Das Geheimnis der Gruselmühle - Stephan Hähnel - E-Book

Das Geheimnis der Gruselmühle E-Book

Hähnel Stephan

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Beschreibung

Hagen kann es nicht glauben: Statt in den Sommerferien irgendwas Cooles zu machen, schickt ihn die Erzeugerfraktion zu seiner Großmutter aufs Land. Dabei ist er schon fast 13! Sicher, Oma Charlotte ist eigentlich gar nicht so schlecht: Für ihr Alter ist sie erstaunlich fit, hat tolle Ideen und außerdem ist sie Ehrenmitglied in einer Biker-Gang, genannt „Die Büffel“. Aber sie wohnt nun mal in Klein Polkewitz, einem 300-Seelen-Kaff, direkt an der Elbe. Hagen stellt sich auf voll öde Ferien ein, ohne Internet, Play Station und Handynetz. Doch er hat sich gewaltig geirrt: Gleich, als er am Bahnhof ankommt, wird er Zeuge eines Gesprächs zwischen zwei mysteriösen Ganoven. Eine Kunst-Schmuggler-Bande treibt ihr Unwesen! Doch was hat der Museumsdirektor damit zu tun? Und warum darf die Polizei nichts erfahren? Zusammen mit Emilia, die für ein Mädchen echt cool ist, und Dr. Schmidt, der Dalmatiner-Mops-Mischling seiner Oma, stellt sich Hagen der Herausforderung.

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Seitenzahl: 160

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Der Autor

Stephan Hähnel wurde als Weihnachtsgeschenk 1961 in Berlin geboren. Seit 2005 schreibt er Romane, Krimis, schwarzhumorige Erzählbände und Kinderbücher. Schon seit seinen ersten Werken gilt er als „Meister des schwarzen Humors“ (Berliner Kurier) 2010 initiierte er das Literaturfestival „Berliner Krimimarathon“.

Seit zehn Jahren ist er zudem mit unterschiedlichen Schreib-Workshops deutschlandweit an Schulen unterwegs und arbeitet außerdem mit dem Projekt „Literarische Vormittage“ zusammen.

„Die Arbeit mit Kindern macht mir Spaß. Zu erleben, wie Geschichten entstehen, die nicht Abklatsch gesehener Filme, gelesener Bücher oder durchzockter Spiele sind, ist spannend. Wer sich darauf einlässt, lernt eine Welt kennen, die grenzenlos zu sein scheint. Das eigene Kopfkino anschalten und Ideen selbst zu gestalten, ist ein Abenteuer. Als Schriftsteller ist es mir wichtig, die Schüler dort abzuholen, wo ihr Interesse liegt und ihnen damit möglicherweise eine neue Tür zu öffnen.“

Stephan Hähnel

Weitere Informationen zu ihm, seinen Büchern und seinen angebotenen Schreibkursen gibt es auf seiner Webseite:

www.stephan-haehnel.de

Stephan Hähnel: „Das Geheimnis der Gruselmühle“ 1. Auflage, März 2017, Periplaneta Berlin, Edition Drachenfliege

© 2017 Periplaneta - Verlag und Mediengruppe Inh. Marion Alexa Müller, Bornholmer Straße 81a, 10439 Berlin www.periplaneta.com

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, Übersetzung, Vortrag und Übertragung, Vertonung, Verfilmung, Vervielfältigung, Digitalisierung, kommerzielle Verwertung des Inhaltes, gleich welcher Art, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags.

Die Handlung und alle handelnden Personen sind erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit realen Personen oder Ereignissen wäre rein zufällig.

