Das Geheimnis des Wintergartens - Julia Kelly - E-Book
SONDERANGEBOT

Das Geheimnis des Wintergartens E-Book

Julia Kelly

0,0
9,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Fünf Frauen, drei Epochen und ein geheimnisumwitterter Garten, der ihre Schicksale verbindet - tragisch, berührend und durch und durch bezaubernd!

1944. Wie viele andere herrschaftliche Güter dient Highbury House während des Krieges als Lazarett. Nur mit Mühe gelingt es der Hausherrin, ihren prachtvollen Garten gegen die Bedürfnisse der Landarmee zu verteidigen. Er bedeutet ihr alles - erst recht nachdem ihr Sohn dort verunglückt.

2020. Als die junge Gärtnerin Emma den Park erblickt, ist sie fasziniert. Dies ist der letzte Garten, den die berühmte Landschaftsarchitektin Venetia Smith angelegt hat, bevor sie 1907 nach Amerika emigrierte. Niemand weiß, was sie dazu veranlasste, denn Notizen und Tagebücher sind verschollen. Als die Gutsherrin eine alte Skizze des Gartens findet, stehen Emma und sie vor einem Rätsel. Über dem Garten des Winters steht ein Name: Celeste ...


Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 550

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

CoverÜber dieses BuchÜber die AutorinTitelImpressumWidmungZitatPrologWINTEREmmaVenetiaBethVenetiaEmmaStellaDianaEmmaVenetiaEmmaBethStellaFRÜHLINGEmmaBethDianaVenetiaEmmaStellaVenetiaBethEmmaVenetiaBethDianaSOMMERVenetiaStellaBethEmmaVenetiaDianaVenetiaBethEmmaStellaDianaHERBSTVenetiaDianaVenetiaEmmaDianaVenetiaStellaVenetiaStellaBethVenetiaDianaEmmaDianaEpilogAnmerkung der AutorinDank

Über dieses Buch

Fünf Frauen, drei Epochen und ein geheimnisumwitterter Garten, der ihre Schicksale verbindet – tragisch, berührend und durch und durch bezaubernd! 1944. Wie viele andere herrschaftliche Güter dient Highbury House während des Krieges als Lazarett. Nur mit Mühe gelingt es der Hausherrin, ihren prachtvollen Garten gegen die Bedürfnisse der Landarmee zu verteidigen. Er bedeutet ihr alles – erst recht nachdem ihr Sohn dort verunglückt. 2020. Als die junge Gärtnerin Emma den Park erblickt, ist sie fasziniert. Dies ist der letzte Garten, den die berühmte Landschaftsarchitektin Venetia Smith angelegt hat, bevor sie 1907 nach Amerika emigrierte. Niemand weiß, was sie dazu veranlasste, denn Notizen und Tagebücher sind verschollen. Als die Gutsherrin eine alte Skizze des Gartens findet, stehen Emma und sie vor einem Rätsel. Über dem Garten des Winters steht ein Name: Celeste …

Über die Autorin

Das Geheimnis des Wintergartens ist Julia Kellys dreizehntes Buch. Davor war sie als Producerin mit Emmy-Nominierung und als Journalistin tätig. Bevor sie sich in London niederließ, lebte sie in Los Angeles, Iowa und New York City. Sie ist Mitglied der Romance Writers of America, der britischen Romantic Novelists Association sowie der Historical Novel Society.

ROMAN

Aus dem amerikanischen Englisch vonBarbara Röhl

Vollständige E-Book-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Deutsche Erstausgabe

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2021 by Julia Kelly

Titel der amerikanischen Originalausgabe: »The Last Garden in England«

Originalverlag: Gallery Books, An Imprint of Simon & Schuster, Inc.

Published by arrangement with Nordin Agency AB, Sweden

Für die deutschsprachige Ausgabe:

Copyright © 2021 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Anne Schünemann, Schönberg

Titelmotive: © James Kerwin/Trevillion Images |© Getty Images: Rosemary Calvert | ANGELGILD | jamielawton

Umschlaggestaltung: U1berlin/Patrizia Di Stefano

eBook-Produktion: hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-7517-1007-7

luebbe.de

lesejury.de

Für Dad, von dem ich die Liebe zu Gärten geerbt habe

Darum soll’n alle Jahreszeiten dir willkommen sein.

Samuel Taylor Coleridge

Prolog

Januar 1908

In ihren festen Wanderstiefeln geht sie stetigen Schritts über die Steinplatten des Pfads, obwohl Eis unter ihren Füßen knirscht. Um sie herum biegen sich schneebedeckte Äste unter ihrer Last und drohen zu brechen. Alles ist still.

Sie schreitet tiefer in diesen Bereich des Gartens hinein, der mit winterlichen Pflanzen gestaltet ist. Karg und wunderschön ist er mit den silbrigen Birken, die sich mit Hornsträuchern abwechseln. Blutrote Zweige bilden einen starken Kontrast zu den Gräsern, die sich schwermütig im Wind wiegen. Die Rabatte ist mit reinweißen Christrosen übersät. Der Gedanke schmerzt sie, dass in einem Monat die ersten grünen Spitzen der Schneeglöckchen, die später elegante weiße Blüten ausbilden werden, durch den Schnee stoßen werden, bevor lilafarbene Krokusse mit leuchtend gelben Staubgefäßen folgen. Sie wird diese Frühlingsboten nicht mehr sehen. Andere werden die Zeichen dafür deuten müssen, dass der Winter bereit ist, von seinem Thron abzudanken.

Am Rand des Steinwegs hält sie inne. Ihr Kummer schlägt sie mit Klauen wie ein wildes Tier, das sich verzweifelt zu befreien versucht, und sie wischt eine Träne weg. Sie dürfte nicht hier sein, doch sie kann nicht fortgehen, ohne diesem Ort, an dem sie geliebt und alles verloren hat, ein letztes Lebewohl zu sagen.

Nein. Sie wird nicht lange bleiben. Nur lange genug, um Abschied zu nehmen.

WINTER

Emma

Februar 2021

Selbst wenn Emma nicht Ausschau nach der Abzweigung gehalten hätte, wäre es ihr schwergefallen, Highbury House zu übersehen. Aus einer Lücke in der Hecke ragten zwei aus Backstein gemauerte und von steinernen Löwen gekrönte Säulen auf, die aus einer Zeit stammten, als es noch Kutschen, Treibjagden, Jagdbälle und prachtvolle Gesellschaften gegeben hatte.

Sie bog in die mit Schotter bestreute Auffahrt ein und wappnete sich für die Begegnung mit ihren Auftraggebern. Normalerweise hätte sie keinen Job unbesehen angenommen, aber sie war zu beschäftigt mit dem Restaurationsprojekt in Mallow Glen gewesen, um aus Schottland anzureisen und sich vor Ort einen Eindruck zu verschaffen. Stattdessen war Charlie, ihr bester Freund und Leiter ihres Teams bei Turning Back Thyme, vorab zum Anwesen gefahren und hatte die Maße genommen, und Sydney Wilcox, die Besitzerin von Highbury House, hatte eine Reihe Videochats arrangiert, um ihr zu erklären, worum es bei dem Projekt ging: Sie hatte vor, dem einst spektakulären Garten seine alte Pracht zurückzugeben.

Die kurze Auffahrt mündete in einen Hof, um den sich ein U-förmiges Haus erstreckte, dessen Eleganz allerdings durch mehrere Bauschutthalden verschandelt wurde.

Emma parkte hinter einem stahlgrauen Range Rover, stieg aus dem Auto und hängte sich ihre schwere Arbeitstasche aus Segeltuch über eine Schulter. Das grelle Jaulen elektrischer Werkzeuge durchschnitt die Luft und Hundegebell folgte. Aus dem Augenwinkel erhaschte sie einen Blick auf einen rötlichen Schimmer. Zwei Irish Red Setter waren aus der Haustür gesprungen und hielten schnurgerade auf sie zu.

Sie hob die Hände, um den kleineren der beiden Hunde abzuwehren, der immerhin groß genug war, um ihr die Vorderpfoten auf die Schultern zu legen und ihr das Gesicht abzulecken. Das andere Tier tänzelte um ihre Füße herum und bellte freudig.

Emma versuchte, die Hunde wegzuschieben, und entdeckte Sydney, die aus der Tür hastete und den Hof fast im Laufschritt überquerte. »Platz, Bonnie! Lass Emma vorbei, Clyde!«

»Ist schon in Ordnung«, erklärte Emma, während Bonnie sie noch einmal abschlabberte, und hoffte, dass sie wenigstens ein bisschen überzeugend klang. »Sie wären erstaunt, wie viele meiner Jobs so anfangen, besonders auf dem Land, wo jeder Hunde hält.«

»Es tut mir wirklich schrecklich leid. Wir haben eine Menge Zeit und Geld in ihre Ausbildung gesteckt, und trotzdem haben wir zwei der ungezogensten Hunde in ganz Warwickshire.« Sydney packte Bonnie am Halsband und zerrte sie weg, während Clyde sich gehorsam zu Füßen seiner Herrin setzte.

»Tu nicht so, als wärest du nicht genauso schlimm wie sie«, schimpfte Sydney mit Clyde. Ihre Stimme klang nach guten Schulen, Stunden im hiesigen Reitclub und samstäglichen Kricketpartien auf dem Dorfanger.

Sydney richtete sich auf und steckte ihr lockiges rotes Haar wieder fest.

»Tut mir leid. Die beiden laufen den ganzen Tag hinter den Bauarbeitern her. Jemand muss die Tür offen gelassen haben. Haben Sie problemlos hergefunden? War auf der M40 viel Verkehr? Manchmal ist sie ein wahrer Albtraum. Haben Sie die Abzweigung gut gefunden?«

Emma blinzelte und fragte sich, welche Frage sie zuerst beantworten sollte. Die Besitzerin von Highbury House schien ein fröhliches Chaos um sich zu verbreiten. Das war Emma schon bei ihren Telefonaten aufgefallen, aber nun, da Sydney ihr gegenüberstand, umgeben von ihren beiden Hunden und im Schatten eines Hauses, das gerade restauriert wurde, nahm das noch einmal eine ganz andere Dimension an. »Ich hatte keine Probleme, das Haus zu finden«, erklärte sie schließlich.

