöl­fe – da­mals, als sie mit dem Pack lief und nicht um­sonst der Dä­mon ge­nannt wur­de.

Schir Khan wür­de es wohl mit Va­ter Wolf auf­ge­nom­men ha­ben, aber ge­gen Mut­ter Wolf an­zu­ge­hen, das wag­te er denn doch nicht, denn er wuss­te, dass sie alle Vor­tei­le der Lage für sich hat­te und es einen Kampf auf Tod und Le­ben ge­ben wür­de. So zog er sich knur­rend aus dem en­gen Ein­gang zu­rück und brüll­te, als er frei war:

»Im ei­ge­nen Hof kläfft je­der Hund! Aber wir wol­len doch erst ein­mal se­hen, was das Ru­del zu die­ser Ge­schich­te sa­gen wird. Mir al­lein ge­hört das Men­schen­jun­ge, und zwi­schen mei­ne Zäh­ne wird es doch noch kom­men zu­letzt, ihr busch­schwän­zi­gen Spitz­bu­ben, ihr!«

Mut­ter Wolf warf sich keu­chend zwi­schen ihre Jun­gen nie­der, und Va­ter Wolf sag­te jetzt mit be­sorg­ter Mie­ne: »Schir Khan hat nicht ganz un­recht. Das Men­schen­jun­ge muss dem Ru­del ge­zeigt wer­den. Willst du es wirk­lich be­hal­ten?«

»Wirk­lich be­hal­ten?« frag­te sie ent­rüs­tet. »Nackt und ganz al­lein kam es zu uns in der Nacht und sehr hung­rig und hat­te doch nicht ein biss­chen Furcht. Sieh doch nur, jetzt hat es schon wie­der eins mei­ner Kin­der bei­sei­te ge­drückt. Und die­ser lah­me Vieh­schläch­ter hät­te es bei­na­he ver­schlun­gen und sich dann zum Wain­gun­gaflus­se aus dem Stau­be ge­macht, wäh­rend die Dorf­be­woh­ner hier alle Schlupf­win­kel durch­sucht hät­ten, um Ra­che zu neh­men! Ihn be­hal­ten? Na­tür­lich will ich das. Lieg still, klei­ner Frosch. Oh, mein Mo­g­li – denn Mo­g­li, Frosch, wer­de ich dich nen­nen –, der Tag wird für dich kom­men, die­sen Schir Khan zu ja­gen und zu het­zen, wie er dich heu­te ge­hetzt hat!«

»Aber was wird un­ser Ru­del dazu sa­gen?« mein­te Va­ter Wolf.

Das Ge­setz des Dschun­gels stellt es je­dem Wol­fe frei, sich von dem Ru­del zu tren­nen, wenn er die Wöl­fin in sein La­ger holt. So­bald aber sei­ne Jun­gen groß ge­nug sind, um auf ei­ge­nen Läu­fen zu ste­hen, muss er sie zur Rats­ver­samm­lung brin­gen, die ein­mal im Mo­nat zur Zeit des Voll­monds tagt; und dort wer­den sie von al­len Wöl­fen des Rats in Au­gen­schein ge­nom­men und an­er­kannt. Nach die­ser Mus­te­rung ha­ben die Jun­gen das Recht, frei um­her­zu­strei­fen; und be­vor sie nicht ih­ren ers­ten Bock ge­ris­sen ha­ben, darf un­ter kei­nen Um­stän­den ein er­wach­se­ner Wolf sie an­grei­fen oder tö­ten. Das Ge­setz des Dschun­gels ist streng, und wer ge­gen die Vor­schrift fehlt, wird ohne Gna­de mit dem Tode be­straft. Wenn man ein biss­chen nach­denkt, muss man zu­ge­ben, dass es so sein muss.

