Das Spiel der Dämonenjäger (Kiranmalas Abenteuer 2) - Sayantani DasGupta - E-Book
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Beschreibung

*** Weltenretterin in Sari und Silberglitzer-Springerstiefeln ***  Kiran ist sauer. Da rettet sie als frischgebackene indische Prinzessin mal eben ein Paralleluniversum und kaum sitzt sie wieder in der Highschool, herrscht Funkstille bei ihren Freunden aus der anderen Dimension. Dann taucht ausgerechnet die mächtig stinkige Dämonenkönigin auf, Kiran kriegt einen Notruf via Intergalaxie-TV und somit ist glasklar: Ihre Magie wird gebraucht! Kiran muss zurück und das Universum retten – schon wieder. Denn eine galaktisch-gruslige Gameshow bringt alles aus dem Gleichgewicht. Und jeden in Gefahr.  Band 2 der Serie »Kiranmalas Abenteuer«. So abenteuerlich-abgedreht, so Bollywood-bunt und so schnoddrig-cool wie DAS GEHEIMNIS DES SCHLANGENKÖNIGS!

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Sayantani DasGupta: Das Spiel der Dämonenjäger

Aus dem Englischen von Gabriele Haefs

 

Neue dämonengefährliche Abenteuer aus dem Königreich Dahinter

 

Kiran ist sauer. Da rettet sie als frischgebackene indische Prinzessin mal eben ein Paralleluniversum und kaum sitzt sie wieder in der Highschool, herrscht Funkstille bei ihren Freunden aus der anderen Dimension. Dann taucht ausgerechnet die mächtig stinkige Dämonenkönigin auf, Kiran kriegt einen Notruf via Intergalaxie-TV und somit ist glasklar: Ihre Magie wird gebraucht! Kiran muss zurück und das Universum retten – schon wieder. Denn eine galaktisch-gruslige Gameshow bringt alles aus dem Gleichgewicht. Und jeden in Gefahr.

 

Band 2 der Serie »Kiranmalas Abenteuer«. So witzig, aufregend und cool wie Band 1, »Das Geheimnis des Schlangenkönigs«!

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  Leseprobe

 

Für die in der Diaspora Geborenen –

Ihr, die ihr Universen überschreitet, mühelos die Codes wechselt,

wie auf Kometenrücken zwischen Dimensionen herumschwirrt.

 

Und für meinen Sohn und meine Tochter –

geboren an einem neuen Ort, in einer neuen Zeit, die zur Welt gehören

und die meine Welt sind, meine Galaxis, mein Multiversum.

 

Ihr seid die Helden, auf die wir gewartet haben.

KAPITEL 1

Eine Dämonin in meinem Zimmer

Als die Dämonenkönigin zum ersten Mal in meinem Schlafzimmer auftauchte, versuchte ich, sie mit meiner Sonnensystem-Nachttischlampe zu enthaupten.

Ich schlief gerade tief und fest, wurde aber von einem irrsinnigen Summen geweckt. Dann nahm ich diesen ranzigen, rülpsigen, ätzenden Geruch wahr, den ich seit meinen Abenteuern im Königreich hinter den Sieben Ozeanen und Dreizehn Flüssen im vergangenen Herbst mit der Rakkhoshi in Verbindung brachte. Sowie ich die Augen aufmachte, sah ich ihre Umrisse: spitze Krone auf ihrem riesigen Kopf, scharfe Hörner, die aus ihren dunklen Haaren hervorlugten, und gemeine Krallen an ihren langen Händen. Und als ob das nicht schlimm genug wäre, hatte die Dämonin noch einige riesige, fies aussehende Bienen mitgebracht.

Ich fischte nach meinem magischen Köcher und Bogen unter dem Bett, aber als meine Hand ins Leere griff, fiel mir ein, dass ich beides in meinem Schließfach in der Schule gelassen hatte. Deshalb schob ich meine Finger durch die Ringe des Plastiksaturn, riss meine alte Nachttischlampe aus der Steckdose und schleuderte das gesamte Sonnensystem wie einen fliegenden Diskus voll gegen den Kopf der Rakkhoshi-Rani.

Leider schafften es die Sonne und die um sie kreisenden Planeten nicht, die Dämonenkönigin zu treffen. Zu meinem Entsetzen segelte das komplette Sonnensystem ganz einfach ungebremst durch ihren mit einem Sari bekleideten Leib, der irgendwie durchsichtig war, und landete krachend auf der Prinzessin-Pretty-Pants™-Kommode. Die war Teil des echt schlimmen Prinzessinnen-Schlafzimmers, das meine Eltern mir gekauft hatten, als ich so etwa sechs gewesen war.

»Mal ehrlich, Mondmädchen! Begrüßt man so die Mutter eines alten Freundes?« Die Fangzähne der Rakkhoshi funkelten im Mondlicht, das durch mein vorhangloses Fenster strömte. Während sie das sagte, flogen Bienen aus ihrem Mund. Es war, als ob die Insekten die Wörter auf ihren Flügeln trügen. Die Rakkhoshi streckte die Krallenhand zu der abgestürzten Nachttischlampe aus und ließ den Kunststoff mit einem Knall explodieren.

»Aufhören!« Ich sprang aus dem Bett und leerte das Glas Wasser von meinem Nachttisch über der Stelle aus, an der mein kaugummirosa Bettvorleger in Flammen stand. Aber das brachte kaum etwas. Ich wich superschnell zurück, als die Bienen, die den Kopf der Dämonin umschwirrten, ihre wirbelnden Flugmuster zu beschleunigen schienen.

»Du wirst noch das ganze Haus abfackeln!« Der Gestank von brennendem Kunststoff ließ mich würgen, während Merkur und Venus sich vor meinen Augen in Oobleck verwandelten.

»Spielverderberin!«, sagte die Dämonenkönigin gelangweilt. Aber sie beugte sich vor, hauchte einen eisigen Windstoß auf die brennenden Planeten – einen winzigen Hagelschauer – und hinterließ dann ein verkohltes und stinkendes Sonnensystem auf meinem Schlafzimmerboden.

Also, im Film sieht es ja immer toll aus, wenn man zur Heldin wird. Es geht dann alles darum, deine innere Tapferkeit zu finden und dein Schicksal anzunehmen, gegen Monster zu kämpfen und die Unschuldigen zu retten. Wenn ihr Glück habt, bekommt ihr euren eigenen Titelsong, ein cooles, Sprüche klopfendes Hilfstier oder eine Clique aus heroischen Freunden, die euch bei euren umwerfenden Abenteuern zur Seite stehen. Aber bei mir lief es eben nicht so.

Beim letzten Halloween, als ich feststellte, dass ich nicht einfach eine normale Schülerin aus Parsippany, New Jersey, war, sondern eine interdimensionale indische Prinzessin mit dem Schicksal, Dämonen und Monster zu bekämpfen (wie meine Eltern es mein Leben lang angedeutet hatten), war ich kurz vor der Verzweiflung. Ich hatte immer schon eine Allergie gegen diese üblichen rosa Tutu-Prinzessinnen gehabt – die kotzsüße Prinzessin Pretty Pants™ war das beste Beispiel dafür –, aber es stellte sich heraus, dass ich durchaus damit leben konnte, eine Kriegerprinzessin zu sein. Ich hatte gedacht, dass ich mindestens einmal pro Woche zum Dämonen-in-den-Hintern-Treten antreten würde, zusammen mit meinem Hilfstier, dem sprechenden Vogel Tuntuni, und meinen neuen Freunden, also den Halbbrüdern Prinz Lal und Prinz Neel und meiner Adoptivkusine Mati. Es störte mich nicht einmal, dass ich keinen Titelsong hatte. Nicht sehr jedenfalls.

