Das Geheimnis der Flüstermagie (Band 3) – Die dunkle Hüterin - Marliese Arold - E-Book

Das Geheimnis der Flüstermagie (Band 3) – Die dunkle Hüterin E-Book

Marliese Arold

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Beschreibung

Eigentlich ist Sophies Leben perfekt: Die Ferien auf dem Hof ihrer Tante sind noch nicht vorüber, sie und Silvio sind sich nähergekommen, und nun reist auch noch ihre beste Freundin Paula an! Doch dann geschieht etwas Schreckliches: Paula wird entführt und Rea scheint dahinterzustecken. Gemeinsam mit Raffael bricht Sophie auf, um ihre Freundin zu retten, und wird dabei selbst gefangen genommen. Wird es ihr gelingen, Paula zu befreien und Rea zu stoppen?

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Seitenzahl: 235

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Inhalt

Ruhe vor dem Sturm

Der dunkle Sog

Ein Holzwicht für Paula

Das verborgene Tor

Am Abgrund

Höhenangst

Im Kerker

Zeit der Verzweiflung

Raffael in Bedrängnis

Die dunkle Macht

Das Tribunal

Das Urteil des Großen Rates

Die gefährliche Heimkehr

Der geheime Verräter

Der Kampf gegen die dunkle Macht

Ruhe vor dem Sturm

»Du hast 17 Stunden geschlafen.« Paula stand neben meinem Bett, die Arme vorwurfsvoll verschränkt. »Ich finde wirklich, das reicht. Schließlich bin ich extra zu Besuch gekommen, aber was nützt mir das, wenn du nicht da bist oder die ganze Zeit pennst?«

»Tut mir leid.« Ich stemmte mich hoch. Der Nachhall meines Traumes hatte mich noch im Griff, und es war, als könnte ich Silvios Arm um meine Schulter spüren. Und seinen Kuss.

Ich seufzte und schwang meine Beine über die Kante der Bettcouch. Meine Füße landeten auf der Gästematratze, auf der Paula heute Nacht geschlafen hatte, wie das zerknüllte Bettzeug darauf bewies. Inzwischen war später Nachmittag, und das Grummeln in meinem Magen erinnerte mich daran, dass ich schon seit einer Ewigkeit nichts mehr gegessen hatte.

»Gib mir ein paar Minuten«, bat ich. »Ich bin gleich unten in der Küche, dann erzähle ich dir alles.«

Paula schnitt eine Grimasse, aber sie verließ mein Zimmer, und ich hörte, wie sie die Holztreppe hinablief.

Schnell flitzte ich ins Bad, duschte in Rekordtempo und schlüpfte in frische Klamotten. Meine Haare konnten an der Luft trocknen, ich hatte keine Lust, mich mit dem Föhnen aufzuhalten.

Als ich ins Erdgeschoss hinunterlief, strömte mir köstlicher Kuchenduft aus der Küche entgegen. Meine Tante Kathi hatte wieder einmal ihren legendären Apfelkuchen gebacken. Als ich den Raum betrat, blickten mich zwei Paar Augen erwartungsvoll an.

»Und jetzt wollen wir jede Einzelheit wissen«, forderte Kathi mich auf. »Du kannst dir nicht vorstellen, welche Sorgen wir uns gemacht haben.«

Ich setzte mich. Auf meinem Teller lag ein riesiges Stück Kuchen. Ich erzählte, während ich aß. Daheim wäre ich sicher von meinen Eltern angemeckert worden, weil ich mit vollem Mund redete, aber Kathis und Paulas Neugier war viel zu groß, als dass sich eine von ihnen daran störte.

Und so erfuhren sie, dass mich ein Falke in das verzauberte Wäldchen gelockt hatte, damit ich vor dem Großen Rat meine Eignungsprüfung als Hüterin ablegen sollte. Obwohl ich mich prächtig geschlagen hatte, war der Rat zu meiner großen Enttäuschung uneins gewesen.

»Wie ungerecht!«, empörte sich Paula. »Das war nicht fair!«

Ich nickte und trank einen Schluck Kakao. Dann berichtete ich, wie ich das Greifenweibchen Adelinde herbeigerufen und mich auf dem Riesenvogel in die Luft erhoben hatte. Paulas Kinnlade klappte ungläubig nach unten, und selbst meine Tante vergaß zu kauen. Ich erzählte, wie ich im rauen Felsenmeer Silvio gefunden hatte und er die Weltenschlange geweckt hatte. Die Schlange hatte uns übers Meer gebracht und an einem Strand abgesetzt. Von dort aus hatten wir uns durch den Dschungel geschlagen, bis wir an einem riesigen Baum angekommen waren.

