Das Geheimnis des Schlangenkönigs (Kiranmalas Abenteuer 1) - Sayantani DasGupta - E-Book
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Sayantani DasGupta

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Beschreibung

*** Ein mutiges Mädchen mit überraschender Vergangenheit, zwei indische Prinzen mit schwierigem Auftrag und haufenweise Abenteuer voller Monster und Magie! *** Kiranmala glaubt nicht an Geschichten über Prinzessinnen und eine Welt voller Magie, wie ihre Eltern. Bis Ma und Baba an Kirans 12. Geburtstag plötzlich weg sind. Und im Vorgarten ein Rakkhosh steht, ein sabbernder, hungriger Dämon. Als wäre das nicht genug, klopfen auch noch zwei Prinzen an Kirans Tür, die sie unbedingt retten wollen. Zu dritt machen sie sich auf die Reise in eine andere Dimension, um zwischen geflügelten Pferden und sprechenden Vögeln Kirans Eltern zu befreien. Denn Kiran ist eine Prinzessin – und es gibt Magie! Band 1 der Serie »Kiranmalas Abenteuer«. Band 2, »Das Spiel der Dämonenjäger«, erscheint im November 2019.

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Sayantani DasGupta: Das Geheimnis des Schlangenkönigs

Kiranmala glaubt nicht an Geschichten über Prinzessinnen und eine Welt voller Magie, wie ihre Eltern. Bis Ma und Baba an Kirans 12. Geburtstag plötzlich weg sind. Und im Vorgarten ein Rakkhosh steht, ein sabbernder, hungriger Dämon. Als wäre das nicht genug, klopfen auch noch zwei Prinzen an Kirans Tür, die sie unbedingt retten wollen. Zu dritt machen sie sich auf die Reise in eine andere Dimension, um zwischen geflügelten Pferden und sprechenden Vögeln Kirans Eltern zu befreien. Denn Kiran ist eine Prinzessin – und es gibt Magie!

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  Leseprobe

 

Für eingewanderte Eltern und Kinder überall – die sich vorstellen, dass eine Idee durch das Erzählen von Geschichten nach Hause geholt werden kann

Und für meine eigenen eingewanderten Eltern – die mir Geschichten erzählt, die an meine Geschichten geglaubt und die mir geholfen haben mir meinen Weg nach Hause vorzustellen

KAPITEL 1

Ein Monster besucht die Vorstadt

Der Tag, an dem meine Eltern von einem Rakkhosh verschlungen und in eine andere galaktische Dimension befördert wurden, war ein ziemlicher Misttag. Die Tatsache, dass es ausgerechnet mein zwölfter Geburtstag war, machte alles noch viel schlimmer. Statt Kuchen oder Geschenke oder eine Party zu bekommen, war ich den ganzen Tag damit beschäftigt, einem Dämonen in den Hintern zu treten, auf der Suche nach meiner Familie durch Zeit und Raum zu reisen und darüber hinaus New Jersey, unsere ganze Welt und auch noch alles dahinter zu retten. Nicht, dass ich keine Hilfe gehabt hätte. Aber ich will nicht vorgreifen. Ich erzähle euch gleich davon. Aber zuerst ein paar Hintergrundinformationen.

Mein Leben vor dem Rakkhosh-Zwischenfall war ziemlich normal: Ich war meistens in der Schule, hing mit meiner besten Freundin Zuzu im Restaurant ihrer Familie herum oder half meinen Eltern im Laden. Es gab die Spanakopita von Zuzus Oma und Babas Inventarlisten, es gab Hausaufgaben und meine Nachbarin-Schrägstrich-Erzfeindin Jovi samt ihrer ewig kichernden Clique aus angesagten Mädchen, denen ich aus dem Weg gehen musste. Der übliche Kram, wie er sich in der sechsten Klasse eben anhäuft. Nichts davon hatte mich auf interdimensionales Dämonenkillen vorbereitet.

Ich nehme an, Ma und Baba hatten versucht mich zu warnen, auf ihre eigene verkorkste Weise. Schon als ich noch klein war, hatten sie mir beeindruckende Geschichten über Rakkhoshi erzählt: diese fleischfressenden, Rotzfährten legenden Dämonen, die gern in Versen sprechen, während sie auf unschuldigen Dorfbewohnern herumkauen. Habt ihr je von diesem Riesen aus dem Märchen mit der Bohnenstange gehört, dem, der die Knochen von Engländern zermahlen will, um sich daraus Brot zu backen? Also, wenn ihr diesem Kerl noch Hörner, Hauzähne und Krallen dazugebt, dann könnt ihr euch einen Rakkhosh so ungefähr vorstellen. Aber ganz egal, wie echt Riesen oder Dämonen oder Kobolde in Geschichten wirken, so kann euch doch nichts darauf vorbereiten, dass eines Tages einer bei euch vor der Tür steht, das könnt ihr mir glauben.

Aber genau das passierte mir an meinem zwölften Geburtstag. Der zufällig auch noch auf Halloween fällt. Das Schicksal hat wirklich einen komischen Sinn für Humor.

Ich hatte es immer schon gehasst, zu Halloween Geburtstag zu haben. Als ich jünger war, lag es daran, dass alle total mit ihrer Kostüm-Planung beschäftigt waren und deshalb meistens vergaßen, dass es mein ganz besonderer Tag war. Noch schlimmer war, dass meine Eltern mir nie erlaubten eine Superhelden- oder Monstermaske zu tragen. Egal, wie sehr ich versuchte auch eine der vielen Hexen oder Zombies oder Kreuzritter in der Nachbarschaft zu werden, meine Eltern hatten immer ganz eigene Vorstellungen.

»Vielleicht könnte ich dieses Jahr als Pirat gehen«, schlug ich zum Beispiel vor und hielt Halstücher und goldene Ohrringe hoch.

»Oder als Gespenst?«, bettelte ich unter einem alten Bettlaken.

Aber jedes Jahr bestanden meine Eltern auf demselben Kostüm. Ein Kostüm, mit dem ich noch mehr auffiel, nicht weniger.

»Geliebtes Stück vom Mond, du musst als indische Prinzessin gehen!«, riefen sie begeistert. »Du bist ja schließlich eine echte indische Prinzessin, und das hier ist der einzige Tag, an dem du auch so aussehen kannst.«

Als ich in der ersten oder zweiten Klasse war, fanden alle anderen Kinder den glänzenden Seidensari, in den meine Ma mich zu Halloween wickelte, richtig cool. Sie glaubten mir, wenn ich ihnen erzählte, meine vielen Armreifen und Halsketten seien wirklich aus Smaragden, Diamanten und Rubinen gemacht. Aber man kann seine Freunde – und sich selbst – nicht in alle Ewigkeit an der Nase herumführen und glauben lassen, dass man eine echte indische Prinzessin ist, die aus ihrem Märchen vertrieben wurde und in einem Reihenhaus in New Jersey in Deckung gehen musste. Egal, worauf die eigenen verrückten Eltern bestehen. Ziemlich bald kommt der Rest der Welt einem auf die Schliche.