Aber als ich aus dem Königreich hinter den Sieben Ozeanen und Dreizehn Flüssen nach New Jersey zurückkam, gab es absolut keine heroischen Höhepunkte mehr. Ich musste mein wahres Ich geheim halten, eine Menge verpasste Hausarbeiten aufholen und in mein langweiliges Leben zurückkehren, was bedeutete, der Schultyrannin Jovi aus dem Weg zu gehen und die Bestände im Lebensmittelladen meiner Eltern zu inventarisieren. Es gab keinen Ruhm, keinen Fanclub, keine Actionfigur mit biegsamen Armen und Karatetritt-Beinen, die aussah wie ich. (Ich hatte wirklich auf eine Actionfigur mit biegsamen Armen und Karatetrittbeinen, die aussah wie ich, gehofft.) Und das Schlimmste war, dass meine neuen Freunde aus dem Königreich Dahinter mich eiskalt fallen ließen wie einen Dämon mit Mundgeruch. Ich weiß ja, dass die intergalaktische Telefonverbindung bestenfalls eine Katastrophe ist – aber meine Freunde hatten mich auch nicht besucht oder ein fliegendes Pferd mit einer Nachricht geschickt oder irgendwas. Seit Monaten!

Als nun also Neels Mutter, die Dämonenkönigin, anfing, mich im Schlaf heimzusuchen, nahm ich an, das sei meine Art, mit der Tatsache fertigzuwerden, dass meine Freunde mich aufgegeben hatten. Es war schließlich nur ein seltsamer, immer wiederkehrender Albtraum. Ein seltsamer, immer wiederkehrender Albtraum, in dem ich in einem Schlafzimmer in einem Vorort in New Jersey von einem fleischfressenden Rakkhosh-Monster und ihrem persönlichen Schwarm von giftigen Insekten heimgesucht wurde. Nicht der Rede wert.

»Du bist nicht echt«, sagte ich zu dem fleischfressenden Rakkhosh-Monster. »Du bist gar nicht wirklich hier.«

»Ach, ich hau dir gleich eine rein, du ungläubiger Holzkopf!« Die Dämonenkönigin rieb sich mit der Hand über die Brust und blies einige Bienen aus ihrer Nase. »Ich sag dir, was echt ist – dieses Sodbrennen! Dieser Speiseröhrenreflux! Ich würde meinen rechten Hauzahn für eine Kautablette gegen Magensäure geben!«

»Das hier passiert überhaupt nicht.« Ich blinzelte und versuchte, mich selbst aufzuwecken. »Ich bilde mir alles ein.«

Die Dämonin rülpste. Laut. Die Bienen summten noch lauter. »Du Mondkalb hast doch nie im Leben genug Fantasie, um dir so was auszudenken wie mich!«

In der Hoffnung, sie zu überrumpeln (nur für den Fall, dass das alles doch nicht nur ein Albtraum war), stürzte ich mich mit wildem Geheul auf die Rakkhoshi. Aber die gähnte bloß und ließ mich mitten durch ihre nebelhafte Gestalt fliegen.

Ich knallte auf die Kommode und ein Krönchen-Schubladenknauf bohrte sich in meine Stirn. »Ich hab gewusst, dass du nicht echt bist!«

»Ach, pfui über deinen unterentwickelten Schädel, du erbsenhirnige Baumziege!« Die Königin stocherte sich mit einem langen Fingernagel zwischen den Zähnen. »Hör mal, ich muss dir etwas Wichtiges sagen. Es ist eine Sache von Leben und Tod. Und es geht um …«

»Was?«, rief ich vom Boden her.

»Uff!« Die Dämonin machte ein Würgegeräusch und griff sich an die Kehle, als ob sie nicht genug Luft bekäme. »Uf! Iiisch!«

Ihr Bild flackerte, wie bei einem defekten Film. Die Bienen umwirbelten sie. Und dann waren sie allesamt verschwunden.

So ging es Nacht für Nacht. Die Rakkhoshi-Rani tauchte auf in ihrer stinkenden, aber durchsichtigen Gestalt, zusammen mit ihrer Leibgarde aus Insekten. Zuerst beleidigte sie mich, dann versuchte sie, mir etwas zu sagen, wurde aber von irgendeiner unsichtbaren Kraft daran gehindert. Und danach verschwand sie.

»Unterwasserfestung«, sagte sie eines Nachts.

»Geflügelter Schlüssel«, brachte sie beim nächsten Mal heraus.

»Nur ein Atemzug«, sagte sie ein weiteres Mal.

Bssss, Bssss, sagten die Bienen und wirbelten um die Lippen und die Haare der Dämonenkönigin herum. Und echt, sie machten mir die totale Gänsehaut. Und das sage ich als eine, die mal mit einer Bande fieser schleimiger Schlangen in einer unterseeischen Schlangenhöhle gefangen war.

Wenn die Dämonin tatsächlich real gewesen wäre, hätte ich angenommen, dass das alles irgendein Trick sein sollte. Aber da sie ja auf keinen Fall real sein konnte, hieß das wohl eher, dass ich vor dem Schlafengehen nicht mehr so viele unerlaubte Schokoplätzchen in mich reinstopfen sollte. Denn, Himmel, das war ein superkomischer Traum. Immer, wenn wir zu der Stelle kamen, wo sie mir ihr Geheimnis anvertrauen wollte, öffnete die Rakkhoshi den Mund und bewegte die Lippen. Sie griff sich an die Kehle. Ihr Mund klappte auf, aber es kamen nur Bienen heraus – kein Ton. Danach fing ihr Bild an zu flackern und verschwand schließlich ganz und gar.

In einer Nacht hat sie es immerhin geschafft, eine Art Rätselgedicht herauszuwürgen, allerdings eines, das beim ersten Hören nicht den geringsten Sinn ergab:

Elladin, Belladin, milchweißes Meer

Wo nimmst du Unsterblichkeit her?

Sterne, Ewigkeit, Edelsteine

Leben und Tod in Gleichgewicht vereine.

Mein Herz in Ketten, wo meine Seele singt

Ein Bienenflügel-Schlüssel die Freiheit bringt.

Die Hülle knackt des Vaters Zahn

Bescheidenheit steht dir wohl an.

Feuer, Wasser, Luft und Land

Rakkhosh-Wesen reichen dir die Hand

Ohne Dunkel versagt das Licht

Helden und Monster fluchen erpicht.

Elladin, Belladin, honiggoldnes Meer,

Wo nimmst du Unsterblichkeit her?

»Was soll das denn bedeuten? Und was hat es mit diesem Elladin-Belladin-Kram auf sich?«

»Ach, diese Speicheldrüsenqual! Diese gasige Gallenblase!«, stöhnte die Königin. »Versuch, zwischen den Zeilen zu hören, Khichuri-Gehirn!«

»Versuch ich ja!« Es war schwer, gegen sein eigenes Hirngespinst ein Streitgespräch zu gewinnen. »Wenn ich dein Rätsel löse, lässt du mich dann in Ruhe?«

»Ach, die Gedärmpein deiner Einfalt!« Die Rakkhoshi wurde so groß, dass ihre Krone an meiner Zimmerdecke kratzte. Sie ließ aus ihren Ohren und ihrer Nase grünen Rauch entweichen und schickte noch ein paar Bienen-Rülpser hinterher, wie eine Laktose-Intolerante, die gerade einen Käseburrito mit einem Dutzend Milkshakes hinuntergespült hat. »An allem ist dieser Idioten-Junge Lal schuld! Und Sesha, dieser schlangige Versager! Und vor allem mein Exgemahl, dieses jämmerliche Radscha-Abziehbild!«

Die Dämonenkönigin war dermaßen außer sich, dass sie mich an etwas erinnerte, das meine beste Freundin Zuzu und ich in einem der kitschigen Selbsthilfebücher ihrer ältesten Schwester gelesen hatten, und zwar in Das Chakra deines gebrochenen Herzens heilen: eine Anleitung in 17,5-Schritten. (Zuzus Schwester Athena hatte eine Menge solcher Bücher, denn sie hatte eine Menge Erfahrung mit gebrochenen Herzen. Sie war darin fast ein Profi.)

»Du bist also einfach eine Manifestation meines wütenden Unterbewusstseins, die mir erzählt, ich müsste mich meiner … äh … emotionalen Isolation stellen?«, fragte ich und versuchte, mich an den genauen Wortlaut des Buches zu erinnern.

»Dich wawawas zu stellen?«, schrie Neels Mom. »Komm mir nicht mit deinem gefühlsduseligen Psychogefasel, du pupsige Puppe aus Parsippany! Oh, ich wusste ja, dass es ein Fehler war, dich aufzusuchen, du schwachsinniges kleines Mondreptil! Du willst einfach nicht begreifen, wie viel von dir abhängt, oder was?«

»Ich kann das gar nicht begreifen! Weil. Du. Nicht. Echt. Bist!«, brüllte ich so laut, dass ich davon geweckt wurde.