»Dort hat Rea ihren Unterschlupf«, sagte ich. Meine Kehle wurde eng. »Rea ist Silvios Schwester, und ihr haben wir eine Menge Ärger zu verdanken.« Eine Gänsehaut überkam mich, als ich berichtete, wie Silvio vom Baum gestürzt war und wie leblos dagelegen hatte.

Paula stieß einen leisen Schrei aus und presste ihre Hand auf den Mund. »O mein Gott! Er war doch nicht tot?«

Ich schluckte. Meine Stimme drohte zu versagen. »Ich konnte ihn ins Leben zurückholen, aber dafür … dafür musste ich in die Unterwelt hinabsteigen.«

Aus Kathis Gesicht war jegliche Farbe gewichen. Am liebsten hätte ich an dieser Stelle zu erzählen aufgehört. Die Erinnerungen waren so schrecklich. Meine Angst, dass ich unter den unzähligen Lebenslichtern das falsche auswählen könnte … Und dann der Schreck, als Rea mir den Rückweg abgeschnitten und mein sorgsam gehütetes Licht ausgeblasen hatte …

Ich beschloss, meinen Bericht abzukürzen. »Ich konnte Silvio zum Glück retten.« Einen Augenblick lang erinnerte ich mich, wie ich meine Lippen auf seine gelegt hatte. Dieser Kuss hatte ihn aus seinem totenähnlichen Zustand erweckt. »Es geht ihm gut, aber er ist noch sehr erschöpft.« Ich suchte Paulas Blick. »Übrigens steckt viel mehr in deinem süßen Raffael, als du denkst. Aber das muss er dir selbst sagen.«

Paula wurde rot über beide Ohren. Raffael arbeitete seit Kurzem als Praktikant auf Kathis Hof, und von Anfang an hatte Paula ein Auge auf ihn geworfen.

»Raffael ist plötzlich mit Hjalmar und Mick gekommen«, ergänzte ich. »Ohne diese Unterstützung hätte ich es wahrscheinlich nicht geschafft. Ach ja, und auch Mick hat für eine Überraschung gesorgt.« Ich sah meine Tante an. »Wusstest du, dass in dem Schimmel Einhornblut steckt?«

Jetzt war es an Kathi, zu erröten. »Ich war mir die ganze Zeit nicht sicher«, murmelte sie. »Erst als ihr alle gestern Nacht zurückgekommen seid, war mir klar, dass er nicht nur ein alter Gaul ist. Dass du eine besondere Beziehung zu Hjalmar hast, ist mir ja bekannt. Aber als ich Raffael auf Mick reiten sah, da wurde mir bewusst, dass ich beide gewaltig unterschätzt habe – den Jungen und den Schimmel.«

An unsere Ankunft konnte ich mich nur noch undeutlich erinnern. Ich war vor Müdigkeit fast vom Pferd gefallen. Der gute Hjalmar hatte Silvio und mich den ganzen Rückweg getragen, und wahrscheinlich war ich schon unterwegs immer wieder auf seinem Rücken eingenickt. Raffael war noch der Fitteste von uns gewesen, er hatte nach unserer Heimkehr die Pferde versorgt, während Kathi Silvio und mich ins Haus geführt hatte. Ich war nur noch die Treppe hinaufgestolpert und nach einem kurzen Abstecher ins Bad wie tot ins Bett gefallen.

»Noah hat Silvio abgeholt, damit er sich ausruhen kann«, erklärte meine Tante. Noah Nachtnebel war Silvios Onkel und auch Kathis Freund, selbst wenn sie nie viel über ihre Beziehung erzählte. Er war ein Hüter und gehörte zum Großen Rat. Ein mulmiges Gefühl stieg in mir auf, als ich daran dachte, wie meine Prüfung abgelaufen war. Noah war dabei gewesen, und ich hatte erwartet, dass er mich unterstützen würde. Doch er hatte kein Wort zu meinen Gunsten gesagt. Das würde ich mit ihm klären müssen, denn so ganz verstand ich seine Reaktion noch immer nicht. Offen gestanden hatte mein Vertrauen zu Noah dadurch ziemlich gelitten, was ich sehr schade fand. Aber Raffael hatte angedeutet, dass es im Großen Rat etliche Probleme gab und nicht alles so war, wie es sein sollte. Ich seufzte unwillkürlich.