»Ich bin so froh, dass Sie gerade jetzt ankommen. Heute Morgen hat es geregnet, und ich habe noch zu Andrew gesagt, es wäre nicht gut, wenn Sie den Garten zum ersten Mal mitten in einem Unwetter sehen. Aber dann hat es aufgeklart, und nun sind Sie da!« Sydney setzte sich in Richtung Haus in Bewegung und bedeutete Emma, ihr zu folgen. »Sie müssen den Lärm entschuldigen.«

»Bewohnen Sie das Haus während des Umbaus?« Emma sprach lauter, um die Baugeräusche zu übertönen. Sie sah sich in der Eingangshalle um, die mit Planen verhängt war. Neben einer Freitreppe mit handgeschnitztem Geländer stand eine Leiter, und der Geruch von frischer Farbe hing in der Luft, obwohl die Wände aussahen, als wäre gerade erst die Tapete abgelöst worden.

»Ja«, sagte eine Männerstimme hinter Emmas Schulter. »Ich bin Andrew. Es ist mir ein Vergnügen, Sie persönlich kennenzulernen.«

Emma wandte sich um, schüttelte Andrew die Hand und blickte zwischen ihm und seiner Frau hin und her. Er überragte die lebhafte Sydney um einiges. Seine Clark-Kent-Brille war ihm auf der Nase heruntergerutscht, und das kurze braune Haar trug er ordentlich zur Seite gekämmt. Er schlang einen Arm um die Taille seiner Frau, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt, und schaute mit einer Mischung aus Belustigung und Anbetung auf sie hinunter.

Sogar mitten im Staub eines halbfertigen Hauses strahlten die Wilcox’ Raffinesse, Bildung und Klasse aus. Sie waren das perfekte Paar, was es – zumindest Emmas Erfahrung nach – umso wahrscheinlicher machte, dass sie sich als gewaltige Nervensägen erweisen würden. Andererseits waren sie zahlende Kunden, die ein Restaurationsprojekt und keinen brandneuen Garten wollten. Und sie hatten angesichts von Emmas Kostenvoranschlag nicht mit der Wimper gezuckt.

»Andrew hat sich von mir überreden lassen, während der Renovierungsarbeiten vor Ort zu sein.« Sydney biss sich auf ihre volle Unterlippe. »Das Projekt hat sich als umfangreicher herausgestellt, als wir erwartet hatten.«

Andrew schüttelte den Kopf. »Sechs Monate, haben sie gesagt.«

»Und wie lange dauern die Arbeiten jetzt schon?«, erkundigte sich Emma.

»Achtzehn Monate, und wir haben erst einen Flügel des Hauses abgeschlossen. Es ist noch so viel zu tun«, sagte Sydney. »Schatz, ich wollte gerade mit Emma einen Rundgang durch den Garten unternehmen.«

»Ich will Ihnen keine Mühe machen«, warf Emma schnell ein. »Bisher habe ich mit Charlies Daten gearbeitet. Ich bin mir sicher, dass ich mich zurechtfinde.«

»Aber nein, ich bestehe darauf«, gab Sydney zurück. »Ich würde zu gern Ihren ersten Eindruck hören, und ich habe auch ein paar Ideen.«

Ideen. Ihre Kunden besaßen alle eigene Vorstellungen, aber nur sehr wenige davon waren gut. So hatte ein Mann aus der Nähe von Glasgow darauf bestanden, dass sie ihm mitten in Schottland einen tropischen Garten anlegte, obwohl sie ihn gewarnt hatte, dass es intensive Arbeit kosten würde, ihn zu erhalten. Sechs Monate nachdem das Team von Turning Back Thyme zusammengepackt und einen neuen Auftrag übernommen hatte, hatte er sie angerufen, sich beklagt, jede einzelne seiner Bananenpflanzen sei über den Winter eingegangen, und verlangt, dass sie sie ersetzte, kostenlos. Sie hatte ihn höflich auf ihren Vertrag verwiesen, in dem stand, dass sie keine Verantwortung für Schäden übernahm, die durch Versäumnisse des Besitzers entstünden.

Wenigstens in dieser Hinsicht würde Highbury House etwas anderes sein – eine Erholung von all den modernen Designprojekten, die sie annahm, um ihren Betrieb über Wasser zu halten. Die Wilcox’ wollten einen bedeutsamen historischen Garten, der seit Jahren brachlag, so wieder aufleben lassen, wie er 1907 angelegt worden war.

Nichts liebte Emma mehr, als sich in eine Restauration zu vertiefen, obwohl diese Projekte viel mehr Zeit und Recherche erforderten als ihre modernen Planungen. Sie führte einen verbissenen Kampf gegen Terrassen aus gegossenem Beton und die zahlreichen Rasenflächen, die ehemalige Besitzer angelegt hatten, weil das »einfacher« war als richtiges Gärtnern. In einem besonders erschreckenden Fall hatte sie zweitausend Quadratmeter Kunstrasen aus den 1970ern herausgerissen und den französischen Knotengarten aus dem achtzehnten Jahrhundert restauriert, durch den einst feine Damen mit gepuderten Perücken geschlendert waren. Sie konnte auf Weiden und Koppeln lange vergessene Gärten auferstehen lassen. Sie konnte die Zeit zurückdrehen. Alles wieder in Ordnung bringen.

Trotzdem konnte sie von Herausforderungen allein nicht leben, und da Sydney fast ein Jahr lang ihre Rechnungen bezahlen würde, würde sie auf ihre Ideen eingehen. Soweit sie vertretbar waren. »Ich würde mich über Ihre Gesellschaft freuen«, sagte sie und legte so viel Begeisterung in ihre Stimme, wie sie konnte.

Sydney wandte sich an ihren Mann. »Kommst du mit, Liebling?«

»Ich würde gern, aber Greg hat vorhin etwas von Bodenbalken gesagt«, erklärte er.

»Was ist mit ihnen?«, erkundigte sich Sydney.

Andrew lachte ironisch und schob seine Brille wieder auf ihre korrekte Position. »Anscheinend haben wir im Musikzimmer keine. Komplett durchgefault.«

Überrascht zog Emma die Augenbrauen hoch, und Sydney riss den Mund zu einem »O« auf.

Andrew winkte ihnen zum Abschied, huschte um die Leiter herum und verschwand durch eine der Türen im Eingangsbereich.

»Das passiert in letzter Zeit leider öfter.« Sydney wies auf ein Paar Glastüren, von denen die Farbe abgebeizt worden war und die aussahen, als warteten sie darauf, ordentlich abgeschliffen zu werden. »Am einfachsten geht es hier entlang in den Garten.«

Emma folgte ihr hinaus auf eine breite Veranda. Einige der großen Bodenplatten aus Schiefer waren gesprungen, und in den Rissen wuchs Unkraut, aber die Aussicht war unbestreitbar schön. Eine lang gestreckte Rasenfläche verlief über sanft abfallendes Gelände bis zu einem ruhigen See. Sie kniff die Augen zusammen und beschwor das alte Foto herauf, das sie im Archiv der Universität Warwick gefunden hatte und das eine Gartenparty in den 1920er-Jahren zeigte. Einst hatte eine kurze Treppe zu einem spiegelglatten Teich hinuntergeführt, der von zwei Viertelkreisen Buchsbaumhecke sowie einer langen Rabatte umgeben gewesen war, die an der östlichen Seite des Rasens verlief. Heute war nur eine ununterbrochene Rasenfläche zu sehen, die nichts von dem Charme ausstrahlte, den Venetia Smiths ursprünglicher Entwurf besessen haben musste.

Vor Aufregung kribbelte es in Emmas Nacken. Sie würde einen Garten von Venetia Smith restaurieren. Lange bevor sie in Amerika berühmt geworden war, hatte die Landschaftsgärtnerin im ersten Jahrzehnt des zwanzigsten Jahrhunderts hier in Großbritannien eine Handvoll Gärten entworfen. Emma verdankte ihren Berufsweg einer BBC-Dokumentation über die Restaurierung eines von Venetias Gärten, der zu Longmarsh House gehörte. Damals war sie siebzehn gewesen und hatte darauf bestanden, dass ihre Eltern in den Ferien mit ihr zu dem Anwesen fuhren. Während die meisten ihrer Freundinnen überlegten, an welcher Uni sie studieren sollten, hatte sie in diesem restaurierten Garten gestanden, und ihr war klar geworden, was sie mit ihrem Leben anfangen wollte.

Während sie die Verandatreppe hinuntergingen, wies Sydney auf den westlichen Rand des Rasens. »Vom Rand des Schattengartens ist nicht mehr viel übrig.«

Emma trat an einen der knorrigen Stämme heran, die den langen, geraden Weg an der Westseite der großen Grünfläche säumten. Die kalte, raue Rinde fühlte sich unter ihrer Hand beruhigend und vertraut an. »Die Bäume am Lindenweg wirken gut gepflegt.«

»Das ist wohl den Gärtnern zu verdanken. Dad hat dieselbe Firma behalten, die Granddad beschäftigt hatte. Die Leute tun, was sie können, um alles in Ordnung zu halten«, erklärte Sydney.

In Ordnung, aber nicht mehr.

»Dieser ganze Bereich muss viel farbenprächtiger gewesen sein, als er damals angelegt wurde«, meinte Emma.