Lektorat: Sarah Strehle (www.lektorat-strehle.de) Cover: Ralf Alex Fichtner Satz & Layout: Thomas Manegold

print ISBN: 978-3-95996-038-0 epub ISBN: 978-3-95996-039-7

E-Book-Version: 1.1

Stephan Hähnel

Das Geheimnis der Gruselmühle

periplaneta

Ferien!“, rief Hagen Sauerbrei, so laut er konnte. „Endlich Ferien!“ Die Sonne lächelte freundlich und warm vom Himmel herab. Ein Super-Sommer sollte es werden. Einen Jahrhundert-Sommer versprachen die Wetterfrösche. Er sprintete die Treppen hinauf, öffnete die Wohnungstür und lief in sein Zimmer. Vorsichtig stellte er den Rucksack mit den Schulsachen auf den Teppich, sodass dieser nicht umfallen konnte. Er holte tief Luft, trat drei Schritte zurück, nahm Anlauf, zielte und gab ihm einen kräftigen Tritt. Im hohen Bogen flog der Rucksack durch das Zimmer und landete in der Ecke.

„Tooooor! Tooor für Deutschland! Unglaublich! Hagen Sauerbrei schießt in der letzten Sekunde der Fußballweltmeisterschaft das alles entscheidende Tor. Deutschland wird Weltmeister!“, kommentierte er den fantastischen Schuss und sank auf die Knie. Erst dann fiel ihm ein, dass sein Zeugnis noch im Rucksack war, und kramte es schnell hervor.

Zufrieden schaute er sich das verbeulte Papier an. Fast alles Zweien und ein paar Einsen. Wenn bloß die blöde Vier in Mathe nicht wäre. Selbstverständlich hatte er in Sport die Bestnote erhalten. Im Sport war er unschlagbar. Bester Torwart der Schule. Später würde er Fußballprofi werden oder Reporter oder beides. Fußballreporter. Profifußballreporter.

Dass er mit zwölf Jahren genau wusste, was er wollte, hielt die Erzeugerfraktion – wie er seine Eltern gerne nannte, wenn sie ihn gar nicht verstehen wollten – für eine kindliche Träumerei. Manchmal nahmen sie ihn einfach nicht ernst. Schon allein der Name - Hagen? Wie waren sie nur darauf gekommen. Es gab Dörfer, die Hagen hießen. Er trug den Namen eines Dorfes. Es war zum Heulen.

Ab Sonnabend musste er für drei Wochen nach Klein Polkewitz zur Großmutter. Auch so ein Dorf. Vor zwei Jahren war er das letzte Mal da gewesen. Für ein Kind ist das eine feine Sache. Aber heute? Er war ein angehender Jugendlicher. Quasi ein Erwachsener in Lauerstellung. Was sollte er bitteschön bei seiner Oma?

Die Erzeugerfraktion behauptete, es sei unmöglich, diesen Sommer in den Urlaub zu fahren. Angeblich könnten sie vor lauter Arbeit nicht geradeaus denken. Was das mit Verreisen zu tun hatte, blieb Hagen ein Rätsel. Dass er in den Ferien allein zu Hause blieb, lehnten sie aber auch rigoros ab. Aus drei Gründen.

Erstens: Vor knapp einem Monat hatte er vergessen, das Badewasser für die Wanne auszustellen, was zu einer beträchtlichen Überschwemmung in der eigenen, wie auch in der Wohnung unter ihnen geführt hatte.

Zweitens: Vor drei Wochen hatte er den Wohnungsschlüssel auf dem Küchentisch vergessen. Eigentlich nichts Weltbewegendes. Dummerweise hatte ihn die Polizei dabei beobachtet, wie er am Regenrohr in die erste Etage geklettert war, um durch das Toilettenfenster in die Wohnung zu kommen.

Vater Sauerbrei musste Hagen vom Polizeirevier abholen, da man ihn für einen Einbrecher hielt. Sauerbrei Senior schwieg auf dem Rückweg bis nach Hause. Statt zu schimpfen, schüttelte er ungläubig den Kopf. Dreiundvierzigmal! Ein neuer Rekord. Dass Hagen immer das Regenrohr hochkletterte, wenn er den Schlüssel vergessen hatte, erwähnte er vorsichtshalber mit keinem Wort. Sonst wäre das womöglich mit dem Kopfschütteln bei seinem Vater ein Dauerzustand geworden.