Meine Tante interpretierte meine Äußerung falsch. »Versteh doch, Sophie, Silvio braucht Ruhe. Ich bin sicher, dass er am liebsten im Wohnzimmer auf der Couch geblieben wäre, aber in seinem eigenen Bett schläft er bestimmt besser. Er taucht sicher so bald wie möglich wieder hier auf, darauf verwette ich meine Wollschweine!«

Ich lächelte schwach. Es war mir gar nicht so wichtig, dass Silvio so schnell zu uns zurückkam. Das klingt vermutlich ziemlich merkwürdig, weil ich ja so in ihn verliebt war. Aber die letzten Ereignisse musste ich erst verarbeiten. Wenn man einmal in der Unterwelt gewesen ist, dann sieht man die Welt mit anderen Augen. Ich wusste jetzt, dass es so viel mehr gab, als man sich vorstellen konnte.

Vor dem Küchenfenster erklangen Stimmen. Hatice, Elli und Mira, Kathis Helferinnen, waren offenbar mit ihrer Arbeit fertig und machten sich bereit für den Nachhauseweg.

Paula bemerkte meinen Blick. »Die drei waren sehr beunruhigt über dein plötzliches Verschwinden«, sagte sie. »Genau wie ich. Hatice hätte am liebsten die Polizei gerufen.«

»Es tut mir leid, dass ihr euch solche Sorgen um mich gemacht habt«, murmelte ich. »Das war keine Absicht, Ehrenwort.«

»Schon gut«, meinte meine Tante. »Jetzt bist du ja wieder da, gesund und munter. Und bevor du das nächste Mal auf eigene Faust abhaust, sagst du uns bitte vorher Bescheid!«

»Versprochen«, antwortete ich, obwohl mir sofort Zweifel kamen, ob ich so ein Versprechen überhaupt halten konnte. Die magische Welt sorgte für Überraschungen, und nicht immer war genug Zeit, sich darauf vorzubereiten. So viel hatte ich inzwischen gelernt.

Nach dem zweiten riesigen Kuchenstück war ich satt. »Ich würde jetzt gerne nach Hjalmar sehen«, sagte ich. »Darf ich aufstehen?«

Kathi nickte.

»Aber ich komme mit.« Paula erhob sich ebenfalls. »Nicht dass du dich wieder heimlich verdrückst.«

»Ich habe ja schon gesagt, dass ich es nicht absichtlich getan habe«, erwiderte ich mit einem Anflug von Ärger. Mich störte, dass sie mir offenbar nicht glaubte.

Wir verließen gemeinsam das Haus und stiefelten über den Hof. Selbst die Hühner schienen mich vorwurfsvoll anzusehen und glucksten anklagend, als ich an ihnen vorüberging. Oder bildete ich mir das nur ein? Fing ich jetzt an, an einer Art Verfolgungswahn zu leiden? Vielleicht brauchte man eine Therapie, wenn man in der Unterwelt gewesen war – aber welcher Psychologe würde mir meine Erlebnisse glauben? Ich glaubte ja fast selbst nicht, was passiert war.

Wir gingen in den Stall. Hjalmar war das einzige Pferd, das sich in einer der Boxen befand; alle anderen standen draußen auf der Weide. Vielleicht fand Kathi, dass sich der Noriker erst einmal richtig ausruhen sollte, bevor er mit seinen Freunden wieder wild über die Koppel galoppierte.

Mein schwarzfelliger Kumpel stand in seiner Box und döste, den linken Hinterhuf entspannt angehoben. Ich schob den Riegel zurück und betrat die Box. Stroh knisterte unter meinen Füßen, und Hjalmar blinzelte.

»Mein Lieber, geht es dir gut?«

Ich streichelte seinen Hals, und als er mir den Kopf zuwandte, umarmte ich ihn und schmiegte mich an ihn.

»Ich danke dir für alles, was du für mich getan hast«, flüsterte ich.

Keine Ursache!, kam seine Antwort. Du weißt, dass ich dich genauso liebe wie du mich.

Ich seufzte glücklich. In seiner Gegenwart fühlte ich mich sofort geborgen und sicher. All meine Ängste und Sorgen schienen zu Nichtigkeiten zu schrumpfen. Er war da und würde mich beschützen. Alles würde gut werden.

Auch die Sache mit Rea.

Der kurze Gedanke an Silvios Schwester genügte, und es stach in meiner Brust, als hätte mich dort ein Giftpfeil getroffen. Rea hatte den falschen Weg gewählt und sich für die dunkle Seite entschieden. Fast hätte sie uns alle damit ins Unglück gestürzt.

Das Kapitel mit Rea ist noch nicht zu Ende.

Wollte mich Hjalmar warnen? Verwirrt löste ich mich von seinem Hals und trat einen Schritt zurück.

»Wie meinst du das?«, fragte ich.