»Sogar im Schatten?«

Sie lächelte. »Dass Schattengärten langweilig sind, ist ein verbreitetes Missverständnis. Ich habe im Archiv kein Foto davon gefunden, wie er aussah, als Venetia ihn gepflanzt hat, aber sie liebte Farben, daher können wir davon ausgehen, dass sie auch welche eingesetzt hat.«

»Nach unserem letzten Videotelefonat habe ich ein paar Sammlungen ihrer Schriften und Tagebücher gekauft«, erklärte Sydney. »Sie hat so viel geschrieben, dass ich beinahe nicht wusste, wo ich anfangen soll.«

»Ich mag ihre Tagebücher am liebsten. Zwischen den zwei Weltkriegen hat sie ein paar veröffentlicht, aber vor ungefähr zwanzig Jahren hat jemand ihr ehemaliges Haus in Wimbledon gekauft und zwei über ihre allerersten Projekte gefunden.«

»Aber nicht über Highbury.«

Sie schüttelte den Kopf. »Sonst hätten wir schon einen fertigen Projektplan für Highbury. Zum Teegarten geht es dort entlang?«, fragte sie und wies mit einer Kopfbewegung auf einen Durchgang zwischen den Linden, den ein Tor verschloss.

»Ja«, sagte Sydney.

Als sie den Teegarten betraten, ließen sie auch den gepflegten Zustand des Lindenwegs hinter sich. Einst war er als geschlossener Raum geschaffen worden – eine Zuflucht für die Damen der feinen Gesellschaft, ein Ort, an dem sie zwischen den weichen Pastellfarben origineller Blumen plaudern konnten. Jetzt herrschte hier Chaos.

»Die Gärtner waren nicht oft in diesem Teil des Grundstücks«, erklärte Sydney mit entschuldigendem Unterton. »Dad meinte immer, es sei teuer genug, die Rasenfläche und die Bereiche, die man vom Haus aus sehen kann, zu pflegen.«

Das sah man auch. Ein Büschel abgestorbener Prachtkerzen war verflochten mit Wiesenkerbel, der ausgetrocknet und umgefallen war. Mehrere jämmerliche Gruppen von Rosenbüschen, die schwer mit Hagebutten beladen waren, wucherten wild nach zu vielen Wintern, in denen sie nicht ordentlich zurückgeschnitten worden waren, und Emma bezweifelte, dass sie im Juni mehr als ein Dutzend Blüten ausbilden würden. Alles andere war ein einziger Dschungel aus längst eingegangenen Blumen und Unkraut.

»Nach der Restauration kann ich Ihnen gern dabei helfen, eine Firma zu finden, die sich um den Garten kümmert«, bot sie an.

»So schlimm, ja?«, fragte Sydney und lachte.

»Wenn ich Ihr Dad wäre, würde ich mein Geld zurückverlangen. Das Ganze sieht aus, als bestünde es nur aus Unkraut«, erklärte sie und wies auf eine merkwürdige Stelle festgestampfter Erde, auf der eine einsame, mit Zaunwinden überwucherte Bank aus Teakholz stand. »Dort befand sich wahrscheinlich einmal eine Art Pavillon oder Pergola.«

»Eines der Opfer des großen Orkans von 1987. Ich weiß, dass wir damals auch einige Bäume am Seeufer und im Waldgarten verloren haben. In Granddads Unterlagen habe ich Quittungen der Baumchirurgen entdeckt.«

»Hatten Sie das Glück, etwas aus dem Jahr zu finden, in dem der Garten angelegt wurde?«, fragte Emma.

»Noch nicht, aber machen Sie sich keine Sorgen. Granddad hat nie etwas weggeworfen. Ich trage immer noch Kartons mit Papieren aus dem Arbeitszimmer, und mit den Dachböden habe ich noch nicht einmal angefangen. Wenn da etwas ist, finde ich es«, versicherte Sydney.

Emma folgte ihr durch eine Taxushecke in den Liebesgarten, wo sie kahlen Boden und kränkelnde tropische Pflanzen vorfand, zu denen Venetia zu ihrer Zeit mit Sicherheit keinen Zugang gehabt hätte. Der Garten der Kinder dahinter war wenig mehr als eine Ansammlung von Wildblumen überschattet von vier großen Kirschbäumen, die dringend beschnitten werden mussten, und der Lavendelweg war schrecklich überwuchert, gedieh aber. Der Skulpturengarten bestand größtenteils aus Rasen und ein paar zerbrochenen, verwitterten Statuen. Daran schloss sich ein Gartenbereich an, der nicht zu den anderen zu passen schien und dessen Bestimmung Emma trotz ihrer Recherchen nicht einordnen konnte, sowie ein Stück, das einmal ein weißer Garten hatte sein sollen. Doch die Pflanzen hatten sich selbst weiter ausgesät, und Emma war sich sicher, dass er im Frühling in einer Vielzahl von Farben erblühen würde. Weiter ging es in ein Areal, von dem sie vermutete, dass es sich um einen lange brachliegenden Wassergarten handelte, obwohl das seichte Becken in seiner Mitte inzwischen von Unkraut verstopft war, bei dem es sich nicht um Wasserpflanzen handelte. Das Ganze kam ihr … traurig vor, wie eine wild wuchernde, vernachlässigte Masse.

»Und da sind wir nun«, verkündete Sydney, während sie den Weg zwischen dem Wassergarten und dem weißen Garten entlangliefen.

Zuerst konnte Emma oberhalb der Backsteinmauer nur die hohen Baumkronen und die langen Zweige einer Kletterrose erkennen, die um Vorherrschaft und Sonnenlicht kämpften. Doch als sie um die sanft gewölbte Ziegelmauer herumgingen, die einen Kreis bildete, kamen sie zu einem eisernen Tor, das von Rost in unterschiedlichen Rot- und Orangetönen überzogen war. Kletterpflanzen rankten sich um die Eisenstangen und reckten beinahe frech ihre Stängel hervor. Alles in diesem Gartenbereich schien verzweifelt auf Flucht zu sinnen.

»Das muss der Teil sein, vor dem Charlie mich gewarnt hat«, gestand sie.

»Der Garten des Winters«, erklärte Sydney. »Als ich klein war, sind wir nur zweimal im Jahr nach Highbury gekommen – zu Granddads Geburtstag und am zweiten Weihnachtstag –, aber ich weiß noch, dass Dad jedes Mal mit mir durch den Garten gegangen ist. Ende Dezember hatte man nur hier den Eindruck, dass etwas lebendig war.«

»Also waren Sie schon einmal drinnen?«, fragte Emma, schlang die Hände um die Eisenstangen und versuchte vergeblich, durch das dichte Laub zu spähen.

»Nein, es ist abgeschlossen, solange ich denken kann.«

Emma fuhr mit einem Finger über das riesige Schlüsselloch, das in das Eisen eingeschnitten war. »Dann nehme ich an, dass es keinen Schlüssel zu dem Tor gibt.«

Sydney schüttelte den Kopf. »Noch etwas, nach dem ich auf der Suche bin. Andrew hat vorgeschlagen, einen Schlosser zu rufen, aber ich habe mit zweien telefoniert, und beide meinten, angesichts des Zustands und des Alters des Tors müsste man vielleicht die Angeln durchtrennen, um es zu öffnen. Und das fühlt sich … verkehrt an.«

»Verkehrt?«, fragte Emma und trat ein Stück zurück.

»Ich könnte nicht guten Gewissens einen Teil der Geschichte des Gartens auslöschen, während ich so schwer daran arbeite, das Haus zu restaurieren. Außerdem –« Sydney unterbrach sich. »Der Garten des Winters hat so eine besondere Ausstrahlung. Er wirkt so verlassen.«

Der ganze Garten war geradezu ein Sinnbild von Vernachlässigung, aber Emma verstand, was sie meinte. Sie vermutete, dass Sydney ungefähr in ihrem Alter war, und bei der Vorstellung, dass fünfunddreißig Jahre lang niemand diesen Garten angerührt oder gepflegt hatte, überlief sie ein kalter Schauer. Das war so … unheimlich? Pathetisch?

Geheimnisvoll.

Nichts an diesem Auftrag würde einfach werden. Es gab keine Pläne und nur wenig Archivmaterial, und ein großer Teil der ursprünglichen Gartenstruktur war dem Zahn der Zeit zum Opfer gefallen. Das hätte vielleicht einige ihrer Kollegen abgeschreckt, die einfache Aufträge vorzogen und lieber nach genauen Vorgaben ihrer Kunden einen modernen Garten anlegten. Doch Emma überlief ein Schauer freudiger Aufregung, wenn sie diesen hoffnungslosen Wirrwarr betrachtete. Highbury House war ein Projekt, wie sie es liebte.

»Tja, wir könnten uns eine Leiter holen und über die Mauer steigen«, schlug Emma vor.

»Das hat Andrew schon versucht«, erklärte Sydney. »Er ist hochgeklettert und hat festgestellt, dass man auf der anderen Seite nirgendwo eine Leiter sicher abstellen kann.«

»Wann war das?«, erkundigte sich Emma.

»Gleich nachdem wir unsere Firma verkauft hatten. Wir haben Mum und Dad angeboten, ihnen das Haus abzukaufen. Granddad hatte ihnen etwas Geld hinterlassen, aber der größte Teil ist dafür draufgegangen, Löcher im Dach zu reparieren und das Haus so weit zu heizen, dass die Wände nicht feucht wurden. Im Lauf der Jahre ist es zu einem ziemlichen Klotz am Bein geworden, aber Dad hat es nie übers Herz gebracht, es zu verkaufen«, erklärte Sydney.

Emma warf ihr ein leises Lächeln zu. »Und jetzt haben Sie beschlossen, es wieder zu seiner alten Pracht zu bringen.«

»Richtig. Wir sind Sydney und Andrew Wilcox, die Retter alter Häuser.«

»Und ihrer Gärten«, setzte Emma hinzu.

»Ich hoffe, die Größenordnung des Projekts schreckt Sie nicht ab«, sagte Sydney.