Als ich dann aber von der Toilette zurück in mein Zimmer kam, fielen mir unweigerlich die Kratzer an der Decke, die Gipsflocken auf meinem Bett, das halb geschmolzene Sonnensystem auf meiner Kommode und die verkohlte Stelle in meinem Teppich auf. Und es stank ganz schrecklich, als ob das Zimmer mit dem Lüftungsschacht einer Müllkippe verbunden wäre.

Aber das alles war einfach nur eine Mitten-in-der-Nacht-Einbildung. Vielleicht ein von Plätzchen verursachtes Schlafwandeln. Die Nachttischlampe war wohl so alt und ramponiert, dass sie mal eben eine spontane Selbstzündung hingelegt hatte. Und der Gestank war vermutlich eine Kombination von geschmolzenem Kunststoff und verschwitzten Turnklamotten, die ich noch irgendwo rumliegen hatte. Das versuchte ich mir jedenfalls einzureden.

Aber die Sache mit unterbewussten Träumen, die eigentlich gar keine unterbewussten Träume sind? Irgendwann kommen sie zurück und beißen dich ins Schokoplätzchen!

KAPITEL 2

Helden und Monster

Die Rakkhoshi-Königin hatte mich schon seit Wochen im Traum heimgesucht, als meine Mutter mich eines Sonntagabends aufschreckte, weil sie vollkommen außer sich schrie: »Kiranmala, komm schnell!«

Meine Nerven waren ohnehin nicht mehr die besten, nach all den nächtlichen Besuchen einer fleischfressenden Dämonin. Als ich also meine Mutter schreien hörte, musste ich mir doch das Schlimmste vorstellen. Ich stürzte aus meinem Zimmer und die Stufen des Zwischenstocks hinunter und riss den alten Kricketschläger meines Vaters aus dem Flurschrank.

»Nimm das, du Biiieeest!«, kreischte ich, rannte ins Wohnzimmer und schwenkte den flachen Kricketschläger in hohem Bogen.

Ich hatte vielleicht nicht mit der Rakkhoshi-Königin gerechnet, aber einen rotzstrotzenden Rakkhosh, der meine Eltern gerade angriff, hatte ich mindestens erwartet. Irgendein blutrünstiger Dämon, der an ihren Gliedern knabberte, in der Hoffnung, ihre Knochen als Zahnstocher verwenden zu können. Aber stattdessen erblickte ich einen lächelnden Baba, der an etwas herumspielte, das aussah wie ein kleines Raumschiff. Ma, die näher bei der Tür stand, bekam die Hauptwucht meines Angriffs ab. Zum Glück traf ich sie nicht richtig, aber ich schlug ihr das Aluminiumtablett aus den Händen, das sie vor sich hergetragen hatte. Die klebrig-süßen Teilchen, die sie offenbar gerade zubereitet hatte, flogen in sämtliche Richtungen und eines klatschte gegen meine Stirn.

»Liebling?« Der Schock meiner Eltern nahm mir den Wind aus meinen heldenhaften Segeln.

»Entschuldigung!« Ich wischte mir die zuckrige Stirn ab, dann machte ich mich nützlich und half Ma, die zermatschten Süßigkeiten aufzusammeln. »Ich bin wohl ein bisschen angespannt. Wo wir doch all diese intergalaktisch-dämonischen Einbrüche hatten und überhaupt.«

»Keine Sorge, Herzchen«, sagte Ma und schlug Babas Hand weg, als er versuchte, noch eins von den fluffigen weißen Teilchen zu essen, die vor ihm auf den Boden gefallen waren. »Wo die herkommen, gibt es noch mehr Chomchoms. Ich probiere ein neues Rezept aus.«

Ich brauchte nicht auf den Kalender zu schauen, um zu begreifen, dass Ma mir diese Leckereien am Valentinstag mit in die Schule geben wollte. Von den tropfenden Rasgullas und Sandeshs, die sie arglosen Süßes-sonst-gibts-Saures-Rufenden zu Halloween in die Hände drückte, bis zum Truthahn-Curry mit Preiselbeer-Chutney an Thanksgiving – Ma war die Königin der internationalen Küche zu nationalen Feiertagen. Egal, wie oft ich ihr erklärte, dass ich zu alt war, um Valentinssüßigkeiten mit in die Schule zu nehmen, und dass triefende bengalische Leckereien nicht in herzförmige Briefumschläge gehören, es drang nicht zu ihr durch. Es war besser, das Thema für den Moment ruhen zu lassen.

»Warum hast du denn so geschrien?«, fragte ich, als Ma endlich die klebrigen Stellen aus dem Teppich entfernt hatte. »Ich dachte, du bist in Gefahr!«

»Wir wollten dir sagen, dass die Dreizehn-Flüsse-Satelliten-Gesellschaft endlich die neue intergalaktische Fernbedienung geschickt hat!« Baba schwenkte das Raumschiff-Teil mit jeder Menge Hebeln, Knöpfen und seltsam aussehenden Schaltungen. »Wir können also wieder die Nachrichten aus dem Königreich Dahinter sehen.«

Meine Eltern waren zwar in eine neue Dimension ausgewandert, aber das war für sie kein Grund, unsere Familie nicht auf dem Laufenden zu halten, was die Nachrichten, Wetterberichte und Sportreportagen aus dem Königreich hinter den Sieben Ozeanen und Dreizehn Flüssen anging. Vor allem jetzt, wo ich das Geheimnis unserer Herkunft kannte. Aber das war nicht der Grund, warum mich Babas Mitteilung zum Lächeln brachte.

Als ob er meine Gedanken gelesen hätte, sagte mein Vater: »Vielleicht sehen wir dann einige von deinen Freunden aus dem Königreich Dahinter im Fernsehen! Die haben sich doch schon seit einer Weile nicht mehr gemeldet, oder?«

»Ist doch egal!« Ich versuchte, gleichgültig zu klingen, als ich mich zwischen meine Eltern auf das Sofa setzte. »Die haben sicher auch so genug zu tun.«

»Aber du willst doch bestimmt wissen, was der hübsche Prinz Neelkamal so treibt!« Ma wackelte auf unglaublich alberne Weise mit den Augenbrauen.

»Nein«, sagte ich eilig und merkte, dass mein Gesicht heiß anlief. »Warum sagst du das?«

»In deinem Alter wirst du eine Menge neuer Gefühle erleben«, sagte Ma mit Singsang-Stimme. »Vielleicht sollten wir beide mal darüber sprechen, was passiert, während du über den Pfad deiner Mädchenjahre wandelst und dann plötzlich im Garten deiner Weiblichkeit erblühst …«

In der Filmfassung meines Lebens wäre das der Augenblick, in dem die Handlung mit einem schrillen Kratzen der Schallplattennadel zum Stillstand käme, und ich würde in die Kamera blicken und einen kurzen ironischen Kommentar abgeben. Wie *kreisch*.

Aber na gut, von mir aus. Vielleicht hatte ich ja meine Zeit im Königreich Dahinter vor allem mit dem Halbdämon Prinz Neelkamal verbracht. Und vielleicht hatte ja dieser Neel versprochen, sich durch ein Wurmloch zu schleichen, um mit mir ins Kino zu gehen, und vielleicht war ich ja, also, nicht richtig, aber doch möglicherweise so halbwegs irgendwie in ihn verliebt. Aber es bestand nicht der geringste Grund, das laut zuzugeben. Ich meine, er war ja keiner von diesen Promi-Herzensbrechern, die Zuzu und ich uns auf Websites wie Tolle Typen tragen Trachtenhosen ansahen. (Echt, wer mag denn keine Bilder von berühmten Kerlen, die in kurzen Lederhosen mit Hosenträgern stecken und jodeln?) Aber bei meinen Gefühlen für Neel kam kein schriller Ziegenlockruf vor. Die waren das echte Leben. Und das machte die Sache seltsam, fast schon unheimlich.