Er schnaubte leise. Ich kann es spüren, Sophie. Es ist noch nicht zu Ende. Rea lässt uns vielleicht eine Pause, damit wir uns in Sicherheit wiegen. Unterschätze niemals eine Feindin!

Ich erinnerte mich an den Augenblick, als Rea in der Unterwelt über das Brückengeländer in den dunklen Fluss gesprungen war. In diesem Moment war ich nur erleichtert gewesen. Mein einziger Gedanke hatte Silvio gegolten, den ich retten musste. Das Schicksal von Rea war mir zu jenem Zeitpunkt egal gewesen; ich war nur froh, dass sie verschwunden war und mir nicht mehr im Weg stand.

Vielleicht hatte ein Teil von mir gewünscht, dass sie im Fluss ertrank.

Sogleich schämte ich mich wegen meines Gedankens. Es war nicht richtig, jemandem den Tod zu wünschen. Damit war ich keinen Deut besser als Rea!

Ihr Tod hätte auch nicht das Problem gelöst. Der wahre Feind ist die dunkle Macht. Rea ist nur eine ihrer Dienerinnen.

Hjalmars dunkle Augen schienen noch tiefer zu sein als sonst. Ich spürte, wie eine Gänsehaut auf meinem Rücken emporkroch.

»Und was … was sollen wir jetzt tun?« Während ich fragte, hatte ich ganz vergessen, dass Paula an der Box lehnte und mich beobachtete.

»Wäre schön, wenn du mich auch in euer Gespräch miteinbeziehen würdest«, sagte sie, und es klang ein bisschen zickig. So gar nicht nach Paula. Ich hatte ihre Gefühle vermutlich mehr verletzt, als ich gedacht hatte. Ich hatte mich einfach darauf verlassen, dass unsere Freundschaft meinen abenteuerlichen Alleingang unbeschadet überstehen würde. Aber anscheinend sah Paula das anders.

Ich räusperte mich. »Hjalmar meint, dass uns diese Rea noch Ärger machen wird.« Ich wandte den Kopf, um zu sehen, wie sie meine Antwort aufnahm.

Sie nickte nur, ihr Gesicht war eine undurchdringliche Maske.

»Ich glaube, ich muss jetzt gehen«, sagte ich zu Hjalmar, tätschelte noch einmal kurz seinen Hals und verließ dann seine Box.

Bleib wachsam, Sophie!, vernahm ich seine Stimme in meinem Kopf, als ich die Tür verriegelte.

Paula und ich traten hinaus ins Sonnenlicht. Mir fiel auf, dass das Dach der Scheune schon fast komplett neu gedeckt war. Die hellroten Ziegel leuchteten förmlich.

»Ui, das ging aber schnell!« Ich war überrascht. Hatten die Dachdecker nicht erst vor einem Tag angefangen?

»Wie lange war ich überhaupt weg?«, fragte ich Paula.

»Drei Tage«, knurrte sie.

»Oh!« Ich war wirklich betroffen. In der magischen Welt war mein Zeitgefühl völlig durcheinandergeraten. »Das ist lang. Ich dachte wirklich, ich wäre nur einen Tag weg gewesen. Höchstens zwei.«

»Ich habe mich tierisch gelangweilt«, fauchte Paula. »Ich bin hauptsächlich deinetwegen gekommen, erinnerst du dich? Kathi hat mich überall herumgeführt, und dann habe ich mit den Mädels die Arbeit gemacht. In erster Linie um mich abzulenken. Gott, ich bin fast gestorben vor lauter Angst um dich! Zwar ist Noah gekommen und hat versucht, uns zu beruhigen. Er hat gesagt, dass du tust, was du tun musst. Aber ich war überhaupt nicht entspannt, kein bisschen!«

»Das tut mir leid«, sagte ich schuldbewusst.

»Jetzt erklär mir bitte, was mit dieser Rea ist«, verlangte Paula. »Sie ist offenbar das schwarze Schaf in Silvios Familie. Oder sehe ich das falsch?«

Ich nickte. »Ich habe dir doch von den Hütern erzählt, die sich um den magischen Wald kümmern. Es war Reas größter Wunsch, auch eine Hüterin zu werden, aber der Große Rat hat sie abgelehnt.«

Paula zog die Augenbrauen hoch. »Ist das eine reine Männerdomäne? Du hast die Prüfung ja auch nicht bestanden. Sind das etwa lauter alte Machos, die im Wald das Sagen haben?«

Sie war so empört, dass ich fast lachen musste. »Nein, ich glaube, so kann man es nicht sehen«, erwiderte ich. »Es gibt durchaus Hüterinnen. Jedenfalls war Rea stinksauer, weil man sie nicht wollte – und das kann ich absolut nachvollziehen. Als Silvio dann Hüter werden durfte, ist sie offenbar ausgerastet und hat ihr ganzes magisches Potenzial genutzt, um ihr Ziel doch noch zu erreichen. Leider hat sie sich dunkler Mächte bedient.« Ich schwieg einen Moment. »Vielleicht war es auch umgekehrt«, fügte ich hinzu. »Möglicherweise haben sich die dunklen Mächte ihrer bedient.« Ich dachte daran, was Hjalmar gesagt hatte.