Va­ter Wolf war­te­te, bis sei­ne Klei­nen lau­fen konn­ten, und dann nahm er sie alle mit Mut­ter Wolf und Mo­g­li ei­nes Nachts mit zum Rats­fel­sen, ei­ner Hü­gel­kup­pe, die mit Stei­nen und Ge­röll be­deckt war und die wohl hun­dert Wöl­fen und mehr ein si­che­res Ver­steck bot. Ake­la, der große, graue Ein­sie­del­wolf, war dank sei­ner Stär­ke und Schläue der Füh­rer des Ru­dels. Er lag lang aus­ge­streckt auf ei­nem ra­gen­den Fels­block, und et­was tiefer un­ter­halb kau­er­ten mehr als vier­zig Wöl­fe von je­der Far­be und Ge­stalt. Da wa­ren dachs­graue Ve­te­ra­nen, die es al­lein mit je­dem Bock auf­nah­men, bis her­un­ter zu den schwar­zen, drei Jah­re al­ten Wöl­fen, die mein­ten, sie könn­ten es auch. Der große, graue Ein­zel­gän­ger hat­te das Ru­del nun schon ein Jahr lang ge­führt. In sei­ner Ju­gend war er zwei­mal in Wolfs­fal­len ge­ra­ten, und ein­mal hat­te man ihn bei­na­he er­schla­gen; des­halb kann­te er ein gut Teil von den Sit­ten und Ge­bräu­chen der Men­schen.

In der Ver­samm­lung wur­de we­nig ge­spro­chen. Mit­ten im Krei­se, um den die El­tern sa­ßen, stol­per­ten und pur­zel­ten die Klei­nen um­her; ab und zu kam ein Alt­wolf laut­los her­bei, sah sich die Jun­gen ge­nau an, be­schnüf­fel­te sie sorg­fäl­tig und schritt dann wie­der gra­vi­tä­tisch auf sei­nen Platz zu­rück. Manch­mal schob eine be­sorg­te Mut­ter ihr Klei­nes recht weit hin­aus in das hel­le Mond­licht, um ganz si­cher zu sein, dass man es nicht über­se­hen habe. Von sei­nem Fel­sen rief Ake­la im­mer wie­der: »Ihr kennt das Ge­setz – ihr kennt das Ge­setz wohl! Äu­get ge­nau, ihr Wöl­fe!« Und ängst­li­che Müt­ter nah­men den Ruf auf und wie­der­hol­ten: »Äu­get – äu­get ge­nau, o Wöl­fe!«

Und zu­letzt – Mut­ter Wolfs Na­cken­haa­re stell­ten sich hoch – zu­letzt schob Va­ter Wolf »Mo­g­li, den Frosch«, in den Kreis. Da saß er la­chend und spiel­te mit klei­nen Stein­chen, die im Mond­licht glänz­ten. Ake­la hob sei­nen Kopf nicht von den Pran­ken, son­dern wie­der­hol­te den ein­tö­ni­gen Ruf: »Äu­get – äu­get ge­nau!«

Da kam ein dump­fes Ge­brüll hin­ter den Fel­sen her­vor. Es war Schir Khans Stim­me: »Das Jun­ge ge­hört mir! Gebt es mir! Was hat das freie Volk mit ei­nem Men­schen­jun­gen zu schaf­fen?«

Ake­la rühr­te nicht ein­mal die Lau­scher, er sag­te nur: »Äu­get wohl, ihr Wöl­fe! Was geht das freie Volk die Wei­sung ei­nes Fremd­lings an?«

Da er­hob sich im Rate ein Grol­len und Mur­ren. Ein jun­ger Wolf im vier­ten Jahr griff Schir Khans Fra­ge auf und warf sie Ake­la zu: »Was hat das freie Volk mit ei­nem Men­schen­jun­gen zu schaf­fen?«

Das Ge­setz des Dschun­gels be­stimmt, dass im Fal­le ei­ner Mei­nungs­ver­schie­den­heit, ob ein Jun­ges im Ru­del auf­ge­nom­men wer­den soll oder nicht, min­des­tens zwei Mit­glie­der des Ra­tes zu­guns­ten des Klei­nen spre­chen müs­sen, doch ha­ben die bei­den El­tern kei­ne Stim­me.

»Wer spricht für das Jun­ge?« frag­te Ake­la. »Wer un­ter dem frei­en Vol­ke spricht für ihn?«

Kei­ner mel­de­te sich, und Mut­ter Wolf mach­te sich be­reit zu ih­rem letz­ten Kampf – denn sie wuss­te, dass es ihr letz­ter sein wür­de, wenn es zum Kamp­fe kam.