Aber der dritte Grund, den die lieben Eltern aufzählten, war von allen der schlimmste: Frische Landluft hat noch niemandem geschadet!

Das Dorf Klein Polkewitz lag an der Elbe und hatte höchstens dreihundert Einwohner. Hagen nannte das Nest verächtlich Groß Langweilshausen, weil es hier nichts gab, was einen Zwölfjährigen ansatzweise interessieren könnte. Oma Charlotte lebte dort zusammen mit Dr. Schmidt auf einem kleinen Bauernhof mit Hühnern, Kaninchen und Gemüsebeeten – der Sauerbrei-Hof.

Dr. Schmidt war das Ergebnis einer stürmischen Nacht zwischen einer Mopsdame und einem Dalmatiner. Also ein reinrassiger Mopatiner. Dr. Schmidt war der einzige Hund, den Hagen kannte, der wie ein Rollbraten mit Punkten aussah. Als Wach- oder Jagdhund war das kurzbeinige Rollkommando völlig ungeeignet. Natürlich mochte Hagen Schmiddi, wie er ihn liebevoll rief, auch wenn der nur ans Fressen dachte. Garantiert hätte er jedem Einbrecher schwanzwedelnd den Weg zum Kühlschrank gezeigt.

Zwar freute sich Hagen auf Oma Lottchen, wie er Oma Charlotte nannte, doch drei Wochen Groß Langweilshausen waren eindeutig eine Zumutung. Unendlich öde!

Früher war er immer gerne in den Sommerferien aufs Land gefahren, aber doch nicht wegen der frischen gesunden Landluft. Wegen der Tiere auf dem Bauernhof selbstverständlich. Damals war das super und aufregend, aber heute? In den letzten zwei Jahren waren seine Eltern gemeinsam mit ihm in den Urlaub geflogen. Ans Meer, nach Ägypten und Lanzarote. Er hatte ernsthaft geglaubt, diese Sache mit „Ferien bei Oma“ hinter sich zu haben. Außerdem war er zwölf! Und gleich nach den Sommerferien wurde er dreizehn. Die Erzeugerfraktion wollte sein Erwachsenwerden einfach nicht einsehen. Morgen also holten ihn seine Großmutter und Dr. Schmidt vom Bahnhof ab. Beide würden ihn abschlecken, Oma Charlotte ihn zusätzlich in die Wange kneifen und ein bisschen herumwundern: „Du bist aber groß geworden! Richtig erwachsen! Du siehst deinem Vater so was von ähnlich!“

Und es würde noch schlimmer kommen: Allen dreihundert Dorfbewohnern würde sie erzählen, dass es ihrem Enkel in diesem Jahr sicherlich gelinge, den Schatz vom alten Gruselmüller zu finden. Megapeinlich! Angeblich gab es in den Ruinen der alten Mühle unermesslich viel Gold und Edelsteine. Ein Märchen, auf das er früher hereingefallen war. Da war er noch klein oder jung oder altersbedingt minderbemittelt gewesen. Aber heute doch nicht mehr.

Tatsächlich hatte er noch vor zwei Jahren auf dem Gelände der alten Mühle Löcher gebuddelt. Statt eines Schatzes fand er nur zerbrochene Dachziegel, die Knochen eines toten Huhnes und eine dunkle Masse, die an Dinosaurierpopel erinnerte. Bei genauerem Hinsehen hatte er festgestellt, dass es sich um Teerklumpen vom Straßenbau handelte. In diesem Sommer würde er sich nicht wieder zum Obst oder zum Kohlrabi machen. Vielleicht könnte er ja die Spraydosen mitnehmen und ein paar Langweilshausener Wände mit Graffiti aufpeppen.

‚Grandiose Idee‘, dachte Hagen. Fragen würde er seinen Vater lieber nicht. Die Antwort hätte er schon vorher auf einen Zettel schreiben können. Für den Familienältesten waren Graffiti nur Schmierereien. Auch das Argument, dass es sie schon im Alten Ägypten gab, bei den Mayas, den Wikingern und selbst in Pompeji, interessierte Vater Sauerbrei nicht die Bohne. Einziger Kommentar: „Deswegen sind all diese Kulturen auch untergegangen.“

So waren Eltern. Warum die nicht mit ‚ä‘ geschrieben werden, war Hagen schon immer ein Rätsel. Ältern, weil sie älter sind.

