Das Geheimnis der Hyazinthen - Claudia Romes - E-Book
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Das Geheimnis der Hyazinthen E-Book

Claudia Romes

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Beschreibung

Das Geheimnis eines verwilderten Gartens auf der Isle of Skye.

Lilly hat drei Jobs gleichzeitig, als ihre krebskranke Mutter ihren letzten Wunsch äußert: Noch einmal möchte sie die Blüte jener seltenen Hyazinthe sehen, die einst im Garten ihres Cottages auf der Isle of Skye blühte. Lilly kehrt in ihre alte Heimat zurück, doch ihr früheres Zuhause ist heruntergekommen, und die Suche nach der Blume gestaltet sich schwieriger als gedacht. Dabei trifft sie nicht nur auf Liam, dem heute das Grundstück gehört, sondern auch auf ein Geheimnis, das ihre Mutter ein Leben lang vor ihr gehütet hat …

Eine Suche nach der wahren Liebe und ein großes Familiengeheimnis vor der Kulisse der malerischen Küste Schottlands.

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Über das Buch

Das Geheimnis eines verwilderten Gartens auf der Isle of Skye.

Lilly hat drei Jobs gleichzeitig, als ihre krebskranke Mutter ihren letzten Wunsch äußert: Noch einmal möchte sie die Blüte jener seltenen Hyazinthe sehen, die einst im Garten ihres Cottages auf der Isle of Skye blühte. Lilly kehrt in ihre alte Heimat zurück, doch ihr früheres Zuhause ist heruntergekommen, und die Suche nach der Blume gestaltet sich schwieriger als gedacht. Dabei trifft sie nicht nur auf Liam, dem heute das Grundstück gehört, sondern auch auf ein Geheimnis, das ihre Mutter ein Leben lang vor ihr gehütet hat …

Eine Suche nach der wahren Liebe vor der Kulisse der malerischen Küste Schottlands.

Über Claudia Romes

Claudia Romes wurde 1984 als Kind eines belgischen Malers in Bonn geboren. Mit neun Jahren begann sie, ihre eigenen Geschichten zu erzählen und fasste den Entschluss, eines Tages Schriftstellerin zu werden. Nach einigen beruflichen Umwegen widmete sie sich ganz dem Schreiben und lebt heute ihren Traum. Die Autorin wohnt mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern in der Vulkaneifel.

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Claudia Romes

Das Geheimnis der Hyazinthen

Roman

Inhaltsübersicht

Informationen zum Buch

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Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Epilog

Impressum

Für meine Mutter. Und für Emily und Fabian. Immer für euch.

***

»Soweit es möglich ist, bist du dennoch ewig; und sooft das Frühjahr den Winter vertreibt, so oft erstehst du auf und blühst auf der grünen Wiese.«Aus Ovids METAMORPHOSEN

Kapitel 1

Lilly stand am Fenster und beobachtete, wie sich die Dämmerung über die Stadt legte. Die Straßenlaternen flackerten auf und schickten ihr warmes Licht in die urigen Gassen, die Edinburgh Castle umgaben. Majestätisch thronte die Burg auf dem Castle Rock im Zentrum der Hauptstadt. Jeden Abend genoss Lilly diesen atemberaubenden Ausblick, den sie einer engagierten Krankenschwester namens Helen zu verdanken hatten. Diese hatte sich bei der Heimleiterin dafür eingesetzt, dass Lillys Mutter genau dieses Zimmer zugeteilt wurde – obwohl sie es sich nicht leisten konnte. Vermutlich war Mitleid der Grund für das Einlenken der ansonsten so strengen Nonne gewesen. Iris Warren war vor knapp zwei Monaten ins St.-Andrews-Pflegeheim gekommen, weil Lilly sich nicht mehr allein um sie kümmern konnte. Das Traurige daran war, dass es nicht an ihrer mangelnden Fürsorge lag, sondern daran, dass es Lilly durch ihre drei Jobs schlichtweg zeitlich nicht schaffte, ihrer schwer kranken Mutter gerecht zu werden. Geld war ein weiterer maßgebender Faktor.

Eigentlich ging es immer nur darum: Solange sie zurückdenken konnte, hatte ihre Familie zu wenig davon gehabt, und das war ein Umstand, der schon ihre Mutter zu einem Leben voll harter körperlicher Arbeit und ständiger Existenzsorgen verurteilt hatte. Nun zog er sich auch durch ihres. Es war wie ein Fluch, dem sie nicht entkommen konnte und dessen Ironie ihr so manches Mal die Tränen in die Augen trieb. Ihr Teilzeitjob im Blumenladen reichte gerade so für die Miete. Um über die Runden zu kommen, kellnerte sie nachmittags in einem Café, an den Wochenenden arbeitete sie zusätzlich in einer Bar. Manchmal hatte sie nicht mehr als zwei Stunden Zeit für den Haushalt, die Einkäufe und den täglichen Besuch bei ihrer Mutter, die nicht bemerken sollte, wie ausgelaugt Lilly war. Niemand wusste, wie viel Zeit Iris noch blieb, deren sanfte Stimme sich nun in Lillys Gedanken drängte.

»Seit wann bist du hier?«

Lilly drehte sich zu ihr um. »Noch nicht sehr lange. Ich wollte dich nicht aufwecken. Du hast so friedlich geschlafen.« Sie kam an ihr Bett.

»Du darfst mich ruhig wecken«, sagte ihre Mutter und nahm ihre Hand. »Das weißt du doch. Ich kann später noch genug schlafen. Hier passiert nicht sonderlich viel, bei dem es sich lohnen würde, wach zu bleiben. Es sei denn, du bist hier.«

»Ich hab dir die Schokolade mitgebracht, die du so gerne magst.« Lilly setzte sich auf die Bettkante, holte eine Tafel Vollmilch-Karamell aus ihrer Tasche und reichte sie ihrer Mutter.

»Du bist ein Engel«, sagte diese.

»Wo die herkommt, gibts noch mehr.« Lilly bewegte ihre Brauen verheißungsvoll auf und ab. Ihre Mutter lächelte matt. Lilly merkte, dass ihre Euphorie nur gespielt war – vermutlich hatte sie wieder keinen Appetit. In den vergangenen Wochen hatte Lilly ihr jeden Abend etwas mitgebracht, das sie früher gern gegessen hatte, nur um am nächsten Tag feststellen zu müssen, dass sie nichts davon angerührt hatte. Und selbst wenn doch, fehlte nur so viel, dass man hätte meinen können, eine Maus habe daran geknabbert. Lilly ahnte, dass sie diese Sachen nur ihretwegen überhaupt probierte. Schon lange hatte ihre Mutter keinen Gefallen mehr am Essen. Es strengte sie nur an. Trotzdem versuchte Lilly es weiter, auch wenn der Nachttisch mittlerweile aus allen Nähten platzte und einer Süßigkeitenabteilung im Supermarkt in nichts mehr nachstand. »Geht es dir nicht gut?«, fragte Lilly ernst nach.

Ihre Mutter war blass geworden. Ihre Wangenknochen traten hervor, wahrscheinlich hatte sie weiter an Gewicht verloren. Iris litt an einer seltenen Form von Leukämie. Sie war stets eine Kämpferin gewesen, eine Person, die sich nicht so leicht geschlagen gab. Aber nach zwei erfolglosen Chemotherapien und unzähligen Bestrahlungen war sie es leid, zu kämpfen. Ihre Entscheidung, alle weiteren Therapieversuche auszuschlagen, war für Lilly nur schwer zu akzeptieren, denn ihre Mutter bedeutete ihr alles. Iris hatte stets ihre eigenen Bedürfnisse für sie zurückgestellt und ihr trotz schwerer Zeiten unzählige Augenblicke der Unbeschwertheit geschenkt. Jetzt war sie an der Reihe. Für ihre Mutter da zu sein, so wie diese immer für sie da gewesen war, war selbstverständlich. Und es war alles, was sie noch für sie tun konnte.