In die­sem Au­gen­blick stell­te sich Balu auf die Hin­ter­bei­ne und knurr­te – Balu, der schläf­ri­ge, brau­ne Bär, der die jun­gen Wöl­fe das Dschun­gel­ge­setz lehrt. Der ein­zi­ge Fremd­ling ist er im Rate der Wöl­fe, er kann ge­hen und kom­men, ganz wie er will, denn er lebt nur von Nüs­sen, Wur­zeln und Ho­nig.

»Das Men­schen­jun­ge, das Men­schen­jun­ge?« frag­te er. »Ich spre­che für das Men­schen­jun­ge. Wa­rum denn nicht? Was kann ein Men­schen­jun­ges dem Pa­cke scha­den? Wie? Schö­ne Re­den hal­ten kann ich nicht, aber ich spre­che die Wahr­heit. Nehmt ihn auf und lasst ihn mit dem Ru­del lau­fen. Ich selbst wer­de ihn un­ter­rich­ten.«

»Noch einen Für­spre­cher brau­chen wir!« sag­te Ake­la. »Ba­lus Wort gilt, er ist der Leh­rer der Jun­gen. Wer spricht noch au­ßer Balu?«

Ein dunk­ler Schat­ten fiel in den Kreis. Es war Bag­hi­ra, der schwar­ze Pan­ther, tin­ten­schwarz über und über, doch mit der Pant­her­zeich­nung, die in der Sei­de des Fel­les zu­wei­len auf­leuch­te­te. Je­der kann­te Bag­hi­ra, und nie­mand kreuz­te gern sei­nen Pfad; denn schlau war er wie Ta­ba­qui, stark wie der Büf­fel und toll­kühn wie Ha­thi, der Ele­fant, wenn er ver­wun­det ist. Aber sei­ne Stim­me war sanft wie wil­der Ho­nig, der vom Bau­me tröp­felt, und sein Fell wei­cher als Flaum­fe­dern.

»Du, Ake­la, und ihr, das freie Volk!« schnurr­te er. »Ich habe kein Recht in eu­rer Ver­samm­lung; doch nach dem Dschun­gel­ge­set­ze kann das Le­ben ei­nes Jun­gen, des­sen Auf­nah­me be­strit­ten wird, für einen Preis er­kauft wer­den. Und das Ge­setz schreibt nicht vor, wer den Preis be­zah­len soll und wer nicht. Spre­che ich wahr?«

»Gut, sehr gut!« jaul­ten die im­mer hung­ri­gen jun­gen Wöl­fe. »Hört, was Bag­hi­ra sagt! Um einen Preis ist das Jun­ge ein­zu­kau­fen in das Ru­del. So steht’s im Ge­setz!«

»Ich habe kein Recht, hier zu spre­chen, so bit­te ich um eure Er­laub­nis!«

»Sprich nur!« schri­en zwan­zig Stim­men.

»Ein nack­tes Jun­ges zu tö­ten ist Schmach und Schan­de. Im üb­ri­gen taugt es bes­ser dazu, euch an ihm zu er­pro­ben, wenn es erst groß und er­wach­sen ist. Balu hat ge­spro­chen. Den Wor­ten Ba­lus füge ich nur einen Bul­len hin­zu – fett, sage ich euch, und eben erst ge­tö­tet! Kei­ne hal­be Mei­le liegt er von hier, wenn ihr be­reit seid, das Men­schen­jun­ge auf­zu­neh­men nach dem Ge­setz. Leuch­tet euch das ein?«

Da tön­te es bunt durch­ein­an­der: »Wa­rum soll­ten wir nicht? Was kann es scha­den? Es wird ja doch im Win­ter­re­gen um­kom­men oder in der Son­ne ver­dor­ren. Was kann uns denn so ein nack­ter Frosch an­tun? Lasst ihn mit dem Ru­del lau­fen! Wo ist dein Bul­le, Bag­hi­ra! Wir stim­men für den An­trag!«

Und wie­der er­klang Ake­las hei­se­res Bel­len vom Fel­sen her: »Äu­get, ihr Wöl­fe! Äu­get ge­nau!«

Mo­g­li spielt ver­son­nen mit den Stein­chen; so wur­de er es gar nicht ge­wahr, dass die Wöl­fe ei­ner nach dem an­de­ren her­an­ka­men, um ihn zu be­äu­gen. Dann lie­fen sie alle den Hü­gel hin­ab zu dem to­ten Bul­len, und nur Ake­la, Bag­hi­ra, Balu und Mo­g­lis ei­ge­ne Wöl­fe blie­ben zu­rück. Schir Khans Ge­brüll er­füll­te die Nacht, denn er war sehr zor­nig, dass man ihm Mo­g­li nicht aus­ge­lie­fert hat­te.

