Das Geheimnis der verschwundenen Hellebarde - Ernst Rudolf Altewiek - E-Book

Das Geheimnis der verschwundenen Hellebarde E-Book

Ernst Rudolf Altewiek

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Beschreibung

Hugo der Nachtwächter ist in Braunschweig ein Begriff, um nicht zu sagen eine Institution. Sein authentisches, mittelalterliches Kostüm ist stadtbekannt. Dazu gehören eine Hellebarde und eine Petroleumlampe. Seine abendlichen Führungen führen auch in die Magnikirche in der Braunschweiger Altstadt. Da man selbstverständlich in die Kirche keine Waffe hineinnimmt, wird die Hellebarde immer vor der Kirchentür abgestellt. Als sie auf einmal verschwunden war, war der Schock groß. Der Verlust war nicht nur schmerzhaft für den Nachtwächter, sondern er schlug sofort hohe Wellen. Die Braunschweiger Zeitung berichtete darüber. Die Suche begann, brachte aber nichts zu Tage. Das war durchaus problematisch, denn bei der Hellebarde handelte es sich auch um eine gefährliche Waffe. Wochenlang spekulierten die Bürger über den Verbleib der Hellebarde und so manche wilde Theorie machte an den Stammtischen und in den Familien ihre Runde. Nach 3 Monaten waren die Hellebarde und die Petroleumlampe wieder da. Über Nacht, genauso, wie sie verschwunden waren. Sie standen vor der Haustür des Nachtwächters. Dennoch, die Spekulationen haben bis heute nicht aufgehört und so lag es nah, dem einen oder anderen Hinweis nachzugehen. Die daraus entstandene Geschichte ist natürlich frei erfunden, wobei, das ein oder andere Detail auf den bekannten Tatsachen beruht.

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Seitenzahl: 83

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Die Handlung und alle handelnden Personen in diesem Band sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind daher zufällig und nicht beabsichtigt.

Gerwin Kolmar ließ die Zeitung sinken. Da hatte es der Seutemeel doch wirklich auf die Seite 1 geschafft. Er strich sich mit der Hand über das Kinn, kniff die Augen zu und schnaufte erst einmal tief aus. Dann musste er unwillkürlich losprusten. Für einen Augenblick versuchte er sich noch zu beherrschen, aber dann ließ er es einfach geschehen. Er brüllte los, schlug sich mit den Händen auf die Schenkel und warf sich in seinem Sessel zurück. Um ein Haar hätte er seine Tasse Tee, die neben ihm auf dem Tisch stand, umgeworfen, weil er mit einem Knie unter den Tisch geknallt war.

Jeden Morgen nach dem Frühstück setzte er sich an den kleinen Tisch im Wohnzimmer, der am Fenster stand, und las die Zeitung. Die Tasse Tee vom Frühstück nahm er mit und auch das Glas Wasser, das er brauchte, um seine Tabletten einzunehmen. Seine Frau hatte ihm schon zugezwinkert, als er hinüberging, und gemeint: „Na, das wird heute eine spannende Lektüre werden. Kapitalverbrechen mitten im Magniviertel.“ Erst hatte er der Bemerkung nicht wirklich eine Bedeutung beigemessen, dann hatte er auf einen nächtlichen Raubüberfall getippt. Vielleicht waren ja auch ALBA die Mülltonnen geklaut worden, aber das hier schlug dem Fass den Boden aus. Da stand der Frank Seutemeel, wie er leibte und lebte, in seiner grünen Tracht als Kuno der Nachtwächter und sein Lieblingsspielzeug, die Hellebarde, war weg. Einfach geklaut! Gerwin Kolmar nahm er erst einmal einen großen Schluck Tee, feinster Darjeeling, Oolong. Dieser Zeitungsartikel versprach doppelten Genuss.

Er erinnerte sich noch sehr genau, als er dem Herrn Seutemeel angeboten hatte, doch einmal den Karnevalsumzug zum Schoduvel mit zu gestalten. Doch der Herr Seutemeel hatte ihn abblitzen lassen. Auf seine Hellebarde gestützt hatte er ihm bekundet, dass er ein ernsthafter Botschafter der Stadt sei und historische Werte und Ereignisse vermittle, aber keinen Mummenschanz betreibe. Als er darauf hingewiesen hatte, dass der Kurt Henning von Wüstrow als Till Eulenspiegel ebenfalls auf dem Zug mitfahre, hatte der Seutemeel sogar die Hellbarde drohend gehoben und verkündet, dass das ja genau der Unterschied sei zwischen ihm und dem Wüstrow und dass er ihn bitte in Ruhe lassen solle.