»Es bleibt schon länger hell«, stellte Iris mit Blick aus dem Fenster fest.

Lilly tat es ihr gleich, und die beiden lächelten.

»Bald kommt der Frühling.«

Lilly wusste, dass er ihr von allen Jahreszeiten die liebste war. Ein Anflug von Wehmut überkam sie bei dem unwillkürlich aufkommenden Gedanken, dass ihre Mutter ihn vielleicht nicht mehr erleben würde. Tränen drängten sich in ihre Augen. Lilly blinzelte sie weg und zwang sich, ihre Traurigkeit hinunterzuschlucken. Für die Dauer ihres Besuchs musste sie stark sein – das hatte sie sich vorgenommen.

»Du siehst müde aus.« Iris richtete sich im Bett auf, legte ihre Hand an Lillys Wange und musterte sie prüfend. »Hat dich Barry wieder Überstunden in der Bar schieben lassen?«

»Das ist nur das Licht«, sagte Lilly, ohne weiter darauf einzugehen. Ihre Mutter sollte nicht wissen, dass sie seit drei Nächten kaum Schlaf bekommen hatte. Sie wollte auch nicht darüber nachdenken, dass sie bald schon wieder von Barry erwartet wurde. Noch nicht.

»Du wirkst aber erschöpft.« Iris ließ sich nicht so leicht täuschen und sah sie durchdringend an. Lilly kannte das außerordentliche Einfühlungsvermögen ihrer Mutter und setzte rasch ein breites Lächeln auf.

»Es geht mir gut.«

Iris schien durch sie hindurchzusehen, während sie über ihre Antwort nachdachte. »Wenn du das sagst«, murmelte sie beiläufig und kramte in ihrer Nachttischschublade.

»Ich habe etwas für dich.« Sie holte ein Kuvert und ein Foto heraus, das sie Lilly hinhielt. »Erinnerst du dich noch daran?«

Stirnrunzelnd nahm Lilly das Bild. »Natürlich«, sagte sie und strich mit dem Finger über das glänzende Foto, das ein Cottage mit einem blühenden Vorgarten zeigte. »Das ist unser altes Haus in Portree. Ich weiß noch ganz genau, wie es sich anfühlte, dort zu sein.«

»Es war eine schöne Zeit, oder?«

Lilly lächelte zustimmend.

»Die beste«, korrigierte sich Iris leise. »Wir sind damals viel zu schnell fortgegangen.«

»Ich konnte mich nicht einmal richtig verabschieden.«

»Vielleicht kannst du es jetzt.«

Lilly sah erwartungsvoll zu ihr auf.

»Ich dachte, du würdest vielleicht gerne wieder dorthin zurückfahren.«

»Na ja, sicher«, entgegnete sie schulterzuckend. »Irgendwann.«

»Nicht irgendwann. Und nicht vielleicht.« Iris hielt ihr das Kuvert hin, und Lilly kniff misstrauisch die Augen zusammen.

»Was ist da drin?«

»Mach’s auf, dann weißt du es.«

Sie öffnete den Umschlag. Ungläubig blinzelnd wandte sie sich daraufhin an ihre Mutter. »Ein Busticket auf die Isle of Skye? Und eine Buchungsbestätigung über sieben Tage in einer Pension in Portree? Mum, was soll das?«

Iris lächelte geheimnisvoll.

»Du weißt genau, dass ich jetzt nicht wegkann.«

»Du kannst, wenn du willst.«

»Okay, ich will nicht. Ich will dich im Augenblick nicht allein lassen.«

»Ich bin nicht allein, Lilly. Oder wer, glaubst du, hat mir bei der Umsetzung meines Plans geholfen?«

Lilly legte grummelnd den Kopf schief. »Helen.« Das war ja klar.

»Du brauchst endlich mal eine Auszeit.«

»Tue ich nicht. Wirklich nicht!«

»Du kannst mir nichts vormachen, Lilly. Ich kenne dich dein ganzes Leben lang, und du warst noch nie gut im Lügen.«

Da hatte ihre Mutter leider recht. »Aber selbst wenn.« Sie schnaufte verdrossen. »Wir können es uns nicht leisten, dass ich für eine ganze Woche weg bin.«

»Das denke ich schon. Es ist bereits alles geregelt. Ich habe im Blumenladen angerufen, Heather ist eingeweiht.«

»Ich habe sie eben noch gesehen, da hat sie kein Wort gesagt. Sie ist so beschäftigt mit ihrer Hochzeitsplanung …«

»Sie hat mir versichert, dass sie ohne dich im Blumenladen zurechtkommen wird. Wie du weißt, wollen sie die Flitterwochen auf den Malediven verbringen. Da wird Heather dich im Geschäft eher brauchen.«

»Vier Wochen Luxusurlaub.« Lilly nickte und schnalzte mit der Zunge. Sie konnte nichts dagegen unternehmen, dass sie sich hin und wieder fragte, warum ihr Leben und das ihrer Mutter im Vergleich zu anderen so ungerecht verlief. Sie wünschte niemandem ein schweres Schicksal, aber manchmal überkam sie eine bittere Eifersucht, über die sie keine Kontrolle hatte.

»Sie meinte, du hättest ihr dafür schon zugesagt?«

»Ja, habe ich.«

Ihre Mutter schmunzelte.

»Es ist ja erst im Juni«, fügte Lilly resigniert hinzu.

Heather war sechs Jahre jünger als sie. Die Tatsache, dass sie mit Mitte zwanzig schon weit mehr vorzuweisen hatte als Lilly, frustrierte sie manchmal. Andererseits war sie die Einzige, die Lilly ihre Freundin nannte, auch weil sie so viel Verständnis für ihre Lage zeigte. Wann immer Lilly eine Schicht verschieben musste, weil ihre Mutter sie brauchte, ließ Heather sich darauf ein. Sie war ein guter Mensch und eine talentierte Floristin. Leider mangelte es ihr am Geschäftssinn – der Blumenladen, für den ihre Eltern die finanziellen Mittel zur Verfügung gestellt hatten, war nicht ihr erster Versuch, sich selbstständig zu machen, und er würde sicher nicht der letzte sein.