Außerdem musste ich das Gerede meiner Mutter über Weiblichkeit und Gefühle und Blühen nun wirklich nicht haben. Ich meine, würg. Mein imaginärer Film setzte sich wieder in Bewegung und ich sagte: »Ich weiß, Ma! Ich weiß, was passiert. Das Blühen. Der Garten. Alles. Wir müssen darüber nicht reden.«

»Worüber müssen wir nicht reden?« Baba hatte nicht zugehört, weil er sich noch ein paar Chomchoms in den Mund gestopft hatte. Er war zudem abgelenkt von der komplizierten Fernbedienung, die ratternde Geräusche von sich gab und auch ein bisschen rauchte.

»Unsere Prinzessin wird erwachsen.« Ma wischte sich mit einem Zipfel ihres Saris eine Träne aus dem Augenwinkel.

»Nein, werde ich nicht!« Meine Stimme quiekte auf leicht peinliche Weise.

»Schon als wir dich in diesem Tontopf, der über den Fluss der Träume trieb, gefunden und dann adoptiert haben, wusste ich, dass dieser Tag kommen würde.« Ma schniefte auf eine stolze Weise und ich hätte einfach sterben mögen. »Wenn du irgendwelche Fragen über deine Gefühle hast, Liebling, oder über deinen Körper …«

»Du hast Verdauungsprobleme?«, wollte Baba wissen, der total missverstanden hatte, wovon Ma da redete. »Ich sag dir doch, Herzchen, du musst unbedingt regelmäßig Ballaststoffe zu dir nehmen.«

»Mit meiner Verdauung ist alles in Ordnung!«

»Warum schreist du denn so?« Baba sah Ma fragend an. »Stimmt was nicht mit ihrem Gedärm oder mit ihrem Gehör?«

Stopp! Ich liebe meine Eltern, aber manchmal kann ich sie einfach nicht ausstehen. »Könnten wir uns bitte auf die Fernsehsendung konzentrieren?« Ich zeigte auf den Bildschirm, der endlich zum Leben erwacht war.

Als wir im vergangenen November angefangen hatten, den Sender der Dreizehn Flüsse zu schauen, konnte ich kaum glauben, wie viel bizarre Werbung dort ausgestrahlt wurde. Zum Beispiel die für einen Energiedrink namens KiddiePow™, durch den Kinder garantiert die ganze Nacht wach blieben und zudem Haare auf der Brust bekamen. Dann gab es Mr Madan Mohans handgemachtes Schnurrbartöl™, das Produkt eines verrückten kleinen Krämers, der mir bei meinem ersten Besuch im Königreich Dahinter begegnet war. Er behauptete, das Öl würde jedem Benutzer und jeder Benutzerin, egal welchen Alters, einen Schnurrbart verpassen, der von einem Ende zum anderen länger war als besagte Person von Kopf bis Fuß. Und dann war da noch dieses eine Unternehmen, das in ganz vielen Dimensionen beliebt zu sein schien. Gerade wurde eine Werbung von ihnen gesendet.

»Wer ist das pinkste Mädchen im Land?«, schrie ein kleines Mädchen in einem rosigen Lehenga-Choli-Kleid und einem funkelnden Stirnreif. Sie war dermaßen aufgekratzt, als ob sie gerade sechs Flaschen KiddiePow™ und eine Schüssel Chomchoms geleert hätte.

»Prinzessin Pretty Pants!«, sang eine Gruppe von Mädchen hinter ihr. Jede hielt eine Prinzessin-Pretty-Pants™-Puppe in der Hand, aber anders als die Puppen in dieser Dimension konnten die aus dem Königreich Dahinter gehen, reden, kacken und sogar turnen.

»Stolziert, spaziert und stets charmiert?«, brüllte die überzuckerte Anführerin.

»Prinzessin Pretty Pants!«

»Niedlich und stinkt und umwerfend pink! Wer ist das?«

»Prinzessin Pretty Pants!« Die Mädchen und Puppen jubelten und schlugen Räder.

Das Bild erstarrte mitten in einem Rad und eine Sprecherstimme sagte: »Magische Batterien nicht im Preis inbegriffen. Prinzessin Pretty Pants Inc. und SK Industries übernehmen keine Verantwortung für irgendwelche Veränderungen des Selbstbewusstseins, die Sie bei der Verwendung dieses Produkts vielleicht erleben. Bei Auftreten von tief verwurzelten Unsicherheiten oder gesteigertem Anpassungsdruck an patriarchalische Weiblichkeitsbilder suchen Sie bitte anderswo Rat, nicht bei uns. Wir kehren jetzt zurück zum regulären Programm.«

Ehe das Bild auf das Studio des Intergalaktischen Nachrichtensenders überwechselte, sah ich jedoch etwas, dass ich am Ende der Prinzessin-Pretty-Pants™-Werbung bisher nie bemerkt hatte. Ein Logo, wie eine Schlange, die sich in den eigenen Schwanz beißt, und der Name SK Industries in knallgoldenen Lettern.

Ich zitterte und schaute hoch zum Mond, der strahlend durch unsere offenen Wohnzimmerfenster schien. Eine Sekunde lang dachte ich, dass vielleicht meine biologische Mutter, die Mondmaid, mit mir zu reden versuchte. Aber ich fühlte in mir nichts von ihrer silbrigen Kraft. Stattdessen kam ich mir gefangen vor, wie in einer kalten, feuchten Zelle. Ich keuchte auf, meine Zähne klapperten schon fast. Und dann, so schnell, wie es gekommen war, war das Gefühl auch wieder verflogen.

»Alles in Ordnung mit dir, Liebling?« Baba legte mir seine große Hand auf die Stirn. »Hast du deine Gummi-Vitamine genommen?«

»Klar. Und wie!«, sagte ich mit falscher Fröhlichkeit. »Schaut mal! Jetzt gibts Nachrichten!«

Ms Twinkle Chakraborty, die hinreißende Nachrichtenmoderatorin mit den meilenlangen Augenwimpern und dem baumelnden Nasenring, las die Schlagzeilen vor. Wie in unserer Dimension passierten im Königreich Dahinter unendlich viele schreckliche Dinge: gespenstische Überfälle auf Fischmärkte, Rakkhosh-Angriffe bei öffentlichen Theateraufführungen, eine Bande von Khokkosh, die eine Hochzeitsfeier gecrasht und das Servicepersonal gefressen hatte. Dann gab es einen Bericht über etwas namens Chintamoni-Stein – den sogenannten Gedankenstein –, der zu den Kronjuwelen des Radschas gehört hatte, aber vor langer Zeit in irgendeinem Krieg von Plünderern gestohlen worden war. Der Sage nach, erklärte Ms Twinkle mit dem Schmollmund, konnte der funkelnde weiße Edelstein Wünsche erfüllen und denen, die ihn besaßen, ein langes Leben bescheren. Aber zusammen mit seinem Gegenstück, dem knallgelben Poroshmoni oder Berührungsstein, den der Radscha noch immer an seinem königlichen Turban trug, war der Stein noch mächtiger und konnte Edelmetall vom Himmel fallen lassen.

Hm. Zwillingsedelsteine – der Gedankenstein und der Berührungsstein –, die Diamanten und Platin vom Himmel regnen lassen konnten. Wieso kam mir das bekannt vor? Aber es wollte mir einfach nicht einfallen.

Ms Twinkle redete weiter, mit ihrer seltsamen, affektierten Aussprache. »Wir vom Intergalooktischen Nachrichtensender froien uns sehr, diese exkloosive Nachricht mit Ihnen toilen zu können: Es gibt Hoffnung, dass der Chintamoni-Stoin endlich wieder hoimkehrt! Wir schoolten nun zum Radscha in den Palast, für eine aufregende Mittoilung!«

Das Bild auf dem Fernseher wechselte zum Thronsaal des Palastes. Der Vater von Lal und Neel trug eine glänzende Brokatjacke und einen seidenen Turban. Oben auf dem Turban saß eine reich verzierte Brosche, die ich nun als den gewaltigen gelben Poroshmoni-Edelstein erkannte und hinter der eine einzelne Pfauenfeder aufragte. Ich konnte aber keine Spur von Lal, Neel oder Mati entdecken, ich sah nicht einmal Tuntuni, den sprechenden gelben Vogel, der außerdem der oberste Minister des Königreichs war.