Gerwin Kolmar beruhigte sich wieder, hatte ihn diese Erinnerung doch ein wenig aufgewühlt. „Noch ‘n Teechen?“ Edith Kolmar hatte die Küchentür geöffnet. Sie hatte gewusst, dass sie ihrem Gatten mit dieser Zeitung eine Freude bereiten würde. Gerwin Kolmar nickte und lächelte, zufrieden mit sich und der Welt. Edith kam mit der Teekanne und schüttete nach, dann gab sie ihrem Gatten einen Kuss auf die Schläfe.

Kommissar Rhode trat einen Schritt zurück und betrachtete den Raum, die Wände und die Strahlen der Sonne, die durch die beiden halbhohen Fenster hereinfielen und der eigentlich grausigen Szene einen eher friedlichen Eindruck verliehen.

In diesem Teil der Scheune lagen nur ein paar Strohballen und in der Mitte ein größerer Strohhaufen aufgeschüttet. Darauf lag rittlings ein Mann, aus dessen Brust eine lange, speerartige Stange ragte. Die Hemdbrust des Mannes war vollgesogen mit Blut, was darauf schließen ließ, dass er wirklich auf dem Strohberg erstochen worden war. Der Kopf war nach hinten gefallen und hing vom Strohballen herab, so dass man das Gesicht nicht sehen konnte.

An der hinteren Wand des Raumes führte eine massive Holztreppe hinauf auf den Heuboden. Der Strohhaufen lag unterhalb der geöffneten Luke, so dass das durch das Dach eindringende Sonnenlicht dunkle Schattenstreifen auf den Körper des Mannes warf. Für einen Augenblick hielt Kommissar Rhode inne, als wolle er sich dieses Bild besonders einprägen.

Die Kollegen der Kriminaltechnischen Untersuchung hatte ihre Arbeit am Ort und an der Leiche abgeschlossen. Die Fotos waren gemacht, einschließlich der Nahaufnahmen vom Eintritt des Spießes in den Körper, und ein Mitarbeiter im weißen Overall schickte sich nun an, die Stange aus der Wunde zu ziehen. Von der Spitze tropfte Blut auf den Strohhaufen. Der Mitarbeiter wartete, bis es aufgehört hatte zu tropfen, dann trug er sie zur weiteren Untersuchung hinaus, wo ein Kollege bereits eine große Folie vorbereitet hatte, damit sie abgelegt und weiter untersucht werden konnte.

Zunächst wurden wieder Fotos gemacht, dann kam die Untersuchung nach Fingerabdrücken, und danach wurde der Gegenstand in die Folie eingeschlagen, damit er vor Ort nicht zusätzlich „kontaminiert“ wurde. Später würden noch weitere Untersuchungen folgen.

Kommissar Rhode musterte den Gegenstand ernst. Vor ihm lag eine mittelalterliche Hellebarde. Er wusste nicht, ob sie wirklich alt oder nur nachgebaut war, aber sie sah furchteinflößend aus. Der Spieß hatte offenbar den Brustkorb des Opfers durchstoßen, und es schien, als ob das Beil und der Reißhaken verhindert hatten, dass er noch tiefer durch den Körper hindurchgedrungen war.

Ein Mitarbeiter der KTU hielt ihm den Ausweis des Opfers hin. Thomas Rhode zog seinen Notizblock hervor und schrieb sich die Daten auf: „Kurt Henning von Wüstrow, … 1944, … Madamenweg … , … Braunschweig“, murmelte er vor sich hin. Das Opfer war über siebzig Jahre alt. Die Mitarbeiter der KTU schleppten einen schwarzen Sack an ihm vorbei. Der Leichnam wurde jetzt in die Pathologie gebracht.

Der Kommissar betrachtete das Scheunengebäude. Drei größere Holztore, frisch grün lackiert. Alle drei standen offen. Links standen einige alte Maschinen, ein Traktor, ein Pferdeanhänger und ein großer Gummiwagen, auf dem Stroh oder Rüben transportiert werden konnten. In der Mitte war der Heuschober, unter dem sich der aufgeschüttete Strohballen befand, und rechter Hand waren mehrere Pferdeboxen eingerichtet, von denen drei belegt waren. Das Stroh war also zum Auslegen der Pferdeboxen vorgesehen. Zur linken Hand schloss sich ein Wohnhaus an, das erkennbar in keinem guten Zustand war und offenbar leer stand. Alles stand im Widerspruch zu den frisch lackierten grünen Toren der Scheune und den Strohballen.

„Also, hinter der Halle steht ein Fahrzeug, so ‘n alter Jeep. Könnte dem Opfer gehören.“ Eine der Kolleginnen der KTU sprach ihn an. „Neben der Scheune sind frische Reifenspuren. Also, halbwegs frisch. Schätzungsweise ein, zwei Tage alt. Offenbar verschiedene Fahrzeuge. Allerdings eher häufige Muster, nichts auffälliges.“ Der Kommissar nickte. „Wohin geht es da?“, er deutete hinter die Scheune. „Da ist nur noch ein Stück Wiese und da, hinter dem Strauchgebüsch, fließt die Wabe, keine weiteren Spuren.“

Das Gebäude war ein alter Resthof am Rande des Waldes und von der anderen Seite von Feldern umgeben. Das nächste Gebäude lag übers Feld geschätzt 500 Meter entfernt, und die nächste Straße, die zum Dorf abzweigte, war ungefähr in der gleichen Entfernung. Außerdem standen zur angrenzenden Straße hin Bäume, so dass man aus einem vorbeifahrenden Auto kaum etwas hätte erkennen können.