Paula runzelte die Stirn. Dann zog sie die Schultern hoch. »Klingt irgendwie gruselig.«

»Das ist es auch.« Bilder tauchten in meinem Kopf auf. Rea als Marionette einer bösen Macht, die sie zwang, Dinge zu tun, die anderen schadeten.

Aber barg diese Vorstellung nicht auch Hoffnung? Wenn es gelänge, die dunkle Macht zu besiegen, dann wäre Rea frei und würde vielleicht wieder zu derjenigen werden können, die sie früher gewesen war.

Ich nagte an meiner Unterlippe.

»Woran denkst du?«, fragte Paula. Ich sagte es ihr.

Sie schüttelte den Kopf. »Du machst es dir wieder einmal ziemlich einfach. Ich bin ja die Leuchte in Mathe, und in diesem Fall behaupte ich, dass eins und eins nicht unbedingt zwei ist. Zumindest nicht in der magischen Welt.«

»Aber ich kenne die magische Welt inzwischen ein bisschen besser als du«, hielt ich dagegen.

»Angeberin!«

Wir sahen uns an und mussten beide kichern. Und die schwere Last, die ich empfand, seit Hjalmar von Rea gesprochen hatte, schien ein bisschen leichter zu werden.

Der dunkle Sog

Obwohl es schon später Nachmittag war, herrschte immer noch eine drückende Hitze. Schon bei der kleinsten Bewegung brach mir der Schweiß aus. Vielleicht lag es auch an meinem Nervenkostüm, das nach meinem Abenteuer ziemlich dünn geworden war. Aber auch Paula war es zu heiß.

»Hast du nicht gesagt, dass es hier in der Nähe einen See gibt? Ich hätte große Lust, eine Runde zu schwimmen!«

»O ja, schwimmen, na klar«, antwortete ich, obwohl ich mich am liebsten hinter dem Haus in die Hängematte gelegt und gar nichts getan hätte. Aber ich hatte Paula zu Tante Kathi eingeladen, und meine Freundin hatte schon lange genug auf mich verzichten müssen. Nach all den Sorgen, die sie sich um mich gemacht hatte, war es höchste Zeit, dass sie ein bisschen Spaß hatte. Dass wir beide Spaß hatten.

»Klingt ja nicht so begeistert«, meinte Paula.

Ich konnte ihr wirklich nur schwer etwas vormachen.

»Doch, doch«, beeilte ich mich zu sagen. »Das ist eine super Idee. Ich habe nur überlegt, wie wir am besten hinkommen. Kathi hat nur ein einziges Fahrrad, und Laufen bei dieser Hitze ist eine Qual.«

»Wie wär’s mit Reiten?«, schlug Paula vor, und ihre Augen glänzten. »Wir könnten wieder Hjalmar nehmen. Und dieser Mick scheint ja auch ein ganz passables Reitpferd zu sein.«

»Hm.« Ich überlegte kurz. Eigentlich hätte ich den Pferden gerne noch mehr Ruhe gelassen, andererseits war es zum See auch nicht sooo weit, und die Strecke würde die beiden Vierbeiner schon nicht überfordern. Der einzige Gedanke, der mich störte, war, dass die anderen Badegäste die Pferde vielleicht nicht in Ruhe lassen würden. Manche Leute fanden es ja unheimlich witzig, Tiere zu erschrecken oder mit Sachen zu füttern, die sie nicht vertrugen. Ich teilte Paula meine Bedenken mit.

»Dann warten wir eben noch eine Stunde, bis es am See nicht mehr so voll ist«, schlug sie vor. »Außerdem können wir beim Schwimmen ja immer einen Blick auf die Pferde werfen.«

Meine Tante hatte nichts gegen unsere Pläne einzuwenden, im Gegenteil.