»Gehört deinem Dad nicht der Expressmarkt an der Route 46?«, fragte Jovi eines Tages, als wir so ungefähr neun waren. »Was für ein König hat denn einen Expressmarkt?«

Sie hatte ihr Kaugummi platzen lassen und ihre perfekten blonden Haare nach hinten geschleudert und sah mich an, als ob ich weniger als Dreck wäre. Ich wäre in diesem Moment gern im Boden versunken.

Als meine Mutter das hörte, gab sie mir einen typischen blödsinnigen Rat. »Meine königliche Tochter«, sagte Ma in einer Art Sprechgesang, »wir sind alle nicht nur das eine. Das Leben ist ein Prozess, bei dem wir lernen unsere vielen Gesichter zu erkennen.«

»Und außerdem haben deine Freundinnen recht: Kein König, der seinen Thron verdient, würde einen Expressmarkt besitzen wollen!«, hatte Baba mit dröhnender Stimme hinter dem Superlimo-Automaten in unserem Laden gerufen. »Sag den Kindern aus deiner Klasse, dass sogar Könige und Königinnen hart arbeiten müssen, wenn sie in ein neues Land ziehen. Und erinnere sie daran, dass dein Vater keinen Expressmarkt hat, sondern ein Einkaufsparadies für jede Gelegenheit!«

»Und wenn sie dir dann noch immer nicht glauben«, fügte Ma vom Mittelgang her hinzu, wo sie Dörrfleischstreifen nachfüllte, »sag ihnen, dass wir nicht deine echten Eltern sind. Sag ihnen, dass du die Tochter eines Schlangenkönigs aus der Unterwelt bist und dass wir dich als Baby gefunden haben, als du in einem Tontopf den Fluss der Träume hinabtriebst.«

Ich nehme an, dass alle Kinder, deren Familie anderswo herkommt, ihre Eltern komisch finden. Aber bei meinen war es nicht nur ihre Sprache oder ihre Kleidung oder ihr Essen. Es war noch mehr – als ob meine Eltern den Unterschied zwischen Wirklichkeit und Vorstellung, Wissenschaft und Mythologie, Traum und Tatsache nie wirklich akzeptiert hätten. Aber es dauerte bis zu diesem schicksalhaften zwölften Geburtstag, dass ich den Grund dafür wirklich durchschaute.

KAPITEL 2

Der Fluch der Prinzessin

Der Tag begann wie jeder andere Oktobermorgen in Parsippany, New Jersey. Keine drohenden Vorzeichen von Unglück, keine erkennbaren Risse im Zusammenhang von Zeit und Raum, nicht einmal eine Massenkarambolage auf der Jersey-Turnpike-Autobahn. Nur ein Herbsthimmel durchzogen von orangeroten Wolken, die sich auftürmten wie ein Haufen Zuckerwatte. Aber wenn man genau hinschaute (was ich nicht tat) und wenn man genug Sci-Fi-Serien im Fernsehen gesehen hatte, um Bescheid zu wissen (was bei mir durchaus der Fall war), dann hätte man, versteckt zwischen diesen vielen Wolken, einen tornadoförmigen Schatten sehen können – etwas, das aussah wie ein intergalaktisches Wurmloch.

Doch wie jede Dorothy am Anfang ihres Abenteuers (ihr wisst schon, das Mädchen aus »Der Zauberer von Oz«) hatte ich damals keinen blassen Schimmer. Wie hätte ich auch ahnen sollen, dass ich bald nicht mehr in Kansas sein würde (okay, New Jersey, aber es ist schon klar, worauf ich mit dieser Metapher hinauswill, oder?).

Am Morgen meines zwölften Geburtstags verschlief ich, weil ich den Wecker nicht hörte. Was mich weckte, war Zuzus Anruf.

»Feliz cumpleaños! Joyeux anniversaire! Die allerherzlichsten Glückwünsche zum Geburtstag, Prinzessin Kiran!« Die Stimme, die durch das Telefon brüllte, war viel zu munter für diese frühe Morgenstunde. Ganz zu schweigen von der Extraportion Munterkeit, die durch die verschiedenen Sprachen draufgepackt wurde.

Ich machte ein würgendes Geräusch. Zuzu wusste sehr gut, dass ich auf alles auch nur annähernd Prinzessinnenhafte allergisch reagierte. Das lag vermutlich an der Besessenheit meiner Eltern, aber ich konnte Prinzessinnen nicht ausstehen, egal aus welcher Kultur. Ob sie nun Saris und Armreifen trugen oder Tutus und Diademe, was mich an Prinzessinnen wirklich fertigmachte, war diese ganze selbstgerechte superrosa Hübschheit. Und natürlich die ewige Warterei: darauf, dass der Prinz auftritt, darauf, dass sich das Schicksal ändert, darauf, dass die Rettung herbeigeritten kommt. Allein bei dem Gedanken daran fühlte sich mein Hals an wie zugeschnürt.

»Ich habe Geburtstag und du bringst mich hier gleich zum Kotzen.« Ich kniff in der Morgensonne die Augen zusammen und wünschte mir zum quadrillionsten Mal Vorhänge an den Fenstern. Aber aus irgendeinem Grund hatte meine Mutter sich in den Kopf gesetzt, dass es gesünder für junge Menschen wäre, im Mondlicht zu schlafen.

»Ach, das wirst du schon überleben, du Prinzessin auf der Erbse.« Ich stellte mir vor, wie Zuzu sich die hipster-rote Brille auf ihrer frechen Nase hochschob. »Aber wenn du die Matheklausur verpasst, spießt Ms Valdez dich vielleicht mit ihrem Winkelmesser auf.«

Verflixt. Endlich registrierte ich die Uhrzeit. »Mist. Ich bin ja total spät dran.«

»Ahde! Vite! Beeil dich, mein Schatz!«, zwitscherte Zuzu. »Aber mach dir keine Sorgen, das wird trotzdem noch der wildeste Geburtstag aller Zeiten.«

Ich konnte ja nicht ahnen, wie recht sie damit hatte.

Vergesst das mit dem besonderen Geburtstagsoutfit; ich streifte meine Lieblingsjeans und ein schwarzes T-Shirt über und flocht mir in aller Eile meine dunklen Haare, damit sie die merkwürdige Narbe in meinem Nacken verdeckten. Ich hatte zwei davon, und meine Eltern schworen, dass es sich nur um große Muttermale handelte. Ich band mir ein Tuch um die noch hässlichere Narbe an meinem Oberarm, die aussieht wie eine verbogene Brille, dann zog ich – als doppelten Schutz – noch meinen schwarzen Lieblingskapuzenpulli darüber. Ich rannte die Treppe hinunter, achtete nicht auf die seltsame Miene meiner Eltern, auf ihre nervösen Geburtstagsgrüße, und nicht einmal auf das reichhaltige Frühstück aus fluffigem Luchi-Brot und Kartoffeln, das meine Ma aufgetischt hatte.