An der Tür klingelte es. Hagen schnappte das Zeugnis und stürmte los. Bei guten Noten zeigten sich die lieben Ältern nämlich großzügig und ließen schon mal einen blauen Geldschein in seine Hand wandern.

Hagen Sauerbrei war der einzige Fahrgast, der aus dem Bummelzug in Klein Polkewitz ausstieg. Die anderen Reisenden schauten ihn mitleidig an. Eine Frau, die verdächtig an eine Deutschlehrerin erinnerte – Brille, ein Buch studierend und gekleidet in Klamotten mit Tatzen darauf – winkte albern, als der Zug den Bahnhof verließ.

Weit und breit nichts von Oma Charlotte zu sehen. Enttäuscht setzte er sein Basecap auf und drehte den Schirm nach hinten. Zu allem Unglück regnete es auch noch. Gestern Abend hatte es angefangen und seitdem pausenlos aus allen Wolken gepieselt. Pissen durfte er nicht sagen. Das Wort stand auf Mutter Sauerbreis Schweinskramwortliste. Von wegen Jahrhundert-Sommer! Niedergeschlagen sah Hagen dem Zug nach, bis er hinter der nächsten Kurve im Wald verschwand. Seufzend nahm er die Reisetasche und marschierte zu dem wahrscheinlich kleinsten Bahnhofs-Warteraum, den es auf der ganzen Welt gab.

Trostlos sah es hier aus. Ein zerrissener Fahrplan hing an der Wand, daneben einige vergilbte Werbeplakate und eine Landkarte der Umgebung. Die Gegend bestand aus ein paar Tümpeln, verkrauteten Wassergräben, der Elbe, dem alten Kanal, winzigen Dörfern, dem prunkvollen Gutshaus sowie Wald und Feldern. Unweit der Elbe lag Klein Polkewitz oder besser gesagt Groß Langweilshausen. Wenn man über die Feldwege spazierte, waren es höchstens zwei Kilometer. Wie er Oma Lottchen kannte, holte sie ihn mit ihrer antiken Kiste, einem Motorrad mit Seitenwagen, ab. Schmiddi würde auf dem Beifahrersitz lümmeln, die Zunge in den Fahrtwind hängen und dusslig durch die Fahrerbrille schauen. Dass der Hund nicht einen dieser komischen Helme tragen musste, Modell Nachttopf, wunderte Hagen sehr. Aber abgefahren war es schon, wenn Oma Charlotte mit der alten BMW durch die Gegend jagte.

Erneut schaute er sich um. Doch er sah nichts Spannendes und hörte auch nichts außer dem Regen. Enttäuscht nahm er sein Smartphone heraus, tippte auf die Mikrofon-App und diktierte:

„Hallo Welt! Ein schreckliches Verbrechen erschüttert in diesen Tagen den Planeten. Ein zwölfjähriger unbescholtener Junge, die Hoffnung der deutschen Fußballnationalmannschaft, wurde von seiner Erzeugerfraktion gegen seinen ausdrücklichen Willen in einer unwirklichen Pampa ausgesetzt. Nach letzten, unbestätigten Berichten ist es mehr als wahrscheinlich, dass er elend zugrunde gehen wird.“

Ihm fiel nichts weiter ein. Daher beendete er die Reportage mit dem Satz:

„Sobald es Neuigkeiten gibt, melde ich mich vom Schauplatz des Verbrechens. Hagen Sauerbrei in geheimer Mission. Ende und Aus.“