»Mrph pahpa!« Der Radscha redete, aber ich konnte ihn kaum verstehen. Offenbar hatte niemand unserem schusseligen Monarchen gesagt, dass er mit vollem Mund keine intergalaktischen Nachrichten verkünden sollte. Und so griff Seine Königliche Majestät immer wieder in die Tüten mit Essig-und-Chili-Chips, die seine Minister ihm hinhielten, stopfte sich diesen Ekelkram in den Mund und redete dabei weiter.

»Mein Volk«, sagte er mit einem knirsch knirsch krackel, »zu lange schon weilt unser überaus kostbarer Chintamoni-Stein außerhalb unserer Landesgrenzen. Es wird Zeit für die Heimkehr unseres Nationalschatzes!« Krümel stoben aus dem Mund des Radschas und landeten auf seinem dicken Schnurrbart. »Und daher griff ich natürlich sofort zu, als unser neuer Verbündeter diesen bahnbrechenden Plan vorstellte. Nicht umsonst bin ich für mein geniales, weitsichtiges Denken bekannt.«

Die weißbärtigen Minister sprangen allesamt auf und applaudierten eine ganze Minute lang, dabei schrien sie Dinge wie »Hört, hört!«, »Unsere Kronjuwelen!«, »Der Radscha ist ein supergenialer Monarch!« und »Essig-und-Chili-Chips sind die besten!«.

Der Radscha grinste, wartete, bis sich der Applaus gelegt hatte, dann sagte er: »Aber das ist nicht nur eine Chance, den Gedankenstein zurückzuholen. Es ist auch eine Antwort auf die Dämonenkrise in unserem Königreich. Zu lange schon werden wir terrorisiert von diesen wilden reimenden Ungeheuern, diesen blutrünstigen Rakkhosh, Kokkhosh, Doito und Danav! Unser Königreich hat einen Krieg nach dem anderen mit Dämonland ausgefochten. Wir haben es mit Zaubersprüchen und Verwünschungen versucht, haben unsere Grenzen dichtgemacht, aber nichts hat geholfen.« Der Radscha knallte mit der Faust auf den Tisch und zerquetschte dabei einige Chips. »Die Zeit ist reif für eine bessere Lösung, egal, was diese skateboardenden Rebellen behaupten. An diesem schicksalhaften Tag verkünden wir deshalb eine bahnbrechende Idee, eine neue Möglichkeit, die es uns nicht nur erlaubt, den Chintamoni-Stein zurückzugewinnen, sondern auch, uns ein für alle Mal von unserem Dämonenproblem zu befreien!«

Ich beugte mich vor, um die Erklärung des Radschas besser hören zu können. Leider verschwand genau in diesem Moment das Fernsehbild und hinterließ einen grünen Schirm, begleitet von einem lauten Piepton.

»Versagt die Fernbedienung schon wieder?«, fragte Ma, während Baba das zitternde Gerät schüttelte.

Dann erwachte der Bildschirm wieder zum Leben, aber wir sahen jetzt nicht mehr den königlichen Palast oder das IGNS-Nachrichtenstudio. Zuerst wurden einige Logos von unterschiedlichen Filmproduktionsfirmen gezeigt. Ein in einen stillen See geworfener Kieselstein ließ in den kleinen Wellen die Wörter Undersea Productions auftauchen. Dann formte ein auf eine weiße Leinwand tropfendes helles Rot das Logo der Lifeblood Pictures Inc. Schließlich teilte ein brüllendes Krokodil mit, dass auch die Reptile Studios International zu den Sponsoren gehörten. Nach einer kurzen Pause tauchte dann ein überaus vertrautes Gesicht auf dem Bildschirm auf: mein tückischer biologischer Vater, der Schlangenkönig. Baba schrie kurz auf, aber ich konnte nichts sagen. Bei seinem Anblick schien meine Stimme versiegt zu sein.

»Liebe IGNS-Zuschauerinnen und -Zuschauer, machen Sie sich bitte keine Sorgen!« Sesha hatte seine menschliche Gestalt angenommen und war ganz öliger Charme und leuchtend grüne Augen.

Natürlich machte ich mir Sorgen. Große Sorgen. Während unserer Abenteuer im vergangenen Herbst hatten Neel und ich Seshas Unterwelt-Palast zerstört, und als wir dann später gegen ihn kämpfen mussten, hatte meine Mondmutter den Schlangenkönig mit ihren magischen Mondstrahlen in Asche verwandelt. Meine biologische Mutter hatte mir schon gesagt, dieser Sieg werde nicht von Dauer sein, aber es war trotzdem unheimlich, Sesha zu sehen.

Sein schimmerndes Satinjackett funkelte vor eingearbeiteten Edelsteinen, die nur übertroffen wurden von den Rubin-, Smaragd- und Diamantringen an seinen Fingern. Der grünschwarze Schnurrbart des Schlangenkönigs und auch sein restlicher Bart waren zu Schlangenform gestutzt, er trug auf dem Kopf eine Krone aus Schlangenzähnen und saß auf einem Thron aus knallgrünem Samt in einem Saal voller Kronleuchter. Auf seiner einen Seite zeigte ein prachtvoller Wandteppich das Bild des SK-Industries-Logo, das mir vorhin aufgefallen war – eine Schlange, die sich in den eigenen Schwanz beißt.

»Ich unterbreche die Mitteilung des Radschas über unsere neue Interspezies-Partnerschaft, da er kein Gespür für eine gute Show hat. Diese ganze Essig-und-Chili-Chips-Fresserei ist doch langweilig, oder was? Ich meine, ich verabscheue Essig-und-Chili-Chips!«

Ich sah, wie Ma und Baba einen Blick wechselten. Denn natürlich, auch ich verabscheute Essig-und-Chili-Chips. Es war wirklich eine unheimliche Vorstellung, dass ich das von Sesha geerbt haben könnte. Ich legte die Hand auf mein Schlangenzeichen, die Narbe auf meinem Oberarm, die mein Vater mir als Baby verpasst hatte. Ich hasste den Gedanken, dass er mich in so vieler Hinsicht gezeichnet hatte.

»Ich sage immer, wenn ihr wollt, dass etwas mit dem nötigen Schwung erledigt wird, dann müsst ihr es selbst erledigen!« Der Schlangenkönig spreizte in einer übertriebenen Showmaster-Geste die Hände, dann brüllte er mit einer kitschigen Showmaster-Stimme: »Schlangenkönig Industries verkündet nunmehr voller Stolz unsere Lösung für das Dämonenproblem des Königreichs Dahinter. Kein Krieg. Kein Vertrag. Keine ausländische Infiltration des Internets. Sondern die neueste, aufregendste Reality-Gameshow im ganzen Multiversum. Nämlich: Wer. Wird. Dämonenjäger?«

Zwei Haubenkobras hatten sich um Seshas Arme gewickelt, und nun hoben sie die Köpfe und sagten »Rahhh!«, wie eine applaudierende Menge. Feuerwerk wurde gezündet und ein Logo tauchte auf. Es zeigte eine Person, die mit Pfeil und Bogen mutig einen sabbernden Rakkhosh abwehrte. Was mich stutzen ließ, war, dass dieses kämpfende Mädchen grüne Haut, einen schwarzen Zopf und lila Springerstiefel hatte.

Ma keuchte auf und presste mich an sich. »Bis auf die Haut sieht sie aus wie …« Sie brauchte das nicht laut zu sagen.

Baba schluckte und drückte mich von der anderen Seite. »Stimmt!«

»Leute«, protestierte ich zwischen ihrem Knutsch-Sandwich. »Ich krieg keine Luft!«

Meine Eltern beendeten die panische Drückerei, sahen aber immer noch arg erschüttert aus. Ich dagegen erlebte eine Mischung aus Wut, Ekel und Verwirrung. Sesha hatte wieder seine sterbliche Gestalt angenommen, und als Erstes startete er zusammen mit dem Königreich Dahinter eine Gameshow? Das musste doch irgendein hinterhältiger Trick sein. Außerdem, wieso hatte er ein Mädchen auf dem Logo, das aussah wie ich? Das war doch krankhaft!