»Vielleicht komme ich ja später nach«, meinte sie. »Ich habe heute Vormittag noch eine Ladung Kirschen vom Bauern bekommen, die müssen schleunigst verarbeitet werden, bevor sie verderben. Ihr könnt mir noch beim Entkernen helfen, dann geht es mit dem Konfitürekochen schneller.«

Ich hatte meine Tante erst vor Kurzem beim Kirschenentkernen geholfen, das gab immer eine mächtige Schweinerei, und ich war nicht besonders scharf darauf. Aber Paula sagte begeistert zu, und zu dritt ging die Arbeit ja wirklich schneller voran. Irgendwie fing meine Tante an, uralte Häschenwitze zu erzählen, und obwohl manche ziemlich platt waren, lachten wir uns fast kaputt.

»Häschen kommt zur Polizei«, schnaufte Kathi und wischte sich mit dem Handgelenk die Lachtränen aus den Augen.

»Und fragt: ›Hattu heiße Spur?‹«, machte ich weiter, weil ich den Witz schon kannte.

Paula sah mich fragend an.

»›Muttu aufpassen, dattu dir nicht die Finger verbrennst!‹«, antwortete ich kichernd.

»Zu doof!« Paula verschluckte sich vor Lachen und musste husten. Ich klopfte ihr mit meinen Kirschsaftfingern auf den Rücken.

»Jetzt hast du bestimmt mein Top versaut«, beschwerte sich Paula.

»Ach was, dafür gibt es Waschmaschinen«, antwortete ich. »Du siehst jetzt allerdings aus, als wärst du aus einem blutigen Horrorfilm herausgesprungen.«

Wir lachten noch mehr, und das tat so gut.

Schließlich waren alle Kirschen entkernt, und Kathi entließ uns großzügig. Sie würde das Schlachtfeld allein aufräumen. Wir holten unsere Badesachen aus dem Haus. Danach lockten wir Mick von der Weide, und während Paula ihn bürstete und sein Fell von Staub befreite, kümmerte ich mich um Hjalmar.

»Bist du fit genug, um mit uns zum See zu kommen?«, fragte ich und fuhr mit dem Striegel durch sein schönes Fell.

Na klar!

»Wird es dir nicht zu viel?«

Hältst du mich etwa für einen alten Herrn, der nichts mehr verträgt?

»Hjalmar, du bist ein alter Herr«, betonte ich. »Aber ich weiß, dass in dir noch mehr Power steckt als in so manch jungem Pferd. Ich will dich nur nicht überfordern!«

Er prustete mir zärtlich ins Haar.

Ach, ich liebte ihn so sehr! Ich wusste schon jetzt, dass ich ihn schrecklich vermissen würde, wenn die Ferien zu Ende waren. Wie sollte ich ohne ihn leben?

Schnell schob ich diesen Gedanken beiseite. Noch war es nicht so weit. Wir hatten noch gut zwei Wochen vor uns.

Ich war fertig mit dem Putzen. Nach kurzem Zögern entschied ich mich für eine gebisslose Trense. Eigentlich war bei Hjalmar selbst diese überflüssig, ich vertraute ihm vollkommen. Aber es würde vielleicht merkwürdig aussehen, wenn wir mit zwei sattel- und zügellosen Pferden am See ankamen. Am Ende würde noch jemand denken, dass die Tiere ausgerissen waren!

Mick war blitzblank geputzt, als ich mit Hjalmar aus dem Stall kam und Paula ebenfalls eine gebisslose Trense reichte.

»Danke!«

Wir saßen auf. Ich war froh über den Holzklotz auf dem Hof, denn Hjalmar war groß, und mit etwas Unterstützung kam man besser auf seinen Rücken. Außerdem hatte mir Kathi erklärt, dass es nicht gut für den Pferderücken war, wenn ein Reiter dem Tier schwungvoll ins Kreuz plumpste. Das hatte mir auch sofort eingeleuchtet. Niemand brauchte sich zu schämen, wenn er eine Aufstiegshilfe benutzte, im Gegenteil.

Den leichten Rucksack mit unserem Badezeug hatten wir auf den Rücken geschnallt.

Es konnte losgehen!

Was für ein herrliches Gefühl, am frühen Abend zum See zu reiten! Man konnte schon spüren, wie die Natur den Tag ausklingen ließ. Die Schatten waren länger, die Mücken aufdringlicher, und in den Wiesen versuchten die Grillen, sich gegenseitig an Lautstärke zu übertreffen. Ich atmete tief den Pferdeduft ein. Gab es ein besseres Parfüm?

Noch bevor der See in Sicht kam, hörten wir Lachen und Stimmengewirr. Es herrschte noch mehr Betrieb, als wir erwartet hatten. Anscheinend waren etliche Leute erst nach Feierabend gekommen. An einem Uferstück stieg Rauch auf, und der Geruch nach gegrillten Würstchen strömte uns entgegen. Aus einem Gettoblaster klang lauter Hip-Hop.