Mit Entsetzen stellte er fest, dass er kein Netz hatte. Da besaß er nun ein fantastisches Smartphone, biegsam, superschmal, wasserdicht, kaum ein Jahr alt und dann das. Kein Netz! Ungläubig hielt er es hoch, zur Seite, ging nach rechts, links und kletterte auf die Wartebank. Null Chance. Das Teil verweigerte den Dienst. Er drückte erneut auf Aufnahme:

„Hallo Welt! Ich bin tot! Ich bin so was von tot, töter geht’s gar nicht. Ich bin der töteste Mensch am allertötesten Ort der Welt! Ende und Aus!“

Natürlich wusste Hagen, dass man tot nicht steigern konnte. Wer tot ist, ist tot. Mehr geht nun wirklich nicht. Aber angesichts der Situation war er überzeugt, der Duden müsste umgeschrieben werden.

Tot! Töter! Am Allertötesten! Groß Langweilshausen!

Zum Glück fand er Kleingeld in der Hosentasche. In der sogenannten Bahnhofshalle gab es ein Telefon. Eine gelbe Box mit Glasscheiben und einer Tür. Offensichtlich gab es aber keine Ersatzteile mehr, denn der untere Teil der Tür war mit einer Sperrholzplatte notdürftig repariert worden. Eindeutig ein Überbleibsel der vergessenen analogen Welt.

Ein paar Fingerbewegungen auf seinem Smartphone und die Telefonnummer von Oma Charlotte stand auf dem Display. Er nahm den urzeitlichen Hörer ab, der an einen Knochen erinnerte, steckte die Münzen in den Schlitz und wählte die Nummer. Kein Signalton. Nicht einmal ein Rauschen. Und Hagen erkannte auch warum: Das Kabel war durchtrennt, das Teil war auch absolut obertot.

„Auch das noch“, stöhnte Hagen und sackte resigniert auf die Reisetasche.

Einem Sterbenden nicht unähnlich, diktierte er in sein Smartphone:

„Hallo Welt! Das sind wahrscheinlich meine letzten Worte. Ich bin voll am Abasseln. Mein Denkmuskel hat seine Aktivität eingestellt. Jeden Moment rechne ich mit einem Pumpenflash. Freunde! Behaltet mich in guter Erinnerung! Kurze Erklärung für Erwachsene: abasseln bedeutet abhängen, vor sich hinrotten. Den Denkmuskel kennt ihr als Gehirn. Pumpenflash heißt in eurer Welt Herzinfarkt. Ende und Aus!“

Plötzlich wurde die Tür zum Warteraum aufgestoßen. Zwei Männer traten herein. Instinktiv duckte sich Hagen hinter der Sperrholzplatte, sodass er unentdeckt blieb. Einer Eingebung folgend ließ er die Aufnahme-App weiterlaufen.

„Lief alles wie geschmiert. Keinerlei Probleme. Vor der Jubiläumsveranstaltung merken die Landeier nichts von unserem heimlichen Besuch im Museum!“, rief der eine Mann stolz. Er sprach ein wenig durch die Nase.

Hagen konnte die Männer nicht erkennen, aber eine innere Stimme warnte ihn, dass es gesünder wäre, versteckt zu bleiben. Dennoch öffnete er vorsichtig die Tür der Telefonzelle einen Spalt, um besser sehen und hören zu können. Der eine, der durch die Nase sprach, war ein kleiner Dicker mit Glatze, der wie ein Gummiball um den anderen herumsprang. Der andere sah aus wie ein Spargel. Lang, dünn, blass, mit blonden, langen Haaren. Ein echter Spargeltarzan. Der Dicke zeigte auf eine Stelle der Karte, die Hagen gut kannte. Klein Polkewitz!

„In sechs Tagen kommt die Linda. Bis dahin bleiben die Ge­mälde im Versteck. Trocken, kühl und ungestört, wie edler Wein.“

„Mensch Pit, wir sind richtig gut. Wenn die Linda da ist, dann nehmen wir unsere Knete und nichts wie weg“, erwiderte der Dünne. Er lachte in einem Tonfall, der zwischen dreckig und bösartig lag.