»Wer die drei Prüfungen des Wettbewerbs überlebt, kann sich auf astronomische Belohnungen freuen. Rubine, Diamanten, Edelsteine, die eure wildesten Vorstellungen übertreffen.« Sesha ließ eine Handvoll bunter Steine durch seine Finger in eine riesige Truhe rieseln. »Aber diese Show ist auch ein freundschaftlicher Wettstreit zwischen unseren beiden großen Nationen. Wenn der Sieger aus dem Königreich Dahinter stammt, dann wird euer Radscha das hier zurückerhalten!« Der Schlangenkönig hielt einen leuchtenden weißen Edelstein hoch und ließ ihn das Licht fangen und in tanzende Funken verwandeln. »Der berühmte Chintamoni-Berührungsstein, Erfüller von Wünschen und Schenker eines langen Lebens.«

»Sicher hat der Radscha deshalb zugestimmt«, sagte Baba. »Eine Möglichkeit für das Königreich, den Edelstein zurückzuholen. Aber was bringt das Ganze dieser schleimigen Schlange, diesem … Kacker-Macker?«

Ich brauche wohl kaum zu sagen, dass Baba kaum je fluchte, und deshalb waren das für ihn ganz schön starke Ausdrücke. Die Sache war so, dass Sesha seine ersten sieben Kinder – meine Brüder – in die grauenhafte siebenköpfige Schlange Naga verwandelt hatte. Dann hatte er das nach meiner Geburt auch mit mir versucht, aber meine Mondmutter hatte ihn daran gehindert und meinen Adoptiveltern geholfen, mit mir quer durch die Dimensionen nach New Jersey zu fliehen. Bis zum letzten Herbst hatte Sesha nicht einmal gewusst, dass ich noch am Leben war, doch dann war der Zauber, der Ma, Baba und mich beschützt hatte, abgelaufen und hatte meine Adoptiveltern zurück ins Königreich Dahinter gesaugt. Als Sesha mir bei meiner Rettungsaktion wiederbegegnet war, hatte er versucht, mich abermals zu seinen Gefolgsleuten zu holen. Ich brauche wohl kaum zu sagen, dass Sesha dadurch in meiner Familie nicht an Beliebtheit gewonnen hat.

Im Fernsehen redete der Schlangenkönig weiter. »Wenn der Sieger aus dem Königreich der Schlangen kommt, dann gewinnen wir den Poroshmoni-Stein.« Ein Bild des gelben Steins im Turban des Radschas wurde eingeblendet. »So oder so werden die Zwillingsedelsteine vereint werden, ob nun in dem einen Königreich oder dem anderen.«

»Das wird nie im Leben ein fairer Wettstreit«, murmelte ich. »Nicht, wenn Sesha dabei mitmischt.« Aber noch als ich das sagte, konnte ich mir vorstellen, wie schön es wäre, den Wettbewerb zu gewinnen und Sesha in seinem eigenen Spiel zu schlagen. Bei diesem Gedanken wurde mir ein bisschen schwindlig.

»Tausende von hoffnungsvollen Bewerbern füllen jetzt in den offiziellen Registrierungsbüros für Wer wird Dämonenjäger? die erforderlichen Fragebögen aus. Solche Büros gibt es überall im Königreich Dahinter, im Königreich der Schlangen und an vielen Orten dazwischen«, sagte Sesha, während der Bildschirm etwas zeigte, das wie meilenlange Warteschlangen aus Menschen und echten Schlangen aussah. An einem Ort kam es zu einer Panik an den Toren, als das Registrierungsbüro öffnete. Die Leute schoben und stießen einander in ihrem verzweifelten Versuch, einen dieser Fragebögen an sich zu bringen, und rissen sich die Unterlagen gegenseitig aus den Händen.

»Nur wenige Glückliche werden unser anspruchsvolles Auswahlverfahren bestehen. Diese Kandidaten werden dann weitere Prüfungen durchlaufen müssen, physische wie auch mentale. Sie werden gegen sorgfältig ausgesuchte Dämonen kämpfen, und es wird ihnen alles abverlangen. Meine Truppen treiben bereits Rakkhosh, Khokkosh, Doito und Danav in magisch verstärkte Dämonengefängnisse, die von Schlangenkönig Industries zu diesem Zweck konstruiert worden sind!«

Das Bild zeigte nun eine Art Unterwasserkerker mit Reihen von verschlossenen Stahltüren. Obwohl wir keine Dämonen sehen konnten, war es doch ein wenig verstörend, das Stöhnen und Weinen hinter den Türen zu hören. Und auf den Türen war abermals das SK-Logo zu sehen – natürlich. SK stand zweifellos für Schlangenkönig.

»Ja, ihr Gladiatoren der modernen Zeit!« Sesha warf den Kopf in den Nacken und gackerte hämisch, wie ein Filmschurke, der die Zerstörung der Welt plant. »Ihr wenigen Auserwählten werdet gegen diese Monster kämpfen, und die, die gewinnen, werden nicht nur Helden sein, nicht nur Superstars des Reality-TV, sondern echte Dämonenjäger-Legenden!«

Obwohl ich wusste, dass er mich nicht durch den Bildschirm sehen konnte, wand ich mich unter Seshas Blick. Es war, als ob er meinen geheimsten Wunsch – eine Heldin zu sein, ein Star, eine Legende – erkannt hätte und ihn durch sein Wissen besudelte. Ich fühlte mich beschmutzt und beschämt. Ich fragte mich, wie eine, die mit einem solchen schrecklichen Kerl verwandt war, jemals hoffen könnte, etwas richtig Gutes zu werden.

Dann, ehe er in einer Wolke aus grünem Rauch verschwand, brüllte der Schlangenkönig: »Also, viel Glück, ihr blöden Kandidaten! Ich fürchte, das werdet ihr brauchen!«

Die beiden Kobras auf Seshas Armen schauten in die Kamera und sagten mit abgehackter Stimme: »Angebot gilt nur für offizielle Wer wird Dämonenjäger?-Kandidaten. Das Angebot für die Teilnahme am Wer wird Dämonenjäger?-Wettbewerb kann nicht kombiniert werden mit anderen Angeboten für die Schlangenkönig-Vergnügungsparks, die Erholungskreuzfahrten oder die Restaurants der SK-All-You-Can-Kill-Kette. Benutzung auf eigene Gefahr. Schlangenkönig Inc. ist nicht haftbar für den Verlust von Gliedmaßen oder Augenmaß oder für Kosten in Bezug auf Krankenhaus, Schneider oder Bestattung.«

Dann ließen sie ganz schnell ihre Kobrazungen hervorschnellen und waren verschwunden. Meine Eltern und ich starrten einander in verwundertem Schweigen an.

Der Bildschirm zeigte nun wieder das IGNS-Nachrichtenstudio und Ms Twinkle Chakraborty, die aussah, als ob sie gleich platzen würde. »Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, Sie haben es zuerst hier bei IGNS gehört – Sie alle könnten das Königroich Dahinter retten und den berühmten Chintamoni-Stoin zurückgewinnen. Füllen Sie einfach das praktische kloine Registrierungsformular aus und dann sind Sie auf dem besten Weg, zur Legende zu werden!« Die Nachrichtenmoderatorin klimperte mit ihren falschen Wimpern. »Und als ob das noch nicht genug wäre – Sie werden niemals erraten, wer uns gerade in den IGNS-Studios einen Überraschongsbesooch abgestattet hat!«

Die Kamera schwenkte herum und zeigte Prinz Lalkamal, der seine bekannte rote Seidentunika samt rotem Turban trug und neben der aufgeregten Nachrichtenfrau genauso umwerfend aussah wie immer.

»Danke für die Einladung, Ms Twinkle.« Lal küsste der Nachrichtenmoderatorin mit einer märchenhaften Geste die Hand. Eine Sekunde lang befürchtete ich, die Frau werde in Ohnmacht allen.

»Es ist uns oin Vergnügen und oine Ehre, edler Kronprinz«, keuchte sie wie ein hyperventilierender Ochse. Sie rieb ihr Gesicht so heftig an Lals Arm, dass ihr funkelnder Bindi oder Teep sich von ihrer Stirn löste und nun über ihrer linken Augenbraue hing.