Emma hätte das Projekt auch übernommen, wenn die Größe von Highbury sie eingeschüchtert hätte. Bei Mallow Glen hatten sie einen Monat überzogen, weil sie drei unterschiedliche Probleme mit Zulieferern gehabt hatten. Außerdem war sie gezwungen gewesen, einen kleineren Auftrag in einem Cottage-Garten in Leicestershire zu opfern, um sich auf Highbury House vorzubereiten. Der Verlust dieser zusätzlichen Finanzspritze schmerzte, aber Highbury wäre ein viel größerer Gewinn.

»Es ist knifflig«, räumte sie ein. »Wir haben nicht viele Originaldokumente oder Fotos, an die wir uns halten könnten. Daher habe ich Pläne gezeichnet, die auf Venetias anderen Entwürfen aus derselben Zeit basieren.«

»Ich sichte diese Kisten, versprochen«, sagte Sydney. »Und was passiert jetzt als Nächstes?«

»Meine Leute treffen ein. Charlie kennen Sie ja schon, aber zum Team gehören auch Jessa, Zack und Vishal. Als Erstes werden sie die verwilderten Pflanzen abtragen, damit wir einschätzen können, womit wir es zu tun haben. Ich sollte Ihnen noch diese Woche die endgültigen Pläne zeigen können.«

Sydney faltete die Hände vor dem Körper und sah aus, als wollte sie einen Song schmettern wie ein Musicalstar. »Ich kann es kaum abwarten«, sagte sie jedoch stattdessen.

Ich auch nicht, dachte Emma. Ich auch nicht.

Emma hievte die Einkäufe von einem Arm auf den anderen und zog die Schlüssel aus der Tasche. Der Makler hatte ihr einen Rundgang durch Bow Cottage angeboten, doch sie hatte höflich abgelehnt. Nachdem sie den ganzen Tag hinter Sydney hergelaufen war, sehnte sie sich nach Ruhe und Frieden in ihrem gemieteten Häuschen.

Nach zwei Versuchen gelang es ihr, die rote Vordertür aufzuschließen und das Licht in der Diele einzuschalten. Sie ließ die Tür hinter sich zufallen und stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Dann machte sie sich in dem Haus, das während der nächsten neun Monate ihr Heim sein würde, auf die Suche nach der Küche. Um ihr Gepäck würde sie sich später kümmern, das wartete auf dem Rücksitz ihres Wagens. Zuerst brauchte sie eine Tasse Tee und musste ihr Handy aufladen.

Rechts der Diele entdeckte sie ein geräumiges Wohnzimmer und daneben ein kleines Arbeitszimmer. Auf der anderen Seite des Gangs lag das Esszimmer. Dort stand ein großer Tisch mit massiver Holzplatte, den sie wahrscheinlich eher zum Zeichnen von Entwürfen als zum Bewirten von Gästen nutzen würde. Nebenan befand sich die Küche – einfach, aber hübsch und mit Gazevorhängen vor den breiten Fenstern, durch die man auf eine mit Backstein gepflasterte Terrasse, einen Rasen aus Weidelgras und im Hintergrund eine ausgewachsene Magnolia grandiflora hinaussah. Emma stellte ihre Einkaufstaschen auf der Arbeitsfläche ab, schloss ihr entladenes Handy an und füllte den elektrischen Wasserkocher. Dann räumte sie den Kühlschrank ein, der für einige Zeit ihr gehören würde.

Sie hatte gerade Joghurt und Milch weggestellt, als ein Signalton eine neue Nachricht ankündigte. Als sie sah, wie viele Textnachrichten in der Zwischenzeit auf ihrem Smartphone eingegangen waren, zuckte sie zusammen. Darunter waren mehrere von Charlie, der sie fragte, ob er am nächsten Morgen, wenn sie sich vor Ort treffen würden, etwas Besonderes mitbringen solle. Außerdem amüsierte er sich darüber, dass sie es wieder einmal geschafft hatte, mit leerem Akku unterwegs zu sein.

Als sie weiterscrollte, entdeckte sie einen entgangenen Anruf von ihrem Dad. Sie rief ihn zurück und stellte das Handy auf laut, damit sie nebenbei ihre Vorräte weiter einräumen konnte.

»Geht’s dir gut, Emma?«, ertönte die Stimme ihres Dads. Sein Südlondoner Akzent war wie immer nicht zu überhören.

»Du klingst munter«, entgegnete Emma und lächelte vor sich hin.

»Ich habe den ganzen Tag am Telefon gewartet, um zu hören, wie dein erster Tag gelaufen ist.«

»Hallo, Schatz!«, rief ihre Mutter irgendwo im Hintergrund. »Freut mich zu hören, dass du deine dich liebenden Eltern nicht vergessen hast.«

»Deine Mutter lässt dich grüßen«, erklärte ihr Vater und entschärfte sogleich die Begrüßung ihrer Mum.

Emma seufzte. »Tut mir leid, dass ich nicht eher angerufen habe. Mein Handy hatte den Geist aufgegeben.«

Er lachte. »Dein Akku ist immer leer. Wie war der Garten?«

»Ein Trauerspiel«, sagte sie und legte einen Brotlaib auf die Arbeitsfläche. »Die aktuellen Besitzer, Sydney und Andrew, haben das Anwesen von Sydneys Eltern gekauft, die es von ihrem Großvater geerbt hatten. So wie es klingt, haben Sydneys Eltern getan, was sie konnten, um das Haus zu erhalten, aber viel mehr war für sie nicht machbar. Da kannst du dir vorstellen, in welchem Zustand der Garten ist.«

»So schlimm?«, fragte er.

»An manchen Stellen ist er vollkommen umgegraben worden, aber andere Teile sind einfach überwuchert. Es gibt vier Sauerkirschbäume, die wirken, als hätte sich seit dreißig Jahren niemand mehr richtig um sie gekümmert. Und dann ist da der hintere Teil des Gartens. Alles ist ein einziges Chaos, und in einem Bereich kann man nicht einmal erahnen, nach welchem Thema er gestaltet wurde.«

»Klingt, als wüsstest du, was du zu tun hast«, meinte er.

»Ja. Der Garten muss, schon fünf Jahre nachdem Venetia die Arbeit daran abgeschlossen hatte, wundervoll ausgesehen haben.« Sie bezweifelte allerdings, dass Venetia Smith die Früchte ihrer Arbeit je zu Gesicht bekommen hatte. Soweit Emma wusste, hatte sie Großbritannien damals verlassen und war nie zurückgekehrt.

»Da bin ich mir sicher.« Die Stimme ihres Dads drang plötzlich nur gedämpft und unverständlich durchs Telefon, und sie vermutete, dass er das Mikrofon seines Handys zuhielt. Sie wappnete sich für den Moment, in dem er wieder ans Telefon kommen würde. »Deine Mum will mit dir sprechen«, erklärte er kurz darauf.

Bevor sie eine Ausrede vorbringen konnte – dass sie müde war und das Abendessen zubereiten musste –, hörte sie, wie er das Handy an ihre Mum weiterreichte. »Hast du etwas von der Stiftung gehört?«

»Hallo, Mum. Mir geht’s gut, danke der Nachfrage.«

»Wir sitzen hier wie auf glühenden Kohlen, Emma. Du brauchst diese Stelle als Leiterin der Naturschutzabteilung unbedingt«, gab ihre Mutter zurück und ignorierte sie.

Brauchen – so hätte Emma es nicht ausgedrückt, doch sie gab sich die größte Mühe, ihre Verärgerung zu unterdrücken. Ihre Mum wollte nur das Beste für sie. Und eine Festanstellung bei der renommierten Royal Botanical Heritage Society war in den Augen ihrer Mutter das Beste, was sich ein Mädchen aus Croydon ohne akademischen Abschluss erhoffen konnte.

»Ich weiß noch nichts. Sie haben gesagt, sie melden sich, falls ich bei den Vorstellungsgesprächen in die nächste Runde komme«, erklärte sie.

»Natürlich wollen sie noch einmal mit dir sprechen. Sie könnten niemand Besseren finden, um ihre Naturschutzabteilung zu leiten. Und du hättest einmal in deinem Leben ein regelmäßiges Gehalt.«

»Ich habe ein regelmäßiges Einkommen«, gab sie zurück. Meistens.

»Hast du nicht den ganzen letzten Sommer diesem schrecklichen Ehepaar im Nacken gesessen, das sich geweigert hat, dich zu bezahlen?«, fragte ihre Mutter.

Genauer gesagt war es eher ihr Anwalt gewesen, der dem Paar zugesetzt hatte. Die beiden hatten sich geweigert, die zweite Hälfte ihres Honorars zu zahlen, und versucht, sie auf einer Rechnung über zehntausend Pfund für seltene Pflanzen und Landschaftsgestaltung sitzenzulassen, obwohl sie selbst darauf bestanden hatten, dass sie diese in ihren Garten einarbeitete.

»Am Ende haben sie ja gezahlt«, sagte sie und seufzte bei der Erinnerung an die Anwaltskosten, die das Honorar, das sie schließlich erhalten hatte, deutlich geschmälert hatten.

»Nachdem du ihnen mit einem Gerichtsverfahren gedroht hast.«

»Das kommt nicht so häufig vor«, beteuerte sie.

»Gib es doch zu, Schatz. Turning Back Thyme ist eine nette kleine Firma, aber reich wirst du damit nicht.«

»Mum …«

»Wenn du den Job bei der Stiftung annehmen würdest, könntest du endlich ein Haus kaufen. Die Preise sind gar nicht so übel, wenn man sich weit genug südlich der Themse umsieht. Du hättest deinen eigenen Garten und wärst so viel näher bei deinem Vater und mir, statt dich im ganzen Land herumzutreiben.«

»Ich ziehe gern öfter um«, hielt Emma dagegen.