„Knete? Was denn für Knete?“

Spargeltarzan verdrehte die Augen und klatschte mit der flachen Hand auf Pits Kopf, als wäre er ein Basketball. „Na Kohle, Flöhe, Kies, Mäuse, eben Geld, du Dusseltier!“

Pit grinste dümmlich und sagte: „Wenn ich das nächste Mal einkaufen gehe, bezahle ich mit kleinen, gebrauchten, unregistrierten Mäusen.“

Hagen musste kein Detektiv sein, um zu erkennen, dass es sich bei den beiden um Ganoven handelte. Sie hatten irgendein Ding gedreht und wollten ihre Ware am nächsten Freitag an Linda verhökern.

„Wie spät ist es?“, fragte Spargeltarzan.

„Kurz nach drei. Wir sollten den Lord anrufen. Ich frage mich, wofür er einen Container braucht.“

Hagens Herz trommelte panisch, obwohl er sonst nicht so schnell aus der Ruhe zu bringen war. Er hörte schlurfende Schritte auf die Telefonzelle zukommen. Reflexartig duckte er sich hinter der Sperrholzplatte, so tief er konnte. Schweißperlen liefen plötzlich über seine Stirn. Die Haare im Nacken standen stramm. Jeden Moment mussten die beiden ihn entdecken. Er hielt die Luft an. Langsam öffnete sich die Tür.

„Mist! Das Telefon ist bis auf Weiteres wegen technischer Störung außer Betrieb“, las Pit vor. Wütend trat er gegen die notdürftig reparierte Tür, die knallend zuschlug. Dann verließen die Ganoven den Warteraum.

Nach einer Weile holte Hagen wieder Luft, richtete sich auf und schaute vorsichtig durch die obere Glasscheibe der Tür. Mit zittriger Hand führte er das Smartphone dicht an die Lippen und flüsterte:

„Hallo Welt! An Tagen wie diesen möchte man auf die Knie fallen. Danke Schicksal, danke, dass du mir keinen Zettel an den Zeh gebunden hast. Es berichtete live, Hagen Sauerbrei, aus dem mörderischen Dark Territorium Polkewitzer Heide. Ende und Aus!“

Er schnappte sich die Reisetasche und schaute misstrauisch auf den Bahnhofsvorplatz. Niemand zu sehen. Alles ruhig. Die beiden Kerle waren verschwunden. Auf den Stufen zum Warteraum entdeckte er ein Streichholzbriefchen, das vorher dort nicht gelegen hatte. Neugierig untersuchte er es von allen Seiten.

Zum tänzelnden Wallach – Rossschlächterei und Restaurant

Nachdenklich zog er die Stirn in Falten. Einer der beiden Ganoven musste es verloren haben. Daran gab es keinen Zweifel.

Ein knatterndes Geräusch näherte sich und riss ihn aus den Gedanken. Eine alte 350er-BMW mit Seitenwagen kam aus dem Waldweg geschossen. Endlich holte ihn Oma Lottchen ab. Im Schritttempo fuhr sie an Hagen vorbei und deutete aufgeregt auf den Rücksitz.

„Wenn ich anhalte, bekomme ich die Karre nie wieder an“, brüllte sie.

Hagen verstand. Er schleuderte die Reisetasche zu Dr. Schmidt in den Seitenwagen, der beleidigt aufjaulte. Sportlich schwang er sich auf den Rücksitz.

„Festhalten!“

Gekonnt legte sich Oma Charlotte in die Kurve, drehte auf dem Bahnhofsvorplatz eine Runde und bog eindeutig zu schnell, wie Hagen fand, in den schmalen Feldweg in Richtung Groß Langweilshausen.

Mit qualmendem Auspuff, diversen Fehlzündungen und einer gewaltigen Portion Glück erreichten sie den Sauerbrei-Hof. Das betagte Motorrad hustete altersschwach und gab Geräusche von sich, als ob es auseinanderfallen wollte. Erschöpft gab es auf. Kein Mucks war mehr zu hören.