Dann schaute Lal direkt in die Kamera und sein hübsches Gesicht war ein einziges Lächeln. »Ich habe eine wichtige persönliche Mitteilung für Prinzessin Kiranmala.«

»Was, was, was?« Baba drehte lauter, während Ma und ich uns zum Fernseher vorbeugten.

»Kiranmala, komm an meine Seite und sei die glorreiche Kandidatin des Königreichs Dahinter.« Lal grinste und mich erfüllte eine Welle der Zuneigung zu meinem reizenden Freund. »Ich bin zwar der Kronprinz, aber du bist unsere geliebte Prinzessin Dämonenjäger.«

Prinzessin Dämonenjäger, ja? Ich hörte diesen Namen zum ersten Mal, aber irgendwie gefiel er mir.

»Zusammen werden wir die Herausforderung des Schlangenkönigs bestehen. Wir werden zusammen das Königreich von seinem Rakkhosh-Problem befreien. Wir werden den kostbaren Gedankenstein zurückgewinnen – zusammen!«

Ms Twinkle Chakrabortys sorgfältig frisierter Kopf lag jetzt fest an Lals Schulter. Ich war ziemlich sicher, dass das kein professionelles Moderatorinnenverhalten war. »Prinzessin Kiranmala, du gloockliche Heldin – wenn du das hier siehst, doin Volk braucht dich!« Sie zwinkerte, dann wackelte sie auf eine Weise mit den Augenbrauen, bei der selbst Ma nicht mithalten konnte. »Kronprinz Lalkamal braaaucht dich!«

Ehe Baba die Nachrichten ausschaltete, starrte Lal noch einmal vielsagend in die Kamera.

»Es gibt mehr Dinge zu retten, als du überhaupt ahnen kannst«, sagte Lal mit besonders intensiver Stimme. »Nicht vergessen, Kiranmala, du bist die Heldin, auf die dein Volk schon so lange wartet!«

KAPITEL 3

Die Bewerbungsbotschafter

Ich kann nicht fassen, dass meine Eltern mich nicht ins Königreich Dahinter lassen wollen, um bei dem Wettbewerb mitzumachen!«, jammerte ich zum tausendsten Mal, als ich am nächsten Morgen aus dem Schulbus stieg. »Das ist so unfair!«

»Klar, denn diese Wer wird Dämonenjäger?-Kiste klingt doch überhaupt kein bisschen nach einer ausgefuchsten Falle, die dein fieser Papa für dich aufgestellt hat«, schrie Zuzu, als wir uns die Schultaschen über den Kopf hielten und zum Haupteingang der Alexander Hamilton Middle School rannten. Es war grauenhaftes Wetter, sogar für Anfang Februar. Golfballgroße Eisstücke fielen vom Himmel, als ob wir gerade ein Völkerballspiel gegen die Götter verlören. »Hat der Schlangenkönig nicht gesagt, dass du so eine Art Waffe bist, die er im bevorstehenden Krieg einsetzen will?«

Genau das hatte Sesha gesagt. Ich verfluchte Zuzu und ihr gutes Gedächtnis.

»Wenn das eine Falle wäre, wieso hätte Lal mich dann gebeten, nach Hause zu kommen?«, fragte ich und meine lila Springerstiefel ließen die eisigen Pfützen aufschwappen. »Sie brauchen mich, um diesen magischen Gedankenstein zurückzuholen. Lal weiß wahrscheinlich, dass er das ohne mich nicht schafft. Und dieses ganze Waffe-im-kommenden-Krieg-Gerede war doch nur so ein Schurkenspruch. Nehme ich an.«

Die Augen meiner besten Freundin waren hinter ihrer vom Regen verschmierten Brille fast nicht zu sehen. »Nach dem, was du mir erzählt hast, ist sein Bruder Neel doch auch kein Weichei. Soll der das machen.«

Ich wollte das nicht zugeben, aber ich fand es schon verwirrend, dass Neel nicht mit Lal im Studio gewesen war oder dass Lal ihn nicht einmal erwähnt hatte. Und, ehrlich gesagt, wunderte ich mich vor allem, warum nicht Neel mich gebeten hatte, nach Hause zu kommen und mit ihm am Wettbewerb teilzunehmen. Aber das alles hatte nichts mit der Sache zu tun. »Weißt du«, brüllte ich durch den prasselnden Eisregen, »in Geschichten müssen Superheldinnen sich nie mit überbehütenden Eltern herumschlagen.«

»Niet. Das stimmt nicht so ganz. Die Eltern von Superman haben ihn so sehr behütet, dass sie ihn in eine Kapsel gesteckt und in den Raum geschossen haben, und Wonder Woman hat sich ohne Erlaubnis ihrer Mutter in die Welt der Männer abgesetzt.«

Das brachte mich zum Nachdenken. »Abgesetzt, ja?«

»Komm jetzt nicht auf blöde Ideen, por favor«, brüllte Zuzu über ihre Schulter. Sie hatte die Treppe zur Schultür fast erreicht. »Deine Eltern würden dich umbringen, wenn du so was machst. Und ich auch. Dieser Sesha ist ein Trickbetrüger. Lass dich lieber nicht noch mal mit ihm ein.«

Ich grummelte ein bisschen vor mich hin. Nicht, dass ich Zuzus Besorgnis nicht zu schätzen gewusst hätte. Schließlich war sie die Einzige an der Schule, die meine wahre Identität kannte. Ich hatte meiner besten Freundin davon erzählt, weil es einfach ein zu großes Geheimnis war, um es ihr vorzuenthalten. Aber sonst hatte ich es niemandem gesagt. Es war sogar Zuzu gewesen, die mir eingeschärft hatte, alles, was mit dem Königreich Dahinter zu tun hatte, sorgfältig für mich zu behalten. Die anderen würden mir vermutlich ohnehin nicht glauben, aber schlimmer noch: Zuzu hatte Angst davor, was passieren könnte, wenn sie mir doch glaubten. Würden mich Männer in schwarzen Anzügen abholen, um Experimente mit meiner DNA zu machen? Wir hatten beide eine Menge Fernsehserien über Regierungsagenten gesehen, die auf die Jagd nach versteckten Aliens gingen, und sie wollte nicht, dass mir so etwas passierte.

»Ich kann nicht fassen, dass ich hier Hausaufgaben machen muss, statt drüben zur Legende zu werden«, sagte ich endlich.

»Selbst Legenden müssen Matheklausuren bestehen«, lachte Zuzu und rannte durch die Tür nach drinnen.

Ich wollte ihr gerade folgen, als etwas mich auf der Treppe erstarren und nach oben schauen ließ. Andere, die aus den Schulbussen kamen, drängten sich an mir vorbei und hätten mich fast umgestoßen. Der Himmel ließ noch immer Hagel auf meinen Kopf und meine Schultern fallen und bedeckte den Boden neben meinen Füßen mit Eis. Aber ich konnte mich nicht bewegen. Denn oben auf dem schrägen Dach der Alexander Hamilton Middle School sah ich etwas, bei dem ich fast losgeschrien hätte: zwei riesige, nilpferdgroße Vögel, die durch den Regen blinzelten.

Sie waren beide schön und beängstigend zugleich. Ihre elfenbeinfarbenen Federn wurden zu den Spitzen hin dunkler, und jede einzelne endete in einem dramatischen Paisleykringel. Aber das war noch nicht das Seltsamste an ihnen. Sie sahen zwar aus wie eine Kreuzung aus überdimensionalen Adlern und Dickhäutern, doch diese Vögel hatten total menschliche Gesichter.

»Was ist los mit dir? Du holst dir noch ’ne Lungenentzündung!« Zuzu kam aus der Schule gerannt und zog an meinem Ärmel.

»Vögel«, brachte ich gerade noch heraus.

»Was für Vögel?« Zuzu schaute sich verwirrt um.

Ich sah sie scharf an und mir ging auf, dass sie die Vögel wirklich nicht sehen konnte. Ich wusste, was hier passierte. Beim letzten Halloween, als Lal und Neel ihre fliegenden Pferde auf dem Rasen vor meinem Haus abgestellt hatten, waren außer uns nur ganz kleine Kinder in der Lage gewesen, sie zu sehen. Die Pferde hatten unter einer Art »Je älter du bist, umso geringer ist deine Chance, mich zu sehen«-Tarnzauber gestanden, und ich war sicher, dass es sich mit diesen Vögeln ebenso verhielt.