»Kiranmala«, begann Baba, aber ich ließ ihn nicht ausreden.

»Also, ich hab mir überlegt …« Ich klaute ein paar Schokokekse aus der Speisekammer und schob sie mir in die Hosentasche. »Heute Abend zu Halloween könnte ich als Vampir gehen.«

»Das hat nicht genug Ballaststoffe, Liebling.« Babas scharfen Augen war mein illegales Frühstück nicht entgangen. »Ballaststoffe sind für eine gute Verdauung unbedingt nötig.«

Ich achtete nicht auf Babas Sorgen um meinen Verdauungsapparat und schob mir einen Keks in den Mund, dann zog ich meine Lieblingsschuhe an – knalllila Springerstiefel, die Zuzu und ich im Secondhand-Laden gefunden hatten. Ich warf mir die Schultasche über die Schulter und hoffte, dass Ma nicht allzu sehr ausflippen würde, weil ich ihr Essen verschmähte.

»Ihr braucht mir auch kein Vampirkostüm zu kaufen, aber vielleicht ein Plastikgebiss oder so was?«

Ich hatte den Mund voll Schokolade und wünschte, es wäre noch Zeit, um etwas zu trinken.

»Was soll dieser Vampir-Unsinn?«

Ma reichte mir ein Glas laktosefreie Milch, als sie diese Frage stellte. Ich erwartete eigentlich auch ein tödliches »Iss jetzt gefälligst ein richtiges Frühstück«-Starren, aber Ma war offenbar zu müde, um mich zusammenzustauchen. Sie hatte dunkle Ringe unter ihren karamellbraunen Augen und die sonst so ordentlich toupierte Frisur war ein wenig verrutscht.

»Ach, komm schon: Ein Vampir ist cool.« Ich bleckte die Zähne und lieferte eine schwache Parodie auf einen typischen alten Film-Vampir. »Ich vill dein Plut zaugen!«

Baba drohte mir scherzhaft mit dem Finger. »Ein Vampir ist ein zweitrangiges Monster, wenn du mich fragst. Ein Rakkhosh dagegen – das ist ein Monster mit Chuzpe!« Mein Vater benutzte gern Ausdrücke, die er von seiner Kundschaft gelernt hatte. »Dein Blut saugen? Ein Rakkhosh wird dir das Mark aus den Knochen lutschen und deinen Finger als Zahnstocher nehmen!«

Sein Lachen, bei dem wie immer sein Schmerbauch wackelte, klang ein bisschen verkrampft. Ich fand das zwar alles etwas seltsam, schrieb es aber der Tatsache zu, dass meine Eltern eben ohnehin seltsam waren.

»Mein Stück vom Mond, meine Girlande aus Mondstrahlen«, fing Ma an, als sie mir das leere Glas abnahm. »Es gibt da etwas …«

Sie wollte wieder mit dieser Indische-Prinzessin-Nummer anfangen, das wusste ich sofort.

»Mach dir keine Sorgen wegen der Vampirsache, Ma, das war nur so eine Idee.« Ich packte die Türklinke, um mich endlich auf den Weg zu machen. »Ich komm zu spät zur Schule.«

»Kiranmala, warte«, rief eine Stimme, aber ich reagierte nicht.

Draußen auf der Veranda schaute ich mich in unserem absolut kahlen Garten um. Plötzlich wurde mir der Kontrast zwischen unserem ramponierten Renovierungsobjekt und den kackfeinen Häusern der Nachbarn so richtig bewusst. Alle anderen in der Straße hatten einen gepflegten Rasen mit beschnittenen Hecken und Blumenbeeten. Wir dagegen? Ein paar Hecken-Skelette und zerzauste Bäume. Ich wurde rot, als mir einfiel, dass Jovi mich mal gefragt hatte, ob unsere Religion uns untersagte den Rasen in Ordnung zu halten.

Aus dem Augenwinkel sah ich den Schulbus in die Straße einbiegen.

»Prinzessin …«, rief Baba.

»Wie oft muss ich euch das noch sagen, Leute?« Ich lief die Verandatreppe hinunter. »Zum allerletzten Mal, ich bin keine Prinzessin!«

Ma sah verletzt aus. Vielleicht hatte ich ein bisschen wütender geklungen als beabsichtigt.

Ich verspürte Anzeichen von Reue, aber ich war zu spät dran, um wie eine brave Tochter um Verzeihung zu bitten. »Also, ich muss los, okay?«

Dann hörte ich, wie mit einem Wuuusch die Bustür hinter mir aufging. Ich fühlte eher, als dass ich es sah, wie die Kids im Bus unsere kleine Familienszene beobachteten: Baba in seiner verschlissenen und zu engen Kurta, Ma in einem knalligen grüngelben Sari, bei dem ihre mit Ringen verzierten nackten Zehen unter dem ausgefransten Saum hervorlugten. Die Hitze gemischter Gefühle stieg mir in die Wangen. Warum konnten sie nicht einfach sein wie alle anderen?

Ich rannte los, um in den Bus zu steigen. Aber in meiner Eile stolperte ich über die Schlangengrube – einen langen flachen Graben, den Baba rund um unseren Garten gezogen hatte, damit wir vor Parsippanys nicht vorhandener Kobra-Invasion sicher waren.

Ich konnte hören, wie die anderen im Bus kicherten, und ich senkte den Kopf, als ich mir einen Platz suchte. Ich schaute erst auf, als der Bus losfuhr, und ich sah meine Eltern in der Auffahrt stehen. Durch die dicke Fensterscheibe wirkten ihre Gesichter fremd und verzerrt.

KAPITEL 3

Saures, nicht Süßes

Den ganzen Tag lagen mir die Schuldgefühle schwer im Magen. Ich konnte die Erinnerung an die ängstlichen Gesichter meiner Eltern nicht abschütteln. Was hatten sie mir sagen wollen? Egal, diese Sache würde sie jetzt vielleicht endlich dazu bringen, mir ein Handy zu erlauben, wie alle anderen Zwölfjährigen im Universum es hatten. Zusammen mit Zuzu, die von Sprachen besessen war und furchtbar gern lange, komplizierte Wörter benutzte, um ihren Willen durchzusetzen, hatte ich mir in der Schule Argumente dafür zurechtgelegt.

»Mobile Telekommunikation ist eine konstituierende Komponente unserer modernen Gesellschaft«, murmelte ich vor mich hin, als ich nachmittags die Haustür öffnete. Aber mitten im Satz verstummte ich. Das Haus war seltsam still.