»Barry weiß ebenfalls Bescheid«, erklärte ihre Mutter weiter. »Und im Café sind sie auch darüber informiert, dass du Urlaub machst.«

Lilly zog eine Strähne ihres schulterlangen rotblonden Haares lang, wie sie es immer tat, wenn sie angespannt war. »Ich weiß das wirklich zu schätzen«, begann sie vorsichtig und strich sich ihr Haar hinters Ohr, »aber ich möchte nicht. Ich will in deiner Nähe sein, falls …«

Iris hob warnend die Brauen. »Falls was?«

Lilly seufzte und wählte ihre Worte mit Bedacht. »Falls … du mich brauchst.«

»Ich brauche dich genau dort.« Iris tippte müde auf das alte Foto. Es rutschte ihr aus der Hand, als ein Hustenanfall ihren abgemagerten Körper erzittern ließ. Lilly hob es auf und strich ihrer Mutter über den Rücken. Dann reichte sie ihr ein Glas Wasser, aber Iris schob es von sich. »Das Ganze … ist nicht so … selbstlos, wie es den Anschein hat«, keuchte sie, nachdem sie wieder zu Atem gekommen war. »Jedenfalls nicht nur. Ich möchte, dass du in Portree etwas für mich erledigst. Etwas, von dem ich fürchte, dass ich es nicht mehr selbst schaffen werde. Es ist sozusagen ein letzter Wunsch.«

Lillys Herz verkrampfte sich. Ein letzter Wunsch, echote es in ihrem Kopf. Mühselig schluckte sie die Betroffenheit hinunter, die die Worte ihrer Mutter in ihr ausgelöst hatten. »Sag so was nicht«, meinte sie leise, um dann zögernd nachzusetzen: »Worum geht es denn?«

»Du erinnerst dich noch an die Blumen, die in unserem Garten wuchsen? Ich hatte dir doch erzählt, dass sie jedes Jahr wiederkommen, zu neuem Leben auferstehen – wie der Phönix aus der Asche.«

Lilly nickte. »Dutzende Tulpen, Narzissen und …«

»Hyazinthen«, half ihre Mutter ihr mit matter Stimme.

»Ja.« Lilly seufzte gedankenverloren. »Im Frühling stand der Garten in voller Blüte. Er leuchtete in sämtlichen Farben, und überall duftete es so herrlich.« Sie lächelte, schwelgte in Erinnerungen an sorgenfreie Kindertage.

»Einige dieser Blumen waren aufgrund ihrer Seltenheit sehr kostbar«, erklärte Iris. »Es gab wahre Schätze darunter. Eine davon war für mich von großem Wert. Ich möchte, dass du nach Portree gehst und mir die King of Great Britain bringst. Sie hat einen besonderen Platz in meinem Herzen, sie gehört zu mir. Deshalb wünsche ich mir, dass sie eines Tages auf meinem Grab blüht. Wenn es so weit ist …«

»Die King of Great Britain«, wiederholte Lilly nach einer Weile verunsichert. »Von so einer Sorte habe ich noch nie gehört.«

»Das hat kaum jemand, denn sie kommt so gut wie nicht mehr vor. Es war eine Züchtung aus dem achtzehnten Jahrhundert. Eigentlich eher eine Zufallsentdeckung – etwas, das es gar nicht geben durfte. Eine zweifarbige Hyazinthe, mit weißer Blüte und rotem Zentrum.«

»Warum ist sie dir so wichtig?«

»Nun ja, sie war ein Geschenk. Man könnte sagen, mit ihr hat etwas Großes seinen Anfang genommen.«

Lilly runzelte verwirrt die Stirn, doch Iris nickte nur lächelnd, ohne weiter darauf einzugehen. Lilly hakte nicht nach. Stattdessen fasste sie die absonderliche Bitte noch einmal zusammen: »Du willst, dass ich auf die Isle of Skye zurückkehre … wegen einer Blumenzwiebel? Das ist dein Wunsch?«

»Ganz genau.«

»Du meinst es ernst?«

Iris schnalzte mit der Zunge. »Selbstverständlich. Warum sollte ich dich verschaukeln?«

Unschlüssig biss sich Lilly auf die Unterlippe. »Mum, ich weiß nicht. Es ist ja nicht einmal gesagt, dass das Cottage überhaupt noch steht. Geschweige denn, dass ich diese Blume fin…«

»Ich weiß, dass du sie finden wirst«, fiel ihre Mutter ihr ins Wort. »Und das Cottage steht noch. Ich habe selbst mit Mrs Krock, der Pensionsbetreiberin, telefoniert. Sie hat es mir versichert. Sie wusste sogar noch, wer ich bin. Eine sehr nette Dame. Ihr werdet gut miteinander auskommen.«

»Okay. Aber wie genau stellst du dir das vor? Das Grundstück gehört sicher jemandem. Ich kann doch nicht einfach im Garten eines Fremden herumgraben.«

»Es steht schon seit Jahren leer, und wie du sicher noch weißt, liegt es abseits der Stadt. Es wird niemanden kümmern. Wahrscheinlich wird es nicht mal auffallen.«

Lilly atmete tief aus. »Mir ist trotzdem nicht wohl dabei.«

»Du wirst deiner alten Mutter doch diesen letzten Wunsch nicht abschlagen?«

Iris suchte Lillys Blick.

»Hör jetzt auf mit diesem Gefasel vom letzten Wunsch! Wenn es dir so viel bedeutet …«, stimmte Lilly widerwillig zu. »Na gut, ich kann es ja versuchen.«

Ihre Mutter atmete schwer, strahlte jedoch erleichtert.

»Ich komme wieder, sobald ich diese Zwiebel habe«, betonte Lilly. »Eine ganze Woche bleibe ich sicher nicht.«

»Wie du meinst.« Iris schien zu wissen, dass ihr die Vorstellung nicht gefiel, sie aus den Augen zu lassen. Sie griff nach Lillys Hand und drückte diese leicht. »Aber solltest du neben der Hyazinthe etwas finden, das dir guttut, dann bleib bitte. Die paar Tage komme ich schon ohne dich zurecht.«

Lilly schüttelte den Kopf. »Darum geht es nicht …«

»Na!«, unterbrach Iris sie. »Da dulde ich keinen Widerspruch. Ich habe lange genug zugesehen, wie du dich für uns beide krummgemacht hast.«

»Das tue ich gern.«

Iris schüttelte den Kopf. »Du hast keine Zeit für dich, keine Freunde mehr. Und wie willst du jemals einen Mann kennenlernen?«

»Das will ich doch gar nicht!« Lillys Standpunkt war klar. Ihr letzter Freund hatte sie betrogen. Sie hatte gesehen, was ihr Vater ihnen angetan hatte. Durch ihn hatten sie alles verloren – ihr Haus, ihr Geld, ihre Würde. Nein. Sie konnte gut auf einen Mann verzichten.

Ihre Mutter legte den Kopf schief und seufzte. »Wann hast du dir zuletzt etwas gegönnt?«

»Ich brauche nichts.«

»Jeder braucht irgendetwas.«

Lilly war versucht, ihr zu widersprechen, dann schluckte sie schwer. Im tiefsten Innern wusste sie, dass ihre Mutter recht hatte. Ihr Alltag war so ausgefüllt, dass sie nicht einmal dazu kam, darüber nachzudenken, was ihr fehlte. Nur wenn sich der Stress lichtete, in den wenigen ruhigen Momenten, die sich zwischen ihren Verpflichtungen ergaben, nahm sie die Leere wahr. Das Erschreckende an ihr war, dass sie immer mehr Raum forderte – auch wenn Lilly es sich nicht eingestehen wollte. Wie immer hatte ihre Mutter erkannt, was sie brauchte, bevor sie es getan hatte. Was würde sie nur ohne sie tun?

»Das ist nicht das Leben, das ich mir für dich gewünscht habe, Lilly.« Iris betrachtete sie besorgt. »Und ich weiß, es ist auch nicht das, was du dir vorstellst.«

»Ich bin gerne für dich da, Mum.«

»Daran zweifle ich auch nicht. Nur ist es doch so«, sie machte eine Pause, um Luft zu holen, »als Mutter sollte man in erster Linie für sein Kind da sein – nicht umgekehrt.«

»Aber du bist krank.« Lillys Stimme begann zu zittern. »Und ich weiß einfach nicht, was ich machen soll, wenn du …«

Iris winkte ab. »Schhh.« Sie nahm Lilly in ihre Arme und drückte sie fest an sich. »Du bist mein Ein und Alles.«

»Wir beide sind doch ein tolles Team, oder?« Langsam löste sich Lilly von ihrer Mutter, um ihr in die Augen zu sehen.