Paula und ich wechselten einen Blick.

»Umkehren?«, fragte sie.

»Ach was, jetzt sind wir schon da.« Ich konnte es wirklich kaum erwarten, mich im Wasser abzukühlen. Natürlich wäre es mir lieber gewesen, wenn nicht so viele Badegäste da gewesen wären. Aber sie hatten das gleiche Recht wie wir.

Wir ließen uns von den Pferderücken hinabgleiten. Mick und Hjalmar fingen sofort an zu grasen.

»Na, dann viel Spaß, euch beiden!«, verabschiedete ich mich und tätschelte sanft die Pferdehälse.

»Und nicht weglaufen!«, fügte Paula hinzu.

Hjalmar hob den Kopf. Keine Sorge!

Zum Glück verlangt ihr nicht von uns, in den See zu gehen!, kam es von Mick.

Ich lachte. »Ich wusste gar nicht, dass du wasserscheu bist, Mick! Vielen Pferden macht das Spaß!«

Mir nicht!

Paula sah mich irritiert an. »Ich werde mich wohl nie daran gewöhnen, dass du dich mit den Pferden unterhalten kannst.« Sie seufzte tief. »Ich wünschte, ich könnte das auch!«

»Na ja, wer weiß, vielleicht erwacht bei dir auch noch diese Fähigkeit«, meinte ich. »Bis vor Kurzem wusste ich ja selber noch nichts von meinem Talent.«

»Das sagst du nur, um mich zu trösten!«

»Nichts ist ausgeschlossen!«, meinte ich. »Seit ich hier bin, halte ich alles für möglich.«

Mein Leben hatte sich wirklich vollkommen geändert.

Wir suchten uns einen Platz für unsere Badesachen, ein wenig abseits von den anderen. Nachdem wir unsere Matten ausgebreitet hatten, zog Paula ihr T-Shirt über den Kopf und schlüpfte aus ihren Shorts, genau wie ich. Praktischerweise hatten wir schon zu Hause unsere Badesachen unter den Klamotten angezogen. Es gab zwar am Uferrand ein paar hölzerne Kabinen, in denen man sich umziehen konnte. Aber so war es einfacher. Ich warf noch einmal einen Blick auf die friedlich grasenden Pferde, dann rannte ich über den Sandstrand auf den See zu. Paula kam hinterher.

»Ich krieg dich!«, rief sie.

»Versuch’s doch!«, schrie ich. Ich war zuerst im Wasser und wollte mich gerade auf den Bauch fallen lassen, da bekam sie mich an den Schultern zu fassen. Als ich mich umdrehte, verlor ich das Gleichgewicht, und wir landeten beide im Wasser, lachend und prustend.

Es war super! Im Westen färbte sich der Himmel rötlich, die Luft war noch immer schwül, und das Wasser umfing uns weich und warm. Ich glaube, in diesem Moment war ich restlos glücklich. Ich war mit meiner besten Freundin zusammen, Libellen schwirrten über den See, und unsere Pferde zupften ein Stück entfernt genüsslich an den Grashalmen.

Paula war eine gute Schwimmerin, genau wie ich. Mitten im See befand sich eine hölzerne Plattform, auf der man sich ausruhen und sonnen konnte. Paula deutete darauf.

»Wer zuerst da ist!«

»Du hast keine Chance!«

Wir kraulten gleichzeitig los, aber schon nach ein paar Metern hatte Paula einen Vorsprung. Wahrscheinlich steckte mir noch das Abenteuer in den Knochen, trotzdem versuchte ich, mitzuhalten. Vergeblich. Frustriert sah ich zu, wie Paulas Vorsprung immer größer wurde. Lange vor mir erreichte sie die Plattform und kletterte die kleine Leiter hoch. Als ich außer Puste ankam, lachte sie mich aus. Gutmütig ertrug ich ihren Spott, während ich ebenfalls die Leiter hochstieg. Mein Puls ging schnell.

»Revanche gefällig?«, fragte Paula mit blitzenden Augen.

»O nein!« Ich schüttelte den Kopf. »Wir schwimmen ganz gemütlich zurück. Du bist die Bessere!«

Paula grinste.

»Ich brauch noch ein paar Minuten, bis ich wieder kann«, gestand ich. Noch immer spürte ich die Anstrengung.