Ma und Baba arbeiteten nie beide an meinem Geburtstag. Zumindest einer von ihnen wartete normalerweise hinter der Tür, um mich mit Geschenken und Leckerbissen zu überfallen. Wo steckten sie?

Ich zog die Stiefel aus und ging in die Küche, dabei sah ich, dass die Hintertür seltsam schief hing. Ich wusste, dass die Angeln alt waren, aber das hier war doch ein Tacken zu viel. Noch etwas für die Liste der Dinge, die repariert werden mussten. Ich zog die Tür, so gut ich konnte, zu.

Und dann erst fiel mir auf, dass in Mas sonst so makelloser Küche das totale Chaos herrschte. Die Küchenstühle standen durcheinander, einer war neben die Tür gekippt, als ob jemand ihn im Weglaufen umgestoßen hätte.

Mein Herz klopfte jetzt ganz laut, mein Kopf kam mir vor wie eine Trommel. Ich hatte schon viel zu viele Krimis gesehen, um nicht sofort an einen Einbruch zu denken.

»Hallo?«, rief ich mit kratziger Stimme. Ich zog ein Messer aus dem Messerblock auf der Anrichte.

Aber als ich dann durch unser Haus schlich, war sonst alles in Ordnung. Sogar Mas kleiner Schmuckkasten stand noch an seinem Platz auf der Kommode neben ihrem Bett. Verwirrt lief ich zurück in die Diele.

Wo waren meine Eltern? Hatten sie vergessen, dass heute mein besonderer Tag war?

Was ich neben der Haustür erblickte, war ein kleiner Trost. Auf einem wackligen Klapptisch stand ein mit einem Küchentuch bedecktes Tablett voller selbst gemachter Rasgullas und Sandesh-Konfekt. Daneben war ein Zettel:

Für die lieben Halloween-Kinder

(glutenfrei, nussfrei und mit laktosefreier Milch von freilaufenden Kühen in artgerechter Haltung)

Typisch! Ich lachte zitternd und legte das Messer hin. Da war wohl meine Fantasie mit mir durchgegangen. Wenn meine Mutter daran gedacht hatte, für die Kinder in der Nachbarschaft indische Süßigkeiten zu machen, dann musste alles in Ordnung sein. Das gehörte zu ihren Halloween-Traditionen. Das Problem dabei war, dass die üblichen Stoffbeutel und alten Kissenbezüge nicht geeignet sind, um die klebrigen runden Rasgullas oder das mit Sirup gesüßte Sandesh-Konfekt zu transportieren, die sie den arglosen Kindern überreichte. Aber meine Eltern wären nie auf die Idee gekommen, gekaufte Süßigkeiten zu verteilen. Noch ein Beispiel dafür, dass sie einfach keine Ahnung hatten.

Ich wollte mir gerade eine klebrige Rasgulla schnappen, als ich etwas auf dem Boden liegen sah. Eine Geburtstagskarte, die zur Hälfte aus dem Umschlag gerutscht war, genauer gesagt, eine knallrosa Glitzerkarte für Babys – Babas typischer Sinn für Humor. Vorne war, was auch sonst, eine Prinzessin mit einer Krone abgebildet, darüber stand: »Tochter, du bist 2!« Baba hatte mit einem Filzstift die Ziffer 1 vor die 2 gesetzt, sodass dort nun eine 12 stand. Ha-ha! Schon wieder typisch Baba. Aber warum lag die Karte hier auf dem Boden? Ich wischte mir die klebrigen Finger an meiner Jeans ab und hob sie auf.

Innen war unter die Zeile »Hab einen glitzerhaften Geburtstag« eine Mitteilung gekritzelt, die kaum Ähnlichkeit mit Mas sonst so klarer Handschrift hatte.

Hab Mut, liebe Tochter.

Wir hatten in den vergangenen zwölf Jahren gehofft, dass es nicht so weit kommen würde. Aber es ist passiert – der Zauber, der uns alle beschützt hat, wurde heute, an deinem zwölften Geburtstag, gebrochen. Verzeih uns, dass wir versucht haben dich vor der Wahrheit zu bewahren. Und jetzt haben wir nicht genug Zeit, um zu erklären.

Was immer du nun tust, lass ja keinen Rakkhosh ins Haus. Vertrau darauf, dass die Prinzen dich beschützen werden, aber noch wichtiger: Vertrau auf dich selbst. Wir hinterlassen einige Extra-Rupien und eine bewegliche Landkarte, für den Fall, dass du dafür Verwendung hast.

Aber ich flehe dich an, versuche nicht, uns zu finden. Das wäre viel zu gefährlich. Wir gehen jetzt an diesen düsteren und grauenhaften Ursprungsort, an dem alle Zauber ihr Ende finden.

(Ach, und vergiss ja nicht, jeden Morgen deine Vitaminbonbons zu lutschen.)

Geliebtes Stück vom Mond, als Erstes musst du auf die Suche …

Hier endete die Mitteilung mit einem dicken Tintenklecks, als ob sich Ma mitten im Satz erschrocken hätte.

Ich schüttelte den Umschlag und ein Bündel bunter, mir unbekannter Geldscheine fiel heraus – die Rupien, die Ma erwähnt hatte. Außerdem gab es noch ein vergilbtes Stück Papier – aber keine Landkarte.

Das war alles. Sie waren schon immer seltsam gewesen, aber jetzt waren meine Eltern ja wohl endgültig durchgeknallt. Ich rief sie auf ihren Handys an und auf dem Telefon im Laden. Als ich nur den Anrufbeantworter erreichte, geriet ich ernsthaft in Panik. Wenn das hier eine Art bizarrer Halloween-Streich sein sollte, dann war es jedenfalls nicht komisch. Und dieser ganze Kram mit den Prinzen und dem Rakkhosh – was glaubten Ma und Baba eigentlich, auf welchem Planeten wir lebten?

Ich spürte, wie mir die Tränen kamen, und biss mir in die Wange, damit das Wasserwerk nicht überlief. Das war meine Regel zum Überleben in der Mittelstufe (mal abgesehen davon, dass ich mich so anzog und verhielt, dass ich möglichst unbemerkt blieb). Geweint wurde nicht. Nie und nimmer. Tränen waren wie die Tür zu einer Schreckenskammer in mir, die ich unbedingt geschlossen halten wollte.

Ich holte tief Luft und versuchte mich zu beruhigen. Weinen ist was für Weicheier.

Ich wollte gerade Zuzu im Restaurant ihrer Eltern anrufen, als die Türklingel hysterisch losbimmelte. Es waren die kleinen Kinder – verkleidet als Feen und Tiere und Superhelden –, die vor Einbruch der Dunkelheit mit ihren Eltern herumzogen. Obwohl sich in meinem Kopf noch immer alles drehte, verteilte ich automatisch die klebrigen Süßigkeiten.