»Heu­le nur!« brumm­te Bag­hi­ra in sei­nen Bart. »Heu­le nur! Die Zeit wird kom­men, dann wird das nack­te Ding dir in ei­ner an­de­ren Ton­art auf­spie­len – oder ich weiß nichts vom Men­schen.«

»Gut ge­tan!« sag­te Ake­la. »Men­schen und ihre Jun­gen sind sehr klug. Wer weiß – er kann uns spä­ter eine Hil­fe wer­den.«

»Wahr­lich, Hil­fe in der Not; denn kei­ner kann hof­fen, das Ru­del ewig zu füh­ren«, sag­te Bag­hi­ra.

Ake­la ant­wor­te­te nicht. Er ge­dach­te der Zeit, die für je­den Lei­ter ei­nes Ru­dels kommt, wenn sei­ne Stär­ke von ihm weicht, wenn er schwach und im­mer schwä­cher wird, bis zu­letzt die ei­ge­nen Wöl­fe über ihn her­fal­len und ihn rei­ßen. Ein neu­er Füh­rer er­steht, bis auch er an die Rei­he kommt, ge­tö­tet zu wer­den.

»Nimm das Men­schen­jun­ge fort mit dir«, sag­te Ake­la zu Va­ter Wolf, »und er­zie­he es, wie es sich ziemt für einen vom frei­en Volk.«

… Und so ge­sch­ah es, dass Mo­g­li im Ru­del der Sio­ni­wöl­fe auf­ge­nom­men wur­de um den Preis ei­nes fet­ten Bul­len und auf Ba­lus Für­spra­che.

Zehn oder zwölf Jah­re müsst ihr nun über­sprin­gen und euch selbst das selt­sa­me Le­ben aus­ma­len, das Mo­g­li un­ter den Wöl­fen führ­te; denn al­les im ein­zel­nen zu er­zäh­len, wür­de Bän­de fül­len. Mit den Wolfs­jun­gen wuchs er auf, aber die­se wa­ren na­tür­lich schon groß und stark, ehe noch Mo­g­li alle sei­ne Milch­zäh­ne hat­te. Va­ter Wolf lehr­te ihn al­les, was ein Wolf wis­sen muss­te, und weih­te ihn in das Le­ben des Dschun­gels ein, bis je­des Ra­scheln im Gra­se, je­der Hauch der war­men Nacht­luft, je­der Ruf der Eule über sei­nem Kopf, je­der Krat­zer von den Kral­len der Fle­der­mäu­se, wenn sie eine Wei­le im Baum ge­ras­tet hat­ten, und je­der klat­schen­de Sprung des kleins­ten Sil­ber­fi­sches im Tei­che – bis dies al­les sei­ne ge­naue Be­deu­tung für ihn hat­te. Und wenn er nicht lern­te, dann lag er in der Son­ne und schlief und aß und leg­te sich wie­der schla­fen. War er durs­tig oder heiß, schwamm er in den Wei­hern des Wal­des. Hat­te er ein Ge­lüs­te nach Ho­nig (Balu sag­te ihm näm­lich, dass Ho­nig und Nüs­se min­des­tens so gut schmeck­ten wie Fleisch), dann klet­ter­te er in den Bäu­men um­her, und Bag­hi­ra zeig­te ihm, wie er das tun müs­se. Der schwar­ze Pan­ther war ein ver­stän­di­ger Leh­rer. Er sprang zu­erst selbst den Baum hin­auf, als sei es gar kein Kunst­stück, streck­te sich be­quem auf ei­nem Aste aus und rief: »Komm her zu mir, klei­ner Bru­der!« An­fäng­lich woll­te Mo­g­li sich an­klam­mern wie das Faul­tier, aber spä­ter schwang er sich durch die Baum­kro­nen fast so kühn wie der graue Affe.