»Kiran, stimmt was nicht?«

Das allerdings. Ich wusste, ich wurde triefnass, aber ich konnte den Regen nicht mehr spüren. Ich merkte auch nichts von der Kälte. Ich verspürte nur die uralte Magie dieser Wesen aus dem Königreich Dahinter.

»Wer seid ihr?«, flüsterte ich. Ich redete mit den Vögeln, aber das wusste Zuzu ja nicht.

»Kiran!«, rief sie und riss jetzt an meinem Arm. »Basta! Du machst mich wahnsinnig!«

Bangoma und Bangomu, sagten die Vögel. Sie sagten das nicht laut, aber auf irgendeine Weise erreichten diese Wörter mein Gehirn. Wen wir hier suchen, Prinzessin, bist du!

In den vergangenen Monaten hatte ich eine Menge vollkommen irrsinniger Dinge gesehen, aber nilpferdgroße Vögel mit Menschengesichtern dann doch nicht. Und ich hatte auch nie magische Wesen gesehen, die auf dem Dach meiner Schule gelandet waren. Die Vögel lächelten und verbeugten sich so tief, bis ihre Köpfe das Dach berührten. Dann starrten sie mich an, sicher nur einige Sekunden lang, aber mir kam es vor wie Stunden. In ihren Augen wirbelten psychedelische Farben – knallbunte Leuchtstrahlen im prasselnden Regen. Ich merkte, wie in meinem Kopf alles ganz leicht wurde, und fragte mich, ob sie mich wohl hypnotisierten.

»Warum seid ihr hier?«, fragte ich und achtete überhaupt nicht mehr auf die komplett verwirrte Zuzu.

Ich dachte, sie würden jetzt etwas Tiefgründiges und Weises sagen, über die Einheit des Multiversums oder den Strom des ewigen Geistes, aber stattdessen flossen ihre Stimmen als seltsamer nasaler Gleichklang in meinen Kopf. Deine Bewerbung kommt, na ja, ganz schön spät. Streck jetzt mal verflixt schnell deinen Finger aus!

»Meinen … Finger?«, stammelte ich. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund zog ich einen Handschuh aus und streckte ihnen die Hand hin. Ich zuckte nur ein kleines bisschen zurück, als einer der Vögel meinen Finger mit dem Schnabel anpickte, sodass ein Blutstropfen hervorquoll.

»He …«, protestierte ich, während der Vogel meinen Finger zusammendrückte und das Blut auf eine von dem anderen Vogel gehaltene Feder tropfen ließ.

Wir können dir nicht sagen, wie lange die Bearbeitung dauern wird. Manchmal dauert es länger, manchmal passiert es sofort, sagte Bangoma.

»Bearbeitung? Bearbeitung von was?« Mein Gehirn dachte diese Wörter, aber mein Mund schien nicht das passende Geräusch dazu machen zu können. Das spielte aber keine Rolle, denn die Vögel hörten mich trotzdem.

Bangomu schlug mit den Flügeln und antwortete: Wir sind die Bewerbungsbotschafter, ein Freund hat uns angeheuert. Wir können dir nicht sagen, welcher, sonst werden wir gefeuert.

Ruf uns nicht an, wir werden dich finden, fügte Bangoma hinzu. Und jetzt solltest du zum Unterricht verschwinden.

»Wartet, wartet …« Mir war schwindlig und ich fand keine Worte. Was war da gerade passiert? Aber die Vögel schienen keine Zeit für Fragen zu haben. Die beiden riesigen Wesen schlugen mit ihren riesigen Flügeln und hoben sich dann in den stahlgrauen Himmel. Sowie mein Kontakt zu ihren wirbelnden knallbunten Augen abriss, merkte ich, wie meine ganze Erinnerung an die Riesenvögel verblich, als ob jemand mit einem riesigen Radiergummi über den Notizblock in meinen Gedanken gefahren wäre.

»Mir ist nicht gut.« Ich geriet ins Schwanken, aber Zuzu fing mich auf.

»Hat deine kleine Freundin einen Todeswunsch?« Ich brauchte mich nicht umzudrehen, um die Stimme zu erkennen. Es war unsere selbst ernannte Schul-Queen-Schrägstrich-meine fiese Nachbarin Jovi, die noch im Vorüberrennen Zeit für eine gemeine Bemerkung hatte.

»Sie bewegt sich einfach nicht, hat nur einen Handschuh an und die Hand ausgestreckt«, schrie Zuzu. Ich konnte jetzt die Panik in ihrer Stimme hören. »Ich glaube, sie steht unter Schock, oder so.«

Das stimmte. Etwas hatte sich wirklich an meinen Gehirnzellen zu schaffen gemacht. Ich rieb mir die Stirn. »Warum stehen wir im Regen?«, murmelte ich.

»Hat sie Hagel an den Kopf gekriegt?« Zwei Personen führten mich ins Gebäude. »Na los, wir bringen sie zur Schulschwester.« Mit Schreck ging mir auf, dass es Jovi war, die das gesagt hatte, und dass sie außerdem meinen einen Arm festhielt.

»Nein, wir bringen den armen Schatz hier hinein«, sagte jemand mit Singsang-Stimme und hielt die Tür zur Mädchentoilette auf. Jovi und Zuzu halfen mir beim Eintreten. »Ich habe etwas, das ihr vielleicht helfen wird, ihr mädchenhaftes Strahlen zurückzugewinnen.«

Ich blinzelte und erkannte das dritte Mädchen. Sie hieß Naya und war neu an der Schule, sie kam aus irgendeinem vom Krieg verwüsteten Land, dessen Namen ich mir nicht merken konnte. Ich wusste nur, dass Jovis Familie für ihre bürgte oder so, und dass sie sehr viel bei Jovi zu Hause war. Ich hatte sie nach der Schule und an Wochenenden Dutzende Male im Nachbarhaus gesehen. Ich wusste sonst nicht viel über sie, außer, dass sie hübsch und immer furchtbar munter war.

Während Zuzu sich mit einem Papierhandtuch die Brille abwischte und Jovi ihre triefenden Haarsträhnen unter das Trocknergebläse hielt, zog Naya eine winzige grüne Flasche aus ihrem perlenbestickten Beutel. »Das wird dir helfen.«

»Das trinke ich nicht«, sagte ich und wich zurück. Ich war noch immer total fertig von … dem, was eben passiert war. Und der schlichte Fliesenboden und die furchtbaren Leuchtröhren ließen die Toilette aussehen wie einen Ort, an dem Verbrechen passierten.

Naya lachte und zeigte dabei ihre perfekten weißen Zähne. Sie war klein und irgendwie zum Kotzen reizend, wie eins der Mädchen aus der Prinzessin-Pretty-Pants™-Werbung, aber erwachsen. Ich meine, sie hatte ihre Haare ungefähr zu einer Million winziger Zöpfchen mit lustigen Schleifchen geflochten (wer hat denn überhaupt so viele lustige Schleifchen?). Heute trug sie einen Glitzerpullover mit der Aufschrift Sei, wer du-hu-hu bist, mit Bildern einer Biene, einer Eule und unbegreiflicherweise eines Affen unter dem Text. Das sollte wohl ironisch sein, aber sicher war ich mir nicht. Naya kam mir vor wie eine, die sich in den sozialen Medien dauernd Katzenvideos ansieht. Und doch schien die superfiese Jovi sie aus irgendeinem Grund leiden zu können.

»Das ist nicht zum Trinken! Hier, riech mal!« Naya zog den Korken aus der Flasche und schwenkte sie dann unter meiner Nase. Der Inhalt stank ganz fürchterlich.

»Uäh! Tu das weg!« Ich schlug gegen den überraschend starken Arm der Neuen, wobei der Geruch von was immer das sein mochte meinen Kopf tatsächlich total klar machte.

»Bei der brauchst du dir keine Mühe zu geben, Naya.« Jovi starrte mich aus zusammengekniffenen Augen an. »Die hat Komplexe und kann sich einfach nicht wie ein normaler Mensch verhalten.«