»Hu, danke«, sagte ein kleiner Junge im Robin-Hood-Kostüm. »Das ist viel besser als bei der Zahnärztin nebenan. Die verteilt Zahnbürsten.«

Mit zitternden Händen schloss ich die Tür und mein Herz krampfte sich in meiner Brust zusammen. Langsam wurde es dunkel. Wo waren meine Eltern? Was war mit ihnen passiert? Warum hatten sie geschrieben, ich sollte sie ja nicht suchen?

Und in diesem Moment klingelte es wieder.

Draußen auf der Veranda standen die seltsamsten Halloween-Besucher, die ich je gesehen hatte: zwei Jungen in meinem Alter, vielleicht etwas älter. Sie sahen aus wie Brüder. Der Lächelnde war so hübsch, dass mir fast die Augäpfel schmolzen. Der andere war größer und breiter und wirkte ein bisschen gelangweilt. Das Witzige war ihre Kleidung – sie trugen weite Hemden und Hosen aus dem gleichen glänzenden Stoff wie Mas Saris, dazu Seidenturbane und Schnabelschuhe. Jeder hatte etwas im Gürtel stecken, das aussah wie ein mit Edelsteinen besetztes Schwert. Schärpe und Turban des hübschen Jungen waren rot, die des größeren Jungen blau.

»Verflixt, Brüderchen, sie ist wahrscheinlich schon gefressen worden«, sagte der Junge in Blau gerade, als ich die Tür öffnete. »Nur weil du unbedingt so eine Superlimo aus dem Automaten haben musstest!«

»Diese Superlimo ist der einzige Grund, warum wir es überhaupt hierher geschafft haben«, widersprach sein Bruder. »Du willst dich ja nie nach dem Weg erkundigen, du stures Rhinozeros.«

Ich hatte keine Zeit, um mir auf all das einen Reim zu machen, denn in diesem Moment hob der Junge in Rot den Blick und sah mich mit seinen Filmstaraugen an.

Versteht das jetzt nicht falsch. Ich bin nicht so eine Jungs-verrückte Tussi, die sich die Wände vollkleistert mit Postern von Boygroups mit windzerzaustem Haar. Und ich male keine Herzchen um die Anfangsbuchstaben von mir und irgendwelchen süßen Typen in die Schulhefte. Klar gibt es ein paar Promis, die Zuzu und ich uns gern auf solchen Websites wie Tolle Typen stehen auf Zahnhygiene ansehen (ich meine, wir finden es doch alle spannend, wenn unser Lieblingsstar sich vor der Kamera Zahnseide durch die Beißer zieht, oder?). Aber bis zu dem Moment, in dem ich die Haustür öffnete, war mir im wirklichen Leben noch nie so ein hübscher Knabe über den Weg gelaufen.

»Seid Ihr bereit, Herrin?«, hatte der Junge wohl gefragt, aber etwas stimmte nicht mit meinem Gehör, deshalb klang es eher wie: »Waa waa waa waa waa.« Mannomann, der sah vielleicht toll aus! Ich verspürte ein kleines Zittern, von der Sorte, die ich auf einem Zettel für Zuzu mit kleinen Sternchen einrahmen würde. *zitter*

Der Junge musterte meine dunklen Jeans und den schwarzen Kapuzenpulli und runzelte die Stirn. Was ihn absolut nicht weniger hübsch aussehen ließ. »Bruder Neel, ich glaube nicht, dass die Dame bereit ist.«

Dann streckte der andere Typ – der offenbar Neel hieß? – die Hand nach dem Tablett mit den Süßigkeiten aus, das ich in der Hand hielt. Er stopfte sich mindestens zwei Rasgullas in den Mund. Dass ihm dabei die klebrige Soße übers Kinn lief, schien ihn nicht zu stören. Krass.

»Ihr müsst erst ›Süßes, sonst gibt’s Saures‹ sagen«, wies ich sie zurecht und hätte mir im gleichen Moment am liebsten selbst in den Hintern getreten. Zwei süße Typen stehen vor meiner Tür, und das Erste, was aus meinem Mund kommt, ist »Ihr müsst ›Süßes, sonst gibt’s Saures‹ sagen«? Uncooler geht’s ja wohl nicht.

»Das ist sicher so eine Art Kostüm, Lal.« Neel zwinkerte mir zu und leckte sich dabei den Sirup von den Fingern. »So langweilige Klamotten trägt doch in Wirklichkeit kein Mensch.«

Eine unangenehme Hitzewelle spülte über mein Gesicht. »Wer seid ihr eigentlich, die Modepolizei?«

Obwohl ich es bewundernswert fand, dass mir rechtzeitig ein cooler Spruch eingefallen war, versetzte mir die Behauptung des großen Jungen doch einen Stich. Noch so ein reicher Typ mit tollen Klamotten, dachte ich, der dafür sorgt, dass ich mich mies fühle, weil ich mir so was nicht leisten kann. Außerdem – Lal und Neel? Waren das nicht die Bengali-Wörter für rot und blau? Und sie hatten sich passend zu ihren Namen angezogen? Das war ja wohl auch nicht gerade ein Mode-Highlight!

Als Neel die Hand nach weiteren Süßigkeiten ausstreckte, schlug ich sie weg. Hart.

»He, Vorsicht, Prinzässin!« So, wie er das sagte, spöttisch und gedehnt, klang es, als ob er sich über mich lustig machen wollte. Er konnte sich zweifellos nichts vorstellen, was weniger einer Prinzessin ähnelte als ich.

Ich spürte ein Prickeln hinter meinen Augen und blinzelte wie verrückt die Feuchtigkeit weg. Dann, als ob die Atmosphäre meine Stimmung wiedergäbe, füllte sich die Luft mit einem fauligen, mülligen Gestank. Was war das nun wieder?

Ich kehrte Neel und seinen spöttischen Augen den Rücken zu und wandte mich an den schönen Lal. »Ob ich bereit bin? Bereit wofür?«

Aber der Junge in Rot gab keine Antwort. Stattdessen zog er sein Schwert – das plötzlich überhaupt nicht mehr aussah wie ein Teil seines Kostüms. Es sah glänzend aus. Und scharf. Ehe ich reagieren konnte, packte er mein Handgelenk und versuchte mich aus dem Haus und zu sich zu reißen.

Wenn ich nicht so abgebrüht wäre, wie ich das nun einmal bin (ich war schon fünfmal in Manhattan und bin zweimal mit der U-Bahn gefahren), hätte ich vielleicht den Fehler gemacht zu glauben, das sei eine Art wahr gewordener Traum. Aber ich bin ein Mädchen aus Jersey und Mädchen aus Jersey sind nicht blöd. Ich wusste genau, egal, wie gut einer aussieht, deswegen darfst du ihn noch lange nicht an dir rumgrabbeln lassen. Echt, ich hab schon eine Menge Fernsehfilme gesehen und diese Serienmörder sehen immer total gut aus.