Iris nickte gerührt. »Das sind wir immer gewesen. Aber glaub mir, wenn ich dir sage, dass es nicht gut ist, wenn man sein Leben nach einem einzigen Menschen ausrichtet. So sollte es niemals sein.«

Lilly schüttelte den Kopf – sie wollte jetzt gerade nicht darüber nachdenken, dass ihre Mutter bald nicht mehr da sein könnte.

»Du weißt, was ich meine, oder?«, hakte Iris nach.

Lilly schlug die Augen nieder. Lange hatte sie den Gedanken daran verdrängt, wie es für sie weitergehen würde, wenn ihre Mum gestorben war. Sie wollte sich damit nicht befassen, weil allein die Vorstellung davon ihr den Boden unter den Füßen wegzog.

»Du hast dich nie gerne mit dem Morgen befasst.« Über Iris’ Gesicht huschte ein Lächeln.

»Wozu auch? Das hält nur vom Heute ab«, gab Lilly überzeugt zurück. Niemand konnte wissen, was die Zukunft bringen würde, fand sie. Meist kam ohnehin alles anders, als man dachte.

Iris seufzte schmunzelnd, während sie Lilly eingehend musterte. »Ich bin die glücklichste Frau der Welt, weil ich eine Tochter wie dich habe. Nichtsdestotrotz musst du auch andere an dich heranlassen, ihnen die Chance geben, dich kennenzulernen. Denn du bist ein wundervoller Mensch, Lilly. Du kannst anderen so unendlich viel geben. Und du hast es verdient, geliebt zu werden – nicht nur von mir.«

Diese Worte gingen Lilly sehr nahe – sie fürchtete sich vor der Einsamkeit. Davor, in ein Loch zu fallen, aus dem sie allein nicht herauskommen konnte. Sie wollte ihre Mutter jetzt nicht verlassen und spürte den Widerstand, der sich in ihr regte, weil sie der Überzeugung war, dass keine Blumenzwiebel kostbarer sein konnte als die Zeit, die ihnen noch blieb. Verbissen starrte Lilly vor sich hin. Und mit einem Mal drängte sich ihr der Gedanke auf, dass ihre Mutter eine weitere Absicht verfolgte, indem sie sie fortschickte: Erhoffte sie sich von der Reise nach Skye, dass Lilly zu sich selbst zurückfand, zu dem unbeschwerten Menschen, der sie gewesen war? Seit ihre Mutter krank war, schlug sie sich mit Aushilfsjobs durch, um über die Runden zu kommen. Manchmal kam es Lilly so vor, als hätte jemand die Pause-Taste in ihrem Leben gedrückt. Ziele hatte sie schon lange keine mehr. Jeder Tag folgte demselben trostlosen Schema. Wollte ihre Mutter sie aus diesem Kreislauf holen? Entweder das, oder sie hatte nicht vor, vor den Augen ihrer Tochter zu sterben. Erschrocken über die nachfolgende Erkenntnis, dass sie ihr einen solchen Plan zutraute, schluckte Lilly. Mit leerem Blick starrte sie vor sich hin. Erst als sie die warme Hand ihrer Mutter auf ihrem Rücken spürte, kam sie wieder zu sich.

»Der Tapetenwechsel wird dir guttun«, beteuerte Iris.

Lilly zog erneut ihre Haarsträhne lang. Um eine dankbare Miene bemüht, sah sie zu ihr auf. »Wann soll es denn losgehen?«

Iris lächelte sanft, führte ihre Hand an Lillys Wange und sagte: »In drei Tagen.«

Kapitel 2

Als Lilly im Bus nach Portree saß, konnte sie es kaum fassen. Den Abend zuvor hatte sie im Pflegeheim verbracht, bis die Besuchszeit zu Ende war, und sich dann schweren Herzens von ihrer Mutter verabschiedet. Iris hatte Lillys innere Weigerung gespürt und diese geschickt mit ihrem bemerkenswerten Optimismus aufzulösen versucht. Am Ende hatte Lilly es nicht über sich gebracht, doch darauf zu beharren, bei ihr in Edinburgh zu bleiben. Noch nie hatte Lilly einer Person, die ihr wichtig war, einen Wunsch ausgeschlagen, das wusste Iris. Trotzdem hatte Lilly in der Nacht mehr als einmal nach ihrem Handy gegriffen und angefangen, eine Nachricht an ihre Mutter zu tippen. Doch keine dieser Mitteilungen war über ein »Ich kann nicht wegfahren, weil …« hinausgekommen. Am Ende hatte sie aufgegeben und im letzten Moment ihren Koffer gepackt. Wer weiß, dachte Lilly ungewohnt beschwingt, wofür diese Reise wirklich gut ist.

***

Mittlerweile war es Vormittag. Seit der Bus die Stadt verlassen hatte und auf die Schnellstraße abgebogen war, schaute Lilly aus dem Fenster. Die fünfstündige Fahrt gab ihr genügend Zeit zum Nachdenken. Viel mehr, als sie für gewöhnlich für sich hatte. Es war so ungewohnt, dass Lilly zunächst nichts damit anfangen konnte. Sie versuchte, sich auf die Suche zu konzentrieren, die sie zu diesem Ausflug getrieben hatte. Die Angst davor, nicht rechtzeitig zurück zu sein, drängte sich ihr wieder und wieder auf. Warum hatte sie sich bloß darauf eingelassen?

Heftig schüttelte sie den Kopf. Sie trank einen Schluck aus ihrer Wasserflasche und zwang sich, ruhig zu bleiben. Die Vorstellung, die Blumenzwiebel schnell finden und damit den Aufenthalt in Portree so kurz wie möglich halten zu können, brachte ihr ein wenig Linderung. Sie konnte sich nicht daran erinnern, wann sie das letzte Mal aus Edinburgh rausgekommen war und etwas anderes gesehen hatte als die graue Großstadt, in der sich ihr Leben abspielte.

Lilly ließ ihren Blick über die Köpfe der anderen Fahrgäste gleiten. Der Bus, in dem noch viele leere Plätze waren, machte auf seinem Weg nach Skye in mehreren Ortschaften Halt, und Leute stiegen zu. Je näher sie Lillys Ziel kamen, desto mehr spürte sie Vorfreude in sich. Sie kramte das Foto vom Cottage, das sie von ihrer Mutter bekommen hatte, aus ihrer Handtasche und betrachtete es schmunzelnd. Auch wenn sie sich in den vergangenen Jahren von ihrer Heimat entfernt zu haben schien, hatte es für sie doch nie einen schöneren Ort gegeben. Ob er sich sehr verändert hatte? Angestrengt versuchte sie, in ihren Erinnerungen auch das kleine Nest Portree hervorzuholen, in dem sie ihre Kindheit verbracht hatte. Es war zwanzig Jahre her, dass sie und ihre Eltern es verlassen hatten, doch in all der Zeit hatte sie nie aufgehört, an ihr früheres Zuhause zu denken. Als hätte sich irgendetwas in ihr geweigert, es endgültig aufzugeben.

Für Lilly war Portree eine Zufluchtsstätte, an die sie sich gedanklich vor ihrem anstrengenden Alltag flüchtete. Wenn alles über ihr zusammenzubrechen drohte, führten sie ihre Träume immer wieder dahin zurück: an die kleine Bucht, in der sie an einem warmen Sommertag das Schwimmen gelernt hatte, und in den blühenden Garten vor ihrem Haus.