»Dein Vater und ich haben nicht deine Schulgebühren bezahlt, damit du obdachlos bist«, legte ihre Mutter noch einmal nach.

»Ich bin nicht obdachlos! Ich wohne einfach dort, wo ich arbeite. Außerdem, selbst wenn die Stiftung mir den Job anbietet – für den sie noch nicht einmal die zweite Vorstellungsrunde abgehalten hat –, müsste ich immer noch überlegen, was ich mit meiner Firma anfange. Das ist keine leichte Entscheidung.«

»Du könntest sie verkaufen.«

»Mum.«

»Wäre das denn so schlimm?«

Sie widersprach nicht so schnell, wie sie eigentlich sollte. Sie liebte Turning Back Thyme, aber es war schwer, allein eine Firma zu führen. Ständig fühlte sie sich gestresst durch den Gedanken, ob dies das Jahr sein würde, in dem alles zusammenbrach. Ein paar schlechte Jobs oder eine längere Auftragsflaute genügten, damit nicht nur ihre Lebensgrundlage auf dem Spiel stand, sondern auch die ihres gesamten Teams.

Hätte sie nur Gärten entwerfen müssen, wäre ihre Arbeit ein wahrer Traum gewesen – aber es steckte noch so viel mehr dahinter. Sie war gleichzeitig auch Buchhalterin, Personalleiterin, rechnete die Gehälter ab und kümmerte sich um das Marketing und den Kundenkontakt. An manchen Tagen kam sie von der Arbeit bei einem Kunden hereingestolpert, um den Abend vor ihrem Laptop zu verbringen und die Berge an digitalem Papierkram abzuarbeiten, die das Betreiben einer kleinen Firma mit sich brachte. Dann fiel sie für gewöhnlich völlig erschöpft ins Bett, nur um keuchend aus einem immer wiederkehrenden Albtraum hochzufahren, in dem sie sich ins Bankkonto der Firma einloggte und feststellte, dass es um fünfundsiebzigtausend Pfund überzogen war.

An solchen Tagen – und bei solchen Gesprächen – fragte sie sich, ob sie sich nur selbst zum Narren hielt, wenn sie glaubte, sie könne den Rest ihres Lebens so weitermachen.

Sie räusperte sich. »Ich muss mir etwas zum Abendessen machen und alles für morgen vorbereiten.«

»Du hast so viel Potenzial, Emma.«

»Ich habe dich nicht großgezogen, damit du den ganzen Tag im Dreck wühlst.«

»Das hättest du besser machen können.«

»Du hastallesweggeworfen, Emma.«

»Was für eine Enttäuschung!«

Emma konnte diese Worte nicht vergessen, die ihre Mutter ihr bei jedem Streit an den Kopf geworfen hatte, als sie sich damals gegen ein Studium und für dieses Leben entschieden hatte. Ein Leben, das sich ihre Mum, die sich aus der Arbeiterklasse hochgekämpft hatte, für sie nicht gewünscht hatte.

»Ich muss Schluss machen, Mum«, erklärte sie lahm.

»Schick uns Fotos von dem Haus, in dem du wohnst«, sagte ihre Mutter. Jetzt klang sie fröhlich, nachdem sie ihre spitzen Anspielungen losgeworden war.

»Und von dem Garten!«, rief ihr Vater aus dem Hintergrund.

»Mache ich«, versprach sie und beendete das Gespräch. Sie wandte sich wieder ihren Einkäufen zu und versuchte, den nagenden Verdacht abzuschütteln, dass ihre Mum recht hatte.

Venetia

Dienstag, 5. Februar 1907Highbury HouseSonnig, Ostwind

Jeder neue Garten ist wie ein ungelesenes Buch, dessen Seiten vor Verheißungen überquellen. Heute Morgen, als ich auf der Schwelle von Highbury House stand, hätte ich beinahe vor Aufregung gebebt. Jeder Garten – jeder schwer erkämpfte Auftrag – fühlt sich wie ein Triumph an, und ich bin entschlossen, auf Highbury House mein bisher größtes Werk zu vollbringen.

Aber ich greife vor.

Als ich läutete, bellte irgendwo im Haus ein Hund. Während ich wartete, zupfte ich am Revers meines marineblauen Wollmantels, der zusammen mit meiner weißen Bluse sehr adrett wirkte. Adam hatte meine Erscheinung abgesegnet und mich dann mit dem Versprechen, sich während meines Aufenthalts in Warwickshire um Haus und Garten zu kümmern, zum Zug gebracht.

Ich blickte mich um und staunte darüber, wie kahl Highbury House ohne die fröhlichen Kränze und Girlanden wirkte, die bei meinem Besuch im Dezember an den Türen und Fenstern gehangen hatten. Mrs. Melcourt, die Dame des Hauses, war an jenem Tag unterwegs gewesen, aber Mr. Melcourt hatte sich ausführlich mit mir unterhalten und mich dann an dem lang gezogenen Rasenstück und den altmodischen Beeten vorbeigeführt, die so fantasielos wirkten, dass es mich bedrückte. Er hat das Haus vor drei Jahren erworben. Nachdem er alle Räume renovieren ließ, hat er nun seine Aufmerksamkeit der Gestaltung des Außenbereichs zugewandt und mich auf Empfehlung mehrerer ehemaliger Klienten beauftragt, die er zweifellos beeindrucken will. Er wünscht sich einen Garten, der Eleganz und hohe Ambitionen ausstrahlt, einen, der aussieht, als sei er seit Jahren Teil eines Familienanwesens und keine Neugestaltung, die er mit dem vor Kurzem geerbten Vermögen finanziert, das aus einer Fabrik für Seifenproduktion stammt.

Knarrend öffnete sich die gewaltige Haustür und ließ eine Hausdame in einer düsteren schwarzen Dienstkleidung mit hohem Kragen erblicken. An ihrem Gürtel hing ein Schlüsselbund, wie bei einer mittelalterlichen Burgherrin.

»Guten Morgen«, sagte sie feierlich. Ihr gemessener Ton ließ einen Birminghamer Akzent erkennen.

Ich umfasste die Papprolle ein wenig fester, in der ich Papiere und Unterlagen aus London mitgebracht hatte. »Guten Morgen. Ich bin Miss Venetia Smith. Mr. Melcourt erwartet mich.«

Die Hausdame musterte mich von der Hutkrempe bis zur Stiefelspitze. Sie kniff die Lippen scharf zusammen, als sie den verkrusteten Schlamm entdeckte, in den ich getreten war, als ich heute Morgen zum letzten Mal nach meinen Rosen gesehen hatte.

»Ich kann die Schuhe ausziehen, wenn Sie möchten«, erklärte ich mit herausforderndem Unterton.

Die Hausdame erstarrte und versteifte den Rücken, als hätte ich sie mit einer Hutnadel gestochen. »Das wird nicht nötig sein, Miss Smith.«

Sie führte mich zu einem Doppelsalon und bedeutete mir, vor der Tür zu warten. Ich konnte erkennen, dass der Raum unbestreitbar herrschaftlich wirkte. Mit den jetzt halb geöffneten Schiebetüren hätte man ihn bis zu den handgeschnitzten Wandpaneelen teilen können. An einem Ende hütete ein aus Marmor gehauener Kaminrahmen ein loderndes, knisterndes Feuer. An der Decke hing ein großer Kronleuchter, an dem in Dutzenden Glasschirmen elektrische Birnen glitzerten und Wandteppiche und Gemälde beschienen. Doch der schönste Schmuck befand sich in der Mitte des Raums – dort saß eine zierliche blonde Frau, die ein Tageskleid aus weißem Wollstoff mit einem schwarzen Gürtel trug. Ihr gegenüber saßen in einer Reihe drei Kinder. Die Nanny betrachtete das älteste Mädchen, das vorlas. »›Du eleganter Vogel‹, sagte die Miezekatze zu der Eule. ›Wie bezaubernd und lieblich du singst!‹«

»Meine Liebe«, sagte die Frau in Weiß, von der ich annahm, dass es sich um Mrs. Melcourt handelte.

Sofort verstummte das Kind. Aus dem Lehnsessel erhob sich die breitschultrige Gestalt von Mr. Melcourt, der in einen pechschwarzen Anzug gekleidet war.

»Miss Smith«, kündigte die Hausdame mich an.

»Danke, Mrs. Creasley. Bitte lassen Sie sie eintreten«, sagte Mrs. Melcourt.

Mrs. Creasley wich zurück, damit ich ihren Platz einnehmen konnte.

»Ich hoffe, Ihre Reise war nicht allzu beschwerlich, Miss Smith«, begrüßte mich Mr. Melcourt und nickte knapp.

Fasziniert sah ich zu, wie sein Adamsapfel gegen seinen steifen Hemdkragen stieß. War denn jedes Mitglied dieses Haushalts in gestärkte Kleidungsstücke gezwängt?

»Sie war sehr angenehm, danke«, gab ich zurück.

»Meine Gattin, Mrs. Melcourt«, erklärte er.

Ich deutete einen kleinen Knicks an, den seine Frau mit einem leichten Nicken quittierte. Sie stand nicht auf.

»Sind das die Pläne?«, erkundigte sich Mr. Melcourt eifrig.

Ich hob meine Papprolle an. »Ja.«

»Ich hoffe, die Korrespondenz mit Mr. Hillock war hilfreich«, meinte er.

»Er ist sehr bewandert.« Ein guter Obergärtner kann bei der Gestaltung eines neuen Entwurfs eine große Hilfe sein. Mr. Hillock wird, noch lange nachdem ich Highbury verlassen habe, die Aufgabe haben, den Geist meines Werks zu bewahren.

»Würden Sie gern die neuesten Zeichnungen sehen?«, fragte ich.

Mr. Melcourt nickte. Mrs. Melcourt rang sich nur ein leises Lächeln ab, schickte die Kinder fort und erhob sich, um zu ihrem Mann zu treten.