Er hat­te bald auch sei­nen Platz bei dem Rats­fel­sen in der Ver­samm­lung. Und hier mach­te er ei­nes Ta­ges die selt­sa­me Ent­de­ckung, dass die Wöl­fe sei­nen Blick nicht aus­hal­ten konn­ten. Starr­te er ei­nem von ih­nen ge­ra­de ins Ge­sicht, so senk­te der Wolf die Au­gen. Und so ge­wöhn­te er sich dar­an, rein aus Mut­wil­len, sie an­zu­star­ren. Oft aber auch zog er mit sei­nem klei­nen, flin­ken Hän­den die Dor­nen aus den Bal­len sei­ner Freun­de, denn Wöl­fe lei­den schreck­lich un­ter Dor­nen und Sp­lit­tern in ih­ren Pfo­ten und ih­rem Fell. Zu­wei­len schlich er sich des Nachts nahe an die Dör­fer und be­trach­te­te neu­gie­rig die brau­nen Be­woh­ner der Hüt­ten; aber er miss­trau­te den Men­schen, denn Bag­hi­ra hat­te ihm eine Kas­ten­fal­le ge­zeigt, die mit schwe­ren Fang­ei­sen so ge­schickt im Gra­se ver­bor­gen war, dass Mo­g­li bei­na­he hin­ein­ge­ra­ten wäre. Am liebs­ten ging Mo­g­li mit dem Pan­ther so recht in das dunkle, feucht­war­me Herz des Ur­wal­des, um dort den schwü­len Tag über zu schla­fen und des Nachts Bag­hi­ra auf der Jagd zu be­glei­ten. Wenn der Pan­ther hung­rig war, würg­te er rechts und links al­les, was ihm in den Weg kam, und so tat auch Mo­g­li – mit ei­ner ein­zi­gen Aus­nah­me. So­bald er alt und ver­stän­dig ge­nug ge­wor­den, sprach Bag­hi­ra zu ihm: »Der gan­ze Dschun­gel ge­hört dir, und du darfst al­les er­le­gen, was du zu tö­ten ver­magst – aber um des Bul­len wil­len, für den du er­kauft wur­dest, darfst du nie­mals Rind­vieh tö­ten oder es­sen, es sei jung oder alt. So lau­tet das Ge­setz des Dschun­gels.«

Und Mo­g­li ge­horch­te ge­wis­sen­haft. Er wuchs und wur­de so stark, wie ein Kna­be wer­den muss, der nicht weiß, was ler­nen heißt, und an nichts zu den­ken hat, als was man es­sen kann.

Mut­ter Wolf er­zähl­te ihm ein- oder zwei­mal, dass man Schir Khan nicht trau­en dür­fe und dass er die Pf­licht habe, ei­nes Ta­ges den Ti­ger zu tö­ten. Ein Jung­wolf wür­de zu je­der Stun­de die­ser Mah­nung ge­dacht ha­ben; Mo­g­li aber ver­gaß sie im­mer und im­mer wie­der, denn er war nur ein Kna­be. Er selbst wür­de sich al­ler­dings einen Wolf ge­nannt ha­ben, hät­te er die Spra­che der Men­schen re­den kön­nen.

Häu­fig kreuz­te Schir Khan her­aus­for­dernd Mo­g­lis Pfad im Dschun­gel; denn Ake­la wur­de äl­ter und schwä­cher, und der lah­me Ti­ger schloss Freund­schaft mit den Jung­wöl­fen des Ru­dels, die ihm folg­ten um des Beu­te­ab­falls wil­len. Das aber wäre nie ge­sche­hen in den Ta­gen von Ake­las Macht. Schir Khan schmei­chel­te den jun­gen Wöl­fen und frag­te oft ver­wun­dert, warum sich so star­ke, jun­ge Jä­ger von ei­nem ver­re­cken­den al­ten Wol­fe und ei­nem nack­ten Men­schen­jun­gen lei­ten lie­ßen.

»Man er­zählt sich im Dschun­gel«, nä­sel­te er dann wohl höh­nisch, »dass ihr in der Rats­ver­samm­lung nicht wagt, dem Men­schen­kind in die Au­gen zu schau­en!« Dann knurr­ten die jun­gen Wöl­fe und sträub­ten das Fell.