Ungezügeltes Kinderlachen erfüllte den Bus. Eine Reihe vor ihr, entlang der anderen Fensterfront, saß ein kleines Mädchen mit blonden Zöpfen. Es schien sich köstlich darüber zu amüsieren, dass es seinen Vater im Schere-Stein-Papier-Spiel schlug. Sein haltloses Kichern ließ Lilly lächeln. Wie aus dem Nichts stiegen Erinnerungen an die letzten Jahre mit ihrem Vater in ihr auf, und ihr Lächeln erstarb augenblicklich.

Lilly kam es vor, als wäre es gestern gewesen, dass sie überstürzt aufs Festland umziehen mussten. Der alles verändernde Abend, an dem sie es erfahren hatte, hatte sich auf ewig in ihr Gedächtnis eingebrannt. Sie erinnerte sich an unzählige Auseinandersetzungen zwischen ihrer Mutter und ihrem Vater, doch diese eine war anders als alle vorherigen gewesen. Weder zuvor noch danach hatte sie ihre Mutter derart aufgelöst gesehen. Sie hatte allen Grund dazu gehabt, denn ihr Mann hatte das Cottage im Alleingang verkauft. Nachdem sich Lillys Vater bei einem Investment verspekuliert hatte, war der Schuldenberg der Familie so hoch gewesen, dass sie keine anderen Optionen mehr hatten. Und das hatte die Käuferin, Evelyn McTavish, dazu verleitet, einen Spottpreis für das Haus zu bieten. An die Frau des ehemaligen Arbeitgebers ihres Vaters hatte Lilly keine guten Erinnerungen. Sie hatte das Gefühl gehabt, dass Evelyn ihre Familie nicht schnell genug loswerden konnte.

Lilly und ihre Mutter waren damals am Boden zerstört gewesen, ihr Vater hingegen hatte weniger Probleme, sich vom Haus und von der Insel zu lösen. Er machte Skye für seinen beruflichen Misserfolg verantwortlich und sah den Umzug nach Edinburgh als Chance für einen Neuanfang.

Für Lillys Mutter kam der Verkauf des Cottages einem Vertrauensbruch gleich, der nicht mehr zu reparieren war. Die ohnehin nicht besonders erfüllte Ehe ihrer Eltern existierte von da an nur noch auf dem Papier. Trotzdem war ihr Vater weitere vier Jahre bei ihnen geblieben – so lange hatte es gedauert, bis er finanziell wieder auf eigenen Beinen stand.

Dass Lilly bei ihrer Rückkehr auf die Insel ausgerechnet an ihn denken musste, ärgerte sie, weil sie sich eigentlich nicht mehr mit ihm beschäftigen wollte. Vermutlich waren die ungesagten Worte zwischen ihnen schuld daran, dass sie einfach nicht abschließen konnte. Ein Teil von ihr sehnte sich noch immer nach einem liebevollen Vater – auch wenn sie das niemals vor irgendjemandem zugegeben hätte.

Dabei war Robert Warren kein besonders fürsorglicher Elternteil gewesen. Während andere Väter mit ihren Kindern am Strand herumtollten und im Herbst Drachen steigen ließen, hatte er nie freiwillig Zeit mit ihr verbracht. Zwar war er freundlich gewesen und hatte auch immer ihre Fragen beantwortet, wenn sie welche an ihn gerichtet hatte, aber sie hatte oft das Gefühl gehabt, unerwünscht zu sein, ohne zu wissen, warum.

In ihrer kleinen Zweizimmerwohnung in Edinburgh war das Verhältnis zu ihm noch angespannter geworden. Streitereien waren an der Tagesordnung gewesen – nicht nur zwischen ihren Eltern, sondern auch zwischen Lilly und ihrem Vater. Sie hatte ihm nicht verzeihen können, dass er das Cottage verkauft und sie vom Land in die Großstadt gebracht hatte, und sprach aus, was ihre Mutter nicht konnte. Tag für Tag musste diese als Putzhilfe schuften, weil ihr Mann keine passende Stelle finden konnte. Lilly wurde von ihren Mitschülern wegen ihrer abgetragenen Kleidung und ihrer Haarfarbe gehänselt. Die Unzufriedenheit darüber ließ sie ihren Vater spüren, wann immer es ging.

Ihr Blick haftete auf dem unbeschwerten Vater-Tochter-Gespann eine Reihe vor ihr. Sie biss die Zähne aufeinander. Unbemerkt hatte sie ihre Finger so angespannt, dass das Foto mit dem Cottage in ihrer Hand zerknitterte. Die Zeit kann Wunden nur heilen, wenn man ihnen Luft und Raum gibt und sie ordnungsgemäß verarztet, dachte sie seufzend.

Manchmal fragte sie sich, ob sie der Grund für das Auseinanderbrechen ihrer Familie gewesen war. Sie hatte es ihrem Vater nicht leicht gemacht – doch er war einfach gegangen, hatte sich ohne ein Wort davongestohlen. Seit Jahren gab es keinen Kontakt mehr zwischen ihnen, und wenn sie ganz ehrlich war, vermisste Lilly ihn nicht. Nach seinem Fortgehen hatte sie einen Schlussstrich gezogen. Sie hatte sich eingeredet, dass sie weder ihn noch einen anderen Mann brauchte, und sich völlig auf ihr Philosophiestudium in Oxford konzentriert, das sie sich über ein Stipendium verdient hatte. Aber das Schicksal hatte andere Pläne. Nach einem Zusammenbruch inmitten einer arbeitsreichen Woche musste sich Iris etlichen Untersuchungen unterziehen, mit der niederschmetternden Diagnose hatte keine von ihnen gerechnet. Wieder einmal schien das Pech ihr treuester Gefährte zu sein.

***

Der Bus bog auf eine Landstraße ab. Satte Wiesen wechselten sich mit ewig grünen Hügeln und kargen Tälern ab, bis hin zur Skye-Bridge, die über den Kyle of Lochalsh führte. Schon bald würden sie die größte Insel der Inneren Hebriden erreicht haben. Lillys Aufregung wuchs. An kaum einem anderen Ort gab es so viele unterschiedliche Landschaften zu sehen wie auf Skye – der »Insel des Nebels«, wie sie die Einheimischen liebevoll nannten. Lilly richtete sich im Sitz auf und blickte aufmerksam aus dem Fenster. Ein Fischerboot, das die Brücke gerade durchfahren hatte, wirbelte die fein gewellte Wasseroberfläche auf und zog eine weiße Spur hinter sich her. Der morgendliche Regen hatte nachgelassen, als der Bus die andere Seite erreicht hatte. In der Ferne zeichneten sich die scharfen Konturen von Bergen ab, die wie die Zähne eines urzeitlichen Riesen in den Himmel ragten. Fast hatte Lilly vergessen, wie wunderschön es auf der Insel war.

Zwei Bankreihen vor ihr knipste ein japanischer Tourist den Kreisverkehr in Broadford, der ersten Ortschaft hinter der Brücke. Nun würde es nur noch etwa eine Stunde dauern, bis sie Portree erreicht hatten. Mit einem Mal schlug Lillys Herz schneller. Sie hatte immer gehofft, zusammen mit ihrer Mutter ihre Heimatstadt wiederzusehen. Doch sie war allein. Plötzlich fühlte sie eine Enge in der Brust, die sie schwindelig werden ließ. Blind kramte sie einen der Kaugummis gegen Reisekrankheit aus ihrer Tasche, die sie sich vorsorglich in der Apotheke besorgt hatte. Ihre Hände umklammerten die Lehne ihres Vordermanns, und sie schaute zielgerichtet nach vorn. Der Bus zweigte in eine Nebenstraße ab, und es wurde holpriger. Kreislauf und Magen rebellierten. Mit zusammengepressten Lippen drehte sie sich zum Gang, richtete ihren Blick konzentriert durch die große Frontscheibe und atmete tief ein und aus. Zittrig stopfte sie sich die Ohrstöpsel, die mit ihrem Handy verbunden waren, in die Gehörgänge, und Debussys sanfte Komposition »Clair de lune« drang zu ihr durch.