»Fass mich nicht an!«, sagte ich mit meiner lautesten Angreifer-Abwehr-Stimme. Jeder Muskel und jeder Nerv in meinem Körper war angespannt – kampfbereit. Ich schüttelte den Typen ab, wich ins Haus zurück und hob das Tablett, um es ihm auf seinen hinreißenden Schädel zu knallen, wenn nötig.

»Das da, liebste Herrin«, antwortete Lal endlich. »Seid Ihr bereit dafür?« Er zeigte auf etwas hinter mir.

Und dann ging mir auf, dass Lal nicht meine einzige Sorge war.

Jemand im Kostüm eines zähnefletschenden Monsters war durch die halb offene Küchentür gebrochen. Der Kerl war mindestens drei Meter groß und hatte grünschwarze warzige Haut, gewaltige Hörner, Hauzähne und Knopfaugen, die er zusammenkniff, als ob er in diesem Licht nicht gut sehen könnte. Er sabberte einen Bach aus dicker Spucke auf Mas sauberen Boden. Das Kostüm war beängstigend gut. Zu gut. Meine Hand öffnete sich und etliche Süßigkeiten rutschten zu Boden. Neel schnappte das Tablett, ehe es nach unten krachte.

Mein Herz hämmerte so laut in meinen Ohren, dass Lals nächste Worte aus weiter Ferne zu kommen schienen.

»Das ist ein Rakkhosh, Herrin! Und der will Saures, fürchte ich, nicht Süßes.«

Ein Rakkhosh. Ein Rakkhosh? Nicht jemand, der sich verkleidet hatte, sondern ein echter Dämon – wie aus einem von Babas Märchen entsprungen? Hier vor mir, in meiner Küche, in Parsippany, New Jersey?

Ich versuchte zu schreien, aber vor mir verschwamm alles, wie auf einem dieser Gemälde von schmelzenden Uhren. Meine Knochen waren Sirup.

Das Monster warf sich blind in der Küche herum, riss mit seinen rasierklingenscharfen Krallen die Kühlschranktür weg, zertrampelte mit seinen riesigen Füßen die Schränke. Es hielt sich ein wenig gebückt, aber seine Hörner kratzten Löcher in die Decke, und Gips rieselte in seine ohnehin zusammengekniffenen Augen.

»Meine Eltern haben mir verboten einen Rakkhosh ins Haus zu lassen«, hörte ich mich quieken.

Der Dämon warf Essteller ein wie Popcorn. Dann fingt er an, auf dem noch immer eingestöpselten Toaster herumzukauen, woraufhin nach allen Seiten Funken aufstoben.

»Ich sag Euch das ja nur ungern, aber jetzt ist es zu spät!« Neel zog ebenfalls sein Schwert, sah aber weniger besorgt aus als sein Bruder. Er füllte sich die Taschen mit den Süßigkeiten, die auf den Boden gefallen waren.

Ich konnte mir gerade noch meine Geburtstagskarte mit dem Geld und der Landkarte schnappen und in meine Stiefel schlüpfen, dann schoben mich die Brüder aus dem Haus. Das Letzte, was ich sah, ehe sie die Tür hinter sich zuknallten, war der Dämon, der sich meine Vitaminbonbons in den riesigen Schlund schüttete.

Endlich schrie ich los.

»Meine Mom wird mich umbringen!«

KAPITEL 4

Ein Dämon im Vorgarten

Danach wurde alles noch viel seltsamer.

Das Erste, was ich draußen sah, waren zwei geflügelte Pferde, die in einer Ecke des Vorgartens standen und an den wenigen einsamen Grasbüscheln herumkauten, die Baba nicht gekillt hatte. Eins war mittelgroß und hatte schneeweiße Flügel, das andere war größer, sah gefährlich aus und hatte rabenschwarze Federn. Die Flügel waren muskulös und breit und an der Stelle befestigt, wo du dir ihre Schultern vorgestellt hättest. Beide Pferde scharrten in der Nähe von Babas Schlangengrube im Boden. Sie wieherten nervös. Offenbar konnten auch sie Schlangen nicht leiden.

Ein paar von den kleinen Halloween-Kindern auf dem Bürgersteig starrten die geflügelten Pferde an. Sie kicherten und zeigten darauf, aber ihre Eltern ignorierten die Tiere – als ob die Pferde mit einer Art Erwachsene-können-mich-nicht-sehen-Zauber belegt wären. Während die Eltern mit ihren kleinen Gespenstern, Feuerwehrleuten und Kobolden an der Hand vorübergingen, blieb eine Gruppe von Highschool-Kids, die als Punk-Zombie-Rocker verkleidet waren, vor dem Haus stehen. Sie glotzten die geflügelten Pferde an, als wären sie nicht so ganz sicher, was sie da sahen.

»Scharfes Kostüm, Mann«, rief ein Junge mit Wimperntusche und einem Nasenring. »He, wer ist da drinnen?«, brüllte er dann in die Nase des weißen Pferdes.

»Gebt unsere Pferde frei, edler Herr!«, schrie Lal, als Nasenring versuchte dem Hengst eine der mitternachtsschwarzen Federn aus dem Flügel zu rupfen.

Die Punk-Rocker-Zombie-Jungs prusteten los. »Seht euch mal den Loser an! Was für ein Aufzug! Total daneben!«

Lal blieb vor den Jungen stehen und wurde so rot wie sein Turban. »Ihr ruchlosen Hyänen!«

»Das reicht jetzt aber mit der geschniegelten Sprache«, glaubte ich Neel murmeln zu hören. Mit lauter Stimme rief er: »Lass doch, Lal!« Neel und ich waren inzwischen bei den Pferden und Neel schob mich auf den Rücken des schwarzen, das unter mir schnaubte und zappelte. »Wir haben jetzt dringlichere Sorgen!«

Die krachenden Geräusche aus dem Haus wurden lauter. Eine Sekunde lang dachte ich, wie entsetzt Ma über diese Verwüstung sein würde, wenn sie nach Hause kam. Aber dann fiel mir ein, dass ich keine Ahnung hatte, wo sie und Baba steckten. Hatte der Rakkhosh sie geholt, ehe ich gekommen war? Was hatte Ma da noch geschrieben? Etwas über einen Schutzzauber, der an meinem Geburtstag gebrochen worden war? Passierte das alles denn wirklich? Mein Magen krampfte sich zusammen und ich merkte, dass meine Tränendrüsen sich verdächtig verhielten, aber dann schärfte ich mir sofort ein: Heulen ist was für Hasenherzen.