Thomas Rhode verwarf den Gedanken, dass ihn eine spontane Befragung der Nachbarn weiterbringen konnte. Es gab keine direkten Nachbarn. Er brauchte den Autopsiebericht, das familiäre Umfeld des Toten, den Besitzer des Gebäudes, eine Analyse der Mordwaffe und natürlich alles, was der Tatort an Spuren hergab. Aber ohne den Zeitpunkt des Todes konnte er eigentlich nicht anfangen. In den üblichen zwei Tagen, bis ein ausführlicher Bericht vorlag, würde er das private Umfeld des Toten sondieren und mögliche Verwandte aufsuchen. Der Zeichner musste unbedingt ein Portrait anfertigen. Das Bild auf dem Personalausweis war uralt und der Ausweis war längst abgelaufen. Bei älteren Menschen kam das öfter vor. Thomas Rhode wusste es von seinem Vater. Er tippte mit dem Finger auf sein Smartphone. Am anderen Ende meldete sich die KTU. „Rhode hier, gleich vorab, wenn nachher der Fall reinkommt, macht bitte erst mal eine Zeichnung, bevor ihr ihn zerschnippelt. Hier draußen ist sonst nix. Außerdem müssen gleich zwei Leute in den Madamenweg und die Wohnung sichern.“

Die Frau, die den Toten gefunden hatte, hatte er nach kurzer Befragung bereits nach Hause geschickt. Die Kollegen hatte die Personalien aufgenommen, und er würde sie in den nächsten Tagen auf das Revier bestellen. In ihrem Zustand hatte es keinen Zweck, sie weiter zu befragen. Sie hatte keinen klaren Gedanken fassen können. Sie stand unter Schock.

Thomas Rhode wusste, dass sie nach ihrem Pferd hatte schauen wollen, das in einer der besagten Boxen in dem anderen Teil der Scheune stand. Das war belegt. Das Pferd stand da und die Frau hatte den Notruf gewählt, um den Fall zu melden. Es gab also keinen Grund, sie fest zu halten. Er hatte sie gebeten, sich so gut es ging zu erinnern und sich ggfs. Notizen zu machen.

Während Thomas Rhode sich über den Kreisverkehr der Kupfermühle näherte, nahm er unwillkürlich den Fuß vom Gas. Langsam fuhr er rechts ran und griff in sein Handschuhfach. Seine Hand zog eine gefaltete Zeitung hervor. Er schlug sie auf. Auf dem Aufmacherbild strahlte ihn ein älterer Mann an. Er trug einen breitkrempigen grünen Filzhut, unter dem die weißen Haare hervorschauten, und einen ebensolchen Mantel. Die Augen blickten wach durch eine schwarzgeränderte Brille. „Dieb stiehlt Hellebarde des Braunschweiger Nachtwächters“, lautete die Schlagzeile.

„Das ist er!“ durchfuhr es ihn. „Das kann nicht wahr sein! Hier im Elm.“ Kuno der Nachtwächter war stadtbekannt, und die Hellebarde war gestohlen gemeldet. Er blätterte weiter zum Lokalteil. Das Bild zeigte die Hellebarde deutlicher. Die geschmiedete Form war die, die er vorhin gesehen hatte und die rötliche Stange war ebenso charakteristisch.

Thomas Rhode legte den ersten Gang ein und fuhr wieder auf die Straße. Jetzt galt es schnell zu handeln. Erstens: diesen Kuno an Land ziehen, zweitens: die Wohnung des Opfers sondieren, drittens: Hausdurchsuchung bei diesem Kuno, viertens: keine Presse!

Die Logik war ganz einfach: Die KTU würde herausfinden, das die Hellebarde voll war mit Kunos Fingerabdrücken. Damit war er zwangsläufig Verdächtiger No. 1! Es ging nicht darum, dass es wahrscheinlich war, dass dieser Mann auch der Mörder war. Es ging allein darum, dass so starke Indizien geprüft werden mussten, und zwar sofort. Wenn es sich dann herausstellen sollte, dass dieser Kuno nichts damit zu tun haben sollte und wirklich nur bestohlen worden war, dann war ein wesentlicher Faktor ausgeschlossen. Wenn er, Thomas Rhode dies aber auf Grund einer vermuteten Unwahrscheinlichkeit unterließ, würde er