Ihre Anspannung entging dem älteren Paar vor ihr nicht. Während die Frau Mitgefühl zu haben schien, senkte ihr Mann seine buschigen Brauen und rümpfte die Nase.

»Wo fahren Sie hin?«, fragte die Frau mit beinahe mütterlicher Fürsorge.

»Portree.« Lilly brachte ihre Antwort nur stockend hervor. Sie war zu konzentriert darauf, ihre Übelkeit unter Kontrolle zu bringen.

»Ich leide auch manchmal unter der Reisekrankheit.«

»O ja, das tut sie«, pflichtete ihr Mann bei. Er schien zu wissen, was das zur Folge haben konnte.

»Bis Portree sind es nur noch drei Stationen«, beruhigte die Frau sie freundlich. »Wir fahren nach Uig, zur Taufe unseres ersten Enkels.« Sie holte das Foto eines Babys im blau gepunkteten Strampler aus der Tasche und hielt es Lilly hin.

»Musst du das jedem auf die Nase binden?«, murrte ihr Mann. Seine Frau hörte gar nicht hin. Ihre Augen strahlten vor Glück.

»Er ist allerliebst«, sagte Lilly entzückt zu den frischgebackenen Großeltern. »Herzlichen Glückwunsch!«

Die Züge des Mannes wurden weicher, und ein Lächeln huschte über sein ernstes Gesicht. Seine Frau seufzte stolz, dankte Lilly, und beide wandten sich wieder in Fahrtrichtung. Das Gespräch hatte Lillys Aufmerksamkeit umgelenkt, es ging ihr besser. War sie vielleicht einfach nur … nervös? Weil sie kurz davor war, ihrer Vergangenheit zu begegnen?

Gedankenverloren glitt sie zurück in den Sitz. Ihr Blick verlor sich auf dem netten älteren Paar, das vertraut und liebevoll miteinander umging. Sie schätzte die beiden auf Anfang siebzig. Wahrscheinlich waren sie schon viele Jahre verheiratet und ein eingespieltes Team. Die Einheit, die sie bildeten, war bewundernswert, denn sie zeigte ihr, dass es doch noch Beziehungen gab, die von Dauer waren.

Draußen regnete es wieder mehr. Das Wasser lief an Lillys Fenster hinunter, so dass die vorbeiziehende Landschaft vor ihren Augen verschwamm. Sie drehte die Lautstärke ihrer Kopfhörer auf und ließ sich von der Melodie treiben. Die beruhigenden Klänge der klassischen Musik erinnerten sie jedes Mal daran, wie gerne sie selbst Klavier spielen gelernt hätte, hätten sie es sich nur leisten können. Mittlerweile hatte sie sich aber mit der Rolle der bewundernden Zuhörerin abgefunden und ging ganz darin auf.

In regelmäßigen Abständen schaute sie auf ihr Handy. Noch gab es keine neue Nachricht von ihrer Mutter. Auch nicht von Helen, die ihr versprochen hatte, sich sofort bei ihr zu melden, sollte sich Iris’ Zustand verschlechtern. Lilly fiel es schwer, die Verantwortung anderen zu überlassen. In den sieben Jahren, in denen ihre Mutter schon gegen die Krankheit kämpfte, hatte sie das Zepter nicht ein einziges Mal aus der Hand gegeben. Würde ohne sie alles funktionieren? Mit Schrecken dachte Lilly an den Tag vor einem Jahr zurück, an dem ihre Mutter fast gestorben wäre. Iris’ Herz hatte nach einem unterschätzten Infekt in der Tagesklinik, die sie damals behandelte, einfach aufgehört, zu schlagen. Im allerletzten Moment hatte der Notarzt sie wiederbeleben können. Anschließend folgten drei Wochen auf der Intensivstation, in denen sie sich wie durch ein Wunder zurück ins Leben gekämpft hatte. Iris hatte Lilly danach gesagt, dass es noch nicht ihre Zeit gewesen war, zu gehen. Seitdem verging kein Tag, an dem Lilly sich nicht fragte, wann es so weit sein würde. Doch zwei Dinge waren dabei sehr wahrscheinlich: Es würde plötzlich passieren, und sie wäre nicht bereit dafür – ganz egal wann es geschah.

***

Der Bus stoppte an der geschützten Bucht von Portree. Zischend öffneten sich die Türen, und Lilly, die dank ihrer Musik doch so weit entspannen konnte, dass sie vom Schlaf übermannt worden war, schlug die Augen auf. Sie blinzelte und rappelte sich hoch.

»Auf Wiedersehen«, verabschiedete sich die nette Frau im Sitz vor ihr. Lilly wünschte ihr und ihrem Mann alles Gute, dann folgte sie den anderen Fahrgästen hinaus.

Draußen traf sie ein kühler Wind. Sie ließ ihren Blick schweifen. Entlang der Hafenzeile zogen sich immer noch dieselben pastellfarbenen Häuser mit Pubs und Geschäften. Auf einer Anhöhe darüber thronte die alte Kirche. Lilly ließ das Panorama auf sich wirken. Sie konnte noch nicht glauben, wieder da zu sein. Vor dem Gepäckraum wartend, überblickte sie das Hafenbecken, das, wie alles in Portree, überschaubar war. Doch gerade die ländliche Idylle machte die kleine Küstenstadt mit ihrer bunten Fassade, ihren Hügeln, dem niedlichen Sandstrand und den ihn umgebenden schwarzen Klippen zu einem traumhaft schönen Fleckchen Erde. Der Regen hatte sich verzogen. Für Anfang Februar war es ungewöhnlich mild auf Skye. Vereinzelte Sonnenstrahlen drangen durch das aufbrechende Wolkengeflecht. Sie brachten die Wellen in der Bucht zum Glitzern. Lilly nahm einen tiefen Atemzug. Selbst die Luft roch frischer und sauberer als in Edinburgh. Wie sehr hatte sie den salzigen Geruch vermisst, ebenso wie das Rauschen des Meeres und das rege Geschrei der Möwen, die lauernd auf Beute die Bucht überflogen. Ein intensives Glücksgefühl durchströmte sie, und es war, als würde eine schwere Last von ihr abfallen. Die Geräusche und Gerüche an diesem Ort waren ihr so vertraut, als wäre sie nie weg gewesen. Lilly empfand eine Verbundenheit, von der sie geglaubt hatte, sie wäre für immer verloren.

»So, bitte«, durchbrach der Busfahrer ihre Wiedersehensfreude.

Für einen Moment hatte Lilly alles um sich herum vergessen. Der Fahrer schloss gerade die Klappe zum Gepäckraum. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie die Einzige war, die wie angewurzelt davorstand.

»Ist ein hübsches Örtchen.« Der Busfahrer steckte sich eine Zigarette an.

»Ja, allerdings.« Lilly umklammerte den Griff ihres Trolleys und zog ihn näher zu sich heran.