Während ich meine Pläne auf einem Palisandertisch ausrollte, beobachtete ich meine Auftraggeber über den Rand meines Brillengestells hinweg. Eigentlich benötige ich die Gläser nur, um winzige Details zu zeichnen, doch ich habe festgestellt, dass die Leute eine Frau, die eine Brille trägt, erheblich unterschätzen, was sich meist zu meinem Vorteil auswirkt.

»Wir beginnen mit einer Gesamtbetrachtung des Geländes. Sie haben mir erklärt, Sie wollen förmliche und natürliche Stilelemente kombinieren, um eine elegante Optik zu erzielen und Erstaunen im Betrachter hervorzurufen. Die große Rasenfläche ist Ihr förmlicher Teil.« Ich wies auf den rechteckigen Umriss, der den auf Highbury schon existierenden, lang gestreckten Rasen darstellte. »Die Aussicht von Ihrer Veranda bis hinunter zum See ist wunderschön, doch ihr fehlt ein Blickfang. Etwas Dramatisches. Wir werden Stufen in die schräge Ebene einlassen und eine kleine, von Pflanzen gesäumte Mauer errichten. Diese Treppe wird zu einem breiten, flachen Spiegelteich führen, und dann setzt sich der Rasen kontinuierlich bis hinunter zum See fort.«

»Wollen Sie die Bäume am Seeufer fällen?«, fragte er.

Ich schüttelte den Kopf. »Sie haben dort ausgewachsene Buchen, Birken und Weißdorne, die dem Anwesen ein geschichtsträchtiges Ambiente verleihen. Sie werden feststellen, dass die förmlichen Teile des Gartens zugleich die sind, die dem Haus am nächsten liegen. Dort werden Sie auch am wahrscheinlichsten Gäste empfangen.« Ich blickte zu Mrs. Melcourt auf. »Ihre Gäste werden vielleicht picknicken oder auf dem Rasen Krocket spielen und dann an der langen Rabatte entlangspazieren, die am östlichen Rand des Rasens verlaufen wird, oder über den Lindenweg und vorbei an den gegenüberliegenden Schattenbeeten. Je weiter sie sich dem See nähern, umso stärker wird der Garten einen freieren, ungezähmteren Stil annehmen.«

Mrs. Melcourt verzog den Mund. »Ungezähmt.«

»Mr. Cunningham und Mr. McCray haben beide gezögert, als ich einen solchen Schritt vorschlug, doch ich kann Ihnen versichern, dass sie mit dem Ergebnis zufrieden sind«, erklärte ich. Mit Bedacht hatte ich die zwei reichen Fabrikanten erwähnt, die demselben Londoner Club angehörten wie Mr. Melcourt.

Ich hielt den Atem an, denn dies war der entscheidende Moment. Würden sich die Melcourts als die Art von Klienten erweisen, die glaubten, sich etwas Neues, Schönes und Innovatives zu wünschen, aber in Wahrheit die bequeme Vertrautheit der streng manikürten, förmlichen Gärten des vergangenen Jahrhunderts suchten? Oder würden sie mir erlauben, ihnen etwas zu schenken, was so viel mehr war – ein bewohnbares, üppiges Kunstwerk, farbenprächtiger als jedes Gemälde?

»McCray hat in der Tat erwähnt, dass Sie einige radikale Ideen hegen«, sagte Mr. Melcourt. »Er hat mir aber auch erklärt, dass die Wirkung ihm nichts als Lob eingetragen hat.«

Als seine Frau keine Einwände erhob, lächelte ich. »Das freut mich zu hören.«

Rasch zog ich eine Detailzeichnung der langen Rabatte hervor und ließ ihn sehen, wie hohe Säulen aus Clematis über Rosen, Kugeldisteln, Glockenblumen, Allium und Rittersporn in weichen Rosa-, Weiß-, Silber- und Lilatönen aufragen würden. Ich zeigte den beiden, wie Trennwände aus Hecken und Backstein unmittelbar westlich der Schattenrabatte Gartenbereiche mit unterschiedlichen Themen schaffen würden. Außerdem machte ich sie darauf aufmerksam, dass einige Elemente des Gartens Zeit brauchen würden: So würde man die Linden Jahr für Jahr sorgfältig verflechten müssen, indem man die biegsamen jungen Schösslinge aneinander festband, um den Eindruck von lebenden Wänden zu erzeugen. Wir sprachen darüber, welche Stücke aus der wachsenden Sammlung der Melcourts im Skulpturengarten am besten aussehen würden und wo die Kinder spielen könnten.

Irgendwo im Haus läutete eine Glocke, doch die Melcourts blickten kaum auf.

»Ich habe den Küchen- und den Kräutergarten neben dem Haus belassen. Es wäre unnötig, sie zu versetzen, und der Obstgarten ist schon ausgewachsen und trägt Früchte«, erklärte ich.

»Aber er liegt so nah am Haus«, murmelte Mrs. Melcourt.

Ich verstand den Einwand der Dame sofort. »Im Moment trennt nur eine Taxushecke den Küchengarten vom Rest des Anwesens. Ich würde empfehlen, zwischen dem Küchengarten und den anderen Gartenbereichen eine Mauer zu errichten, um die Trennung von Arbeits- und Vergnügungsgarten zu betonen. Wenn Sie möchten, zeige ich es Ihnen.«

Schwere Männerschritte erklangen, und wir hoben allesamt die Köpfe, als sich ein Neuankömmling zu uns gesellte. Im Unterschied zu Mr. Melcourts akkurat gerichteter Krawatte saß die des soeben eingetroffenen Mannes ein wenig schief, und sogar von meinem Platz aus konnte ich die Schlammspritzer an seinen Hosenaufschlägen erkennen.

»Matthew!«, rief Mrs. Melcourt aus, und ihre kühle Art wich aufrichtiger Zuneigung.

»Hallo, Helen. Du siehst heute reizend aus«, erklärte er, küsste sie auf die Wange und schüttelte dann Mr. Melcourt die Hand.

»Miss Smith, darf ich Ihnen meinen Bruder vorstellen, Mr. Matthew Goddard?«, sagte Mrs. Melcourt.

»Wie geht es Ihnen, Miss Smith?«, fragte Mr. Goddard und nahm meine Hand. Seine war trotz der eisigen Temperaturen warm und für einen Gentleman unerwartet rau. »Ich muss gestehen, Miss Smith«, fuhr er fort, »dass ich heute in der Hoffnung, Ihnen zu begegnen, nach Highbury gekommen bin. Ich bin ein großer Bewunderer Ihrer Arbeit.«

Ich fuhr ein wenig zurück und entzog ihm meine Hand. »Tatsächlich?«

»Letztes Jahr habe ich Longmarsh House besucht. Die Gärten sind exquisit«, erklärte er.

Ich entspannte mich ein wenig und dachte voller Nostalgie an Longmarsh und Lady Mallory zurück, eine Witwe mit einer Leidenschaft für die Natur und einem schwierigen, hoch auf einem Hügel gelegenen Grundstück. Sie war nach dem Tod meines Vaters meine erste bedeutende Klientin gewesen. Das Projekt war überaus ehrgeizig gewesen. Ich hatte Terrassen auf den Hügelhängen anlegen und sieben Ebenen bepflanzen lassen. Im Lauf der Arbeiten beging ich Fehler wie jeder angehende Landschaftsgärtner, doch als ich fertig war, hatte Lady Mallory erklärt, sie besitze nun ihre eigenen Hängenden Gärten von Babylon.

»Es ist sehr freundlich von Ihnen, das zu sagen, Sir«, erklärte ich.

Mrs. Melcourt blickte zwischen uns hin und her, als suche sie etwas. »Das ist in der Tat ein großes Lob, Miss Smith«, sagte sie schließlich. »Matthew ist ein begabter Botaniker und hat ein Auge für diese Dinge.«

Mir wurde unwohl in der Magengrube. Nichts bereitet mir weniger Freude als ein Amateur, der sich bei einem meiner Aufträge herumdrückt. Häufig ist es der Hausherr, der vermögend geboren ist und beschließt, einem neuen Hobby nachzugehen. Er widmet sich der ausgiebigen Lektüre über Pflanzen und versucht sogar von Zeit zu Zeit, ein Loch zu graben, aber der Großteil der Arbeit bleibt an seinem oft überlasteten Gärtner hängen. Bäume beschneiden im Winter, wenn der scharfe Wind einem die Gesichtshaut wund reibt. In der prallen Sonne Entwässerungsgräben ausheben. Mit einem Setzholz und auf allen vieren Hunderte von Zwiebeln einpflanzen, damit die Wiesen im April mit Glockenblumen übersät sind. Damit will der gärtnernde Gentleman nichts zu tun haben, ganz gleich wie sehr er darauf besteht, dass man seine Ansichten berücksichtigt.

»Miss Smith zeigt uns gerade ihre Pläne für Highbury House, Matthew. Du solltest dich zu uns gesellen«, sagte Mrs. Melcourt.

Mr. Goddard verbeugte sich leicht. »Ich möchte mich auf keinen Fall aufdrängen.«

Ich wahrte mit Mühe mein Lächeln. »Das tun Sie nicht.«

Mrs. Melcourt rief nach einem Dienstmädchen und bat es, allen die Mäntel zu holen. Obwohl die Sonne schien, war der Februartag bitterkalt, sodass wir uns dick einmummten.

Auf der Veranda erläuterte ich kurz, wo der Spiegelteich, der Lindenweg und die Rabatten liegen würden. Mr. Goddard lauschte aufmerksam und verschränkte die behandschuhten Hände hinter dem Rücken. Hier und da stellte er eine Frage, blieb ansonsten aber still.

Dann gingen wir zu der Stelle, an der die Rasengrenze auf das Haus traf. »Hier möchte ich ein Tor einsetzen«, sagte ich und wies über den Küchengarten hinaus, wo sich jetzt nur ein kiesbestreuter Weg befand. »Wenn wir es durchschreiten, wird dies der erste Gartenbereich sein.«

»Was ist das Thema dieses Bereichs?«, fragte Mrs. Melcourt.