Lal steckte sein Schwert weg und krempelte sich die Ärmel hoch. Er umkreiste Nasenring mit erhobenen Fäusten, wie ein altmodischer Boxer. »Wir sind die Prinzen Lalkamal und Neelkamal – Gäste in eurem Land aus dem Königreich hinter den Sieben Ozeanen und den Dreizehn Flüssen. Du hast uns beleidigt und ich muss Genugtuung verlangen.«

Prinzen? Auf Mas Zettel stand etwas darüber, dass ich Prinzen vertrauen sollte. Allerdings hatte ich eh schon beschlossen den Jungen zu vertrauen – sowie ich erkannt hatte, dass sie vermutlich keine Serienmörder waren. Warum sollte ich sonst auf dem Rücken eines geflügelten Pferdes sitzen und darauf warten, dass Lal sein Duell gegen einen Teenager-Zombie ausfocht?

Das Pferd unter mir wieherte und stampfte mit den Hufen, und ich war dankbar dafür, dass Neel die Zügel fest in der Hand hielt. Aber Lal achtete nicht auf uns.

»Du bist unbewaffnet, deshalb fordere ich dich zu einem Faustkampf heraus. Zu einem Kampf Mann gegen Mann.«

Lals dunkle Augen funkelten seinen Widersacher an, als ob er nichts Besseres zu tun hätte, als gegen einen Highschool-Typen zu kämpfen, der sich die Wimpern tuschte. Lal sah zwar ungeheuer gut aus, aber was er da tat, war nicht so furchtbar durchdacht, das musste ich doch zugeben. Und warum redete er wie ein altmodischer Held, wo sein Bruder das doch nicht tat? Es war so, als ob er die Filmversion eines Prinzen spielte. Wahrscheinlich würde jeden Moment ein kitschiger kleiner Funke an seinem Vorderzahn aufblitzen. So ungefähr: *bling*

»Hallo? Könnten wir uns mal in Bewegung setzen? Wir werden schließlich von einem Dämonen gejagt«, murmelte ich. Neel sah mich von der Seite her an.

»Haooo, maooo, khaooo!« Der Krach im Haus wurde jetzt noch lauter und ich hörte die Schreie des Dämonen sehr dicht hinter der Eingangstür. Die Pferde traten nervös von einem Huf auf den anderen und wieherten, und ich hielt mich, so gut es ging, fest, ließ aber Lal und dessen Gegner nicht aus den Augen.

»Mann, das ist ja ein verdammt guter Spukhaus-Soundtrack.« Ein paar von den Highschool-Knaben sahen nervös aus und traten den Rückzug an.

Nur Nasenring blieb. Er hustete würgend und spuckte Lal vor die Füße. Der Speichelklumpen hing an einem einsamen Grashalm und funkelte wie ein ekliger Juwel.

»Ich verlange Genugtuung!«, schrie Lal. Er umkreiste den Jungen und hatte die Fäuste noch immer erhoben. So lächerlich er sich auch verhielt, der Zorn machte Lal noch zum Dahinschmelzen schöner. Während ich mir den Augenschmaus mit Lal-Aroma reinzog, schwang Neel sich vor mir auf das immer unruhigere schwarze Pferd.

»Festhalten«, befahl er mir über seine Schulter hinweg. »Ich wette, du kannst nicht reiten, und ich will nicht, dass du runterfällst und zum Pfannkuchen wirst.«

Meine Haut prickelte, weil Prinz Neel mir so nahe war. Nicht nur, weil er ein Junge war und weil ich vermutlich noch nie so nahe bei einem Jungen gesessen hatte, sondern auch, weil er ein Widerling war. Ein Junge, der sich noch toller fand als eine Packung Samosas.

»Warum kann ich nicht mit Lal reiten? Der ist bestimmt viel höflicher.«

»Aber klar ist er höflicher – und königlicher noch dazu.« Neel hob eine dunkle Augenbraue. »Aber verlass dich lieber darauf, dass ich der bessere Reiter bin.«

Würg! Ein Widerling mit Super-Ego! Ich wollte schon eine passende Antwort losfeuern, als ich ein Krachen hörte – wie ein Eisberg, der von einem Gletscher bricht.

Ich schaute gerade noch rechtzeitig auf, um die gesamte vordere Hausmauer einstürzen zu sehen. Das Pferd schlug mit den Flügeln und bäumte sich vor Angst auf. Es blieb mir nichts anderes übrig, als voller Todesangst Neels Taille zu umklammern.

»Wir müssen los, Brüderchen!«, brüllte Neel. Er konnte sein Pferd nur mit Mühe auf dem Boden halten.

Der Rakkhosh zerfetzte die Mauer meines Hauses wie ein Papiertaschentuch und schnappte sich einen Pfeiler der Veranda. Dabei fielen ihm Steine und Mörtel auf die Schulter, aber er wischte sie weg wie Regentropfen. Als seine Knopfaugen endlich das andere Ende des nicht vorhandenen Rasens erfassten, stapfte der Dämon in unsere Richtung los und schwang den Pfeiler über dem Kopf wie eine Keule. Bei jedem Schritt bebte der Boden.

»Mama!« Nasenring hatte sich schon auf die Straße gerettet und rannte jetzt in gewaltigem Tempo hinter seinen bereits verschwundenen Kumpels her.

Links von mir ertönte ein hohes Stimmchen. Oh nein!

»Kuck mal das unheimliche Monsterkostüm, Daddy!« Eine kleine Nixe näherte sich mit ihrem Vater dem Haus.

»Weg da!«, brüllte ich den Vater an, weil ich ziemlich sicher war, dass er den Rakkhosh nicht sehen konnte.

Der Mann stand wie erstarrt, als ob er losstürzen wollte und nicht so genau wusste, warum. Ich brüllte ihn noch einmal an, und durch irgendeinen Instinkt packte er seine Tochter und rannte den Bürgersteig entlang. Das lächelnde Gesicht der Kleinen tauchte immer wieder über der Schulter des Vaters auf, das Diadem hing ihr schief auf dem Kopf. »Aber ich will sehen, wie das Monster den Prinzen frisst, Daddy!«

Lal achtete nicht auf den Rakkhosh, der mit jeder Sekunde näher kam. Stattdessen schüttelte er hinter der immer kleiner werdenden Gestalt von Nasenring die Faust.

»Lauf, du hasenherzige Hyäne! Fliehe vor meinem Zorn!«

Trotz des riesengroßen Dämonen, der fast gefressenen kleinen Nachbarin, trotz eines panischen Pferdes und eines unhöflichen Mitreiters, über die ich mir Sorgen machen sollte, bemerkte ich doch, dass einige dunkle Locken unter Lals Turban hervorgerutscht waren. *seufz*

Der näher kommende Rakkhosh sabberte jetzt dermaßen, dass er Fäden aus schaumigem Schleim über die Baumstümpfe und kahlen Sträucher um ihn herum verteilte. Er starrte Lal an und leckte sich die Lippen.