Es passierte, was passieren musste. Er wurde umarmt, auf beide Wangen geküsst und sein Bizeps geprüft.

„Du bist groß geworden! Und so stark. Mein Gott! Du siehst deinem Vater immer ähnlicher!“

Hagen zweifelte das an, hielt es jedoch für besser, nichts dazu zu sagen.

„In diesem Jahr findest du bestimmt den Schatz vom Gruselmüller“, raunte Oma Charlotte ihm verschwörerisch zu und kniff ihm aufmunternd in die Wange.

Da war es wieder. Selbst seine Großmutter nahm ihn nicht ernst. Beleidigt verzog Hagen das Gesicht.

„Ich bin zwölf! Zwööööööööööölf!“

„Ist doch nicht so schlimm!“, war das Einzige, was Oma Charlotte darauf zu sagen hatte. „Waren wir doch alle.“

Erwachsene schienen es nicht begreifen zu wollen. Zwölf. Nicht zwei mal sechs oder drei mal vier. Zwölf! Besser gesagt: im dreizehnten Lebensjahr! Aber egal, Oma Lottchen hatte es irgendwie geschafft, niemals richtig erwachsen zu werden. Und das war echt klasse. Manchmal schimpfte Hagens Vater über derart viel Unvernunft.

„Maminka“, moserte Vater Sauberbrei vorwurfsvoll (er sagte tatsächlich Maminka). „Maminka, mit siebzig Jahren fährt man nicht mehr Motorrad! Schon gar nicht zum Bikertreffen! Und am Lagerfeuer spielt man auch nicht Gitarre bis spät in die Nacht! Das ist der falsche Umgang für dich!“

Aber gerade das fand Hagen super. Oma Charlotte war früher sogar Motorradrennen gefahren. So manchen Titel hatte sie den Werkteams weggeschnappt, obwohl sie alles an ihrer ollen Kiste, wie sie die alte BMW liebevoll nannte, selber werkeln musste.

Andererseits gab es nichts Schlimmeres für Hagen, als mit seiner Großmutter durchs Dorf laufen zu müssen. Sie war bekannt wie ein bunter Hund. Jeder schien sie zu kennen. Kein Wunder, als ehemalige Lehrerin gab es vermutlich keinen Ureinwohner aus Groß Langweilshausen, der nicht Unterricht bei ihr gehabt hatte. Egal, ob an der Bushaltestelle, einem Gartenzaun oder vor dem Postkasten, überall trafen sie auf Eingeborene.

Wahrscheinlich würde Oma Charlotte wieder jedem erklären, dass ihr Enkel sie besuche. Als ob das nicht sowieso klar war. Außerdem sei er groß geworden und dem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten. Ganz sicher würde er in diesem Jahr endlich den sagenumwobenen Schatz der Gruselmühle finden.

Hagen wollte schon jetzt im Boden versinken, wenn er nur daran dachte.

„Das gibt eine Menge Arbeit“, stellte Oma Charlotte fest und schob das Motorrad in die Werkstatt. Kaum hatte sie den Sicherheitsgurt von Dr. Schmidt gelöst und die alberne Motorradbrille abgenommen, sprang der gepunktete Rollbraten aus dem Seitenwagen und sprintete wütend über den Hof. Offensichtlich wollte sich der Mopatiner über die Aktion mit der Reisetasche beschweren. Als er Hagen aber erkannte, war er nicht mehr zu bremsen. Vor Freude jaulend rannte er aufgeregt im Kreis herum, schmiss sich auf den Boden, rollte hin und her und strampelte mit allen Vieren. Eindeutig eine besondere Form von Breakdance. Der weltberühmte Mopatiner-Dog-Style. Hagen kraulte Schmiddi hinter den Ohren und tätschelte seinen Bauch. Dabei stellte er fest: „Dr. Schmidt! Sie haben deutlich Übergewicht. Ein bisschen viel Leckerlis genascht, oder?“

Hagen war so mit dem Hund beschäftigt, dass er gar nicht bemerkte, dass noch jemand auf ihn gewartet hatte.