»Das wird der Teegarten. Ein Pavillon wird Ihnen und Ihren Gästen ein wenig Zuflucht vor der Sonne oder einem plötzlichen Wetterumschwung bieten.«

Zum ersten Mal, seit ich begonnen hatte, den Garten zu beschreiben, verzog Mrs. Melcourt die Lippen zu einem Lächeln. »Wie umsichtig!« Dann glitt ihr Blick zu mir. »Werden Sie Rosen in diesen Garten pflanzen?«

»Ich hatte überlegt, sie vor die Säulen des Pavillons zu setzen«, erklärte ich und wies auf die Pläne, die wir mitgenommen hatten.

»Matthews Rosen natürlich«, sagte Mrs. Melcourt.

»Helen, ich bin mir sicher, Miss Smith hat ihre eigenen Lieferanten.« Mr. Goddard warf mir ein entschuldigendes Lächeln zu. »Ich versuche mich ein wenig an der Rosenzucht. Fühlen Sie sich bitte nicht genötigt, Ihre Pläne zu ändern.«

»Er ist zu bescheiden. Ich würde mich freuen, wenn Sie Matthews Rosen verwenden.« Trotz der höflichen Fassade wusste ich, dass dies vielmehr ein Befehl denn eine Bitte war.

Das widerstrebte mir ganz und gar. Bei den Rosen, die ich für den Teegarten eingeplant hatte, handelte es sich um eine blassrosafarbene Moosrosensorte namens »Madame Louis Leveque«, die vor nicht einmal zehn Jahren gezüchtet worden war. Es würde mir nicht schwerfallen, sie durch etwas Ähnliches zu ersetzen, aber Mrs. Melcourts Einmischung missfiel mir.

Denk immer daran, dass ein Garten ein Gemeinschaftswerk ist. Der Rat meines Vaters hallte in meinem Kopf wider. Er soll das Beste von dirunddeinen Klienten vereinen. Aber vergiss nie, dass du dich zu jeder Zeit der Natur beugen musst.

Also unterdrückte ich ein Seufzen. »Ich bin mir sicher«, erklärte ich, »dass wir uns auf eine passende Rose für den Teegarten einigen können.«

»Und die anderen, in den anderen Gartenbereichen?«, fragte Mrs. Melcourt.

»Vielleicht könnten Sie mir ein Inventar Ihres Lagerbestands verschaffen?«, fragte ich und musste mir Mühe geben, nicht mit den Zähnen zu knirschen.

Mr. Goddard sah mich betreten an. »Am besten kommen Sie und schauen sie sich selbst an. Wilmcote liegt nur sechs Meilen entfernt.«

»Nachdem das nun geklärt ist, wie verhält es sich mit den anderen Unterteilungen?«, fragte Mr. Melcourt.

Ich war entschlossen, die Kontrolle über meine Planungen zurückzuerlangen, und holte tief Luft. »Vom Teegarten aus betritt man den Liebesgarten, der in kräftigen Farben gehalten ist, mit Ihrer Eros-Statue in der Mitte, und dann den in Pastellfarben gehaltenen Garten der Kinder mit Kirschbäumen, gefolgt von dem ganz in Weiß gehaltenen Brautgarten. Dann schließt sich ein Wassergarten an, der zur inneren Einkehr anregt. Soweit ich weiß, sind Sie so etwas wie ein Dichter, Mr. Melcourt?«

Er strahlte. »Ich habe erst letztes Jahr einen Band veröffentlicht.«

Adam stellt ausgezeichnete Nachforschungen über unsere Klienten an, daher wusste ich das bereits. Trotzdem täuschte ich Überraschung vor. »Dann freut es Sie vielleicht zu hören, dass ich einen Dichtergarten mit Anspielungen auf viele große Poeten geplant habe. Von dort aus gelangt man in einen Skulpturengarten, in dem Ihre Sammlung ausgestellt wird, einen Garten des Winters und zu einem Lavendelweg. Am Ende liegt ein kiesbestreuter Pfad, der auf der Südseite von Bäumen gesäumt wird. Jenseits der Bäume und bevor man zum See kommt, folgt der Waldgarten. Dort werde ich Wege anlegen und Frühlingszwiebeln pflanzen. Dieser Bereich geht dann langsam in den Wald über, der sich bis zum Seeufer erstreckt und dann den Feldern von Highbury weicht.«

Ich beobachtete, wie die drei zwischen den Plänen und den ziemlich uninspirierten, sich immer wiederholenden Kästen mit Beetpflanzen hin- und hersahen, aus denen der Garten gerade bestand. Ich wünschte mir, sie könnten ihn so sehen wie ich. Begreifen, was man daraus machen konnte.

»Das wird erstaunlich werden, unerwartet«, fügte ich hinzu und warf einen Blick auf die Ringe an Mrs. Melcourts Fingern und die mit Perlmutt besetzte Krawattennadel am Hals ihres Mannes. »Und beeindruckend. Der Garten wird eine Geschichte erzählen, die Ihre Gäste wieder und wieder erleben können.«

Die Eheleute wechselten einen Blick. »Ich glaube, Sie haben da eine große Aufgabe vor sich, Miss Smith«, erklärte Mr. Melcourt schließlich. »Wir freuen uns darauf mitzuerleben, wie der Garten zum Leben erwacht.«

Beth

21. Februar 1944

Liebste Beth,

immer noch fühlt es sich eigenartig an, Dich als »Liebste« anzusprechen, aber ich glaube, ich werde Gefallen daran finden. Die letzten zwei Tage sind wir marschiert, daher wird Dich dieser Brief ein paar Tage später erreichen. Ich hoffe, Du glaubst nicht, dass ich Dich jetzt schon vernachlässige.

Sogar im Februar steht hier die Sonne höher am Himmel als zu Hause, und ich stelle fest, dass mir der Nebel eines englischen Winters fehlt. Ein merkwürdiger Gedanke, dass die Männer meiner Einheit und ich alle über den Schlamm geflucht haben, der sich beim Exerzieren an unsere Stiefel geheftet hat. Der Krieg ist realer, als ich ihn je beschreiben könnte – und das würde die Zensur auch gar nicht zulassen.

Jeden Tag denke ich an unser letztes Gespräch. Vielleicht sollte ich ein schlechtes Gewissen haben, weil ich Dich so mit der Frage überfallen habe, ob Du mein Mädchen sein möchtest, wie die amerikanischen GIs sagen würden. Ich hatte nicht vorgehabt, es am Telefon zu tun, aber ich wollte Deine Stimme hören.

Das Wissen, dass Du zu Hause bist und auf mich wartest, schenkt mir die Kraft, mich allem zu stellen, was mich im Kampf erwarten mag.

Dein Dir stets gewogener

Colin

Ruckelnd kam der Zug am Bahnhof von Royal Leamington Spa zum Halten, und aus sämtlichen Türen strömten Passagiere auf den Bahnsteig. Beth hielt sich am Griff der Zugtür fest und bemühte sich, die Segeltuchtasche, die über ihrer Schulter hing, auszubalancieren und nicht zu stolpern, während sie die Stufen hinunterkletterte. Als ihre praktischen Schuhe mit dem niedrigen Absatz den Beton berührten, stieß sie den Atem aus.

Endlich.

Die Zugfahrt von London hierher hatte doppelt so lange gedauert wie normalerweise, denn das Reisen in Kriegszeiten bedeutete vor allem unregelmäßigen Betrieb. Und dabei war noch nicht einmal die erste, frühmorgendliche Etappe ihrer Fahrt von dem Landwirtschaftscollege, an dem sie ihre Ausbildung absolviert hatte, in die Hauptstadt eingerechnet. Doch jetzt hatte sie die Temple Fosse Farm, die in absehbarer Zukunft ihr Zuhause sein würde, beinahe erreicht.

Sie rückte ihre Tasche zurecht, ging den Bahnsteig entlang und hielt Ausschau nach Mr. Penworthy, dabei wusste sie nicht einmal, wie er aussah oder ob er in der Lage sein würde, sie unter all den anderen Reisenden zu erkennen. Sie hätte sich auf der Bahnhofstoilette von Marylebone umkleiden und ihre Uniform anziehen sollen, wie es das Handbuch der Frauenlandarmee vorschlug, doch diese Zugfahrt war für unbestimmte Zeit die letzte Gelegenheit, ihre eigene Kleidung zu tragen.

Ihr Leben würde von jetzt an aus Erde, Feldfrüchten, Wetter und Ernte bestehen. Während ihrer Ausbildung hatte sie gehört, die Isolation des Landlebens könne für Mädchen aus der Stadt schwierig werden, aber sie hatte ihre Kindheit auf dem Land verbracht. Sie war sich sicher, dass sie das Gefühl haben würde, nach Hause zu kommen. Außerdem veranstalteten die Mädchen von der Landarmee in manchen Grafschaften gelegentlich abendliche Tanzveranstaltungen in nahen Dörfern und Städten. Sie hoffte, dass Warwickshire ebenso gut organisiert sein würde.

Die Menge auf dem Bahnsteig verlief sich langsam, als die Menschen in die Bahnhofshalle strömten. Der Wind erfasste Beths blonde Locken, die sie mit Nadeln eingedreht und dann ausgebürstet hatte, und sie drückte sie hastig wieder zurecht. Da entdeckte sie einen älteren Mann, der an der Tür zum Wartesaal stand. Er hielt eine flache Wollkappe in den Händen und trug eine olivgrüne gewachste Jacke, die ihm lose um die Schultern hing. Beth legte die Hand auf den Riemen ihrer Tasche, schluckte gegen ihre aufsteigende Furcht an und trat direkt auf ihn zu.