»Okay!« Sie streckte sich rücklings auf der Plattform aus. »Sag mir, wenn du so weit bist. Ich halte inzwischen ein Nickerchen.«

Allmählich normalisierte sich meine Atmung. Ich saß auf dem Rand der Plattform und hielt die Beine ins Wasser. Ein Käfer krabbelte über die Planken. Ich beobachtete ihn eine Weile. Als ich wieder aufsah und zu den Pferden hinüberblickte, entdeckte ich zwei Jugendliche, die bei Hjalmar und Mick standen. Sofort bekam ich ein ungutes Gefühl. Ob sie sich nur für die Pferde interessierten oder sie ärgern wollten, konnte ich nicht ausmachen.

»Paula, guck mal!«

Meine Freundin schoss hoch und beschirmte ihre Augen. »Da sind welche bei den Pferden.«

»Genau. Wir sollten besser zurückschwimmen. Sicher ist sicher.«

Ich ließ mich von der Plattform gleiten und schwamm los. Hinter mir klatschte Paula ins Wasser.

Die Sorge um die Pferde verlieh mir neue Kräfte. Doch als ich ein Stück zurückgelegt hatte, sah ich, dass die Jugendlichen die Pferde in Ruhe ließen und weggingen.

Ich drehte mich nach Paula um. »Entwarnung!«

Doch ich konnte meine Freundin nirgends entdecken. Wo war sie? Im ersten Moment dachte ich, sie würde einen Spaß machen und sich vor mir verstecken. Vielleicht hinter der Plattform? Aber als ich dorthin zurückgeschwommen war, war auch auf der anderen Seite keine Spur von ihr zu sehen.

Hattu eine heiße Spur?

Ausgerechnet jetzt musste ich an den blöden Häschenwitz denken.

Ich fühlte, wie Eiseskälte von meinen Zehen aus herauf in meinen Körper kroch.

»Paula!«, schrie ich voller Panik. »Wo bist du? Das ist nicht witzig!«

Keine Antwort.

In der Ferne nahm ich zwischen den Schilfhalmen eine Bewegung wahr. Doch zu meiner Enttäuschung war es nur eine Ente, die aus ihrem Versteck hervorschwamm.

»PAULA!«

Verdammt, war ihr etwas passiert? War sie plötzlich ohnmächtig geworden und untergegangen, ohne dass ich etwas bemerkt hatte?

Ich machte mir schreckliche Vorwürfe. Was sollte ich nur tun? In meiner Verzweiflung begann ich zu tauchen und suchte sie unter Wasser. Doch ich sah nur Wasserpflanzen, ein paar schwimmende Plastiktüten und einen erschrockenen Fisch. Keine Paula. Immer wieder kam ich nach oben, um Atem zu holen. Das Licht wurde stetig schlechter, schon wenige Zentimeter unter Wasser konnte ich nichts mehr erkennen. Schließlich hielt ich mich völlig erschöpft an der Plattform fest und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen.

Ich zitterte am ganzen Körper.

Bitte, lass das nicht wahr sein! Ich träume das alles …

Paula durfte nicht verschwunden sein. Sicher war sie irgendwo und spielte mir nur einen Streich.

Meine Versuche, mich selbst zu belügen, waren nutzlos. Ich glaubte mir nicht. Tief in mir drinnen wusste ich, dass etwas Schreckliches passiert war. Die Tränen liefen mir übers Gesicht.

Ich musste so schnell wie möglich mit dem Handy Hilfe herbeirufen. Die Polizei. Oder die Feuerwehr. Taucher mussten her und den See absuchen.

Ich weinte laut vor mich hin. Es war so furchtbar. Ich ließ die Plattform los und schwamm in Richtung Ufer. Es kam mir vor, als wäre es viel weiter entfernt als zuvor. Meine Kräfte würden nicht ausreichen, ich würde unterwegs untergehen …

Meine Lungen brannten. Mit jedem Schwimmzug schienen meine Arme und Beine schwerer zu werden.

Was war das? Irgendetwas packte mich an den Füßen und wollte mich in die Tiefe ziehen. Ich ging unter und schluckte Wasser. In meiner Panik strampelte ich wie verrückt. Der Griff lockerte sich, und ich spürte, wie ich gegen einen muskulösen Arm trat. Verzweifelt arbeitete ich mich zur Wasserfläche hoch und schnappte nach Luft.

Wieder tastete etwas von unten nach meinen Beinen.

Ich stieß einen Schrei aus, aber dann wurde ich schon wieder nach unten gezogen.

Plötzlich war ein riesiger dunkler Schatten neben mir. War das mein Untergang?

Ich bin’s, Hjalmar.

War die Stimme tatsächlich in meinem Kopf, oder war das nur Wunschdenken?

Meine Hände ertasteten ein Stück Mähne. Mit letzter Kraft gelang es mir, mich auf seinen Rücken zu ziehen.