»Urlaub?«

»Nein. Ich bin hier auf der Suche nach etwas.«

Für eine Sekunde schaute der Fahrer sie verwirrt über den Rand seiner dicken Brillengläser hinweg an. »Aha.« Er inhalierte seinen Tabakrauch und betrachtete die graue Wolkendecke über ihnen. »Hoffe doch mal, es ist nicht besseres Wetter. Das sucht man hier nämlich vergeblich.«

Lilly zuckte hinnehmend die Schultern. »Na ja, wir sind immer noch in Schottland.«

Er schnaubte zustimmend, schnippte seine Zigarette weg und drückte sie mit der Fußspitze aus. »Viel Glück für Ihre Suche.« Lilly nickte dankend. Der Fahrer stieg wieder ein, und der Bus rauschte Richtung Norden davon. Eine Windböe wehte Lilly das Haar ins Gesicht. Sie wickelte sich ihren roten Wollschal enger um den Hals und schlenderte in den Ortskern hinein. Der Hauptort der Insel Skye versprühte noch immer seinen nostalgischen Charme. Obwohl Lilly der Meinung war, dass sich kaum etwas verändert hatte, kam ihr alles irgendwie größer und imposanter vor. Vor ihrer alten Schule hielt Lilly einen Moment inne. Die Kinder hatten gerade Pause und tollten unbeschwert auf dem Hof herum. Das rote Ziegelsteingebäude sah immer noch genauso aus wie in ihrer Erinnerung. Ob ihre Lehrerin Miss Sturges wohl noch unterrichtete? Lilly setzte sich wieder in Bewegung. Sie betrat die einzige Einkaufsstraße der Stadt und erkannte trotz sich verdichtenden Nebels einige Häuser und Läden wieder. Überrascht stellte sie fest, dass es sogar das Modehaus Ivys noch gab. Wie früher blieb sie davor stehen und begutachtete die Auslage im Schaufenster. Die Mode hatte sich seit den Neunzigern verändert, nicht so ihre finanziellen Möglichkeiten. Wie oft hatte Lilly mit ihrer Mutter die teuren Kleider bewundert. Damals hatte sie ganz schnell erwachsen werden wollen, weil sie glaubte, dass sie sich dann alles leisten konnte, was sie wollte. Der Preis des weißen Spitzenkleides, das ihr nun gefiel, hielt ihr die ernüchternde Realität vor Augen. Deshalb blendete sie die Waren im Schaufenster aus und nahm nur noch ihr eigenes Spiegelbild wahr. Sie sah mitgenommen aus. Aus ihrem lieblos gemachten Dutt standen überall Haare ab, und ihr knielanger schwarzer Mantel, den sie selbst gern als »speziell« bezeichnete, hatte weiß Gott schon bessere Tage gesehen. Er gehörte zu den wenigen Dingen, die ihr Vater bei seinem Auszug zurückgelassen hatte. Und wie sich Lilly darin so betrachtete, wusste sie auch, warum: Er war abgetragen, der Stoff an den Ärmeln ausgefranst und dünn, außerdem war er Lilly viel zu groß. Das Einzige, was für ihn sprach, war sein warmes Innenfutter – und dass er bezahlt war. Im Grunde wusste Lilly aber selbst nicht, warum sie ihn jeden Winter erneut aus dem Keller hervorkramte.

Gedankenverloren setzte sie ihren Weg entlang der Friedhofsmauer fort. Der Himmel hatte sich wieder zugezogen, feiner Nieselregen fiel. Lilly beschleunigte ihren Gang. In der Nähe des alten Marktplatzes zog sie die Buchungsbestätigung aus ihrer Tasche und warf einen letzten Blick auf die Adresse der Pension, in der sie für die nächsten Tage bleiben sollte: Quay Street 26. Sie war angekommen. Über dem Eingang des roten Backsteinhauses hing ein Schild mit der verblichenen Aufschrift »B&B«. Das Gebäude war Teil einer endlos erscheinenden Häuserreihe, die bis zum Ende der Straße hinaufreichte, wo sie sich im dichter werdenden Nebel verlor. Lilly stieg die Stufen zur Haustür hinauf und klingelte. Es dauert eine Weile, bis eine ältere Dame öffnete.

»Ja?« Sie musterte Lilly skeptisch.

»Mrs Krock?«

Die Dame nickte knapp, machte jedoch weiter ein misstrauisches Gesicht.

»Mein Name ist Warren«, erklärte sich Lilly. »Meine Mutter hat für mich ein Zimmer gebucht.«

Schlagartig heiterte sich die Miene der Frau auf. »Lilly!« Sie nickte erfreut, wobei ihr schlohweißes Haar um ihren Kopf wippte. »Entschuldige, dass ich dich nicht gleich reingebeten habe. In letzter Zeit klingeln bei mir immer wieder Zeugen Jehovas.«

»Macht überhaupt nichts«, entgegnete Lilly.

Mrs Krock machte die Tür weiter auf und ließ Lilly eintreten. »Nicht dass ich etwas gegen andere Glaubensgemeinschaften hätte«, fuhr sie fort, während sie die Tür hinter sich schloss. »Aber ich möchte mit meinen fünfundachtzig Jahren gerne meine Ruhe – und konvertieren werde ich bestimmt nicht mehr. Nirgendwohin.« Sie führte Lilly durch den schmalen Flur.

»Du musst ja ganz durchnässt sein.«

»Es ist nicht so schlimm«, beteuerte Lilly.

»Hattest du eine schöne Fahrt?«

»Das schon, aber nun bin ich froh, endlich angekommen zu sein.«

»Sehr gut.«

Sie betraten das enge Treppenhaus. Mrs Krock ging voran. »Als deine Mutter angerufen hat, habe ich mich sehr gefreut. Ich habe sie immer sehr gemocht, musst du wissen. Sie und ihre Eltern.«

»Sie kannten meine Großeltern?«

»Aber ja! Ich war mit ihnen befreundet. Beth und Erol waren so großherzige Menschen – wie deine Mutter.« Sie machte eine Pause, hielt sich am Geländer fest und stützte die eine Hand auf ihr Knie.

»Geht es?«, erkundigte sich Lilly besorgt.

Mrs Krock machte eine wegwerfende Handbewegung. »O ja, natürlich. Ich schaffe die vielen Stufen nur nicht mehr auf einmal, das ist alles.«

Oben war der Flur mit einem Teppich mit Blumenmuster ausgelegt, an den Wänden hingen Schwarz-Weiß-Fotos: Familienporträts und Landschaftsaufnahmen.

»Da wären wir.« Mrs Krock holte einen Schlüssel aus ihrer Kitteltasche und zeigte Lilly ihr Zimmer. Die Einrichtung war, passend zum restlichen Mobiliar, relativ alt und rustikal, das schwere Eichenbett sogar mit einem altmodischen Baldachin überdacht. Auf dem Nachttisch lag eine Bibel bereit. Lilly stellte ihren Koffer vor den Kleiderschrank und legte ihre Tasche auf den Sessel daneben. Vor dem Fenster stand ein Tisch mit einem Stuhl. Der Raum war klein, aber trotzdem strahlte er eine gewisse Behaglichkeit aus.

»Und?« Mrs Krock war im Türrahmen stehen geblieben.

»Es ist sehr schön hier.«

Stolz überreichte die alte Dame ihr den Zimmerschlüssel. »Frühstück gibt es im Esszimmer, von sieben bis neun.«

»Danke«, hauchte Lilly.

Zufrieden lächelnd wandte sich die alte Dame zum Gehen.

»Ähm, Mrs Krock?«, hielt Lilly sie zurück.