»Mr. Penworthy?«, fragte sie. Trotz ihres aufgesetzten Selbstbewusstseins zitterte ihre Stimme ein wenig.

Er musterte sie, wie ein Mann vermutlich eine Kuh auf dem Viehmarkt begutachten würde. »Dann sind Sie das Mädchen von der Landarmee?«

Sie nickte. »Mein Name ist Elizabeth Pedley.«

»Das ist ein langer Name für so ein kleines Ding«, meinte er.

»Meine Eltern haben mich Beth gerufen, und ich bin vielleicht klein, aber stark.«

Seine Mundwinkel zuckten. »Ist das so? Das letzte Mädchen, das man uns geschickt hat, war nicht gerade zu viel zu gebrauchen.«

»Was ist aus ihr geworden?«, fragte sie.

»Arbeitet immer noch auf der Farm. Wir können uns nicht leisten, allzu wählerisch zu sein. Mrs. Penworthy hatte die Idee, ein zweites Mädchen zu holen.« Er fuhr sich mit einer Hand übers Gesicht und setzte seine Kappe auf. »Und wenn Mrs. Penworthy sich etwas in den Kopf setzt, spielt man besser mit. Kommen Sie jetzt. Bald wird es dunkel.«

Er streckte die Hand aus, um Beths Tasche zu nehmen, doch sie hielt sie entschlossen fest.

»Wie Sie wollen«, brummte er.

Beth folgte dem Farmer die Bahnhofstreppe hinunter und zu einem Pferdekarren, der am Tor festgebunden war. »Sind Sie schon einmal in einem Karren gefahren?«

»Schon lange nicht mehr«, antwortete sie ehrlich. »Aber meine Eltern hatten eine Farm.«

»Haben sie die nun nicht mehr?«

»Sie sind gestorben.« Kurz trat Stille zwischen ihnen ein wie so oft, wenn sie erwähnte, dass sie eine Vollwaise war. »Ich habe bei meiner Tante in der Stadt gelebt, bis ich achtzehn geworden und zur Frauenlandarmee gegangen bin.«

»Benzin gibt es jetzt nur noch für Landmaschinen, also fahren wir mit dem Pferdewagen«, erklärte Mr. Penworthy.

Dankbar dafür, dass er keine platten Beileidsbekundungen von sich gab, nickte sie.

Als er ihr die Klappe öffnete, hievte Beth ihre Tasche auf die Ladefläche des Karrens.

»Wo wollen Sie sitzen, hinten oder vorn?«, fragte er.

»Vorn bitte.«

»Wie Sie wollen«, sagte er wieder.

Sie kletterte auf den Kutschbock und setzte sich. Mr. Penworthy tat es ihr gleich und griff dann nach den Zügeln. Er schnalzte, und das Pferd setzte sich in Bewegung.

Falls Beth geglaubt hatte, sie würden sich auf der Fahrt zur Farm unterhalten, hatte sie sich geirrt. Die Straße wies tiefe Spurrillen auf, und die Februarluft war schneidend kalt. Die Hälfte der Zeit brachte sie damit zu, ihre Zähne am Klappern zu hindern, und den Rest damit, ihre Mütze festzuhalten. Als Mr. Penworthy endlich an einem Schild, auf dem Temple Fosse Farm in gemalten Lettern stand, von der Straße abbog, hatte sie das Gefühl, ihre Finger würden gleich abfallen.

Sobald Pferd und Karren langsamer wurden, wurde die Tür am schmalen Ende des Farmhauses aufgerissen. »Len Penworthy, wieso lässt du das Mädchen den langen Weg vom Bahnhof nur in diesem dünnen Mantel fahren?«, verlangte eine hochgewachsene Frau in einer Drillichschürze zu wissen. »Sie holt sich noch den Tod.«

»Das wäre dann Mrs. Penworthy«, murmelte er.

Beth warf ihm einen Blick zu, doch sie sah erstaunt, dass in seinen Augen weder Ärger noch Überdruss standen, sondern nur Zuneigung.

»Sie müssen Miss Pedley sein«, mutmaßte Mrs. Penworthy und wuselte geschäftig auf sie zu.

»Bitten nennen Sie mich Beth«, entgegnete sie.

»Also dann Beth.«

Die Frau legte ihr die Hände auf die Schultern, sobald sie vom Karren geklettert war, und schob sie schnurstracks in die Küche. Ein großer schwarzer Eisenofen, der in einer Ecke des Raumes stand, strahlte eine angenehme Wärme aus, und auf dem Tisch lag diverses Gemüse. Offensichtlich war sie dabei gewesen, es kleinzuhacken. Der Duft eines herzhaften Eintopfs drang Beth in die Nase, und sie hätte beinahe aufgestöhnt. Es war so lange her, dass sie eine gute, frisch gekochte Mahlzeit zu sich genommen hatte.

»Setzen Sie sich, und ich mache Ihnen eine Tasse Tee«, befahl Mrs. Penworthy.

Ihr Mann machte Anstalten, am anderen Ende des Tischs Platz zu nehmen, aber sie sprach ihn über die Schulter an. »Sag Ruth, sie soll kommen, um Beth kennenzulernen.«

Mr. Penworthy stieß einen tiefen Seufzer aus. »Ich frage sie.«

»Achten Sie gar nicht auf ihn«, erklärte seine Frau, sobald er den Raum verlassen hatte. »Das Leben auf einer Farm ist nichts für jeden, und Ruth fällt es schwer, sich daran zu gewöhnen. Sie würde es sich allerdings leichter machen, wenn sie sich klarmachen würde, dass sie nicht mehr in Birmingham ist.«

»Ich hoffe, mir wird es leichter fallen. Seit ich zehn bin, habe ich bei meiner verwitweten Tante Mildred in Dorking gelebt.«

Falls es Mrs. Penworthy merkwürdig vorkam, dass Beth bei ihrer Tante und nicht bei ihren Eltern wohnte, ließ die Bauersfrau nichts darüber verlauten. »Wird sie Sie in Dorking nicht vermissen?«, fragte sie stattdessen.

Beth zögerte. »Ich glaube, sie ist froh darüber, dass ich meinen Beitrag zu den Kriegsanstrengungen leiste.«

»Nahrung für das hungrige Großbritannien?«, fragte jemand scharf. Beth sah auf und erblickte eine Frau mit üppigen Rundungen und einer Wespentaille, die in die Küche trat. Perfekte rote Locken umspielten ihre Schultern. Obwohl Kleidung rationiert war und Coupons beschränkten, was man kaufen konnte, war diese Frau überaus ansehnlich in einen gerippten cremefarbenen Rollkragenpullover und einen Tweedrock gekleidet. An jemand anderem hätte das vielleicht bieder ausgesehen, doch sie wirkte, als wollte sie ihren Gästen gleich nach einem langen Tag auf der Jagd eine Runde Drinks servieren.

»Seien Sie nett, Ruth«, wies Mrs. Penworthy sie an.

Ruths Blick huschte von der Bauersfrau zu Beth und wieder zurück. Dann trat ein Lächeln auf ihr Gesicht. »Ich scherze nur, Mrs. P. Hallo, ich bin Ruth Harper-Greene.«

Beth runzelte die Stirn über Ruths Doppelnamen. Mädchen wie Ruth wurden für gewöhnlich Sekretärinnen oder arbeiteten bei der Telefonvermittlung, wo ihr gestochen scharfer Akzent am besten zur Geltung kam.

Sie schüttelte Ruth die Hand. »Ich freue mich, dich kennenzulernen.«

»Lassen Sie uns alle eine Tasse Tee trinken«, sagte Mrs. Penworthy munter. »Leider nur Kamille, aber wir haben nun einmal Krieg.«

Mr. Penworthy gesellte sich erst zum Abendessen wieder zu ihnen, das zwar komplett aus Wurzelgemüse bestand, aber bei Weitem die beste Mahlzeit war, die Beth seit Monaten gekostet hatte. Anschließend führte Ruth sie zu dem Zimmer, das die beiden sich teilen würden.

Sobald die Tür hinter ihnen geschlossen war, ließ Ruth sich aufs Bett fallen. »Wie schrecklich langweilig! Ich schwöre dir, wenn nicht bald etwas Interessantes passiert, schreie ich.«

»Die Penworthys scheinen sehr nett zu sein. Bestimmt wird es mir hier gefallen«, sagte Beth.

Ruth stützte sich auf einen Ellbogen und musterte sie. »Na ja, wahrscheinlich warst du noch nie in London. Oder wenigstens in Birmingham. Warwickshire ist, gelinde gesagt, ziemlich enttäuschend.«

Beth schürzte die Lippen und begann, ihre Tasche auszupacken.

»Oh, ich habe dich beleidigt«, sagte Ruth und stand auf, damit sie in Beths Blickfeld kam.

»Du hast mich nicht beleidigt«, gab sie zurück. »Ich bin nur froh, mich nützlich machen zu können.«

»Na schön, wir müssen alle ›von Nutzen‹ sein, nicht wahr?«, schnaubte Ruth, zog eine Schublade auf und holte ein zerknittertes Päckchen Zigaretten und ein Streichholz daraus hervor.

»Bitte rauch hier drinnen nicht«, sagte Beth ein wenig schärfer als beabsichtigt.

Mit der Zigarette im Mundwinkel blickte Ruth auf. »Das Mäuschen ist ja bissig.«

»Ich bin keine Maus. Und ich würde es zu schätzen wissen, wenn du in diesem Zimmer nicht rauchst.«

»Warum nicht?«, erwiderte Ruth.

»Weil meine Tante Mildred raucht, und ich konnte das noch nie ausstehen.« Beth drehte sich zu ihrer Mitbewohnerin um und verschränkte die Arme vor der Brust. »Wir brauchen einander nicht zu mögen, aber wir müssen einigermaßen miteinander auskommen. Es wäre einfach, wenn wir uns von Anfang an darauf einigen.«