Bag­hi­ra, der sei­ne Au­gen und Ohren über­all hat­te, er­fuhr da­von; und er warn­te Mo­g­li, dass Schir Khan ihm ei­nes schö­nen Ta­ges auf­lau­ern und ihn er­wür­gen wer­de. Aber Mo­g­li lach­te nur und ant­wor­te­te: »Ich habe doch das Ru­del und habe dich und habe Balu, der zwar faul ge­wor­den ist, aber im­mer noch für mich ein paar Schlä­ge aus­tei­len wür­de. Wa­rum also mich fürch­ten?«

An ei­nem sehr hei­ßen Tage war es, da über­kam den schwar­zen Pan­ther ein neu­er Ge­dan­ke – viel­leicht hat­te er et­was ge­hört, oder Ikki, das Sta­chel­schwein, hat­te ihm da­von er­zählt. Kurz und gut, zu Mo­g­li sag­te er plötz­lich im tiefs­tens Dschun­gel, als des Kna­ben Kopf auf Bag­hi­ras schwar­zem, schim­mern­dem Fell ruh­te:

»Klei­ner Bru­der, wie oft sag­te ich dir schon, dass Schir Khan dein Feind ist?«

»So oft, als Nüs­se an der Pal­me dort hän­gen«, ant­wor­te­te Mo­g­li, der na­tür­lich nicht zäh­len konn­te. »Doch, was soll’s? Schläf­rig bin ich, Bag­hi­ra, und Schir Khan ist nichts als ein lan­ger Schwanz und ein großes Maul, wie Mao, der Pfau.«

»Aber jetzt ist nicht Zeit zum Schla­fen. Balu weiß es; ich weiß es; das Ru­del weiß es, und so­gar die dum­men, dum­men Rehe wis­sen’s. Dir hat es auch Ta­ba­qui er­zählt.«

»Ho, ho«, höhn­te Mo­g­li. »Ta­ba­qui kam vor kur­z­em zu mir, das Maul voll fre­cher Re­dens­ar­ten: ich sei ein nack­tes Men­schen­jun­ges und tau­ge nicht ein­mal, um Erd­nüs­se aus­zu­gra­ben. Aber ich, ich pack­te ihn beim Schwan­ze und schwang ihn zwei­mal ge­gen eine Pal­me, um ihn An­stand zu leh­ren.«

»Dumm­heit war das! Ta­ba­qui ist zwar ein Un­heil­stif­ter, den­noch hät­te er dir von Din­gen er­zäh­len kön­nen, die dich nahe an­ge­hen. Sperr die Au­gen auf, klei­ner Bru­der. Schir Khan wird es nicht wa­gen, dich im Dschun­gel zu wür­gen; aber be­den­ke, Ake­la ist sehr alt ge­wor­den, und bald wird der Tag kom­men, an dem er nicht mehr den Bock zu rei­ßen ver­mag, und dann – hört er auf, Füh­rer des Ru­dels zu sein. Vie­le Wöl­fe, die dich da­mals im Rat mus­ter­ten, sind nun schon er­graut; die Jun­gen aber hän­gen Schir Khan an, der ih­nen vor­schwatzt, dass für ein Men­schen­jun­ges kein Platz ist im Ru­del. In kur­z­em wirst du ein Mann sein.«

»Und was ist denn ein Mann, dass er nicht mit sei­nen Brü­dern lau­fen soll?« frag­te Mo­g­li er­regt. »Im Dschun­gel bin ich ge­bo­ren, nach dem Ge­setz des Dschun­gel habe ich ge­lebt. Kei­ner ist im Ru­del, dem ich nicht schon einen Dorn aus der Pfo­te zog. Es sind doch mei­ne Brü­der.«

Bag­hi­ra streck­te sich in sei­ner gan­zen Län­ge aus und schloss halb die Au­gen. »Klei­ner Bru­der«, sag­te er, »füh­le mir ein­mal un­ter den Kie­fer.«

Mo­g­li hob sei­ne star­ke brau­ne Hand, und ge­ra­de un­ter Bag­hi­ras sei­di­gem Kinn, dort, wo die ge­wal­ti­gen Mus­keln spiel­ten un­ter dem glän­zen­den Fell, da fühl­te er eine klei­ne, kah­le Stel­le.