»Stinkesocken, sabber, kreisch!«, kreischte der Dämon. »Ich rieche, rieche Menschenfleisch!« Und auf seinen Armen und seiner Nase stellten sich die Borsten auf.

Wow. Rakkhosh können ja wirklich reimen!, dachte ich überrascht, ehe sich mein Gehirn meinem unmittelbar bevorstehenden Tod und dem Zerreißen meiner Glieder zuwandte, wie es ja auch angebracht war.

Schön oder nicht, dieser königliche Spinner würde unser aller Tod sein. Vertrau den Prinzen, hatte Ma gesagt, aber vorher mussten wir überleben.

»Na los, Lal«, schrie ich. »Weg hier!«

Das weiße Pferd hatte ebenso große Angst wie das schwarze. Es hatte die Augen weit aufgerissen und stieß in lauten Stößen Atem durch die Nase. Aber ohne Lal würde es hier nicht weggehen. Das treue Tier breitete die Flügel aus und machte einige Schritte auf seinen Herrn zu. Es schüttelte die Mähne, wie um ihn zum Aufsteigen aufzufordern. Das schwarze Pferd, das Neel und mich trug, zitterte und bockte, sodass Neel es kaum unter Kontrolle hatte.

Die schwarze Zunge des Dämonen kullerte zwischen seinen Hauzähnen hervor. »Wie wird er schreien, wie wird er stöhnen, doch ich kann mich mit den Prinzenknochen verwöhnen!«

»Echt?«, fragte Neel nachdenklich. »Ein besseres Versmaß schafft er nicht?«

Die Pferde wieherten ängstlich und warnend.

»Lal!«, schrie ich. Die Fingernägel des Rakkhosh waren nur Zentimeter von seinem Kopf entfernt.

Aber in diesem Moment tat Prinz Lal etwas, das auf der Richterskala der Blödheit ziemlich weit oben rangiert. Er stieß sich von einem Baumstamm ab, machte in der Luft einen olympiareifen doppelten Salto, landete auf dem Kopf des Dämonen und packte dessen Hörner wie den Lenker eines Motorrades.

»Mir scheint, guter Mann, du brauchst eine Diät!«, verkündete Lal. Er versuchte das Monster mit seinem Schwert zu erstechen, doch die dicke Haut des Rakkhosh sorgte dafür, dass die Klinge nicht sehr weit vordrang.

»Der Prinz hier ist ’ner Fliege gleich!«, rief der Dämon und schlug nach Lal. »Mir scheint, bald ist er eine Leich!«

»Willst du ihm nicht helfen?«, blaffte ich Neel an. Der saß einfach nur vor mir und sah sich das Schauspiel an.

»Ach was, der will doch nur protzen.« Neel griff in seine Tasche und warf noch ein paar von Mas Rasgullas ein.

Ich schrie auf, als die Faust des Monsters Lals Kopf traf. Der Prinz sackte bewusstlos vornüber und fing dann an vom Hals des Rakkhosh zu rutschen. Nur seine rote Schärpe, die sich in den Dämonenhörnern verfangen hatte, rettete ihn davor, auf den Boden zu stürzen. Jetzt hing Prinz Lalkamal kopfunter an dem um sich schlagenden Monster und sein perfektes Gesicht war totenstill.

Und dann, ich weiß nicht, was zum Henker in mich gefahren war, passierte Folgendes:

»Na, wenn du deinem Bruder nicht helfen willst, mach ich das eben!« Ich stieß mich von Neels Rücken ab, glitt von dem dunklen Pferd und rannte auf den Rakkhosh zu. Leider reichte ich dem Monster nur bis zur Taille. Ich packte Lals Schwert, das aus seinen schlaffen Händen gefallen war, und rammte es dem haarigen Dämonen in den Fuß.

»Lass ihn los, du Mundgeruchsmonster!«

Irgendein Instinkt riet mir, das Schwert in die weichen Stellen zwischen den Zehen des Dämonen zu bohren. Ich hatte Angst, aber ich spürte, dass außer Panik noch etwas anderes durch meine Adern strömte. Etwas Mutiges und Starkes und Starrköpfiges. Als ob ich mein Leben lang schon gegen Rakkhoshi gekämpft hätte, statt Limoflaschen und Wunderbäume zu zählen.

»Prinzessin riecht nach leckrem Schnitzel!«, fauchte der Dämon. »Hör auf! Hör auf! Ach, wie das kitzelt!«

Ich merkte, wie das Monster nach meiner Kapuze griff. »Lass ja meinen Lieblingspulli heil, du sabbernde Kröte!« Doch als mich der Rakkhosh dann hochhob, hörte ich, wie prompt der Stoff einriss.

Ich baumelte drei Meter über dem Boden an den Fingern des Monsters – und Lal, der noch immer bewusstlos war, hing ganz in meiner Nähe. Strampelnd schwang ich mein Schwert in einem wilden Bogen.

»Hierher, Pferdchen! Fang deinen Herrn auf!« Ich zerschnitt Lals verwickelte Schärpe. Der bewusstlose Prinz stürzte Richtung Boden.

Zum Glück war das Monster zu sehr mit mir beschäftigt, um sich Gedanken über Lal zu machen, und zu kurzsichtig, um mitzukriegen, dass das geflügelte Pferd hochsprang und Lal auf seinem schneeweißen Rücken auffing.

»Gut gemacht, Schneeweißchen!« Ich hätte schwören können, dass das Pferd mich anlächelte, als es zurück zu Neel flog, der mit seinem schwarzen Pferd noch immer am anderen Ende des Rasens wartete.

Als der Rakkhosh mich zu seinem Gesicht hochhob, fiel es mir schwer, bei diesem Mundgeruch nicht das Bewusstsein zu verlieren. Ich hielt den Atem an, zielte mit dem Schwert auf das winzige blutunterlaufene Auge und stieß mit aller Kraft zu. Leider stand Schwertkampf nicht auf dem Lehrplan der Alexander Hamilton Middle School und ich zielte nicht so ganz perfekt. Voller Entsetzen verfolgte ich, wie sich Lals Waffe mitten in der klumpigen Nase des Monsters niederließ, was dazu führte, dass gelbe Ströme von Rakkhosh-Rotz aus beiden Nasenlöchern schossen.

»Kotz!«, schrie ich, als sich die Nasenhöhlen des Monsters über mir entleerten. »Neel, ein bisschen Hilfe wäre jetzt jederzeit durchaus willkommen!«

Wenn möglich, sah das Monster nun noch wütender aus. »Prinzessin fies, wird trotzdem munden! Gleich werd ich’s aller Welt bekunden!«

Ich war erledigt – verlassen von meinen Eltern, überströmt von Rakkhosh-Rotz und kurz davor, gefressen zu werden. Das war der schlimmste Geburtstag aller Zeiten!