»Ja?«

»Sagen Sie, hat Ihnen meine Mutter gesagt, warum ich hier bin?«

»O ja, meine Liebe«, antwortete sie wie selbstverständlich. Wieder war sie im Begriff, die Zimmertür zu schließen, als Lilly sie ein weiteres Mal davon abhielt.

»Und … was genau hat sie gesagt?« Lilly hoffte zu erfahren, was Mrs Krock wusste. Standen die beiden regelmäßig in Kontakt? Dass Lillys Mutter nichts davon erwähnt hatte, hatte nichts zu bedeuten. Lilly war sich darüber im Klaren, dass es Dinge gab, über die sie nicht miteinander sprachen.

Mrs Krock ließ von der Klinke ab, vergrub die Hände in ihren Schürzentaschen und machte einen Schritt auf sie zu. War sie etwa auch darüber informiert, dass ihre Mutter todkrank war? Das freundliche Lächeln auf ihrem Gesicht ließ Lilly daran zweifeln.

»Na, um endlich Urlaub zu machen!«, antwortete die alte Dame verzückt.

Lilly schaute sie mit zweifelnd zusammengekniffenen Augen an.

»Und um zu erkennen, was du wirklich willst«, fügte Mrs Krock mit einem schelmischen Gesichtsausdruck hinzu. Lilly hob verwirrt die Brauen.

»Ich werde dich dann mal allein lassen. Pack in Ruhe aus.« Sie kehrte zum Türrahmen zurück. »Ach, und am Freitag ist Fischmarkt. Das solltest du dir nicht entgehen lassen.«

»Oh, ich habe nicht vor, so lange zu bleiben.«

»Ach nein?«

Lilly schüttelte den Kopf.

»Bezahlt wurde für sieben Tage«, erinnerte sie Mrs Krock. »Ich kann das Geld nicht erstatten.«

»Das dachte ich mir schon.« Lillys schlechtes Gewissen meldete sich. »Ich würde gerne länger bleiben, aber ich habe gerade viel um die Ohren. Eigentlich hätte ich momentan überhaupt nicht verreisen dürfen. Es war nicht meine Idee, herzukommen.«

Wieder lächelte Mrs Krock verschmitzt. »Ja, ja«, winkte sie ab. »Deine Mutter wusste, dass du das sagen würdest. Nimm meinen Rat an: Mach einfach das Beste draus. Und das Wetter wird sich in den kommenden Tagen noch bessern. Ich hab da so ein Ziehen im Bein.«

Lilly hob verdattert die Brauen, doch Mrs Krock ging nicht näher darauf ein.

»Und jetzt pack aus«, befahl Mrs Krock milde. Lilly lächelte schwach, dann sah sie zu, wie die alte Dame die Tür hinter sich schloss.

Eine Weile stand Lilly wie erstarrt im Raum. Mrs Krocks Befehl noch in den Ohren haftete ihr Blick an ihrem Trolley. Und sie befand, dass es sich nicht lohnte, sich hier einzurichten. Ihre Sachen in den Schrank zu räumen würde bedeuten, dass sie vorhatte, die Woche hier zu verbringen, dass sie sich freimachte von den Verpflichtungen, die in Edinburgh auf sie warteten. Und das wollte sie nicht. Schon jetzt fehlte ihr ihre Mutter, und dass sie so weit weg von ihr war, machte ihr Angst. Seufzend sank sie aufs Bett und nahm ihr Handy. Es zeigte immer noch keine Nachricht an. Nicht zu wissen, was in Edinburgh vor sich ging, machte sie fast verrückt. Lilly drückte auf Wahlwiederholung. Es klingelte.

»Ja?«, meldete sich ihre Mutter leise am anderen Ende der Leitung.

»Hi, Mum.«

»Lilly! Bist du gut angekommen?«

»Ja.«

»Und? Wie ist es?«

»Es ist … wunderschön.«

»Oh, das freut mich so. Und wie sieht es in Portree aus?«

»Soweit ich das bisher sagen kann, hat sich nicht viel verändert.«

»Hast du dich noch zurechtgefunden?«

»Erstaunlicherweise schon.«

»Das wundert mich nicht. Du hattest schon immer einen ausgezeichneten Orientierungssinn. Weißt du noch, wie wir uns bei einem Spaziergang in den Highlands verlaufen haben?«

»Na klar!«

»Du warst diejenige, die uns zurück auf den Weg geführt hat. Ohne dich würde ich wahrscheinlich immer noch dort umherirren.«

Beide mussten lachen.

»Ich bin sicher, du hättest auch alleine zurückgefunden.«

»Nein«, sagte Iris ernst. »Und das war auch nicht das einzige Mal, dass du mich wieder auf den richtigen Weg gebracht hast.«

Es wurde still zwischen ihnen.

»Du mich doch auch«, antwortete Lilly nach einer Weile leise. »Wenn auch eher im übertragenen Sinne.«

Iris kicherte, was jedoch in einem Husten endete.

»Ich wünschte, du könntest mit mir hier sein«, brach es aus Lilly heraus.

»Das wünschte ich auch, mein Schatz.« Iris’ Stimme klang heiser. Lilly schluckte schwer.

»Ich werde zurückkommen, so schnell es geht, Mum.«

»Nein.« Iris hatte jegliche Schwäche aus ihrer Stimme verbannt. »Das wirst du nicht. Ich will, dass du die Zeit genießt. Dass du siehst, wie die Sonne am Abend im Meer versinkt, dass du die Hügel hinter der Stadt hinaufspazierst.« Ihre Stimme hatte einen wehmütigen Ton angenommen. »Und ich möchte, dass du erholt zu mir zurückkommst und mir alles erzählst, was du erlebt hast.«

»Was ist mit dieser Blume?«, hakte Lilly nach, weil ihre Mutter sie mit keinem Wort erwähnt hatte.

»Wenn du sie mitbringen würdest, wäre ich dir sehr dankbar. Aber sie soll nur ein Teil deiner Portree-Woche sein. Einer von vielen.«

Lilly dachte nach. »Okay«, stimmte sie schließlich zu.

»Hör mal, ich muss jetzt Schluss machen.« Iris wirkte auf einmal ungeduldig. »Das Essen kommt gerade rein, und es gibt Pudding.«

Lillys Brauen schnellten hinauf. »Seit wann magst du Pudding?«

»Seit … neuerdings. Er ist sehr nahrhaft.«

»Du meinst wohl kalorienreich.« Lilly konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.

»So kann man es auch ausdrücken.«

»Ist gut. Dann lass es dir schmecken.«

»Du rufst wieder an, ja?«, fragte ihre Mutter beschwichtigend. »Heute Abend?«

»Mhm.«

»Du musst dich sicher erst zurechtfinden.«

»Natürlich.«

»Ach, und … Lilly?«

»Ja?«

»Mach dir nicht zu viele Sorgen um mich. Versuch es zumindest.«

»Okay«, brachte sie widerwillig hervor.

»Mach dir eine schöne Zeit.«

»Das werde ich«, antwortete sie zögerlich.

»Und pack in Ruhe aus.«

»Ja, Mum. Bis bald.«

»Bis bald.«

Kapitel 3

Verunsichert legte sie auf. Hatte ihre Mutter zufrieden geklungen? Traurig? Einsam? Einmal hatte sie husten müssen, und ihre Stimme hatte danach rau geklungen. Lilly konnte das Telefonat nicht einschätzen. Ihr schwirrte der Kopf. Erneut fiel ihr Blick auf ihren Koffer. In Ruhe auspacken